Siechenhof

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Siechenhof (2017)
Cyriaci-Kapelle von der Freiherr-vom-Stein-Straße gesehen

Der Siechenhof (auch Siechhof) wurde um 1284 als Unterkunft für verarmte und kranke Menschen errichtet und zusammen mit der Cyriaci-Kapelle fertiggestellt. 1788 wurde das Hospital um ein Altenheim erweitert und während der Freiheitskriege 1806 bis 1815 als Lazarett und Verbandsplatz genutzt. Später diente es auch als Polizeigefängnis für Kurzstrafen. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der Siechenhof wieder ein Altenheim. Teile der Gebäude werden heute von der Kreismusikschule Nordhausen genutzt.

Der Siechenhof besteht aus einem fast quadratischen Hof, den langgestreckte niedere Fachwerkgebäude umgeben. In ihren Grundzügen hat die ganze Anlage von alters her die heutige Gestalt behalten.

Geschichte

Bleistiftzeichnung vom Siechenhof (1693)

Der Siechenhof wurde Anfang der 1280er Jahre von einem Herrn von Werther gestiftet.

Einst wurden am Siechenhof jährlich drei Predigten im Freien, sogenannte Flurpredigten gehalten, den 3. Ostertag, den 3. Pfingsttag und nach der Ernte, die überaus beliebt und zahlreich besucht gewesen sein sollen.

Lazarett

1806 wurde hier des ersten Militärlazarett in Nordhausen untergebracht. Im Dezember 1811 meldete das Lazarett die ersten Sterbefälle von westfälischen Soldaten. Sie gehörten alle zum hier seit 1810 stationierten 7. Linien-Infanterie-Regiment. Am 8. Januar 1813 passierten die ersten Angehörigen der geschlagenen Großen Armee auf dem Rückzug Nordhausen. Sie wurden im Siechhof, der unmittelbar an einer der Heerstraßen liegt, notdürftig verpflegt und betreut. Nach einigen Tagen ging der Vorrat an Medikamenten und Verbandstoff aus, so dass der französische Stadtkommandant Baron d’ Hallet gezwungen war, folgenden Aufruf an die Nordhäuser zu richten:

Der Unterzeichnete Platz-Commandant kennt die Gutherzigkeit der hiesigen Einwohner nur zu gut, dass er gewiß keine Fehlbitte thut, wenn er sie ersucht: zum Verbinden der armen blessierten Soldaten, und derjenigen, welche ihre Glieder erfroren haben, ihm so viel altes Leinenzeug, als sie entbehren können, zu schicken, indem es in dem Hospitale gänzlich daran fehlt.

Die Verstorbenen, meist junge Männer aus allen europäischen Ländern und viele Deutsche aus den Rheinbund-Staaten, wurden in Gruben zu 6 bis 8 Mann auf dem Landgraben, dem unbebauten Gelände gegenüber dem Siechhof, beigesetzt. Im Siechenhof kam es zum Ausbruch von ansteckende Krankheiten und wurden auch auf die Stadtbevölkerung übertragen. Vom Untergang der Großen Armee sind auch Nordhäuser Familien betroffen.

Armen- und Krankenhaus

Von 1822 bis 1824 wurde der Südflügel des Siechhofes neu errichtet und am 3. August 1825 eingeweiht. 1823 brach man die Kapelle wegen Baufälligkeit ab und errichtete 1845 und 1846 einen verputzten zweigeschossigen neugotischen Saalbau. An der niedergerissenen Kapelle waren sieben große Kreuze, aus Sandsein gehauen, eingemauert, vor deren einem ein Priester kniete mit dem Kelch in der Hand. Die Sage erzählt, dass einst ein Wolkenbruch gefallen sei, dessen Fluten die Kirche umgestürzt und den Priester, nebst sieben Personen, mit fortgeschwemmt habe. Zum Andenken an diese Begebenheit waren die Kreuze gesetzt worden. Der Siechhof wurde fortan als Armen- und Krankenhaus genutzt.

