Der Kampf der Zünfte gegen die Geschlechter

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Textdaten
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Autor: Hans Silberborth
Titel: Der Kampf der Zünfte gegen die Geschlechter
Untertitel:
aus: Geschichte der freien Reichsstadt Nordhausen
Herausgeber: Magistrat
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1927
Verlag: Magistrat der Stadt Nordhausen
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Erscheinungsort:
Quelle: Scan
Kurzbeschreibung: Abschnitt 2,
Kapitel 5
Digitalisat:
Eintrag in der GND: [1]
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Kapitel 5.
Der Kampf der Zünfte gegen die Geschlechter.


Mit den ausgehenden fünfziger Jahren des 14. Jahrhunderts war es für Nordhausen mit dem behaglichen Friedensleben vorbei. Das lag zum Teil an den 'Verhältnissen, zum Teil aber auch an den gefreundten Geschlechtern, die nicht lange Ruhe halten konnten. Die besten und tüchtigsten dieser vornehmen Nordhäuser trieb zu neuen Taten sicher eine weitausschauende Politik zum Wohle der Vaterstadt. Sie sahen es ja bei anderen Städten, bei Erfurt, bei Magdeburg, was regsamer Bürgersinn vor sich bringen konnte. Und wenn man auch mit diesen Städten nicht wetteifern konnte, so bemerkte man doch sehr wohl, was eine gute Politik zu erreichen vermochte, selbst wenn man zunächst viel Kapital in das Unternehmen stecken mußte. Freundschaften, auch ferne, ließen sich gewinnen, wirtschaftliche Beziehungen ließen sich anknüpfen, der Ackerbau ließ sich in einer größeren Stadtflur heben. Bei anderen Angehörigen dieser Geschlechter war es freilich in erster Linie die Lust an Abenteuern und an bewegtem Leben. Und wenn die Alten diese Lust nicht mehr besaßen, besaßen sie doch die Jungen. Manch bedächtiger Patrizier mag von seinen verwegenen Söhnen, die draußen etwas erleben wollten, verführt worden sein, verführt deshalb, weil ihn selbst das Blut noch lockte und er sich mit dem Tuchschneiden, dem Wollverkauf und dem Bierbrauen allein noch nicht befreunden konnte.

So sehen wir uns denn auch in den Jahren von 1359-1375 immerwährenden Fehden gegenüber. Diese führten die Bürger mit den Honsteinem in der besten Absicht, der Vaterstadt zu nützen und ihre Stadtflur zu erweitern. Aber zunächst erforderten diese Unternehmungen Opfer und wieder Opfer, brachten Unruhe und wieder Unruhe. Und den Kleinbürger und Handwerker, der nur das nächste sah, drückten nur die Lasten, und er bemerkte nicht die Erfolge. Dazu kam, daß er nicht genügend Anteil am Stadtregiment besaß, zu wenig Rechte und zu wenig Verpflichtung, und es ihm zum mindesten schien, als ob nur die Geschlechter die Vorteile aus den ewigen Unternehmungen zögen. Immer mehr machte sich deshalb unter diesen Kleinbürgern der Gedanke breit, sie brächten nur für einige wenige Blut und Geld dar.

Und der Unwille steigerte sich noch durch die Regierungsmethoden und das Auftreten der Gewalthaber. Jedes patriarchalische und aristokratische Regiment ist herzlich, bieder, freundlich gewährend, solange es Gehorsam und keinen Widerspruch findet, aber hart zupackend, ja roh, gewalttätig, selbst grausam, wenn die Masse das Recht der Mitregierung fordert; dann findet sich überall ein tarpejischer Felsen für den Frevler.

So war es auch in Nordhausen. Von 1280-1310, wo die Gefreundten das Heft unangefochten in der Hand hatten, war eitel Freundschaft in der Bürgerschaft; sowie aber die Massen zu bewußtem Leben erwachten und Ansprüche stellten, begann der Kampf, unerbittlich und auch kurzsichtig geführt von den Geschlechtern, trotz aller ihrer politischen Fähigkeiten. Die ursprüngliche, kaum durch Überlegung gebändigte menschliche Selbstsucht erstickte jedes politische Denken, das sich nun einmal auf Kompromisse einstellen muß. Alle diese Gegensätze, bei deren Aufeinanderprall die menschlichen Urtriebe sich regten, führten zur Katastrophe vom Jahre 1375.

Zunächst mußte eine ganze Reihe unnützer Feldzüge den berechtigten Unwillen des Volkes erregen. - Nordhausen war seit einigen Jahren, seitdem sich das Verhältnis zu den Honsteinem wieder zu trüben begann, geneigt, mit den Herren von Beichlingen nicht bloß Friede zu halten, sondern auch Freundschaft zu schließen. Städte aber fahren nie gut bei adligen Freundschaften; sie gehören an die Seite von anderen Städten, weil gleiche Strebungen sie miteinander verbinden, oder an die Seite der Fürsten, weil vor deren Thron in ihrem eigenen wohlverstandenen Interesse jeder gleich sein muß. So lief denn auch hier das Bündnis mit den adligen Spießgesellen schlimm genug aus.

Da war das thüringische Städtchen Kindelbrück an die Beichlinger Grafen verpfändet. Diese, wie die meisten Adligen damals, befanden sich in ewiger Geldverlegenheit, suchten aus der Pfandschaft das Menschenmögliche herauszuschlagen und preßten die Kindelbrücker nach Herzenslust aus. Die Kindelbrücker wandten sich zunächst an ihren Landesfürsten, den Landgrafen Friedrich den Strengen, der seit 1347 als Nachfolger seines Vaters Friedrich des Ernsten regierte. Der Landgraf half jedoch nicht, und so mußten die Kindelbrücker zur Selbsthilfe schreiten und verweigerten einfach die Zahlungen. Nun war der Beichlinger allein viel zu ohnmächtig, als daß er das Städtchen hätte zwingen können; aber sein Hilferuf verhallte bei den drei verbündeten Städten Erfurt, Mühlhausen und Nordhausen nicht ungehört.

Es war eigentlich toll, daß die Bürger die Hand zu einem Schlage gegen ihresgleichen boten; aber die Rauflust steckte jenem Geschlechte nun einmal im Blute, und der Gedanke, daß, während die Väter durch Handel ihr Gut vermehrten, die kampffrohe Jugend durch ein wenig Plündern das Ihre für des Hauses Wohlstand beisteuerte, dieser Gedanke schien weder gemein noch unnütz.

So zog denn das Nordhäuser Fähnlein wohlgemut durch die Aue davon. Vor Kindelbrück ward ein fröhliches Heerlager aufgeschlagen, und nun begann man mit den Scharmützeln und Streifzügen, wagte wohl auch einmal einen größeren Angriff auf die Wälle und Palisaden.

Eine gute Zeitlang wehrten sich die Kindelbrücker wacker und fügten den Belagerern mit ihren schweren Wurfmaschinen einigen Schaden an Roß und Wagen zu. Dann aber fiel das Städtchen in die Hände der Verbündeten, ward angezündet und trefflich ausgeraubt. Es war gewiß eine lustige Sache für die Nordhäuser Herrensöhnlein, so im Gefolge eines edlen Grafen zu erscheinen und über Bauern und Kleinbürger herzufallen.

Doch nun - leider viel zu spät - griff der Landesfürst als Hort der Bedrängten ein und verlangte für die Kindelbrücker vollen Schadenersatz, widrigenfalls er die Verbündeten als Landfriedensbrecher erklären müßte. Da aber der Beichlinger nicht bezahlen konnte, mußten die drei Städte allein die heiße Suppe auslöffeln. Sie mußten eine große Buße zahlen, wobei aber das Schönste war, daß diese schließlich noch der Beichlinger erhielt, damit er auf Kindelbrück verzichtete und dieses der Landgraf selbst übernehmen konnte. Da war der Unwille der Handwerker wohl berechtigt, wenn sie die leichtfertigen Anzettler dieses Unternehmens schmähten. Geld und Gut war vertan, vertan, um arme Bürgersleute zu berauben, und geflossen war das Geld in die Taschen eines der Erbfeinde der Stadt.

Das war im Jahre 1359. Zwei andere Kriegszüge, die der Stadt auch nichts weiter einbrachten als blutige Köpfe und schwere Opfer an Geld, waren nach Westen gerichtet. Hier hatten am Eichsfelde und dem Leine-Werragebiete abgesehen vom Erzstift Mainz drei Herrschaften Interesse: Thüringen von Osten her, das meist mit Thüringen verbundene Hessen vom Westen her, und dazu als dritter Braunschweig von Norden her.

Das Weifengeschlecht, das über Braunschweig regierte, war seit alters ein starkes, aber auch gewalttätiges Geschlecht, das sich jedoch durch ewige Teilungen dauernd schwächte. Hier, im Gebiete des Eichsfeldes kamen zwei Linien der Braunschweiger besonders in Betracht: Braunschweig-Grubenhagen und Braunschweig-Göttingen, beides durch die Teilungen so kleine Herrschaftsgebiete, daß sich ein Graf von Honstein sehr wohl mit den Herzögen von Grubenhagen oder Göttingen vergleichen konnte. So trug denn auch der Charakter ihrer Politik dieselbe Färbung wie bei den honsteinschen Grafen: Ohne große Gesichtspunkte in ihrer Politik suchten sie durch kleine Fehden ihr Gebiet zu erweitern und über den dauernden Mangel an Geld hinwegzukommen.

