https://nordhausen-wiki.de/api.php?action=feedcontributions&user=Latimer+Rex&feedformat=atomNordhausenWiki - Benutzerbeiträge [de]2024-03-29T05:46:45ZBenutzerbeiträgeMediaWiki 1.41.0https://nordhausen-wiki.de/index.php?title=Luftangriffe_auf_Nordhausen&diff=15763Luftangriffe auf Nordhausen2020-02-16T12:16:27Z<p>Latimer Rex: /* Zitate */</p>
<hr />
<div>[[Datei:Marktkirche Rathaus Nordhausen 1945.jpg|thumb|300px|[[Marktkirche]], [[Altes Rathaus|Rathaus]] und [[Stadthaus]] nach den Luftangriffen]]<br />
Die '''Luftangriffe auf Nordhausen''' am 3. und 4. April 1945 durch Bomber der britischen Royal Air Force zerstörten Dreiviertel der Stadt. Dabei kamen über 8.800 Menschen ums Leben, weitere 20.000 wurden obdachlos. Mit einem Wohnungszerstörungsgrad von 55% (10.000 Wohnungen) gehörte Nordhausen zu den am schwersten zerstörten deutschen Städten; zahlreiche Denkmale von hervorragender Bedeutung, darunter die für Nordhausen charakteristischen Fachwerkbauten des 13. bis 19. Jahrhunderts, wurden vernichtet. Der historische Stadtkern, die Neustadt und die Gebäude um die [[Frauenbergkirche]] wurden fast gänzlich eingeebnet. Erhalten blieben die Gebiete westlich und nördlich der [[Stadtmauer]], [[Barfüßerstraße]], [[Kalte Gasse]], Teile des historischen [[Königshof]]s sowie der Stadtteil [[Altendorf]]. Ein Großteil der stark beschädigten Bauwerke wurde nach dem Zweiten Weltkrieg abgerissen. <br />
Die zerstörerische Gesamtwirkung aller Bomben und Luftminen war von keinem Einzelangriff im Luftkrieg gegen Deutschland auch nur annähernd erreicht worden.<ref>Geiger: ''Nordhausen im Bombenvisier''. S. 150.</ref> Bei der Bombardierung von Nordhausen handelte es sich um die größte Katastrophe in ihrer tausendjährigen Stadtgeschichte. <br />
<br />
== Nordhausen im Krieg ==<br />
Nordhausen hatte vor dem Zweiten Weltkrieg ca. 42.000 Einwohner. Während des Krieges stieg deren Zahl durch Ortsfremde (Luftkriegsevakuierte, Flüchtlinge, ausländische Arbeitskräfte, Verwundete und Kriegsgefangene) Anfang März 1945 auf 65.000 Einwohner.<ref>Peter Kuhlbrodt (Hrsg.): ''Schicksalsjahr 1945. Inferno Nordhausen''. Nordhausen: Archiv der Stadt Nordhausen, 1995. S. 20, 33 </ref> Insbesondere für Evakuierte aus Berlin, Hamburg und Westdeutschland waren Stadt und Kreis Nordhausen als Aufnahmeräume ausgewiesen.<br />
<br />
Der Bau von Luftschutzanlagen begann im Spätsommer 1943. Viele Bunkeranlagen in der Innenstadt blieben unvollendet. Am 29. November 1943 wurde für Nordhausen ein Evakuierungsplan, der Aussiedlungsrichtungen und Aufnahmegebiete festlegte, ausgearbeitet.<ref>Geiger: ''Nordhausen im Bombenvisier''. Nordhausen: Verlag Neukirchner, 2000. S. 65</ref><br />
<br />
{| class="wikitable sortable"<br />
|+ style="padding-bottom:1em" | Bis zum 22. Februar 1945 realisierte Stollenabschnitte<ref>Ullrich Mallis: ''Der Luftschutzstollen am Johanneshof / Neuer Weg. Ein Nordhäuser Baudenkmal'', in: ''[[Nordhäuser Nachrichten. Südharzer Heimatblätter (2/2011)]]'', S. 10.</ref><br />
|- class="hintergrundfarbe6"<br />
! class="unsortable" | Stollenabschnitte !! class="sortable" | Länge !! class="unsortable" | Herstellung !! class="unsortable" | Ausbauart !! class="unsortable" | Bemerkung<br />
|-<br />
| Stollen IA, Mühlhof || style="text-align:right" | 55,00 m<br />
| Okt. 1943 – Febr. 1944 || Beton, 27,5 m nur Holzausbau || Richtung Loge<br />
|-<br />
| Fluko-Bunkerzugang || style="text-align:right" | 2,40 m<br />
| Febr. – März 1944 || Eisenbetongewölbe || IA, > 40 m links<br />
|-<br />
| Kreuz IA-Stummel || style="text-align:right" | 0,50 m<br />
| März 1944 || Eisenbetongewölbe, wie das gesamte Kreuz IA || Drehscheibe<br />
|-<br />
| Stollen IB, Johannishof || style="text-align:right" | 38,50 m<br />
| Nov. 1943 – April 1944 || Beton, 22,5 m mit Firstschienen || noch begehbar<br />
|-<br />
| Stollen von IA nach IB || style="text-align:right" | 66,10 m<br />
| März 1944 – Nov. 1944 || Beton || Durchschlag im Nov. 1944<br />
|-<br />
| Stollen von IB nach IA || style="text-align:right" | 38,25 m<br />
| April 1944 – Nov. 1944 || Beton || Durchschlag im Nov. 1944<br />
|-<br />
| Oststollen, von IA-IB ab || style="text-align:right" | 21,75 m<br />
| Dez. 1944 – Febr. 1945 || Seitenbeton, Art des Firstausbaues nicht benannt || <br />
|-<br />
| Südstollen IC, ab IB || style="text-align:right" | 49,75 m<br />
| April 1944 – Febr. 1945 || || zum Lohmarkt<br />
|-<br />
| class="hintergrundfarbe5" | Gesamt: || style="text-align:right" class="hintergrundfarbe5" | 272,25 m<br />
| class="hintergrundfarbe5" | Okt. 1943 – Febr. 1945 || class="hintergrundfarbe5" | || class="hintergrundfarbe5" |<br />
|}<br />
<br />
Als Garnisonstadt hatte Nordhausen keine ältere Tradition. Ab 1935 wurde im Süden die [[Boelcke-Kaserne]] errichtet, mit Unterkünften und Fahrzeughallen; sie diente der Ausbildung von Luftnachrichtensoldaten. Daneben entstanden ein Fliegerhorst als Ausbildungsplatz und zeitweise Flugzeugwerft. Bis März 1945 wurden hier Flugzeuge für den Mistelschlepp ("Huckepack"-Flugzeuge) montiert und Piloten dafür geschult. Sonst diente der Fliegerhorst 1945 noch zum Auftanken von Jagdflugzeugen. In provisorischen Unterkünften in der Stadt gab es die evakuierte "Marineverwaltung West". In der Stadt und ihrer nahen Umgebung existierten viele Lazarette mit insgesamt etwa 1.000 Verwundeten. Die Lazarette und Krankenhäuser trugen weithin sichtbare große Rotkreuz-Symbole auf den Dächern. <br />
<br />
Das [[Mittelwerk GmbH|Mittelwerk Dora]] bei Nordhausen produzierte Anfang April 1945 keine V-Waffen oder andere Rüstungsgüter mehr. Die dort Beschäftigten, unter ihnen Tausende von Häftlingen des KZ Mittelbau-Dora und Zwangsarbeiter, wurden evakuiert. Das Werk oder seine Verkehrsanbindungen waren nie Ziel alliierter Luftangriffe. <br />
<br />
Die frühere [[KZ-Außenlager Boelcke-Kaserne|Boelcke-Kaserne]] wurde seit Herbst 1943 nicht mehr militärisch genutzt. Sie hatte seitdem Tausende von Arbeitern, später auch Flüchtlinge aufgenommen. Seit 8. Januar 1945 existierte ein bald überfülltes Häftlingslazarett in der Anlage.<ref> Manfred Schröter: ''Die Zerstörung Nordhausens''. Nordhausen: Meyenburg-Museum, 1988. S. 6-8 </ref> Im Februar kamen zeitweise 3.500 Häftlinge aus dem KZ Groß-Rosen dazu.<ref> Walter Geiger: ''Nordhausen im Bombervisier''. Nordhausen: Verlag Neukirchner, 2000. S. 258 </ref><br />
