Alte Hohensteiner Gerichtsstätten

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Textdaten
Autor: Fr. Krönig
Titel: Alte Hohensteiner Gerichtsstätten
Untertitel:
aus: Heimatland. Illustrierte Blätter für die Heimatkunde des Kreises Grafschaft Hohenstein, des Eichsfeldes und der angrenzenden Gebiete
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Erscheinungsdatum: 1911 (Nr. 14 & 15)
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Alte Hohensteiner Gerichtsstätten.
Fr. Krönig.

 Im Anschluß an den in Nr. 10 veröffentlichten Aufsatz über das bisher noch nicht bekannt gewesene Gerichtsgehege im Südosten der Grafschaft stelle ich im folgenden das bereits bekannte Material über die übrigen Hohensteiner Gerichtsstätten zusammen:

 Die mittelalterliche Rechtspflege zeichnete sich durchgehends durch große Härte und Grausamkeit aus. Es wurden gewöhnlich Strafen verhängt, für die unsere Zeit kein Verständnis mehr hat. So wurde im Jahre 1593 auf dem Georgenberge bei Bleicherode Nikoll von Horn samt seinem Knechte an den Galgen gehängt, weil er seinen Verwandten etliche Pferde gestohlen hatte. Am 12. März 1557 ließ der Rat von Nordhausen den Einwohner Matthias Krämer wegen Bigamie enthaupten, und noch im Jahre 1740 erlitten zwei sonst unbescholtene Bürger daselbst, nämlich ein Goldschmied und ein Garkoch, wegen Anfertigung und Verbreitung falscher Münzen dasselbe Schicksal. Heutzutage würden die Missetäter mit etlichen Jahren Gefängnis oder Zuchthaus davonkommen, aber die Verhängung der Todesstrafe würde für die erwähnten Vergehen doch ganz undenkbar sein. Andererseits freilich darf auch die Rohheit der Sitten und die Neigung zu Gewalttätigkeiten, die unsern Urvätern eigen waren, nicht übersehen werden.

 Unter solchen Umständen werden wir es erklärlich finden, daß in allen Gauen unseres Vaterlandes eine ansehnliche Zahl von Gerichtsplätzen vorhanden waren, auf denen Vergehen und Verbrechen abgeurteilt wurden. So war es auch in unserer Grafschaft Hohenstein der Fall. Allein an Galgenbergen finden wir hier eine nicht geringe Anzahl, so bei Großbodungen, Wallrode, Wülfingerode, Großberndten, Wenden, Elende, Ellrich, Neustadt unterm Hohenstein und vielleicht auch noch an anderen Orten, denen wohl der Räderberg bei Elende zuzuzählen ist und das umsomehr, als derselbe im Gesichtsfelde der nahen Burg Lohra liegt.

 Die Zahl der Galgenberge findet eine genügende Erklärung in der Art ihrer Entstehung. Auf hervorragenden, anmutig gelegenen Höhen feierten die alten Germanen ihre Feste, opferten den Göttern, verbrannten die Toten und begruben die Asche derselben an Ort und Stelle. Daher kommt es, daß auf vielen dieser Berge Urnen, Schmucksachen und Waffenstücke gefunden werden. Als jedoch das Christentum in unserer Gegend Eingang fand, hörten die Opfer auf und die Toten wurden in geweihter Erde neben der Kirche begraben. Von da ab betrachtete man jene Höhen mit scheuen Blicken. Das heidnische Treiben, das sich dort abgespielt hatte, wuchs in dem bigotten Mittelalter zum Teufelsspuke aus, und jene Orte kamen in Verruf. Man belegte sie, um den Abscheu vor ihnen klar und unzweideutig zum Ausdruck zu bringen, mit dem schimpflichen Namen „Galgenberg“, denn der Tod durch den Strang galt unseren Vätern als die verächtlichste Todesart. Aus dem Opferhügel wurde ein Galgenberg. So erkennen wir in den heutigen Galgenbergen uralte Kultusstätten unserer Väter, denen sie geheiligte Orte waren, während das Christentum sie zu Stätten des Abscheues stempelte und zu Richtplätzen wählte.