Nun war Herzog Ernst von Braunschweig-Grubenhagen, als er einst arglos durch das Städtchen Nörten an der Leine ritt, von Herrn Heinrich von Hardenberg, einem kurmainzischen Vasallen, angefallen, gefangen genommen und gar in den Block gelegt worden. Der tief Gekränkte starb darüber hin und konnte die Schmach nicht mehr rächen. Aber sein Sohn Albrecht machte sich bei nächster Gelegenheit daran, dem Hardenberger heimzuzahlen, und da er das feste Schloß nicht nehmen konnte, wütete er gegen das wehrlos am Fuße der Burg liegende Nörten. Das Städtchen ging in Flammen auf. Da rief Heinrich von Hardenberg die Hilfe seines Lehnsherrn an, der damals gerade in Heiligenstadt weilte. Und der Mainzer, der auf eigene Rechnung zwar nichts tun, aber seinen Vasallen doch auch nicht im Stiche lassen wollte, setzte sich mit dem Landgrafen Friedrich dem Strengen ins Benehmen. Dieser, schon lange empört über die schlimmen Räubereien des Braunschweigers an seinen westlichen Grenzen, nahm die Gelegenheit wahr. Er stellte im Jahre 1365 ein Ultimatum und forderte sofortige Einstellung jeglicher kriegerischer Unternehmungen, erhielt aber nur zur Antwort: Und wenn es Landgrafen vom Himmel regne, werde der Braunschweiger sich nicht darum scheren. Damit war der Kriegsfall gegeben.

Friedrich brachte ein Heer von 18000 Mann auf die Beine, darunter das Aufgebot der Erfurter, Mühlhäuser und Nordhäuser. Die Schlösser Hindenburg, Windhausen und Lichtenstein wurden erobert, das flache Land ward furchtbar verheert. Dann legte man sich vor Salzderhelden und Einbeck. Beide wehrten sich aber tapfer. Besonders Salzderhelden, die Residenz des Braunschweigers, machte alle Anstrengungen der Belagerer zunichte „mit Hilfe einer Bleibüchse, mit der Heinrich in die Werke schoß, der ersten Büchse, die in diesem Lande vernommen ward“. - Trotzdem Salzderhelden nicht fiel, mußte schließlich Herzog Heinrich doch nachgeben, Nordhausen aber hatte nichts als Ausgaben von diesem Feldzuge.[1]

War schon Braunschweig-Grubenhagen ein unruhiger Gast, so der damalige Beherrscher des Hauses Braunschweig-Göttingen, Otto, der Quade genannt, noch viel mehr. Das Volk nannte ihn nur den „wütenden Hund“. Ohne irgendwelchen höheren Zweck verritt er mit seinen adligen Spießgesellen von den Burgen an der Leine und Werra nur zu Raub und Plünderung. Schließlich bildete sich sogar ein Bund von Adligen, nach ihrem Abzeichen die Ritter vom Stern genannt, der vom Rhein bis an die Elbe reichte und dem, abgesehen von mehreren Hochadligen, 8 Grafen und 2000 Adlige angehörten. Gerichtet war der Bund natürlich in erster Linie gegen die Städte.

Die Raubzüge Ottos und dieses Bundes zielten zunächst auf Hessen, auf das der Braunschweiger Ansprüche erhob; dann belästigte er aber auch das Eichsfeld und Thüringen. Schließlich wurden die Plackereien so arg, daß am 15. Februar 1371 die Städte Erfurt, Mühlhausen und Nordhausen, die Grafen von Gleichen, Schwarzburg-Sondershausen, Stolberg und Honstein ein Schutz- und Trutzbündnis auf 10 Jahre eingingen, gegen alle Feinde außer dem Kaiser und dem Erzbischof von Mainz. Der gemeinsame Anführer war Graf Heinrich von Honstein als kaiserlicher Vogt. Dieser entbot noch in demselben Jahre die Verbündeten zur Belagerung und Brechung eines der festesten Raubnester, des Hansteins auf dem Eichsfelde.

Der Heerhaufe erschien also vor der Burg und begann die Belagerung. Doch mit den damaligen Belagerungsmaschinen waren so feste, mehrfache Mauerringe, wie sie der Hanstein aufzuweisen hatte, nicht ohne weiteres zu nehmen. Die Burg hielt stand, und die Belagerer konnten einstweilen nichts weiter tun, als sorglos vor den Mauern liegen. So gelang es Otto dem Quaden vom unfemen Göttingen aus die Belagerer zu überraschen, in ihr Lager einzudringen, viele niederzuhauen und eine große Zahl gefangenzunehmen. Da gab es von den Krämern ein herrliches Lösegeld! Nordhausen mußte 800 M Silber zahlen, Erfurt nicht weniger als 12000 M!

Das war ein neuer schmerzlicher Aderlaß. Nordhausen, wie noch zu berichten sein wird, in den Vorjahren erst durch eine schwere Fehde mit Honstein arg mitgenommen, konnte diese Summe aus laufenden Mitteln nicht mehr aufbringen, um seine Söldner und Bürgersöhne zu lösen, sondern mußte eine außergewöhnliche Umlage erheben. Statt aber Einkommen und Vermögen zu besteuern, legte man eine Kopfsteuer von einem Schilling Pfennigen auf, so daß der Arme genau so betroffen wurde wie der Wohlhabende und die kinderreichen Familien, die das schwerste Durchkommen hatten, am schwersten betroffen wurden. Da schwoll die Wut des Volkes riesenhoch.

Dazu waren in diesen Jahren neue große Opfer für das Reich aufzubringen. König Karl hatte nämlich 1354 einen Römerzug unternommen und dazu des Reiches Mannschaft aufgeboten. Nordhausen aber, das damals endlich nach langen Kriegsjahren Ruhe in der Heimat hatte, war nicht lüstern nach fernen Kriegsfahrten gen Lampartenland, um dem deutschen Könige die römische Kaiserkrone einzuholen oder ihm dabei zu helfen, seinen Säckel mit lombardischem Geld zu füllen. Die Stadt hatte sich also für den Römerzug 1354 versagt, war aber deshalb wieder wie einst unter Ludwig dem Baiern der Acht verfallen und hatte nur mit dem Versprechen, 2500 Fl. kleine Goldgulden zu zahlen, den Zorn des Kaisers beschwichtigen können (8. April 1358). An der stattlichen Summe - zahlbar in der in Deutschland noch nicht lange heimischen Goldmünze - kann man die Stattlichkeit des kaiserlichen Grimmes ermessen.

Nun war die Acht von den Nordhäusern genommen worden, doch als der Johannistag kam und die Boten des Kaisers zu Erfurt warteten, um daselbst die gelben Florentiner entgegenzunehmen, mußten sie vergeblich warten. Nordhausen zahlte nicht.

Ein ganzes Jahrzehnt scheint Karl IV., obwohl er ein tüchtiger Geschäftsmann war, diesen noch ausstehenden Posten in seinem Hauptbuche übersehen zu haben, und erst als er 1368 einen neuen Romzug plante, kam ihm die Schuld seiner „lieben getreuen“ Nordhäuser in Erinnerung. Lange Verhandlungen müssen im März dieses Jahres, wahrscheinlich in Prag selbst, durch Abgesandte Nordhausens mit dem Kaiser gepflogen sein. Denn nicht weniger als sieben Urkunden vom 28. März und 2. April 1368 regelten das Verhältnis der Stadt zu dem Kaiser. Abgesehen davon, daß die Reichsacht endgültig aufgehoben wurde, bekam Nordhausen alle seine Wünsche, die es damals hatte, erfüllt: Den thüringischen Herren wurde befohlen, die Zölle für Nordhäuser Kaufleute herabzusetzen, die Nordhäuser Patrizier erlangten das alleinige Braurecht innerhalb eines Umkreises von einer Meile von der Stadt, ein für den Wohlstand der Stadt außerordentlich wichtiges Privileg, es ward ihnen ferner gestattet - worauf Nordhausen damals gerade besonders sein Augenmerk gerichtet hatte - Reichslehen in weitem Umkreis zu erwerben, der Kauf des Kohnsteins ward bestätigt, und schließlich erteilte der Kaiser die Erlaubnis, die Stadtbefestigungen weiter auszubauen. Wahrlich, geschickte Diplomaten muß Nordhausen damals besessen haben, daß sie alle diese Zugeständnisse herausholen konnten. Dafür erhöhte sich die ursprünglich auf 2500 Goldgulden festgesetzte Reichssteuer allerdings um 1000 Gulden auf 3500, denn umsonst war bei Karl IV. nichts zu haben; vierdhalb Tusent guldein, das ir uns nu geben sullet, als wir des mit euch ubereyn kommen. Daran durfte kein Heller fehlen; 2000 Gulden sollten übrigens sogleich in die Taschen des Grafen von Schwarzburg fließen, eine alte Schuld des Kaisers noch von seinen Anfangsjahren her, wo er mit Günther von Schwarzburg um die deutsche Krone stritt.[2]

3500 Goldgulden mußte die kleine Stadt aufbringen, d. h. alle Einwohner, während von den Privilegien, den Braugerechtsamen, der Erweiterung der Stadtflur, nur die vornehmen Geschlechter Vorteil hatten, wenigstens dachte der Kleinbürger so, obwohl er ja natürlich aus der Hebung von Handel und Wandel ebenso gut seinen Nutzen zog.