Vom Flugplatz Nordhausen waren im April 1945 die letzten Schulflugzeuge und Flak-Einheiten längst abgezogen worden. Eine kurz vor Kriegsende nach Nordhausen verlegte Marine-Dienststelle bestand lediglich aus Schreibkräften. So trafen die britischen Bomben auf in Kasernen eingesperrte KZ-Häftlinge.("Bad Lauterberger Tageblatt", 3./4. April 1985)<br />
<br />
== Erste Angriffe ==<br />
In der Nacht vom 25. August auf den 26. August 1940 griffen zwei britische Bomber vom Typ Handley Page Hampden den [[Flugplatz von Nordhausen]] an und warfen vier Bomben ab.<ref>Geiger: ''Nordhausen im Bombenvisier''. S. 61 f.</ref> Es entstand ein kleiner Brand, der bald gelöscht werden konnte. <br />
<br />
Von 1940 bis 1943 gab es insgesamt 72 öffentliche Luftwarnungen und Fliegerarlarme für Nordhausen. Als sich die alliierten Luftangriffe im Jahr 1944 auf die im Hinterland gelegenen deutschen Städte intensivierten, wurde Nordhausen verstärkt Überflugsort alliierter Bomberverbände, etwa wenn sie Berlin, Dessau oder Leipzig anflogen. Im März 1945 erreichten die durchschnittlich fünf bis sechs Luftalarme ihren Höhepunkt.<ref>Geiger: ''Nordhausen im Bombenvisier''. S. 98 f.</ref> <br />
<br />
Am 12. April 1944 flogen während der Mittagszeit zwei aus südlicher Richtung kommende amerikanische Jäger die Stadt an und töteten zwei Menschen, zwei Personen wurden schwer verletzt.<ref>Geiger: ''Nordhausen im Bombenvisier''. S. S 221 f.</ref> <br />
<br />
[[Datei:Luftangriffe Nordhausen Traueranzeige.jpeg|thumb|Traueranzeige vom 26. Februar 1945]]<br />
<br />
Am 22. Februar 1945 griffen gegen 12:30 Uhr US-amerikanische Bomber den Verschiebebahnhof an, trafen jedoch die Unterstadt, einige Anlagen des Industriegebietes und die vormalige Fernmeldeschule der Luftwaffe in der [[Boelcke-Kaserne]]. Insgesamt fielen 296 Mehrzweckbomben und töteten 40 Menschen. Im ''[[Südharzer Kurier]]'' erschien am 26. Februar eine Todesanzeige für die „Gefallenen des Terrorangriffs“ mit der Ankündigung zur Beisetzung. <br />
<br />
Am 28. Februar 1945 warfen drei amerikanische Maschinen 2,5 Tonnen Sprengbomben auf die Stadt ab. <br />
<br />
Am 1. April 1945 wurden das Auto-Hotel Hesse durch Bomben getroffen und zahlreiche Menschen getötet.<br />
<br />
== Großangriffe im April 1945 ==<br />
[[File:Avro Lancaster Mk 1 ExCC.jpg|thumb|Langstreckenbomber vom Typ ''Avro Lancaster'', wie sie bei der Bombardierung von Nordhausen zum Einsatz kamen.]]<br />
[[File:Mosquito 600pix.jpg|thumb|Zielmarkierer ''De Havilland Mosquito'' (1944)]]<br />
Am 3. April 1945 starteten gegen 13 Uhr die englischen Bomberverbände und erreichten Nordhausen um 16 Uhr. Die 247 Avro-Lancaster-Bomber (Tragfähigkeit je 6 Tonnen Bombenlast) und 9 Mosquito-Mehrzweckflugzeuge warfen in 20 Minuten ca. 1.216 Tonnen Sprengbomben ab und trafen vor allem die Außenbezirke von Nordhausen.<ref>Groehler: ''Bombenkrieg gegen Deutschland'', S. 422.</ref> Im Stadtinnern fielen Bomben um die [[Neustadt-Kirche]] und [[Neustadtstraße]]. In den umliegenden Wäldern und Ortschaften [[Sundhausen]], [[Bielen]], [[Himmelgarten]], [[Leimbach]] und [[Krimderode]] fielen schwere Bomben und Luftminen. Getroffen wurde auch die mit kranken Häftlingen überbelegte [[Boelcke-Kaserne]], wo allein in einer mit Tuberkulose-Kranken belegten Flugzeughalle 450 Menschen den Tod gefunden haben sollen.<ref>Wagner: ''Produktion des Todes.'' S. 280</ref> Die Stadt ohne Strom und Leitungswasser. Die Verletzten wurden gesammelt und nach [[Neustadt/Harz|Neustadt]] und [[Sülzhayn]] gebracht, die Ausgebombten erhielten Notquartiere in der Stadt selbst und ihrer Umgebung. Viele Nordhäuser flüchteten aus der Stadt. Zwei Stollen der unterirdischen Anlagen von Mittelbau Dora im Kohnstein nahmen bereits am 3. April Geflüchtete auf, später wurden es 10.000. Das Stadtkrankenhaus war beschädigt, die Patienten wurden in Notkrankenhäuser in das benachbarte [[Petersdorf]] gebracht, vor allem in das Ausflugsrestaurant Harzrigi.<ref> Manfred Schröter: ''Die Zerstörung Nordhausens''. Nordhausen: Meyenburg-Museum, 1988. S. 22, 23 </ref> Bomben fielen auch auf mehrere benachbarte Dörfer und deren Flur, besonders betroffen war Bielen. Zwei Bomber gingen beim Hin- und Rückflug verloren. Der erste Angriff erzielte die gewünschte Wirkung jedoch nicht. Der Angriff am 3. April war aus Sicht der RAF ein Misserfolg.<!-- (Quelle?) --> Viele Einwohner zogen am Abend des 3. April zum nahen [[Kohnstein]], wo die mittlerweile fast verlassenen Stollen des Mittelwerks Schutz boten.<br />
<br />
{{Zitat|Die Stadt ist schwer getroffen, aber sie ist noch eine organisierte Gemeinschaft… Gegenseitige und Nachbarschaftshilfe wird geleistet. Die Stadtverwaltung und die Luftschutzleitung setzen ihre Kräfte ein. Rotes Kreuz und die Krankentransporte kommen an die Schwerpunkte. Man leitet die Evakuierung des beschädigten Krankenhauses ein. Die Verletzten des Angriffs werden geborgen, abtransportiert, in den Gaststätten Parkhaus und Kurhaus gesammelt und schließlich nach Neustadt und Sülzhayn weiterbefördert. Die Feuerwehr bekämpft die wenigen Brandherde.|[[Manfred Schröter]]: ''[[Die Zerstörung Nordhausens und das Kriegsende im Kreis Grafschaft Hohenstein 1945]]''}}<br />
<br />
Am 4. April gegen 9 Uhr begann der zweite Großangriff der RAF. Der Verband kam über Gotha, Bad Langensalza und Schlotheim. Für 93 Bomber wurde die Boelcke-Kaserne als Angriffsziel befohlen, die anderen 150 hatten das Stadtzentrum anzugreifen.<ref>Geiger: ''Nordhausen im Bombenvisier''. S. 146 f.</ref> Zwei Bomber mussten frühzeitig zurückkehren, und zehn weitere hatten ihren militärischen Auftrag verfehlt, so dass von den 243 Flugzeugen 231 am Luftschlag teilnahmen. Ein Bomber explodierte über der Stadt. Die örtliche Feuerwehr war, soweit noch vorhanden, von der Lage völlig überfordert. Unter der überlebenden Bevölkerung herrschte Panik, viele verließen fluchtartig zu Zehntausenden das Inferno der Stadt in Richtung Kohnstein. Auch außerhalb von Nordhausen wurde sie von Jagdbombern beschossen.<ref> Manfred Schröter: ''Die Zerstörung Nordhausens''. Nordhausen: Meyenburg-Museum, 1988. S. 26 </ref> Am Abend und in der Nacht war die Stadt ein weithin leuchtendes Flammenmeer.<ref> Peter Kuhlbrodt: ''Schicksalsjahr 1945. Inferno Nordhausen''. Nordhausen 1995. S. 23 </ref> In der Mitte davon leuchtete der Kirchturm von St. Petri als riesige Fackel, die gegen Mitternacht zusammenbrach und auf das Kirchenschiff stürzte. RAF-Piloten, die von einem Einsatz bei Merseburg zurückflogen, berichteten um 23.00 Uhr von „good fires at Nordhausen“.<ref> Walter Geiger: ''Nordhausen im Bombervisier''. Nordhausen, 2000. S. 180 f.</ref> <br />