Im Siechenhof befand sich eine Arbeitsanstalt und war jahrhundertelang Obdach für alte oder heimlose Bürger. Daneben wurden Kranke aufgenommen, versorgt und gepflegt. Im Dezember 1846 wurde im Siechenhof eine Armenküche eingerichtet. Die sog. Suppen-Anstalt begann am 12. Dezember, an die Stadtarmen Suppe auszugeben. Teils wurden die Portionen kostenlos, teils zum Preis von 4 Pfennigen abgegeben. Die heutigen Gebäude wurden 1825 fertiggestellt und beherbergten:[1]

Jahr Personen
1888 75
1914 85
1919 69
1926 78

Im Hinblick auf die schon an anderen Orten ausgebrochene Cholera-Epidemie eröffnet der Magistrat Anfang Oktober 1831 im Siechhof eine Krankenanstalt für betroffene Personen.

Das Nordhäuser Krankenhaus im Siechhof hatte eine Kapazität von nur 29 Betten. Ein Kenner der Krankenverhältnisse, der ehemalige Stadtrat August Grimm, schrieb im Verwaltungsbericht des Magistrats:

„Die Erfahrung zeigt, daß Einheimische lieber ihre letzten Mittel daransetzen, ehe sie sich entschließen, in den Siechhof zu gehen, um sich dort einer Kur zu unterwerfen. Der Grund liegt in der unglücklichen Verbindung dieser Anstalt mit dem Zwangsarbeitshause und in dem nicht eben tröstlichen Klange, den der Komplex der dortigen Anstalten aus früheren Zeiten her mit der Gesamtbezeichnung der Siechhof an sich trägt.

Am 29. Mai 1888 wurde das Krankenhaus am Taschenberg meröffnet und am 2. Juni zogen die Kranken aus dem Siechhof in die neuen Räume um.

Ein bekannter Bewohner des Armenhauses war das Nordhäuser Original Ferdinand Zwanziger, der hier von 1907 bis zu seinem Tod 1919 lebte.

Im Jahr 1882 wurde im Siechhof ein Polizeigefängnis eingericht, in dem sich zuletzt fünf Zellen befanden.

Nationalsozialismus

Nach der Errichtung der NS-Diktatur im Jahr 1933 wurde der Siechenhof zu einem Zentrum des nationalsozialistischen Verfolgung in Nordhausen. Unmittelbar nach Reichstagsbrand setzte auch in Nordhausen eine Verhaftungswelle gegen Kommunisten,Sozialdemokraten und Gewerkschaftler ein. Da die Zellen in der Nordhäuser Polizeiwache im Stadthaus nicht mehr ausreichten, um die vielen politischen Häftlinge aufzunehmen, richtete man im Siechenhof ein provisorisches „Schutzhaftlager“ ein. Zu den Gefangenen gehörten die SPD-Stadtverordneten Otto Reckstat, Otto Flagmeyer und Gustav Temme, sowie die Kommunisten Werner, Ludwig und Otto Einicke, Otto Strauß, Paul Walter, Franz Brückner und Otto Ludwig. Diese Inhaftierung führte dazu, dass das Polizeigefängnis im Siechenhof mit 60 bis 120 Insassen meist überbelegt war. Im Sommer 1933 waren rund 50 Prozent der Inhaftierten politische Gegner der Nationalsozialisten. Mehrere Gefangene wurden vom Siechenhof im Juli 1933 in das KZ Esterwegen überstellt und erst im Dezember 1933 entlassen.

Während der Pogromnacht im November 1938 wurden durch SA- und SS-Männer 150 jüdische Einwohner in den Siechenhof verbracht, wo sie unter Bewachung von Polizei und Gestapo festgehalten wurden. Am Morgen des 10. November 1938 wurden 82 jüdische Männer in Busse verladen und in das KZ Buchenwald verschleppt, wo sie bis kurz vor Weihnachten inhaftiert waren. Im Siechenhof mussten die für die Einlieferung in das KZ Buchenwald ausgewählten Männer zuvor durch ein Spalier von SA-Männern laufen und wurden unter Schlägen und Verhöhnungen in die Busse getrieben. Mindestens sieben Männer wurden während der KZ-Haft in Buchenwald ermordet oder suchten den Freitod. Sechs jüdische Männer denen es gelungen war sich in der Pogromnacht zu verstecken, wurden nach dem 10. November verhaftet und für vier Wochen im Siechenhof inhaftiert.

1941 war hier eine Haftanstalt für polnische und russische Zwangsarbeiter untergebracht.

