Boelcke-Kaserne Nordhausen

Aus NordhausenWiki

Boelcke-Kaserne Nordhausen (auch Luftnachrichten-Kaserne Nordhausen) wurde 1935 für die Luftwaffe erbaut und diente im Laufe des Zweiten Weltkrieges unterschiedlichen Zwecken. Im Januar 1945 wurde hier ein Außenlager des Konzentrationslagers Mittelbau-Dora errichtet.

Geschichte

Kaserne

Die Kaserne in der Rothenburgstraße wurde 1935 der Luftwaffe übergeben und nach dem Jagdflieger Oswald Boelcke benannt. Das weitläufige Gelände war mit Unterkunftsgebäuden, Fahrzeughallen und großen Hangars ausgestattet. Der Fliegerhorst diente vor allem als Schulungs- und Testgelände, zeitweilig war hier auch eine Flugzeugwerft in Betrieb. Seit Herbst 1943 wurde die Anlage nicht mehr militärisch für den Luftkrieg genutzt; bis Sommer 1944 beherbergte die Anlage eine Luftnachrichtenschule.

Gefangenenlager

Seit 1943 waren rund 200 französische und sowjetische Fremdarbeiter in der Kaserne untergebracht, die für das Maschinenbauunternehmen MABAG (Maschinen- und Apparatebau AG) Zwangsarbeit verrichteten. Im Frühsommer 1944 richteten die Junkers Flugzeug- und Motorenwerke in den geräumten Mannschaftsunterkünften der Boelcke-Kaserne ein Lager für 6000 ausländische Zwangsarbeiter ein, die im Kohnstein Strahltriebwerke montieren mussten.[1]

Anfang Januar 1945 vegetierten auf dem Kasernengelände ca. 10.000 Zwangsarbeiter. Auf dem Areal befand sich eine Wache mit Arrestzellenbau, zehn Mannschaftsunterkünfte, zehn Verwaltungs-, Lehr- und Werktstattgebäude, fünf langgestreckte Fahrzeughallen und 20. Holzbaracken.[2]

Außenlager von Mittelbau-Dora

Einwohner Nordhausens tragen unter Bewachung von Angehörigen der US-Armee tote Häftlinge aus der Boelcke-Kaserne und legen sie davor ab

Um den 8. Januar 1945 wurde in zwei Fahrzeughallen der Kaserne ein Außenlager des Konzentrationslagers Mittelbau-Dora eingerichtet. Zu dieser Zeit betrug die Belegstärke einige hundert Häftlinge, deren Zahl bis Anfang April 1945 auf 6.000 Personen stieg.[3] Das Außenlager umfasste mit „Halle I“ vier Blöcke sowie eine Häftlingsküche, in der zweiten, durch Stacheldraht isolierten Halle lagen die Blöcke 5, 6 und 7 und das Revier.

Lagerführer war Heinrich Josten mit Stellvertreter Josef Kestel. Den Häftling-Arbeitseinsatz leitete Hans Zogalla.

Das Außenlager war von der Kaserne durch elektrisch geladenen Stacheldraht gesichert und fungierte bis Ende Januar als Sammelpunkt für Häftlinge, die bei Niedersachswerfen den Stollenvortrieb im Kohnstein schufen sowie in der Fertigung bei rund 30 Nordhäuser Rüstungs-firmen eingesetzt waren.

Ab Ende Januar 1945 war „Halle II“ das zentrale Kranken- und Sterbelager des Konzentrationslagers Mittelbau und der Nebenlager.

Am 22. Februar 1945 griffen gegen 12:30 Uhr US-amerikanische Bomber den Verschiebebahnhof an, trafen jedoch u. a. die Fernmeldeschule der Luftwaffe in der Boelcke-Kaserne.