Der gebürtige Nordhäuser Schriftsteller [[Rudolf Hagelstange]] schrieb in seiner deutschen Familienchronik (Band 2: „Der Niedergang“, Seite 254) über die Feuersbrunst in seiner Heimatstadt: „Und die Hitze war so groß, dass in den meisten Straßen, sofern sie nicht gepflastert waren, der Asphalt geschmolzen war, dass Flüchtende da und dort in ihn eingesunken waren, einige unlöslich und damit zum Flammentod verurteilt.“<br />
<br />
=== Opfer ===<br />
[[Datei:Einwohnerentwicklung von Nordhausen ab 1800.svg|thumb|Einwohnerzahl von Nordhausen ab 1800. Deutlich sichtbar der Höhepunkt 1945]]<br />
Bei den Großangriffen im April 1945 kamen ca. 8.800 Menschen ums Leben. Diese Zahl geht auf Schätzungen vom Februar 1948 zurück.<ref name="Kuhlbrodt125">Kuhlbrodt: ''Inferno Nordhausen''. S. 125 f.</ref> Vor dem Abgriff befanden sich rund 65.000 Personen in der Stadt (42.000 ständige Bevölkerung, Militärpersonen, Gefangene, ausländische Arbeiter, Spezialarbeiter der Kriegsindustrie, Evakuierte). Der Antifa-Ausschuss von Nordhausen schätzte am 17. Juni 1945, dass über 10.000 Menschen bei den Bombenangriffen ums Leben gekommen seien.<ref> Peter Kuhlbrodt: ''Schicksalsjahr 1945. Inferno Nordhausen''. Nordhausen 1995. S. 115 </ref><br />
<br />
In den ersten Tagennach dem Einmarsch der Amerikaner ließ der US-Stadtkommandant in den Straßen liegende Leichen auf den Sonderfriedhof am Schlageter-(heute Stresemann-)Ring bringen. Andere wurden an Ort und Stelle in Bombentrichtern beerdigt. Eine beträchtliche Zahl ziviler Opfer und deutscher Soldaten wurde dann in dem höher gelegenen Teil des heutigen Ehrenfriedhofs in Massengräbern beigesetzt, unweit der getöteten Häftlinge aus der Boelcke-Kaserne. Für die später gefundenen Opfer ohne Anhang wurden Massengräber im vorderen Teil des Alten Hauptfriedhofs in der Leimbacher Straße angelegt. Heute steht an dieser Stelle ein Wohnblock. Auf dem Neuen Hauptfriedhof am Ring sind in den ersten Wochen und Monaten 920 Bombenopfer beerdigt worden.<br />
<br />
{| class="wikitable"<br />
|-<br />
| Verluste der ständigen Bevölkerung || 6.000<br />
|-<br />
| Verluste der nicht ständigen Bevölkerung || 1.500<br />
|-<br />
| Verluste der Häftlinge der Boelcke-Kaserne || 1.300<br />
|-<br />
| zusammen || 8.800<br />
|-<br />
|} <br />
<br />
==== Persönlichkeiten ====<br />
* [[Paul Urban]] (geb. 1892), KPD-Stadtrat<br />
<br />
=== Schäden und Totalverluste ===<br />
<br />
Der Zerstörungsgrad der Stadt wurde mit 74 Prozent errechnet. Die Gesamtfläche des zerstörten Gebietes betrug 810.000 Quadratmeter.<br />
Monate später, als die Opfer beigesetzt sind und die Überlebenden notdürftige Behausungen errichtet haben, ist diese Bilanz des Grauens zu ziehen: von 4.588 Gebäuden in der Stadt Nordhausen bleiben nur 971 unbeschädigt, von 13.075 Wohnungen sind 6.187 völlig und 4.575 teilweise zerstört. Das Stadtzentrum ist ausgelöscht. Von einmal 377 Einzelhandelsgeschäften sind kaum hundert übrig. Sieben Schulen und drei Kinos wurden zerstört, 411 der vordem 685 Handwerksbetriebe sind total- oder teilzerstört, ebenso die Mehrzahl der 109 großen Betriebe der Nahrungs- und Genußmittelindustrie (Nordhäuser Korn und Kautabak).<br />
<br />
==== Kirchen ====<br />
<br />
[[Datei:Petri-Kirche Außenansicht.JPG|thumb|[[St.-Petri-Kirche]]]]<br />
*[[St.-Jakobi-Kirche]]: Am 3. April erheblich durch Bomben zerstört. Reste des Schiffes abgetragen, Turmruine zu DDR-Zeiten beseitigt.<br />
*[[Marktkirche]]: Am 3. April weitgehend zerstört. Ruinenreste abgetragen.<br />
*[[St.-Petri-Kirche]]: Am 3. April bis auf Turm und Chor zerstört, zahlreiche Menschen finden in der Kirche den Tod. Der Turm erhielt 1954 ein Notdach, die übrigen Ruinenteile wurden beseitigt. 1987 wurde ein neuer Turmhelm gesetzt.<br />
* [[St.-Blasii-Kiche]]: Dach und Mauerwerk am 4. April durch Bombentreffer erheblich beschädigt [[Cranachgemälde]] im Auslagerungskeller verbrannt. Bis 1949 Wiederherstellung des Daches, Ausbesserung Mauerwerk, Erneuerung des Inneren.<br />
*[[Nordhäuser Dom]]: Am 4. April schwere Schäden durch Brandzerstörung des Steildaches über der Halle und Vernichtung der Fenster. Noch 1945 Fertigstellung Notdach und Beseitigung der Folgeschäden. 1965 Wiederherstellung des Steildaches in ursprünglicher Form.<br />
*[[Frauenbergkirche]]: Am 4. April durch Bomben schwer zerstört. Erhalten blieben Umfassungsmauern der Chor mit Apside, die Nebenchöre und das Querschiff, vom Langhaus nur Reste des ersten Joches sowie des Westportals. Von 1953 bis 1955 folgten Enttrümmerung und Sicherungsarbeiten.<br />
*[[Frauenbergkloster]]: Am 4. April durch Bombentreffer total zerstört. Gebäudereste wurden nach 1945 entfernt.<br />
<br />
==== Öffentliche Bauten ====<br />
*[[Rathaus]]: Am 4. April bis auf die Umfassungsmauern zerstört, Turm ausgebrannt. Ab 1951 Trümmer entfernt und Wiederaufbau bis 1952, dabei wurden die Erdgeschoßarkaden und das Innere neu gestaltet. Zum ebenfalls schwer zerstörten [[Stadthaus]] wurde der Verbindungsgang wiederaufgebaut, der [[Roland]] restauriert.<br />
*[[Stadtmauer]]: Es entstanden Schäden an der Stadtmauer, wobei besonders die teilweise genutzten Türme und Wiechhäuser betroffen wurden. Nach dem Krieg wurden Ruinen abgetragen und Sicherungsarbeiten durchgeführt. Zur Landesgartenschau 2004 erfolgten umfangreiche Sanierungsarbeiten, besonders um den [[Petersberg]]. <br />
*[[Theatergebäude]]:<br />
<br />
==== Fachwerkbauten ====<br />
[[Datei:Nordhäuser Roland 1945.jpg|thumb|Das ausgebrannte Rathaus mit dem [[Nordhäuser Roland|Roland]], der die Angriffe wie durch ein Wunder überstand]]<br />
[[Datei:Riesenhaus, Riese, Postkarte.jpg|thumb|Postkarte vom [[Riesenhaus]] am Holzmarkt (Lutherplatz) mit dem [[Nordhäuser Riese]]n.]]<br />
Bedeutende Fachwerkhäuser, die zerstört wurden (lt. dem Denkmalpfleger Rudolf<br />
Zießler):<br />
<br />
*[[Bäckerstraße]] 22: Mitte des 18. Jahrhunderts errichteter dreigeschossiger, neunachsiger, verputzter Fachwerkbau mit massivem Erdgeschoß, Satteldach und Zwerhaus. Stichbogenfenster mit einfacher profilierter Rahmung in Dreiergruppen. Betonung der Mittelachse durch ein von Pilastern flankiertes Portal mit gesprengtem Giebel, darauf ruhende Frauen und Wappen sowie durch einen auf Konsolen sitzenden Balkon mit schmiedeeisernem Gitter.<br />