Doch der gewerbliche Mittelstand und die niederen Volksschichten waren nicht allein mit schweren Sorgen belastet; auch die gefreundten Geschlechter und Ratsmitglieder gingen ums Jahr 1370 manch einmal bedrückt genug einher. Zwar wirtschaftliche Nöte beschwerten sie nicht, desto mehr aber politische. Immer wieder drohte der kleinen Stadt, daß ihr die Reichsfreiheit von den benachbarten Fürsten, vor allem den Thüringern, genommen und sie zu einer Landstadt herabgedrückt werde.

Gewiß, bei den meisten Kriegszügen der letzten 20 Jahre stand Nordhausen im Bunde mit Thüringen, oder sie waren wenigstens, wie der letzte unglückliche gegen den Hanstein, im Sinne des Landgrafen. Doch schon seit längerer Zeit mußte weitblickendere Stadtväter die außenpolitische Entwicklung mit schwerer Sorge erfüllen. Die Landgrafen von Thüringen, einmal im Sattel, griffen immer weiter um sich, und immer mehr Länder, Burgen und Städte auch in Nordhausens Umgebung gingen in ihren Besitz über. Am 6. Juli 1365 hatten die Honsteiner die Burg Scharzfels, die ihnen erst seit 20 Jahren gehörte, aus Geldnot an Thüringen verpfändet. Wichtiger noch war die Erwerbung der Stadt Sangerhausen durch Thüringen im Jahre 1369 von den Braunschweigern, und als gar am 26. Januar 1370 der Landgraf sich noch einmal ausdrücklich seine Schutzherrlichkeit über Nordhausen vom Kaiser Karl IV. bestätigen ließ, nahm man das auch nicht gerade als beruhigendes Zeichen. Mit Besorgnis bemerkte Nordhausen diese drohende Umklammerung und griff deshalb freudig nach allem, was der wachsenden Macht der Thüringer hätte Einhalt gebieten können.

Noch viel argwöhnischer war freilich Erfurt und waren die adligen thüringischen Herrn, die für ihre Freiheit zitterten. So nahm denn alles, was in Thüringen selbständig sein und keinen Herrn über sich dulden wollte, die nächste Gelegenheit wahr, dem Landgrafen zu schaden.

Nun war um die Besetzung des bischöflichen Stuhles von Kurmainz ein Streit ausgebrochen, an dem die thüringischen Lande insofern interessiert waren, als sie zur Diözese Mainz gehörten. Im Jahre 1373 war nämlich Ludwig, der Bruder Friedrichs des Strengen von Thüringen, zum Erzbischof gewählt und vom Kaiser und Papst bestätigt worden. Das Domkapitel wählte aber den Grafen Adolf von Nassau, bisherigen Bischof von Speyer, zum Kurfürsten von Mainz. In dem nun folgenden Streite unterstützten die Landgrafen Friedrich und Balthasar ihren geistlichen Bruder bei seinen Ansprüchen, die Grafen und Städte aber nahmen Partei für Adolf von Nassau, um zu verhindern, daß in Thüringen geistliche und weltliche Macht in den Händen einunddesselben Geschlechtes lag. Erfurt besonders, strotzend vor Macht und Reichtum und immer noch hoffend, die Reichsfreiheit zu gewinnen, war Gegnerin der landgräflichen Politik. Die Landgrafen hatten einmal wieder ihr ganzes Land im Aufruhr gegen sich. Doch die Verbündeten wurden im Jahre 1375 bei Gebesee geschlagen und mußten ziemlich ungeregelt die Flucht nach Mühlhausen hin ergreifen.

Nordhausen, so heißt es, sei seiner Bündnispflicht den Erfurtern und Mühlhäusern gegenüber nachgekommen und habe an dem unglücklichen Gefechte teilgenommen. Bezeugt ist dieser Zug der Nordhäuser ins Thüringische nicht, und die Ereignisse des Jahres 1375 innerhalb der Mauern Nordhausens sprechen nicht sehr dafür, daß Nordhausen in diesem Jahre aktive Außenpolitik getrieben habe. Alle Hoffnung und frommen Wünsche der Stadt haben aber sicher die Verbündeten begleitet, und der Sieg des Landgrafen war für sie eine herbe Enttäuschung.

Alle diese Fehlschläge in Ost und West und Süd berührten die Stadt jedoch nicht so wie ihre Streitigkeiten mit den Grafen von Honstein-Klettenberg im Ausgang der sechziger Jahre.

Die Bedeutung der Grafschaft für Nordhausen ist ja immer wieder hervorgetreten. Ihr Gebiet umspülte Nordhausen, ihre Herren waren Inhaber der hohen Gerichtsbarkeit in der Stadt, sie besaßen das Schutzrecht über das Altendorfer und Frauenberger Kloster. Dann waren sie auch jahrzehntelang vom Könige zu Wahrem des Landfriedens bestellt gewesen, sprachen als solche Recht und riefen den Heerbann gegen die Übertreter des Friedens auf. Daß sie andererseits aber auch abhängig von den Patriziern Nordhausens waren, daß sie in ihrer Geldverlegenheit wichtige Ortschaften an eine Reihe Nordhäuser Bürger versetzt hatten, ist oben gezeigt worden. Kurz, aus dieser gegenseitigen Abhängigkeit erwuchsen bald Freundschaften, bald Feindschaften. Während um 1350 herum leidliche Verhältnisse bestanden, kam es am Ausgang der fünfziger Jahre zu Reibereien. Die Grafen ließen nämlich in den Dörfern ihrer Herrschaft selbst Bier herstellen und verboten den Bauern den Bierkauf bei den Bürgern. Überhaupt sahen sie ganz begreiflich nicht gern, wenn ihre Untertanen das Geld in die Stadt trugen; einst hatten sie sich ja deshalb in Heringen eine eigene Stadt schaffen wollen. Wegen dieser Haltung hatten sich auch die Bürger zu ihrem Schaden an die Beichlinger Grafen angeschlossen und mußten dann nach der Kindelbrücker Affäre im Jahre 1359 den Honsteinem gegenüber einlenken. Diese gestatteten ihnen die Bierausfuhr wieder, Nordhausen zahlte dafür aber den Grafen 10 Jahre lang jährlich 50 M Silber. Um diese Zahlungen der Stadt zu erleichtern, hieß es in dem Vertrage verschämt, die Grafen nähmen die Stadt auf 10 Jahre in ihren Schutz. So schien alles wieder ausgeglichen, doch so recht traute man beiderseits dem Frieden nicht. Deshalb vereinigte sich auch im Jahre 1365 die Neustadt mit der Oberstadt mit der besonderen Verpflichtung der Oberstadt, für den Schutz der Unterstadt zu sorgen. Dieser Machtzuwachs Nordhausens erregte nun aber wieder die Besorgnis der gräflichen Herren und führte schließlich zu offenem Kriege.

Seit alters herrscht in der zeitlichen Festlegung dieser großen Fehde der Grafen von Honstein mit der Stadt Nordhausen eine rechte Verwirrung, die auch Karl Meyer nicht behoben hat.[3] Während nämlich Förstemann seiner Art gemäß nur registriert, geht Meyer durchaus richtig auf die tieferen Gründe zu den Auseinandersetzungen ein, nimmt aber als äußeren Anlaß zum Kampfe, einem Hinweise Förstemanns folgend, nur die Erweiterung der Nordhäuser Stadtflur im Februar 1368 an. Nun wurde aber im August 1368 die Fehde schon beigelegt. Da können also die Errichtung der Schnabelsburg, die Werbung von Truppen durch Nordhausen, die verschiedenen Streifzüge, die Versuche zum Ausgleich nicht sämtlich in der kurzen Spanne Zeit vom Februar bis August 1368 geschehen sein. Meyer faßt auch das offenbar, wenigstens in seiner Schrift vom Jahre 1903, selbst nicht so auf, obwohl er alle Ereignisse erst nach dem Kaufe der Nordhäuser vom 11. Februar 1368 erzählt; er versucht aber niemals eine Datierung des Baues der Schnabelsburg, der Truppenwerbung durch die Nordhäuser oder des Gefechtes bei Heringen.

Fest steht, daß im September 1367 die Fehde im vollen Gange war; die Truppenwerbung durch Nordhausen müssen also spätestens im Frühjahr dieses Jahres vor sich gegangen, der Anlaß aber zu den Werbungen, der Bau der Schnabelsburg, muß noch früher, etwa im Jahre 1366 gegeben gewesen sein. Etwas Bestimmtes läßt sich nicht ausmachen, aber auf das Jahr 1366 wird man für den Anfang der Fehde zurückgreifen müssen. Wenn dem aber so ist, so liegt die Vermutung nahe, daß nicht die honsteinschen Schulden an Nordhausen und noch weniger der Erwerb der Salzaer Flur, so sehr sie zum Groll der Grafen beigetragen hat, der äußere Anlaß für den Kampf gewesen sind, sondern die Vereinigung der Neustadt mit der Altstadt im Jahre 1365.

