Das Wilhelm- und Auguste Viktoria Krankenhaus in Bleicherode

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Textdaten
Autor: Wilhelm Kolbe
Titel: Das Wilhelm- und Auguste Viktoria Krankenhaus in Bleicherode
Untertitel:
aus: Heimatland. Illustrierte Blätter für die Heimatkunde des Kreises Grafschaft Hohenstein, des Eichsfeldes und der angrenzenden Gebiete
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Erscheinungsdatum: 1908 (Nr. 2)
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Das Wilhelm- und Auguste Viktoria Krankenhaus in Bleicherode.


Der 23. Oktober ist ein ebenso ehrenvoller wie bedeutsamer Tag für Bleicherode, ehrenvoll für die Zeitgenossen, weil dieser Tag eine sociale Tat in des Wortes edelster Bedeutung zum Abschluß bringt, bedeutend nicht nur für die Zeitgenossen, sondern auch für künftige Geschlechter, weil dieser Tag der Weihetag ist für ein Werk, dessen Segnungen noch Kind und Kindeskind zuteil werden wird. Am 23. Oktober wird das Ihren Majestäten Wilhelm II und Auguste Viktoria zu Ehren erbaute Krankenhaus eingeweiht.

 Daß die Erbauung dieses Krankenhauses eine sociale Tat, ein Werk opferwilliger Nächstenliebe ist, zeigt uns ein Blick auf die baugeschichtige Vorgeschichte des Krankenhauses, deren wichtigste Daten in der Grundstein-Urkunde niedergelegt wurden. Ich veröffentliche das für die Geschichte des Krankenhauses wichtige Document im folgenden wortgetreu:

 „Nachdem der Unterbau des neuen städtischen Krankenhauses fertiggestellt ist, sind wir am heutigen Tage hier versammelt, um dem Fundament seinen Schlußstein einzufügen. Da mir aber kommende Geschlechter, wenn sie einmal in hoffentlich recht ferner Zeit diesen Schlußstein öffnen, über die Entstehung dieses Gebäudes und über unsere jetzigen Verhältnisse Nachricht erhalten, soll diese Urkunde nebst einigen Zeitungen, einigen jetzt geltenden Münzen und einer Gesamtansicht von Bleicherode eingeschlossen werden.

 Wenn auch in dem Heim der „Grauen Schwestern“ Kranke aufgenommen und mit anerkannter Sorgfalt gepflegt wurden, so machte sich doch in Bleicherode das Bedürfnis nach einem modernen, mit allen Hilfsmitteln der Neuzeit ausgestatteten städtischen Krankenhause immer dringender geltend. Da aber die Kräfte der Stadt infolge Einrichtung einer Wasserleitung, eines städtischen Elektrizitätswerkes und anderer Unternehmungen derartig in Anspruch genommen wurden, daß die Errichtung eines solchen Krankenhauses seitens der Stadt nicht bewerkstelligt werden konnte, so tauchte der Plan auf, durch Inanspruchnahme der privaten Wohltätigkeit das erstrebte Ziel zu erreichen.