*[[Blasiistraße]] 15: Alte Schule. Errichtet um 1700 als dreigeschossiger stattlicher Fachwerkbau mit hohem Satteldach. Unregelmäßige Fenstergruppierung (im ersten Obergeschoß dreizehn Achsen). Fachwerk mit halben Männern. Obergeschoß vorkragend mit Balkenköpfen und gekehlten Füllhölzern.<br />
*Blasiistraße 21: Bedeutendstes Renaissance-Fachwerkhaus Nordhausens von etwa 1550. Dreigeschossig mit zehn Fensterachsen in unregelmäßiger Gruppierung, Geschosse stark vorkragend. Reich ausgebildetes Schmuckfachwerk mit Balkonköpfen, Knaggen, Füllhölzern und Schiffskehlen. Haupteingang mit kräftigen Gewämdepfosten und halben Sonnen um 1700.<br />
*[[Hagenstraße]] 4: Um 1800 errichtet als zweigeschossiger, verschieferter Fachwerkbau mit zehn Fensterachsen. Eckpilaster, ebensolche toskanische Holzpilaster flankieren die vier Mittelachsen und nehmen einen verschieferten Dreieckgiebel auf. Stichbogenfenster mit einfacher Rahmung und Schlußsteinbetonung.<br />
*Hagenstraße: Ilfelder Hof, ehem. Klosterhof, seit dem ersten Viertel des 18. Jahrhunderts Kurhannoversche Postverwaltung, seit 1853 in Privatbesitz. 1277 angelegt, später erweitert, im 17. Jahrhundert Neubau auf erweitertem Grundriss mit massivem Erdgeschoß und zwei Fachwerkobergeschossen, verschiefert.<br />
*[[Holzmarkt]] (Lutherplatz): „Riesenhaus“. 1375 erstmals erwähntes Patrizierhaus mit massivem Erdgeschoss, zwei Fachwerkobergeschossen und Satteldach. Nach Brand von 1710 im Fachwerk erneuert. Fassade gegliedert durch zwölf Fensterachsen, jeweils in Dreiergruppen angeordnet. Fachwerkkonstruktion mit Wilden Männern. Mittelgiebel mit einem Mann in Ritterrüstung ([[Nordhäuser Riese]]), der eine Lanze hält. 1805 Einrichtung einer Gaststätte, Verputz des Fachwerks und klassizistische Fassadengestaltung. 1927 Endrestaurierung und Wiederherstellung des Fachwerks.<br />
*Jakobikirchplatz 4: Lateinschule. Zweigeschossiger Fachwerkbau von 1493 mit Satteldach. Ständer- und Riegelbau. Vorkragendes Obergeschoß über geschwungene Knaggen. Durchlaufender Fensterbrustriegel.<br />
*Jakobikirchplatz: Pfarrhaus. 1687 errichteter zweigeschossiger Fachwerkbau mit Krüppelwalmdach. Fenstergruppierung unregelmäßig. Stiele und Brustriegel durch Wilde Männer verstärkt. Geringe Auskragung, Balkonköpfe und Schwelle mit einfacheren Profilen. Gefache mit Ziegeln in Mustern ausgemauert. Oberdeutsch beeinflusstes Fachwerk.<br />
*[[Königshof]] 14: Dreigeschossiger Fachwerkbau mit oberdeutschen Stilelementen, ganze und halbe Männer. Um 1780 Verkleidung der Fenster mit Rokokogirlanden.<br />
*[[Krämerstraße]] 11: Verschieferter, zweigeschossiger, fünfachsiger Fachwerkbau mit spätbarockem Volutengiebel. Stichbogenfenster mit Rahmenverkleidung. Erdgeschoss durch Ladeneinbauten verändert.<br />
*Krämerstraße 15: Um 1700 errichteter schmaler dreigeschossiger Fachwerkbau in oberdeutschem Stil mit halben Männern an den Ecken. Balkonköpfe und Füllhölzer mit einheitlichem Profil. Satteldach mit Zwerchhaus.<br />
*[[Lohmarkt]] 2, 4, 20, 21: Nach 1686 errichtete Gerberhäuser. Zwei- bzw. dreigeschossige Fachwerkgebäude im gleichen oberdeutschen Baustil wie Pfarrhaus Jakobikirchplatz. Besonders reich ausgebildet der Türstock mit Renaissanceformen und Inschrift. Satteldächer mit Zwerchhäsern (Ladeluken).<br />
*[[Neustadtstraße]] 27: Zweigeschossiger, elfachsiger Fachwerkbau aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts mit Satteldach. An den Fenstern Rokokoverkleidung.<br />
*Neustadtstraße 35: Zweigeschossiger, achtachsiger Fachwerkbau aus der Mitte des 18. Jahrhunderts auf Sandsteinsockel. Türen und Fenster in Stichbogen mit geschnitzter Rokokoverkleidung.<br />
*Neustadtstraße 47: Dreigeschossiger Fachwerkbau der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts mit Krüppelwalmdach. Rokokofensterbekleidungen handwerklich vereinfacht.<br />
*[[Pferdemarkt]] 17: Dreigeschossiger Fachwerkbau von etwa 1550, niederdeutsch beeinflusst. Auskragung des Obergeschosses mit Balkonköpfen, Knaggen und Füllhölzern. Erdgeschoß baulich verändert.<br />
*[[Sandstraße]] 3, 21, 23, 28: Diese Häuser hinsichtlich der Entstehungszeit und der architektonischen Ausbildung denen der Neustadtstraße entsprechend.<br />
<br />
==== Situation nach dem Großangriff ====<br />
[[Datei:Boelcke-Kaserne-Tote HäftlingeA.jpg|thumb|Einwohner Nordhausens tragen am 12. April 1945 unter Bewachung von Angehörigen der US-Armee tote Häftlinge aus der Boelcke-Kaserne und legen sie davor ab]]<br />
[[File:Nordhausen um 1930.jpeg|thumb|Der Stadtteil [[Altendorf]] blieb weitgehend unzerstört (Luftaufnahme um 1930)]]<br />
Das britische Bomber Command berichtete als Ergebnis der beiden Großangriffe, dass „die Stadt fast vollständig zerstört wurde, inbegriffen die Kasernenblöcke.“<ref> Walter Geiger: ''Nordhausen im Bombervisier''. Nordhausen: Neukirchner, 2000. S. 154 </ref> <br />
Die Situation für die Bevölkerung nach den Angriffen kann nur mit dem Begriff „Inferno“ beschrieben werden. Das Stadtzentrum konnte tagelang nicht betreten werden. Es wüteten noch zahlreiche Brände<ref> Peter Kulhlbrodt: ''Schicksalsjahr 1945. Inferno Nordhausen''. Nordhausen 1995. S. 24</ref>, die Schutthaufen strahlten unerträgliche Hitze aus. Bomben mit Zeitzündern gingen hoch. Über den Trümmerfeldern lag bald Leichengeruch, besonders im Bereich der Boelcke-Kaserne. In den Nächten des 6. und 7. April wurden die Kranken und Verwundeten aus Nordhausen und Umgebung durch alle verfügbaren Fahrzeuge, besonders mit Pferde-Gespannen, in den Kohnstein in Sicherheit gebracht. Die Nordhäuser Bevölkerung verteilte sich nach Schätzungen am 7. April wie folgt: 6.000 (8.800) Opfer tot unter den Trümmern, 6.000 Überlebende noch in der Stadt, 10.000 im Kohnstein und 20.000 in den umliegenden Dörfern, besonders nordöstlich der Stadt.<ref> Manfred Schröter: ''Die Zerstörung Nordhausens''. Nordhausen: Meyenburg-Museum, 1988. S. 30 </ref> Am 8. April flogen 6 Jagdbomber noch einen Tagesangriff nach Zielmarkierung auf Nordhausen, parallel zu dem Bombardement auf [[Sondershausen]]. Am 10. April näherten sich US-Panzer aus Richtung [[Hain (Kleinfurra)|Hain]] dem Süden der Stadt und nahmen ihn unter Feuer, darunter die Trümmer der Boelcke-Kaserne.<ref> Manfred Schröter: ''Die Zerstörung Nordhausens''. Nordhausen: Meyenburg-Museum, 1988. S. 37 </ref><br />