Um nun den Nordhäuser Handel zu sperren, um ein Ausfallstor zu haben, von dem sie leicht in die Nordhäuser Fluren einfallen, sie verheeren und das Vieh wegtreiben konnten, führten die Grafen auf dem östlichen Ausläufer des Kohn- steins eine Burg, die Schnabelsburg, auf, nach unserer Meinung im Jahre 1366. Vielleicht hat auch die Absicht der Nordhäuser, Salzaer Flur anzukaufen, die Grafen bewogen, die Burg gerade auf den Kohnstein zu legen. Nicht unmöglich ist aber auch das Umgekehrte, daß erst die Anlage der Burg die Nordhäuser veranlaßt hat, dem schon länger erwogenen Kauf näherzutreten, um an die Feste heranzukommen. Mit den Grafen im Bunde stand der Braunschweiger Otto der Quade, der überall dabei war, wo es etwas zu rauben gab.

Jedenfalls entschloß sich nun Nordhausen zu einem regelrechten Kriege. Seinen Handel auf der alten Heerstraße nach Ellrich und Goslar konnte es sich durch die Zwingburg nicht unterbinden lassen, und die großen Erwerbungen in Salza, die in Aussicht standen, schienen doch so wertvoll zu sein, daß man keine Kosten scheuen durfte. Die Stadt schickte also Werber nach Thüringen und Hessen hinaus. Dort saßen auf den Burgen an der Werra die ewig kriegslustigen, aber armen Adligen, denen es gleich war, ob sie für Otto den Quaden oder irgendwelchen Krämer ritten, wenn sie nur Gold und gerechten Anteil an der Beute erhielten. Die Herren von der Boyneburg, von Brandenstein und Buttlar kamen und stellten sich in den Dienst der Stadt. Andreas Buttlar ward zum Feldhauptmann gemacht, und der verstand den Krieg.

Sogleich gingen nun im Sommer 1367 die Städter daran, Gleiches mit Gleichem zu vergelten. In hellen Haufen fielen sie in die Grafschaft ein, und der Bauer hatte einmal wieder die Zeche zu bezahlen. Heringen und Kelbra gingen in Flammen auf. Der Herr von Buttlar verstand den Krieg. Als die Städter Heringen angezündet hatten, trieben sie das Vieh als gute Beute von dannen. Da, in/dem Augenblick als die Nordhäuser mit der Ordnung des Rückzuges samt ihrer Beute beschäftigt waren und die Haufen sich gelockert hatten, brachen die Grafen von Honstein, die im festen Schlosse zu Heringen gesessen und das Unheil untätig über ihr armes Dorf hatten hereinbrechen sehen, mit ihren Reisigen aus dem Schlosse hervor, sprengten heran und hieben auf die Scharen der Nordhäuser ein. Doch schneller, als es möglich schien, setzten sich diese zur Wehr, und nun kam es zu scharfem Schwertschlag. Andreas von Buttlar nahm den Grafen Heinrich den Jüngeren selbst gefangen; fürwahr, er verstand den Krieg. Nur schade, daß der Feldhauptmann kein Einheimischer war und den jungen Herrn nicht sogleich erkannte. Deshalb fragte er ihn nach Namen und Stand, und jener versetzte listig, er heiße Heinrich von Kelbra. Das war schon richtig, denn Heinrich hieß er, und Herr von Kelbra war er auch; der Buttlarer aber hielt ihn für einen schlichten Edelmann und ließ ihn los auf sein Gelübde hin, sich an bestimmtem Tage in Nordhausen zu stellen. So kam der Graf nach Heringen zurück, und die Nordhäuser hatten nach mannhaftem Streit ihre Beute gerettet. Im Schlosse zu Heringen aber wußten seine Oheime Dietrich und Ulrich den jungen Grafen zu bereden, sein Ritterwort zu brechen.

Die Fehde hatte nun aber solche Ausmaße angenommen, daß Kaiser Karl IV. sich genötigt sah, einzugreifen. Er verlangte im September 1367 durch einen Boten von den Landgrafen Friedrich und Balthasar Bescheid über den Stand der Dinge und forderte Balthasar zugleich auf, zu vermitteln. Diese Verhandlungen fanden im Januar 1368 zu Weißenfels statt, doch gaben hier nur die Nordhäuser die Erklärung ab, sich unbedingt dem Spruche des Landgrafen fügen zu wollen. Erst am 23. August kam es zu endgültigen Verhandlungen. Aus dem Vergleich, der nun tatsächlich abgeschlossen wurde, geht hervor, daß es sich dabei zunächst gar nicht um die Erwerbung Salzaer Güter handelt, sondern lediglich um die Niederlegung der Schnabelsburg. Sonst hätte der Vergleich auch für Nordhausen gar nicht so ungünstig ausfallen können. Auch hieraus läßt sich erkennen, daß die Güter allein nicht der Anlaß zur Fehde gewesen sind. Nach dem Schiedsspruch Balthasars sollte die Stadt innerhalb dreier Jahre 1500 M lötigen Silbers an die Honsteiner bezahlen, dafür sollte die Schnabelsburg dem Schiedsrichter Balthasar von Thüringen zur Zerstörung übergeben werden.

Durch diesen Spruch war zwar die Zwingburg beseitigt, aber der Stadt waren große Kosten auferlegt. Über den Kauf der Güter aber sollte erst ein neuer Schiedsspruch entscheiden. „Ouch sulln sie beidersit umb die gut eines fruntli- chen tages vor uns wartin, ab wir sie darumb fruntlichin gerichtin mochtin. “

Worum handelte es sich nun bei diesem Gütererwerb? Im Jahre 1367 hatte sich für Nordhausen endlich einmal wieder die Aussicht geboten, seine kleine Stadtflur zu erweitern, und zwar nach Nordwesten gegen den Kohnstein zu. Hier waren in Obersalza, dem heutigen Salza, die Ritter von Salza schon lange städtefreundlich gesinnt; Günther von Salza hatte 1329 auf Seiten Nordhausens gegen die Stolberger Grafen gestanden. Jetzt am 11. Februar 1368, also in derselben Zeit, wo die Nordhäuser Unterhändler in Prag vom Kaiser Karl große Begünstigungen für die Stadt erhielten, gelang den Nordhäusern mit Friedrich von Salza ein günstiger Abschluß. Friedrich verkaufte an Nordhausen den halben Kohnsteinwald, drei Teiche mit Weidenbäumen, 165 Morgen Ackerland, seinen Rittersitz in Salza und mehrere Abgaben zinspflichtiger Salzaer Bauern sowie Gerechtsame am Salzaer Gericht. Flugs ließen am 28. März 1368 die Nordhäuser sich diesen Kauf auch noch vom Kaiser in Prag bestätigen. Wenige Wochen später, am 1. Mai 1368, ging auch noch Johann von Salza daran, ein Viertel des Kohnsteins und 4 Höfe in Salza, die ihm zu zinsen hatten, den Nordhäusern zu verhandeln.[4] Welche Aussichten boten sich da für Nordhausen! Über kurz oder lang mußte ihnen ja ganz Salza samt dem Kohnstein zufallen, ein Gebiet, zwar nur von mäßiger Fruchtbarkeit und meist mit Wald bestanden, aber doch nicht viel kleiner als die ganze bisherige Stadtflur.

Natürlich widerstrebten die Honsteiner auch diesem Ankauf; über ihn wurde aber, weil er gar nicht der Anlaß war, am 23. August 1368 zunächst nicht mitverhandelt, sondern er wurde nur erwähnt, und der Schiedsrichter vertröstete die Streitenden auf einen späteren Termin. Doch haben Verhandlungen niemals darüber stattgefunden, und es wird richtig sein, wenn Meyer vermutet, daß die Nordhäuser von dem Kauf haben Abstand nehmen müssen, da sie die Gelder dazu nicht mehr aufbringen konnten. Nur den Südostrand des Kohnsteins, an dem seit alters Steine gebrochen und Kalk gewonnen wurde, erhielten die Nordhäuser am 19. Juli 1370 durch Vergleich von den Honsteinem. Doch auch diese kümmerliche Abfindung ging im Laufe der Zeiten wieder verloren, so daß die Nordhäuser Stadtflur noch heute so klein ist wie einstmals.[5]

Uns aber kommt es darauf an nachzuweisen, was auch bei dieser Fehde das niedere Volk gegen die Herrschaft der Geschlechter aufgebracht haben mag.

Gegen den Kampf als solchen wird kein Widerspruch möglich gewesen sein; denn Nordhausen hätte sich ja selbst aufgeben müssen, wenn es bei den Übergriffen der Honsteiner stillgehalten hätte. Aber der Friedensschluß und die Zahlung von 1500 M Silber an die Grafen wird die Gemüter erregt haben. Denn die verschuldeten Grafen standen 1370 bei Nordhausen noch immer mit 3962 1/2 M in der Kreide. Warum verrechnete man diese nicht einfach gegen die 1500 M, die Honstein jetzt erhielt? Nun, diese fast 4000 M waren die Honsteiner nur 20 Familien schuldig, nicht der Stadt, während für die Schuld an die Grafen die ganze Stadt aufzukommen hatte. Da fragte sich aber natürlich der kleine Bürger, warum er hohe Steuerlasten tragen sollte, damit sich die Honsteiner bezahlt machten, während die Patrizier noch gar von dem Schuldner Nordhausens die Zinsen einsteckten. Hätten die Patrizierfamilien nicht wenigstens die 1500 M übernehmen und sie sich erst dann aus der Stadtkasse bezahlen lassen können, wenn die Bürgerschaft nicht mehr gar so belastet war! So mögen die Gedanken der Bürger damals gegangen sein, und der Gegensatz zwischen den Ständen ward nicht geringer.

