Überfall auf Steigerthal 1806

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Textdaten
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Autor: Heisebach
Titel: Liebenrode - Perle der Grafschaft
Untertitel:
aus: Nordhausen-Harz und Goldene Aue
Herausgeber:
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1974
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Quelle: Scan
Kurzbeschreibung:
Digitalisat:
Eintrag in der GND: [1]
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Überfall auf Steigerthal 1806
Bericht des Pastors Heisebach


In diesem Jahr wurde der König von Preußen, Wilhelm III., in der unglücklichen Schlacht bei Jena und Auerstedt von dem Kaiser von Frankreich Napoleon gänzlich besiegt und aufs Haupt geschlagen. Dies geschah den 14. Oktober. Er hatte den für uns unglücklichen Erfolg, daß die Preußen ihre Retirade über Nordhausen nahmen und ihnen die Franzosen auf dem Fuße nachfolgten. Den 17. Oktober kamen die Franzosen vor Nordhausen an des Nachmittags um 3 Uhr. Die Preußen widersetzten sich ihnen zwar, aber ohne glücklichen Erfolg. Sie mußten weichen, und Nordhausen wurde noch an dem nämlichen Tage eingenommen, es wurde zum Teil geplündert. Voller Angst und Furcht erwarteten wir hier in Steigerthal, wie es uns gehen werde. Diesen Abend blieb es noch von Franzosen hier rein. Allein, den 18. des Morgens um 10 Uhr erschienen hier auf der Pfarre 3 Mann, welche Lebensmittel und Geld verlangten. Ich gab ihnen einige, wurde aber von einem derselben meines Geldbeutels beraubt. Nicht so bald waren diese 3 Mann fort, als sich 7 andere hier auf der Pfarre einstellten, alle Schränke und Kästen sich öffnen ließen und alles noch vorrätige Geld und an Kleidungsstücken soviel mit sich nahmen, daß sie es nicht tragen konnten, sondern einen Wagen forderten, worauf sie nach 3 bis 4 stündiger Turbation mit allen erplünderten Habseligkeiten abzogen. Alle Einwohner des Ortes standen auf dem freien Platze von hiesiger Pfarre, aber auch nicht ein einziger wagte es, uns in der Pfarre während der Plünderung zur Hilfe zu kommen. Nachdem diese 7 Mann Marodeurs fort waren, blieb es ruhig bis 7 Uhr Abends. Nun erschienen wieder Franzosen auf Requisition in der Schänke. Furcht und Schrecken nötigten mich, mit meiner Frau und 3 Kindern (Töchtern), worunter noch ein Säugling von 1*4 Jahr war, nebst dem hiesigen Cantor Bönicke und dessen Frau nach dem Kirchboden hiesigen Ortes unsere Zuflucht zu nehmen und daselbst die Nacht zu bleiben. Wahrlich, dies war die furchtbarste Nacht meines Lebens und umso furchtbarer, da an mehreren Orten rund um uns herum gestürmt wurde und wir befürchteten, selbst an unserem Zufluchtsorte angegriffen zu werden. Dies geschah nun zwar nicht, und die Nacht ging vorüber. Aber mit neuer Furcht und Schrecken sahen wir dem folgenden Tage entgegen. Dies war der 19- Oktober, oder der 20. Trinität., an welchem das Fest der Reformation hätte gefeiert werden sollen. Schon früh um 5 Uhr wurden Kühe und Schweine der Sicherheit halber zum Dorfe hinaus in die Waldung getrieben. Die Ackerleute flüchteten mit ihren Pferden ebenfalls dahin, nämlich in den alten Stolberg. Ihnen folgten die meisten hiesigen Einwohner. Ich hingegen mit meiner Familie und Schultheiß und Vorgesetzten des Ortes blieben. Allein gegen Mittag kam ein ganzer Zug Franzosen von mehreren hundert Mann mit Kanonen und anderen Artillerie-Sachen auf Steigerthal los. Noch war ich mit meiner Familie vor körperlichen Gewalttätigkeiten verschont geblieben. Es stand aber zu fürchten, daß wir von jetzt ab auch diesen ausgesetzt sein würden. Darum rieten mir die Vorgesetzten hiesigen Ortes, die Pfarre mit den Meinigen zu verlassen und mich ebenfalls in dem alten Stolberg in Sicherheit zu bringen. Dies geschah denn auch von uns so eilig, daß wir darüber vergaßen, Lebensmittel mitzunehmen. Wir mußten daher diesen Tag und die folgende Nacht in der Waldung mit Hunger, Durst und Kälte kämpfend zubringen und jeden Augenblick befürchten, daß die Pfarre und ganz Steigerthal würde in Feuer aufgehen. Den anderen Morgen, da wir erfuhren, daß die Franzosen aus Steigerthal fort wären, so kehrten wir, es war der 20. Oktober, wieder in unsere Behausung zurück. Aber welch schrecklicher Anblick stellte sich uns dar! In der Pfarre waren alle Türen zerschlagen, alle Kisten erbrochen, vollends alle Kleidungsstücke und alles, was nur einigen Wert hatte, selbst das Federmesser nicht ausgenommen, geraubt. Nur die Betten, die Früchte in der Scheuer und einige Stück Kühe waren verschont geblieben. Meine Bücher und Schriften waren auf der Erde herumgestreut. Nicht besser war es dem Kirchenarchiv gegangen. Mit einem Wort, es sah aus wie eine Mördergrube. Wir hatten weder etwas zu essen noch zu trinken. Und so ging es allen Einwohnern hierselbst. In dieser Zeit der Not nahmen wir zu den Bewohnern Urbachs, als wo noch keine Franzosen hingekommen waren, unsere Zuflucht mit der Bitte um einige Brode. Es wurden uns auch sofort von den guten Einwohnern dieses Ortes einige hundert Stück geschickt, wovon ich selbst zwei Stück erhielt, und dieselben mit inniger Rührung und dem wärmsten Dank gegen die gütigen Geber mit den Meinigen verzehrte. In der Folge wurde es ruhiger, ob wir gleich noch eine Woche voller Angst und Bangigkeit lebten, so daß wir nach und nach, da wir Früchte und Vieh, letzteres größtenteils (denn alle Gänse und mehrere Schweine waren getötet) behalten hatten, wieder erholen konnten.“

Soweit Pastor Heisebach. Die 7 Marodeurs, welche oben erwähnt sind, zogen mit ihren Sachsen durchs Dorf, und am Haus des Hintersassen Köhler soll, wie die Alten erzählen, einer gerufen haben: „Na, Vetter Köhler, ist der Kirmeskuchen fertig?“ Dieser angebliche Franzose soll aus Niedersachswerfen gewesen sein und sich nachher seiner in Steigerthal verübten Taten gerühmt haben.