 Ob aber auf allen genannten Bergen Hinrichtungen vollzogen sind, darf bezweifelt werden. So befinden sich in unmittelbarer Nähe von Elende 2 Galgenberge und ein Räderberg. Niemand wird behaupten wollen, daß diese 3 Berge zu Exekutionen notwendig waren; ein einziger genügte ja vollkommen und zwar für alle Zeiten, und ähnlich liegt die Sache bei Großbodungen und Wallrode. Und wer sollte wohl eine Hinrichtung auf dem Galgenberge bei Wülfingerode haben vollstrecken lassen? Etwa der Besitzer des dortigen Rittergutes? Mit dem Gute ist niemals die Gerichtsbarkeit über Hals und Hand verbunden gewesen. Oder vielleicht der Graf von Lohra? Dieser ließ die Missetäter bei Elende richten. Und so wird die Sache auch bei den übrigen Galgenbergen liegen, womit aber nicht geleugnet werden soll, daß nicht auf diesem oder jenem der in Frage kommenden Berge ein Dieb oder Mörder gehängt worden ist.

 Nur von dem nördlich von Elende gelegenen Galgenberge wissen wir bestimmt, daß er als Richtplatz gedient hat. Das geht schon aus dem alten Namen desselben hervor; bis vor 100 Jahren führte er den Namen Königslieten, aus dem wir entnehmen dürfen, daß hier einst im Namen des Königs Gericht gehalten worden ist. Im späteren Mittelalter war er der gewöhnliche Richtplatz für die Herrschaft Lohra, wovon die in neuerer Zeit bloßgelegten Schädel Zeugnis geben; denn bekanntlich wurden von den Gehängten nur die Köpfe begraben, während man die Leichname den Raben als Beute überließ. Ja, noch am 14. November des Jahres 1800 wurde eine Hinrichtung dort vollzogen an dem Mädchenmörder Jakob Wernecke aus Mitteldorf.

 Außer den Galgenbergen gab es indessen auch noch andere Gerichtsstätten in der Grafschaft. Waren elftere jedoch nur Richtplätze, so wurden auf letzteren neben den der Aburteilung der Verbrecher auch alle gerichtlichen Verhandlungen gepflogen, die sonst einem ordentlichen Gerichte obliegen. Es wurden daselbst Verträge besiegelt, Verkäufe abgeschlossen, Streitigkeiten zum Austrage gebracht und dergl. mehr.

 Ein solch hohensteinsches Gericht wurde bis zum Jahre 1618 östlich von Haynrode „bei der Hainbuche“ gehalten. Der Baum befand sich einen starken Büchsenschuß nördlich vom Realgrenzsteine am Ascheröder Knick, wurde aber am Anfänge des 17. Jahrhunderts vom Sturme umgeworfen. Unter seinen Zweigen wurde das erwähnte Gericht gehegt. Nach dem Falle der Hainbuche ließ Herzog Julius von Braunschweig, als Besitzer der Grafschaft Hohenstein einen halbmannshohen Stein setzen, wo er alljährlich Montags nach Michaelis durch den Fiskal von Gebra ein „Burgliches Gericht" hegen ließ. Doch fanden in den letzten Jahren vor 1618 wohl keine Verhandlungen hier mehr statt, wie auch außer Schützen, die der herzogliche Vertreter mitbrachte, keine Mannschaft aus den benachbarten Orten gegenwärtig war. Sobald der Fiskal sich auf den Stein setzte, begann die Gerichtssitzung und endigte, sobald er den Sitz verließ und sich auf sein Pferd schwang und davonritt. Die Hegung des Gerichts scheint in den letzten Jahren nur eine leere Formalität gewesen zu sein, die den Zweck hatte, das Recht der Gerichtsbarkeit zu wahren. Nachdem der Herzog die westlichen Gebietsteile der Grafschaft an Schwarzburg hatte abtreten müssen, wurden jene Formen bedeutungslos und das Gericht nahm ein Ende. Der genaue Standort der Heinbuche ist heute nicht mehr nachzuweisen.

 Das höchste weltliche Gericht des Wippergaues fand auf dem Georgenberge statt. Zweifellos ursprünglich ein alter heidnischer Opferplatz, wurde er in fränkischer Zeit als Dingstätte benutzt, so lange die Gauverfassung bestand, was in unserer Gegend bis in den Anfang des 13. Jahrhunderts hinein der Fall war. Mit ihr verschwand auch das Gaugericht auf dem Georgenberge. Doch fanden Gerichtsverhandlungen noch lange nachher auf demselben als auf einem durch Alter und Ansehen hochgehaltenem Orte statt. So wird berichtet, daß anno 1438 ein „hohes Gericht“ daselbst abgehalten wurde, und 1574 teilt der Kurfürst von Sachsen dem Grafen Volkmar Wolf von Hohenstein mit, daß er sich mit dem Halberstädter Domkapitel am 23. März gedachten Jahres „auf der Mahlstatt vor Bleicherode“ verglichen habe. Selbst einige Dörfer des Gerichts gerade wie Bischofferode und Holungen mußten ihr Recht „bei dem hohen Gericht auf dem St. Georgenberge vor Bleicherode“ suchen. Im späteren Mittelalter benutzte Bleicherode den Platz als Richtstätte, und in dieser Zeit ist hier mehr Blut vergossen worden als auf irgend einer andern Stelle der Grafschaft. (Näheres darüber siehe Jahrg. 5 des Heimatlandes.)