Jedenfalls konnten die führenden Männer Nordhausens, so weitblickend ihre Politik war, auch diese ihre Pläne, die Stadtflur zu erweitern, nicht verwirklichen. Nur zwei tatsächliche Erfolge waren vorhanden: Die Privilegien Karls IV., welche die Stadt 1368 erreichte, die aber in erster Linie den Geschlechtern zugute kamen, und die Angliederung der Neustadt an die ältere Oberstadt. Diese fand im Jahre 1365 statt.

Das Neue Dorf hatte sich als Zeilendorf an der großen ostwestlichen, einst durch das alte Reichsdorf am Frauenberge gehenden Heerstraße vorzüglich im Laufe des 13. Jahrhunderts gebildet. Seinen Namen wird es im Hinblick auf das östlich von ihm liegende Altnordhausen, nicht im Gegensatz zum Altendorfe am Nordabhange des Burgberges erhalten haben. Die kleine Gemeinde errichtete sich auch ein Rathaus, das gegenüber der Straßeneinmündung der Rautenstraße (vor dem Vogel) in die Neustadtstraße seinen Platz hatte. Als Zeichen dafür, daß die Bewohner des Neuen Dorfes im Rathause ihr Recht fänden, mag schon im 13. Jahrhundert vor dem Rathause irgendein Gerichtszeichen angebracht gewesen sein. Wenn sich dieses Dorf auch selbst verwaltete, so bestand doch eine gewisse Verbindung mit der Oberstadt schon seit Beginn des 14. Jahrhunderts. Eine Reihe von Neustädtern hatte Zutritt zum Nordhäuser Rate.

Die Eingemeindung, die nun 1365 vorgenommen wurde, bedeutete für die kleine Stadt doch einen nicht unerheblichen Zuwachs an Macht. Verwaltungsrechtlich und wirtschaftlich kam die Einigung vor allem der Altstadt zugute, politisch und militärisch war die Verbindung besonders für die Neustadt von Vorteil. Das geht aus dem bedeutungsvollen Vertrage vom 6. Februar 1365 hervor: Die Neustadt gab ihre Selbständigkeit auf, indem ihr Rat nicht mehr unabhängig von der Oberstadt tagen durfte; die öffentlichen Gebäude der Neustadt, das Rathaus, das Kaufhaus und die Wage, wurden geschlossen. Der Schwerpunkt für Verwaltung und Wirtschaft verlegte sich also ganz nach der Oberstadt. An den Geschicken des nunmehr gesamten Gemeinwesens nahm aber die Neustadt dadurch teil, daß sie drei Sitze im Ratskollegium erhielt, und zwar einen, der den Geschlechtern, und zwei, die den Handwerkern vorbehalten waren. Die Mitregierung war also gewährleistet, und deshalb mußte naturgemäß die Neustadt fortan auch „gehorsamen, schwören und huldigen“, wie es in der Altstadt üblich war. Ferner wurde vorgesehen, daß die Befestigungen der Neustadt mit Hilfe der Altstadt ausgebaut wurden. Karl IV. gab ja 1368 auch dazu seine Zustimmung. Auf dem Platze endlich, auf dem sich die Rautenstraße in zwei Straßen teilt, den Rumbach und die Neustadtstraße, wurde auf einer Säule ein der Altstadt zugekehrter Adler mit einem vergoldeten Ring im Schnabel aufgestellt. Nach diesem Wahrzeichen erhielt der Platz den Namen: Vor dem Aaren, später: Vor dem Vögel. Die Säule wurde 1693 und 1750 erneuert, 1836 aber beseitigt.

Diese Eingemeindung bedeutete unleugbar einen Erfolg der städtischen Politik, führte aber der Stadt noch mehr Kleinbürger zu, verstärkte dadurch deren Einfluß und verstärkte den Widerstand gegen die Geschlechter.

Mit diesen Darlegungen sind dann alle Beweggründe gewonnen, die die große Revolution vom Jahre 1375 erklärlich machen. Doch müssen wir mit der Darstellung der Katastrophe selbst noch zurückhalten und zunächst die ganze innenpolitische Entwicklung, insonderheit die Verschiebungen in der Zusammensetzung des Ratskollegiums des 14. Jahrhunderts betrachten.

Schon kurz nach Beginn des Jahrhunderts finden wir die Handwerker und Kleinbürger im Angriff gegen die städtische Verfassung. Wie nämlich die zweite Schicht der Bevölkerung, die alten Geschlechter, sich allmählich ihrer Macht und ihres Einflusses bewußt geworden war und die Reichsbeamten samt ihrer Ritterschaft gestürzt hatte, so lehnten sich je länger, je mehr die Handwerker, die Plebejer der Stadt Nordhausen, gegen die Patrizier auf. Diese mußten von Jahrzehnt zu Jahrzehnt ein Vorrecht nach dem anderen fahren lassen, den Innungen Anteil am Stadtregiment gewähren und schließlich die ganze Gewalt aus ihrer Hand in die der breiten Masse der städtischen Bevölkerung hinübergleiten lassen. Diesen Kampf des Volkes gegen die zunächst allein die Stadt Nordhausen repräsentierenden Geschlechter zeigen aber die Wahlen zum Rat und dessen Zusammensetzung im 14. Jahrhundert.

Es ist nicht immer ganz leicht, einen völlig gesicherten Nachweis von den Wandlungen, die der Rat im 14. Jahrhundert durchgemacht hat, zu führen und klarzulegen, wer denn eigentlich die berufenen Vertreter der Stadt Nordhausen damals gewesen sind. Die Schwierigkeiten erwachsen aus der Mangelhaftigkeit der Überlieferung. Denn die Hauptquellen für diese innenpolitischen Verhältnisse und Vorgänge, die Einungen, bemühen sich hin und wieder geradezu, die bestehende Rechtslage zu verschleiern. Gerade mehrere Stellen, die für die jeweilige Verfassung der Stadt am wichtigsten sind, weisen Radierungen auf, oder Worte und Satzglieder sind ausgekratzt und andere an ihre Stelle getreten, so daß der ursprüngliche Text nur noch mangelhaft festzustellen ist. Diese Behandlung wichtiger Statuten erklärt sich daraus, daß man nach einer Verfassungsänderung bemüht war, die die früheren Zustände festlegenden Gesetze durch Radierungen oder Ausmerzen und Neueintragung in Vergessenheit geraten zu lassen oder ihnen einen anderen Sinn zu geben. Wo aber die Überlieferung keine Eingriffe aufweist und unverändert auf uns gekommen ist, ist sie im Ausdruck doch zuweilen nicht so klar, daß man nicht hin und wieder über die Bedeutung der einzelnen Statuten im Zweifel sein könnte. Nur ein Vergleich der einzelnen zu verschiedenen Zeiten aufgestellten Gesetzessammlungen über die Zusammensetzung des Rates und über die Art des Wahl verfahrens ermöglicht es, die Zustände zu erkennen, besonders wenn man noch die Ratsmännerlisten heranzieht, die das privilegium civium für 1312-1345 und das album civium für die Zeit von 1346-1367 aufweisen.

Die ältesten uns überkommenen Statuten aus dem Ende des 13. Jahrhunderts nehmen den Rat als einfach gegeben hin, über Wahlen zu ihm und über seine Zusammensetzung erfahren wir aus ihnen nichts. Erst die bald darauf in den Jahren 1308-1324 angelegte zweite Statutensammlung bringt eine Reihe Gesetze über den Rat. Ganz offenbar sind diese in erster Linie aufgestellt, um die für den Rat bestehenden Verhältnisse der Gemeinde gegenüber zu sanktionieren und sie gegen Angriffe möglichst zu sichern. Widerstand gegen die bisherigen Maßnahmen des Rates muß sich schon erhoben haben, wie sich denn eine Bestimmung aüch gegen „das Schelten“ der Ratswahl wendet. Zudem erscheint schon die alte Zusammensetzung des Rates wenigstens insofern angetastet, als im Stadtregiment nunmehr die sogenannten Vierherren auftreten und die Handwerksmeister von 6 Zünften dem Rate dareinreden können.