Am 1. April 1945 waren in der Boelcke-Kaserne 5.713 Männer untergebracht. In der Woche zwischen den Luftangriffen auf Nordhausen und dem Eintreffen der US-Armee starben täglich bis zu 100 Menschen.[2] Gründe waren die völlige Vernachlässigung durch fehlende Nahrung und katastrophale hygienische Bedingungen. Bei den Luftangriffen am 3. und 4. April 1945 wurde die Boelcke-Kaserne schwer getroffen; die Bomben detonierten auf den Lagerstraßen und in den Unterkunftsblöcken.[4] Rund 1.300 Leichen wurden aus den Trümmern geborgen.[2] Nach dem Luftangriff setzten sich die SS-Wachmannschaften ab.

Als die ersten amerikanischen GI am 11. April 1945 im Lager ankamen, fanden sie hunderte Leichen, die verstreut auf dem Gelände lagen. In mehreren Hangars gab es keine Überlebenden, und in anderen fanden sich nur wenige lebende Insassen, die zwischen den Leichen lagen. Die Situation war so katastrophal, dass die Sanitäter der 104. Infanteriedivision dringend medizinische Verstärkung und Versorgung anfordern mussten. Mehr als 400 deutsche Zivilisten, die in unmittelbarer Nähe des Lagers lebten, wurden gezwungen, die Leichen zu bergen. Trotz der Errichtung eines Lazaretts starben in den nächsten Tagen 2.000 Häftlinge.[2] Insgesamt kamen 3.000 Häftlinge in den drei Monaten des Bestehens des Boelcke-Lagers ums Leben..[2]

Der ehemalige Lagerführer Heinrich Josten wurde im Krakauer Auschwitz-Prozess 1947 zum Tode verurteilt und im Januar 1948 hingerichtet. Sein Stellvertreter Kestel wurde im Dachauer Buchenwald-Prozess ebenfalls zum Tode verurteilt und im November 1948 in Landsberg am Lech hingerichtet.

Die Flugzeughangare wurden nach Kriegsende abgerissen. In den 1960er Jahren wurden auf dem Gelände Neubauten errichtet und das Areal zur Ansiedelung von Industriebetrieben genutzt. Seit den 1970er Jahren erinnert ein Gedenkstein an die Opfer des Außenlagers in der Boelcke-Kaserne.

Zitate

  • "Nach den Luftangriffen und der Besetzung Nordhausens durch die US-Armee am 11. April 1945 war das Grauen des Krieges noch in den Gesichtern meiner Eltern abzulesen, wenn mein Vater vom Zwangseinsatz an der Boelcke-Kaserne kam. Männliche Einwohner Nordhausens mussten Hunderte Leichen von KZ-Häftlingen, die dort an Krankheit und Unterernährung gestorben oder durch Bomben der Royal Air Force ums Leben gekommen waren, zu einem Massengrab gegenüber dem Neuen Friedhof tragen. Bevor mein sichtlich erschütterter Vater in die Wohnung trat, versuchte meine Mutter, ihn mit Sakrotan-Lösung von oben bis unten zu desinfizieren." (Manfred Neuber: "Als der Zigarren-Verkäufer die Straßen kehrte", nnz-online, 24. September 2017)

Literatur

  • Wolfgang Benz, Barbara Distel (Hrsg.): Der Ort des Terrors. Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager. Band 7: Niederhagen/Wewelsburg, Lublin-Majdanek, Arbeitsdorf, Herzogenbusch (Vught), Bergen-Belsen, Mittelbau-Dora. C. H. Beck, München 2008, ISBN 9783406529672, Nordhausen (Boelcke-Kaserne), S. 320-321.

Externe Verweise

Einzelnachweise

  1. Jens-Christian Wagner: Gesteuertes Sterben. Die Boelcke-Kaserne als zentrales Siechenlager des KZ Mittelbau. In: Dachauer Hefte 20, 2004, S. 127-138.
  2. 2,0 2,1 2,2 2,3 2,4 Jens-Christian Wagner: Nordhausen (Boelcke-Kaserne). In: Benz; Distel (Hrsg.): Der Ort des Terrors. Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager. Band 7. S. 320 f.
  3. Jens-Christian Wanger: Produktion des Todes. Das KZ Mittelbau-Dora, Göttingen 2001, S. 509
  4. Peter Kuhlbrodt: Schicksalsjahr 1945 – Inferno Nordhausen. 1995, ISBN 3-929767-09-0.