Die britischen Bomber-Staffeln stießen bei den Angriffen an beiden Tagen auf keinerlei deutsche Luftabwehr. »Null« lauten jeweils die Eintragungen in den Rubriken »Flak« und »Einsatz von Jagdflugzeugen«. Am 8. April nahmen alliierte Flugzeuge »Aufnahmen von exzellenter Qualität« vom zerstörten Nordhausen auf. In dem angefügten Bericht heißt es: »Das Herz von Nordhausen wurde durch die beiden Angriffe verwüstet, und zwar von den nordwestlichen Außenbezirken über das Stadtzentrum bis hin zum Flugplatz und den Kasernen der Luftwaffe am Helme-Fluss im Südosten. Im militärischen Bereich wurden nahezu alle Gebäude schwer getroffen und völlig oder teilweise zerstört. Schwerer Schaden entstand am Flugkontrollturm, dem Wachraum und einem großen Hangar am Nordrand des Flugfeldes. Nahe der Bahnanlagen wurden Industriebetriebe und das Gaswerk getroffen, wobei drei Gasometer zerstört wurden.«<ref>''Bad Lauterberger Tageblatt'', 3./4.April 1985</ref><br />
<br />
== Nachwirkungen ==<br />
Insgesamt waren vom britischen Bomber Command 2.386 Tonnen und von der 8. US Air Force 296 Tonnen Bombenlast auf Nordhausen abgeworfen worden.<ref> Olaf Groehler: ''Bombenkrieg gegen Deutschland''. Berlin: Akademie-Verlag, 1990. S. 449 </ref><br />
Eine der am längsten nachwirkenden Folgen der Luftangriffe für die Bürger der Stadt blieben Hunderte von Blindgängern aller Kaliber: zwischen den Trümmern der Stadt und im Erdreich der Straßen, Gärten und Felder. In den ersten Jahren machten sich die Feuerwerker Jochen Nebel und Albin Diebler sehr verdient um die Entschärfung gefundener Bomben, ab 1962 der - deshalb zum Ehrenbürger ernannte - Helmut Zinke. Im Stadtgebiet wurden 1948 bis 1953 etwa 100 Bomben entschärft, dann 248 Blindgänger von 1954 bis 1999 entzündet und geräumt.<ref>Walter Geiger: ''Nordhausen im Bombervisier''. Nordhausen, 2000. S. 263-264 </ref> <br />
<br />
Noch 2014 gilt eine Verordnung in Nordhausen, nach der jeder Bürger, der bauen will, sicherstellen muss, dass unter seinem Grund und Boden kein Gefahrgut liegt.<ref>Katja Dörn: ''Die Gefahr rostet im Thüringer Boden''. Thüringische Landeszeitung, 12. Dezember 2014 </ref><br />
<br />
Auswahl weiterer Funde von Blindgängern:<br />
* 1996: 250-Kilogramm-Blindgänger wird gesprengt<br />
* 2008: 227-Kilogramm-Bombe in der Altstadt<br />
* 2010: Fünf-Zentner-Bombe am [[Taschenberg]] entdeckt, 4.500 Menschen wurden evakuiert, Bombe konnte nicht entschärft werden<br />
* Juni 2016: Kontrollierte Sprengung einer 800-Kilogramm-Bombe, Leimbach und Steigerthal mussten geräumt werden (1.080 Einwohner) <br />
* Dezember 2016: Fünf-Zentner-Bombe am [[Strohmühlenweg]], ca. 1000 Einwohner, so auch die Hochschule Nordhausen, wurden evakuiert<br />
* September 2017: Bombe auf einem Feld in der [[Windlücke]], ca. 3000 Einwohner evakuiert, Bombe entschärft<ref>https://www.nnz-online.de/news/news_lang.php?ArtNr=219719</ref><br />
* Oktober 2018: Bombe in der Windlücke, ca. 3000 Einwohner evakuiert, Bombe entschärft<ref>https://www.nnz-online.de/news/news_lang.php?ArtNr=243515</ref><br />
* November 2018: Bombe in Bielen, 1.1000 Einwohner wurden evakuiert (Sperrzone 1 Kilometer), Bombe entschärft<br />
* August 2019: 225-Kilogramm-Bombe an der [[Zorge]], 2.500 Einwohner wurden evakuiert (Sperrzone 500 Meter), Bombe entschärft und Zünder gesprengt<br />
* November 2019: 225-Kilogramm-Bombe am [[Stadttheater]], ca. 15.000 Einwohner wurden evakuiert (Sperrzone 1 Kilometer), Bombe entschärft und Säurezünder gesprengt. Es war die größte Evakuierungsaktion in Nordhausen nach dem Zweiten Weltkrieg.<ref>MDR, 8. November 2019</ref><br />
<br />
== Rezeption ==<br />
[[Datei:Nordhausen mahnt 1949.jpg|thumb|200px|Werbeplakat zur Ausstellung „[[Nordhausen mahnt - Ausstellung vom 6. bis 27. März 1949|Nordhausen mahnt]]“ im März 1949]]<br />
Luftangriffe waren im Zweiten Weltkrieg für alle Kriegsparteien zum entschiedenen strategischen Kriegskonzept geworden. Die Westalliierten glaubten durch die planmäßige und massive Zerstörung deutscher Städte, vor allem der Wohngebiete der Industriearbeiter, die Moral und den Widerstandswillen der Bevölkerung zu brechen und den Krieg schneller beenden zu können.<ref>Johannes Volker Wagner: ''Bomben auf Bochum''. S. 3.</ref> Im Januar 1943 einigten sich Großbritannien und die Vereinigten Staaten in Casablanca auf die Forderung nach bedingungsloser Kapitulation des Deutschen Reiches und auf eine weitere Verschärfung des Bombenkrieges. Zu dieser Zeit war die deutsche Luftabwehr längst nicht mehr in der Lage, das Reichsgebiet zu verteidigen. Die Alliierten erreichten ihr Ziel der Demoralisierung jedoch nicht, und viele Deutsche klammerten sich in Verzweiflung an die Hoffnung auf einen „Endsieg“.<br />
<br />
<!-- Auszug aus „Winston Churchill“. Der späte Held, eine Biographie von Thomas Kielinger, erschienen im Verlag C.H. Beck, Kapitel XY, Seite 301 ff.: Nach dem Kriege stand eine andere Verantwortung Churchills im Vordergrund – „für die Vernichtung von nahezu 60 der größten Städte Deutschlands“. „Mit dem Untergang Dresdens sind auch nachdenkliche Briten bis heute nicht fertig. Die Zweifel, ob die Zerstörung dieser und anderer Städte so kurz vor dem nahen Kriegsende zu rechtfertigen war, haben sich längst zu dem Urteil verdichtet: Sie war es nicht! ... Hilft es zur Erklärung darauf hinzuweisen, dass in der Schlussphase des Krieges deutsche V1- und V2-Waffen weiterhin Zerstörung auf Antwerpen, Paris und London regnen ließen? Eine V2 schlug noch am 27. März 1945 im Osten Londons ein und tötete 134 Menschen. Die britische öffentliche Meinung hätte es nicht verstanden, wenn die mili-tärische Führung auf Schonung des Gegners geschaltet hätte, wo dieser bis zum Ende Vernichtung spie.“<br />
<br />
„Aber die alte Frage bleibt, die Lothar Kettenacker 2003 in dem Sammelband „Ein Volk von Opfern?“ noch einmal stellte – „ob der Zweck die Mittel heiligt, ob die Beseitigung einer unheilvollen Diktatur die rücksichtslose Bombardierung der Bevölkerung rechtfertigt. Unbehagen äußerte Churchill selbst schon 1943, als ihm Bilder von den Auswirkungen der Bomben in Deutschland vorgelegt wurden ...“ Der Australier Ricard Casey, der an den Sitzungen des britischen Kriegsrates ... teilnahm, schrieb am 27. Juni 1943 in sein Tagebuch: „Es wird ein Film gezeigt über das nächtliche Bombardement einer deutschen Stadt, und plötzlich richtet sich Churchill steil in seinem Sessel auf und sagt zur mir: ‚Sind wir Bestien? Gehen wir nicht zu weit? <br />