Über die Wahl selbst geben zwei Statuten Auskunft, allerdings nicht ganz einwandfrei.[6] Unter dem Titel: „Welche wis man den rat kyse sal“ erfahren wir, daß die Ratleute der Stadt alle Jahr einen anderen Rat wählen, und zwar am 12. Tage - nämlich nach Weihnachten, dem Heiligen-Drei-Königs-Tage. Soweit ist die Bestimmung durchaus klar: die Stadt erhält alljährlich einen neuen Rat nicht durch Gemeindewahlen, sondern dadurch, daß der alte, abgehende den neuen bestimmt. Das Volk ist ausgeschaltet, der Rat erneuert sich ständig selbst, und keiner gelangt in den Rat, den die einmal im Rate Sitzenden nicht hineinhaben wollen. Der Antritt des neuen Rates findet am 6. Januar statt und wird mit einem großen Festessen auf Stadtkosten begangen. Dieser Brauch des Festessens hielt sich bis ins 15. Jahrhundert. Noch 1426 wird festgesetzt, daß der alte Rat für das Essen 20 Schock Pfennige zurückbehalten solle. Sollten diese beim Essen nicht aufgebraucht werden, - was Gott verhüte! - so wird der Rest für das neue Rechnungsjahr gutgeschrieben; sollten die 20 Schock nicht reichen, - was wahrscheinlich ist! - so soll der neue Etat mit den Schulden belastet werden. Einen Zwang brauchte man sich also nicht aufzuerlegen. Im Jahre 1450 wurde dieses Festessen des Rates auf Stadtkosten verboten, und die Ratsherrn bekamen für Bemühungen zum Segen oder Unsegen der Stadt kleine Geschenke. Jedem Ratsherrn wurde ein Stübchen Wein - etwas über 4 Liter - zugewiesen, „also gut das uff dem winbure ist“, dazu ward ein Semmelbrot und ein Schilling gelegt. Die 4 Bürgermeister bekamen das Doppelte; zudem durften sie die Hühner, „die man zu zinsen pflegt dem Rate“, unter sich verteilen.

Die Anzahl der gewählten Ratsherren war 18, nämlich 2 Rats-oder Bürgermeister und 16 Ratsherrn. Diese Zahl ist seit 1299 nachweisbar, und der liber privilegiorum sowie das album civium führen sie ganz einwandfrei bis zum Jahre 1351. Auch in gleichzeitigen Urkunden treten 18 Namen als Zeugen auf. Also für die ganze erste Hälfte des 14. Jahrhunderts gibt es nicht mehr als 18 Männer, die als Ratsherrn die Stadt wirklich verwalten.

Nun fährt die oben angeführte Bestimmung über die Ratswahlen aber fort: „Vier Männer hat die Gemeinde gekoren.“ Offenbar hat also jedes der 4 Viertel der Stadt, das Neuewegsviertel, das Töpferviertel, das Rautenviertel und das Altentorviertel, durch Urwahlen einen Mann seines Vertrauens gewählt. Doch wird dieser Vorgang nicht ganz klargestellt, denn unsere Quelle berichtet weiter, daß bei späteren Wahlen der Wahlakt so gehandhabt werden solle, daß der gesamte Rat, also die 18 Ratsherrn, dazu die Vierherm aus den Vierteln und die 6 Handwerksmeister, von denen gleich noch zu sprechen sein wird, 4 andere Viertelsherm wählen. Wir haben es also hier mit einem Kompromiß zu tun. Jedenfalls war es dem Unwillen der Gemeinde gegen das Geschlechterregiment schon in den beiden ersten Jahrzehnten des 14. Jahrhunderts gelungen, 4 Leute ihres Vertrauens neben den Rat zu stellen. Dem Volksbegehren war in dieser Beziehung nachgegeben worden; aber nachdem die Vier einmal gewählt waren, wurden nach Ablauf ihres Amtsjahres 4 neue gewählt, nicht von den Urwählern, sondern von der Gesamtheit des Rates samt den alten Vier und den 6 Handwerksmeistern. Durch dieses Wahlverfahren hatten die Geschlechter ihren Einfluß behalten; denn da sie mit 18 Stimmen gegen die 4 + 6 = 10 Stimmen der Viertelsherm und Handwerksmeister in der Mehrheit waren, konnten sie jedesmal ihnen genehme Viertelsherm durchdrücken. Daß aber die Vierherren tatsächlich einen Vorstoß der demokratischen Elemente gegen die aristokratischen bedeuten und daß sie gewissermaßen dem Rate gegenüber eine Kontrollbehörde darstellen, geht aus den bestimmten Vorschriften hervor, daß die Vierherm den Rate schwören sollen, dem Rate und der Gemeinde zu rechten Dingen zur Verfügung zu stehen, und daß sie sowohl bei allgemeinen Neuwahlen wie bei Wahlen zu besonderen Ämtern, z. B. zu dem wichtigen Amte der Kämmerer, mitzuwirken haben.[7] Diese Kämmerer waren bisher von den beiden Rats- oder Bürgermeistern allein ernannt worden, jetzt sollten die Vierherm diesen beim Aussuchen einsichtiger und einwandfreier Männer behilflich sein. Dennoch wurden die Vierherm nicht eigentlich zum Rate gerechnet, auch Mitte des 14. Jahrhunderts noch nicht. Das geht hervor aus dem dritten auf uns gekommenen Statutenwerk, in welchem bestimmt wird: Ein jeglicher Rat soll, wenn er bestätigt wird, die Männer, die in den Stadtvierteln und die draußen gewählt sind sowie die Handwerksmeister sich schwören lassen, daß sie dem Rate und den Räten hinzugezogen. Bis etwa 1350 blieb der Einfluß der bevorrechteten Kreise, die allein wirkliche Ratsmitglieder werden konnten, so gut wie ungebrochen.

Da erzielten die Handwerksinnungen, welche die Masse der Plebejer gegenüber den Patriziern darstellten, im Jahre 1351 einen großen Erfolg, indem es den 6 Innungen gelang, ihre Zunftmeister, die bisher nur beratende Stimme hatten oder als Beamte für die Marktpolizei gebraucht wurden, als vollberechtigte Mitglieder in den Rat hineinzubringen. Aus den Einungen der Stadt allein ist das Jahr, in dem diese wichtige Verfassungsänderung vor sich ging, nicht zu ersehen: aus ihnen ist nur auszumachen, daß es vor dem Jahre 1368 geschah. Aus dem Album civium ist aber dadurch das genaue Jahr zu entnehmen, daß dieses für das Jahr 1351 noch die üblichen 18 Konsuln oder Ratleute benennt, vom Jahre 1352 dagegen 24 Namen aufweist. Und die Statuten belehren uns, wie nunmehr, vom Jahre 1352 ab die Zusammensetzung des Rates ist. Unter dem Titel: „von my rate zcu kisene, unde von der stat schriber“ erfahren wir da: Es sollen 3 Räte sein, jeder Rat soll 24, resp. 25 Mann umfassen, je nachdem man 6 oder 7 Handwerke und demgemäß Zunftmeister rechnet. Unter diesen 24 (25) Ratsherrn sollen 3 aus den Vorstädten sein; bleiben also für das eigentliche Nordhausen 21 Ratsmitglieder. Der Rat war also um 3 Sitze erweitert worden, die Handwerker hatten 6 Sitze gewonnen, die alten Geschlechter hatten 3 Sitze verloren. Der neue Rät sollte aus sich heraus jedesmal 2 Ratsmeister oder Bürgermeister für das 1. Halbjahr wählen, vom Tage der Heiligen 3 Könige bis zum Johannistage, für die 2. Hälfte des Jahres sollten dann aus dem sitzenden Rate 2 andere Bürgermeister genommen werden, diese aber nicht durch Wahl des sitzenden Rates, sondern der beiden augenblicklich nicht am Regimente befindlichen. - Das war ein großer Erfolg der Demokraten gegenüber den aristokratischen Gefreundten. Und dieser Erfolg wurde dadurch noch größer, daß sie es durchsetzten, daß fortan der einflußreichste Beamte der Stadt, der Ratsschreiber, der Protonotarius, der spätere Syndikus, der bisher aus den Geschlechtern genommen worden war, wie die Bestimmung lautet, ein „gemeyne man“ sein mußte. Es ist möglich, daß damals Heinrich Laran, der erste Stadtschreiber, den wir namentlich kennen, der auch wichtige auf uns gekommene Urkundenbücher angelegt hat, einem neuen demokratischen Schreiber hat weichen müssen. Offenbar war bisher für dieses Amt keine oder nur eine ganz geringfügige Besoldung vorgesehen. Umsomehr scheint sich aber der Stadtschreiber für freundliche Dienstwilligkeit auf nicht ganz legalem Wege bezahlt gemacht zu haben. Diesen Durchstechereien trat nun die Bestimmung dadurch entgegen, daß ihm ein festes Jahresgehalt zugestanden wurde. Das war ein großer Sieg der Masse der Bevölkerung gegenüber den Geschlechtern. Er stärkte auf der einen Seite Mut und Selbstvertrauen, er erregte auf der anderen Seite Groll und Haß.

