Das Gehege zu Nordhausen

Aus NordhausenWiki
Textdaten
>>>
Autor: R. Reichhardt
Titel: Das Gehege zu Nordhausen
Untertitel:
aus: Thüringen in Wort und Bild, Band 2
Herausgeber: Herausgegeben von den Thüringer Pestalozzivereinen
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1910
Verlag:
Drucker:
Erscheinungsort:
Quelle: Scan
Kurzbeschreibung:
Digitalisat:
Eintrag in der GND: [1]
Bild
[[Bild:|250px]]
Bild
Das Gehege zu Nordhausen.


 Wer von Thüringen her den Harz bereisen will, muß erst in der Hauptstadt Nordthüringens, der alten Reichsstadt Nordhausen, welche im Jahre 1902 die Zentenarfeier ihrer Zugehörigkeit zu Preußen beging, Einkehr halten. Fragt er einen Einwohner nach den Sehenswürdigkeiten der durch ihre Branntweinbrennerei bekannten Stadt, so wird er zweifellos auch auf das „Gehege“ aufmerksam gemacht werden. Über die Promenade, deren gärtnerische Anlagen von geradezu hervorragender Schönheit sind und der Stadtbehörde wie dem Stadtgärtner alle Ehre machen, gelangen wir in einen prächtigen, schattigen Stadtpark, welcher ans und an den Abhängen des Geiersberges sich hinzieht. Das ist das Gehege, eine Perle Nordhausens, von seinen Einwohnern gehegt und gepflegt wie ein Kleinod. Das Wäldchen umfaßt ein Areal von etwa 2 lia, und besteht aus Erhebungen und Senkungen, die überall mit Buschwerk und alten, reich entwickelten Bäumen, besonders herrlichen Buchen, bestanden sind. Sorgfältig geebnete Wege, an deren Rand hier und da Ruheplätze angebracht sind, durchziehen dasselbe. An manchen Stellen gestattet eine Lichtung der Bäume einen Ausblick über die Häuser der Stadt hinweg in die blühenden Auen der Grafschaft Hohenstein oder nach dem Harzgebirge, dessen Vorberge mit ihren weißen Kalkfelsen zu uns herübergrüßen. Dazwischen braust ein Zug der Eisenbahn dahin, die neuerdings den Harz durchquert und die Reisenden durch das herrliche Ilfelder Tal, auf das Harzplateau von Benneckenstein, nach dem alten Blocksberge und endlich nach Wernigerode, der Residenz der Stolberger Fürsten, bringt.

Gehege von Nordhausen.

 Auf dem breiten Hauptwege erreichen wir einen ziemlich am nordwestlichen Ende gelegenen freien Platz. Ein Springbrunnen ziert die Mitte, während an den Seiten unter den Wipfeln hoher Bäume eine größere Anzahl von Restaurationen, „Gehegebuden“, wie sie allgemein genannt werden, liegen. Am westlichen Ende erhebt sich die geschmackvoll hergerichtete „Tonhalle“, aus deren Innern die Musikkapelle den Sommer über an den Nachmittagen und Abenden ihre Weisen erklingen läßt. Auf dem Platze aber lustwandeln dann in großen Scharen Einheimische und Fremde, Damen und Herren, jeglichen Alters und Standes. Wird ein patriotisches Fest oder ein Kinderfest gefeiert oder tagt irgend ein Verband in den Mauern der Stadt, so wird den Fremden zu Ehren ein „Gehegefest“ veranstaltet, wobei es auch an Illuminationen und Feuerwerk nicht fehlt. So ist das liebliche Gehege den Nordhäusern an das Herz gewachsen, und auch den Fremden bleibt ein Aufenthalt in dem prächtigen Stadtparke eine liebe Erinnerung.

 Das Gehege hat auch seine Geschichte.

 Ein Nordhäuser Student der Gottesgelahrtheit, Thiemroth, besang es bereits in erhebenden Distichen im 17. Jahrhundert als einen beliebten Aufenthaltsort der Nordhäuser, obwohl zu jener Zeit auf den mit Gras bewachsenen Anhöhen noch das Vieh geweidet wurde. Erst nach 1738, nachdem der Rat der Stadt angeordnet hatte, daß dort kein Vieh mehr geweidet werden dürfe und jeder angehende Bürger gehalten sein solle, auf dem Geiersberge wenigstens sechs junge Bäume zu pflanzen, begann die Entstehung des Geheges in seiner heutigen Gestalt. Im Jahre 1745 ließ der Magistrat der Stadt auf einmal 15000 Waldbäume im Gehege setzen.

 Der Gehegeplatz wurde in den Jahren von 1817-1320, wo die „Turnsperre“ eintrat, als Turnplatz benutzt, bis im Jahre 1829 die ersten Erfrischungslokale in Gestalt von kleinen Bretterbuden entstanden. Damals wurde auch das „Maienfest" begründet. Es bestand in einem festlichen Aufzuge der Bürger zur Maienzeit und der Abhaltung eines Volksfestes unter den schattigen Bäumen, wobei auch die Schützen mit Armbrüsten und Bolzen nach einem Vogel und einer Flatterscheibe schossen. Die Einrichtung des Orchesters war zunächst eine sehr einfache, denn die Musikanten saßen in luftiger Höhe in den Zweigen einer alten Linde. Zu Anfang der fünfziger Jahre des abgelaufenen Jahrhunderts wurde? die jetzt bestehende Musikhalle erbaut.

 Am Waldesrande gegen Osten findet der Besucher des Geheges die im Jahre 1871 gepflanzte Friedenslinde und eine zu Ehreu des 1857 in Nordhausen gestorbenen berühmten Botanikers Dr. Wallroth errichtete Denksäule. Der älteste, sehenswerte Baum des Geheges ist die sogenannte Merwigslinde, von welcher die Sage erzählt, daß sie um die Mitte des 5. Jahrhunderts von einem Thüringer Könige Merwig, eines Schuhmachers Sohn, gepflanzt sei. Vielleicht ist sie eine sogenannte Mal- oder Gerichtslinde.

 Vor Zeiten veranstalteten die Mitglieder der Nordhäuser Schuhmachergilde, anfangs jährlich, später alle sieben Jahre, mit Fahnen, Wehr und Musik hiuaus- ziehend, bei der alten Linde ein fröhliches Fest, wobei auch des Königs Merwig gedacht wurde. Unter Jauchzen und fröhlicher Lust brachte die Gilde einen Zweig der Linde im Zuge zur Stadt zurück.

R. Reichhardt, Rotta.