<br />
Churchills Meinungen zum Bombenkrieg gegen Deutschland schwankten. Nach der Zerstörung Dresdens begegnet man bei ihm, spät, einer eindeutigen Ablehnung, so in dem berühmten Memorandum vom 28. März 1945:‚Der Moment scheint mir gekommen, wo die Frage der Bombardierung deutscher Städte zum Zwecke der Erhöhung des ''''terrors'''' (in Englisch mit der Bedeutung von Angst und Schrecken) auch wenn wir andere Vorwände nennen, überprüft werden sollte... Es ist nötig, dass wir uns mehr auf militärische Ziele konzentrieren wie Öllager und Kommunikationszentren hinter der unmittelbaren Kampfzone, statt auf Akte des reinen terrors und der mutwilligen Zerstörung’.“<br />
„Nicht umsonst nannte man Harris auch den ‚butcher’, den Metzger. . . Schon Max Hastings (stockkonservativer Historiker) nannte in seinem Klassiker von 1979 ‚Bomber Command’ die Auslöschung deutscher Städte noch im Frühjahr 1945 ‚einen bleibenden Schandfleck’,“ soweit Kielinger. Nach Kriegsende zog sich Harris verbittert nach Südafrika zurück, weil er sich nicht gebührend geehrt vorkam. Luftangriffe hatte Harris als „relativ humane Methode“ bezeichnet. Butcher wurde er nicht wegen der zivilen Bombenopfer in Deutschland genannt, sondern weil 55 000 Angehörige des Bomber Command vom Feindflug nicht heimkehrten – jeder zweite Pilot und Bordschütze. --><br />
<br />
Im März 1945 hatte sich das Angriffstempo der US-Streitmacht im Vergleich zu den Vormonaten verlangsamt.<ref name="Gewiger158">Geiger: ''Nordhausen im Bombenvisier''. S. 158 f.</ref> Um dennoch den Stoß in das Zentrum Deutschlands als strategisches Ziel zügig fortzuführen, waren die Westalliierten zum Einsatz aller Mittel entschlossen, auch in Anbetracht eventuell noch bevorstehender Kämpfe und Widerstand im Südharz. Die Stadt Nordhausen erhielt daher militärische Bedeutsamkeit für die 1. US-Armee, auch wegen des Verschiebebahnhofs für Truppenbewegungen. Der unterirdische Rüstungsbetrieb im [[Kohnstein]] und das [[Konzentrationslager Dora Mittelbau]] wurden dagegen nie zum Ziel von Luftangriffen. <br />
<br />
Nordhausen und Umgebung wurden Ende 1944 von britischen Fernaufklärern nachts unter tagheller Beleuchtung durch Magnesiumbomben sorgfältig aus der Luft fotografiert.<ref>Manfred Schröter: ''Die Zerstörung Nordhausens''. Nordhausen 1988, S. 55</ref> Die Bombardierung von Nordhausen wurde am 2. April 1945 vom Alliierten Oberkommando (SHAEF) befohlen.<ref name="Gewiger158"/> Gefordert wurde ein Angriff zur Unterstützung der 1. US-Armee mit Priorität zur frühestmöglichen Gelegenheit. Einige Tage zuvor wurde vom SHAEF die Zerstörung durch die RAF beschlossen.<ref>Manfred Schröter: ''Die Zerstörung Nordhausens''. Meyenburg-Museum Nordhausen, 1988, S. 54–55</ref><br />
<br />
Dieses, geführt von Luftmarschall Arthur Harris, erteilte am 2. April den unmittelbaren Befehl für einen Doppelschlag an zwei Tagen.<ref>Walter Geiger: ''Nordhausen im Bombervisier''. Nordhausen 2000, S. 108–109</ref> Der Zweck der RAF-Angriffe im April 1945 bestand darin, den Weg für einen ungehinderten Vormarsch von der im Südharzer Raum erwarteten Gegenwehr freizumachen. 3.466 britische Soldaten sollten als fliegendes Personal an den Angriffen teilnehmen. Ihnen wurde als Ziel des Angriffs erklärt: „To kill military and Nazi personnel evacuated from Berlin to these barracks“ (gemeint das Areal der Boelcke-Kaserne und die Stadt Nordhausen).<ref>Geiger: ''Nordhausen im Bombenvisier''. S. 121 </ref><br />
<br />
<!-- Bitte Quelle angeben!(Wie aus dem Text eindeutig hervorgeht: Der genannte Journalist und Gesprächspartner Dr. Meyers!) Der gebürtige Nordhäuser [[Manfred Neuber]], als Journalist von 1960 bis 1963 in London und New York, recherchierte als erster bei der Royal Air Force und der US Air Force über die Luftangriffe auf Nordhausen. Aus den detaillierten Angaben ging hervor, dass allein Bomber der Royal Air Force Nordhausen angegriffen hatten. Die SED-Propaganda hatte behauptet, es habe sich um „amerikanische Terrorangriffe“ gehandelt. So stand es auch Jahre auf der Gedenkstele für die Opfer der Luftangriffe neben dem Alten Rathaus. Neuber hatte Gelegenheit, im Jahre 1964 in Bad Lauterberg mit Dr. [[Herbert Meyer]], Oberbürgermeister Nordhausens vor Kriegsende 1945, über die Bombenangriffe zu sprechen. Dabei widerlegte Meyer noch Jahre nach dem Kriege kursierende Gerüchte, die Luftangriffe hätten eigentlich der Stadt Gotha gelten sollen. Weil die Verantwortlichen dort kapituliert hätten, sei Nordhausen angegriffen worden, weil es nicht ebenso gehandelt habe. Meyer versicherte, es habe keine Aufforderung zur Übergabe der Stadt gegeben. Zum Zeitpunkt der Luftangriffe standen die US-Panzerspitzen noch im Raume Kassel. <br />
<br />
Im Luftkrieg der Westalliierten über Deutschland kamen mehr als 600 000 Personen der Zivilbevölkerung ums Leben (WELT 28.6.2012). [Bitte hier Beleg aus Sekundärliterastur liefern] Durch deutsche Bomben und Raketen auf zivile Ziele in England starben 42 000 Einwohner. „Wir werden ihre Städte ausradieren“, hatte Adolf Hitler am 4. September 1940 gedroht, als die Luftwaffe englische Städte bombardierte. „Der Krieg ist nach Nordhausen zurückgekehrt“, schrieb Jens-Christian Wagner, ehemals Leiter der KZ-Gedenkstätte Dora, 2015 zum Jahrestag der Luftangriffe auf Nordhausen („Nordhäuser Allgemeine“, S.1 Lokalteil). --><br />
<br />
=== Vermutungen und Gerüchte über den Großangriff ===<br />
<br />
* Nordhausen soll Aufforderung zur kampflosen Übergabe ausgeschlagen haben.<br />
** Der Nordhäuser Oberbürgermeister bei Kriegsende, [[Herbert Meyer]], widersprach dieser Darstellung in einem Gespräch mit dem Journalisten Manfred Neuber um 1964 in Bad Lauterberg: „An die Stadtverwaltung ist niemals bis zu den Angriffen eine Aufforderung der Amerikaner ergangen, Nordhausen zur offenen Stadt zu erklären. Ich möchte bezweifeln, dass sie an Kreisleiter Nentwig ergangen ist.“<ref name="Sting252">Heinz Sting: ''Das 1000-jährige Nordhausen und der schöne Südharz''. Hannover: Nordhäuser Heimatfreunde, 1965. S. 252.</ref> In den ersten April-Tagen 1945 standen die Panzerspitzen von US-General Patton noch vor Kassel, seine Truppen nahmen zu der Zeit gerade Fulda und Bad Hersfeld, Wasungen und Meiningen ein.<br />
* Nordhausen wurde durch die US-Luftwaffe zerstört.<br />