Dieser Rat in seiner neuen Zusammensetzung schwur bei seinem Amtsantritt der Stadt folgenden Eid:

Daz wir dem riche und der stat zu Northusen und den borgern darinne rieh und arm raten und urteiln daz allir beste, daz wir können und der stat eynunge, die beschreben ist, halden und vordem und helen (verheimlichen) daz wir zcu rechte helen sullen, unde melden (offenbaren), daz wir zcu rechte melden sullen, und des nicht enlazen dorch lieb noch dorch lit, und der stat were nicht verlien: daz swere wir, so uns got so helfe und di heilien.[8]

Daß diese ganze Entwicklung nicht ohne große Erschütterungen, nicht ohne hartnäckige Angriffe von Seiten der niederen Bürger und nicht ohne schärfste Gegenmaßregeln der eigentlichen burgenses vor sich gegangen ist, haben die Darlegungen schon öfter erwiesen. In den zwanziger Jahren des 14. Jahrhunderts waren schon Ausweisungen erfolgt, und die herrschende Klasse war bestrebt, auch Eingriffe der Vertriebenen von draußen zu unterbinden. Am 19. Juni 1336 erst gaben die Patrizier in einem Vertrage mit Honstein-Sondershausen zu, daß sich die Landflüchtigen im weitern Umkreise der Stadt aufhalten durften. 1338 wurden weitere 70 Bürger verwiesen. Besonders Obacht gaben die vornehmen Geschlechter darauf, daß keiner ihrer eigenen Leute gemeinsame Sache mit dem Volke machte. Diese Abtrünnigen wurden aufs schärfste verfolgt. So mußten um 1360 mehrere Gefreundte die Stadt räumen: Dietrich von Elrich, Vater und Sohn, und Andreas und Henze von Stolberg. Man hatte ihnen den Vorwurf gemacht, sie hätten in Wort und Werk den Rat angegriffen, in der Nacht Bürger überfallen, als Kämmerer städtische Gelder unterschlagen, einen sittenlosen Lebenswandel durch Hasardspiel geführt.[9]

Viel bedeutungsvoller für den Zusammenbruch des patrizischen Regimentes war die Vertreibung der gesamten Fleischerzunft bis auf 5 Bürger. 51 Fleischer mußten um 1360 mit Weib und Kind die Stadt räumen, 8 waren in den Kerkern hingerichtet worden. Der Grund dieser Bestrafung ist durchaus einzusehen, nur die Durchführung mußte Anstoß erregen. Die Fleischer wollten nämlich in der Stadt den Alleinverkauf von Fleisch haben und die Pfahlbürger und Bauern, welche die Wochenmärkte beschickten, daselbst zum Verkaufe nicht zulassen. Als ihr Protest gegen diese Konkurrenz beim Rate nicht half, griffen sie zur Selbsthilfe, zerstörten die Buden der fremden Händler und mißhandelten diese, so daß sie den Markt nicht mehr beschickten und das Fleisch knapper und teurer wurde. Da griff der Rat ein und verbot diese gewaltsame Aneignung einer Monopolstellung. Doch die streitbaren Fleischer glaubten es mit dem ganzen Rate aufnehmen zu können, wählten 4 Hauptleute und machten Anstalt, gegen das Rathaus selbst vorzudringen. Da gebrauchte der Rat Gewalt und schloß die Aufsässigen samt Frauen und Kindern aus der Stadt aus.

Das Volk aber, das wegen der Fleischversorgung vielleicht mit den Beschlüssen des Rates zufrieden gewesen wäre, murrte doch über die Härte der Strafe, und die Zünfte, die ja sämtlich das Bestreben hatten, sich Monopolstellungen zu erwerben, fühlten mit den Fleischern und fürchteten, ihnen könne bei Gelegenheit ein ähnliches Schicksal drohen.

Unterdessen war durch die auswärtigen Verhältnisse und Mißerfolge die Abhängigkeit von der Geschlechter-Regierung zwar nicht drückender geworden, wurde aber als drückender empfunden. Diese Mißstimmung zog sich in erster Linie nicht an der politischen Einflußlosigkeit groß, sondern an der wirtschaftlich gedrückten Lage. Je mehr die Geldwirtschaft überhandnahm, je mehr der Handel emporgeblüht war, umso mehr bildeten sich die sozialen Gegensätze zwischen arm und reich heraus. Hier standen die Reichen, die Handel trieben, die Bier brauten, von denen andere nicht bloß in dinglicher, sondern sogar persönlicher Abhängigkeit standen und in schwerer Fron ihre Schulden abdecken mußten, die Geld an auswärtige Adlige verliehen; dort standen die Armen, die Tag für Tag um kleinen Verdienst in der Werkstatt arbeiteten, denen Kopfsteuern auferlegt wurden in derselben Höhe wie den Wohlhabenden, die von auswärtigen Unternehmungen keine Vorteile, sondern nur Nachteile hatten. Dazu kam dann der geringe politische Einfluß. Die Interessenvertretungen beim Rate schienen nicht zu genügen, um eine eigenmächtige Politik zu verhindern, um unsoziale Umlagen zu unterbinden, um Unterschleife von Staatsmitteln zur Ausstattung einzelner zu verhüten. Schließlich erregte auch das Auftreten der Geschlechter größtes Ärgernis. Rücksichtslos verteidigten sie ihre Vorrechte, vor Gewalttaten schreckten sie nicht zurück, anmaßend und herausfordernd traten sie dem Volke entgegen. Als sich im Anfang des Jahres 1375 die Verhältnisse zuspitzten, fiel von Seiten der Geschlechter die unerhört rohe Äußerung: Man werde die gemeinen Bürger aufs Rad legen lassen, daß bald alle Räder in Nordhausen nicht ausreichen sollen. Da brach die Revolution offen aus.

Es war am 14. Februar 1375.[10] Die Bürger hatten die Gefreundten gebeten, Mitleid mit ihrer Not zu haben und eine gerechte Verteilung der Steuern vorzunehmen. Da die Geschlechter nicht auf das Verlangen der Bürgerschaft eingehen wollten und Unruhen befürchteten, ließen sie die Tore schließen und suchten mit Gewalt ihre Herrschaft zu festigen. Zur Beratung waren sie in einem der Häuser ihrer Gesinnungsgenossen, im Riesenhaus bei Thilo von Tettenborn, zusammengekommen. Als nun die Bürger sahen, daß es Ernst wurde und vielleicht viele von ihnen dran glauben sollten, rotteten sie sich zusammen und wagten den Sturm auf das Riesenhaus. Unsere Quelle berichtet folgendes darüber:

„Als es nun die Gemeinde und die Zünfte bedünkte, sie darauf acht hatten und meinten, daß die Gefreundten bei der Verwaltung der Stadt ungleich und unredlich umgingen, und als nun Gemeinde und Handwerke darüber verhandeln und die Gefreundten bitten wollten, daß sie auf ihre Ehre und ihren Eid Bedacht nehmen, arme Leute in der Stadt nicht also ins Verderben jagen und jeden Mann zu Geschoß und Geld nach seinem Vermögen heranziehen sollten, da kamen die Gefreundten zusammen mit ihren Freunden und Helfershelfern, ließen die Stadt schließen und wollten den gemeinen Bürgern und Handwerkern an Leib und Leben; denn etliche Gefreundte rannten auf die Straße und ließen sich vernehmen, sie wollten der gemeinen Bürger also viel auf Räder setzen, daß alle Räder in der Stadt nicht hinreichen sollten. Als nun Gemeinde und Handwerker dies vernommen, kamen sie zusammen vor dem Rathause, nahmen Gott zu Tröste und zu Hülfe, bedrängten die Gefreundten und belagerten sie im Hause zum Riesen auf dem Holzmarkte. Da trösteten der allmächtige Gott und die hochgelobte Jungfrau Maria und der Heilige Herr St. Valentin die Gemeinde und gaben ihr Stärke und Kraft. Und sie fingen die Gefreundten ohne Gegenwehr und steuerten auf diese Weise ihres Unfuges, Frevels und Mordes, den die Gefreundten an der Gemeinde und den Handwerkern hatten begehen wollen.

Dann wählten die Bürger aus der Gemeinde und aus den Handwerkern andere Ratsleute, die nun die Geschäfte der Stadt übernahmen,… so daß ein jeder Bürger und arme Mann bleiben konnte bei Einigkeit und Recht und Freiheit.[11]

Die erste Aufgabe der neu gewählten Bürger war es nun, über die gefangengenommenen Gefreundten zu Gericht zu sitzen. Sie wurden der Stadt verwiesen und mußten Urfehde schwören. Das taten sie alle, und 41 Patrizier mußten ins Elend wandern. Einer von ihnen, Henze von Urbach, brach seinen Eid und fügte der Stadt, ohne ihr Fehde angesagt zu haben, durch Brand und Raub viel Schaden zu. Daß aber auch noch andere Familien, insbesondere die Familie Junge, sich nicht ohne weiteres in ihr Schicksal fügten, werden wir noch fernerhin sehen.

Nun aber gingen die Bürger an eine Änderung ihrer Verfassung. Viel Geschick und Geist zeigten sie freilich dabei nicht. Die Form blieb im ganzen die alte, nur der Inhalt änderte sich insofern, als nun statt der Gefreundten die Handwerker in den Rat zogen und ein Gesetz erlassen wurde, daß ein Gefreundter eine Ratstelle überhaupt nie mehr bekleiden dürfe. Interessant ist es, daß die Gewandschnitter, die bisher zwar eine Innung gebildet hatten, aber nicht zu den sieben Handwerksinnungen gezählt wurden, die schon immer von einigem Einfluß auf das Stadtregiment gewesen waren, sondern als vornehme Gefreundte abseits gestanden hatten, sogleich 1375 als Innung neben den anderen erschienen, um wenigstens als Innungsangehörige Mitglieder in den Rat wählen zu können. So waren die Gewandschnitter die 8. Innung. Dazu erhoben noch die Schneider als 9. Innung Anspruch auf Ratssitze.