Nach mehrmonatigen Erweiterungsmaßnahmen wurde am 24. Februar 1941 die Desinfektions- und Entlausungsanstalt im Siechhof wieder in Betrieb genommen.[2]

In den Jahren 1942 und 1943 war der Siechenhof Sammelstelle für den Abtransport von 79 noch in Nordhausen verbliebenen Juden in die Konzentrations- und Vernichtungslager, wo die meisten von ihnen ermordet wurden. Der erste Transport erfolgte am 14. April 1942 und am 2. März 1943 dann der letzte.

Nach 1941 diente der Siechenhof der Nordhäuser Gestapo als Gefängnis für ausländische zivile Zwangsarbeiter, die wegen Verstößen gegen repressiven Aufenthalts-und Arbeitsbestimmungen dort inhaftiert wurden.

1943 lebten zehn russische Zwangsarbeiterinnen aus der städtischen Waschanstalt in einem Schlafsaal des Siechhofes.

Nachkriegszeit

Kurz nach der Besetzung von Nordhausen internierte die amerikanische Militärverwaltung im Siechenhof für einige Zeit belastete Nationalsozialisten. Zu den Inhaftierten gehörten Schulrat Dr. Paul Koch, Major a. D. Stadtrat Friedrich Quelle und Schuhmacherobermeister Otto Holzapfel. Nach seiner Rückkehr nach Nordhausen wurde im Mai 1945 auch Heinz Sting, von 1933-1935 NSDAP-Oberbürgermeister, dort inhaftiert. Die Gefangenen wurden täglich durch die zerstörte Stadt geführt und bei verschiedenen Arbeiten eingesetzt. Arbeitsorte waren z. B. auf dem Neuen Friedhof, am Müllabladeplatz auf dem Schinderrasen und in der Lehmgrube der Ziegelei Rudolf Schulze.

Nachdem es im November 1945 einigen Gefangenen gelungen war aus dem Gefängnis zu fliehen, wurde wahrscheinlich kurzzeitig das Lagergefängnis des ehemaligen KZ Dora von der Stadtverwaltung zur Inhaftierung von NS-Belasteten aus dem Siechenhof genutzt.

Im Westflügel des Siechenhofes befand sich noch bis zum Jahr 1952 ein Untersuchungsgefängnis. Im Rahmen des im August 1947 erlassenen SMAD-Befehls Nr. 201 zur Entnazifizierung in der SBZ waren auch NS-Belastete hier inhaftiert. Andere Gefangene waren Grenzgänger, Urkundenfälscher, Sabotage-Verdächige und Bauern mit Ablieferungsschwierigkeiten. Die Insassen waren beiderlei Geschlechts und von unterschiedlichen Alter. Wie auch in anderen Polizeigefängnissen in der SBZ waren die Verhältnisse katastrophal. Das Gefängnis war völlig verwanzt. Zwei Gefangene mussten sich oft ein Bett teilen. Der Präsident des Oberlandesgerichtes Barth wies das Thüringer Justizministerium 1948 wiederholt darauf hin, dass die Zustände im Siechenhof nicht länger geduldet werden dürfen. „Einen Beamten der Nazizeit, der politische Häftlinge oder auch kriminelle Verbrecher so eingesperrt hätte, würden wir heute wegen Verbrechens gegen die Menschlichkeit einsperren.“

Altenheim und Musikschule

1983 bis 1986 wurde die Cyriaci-Kapelle nach Entwürfen des Innenarchitekten Jürgen Gerbot in ein Musikunterrichtskabinett umgebaut. Zu DDR-Zeiten befand sich daneben ein Feierabendheim.

Bis 1991 war das Gebäude Altenheim und beherbergt heute nach der Sanierung die Musikschule des Landkreises Nordhausen.

1997 wurde die Cyriaci-Kapelle als Konzertsaal grundhaft saniert und am 5. September 1997 eröffnet. Wegen ihrer guten Akustik finden zahlreiche Konzerte – vorwiegend Kammermusik und Jazz – im Kapellenraum statt.[3]

Siehe auch

Literatur

Einzelnachweise

  1. Hermann Heineck: Geschichte der Stadt Nordhausen 1802–1914 (= Das tausendjährige Nordhausen, Bd. 2), S. 206.
  2. Stadtarchiv Nordhausen (Hrsg.): Chronik der Stadt Nordhausen : 1802 bis 1989. Horb am Neckar: Geiger, 2003.
  3. Die Cyriaci-Kapelle auf der Webpräsenz der Stadt Nordhausen Abgerufen am 1. April 2014