 Am 28. Juli 1905 versammelten sich auf Einladung des Rektors Riechling die Herren Fabrikbesitzer F. Helft, Stadtrat Hunger, Superintendent Gaudig, Fabrikbesitzer E. Gelpke, Stadtverordneten-Vorsteher S. Rothenberg, Bergwerksdirektor Dr. Vogelfang und Gerichtsrat Weber im Restaurant Hildebrandt. Der Einberufer legte den Erschienenen dar, daß der Besitz eines größeren, modern eingerichteten Krankenhauses für eine aufstrebende Stadt wie Bleicherode eine Notwendigkeit sei, und bat, zu der Frage Stellung zu nehmen, ob es wünschenswert und möglich sei, durch Sammlungen in der Bürgerschaft dieses Ziel zu erreichen. Sämtliche Redner sprachen sich für die Idee des Einberufers aus, glaubten jedoch, den Bau ohne Inanspruchnahme der Hilfe des Kreises nicht zustande bringen zu können. Es wurde deshalb der Stadtrat Henning, Mitglied des Kreistages, ersucht, mit Herrn Landrat Schaeper gelegentlich einer bald darauf stattfindenden Sitzung des Kreistages zu verhandeln. Das Resultat war insofern ein durchaus günstiges, als Herr Landrat Schaeper versprach, das Projekt in jeder Weise fördern zu wollen und am 28. September desselben Jahres in einer im „Ratskeller" stattfindenden Besprechung eine größere Beihilfe des Kreises in Aussicht stellte. Es wurde deshalb beschlossen, an den Kreis mit einem Gesuch um Gewährung einer Beihilfe heranzutreten und an die städtischen Behörden den Antrag zu stellen, einen Bauplatz unentgeltlich zur Verfügung zu stellen, das neue Krankenhaus an das städtische Licht- und Wasserwerk anzuschließen und in eigene Verwaltung zu nehmen. Die städtischen Behörden stimmten diesen Anträgen vom 19. 12. 1905 unter der Bedingung zu, daß ihnen das Krankenhaus vollständig eingerichtet und lastenfrei übergeben würde. Da auch von hervorragenden Vertretern des Kreises Versprechungen in bezug auf Gewährung einer Beihilfe seitens des Kreises gemacht wurden, so wurde am 3. Januar 1906 die Konstituierung des Komitees beschlossen. Als Vorsitzender wurde Rektor Riechling. als Schriftführer Fabrikbesitzer F-Helft, als Kassierer Stadtverordneten-Vorsteher S. Rothenberg gewählt. Dem bisherigen Komitee, welches in Zukunft als „Geschäftsführender Ausschuß" fungieren sollte, wurde ein erweitertes Komitee, welches sich aus allen Erwerbs- und Gesellschaftskreisen der Stadt zusammensetzte, an die Seite gestellt. In den geschäftsführenden Ausschuß wurden Lederhändler Neubert jun., Bleicher Reuschel und Fabrikant Kohlmann neu gewählt. Das erweiterte Komitee besteht aus 42 Herren, deren Namen unter dem beiliegenden „Aufruf" verzeichnet stehen. In der Zusammensetzung des Gesamtkomitees trat später in sofern eine Aenderung ein, als an Stelle der von Bleicherode wegziehenden Herren Bergwerksdirektor Dr. Vogelfang und Stadtbaumeister Baguette die Herren Bergrat Zirkler und Stadtbaumeister Peeger gewählt wurden.

 Am 9. Jan. 1906 verlas in einer Sitzung des Gesamtkomitees der Vorsitzende den von ihm verfaßten beiliegenden „Aufruf", welcher genehmigt wurde und kurz darauf in der hiesigen Presse erschien. Ferner wurde in derselben Sitzung beschlossen, mit den Sammlungen zu beginnen. Die diesbez. Arbeiten wurden einer Kommission, bestehend aus den Herrn Rektor Riechling, Klempnermeister Ammon, Fabrikant Bender, Schichtmeister Dosch und Kaufmann Magerstedt übertragen. Die Sammlungen wurden von dieser Kommission planmäßig betrieben. 15 Herren, nämlich Klempnermeister Ammon, Fabrikant Bender, Schichtmeister Dosch, Schäfereibesitzer Gerlach, Stadtrat Henning, Briefträger Hentrich, Maurer Herbst, Kaufmann Hermann Körber, Kaufmann Magerstedt, Orgelbauer Niest, Buchdrucker Niest, Zimmermeister Ohl, Bleicher Reuschel, Lehrer Seidenstücker II und Maschinenwerkmeister Stoll, gingen mit Listen von Haus zu Haus und forderten zur Zeichnung von Beiträgen auf. Außerdem beteiligten sich an den Sammlungen besonders der Vorsitzende und der Schriftführer. Die Sammlungen ergaben den Betrag von 42000 Mk., also ungefähr 10 Mk. auf den Kopf der Bevölkerung, ein Ergebnis, welches als ein außerordentlich günstiges bezeichnet werden muß und ein beredtes Zeugnis ist für den Wohltätigkeitssinn und den Patriotismus der Bleicheröder Bürgerschaft. Ein Verzeichnis der Namen der Geber, unter denen sich auch viele frühere Bleicheröder befinden, liegt bei.

 Mit Rücksicht auf dieses günstige Ergebnis der Sammlungen wurde am 27. Februar 1906, dem Tage der „Silbernen Hochzeit" des Kaiserpaares, eine Festsitzung veranstaltet. Der Vorsitzende eröffnete die Sitzung unter Hinweis auf die Bedeutung des Tages mit einem begeistert aufgenommenen Hoch auf das Kaiserliche Jubelpaar, gab das oben mitgeteilte günstige Ergebnis der Sammlungen bekannt und teilte mit, daß seitens des Kreises für den Kranken- Hausbau 25000 Mk. in sichere Aussicht gestellt seien. Der Vorsitzende stellte dann die Anträge, den Bau endgültig zu beschließen, das neue Krankenhaus „Wilhelm- und Auguste Viktoria-Krankenhaus" zu nennen und unter Darbringung ehrfurchtsvoller Glückwünsche zur Silberhochzeit den Majestäten von dem Ergebnis der Sammlungen und den soeben gefaßten Beschlüssen telegraphisch Mitteilung zu machen. Sämtliche Anträge wurden einstimmig angenommen. Die an die Majestäten abgesandte Depesche hatte folgenden Wortlaut:

An
Ihre Majestäten den Kaiser und die Kaiserin, Berlin.
In heutiger Festsitzung wurde beschlossen, aus den in der Bürgerschaft gesammelten freiwilligen Beiträgen von 42000 Mk. und einer Beihilfe des Kreises von 25000 Mk. als bleibendes Andenken an die Feier der Silbernen Hochzeit unseres geliebten Herrscherpaares ein Krankenhaus zu bauen und ihm den Namen „Wilhelm- und Auguste Viktoria-Krankenhaus" zu geben. Eure Majestäten bitten wir untertänigst, von diesem Beschlüsse Kenntnis nehmen und zum heutigen Tage die aufrichtigsten Glück- und Segenswünsche und die Versicherung unwandelbarer Treue huldvollst genehmigen zu wollen.
In tiefster Ehrfurcht: Das Komitee des Krankenhausbaues zu Bleicherode.
I. A.: Riechling.

Als Antwort traf folgendes Telegramm ein:

Ihre Majestäten der Kaiser und König und die Kaiserin und Königin lassen dem Komitee zum Baue eines Krankenhaus in Bleicherode für die freundlichen Glückwünsche zur silbernen Hochzeit danken und wollen genehmigen, daß dem Bau der Name „W. n. A. V. Kr." beigelegt wird. Auf Allerhöchsten Befehl der Geheime Kabinettsrat v. Lucanus"
Krankenhaus in Bleicherode.

 Der Kreisausschuß des Kreises Grafschaft Hohenstein beschloß später, für die Errichtung eines Krankenhauses in Bleicherode 25000 Mk. zur Verfügung zu stellen und knüpfte an diese Schenkung folgende Bedingungen: Die städtischen Behörden müssen sich durch rechtsgültigen Beschluß verpflichten a) das Krankenhaus nach Fertigstellung in die Unterhaltung der Stadt zu übernehmen, b) das Krankenhaus sodann für ewige Zeiten seiner ursprünglichen Zweckbestimmung zu erhalten, c) dem Kreisausschuß in dem einzurichtenden Kuratorium des Krankenhauses das Recht zur Bestimmung zweier Mitglieder zu gewährleisten, wovon eins der Landrat, das andere ein vom Kreisausschuß zu wählendes Mitglied sein soll, d) Dem Kreisausschuß ist ferner das Recht einzuräumen, 25% Betten III Kl. zum offiziellen Minimalsatze zu belegen und zwar unmittelbar im Anschluß an den Bedarf der Einwohner Bleicherodes.

 Da so das Unternehmen finanziell gesichert war, wurde am 4. Mai 1906 eine Baukommission, bestehend aus den Herrn Rektor Riechling, Fabrikbesitzer F. Helft, Königlicher Bauinspektor Wedding (Vorsitz), Zimmermeister Ohl, Gastwirt E. John, Stadtbaumeister Baguette, Sanitätsrat v. Stecket, Stadtrat Henning und Maschinenwerkmeister Stoll, gewählt und beschlossen, mehrere namhafte Architekten zur Einreichung von Entwürfen aufzufordern.

 Von den eingereichten Entwürfen wurde von der Baukommission einstimmig dem der Architekten E. und G. Zillmann in Charlottenburg der Vorzug gegeben. Auch das Komitee entschied sich für das genannte Projekt, dessen Ausführung einen Kostenaufwand von 72000 Mk. erforderte. Der Kreisarzt und der Kreisausschuß erhoben gegen das Projekt eine Reihe von Einwänden, zu deren Besprechung vom Landrat eine Sitzung im Stadtverordnetensitzungssaale zum 15. November 1906 anberaumt wurde. Nach längeren Verhandlungen wurde beschlossen, die gerügten Mängel abzustellen, die Isolierabteilung im Hause selbst fortfallen zu lassen und 28 Betten III., 8 Betten II. und 2 Betten I. Kl einzurichten. Statt der Isolierabteilung soll ein Isolierpavillon gebaut werden, dessen Kosten auf 10000 Mk. veranschlagt sind, zu deren Deckung der Kreis und die Stadt je .5000 Mk. beizutragen sich verpflichtet haben. Ferner übernimmt der Kreis die Verzinsung von 10000 Mk. die als Hypothek der Stadt Bleicherode eingetragen werden sollen, auf 10 Jahre und gibt ein Kapital von 9000 Mk-, welches Fräulein Anna Siese für das Krankenhaus testamentarisch vermachen will, zinslos bis zum Tode der genannten Dame. Für alle diese neuen Zusicherung betrachten wir den Bau selbst. Bei einer eingehenden Betrachtung werden wir inne werden, daß die Bürgerschaft mit Hilfe der Behörden sich nicht nur ein rühmendes, sondern ein für alle Zeit bedeutsames Denkmal gesetzt hat.