Diese 9 Innungen wählten nun je 2 Mitglieder in den Rat, zusammen also 18. Das war auch die Zahl der alten Ratsmitglieder. Dazu traten nun aber aus den 4 Vierteln je 2 und aus der Neustadt 1 Vertreter, zusammen 9, so daß nun der Rat aus 27 Mitgliedern bestand. Ferner blieb auch insofern alles beim Alten, als man wieder 3 Räte bestehen ließ, die sich während dreier Jahre in der Geschäftsführung abwechselten. Das Plenum, Magistrat und die übrigen Ratsmitglieder, zählte also 81 Mitglieder, eine reichlich hohe Zahl für ein Städtchen von 3000 Einwohnern.

Der neue sitzende Rat wurde so gewählt, daß die zwei bisherigen Ratsherrn jeder Zunft zusammen mit 2 anderen Handwerksmeistern des betreffenden Handwerks, den sogenannten Ratsgefreundten, die neuen Ratsherrn wählten. Die abgehenden Ratsherrn aus den Vierteln wählten völlig selbständig und ohne Mitwirkung anderer Bürger ihre Nachfolger.

Auch nach 1375 gingen also die drei Räte nicht etwa aus Gemeindewahlen hervor, sondern der abdankende wählte jedesmal den folgenden Rat selbst. Daher konnte es auch nicht ausbleiben, daß sich allmählich eine neue Aristokratie herausbildete. Nur die alten Männer waren untergetaucht, und neue waren emporgekommen. Wie jede Revolution in der großen Weltgeschichte hatte auch diese Revolution im kleinen Nordhausen nicht etwa eine Erneuerung des Geistes verursacht, sondern nur eine Verschiebung der Kräfte. Die neuen Männer, die kamen, hatten ebendieselben, nur durch ihrer Herkunft und Erziehung etwas veränderten menschlichen Leidenschaften.

Aus dem sitzenden Rate erwählten dann noch die Handwerksmeister und die 4 abgehenden Viertelsmänner 4 sogenannten Viermänner, Männer besonderen Vertrauens und besonderer Fähigkeit. Diese waren in der Revolutionszeit als eine Art Aufsichtsinstanz über den gesamten Rat, auch über die Bürgermeister gedacht, wurden aber später neben den Bürgermeistern nur zu besonders wichtigen Ämtern herangezogen und genossen deshalb auch als Vierherrn besonderes Ansehen. Endlich wurden aus dem sitzenden Rate noch jährlich 4 Bürgermeister gewählt, von denen zwei vor und zwei nach Johannis die Geschäfte führten. Die 4 ,x 3 Bürgermeister aller drei Räte zusammen bildeten unter Zuziehung der Vierherm das sogenannte collegium seniorum, das Ältestenkollegium.

Die Wahl selbst geschah in der Nacht vor den Heiligen Drei Königen auf dem Rathause. Während der Wahl bewachte die gesamte Bürgerschaft bewaffnet das Rathaus. Fehlen dabei wurde durch Geldbuße geahndet. Vor der Wahl hielt der erste Prediger von St. Nikolai morgens 4 Uhr eine Ansprache; auch einer der Bürgermeister oder, wenn dieser, was häufig vorkam, nicht redegewandt war, der städtische Syndikus, zeitweise nun die wichtigste Persönlichkeit, redeten wohl. Nach vollzogener Wahl gingen sämtliche Mitglieder der drei Räte in die Spendekirche, später in die Marktkirche zur Messe und zu einem Dankgebet. Danach rief der Ratsoberdiener die Namen der neuen Ratsmitglieder aus.

Erst 1626, nachdem die Pest sehr viele Ratsmitglieder dahingerafft hatte, schuf man eine neue Wahlordnung.

Daß nur zwei Brüder oder nur Vater und Sohn im Rate sitzen konnten, aber nicht mehr Verwandte zu gleicher Zeit, daß unehrliche oder unehrlich gewesene Männer von der Ratswahl ausgeschlossen waren, daß niemand die am Tage der Heiligen Drei Könige vorgenommene Wahl „schelten“ durfte, - diese Bestimmungen finden sich auch schon vor 1375, sind also kein neues Element, und, fügen wir gleich hinzu, oft genug ist gerade gegen sie gesündigt worden. Ferner wurde das Bestehen der drei Räte als Vollversammlung durchaus beibehalten, jetzt also mit 81 Mann. Endlich bestand auch weiterhin bei den schon oben angeführten 5 Punkten die Einrichtung, daß ein Bürgerausschuß zu den Beratungen der drei Räte hinzugezogen wurde. Die diesem Bürgerausschuß angehörigen Männer, die Ratsgefreundten, wurden auch im Stadtregister namentlich aufgeführt. - Wir sehen, in nuce ist unsere heutige Stadtverfassung schon getreulich vorgebildet: Die 81 Ratsmitglieder bildeten zur Vorbereitung der Sitzungen Kommissionen, bei besonders wichtigen, vielleicht auch nur durch Fachleute zu lösenden Fragen waren noch außenstehende Bürger zu Deputationen herangezogen. Völlig unverständlich ist es uns allerdings heute geworden, daß auch nach 1375 nicht etwa die Urwähler, sondern der Rat selbst den neuen Rat wählte. Von einem Mitbestimmungsrecht des Volkes konnte direkt also nicht die Rede sein, sondern nur indirekt insofern, als die aus den Zünften hervorgegangenen Ratsherren die Stimmungen und Ansichten ihrer Zunftgenossen kannten und deren Wünschen Geltung zu verschaffen versuchen mußten.

Der Rat schwur der Stadt folgenden Eid: Wir schwören, „daz wir deme riche, der stat Northusen unde den bürgern darinne, rieh unde arm, rathen unde orteilen daz allerbeste, daz wir können, unde der stat eynunge, die beschreben ist[12],halden unde fordern wollen dem riehen also dem armen, unde helen, daz wir zcu rechte helen sollen unde melden, daz wir zcu rechte melden sollen unde daz nicht laszen dorch lieb noch dorch leyt, unde der stat nicht verliehen wollen, esz enwere dann, daz die andern rethe mit uns eyns worden unde willeten unde ouch mit irkenten, daz der stat davon merclich nutz unde frome körnen unde enstehin mochte: daz swern wir so uns got helffe unde die heiligen.

An die Stelle der Heiligen trat nach der Reformationszeit die Formel: so uns got helfe und sein heiliges Evangelium. -

Die Kleinbürger hatten über die Geschlechter gesiegt. Eigene Schuld hatte die herrschende Gesellschaftsklasse gestürzt. Doch es war keine andere Schuld als die, in welche der Geist, der über allem historischen Geschehen waltet, jede aristokratische Herrschaft fallen läßt. Ein neues Regiment auf breiterer und deshalb demokratischerer Grundlage nahm das Steuer in die Hand, ein Regiment mit neuen Vorzügen und neuen Fehlern, wie auch sie jeder Demokratie vom Schicksal vorherbestimmt sind.

Was aber jene Geschlechterherrschaft in ihrem jugendfrischen Wagemut, ihrem unerschütterlichen Optimismus und ihrem rücksichtslosen Streben nach Macht und Glanz geschaffen hat, davon redet heute nicht bloß mancher Stein und manches Pergament, sondern das wirkt, in tausend feinsten Adern verteilt, lebendig auch heut noch.




  1. Vergl. von Heinemann, Geschichte von Braunschweig, II. 56 ff.
  2. Förstemann, Urk. Geschichte II, 25 ff.
  3. Meyer, Festschrift 1903, 27 ff. - Meyer, Die Burg Hohnstein, 29 steht allerdings eindeutig: „im Jahre 1368 entstand … eine erbitterte Fehde“.
  4. Förstemann, Kleine Schriften, 170 ff.
  5. Vergl. Meyer, Fehde der Nordhäuser mit den Grafen von Hohnstein 1368. In: Festschrift des Harzvereins 1903, 27 ff.
  6. Neue Mitteilungen III 2 p. 19. 89 und 90.
  7. Neue Mitteilungen, III, 2. 89. 90.
  8. über privilegiorum, album civium im Archiv; Statuten, abgedruckt in den Neuen Mitteilungen a.a.O.
  9. Neue Mitteilungen, III. 4. 67 ff.
  10. Neue Mitteilungen III. 4. 83. ff. Förstemann, Chronik 261 f., Meyer, Festschrift 1903, 34 ff. Förstemann hat richtig den 14, Februar, Meyer falsch den 13. Februar 1375. Auch 1775 wurde richtig am 14. Februar die Säkularfeier begangen.
  11. Vergl. Meyer, Die große Revolution am 13. Februar 1375; in Festschrift des Harzvereins 1903, 34 ff.
  12. Statt „unde der stat eynunge, die beschreben ist“ trat im 18. Jahrhundert ein: „und wider der Stadt Einung in den Punkten, welche durch einen beständigen Gebrauch (Förstemann „Gegengebrauch“) nicht aufgehoben oder geändert sind, wissentlich und fürsetzlich nicht handeln, sondern dieselben halten …"