** Es ist unbestritten und belegt, dass britische Bomber die Stadt zerstörten. „Die Einsatzbefehle der 8. US-Luftflotte sahen weder am 3. noch am 4. April 1945 Nordhausen als Ziel vor. Die Operationsberichte der 8. Luftflotte geben auch keinen Großangriff auf Nordhausen an einem dieser beiden Tage an. Der Hauptzielplan für die amerikanischen Heeresflieger in Europa während des Zweiten Weltkrieges führt ebenfalls keinen Angriff auf Nordhausen im April 1945 auf“, teilte das amerikanische Aerospace Studies Institute auf Anfrage des Journalisten Manfred Neuber zu Beginn der 1960er Jahre schriftlich mit. „Aus anderen Quellen ist zu entnehmen“, gab der Leiter für geschichtliche Studien an diesem Institut der US Air Force University auf der Maxwell Air Base in Montgomery/Alabama, bei den Recherchen des Journalisten zu Protokoll, „dass am 3.und 4 .April 1945 vom Bomber Command der Royal Air Force schwere Angriffe auf Nordhausen geflogen wurden.“ Diese Angaben wurden von der Air Historical Branch im britischen Verteidigungsministerium (damals noch Ministry of War) dem Rechercheur bestätigt. Alle hier aufgeführten Originaldokumente wurden dem Stadtarchiv Nordhausen übergeben.<br />
<br />
* Nordhausen wurde anstelle Gothas bombardiert.<br />
** Diese Behauptung wurde u. a. von [[Kurt Kohlmann]] aufgestellt. So berichtete er von zwei US-Offizieren, die entsprechende Aussagen getätigt haben sollen: „Sie erzählten mir, der Kreisleiter von Nordhausen sei dreimal aufgefordert worden zu kapitulieren. Nachdem die Faschisten das dritte Mal abgelehnt hätten, sei ein auf Gotha angesetzter US-amerikanischer Bomberverband nach Nordhausen umgeleitet worden.“<ref name="Rudloff138">Jost-Dieter Rudloff: ''Warum wurde Nordhausen eine Woche vor Kriegsende 1945 in Brand gesetzt? Informationen und Überlegungen''. In: ''Beiträge zur Geschichte aus Stadt und Kreis Nordhausen (Band 44/2019)'', S. 138.</ref> Dies wurde ebenfalls von Herbert Meyer als unglaubwürdig zurückgewiesen.<ref name="Sting252"/><br />
<br />
* Nordhausen wurde wegen der Raketen-Produktion im Kohnstein bombardiert.<br />
** Den Alliierten war bekannt, dass sich im Kohnstein ein Rüstungsbetrieb befand, nicht jedoch, dass dort die V-Waffen gefertigt wurden.<ref>Jürgen Möller: ''Konzentrationslager Mittelbau-Dora''. Bad Langelsalza 2018, S. 33.</ref> Der Kohnstein war wegen der Kriegsgefangenenlager kein Angriffsziel.<ref name="Rudloff138"/><br />
<br />
* Die Nordhäuser Bevölkerung sollte wegen dem Konzentrationslager Dora-Mittelbau bestraft werden.<br />
** Dies wird durch kein Dokument der Alliierten bestätigt.<br />
<br />
* Nordhausen wurde aus militärischen Gründen bombardiert.<br />
** Die Stadt war verkehrstechnischer Knotenpunkt und Mittelpunkt der Nordthüringer Rüstungsindustrie und wurde auch von der deutschen Armeeführung als wichtig wahrgenommen.<ref name="Rudloff140">Jost-Dieter Rudloff: ''Warum wurde Nordhausen eine Woche vor Kriegsende 1945 in Brand gesetzt? Informationen und Überlegungen''. In: ''Beiträge zur Geschichte aus Stadt und Kreis Nordhausen (Band 44/2019)'', S. 140.</ref> Für das US-Militär bildete die Stadt kein strategisches Ziel mehr.<ref name="Rudloff140"/> Nordhausen erhielt militärische Bedeutsamkeit für die Bodentruppen der 1. US-Armee, auch wegen des Verschiebebahnhofs für Truppenbewegungen. Die Schonung der Rüstungsbetriebe mit ihrem Personal ergab sich aus der Hoffnung, möglichst viele Waffen und Fachkräfte zu erbeuten.<ref name="Rudloff140"/> Es gibt keinen Hinweis darauf, dass Nordhausen aus militärischen Gründen bombardiert wurde.<ref name="Rudloff140"/> Den Befehl des SHAEF vom 2. April 1945, „hochrangige Nazis aus Berlin in Erfurt und Nordhausen bei der frühestmöglichen Gelegenheit zu töten“, legte Harris auf seine eigene Weise aus:<br>Noch einmal wollte er für die deutschen Bombenangriffe deutsche Industriearbeiter büßen lassen. Sein Stab bereitete einen alles bisher übertreffenden Schlag unter Nutzung der kritischen Mindestwerte gegen die deutsche Zivilbevölkerung vor.<br>Als kritische Mindestwerte für die Entstehung eines Flächenbrandes werden<br />
#eine Fläche von ca. 1,3 km² (d.h. 0,5 square miles) und<br />
#39 Kilogramm brennbare Substanz pro m² (d.h. 8 pounds per square foot) genannt.<br>Die Stabsoffiziere des „Bomber Commands“ markierten ein Bomben-Zielgebiet von etwa 1,9 km² in der dicht besiedelten Nordhäuser Altstadt. In dieser mittelalterlichen Baustruktur mit Fachwerkhäusern war mit einer brennbaren organischen Substanz (mindestens 39 kg/m²) aus Menschen, Tieren und Holzbauten von 74.100 kg zu rechnen. Dies entspricht der brennbaren organischen Substanz von 990 Menschen mit einem Durchschnittsgewicht von 75 kg (technische Kennziffer für Fahrstuhldimensionierung). Am Ende starben mehr als 8.800 Menschen durch die Luftangriffe.<br />
<br />
== Aufarbeitung und Gedenken ==<br />
=== 1945 bis 1990 ===<br />
==== DDR ====<br />
Bis zur Wiedervereinigung hielt sich die Behauptung, die United States Air Force habe Nordhausen am 3. und 4. April 1945 bombardiert. Zum einen wurde der US-Luftwaffe vorgehalten, dass die Angriffe auf Nordhausen ein Akt blinder Zerstörung und militärisch sinnlos gewesen seien, da das Ende des Dritten Reiches absehbar war. Andererseits wurde mit der „Gotha-Legende“ behauptet, dass Nordhausen bis zum Letzten verteidigt werden sollte und es deshalb zum Luftangriff kam. Damit wurde die Verantwortlichkeit für das Bombardement wahlweise den lokalen NS-Amtsträgern oder den USA zugeschrieben. <br />
<br />
Ein Interesse an einer realistischen Rekonstruktion hatte die SED auch aufgrund der Situation des Kalten Krieges nicht.<br />
Zum 40. Jahrestag der Luftangriffe wurde in der Lokalpresse erstmals von „250 britischen Lancaster-Maschinen“ berichtet.<ref>„Die Zerstörung Nordhausens - Mahnung und Verpflichtung“, ''Das Volk'', 2. April 1985.</ref> Eine Korrektur der Geschichte fand jedoch nicht statt, und auch danach war mitunter vom „Zerstörungsangriff amerikanischer Bomber“ die Rede.<ref>''Unser Aktuelles Argument'', April 1985.</ref> Für die in der DDR-Propaganda kolportierte öffentliche Erinnerung erklärt sich aus dem politischen Bedürfnis, die „imperialistischen“ Angreifer als möglichst grausam und skrupellos erscheinen zu lassen, im Sinne antiamerikanischer Propaganda.<ref name="Winter63">Winter: ''Öffentliche Erinnerungen an den Luftkrieg in Nordhausen 1945 - 2005''. Marburg: Tectum-Verl., 2010. S. 63.</ref> <br />