 Auch der Lindenhügel bei Hainrode wird als ein alter Gerichtshügel angesehen, doch lassen sich gerichtliche Verhandlungen urkundlich nicht nachweisen. Dagegen wissen wir von der sogen. Schwedenschanze bei Bliedungen, daß hier Gau- oder Centgrafengerichte — so im Jahre 1233 — verschiedentlich stattgefunden haben.

 Eine der ältesten und wichtigsten Gerichtsstätten des Helmegaues, ist „das Wahl“ in Großwechsungen. Das Dorf gehört, wie Karl Meyer in „Aus der Heimath“ ausführt, nicht nur zu den allerältesten unserer Gegend, sondern war auch der Hauptort und Mittelpunkt eines großen Bezirks und wurde in der Richtung von Norden nach Süden von einer alten Heerstraße (Nordhausen — Beuern — Göttingen) durchschnitten. Der älteste Teil des Dorfes ist der mittelste, rings um den großen Dorfplan liegende Teil, über dem auf einer Anhöhe im Westen das „Wahl“, ein mächtig aufgeschütteter mit einer Dinglinde bestandener Hügel, der — jetzt neben dem Schäferhause des Wahlgutes noch vorhanden — als Gerichts- und Opferplatz schon in altheidnischer Zeit sich erhob. Die auf dem Dorfhügel oder Wahl (-Heiligtum) vom Grafen im Dinggerichte verhängte Strafe hieß „Wette“ und deshalb diese Dinggerichtshügel auch Wetteshügel. Orte, welche an einem solchen Wetteshügel gegründet wurden, erhielten die Namen Weddinge oder Wetzungen, Messungen oder auch Witzungen. So bezeichnet der Name Messungen den am Wetteshügel belegenen Ort. Als das Christentum Eingang fand, verlor der heidnische Hügel seine Bedeutung als Kultusstätte; als solche wurde neben demselben die christliche Kirche gebaut, welche dem Apostel Petrus (mit dem Löseschlüssel) und Paulus (mit dem Schwerte) geweiht wurde, weil sie neben dem bisher hochangesehenen Hügel lag, auf dem losgesprochen und bestraft wurde. So knüpfte die christliche Kirche weise an die vorhandenen Verhältnisse an. Als Gerichtshügel wurde das Wahl das ganze Mittelalter hindurch benutzt. Leider sind aus der Zeit, in der die alten Grafen von Clettenberg und ihre Nachfolger, die Grafen von Hohenstein, Landesherren des Wessunger Bezirks gewesen sind, Urkunden über hier abgehaltene Gerichtsverhandlungen nicht auf uns gekommen. Als am 22. Juli 1321 der Ritter Friedrich von Holbach als Vogt des Grafen von Hohenstein Gericht zu Messungen abhielt, geschah das jedoch nicht auf dem Wahlhügel, sondern im Garten des Pfarrers Wiegert.

 Ein anderer Gerichtshügel ist der sogen. „Tempel“ in Mauderode, der wahrscheinlich schon vor der Gründung des Dorfes, die nach 850 erfolgte, vorhanden war. Der Hügel, der mit einem Graben umgeben ist und auf seiner Oberfläche eine mächtige Linde trägt, wird Tempel genannt, welcher Name auf seine ehemalige Bedeutung als Heiligtum, nämlich als Opfer- und Gerichtsplatz in altheidnischer Zeit, hindeuten wird. An der Südwestseite des Hügels wurde die kleine Dorfkirche erbaut, welche wegen des nahen Gerichtsplatzes den hl. Petrus zum Schutzpatron erhielt.