 Einmal architektonisch bedeutend, ästhetisch wertvoll! Der Bau ist eine Zierde für Bleicherode. Er ist ein ernster, ruhiger und doch nicht toter Bau, belebt durch manche Einzelzüge, z. B. durch die Wechsel in Anlage und Zahl der Fenster, durch Loggien und Vorbauten, durch wirkungsvolle, jedoch nicht grelle Farbenkontraste usw. Hübsch wird sich auch der von Bildhauer Peter Blum an dem Vorbau nach der Crajaerstraße zu angebrachte in modern-poetischen Minuskeln ausgeführte Namen des Krankenhauses ausnehmen. Recht zur Geltung wird die Schönheit des Krankenhauses erst kommen, wenn der Park, der dem Bau umkränzen wird, grünt und wenn auf den Brüstungen der Loggien all die Blumen durch ihre Pracht Kranke und Gesunde erfreuen.

 Treten wir nun durch den nach Nordwesten gelegenen Haupteingang, über dem das Bleicheröder Stadtwappen angebracht werden soll, durch die schwere schöne Eichentür ein, so werden wir rasch von dem hohen hygienischen Werte des Krankenhauses überzeugt. Schon das Erdgeschoß hat schöne luftige Räume: wir finden unten eine Wohnung für einen verheirateten Krankenwärter, die Plättkammer und Waschküche, den Infektions- und Desinfektionsraum — besonders interessieren der Ofen und ein praktischer Schacht für gebrauchte Wäsche -, ein Badezimmer, der Heizungsraum, die Küche mit einem Kolossalherde, den Speiseaufzug, einen Speisekeller und andere Kellerräume.

 Im ersten und zweiten Stock befinden sich die Räumlichkeiten für die nach Geschlechtern getrennten Kranken. Geradezu sehenswert ist der im ersten Stock befindliche helle Operationsraum, der durch einen dreifensterigen Ausbau mit Oberlicht erleuchtet wird. Durch einen breiten, gut beleuchteten Gang gelangen wir in den hübschen Tagesraume der den Kranken, die nicht ans Bett gebunden sind, zum Aufenthalt dienen soll. Er wird mit seinen — später blumengeschmückten — Loggien und seinem herrlichen Nah- und Fernblick gewiß einen wohltuenden Einfluß auf die Kranken ausüben. Nach der Crajaerstraße zu liegen die Krankenzimmer, drei mit je 4 Betten III., zwei mit je 2 Betten II., und eins mit 1 Bette I. Klasse, ferner mehrere Zimmer für die Hausschwestern, sowie einige kleinere Räume, u- a. eine sog. Teeküche. — Das zweite Stockwerk birgt genau dieselben Räume; nur statt des Operationssaales befindet sich in ihm ein Krankenzimmer mit 4 Betten III. Klasse.

 Im Dachgeschoß sind Wohnräume für die Gemeindeschwestern und Kammern für das Dienstpersonal, vorerst eine Köchin und ein Dienstmädchen, vorgesehen. Bis ins Dachgeschoß sind die Treppen, deren schmiedeeisernen Geländer besondere Beachtung verdienen, und Fußböden mit Delmenhorster Linoleum belegt. Die Wände sind sämtlich marmorähnlich gestrichen.

 Ein Besuch des Krankenhauses belehrt uns, daß es allen zeitgemäßen gesundheitlichen Anforderungen genügt. Ich schließe meinen Aufsatz mit dem Wunsche, den bei der Grundsteinlegung einer der italienischen Maurer, die das Haus gebaut haben, in seinem Hammerspruche zum Ausdruck brachte: Mögen alle, die krank in das Haus hineingehen, gesund wieder herauskommen!

 W. K.