 Ein interessanter Gerichtsplatz im nördlichen Winkel der Grafschaft ist neben dem Spielberg bei Neustadt das Rievenhaupt bei Niedersachswerfen. Der Name Riewenhaupt hat der mit Linden bestandene Hügel — nach Karl Meyer in der Nordhäuser Zeitung vom 19. Okt. 1909 — von einem Riesen (Riewe wie Rübezahl und Reifenstein) und von seiner köpf- oder hauptähnlichen Gestalt. Die Volkssage erzählt, der Hügel sei dadurch entstanden, daß in grauer Vorzeit ein Riese, der durch das Land geschlendert, hier seine Schuhe ausgezogen und ausgeschüttelt habe, weil er gespürt, daß in denselben ihn einige Sandkörner drückten. Die aus den Schuhen ausgeschüttelte Erde bildete den Hügel, und die Sandkörner, die ihn gedrückt, sind die auf dem Hügel liegenden Steine gewesen. Die Geschichte dagegen berichtet anders über den Ursprung und die Bedeutung des Hügels. Dieser ist seit alter Zeit ein durch Menschenhände künstlich aufgeworfener Hügel, ein Aufwurf, der wohl schon in altheidnischer Zeit eine Kultus- und Gerichtsstätte gewesen ist, auf der Opfer dargebracht wurden und unter dem Schutze des schwerttragenden Gottes Sachsnot oder Zin das Dinggericht abgehalten wurde. Weil der Hügel als Opferplatz und Gerichtsstätte unter dem Schutze des Schwertgottes Sachsnot stand und auf ihm mit dem Schwerte (ssx) gerichtet wurde, erhielt er den Namen „Sachswerf“, welcher auf das neben ihm gegründete Dorf überging.

 Ganz ähnlich liegt die Sache bei dem Dorfe Obersachswerfen, bei dem später ein Wahlhügel oder das Wahl befindlich gewesen ist. — Nach Einführung des Christentums erhielt die Kirche des Dorfes Niedersachswerfen den schwerttragenden Apostel Paulus als Schutzpatron,und der Hügel diente nach Ausweis alter Urkunden nur noch als Gerichtsplatz. Die noch jetzt auf dem Hügel liegenden Steine werden die Unterlage der Schöffenbank gewesen sein, auf welcher der Graf oder der Vogt Platz nahm. Rings um dm Hügel herum standen nach alter deutscher Sitte die erwachsenen männlichen Einwohner des Gerichtsbezirks als Gerichts-Umstand. Eine Ilfelder Klosterurkunde berichtet: am 4. Febr. 1290 habe der in (Nieder-) Sachswerfen auf dem Rittergute wohnende Berthold von Lupershausen zu Gunsten des Klosters Ilfeld auf den an dasselbe verkauften Besitz zu Wolffleben feierlich Verzicht geleistet (wahrscheinlich auf dem Riewenhaupt) in Gegenwart der Grafenbrüder Dietrichs ll. und Heinrichs III. von Honstein und zwar öffentlich vor allen Bauern des Dorfes Sachswerfen.

 Von hervorragender Bedeutung war der Nähmen oder Löseberg in Nordhausen als Gerichtsstätte, „lieber dem in der mittleren Cent des thüringischen Helmegaues belegenen Reichsdörfchen Nordhausen und nahe dem Kreuzungspunkte uralter Heerstraßen erhebt sich als höchste Höhe der Petersberg, an dessen Südseite der Rähmenplatz liegt, welcher nach 1356 Lößberg (Löseberg) genannt wird, wohl zum Andenken daran, daß auf diesem Platze seit uralter Zeit das höchste Gericht des Helmegaues, das allgemeine Landgericht, gehegt und abgehalten worden ist. Daß das hohe Gericht auf diesem Berge abgehalten worden ist, wird deshalb vermutet, weil dicht neben demselben der Hof der Klettenberger Grafen lag, der diesen Grafen zum Absteigequartier diente, wenn sie zur Abhaltung des Gerichts nach Nordhausen kamen. „Löseberg“ heißt der Gerichtsplatz, weil man auf ihm losgesprochen wurde oder (ich lösen mußte. Die nahegelegene Kirche ist dem hl. Petrus geweiht, daher Petrikirche gnannt.“

 Es ist dringend zu wünschen, daß die noch vorhandenen Gerichtsstätten sorgfältig geschont und gepflegt werden, denn einmal zerstört, sind sie unwiederbringlich verloren. Der Staat sollte auf diese wichtigsten Kulturdenkmäler seine Hand legen, damit sie vor Beschädigung und Zerstörung geschützt werden. Bis jetzt genießen sie den gewünschten Schutz leider nicht, denn nur so ist es möglich, daß der Wahlhügel in Großwechsungen, wie mir berichtet wurde, teilweise zu landwirtschaftlichen Zwecken abgetragen werden konnte und daß nach Zeitungsberichten im Jahre 1909 die Gefahr vorhanden war, daß das Riewenhaupt bei Niedersachswerfen gänzlich verschwinden sollte. Diese Denkmäler aus ferner Zeit sollten auf unsere Kinder und Kindeskinder ebenso gewiß übergehen, wie sie auf uns gekommen sind. Möge das Beispiel der Stadt Bleicherode, die ihren Georgenberg wie ein Kleinnod hütet und hegt, überall Nachahmung finden!