Mit Verweis auf die Luftangriffe auf Nordhausen wurde auf tatsächliche oder vermeintliche aktuelle militärische Bedrohungen oder Konflikte Bezug genommen, z. B. auf den Vietnamkrieg. <br />
<br />
Insgesamt war die Nordhäuser Luftkriegserinnerung gekennzeichnet von einer eigentümlichen „Verwischung der Grenze zwischen Faktizität und Fiktionalität“, die nach dem Historiker Martin Sabrow typisch für das Geschichtsdenken in der DDR war.<ref>Martin Sabrow: ''Einleitung - Geschichtsdiskurs und Doktringesellschaft'', Potsdam: Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam (ZZF), 2000. S. 24.</ref><br />
<br />
Der Versuch einer wirklichen Aufarbeitung in der DDR wurde erstmals 1985 angestoßen, als [[Manfred Schröter]] anlässlich des 40. Jahrestages eine Publikation veröffentlichen wollte. Darin wurde dargelegt, dass die RAF und nicht die USAF für den Angriff im April 1945 verantwortlich gewesen war. Nachdem Schröters Buch nach Begutachtung und Korrektur durch den Historiker Olaf Groehler sowie der SED-Kreisleitung und Bezirksleitung in Druck gegangen war, konfiszierte die Kreisleitung am 29. März 1985 die gesamte Auflage und verhinderte eine Veröffentlichung.<ref name="Winter62">Winter: ''Öffentliche Erinnerungen an den Luftkrieg in Nordhausen 1945 - 2005''. Marburg: Tectum-Verl., 2010. S. 62.</ref> Vorausgegangen war ein öffentlicher Vortrag Schröters am 14. März 1985, in dem er seine Ergebnisse (im Beisein von Stasi-Spitzeln) vorstellte.<br />
<br />
Das Gedenken an die Luftangriffe wurde zu DDR-Zeiten auch stark mit dem Wieder- bzw. Neuaufbau der Stadt verwoben. In den ersten Jahren nach dem Krieg wurde vor allem zur Mithilfe agitiert, um durch das „Aufbauwerk“ einer „glücklichen, friedlichen und sonnigen Zukunft“ entgegenzutreten.<ref>„Aufbauerfolge dürfen nicht preisgegeben werden,“ ''Das Volk'', 7. April 1953.</ref> Ab Ende der 1950er Jahre verwies die SED auf die bisher erzielten Erfolge. Zum 40. Jahrestag der Bombardierung 1985 behauptete Oberbürgermeister [[Peter Heiter]], dass die Jahre des Sozialismus die erfolgreichsten in der über tausendjährigen Stadtgeschichte gewesen seien und verwies auf die Rolle der Partei als entscheidender Faktor für das Erreichte.<ref name="Winter81">Winter: ''Öffentliche Erinnerungen an den Luftkrieg in Nordhausen 1945 - 2005''. Marburg: Tectum-Verl., 2010. S. 100.</ref> <br />
Ein wichtiges Großereignis war die Instandsetzung des [[St.-Petri-Kirche|Petri-Turms]] mit einer neuen Turmspitze zum 42. Jahrestag 1987 als „wiedererstandendes Wahrzeichen“.<ref>„Kupferhelm für den Petriturm“, ''Das Volk'', 7. April 1987.</ref><br />
In der Festschrift (1050 Jahre Nordhausen", 1977 herausgegeben vom Magistrat, heißt es: "Für den ausgesprochenen Terrorcharakter der anglo-amerikanischen Luftangriffe spricht auch, dass die Hauptstraßen des Schienen- und Straßenverkehrs funktionstüchtig blieben und die militärischen Anlagen der Stadt, insbesondere das Flugplatzgelände, weiter den Machthabern des Dritten Reiches für ihre verbrecherische Politik zur Verfügung standen."<br />
Die Festschrift hebt hervor: "Das heutige Nordhausen entwickelt sich dank der schöpferischen und angestrengten Arbeit der Arbeiterklasse und aller Bürger unserer Stadt, auf festen sozialistischen Fundamenten. Ständig entsteht Neues, man braucht sich nur umzuschauen." Dagegen bemerkte das "Bad Lauterberger Tageblatt" (Ausgabe vom 3./4. April 1985, Seite 3): "Der Wiederaufbau Nordhausens begann erst sehr spät und sehr schleppend. Noch immer bildet der alte Stadtkern eine weithin kahle Fläche."<br />
<br />
==== BRD ====<br />
<br />
In der Bundesrepublik wurde das Gedenken von dem Verein [[Nordhäuser Heimatfreunde]] getragen. Die erste gedruckte Ausgabe der Vereinszeitung ''[[Nordhäuser Nachrichten]]'' widmete sich der Zerstörung Nordhausens, und auch in den folgenden Jahren bildete es ein wiederkehrendes Themenfeld mit zahlreichen Erlebnisberichten. Die Rolle des Vereinsvorsitzenden und früheren Nordhäuser NSDAP-Oberbürgermeisters [[Heinz Sting]] zum Gedenken wird kritisch gesehen.<ref name="Winter83">Winter: ''Öffentliche Erinnerungen an den Luftkrieg in Nordhausen 1945 - 2005''. Marburg: Tectum-Verl., 2010. S. 83 ff.</ref> So sei Sting zwar bemüht gewesen, klarzustellen, dass nicht die US-Luftwaffe die Stadt bombardierte, doch zeigte er sich auch bestrebt, die Rolle des Nationalsozialismus zu relativieren.<br />
<br />
Diese historischen Fakten hatte der Journalist [[Manfred Neuber]] schon vor 1965 in US- und britischen Archiven ermittelt und publiziert (''Bad Lauterberger Tageblatt'' um 1964 und am 3./4. April 1985 in „Das Drama von Nordhausen“, in der ''Herzberger Zeitung'' und im späteren ''HarzKurier'' in Herzberg, im ''Göttinger Tageblatt'' sowie Erwähnung in den ''Nordhäuser Nachrichten'').<br />
[[Herbert Meyer]], Oberbürgermeister Nordhausens in den letzten Kriegstagen und später Stadtdirektor in Bad Lauterberg, versicherte Manfred Neuber 1963 in einem Gespräch über dessen Recherchen in Großbritannien und in den USA, die Stadt Nordhausen habe keine Aufforderung der Alliierten erhalten, Nordhausen zur offenen Stadt zu erklären. Eine Entscheidung darüber hätte auch nicht in seiner Kompetenz gelegen: „Ob eine solche Aufforderung an den Kreisleiter Hans Nentwig ergangen ist und ob dieser sich geweigert hat, ihr nachzukommen, weiß ich nicht. Ich möchte es aber bezweifeln“, erklärte Meyer (Originalzitat in den Aufzeichnungen über das Treffen). Der NSDAP-Kreisleiter [[Hans Nentwig]] hatte das Bombardement in seiner Ausweich-Befehlsstelle unbeschadet überstanden. Er lebte in der Nachkriegszeit in Katlenburg. Von der marxistischen Geschichtsschreibung in der DDR wurde ihm wegen „seiner verbrecherischen Durchhalte-Politik“ eine Hauptschuld an der Zerstörung Nordhausens zugeschrieben.<br />
<br />
=== Seit 1990 ===<br />
<br />
Der 50. Jahrestag der Luftangriffe 1995 wurde mit einer Gedenkwoche unter der Losung „Nordhausen 1945: Erinnerung – Trauer – Mahnung“ weitaus größer begangen als die Jahre zuvor. 1993 hatte das Stadtarchiv angekündigt, diverse Maßnahmen einzuleiten, um ein würdiges Gedenken zu gewährleisten. Darunter zählte das Sammeln von Zeitzeugenberichten, realisierte Veranstaltungen und Projekte sowie die Planung einer Publikation zum Thema. Am 30. März 1995 wurde eine Metallplastik auf der oberen Plattform des Petri-Turms enthüllt und einen Tag später eine Ausstellung mit Fotos und Dokumenten eröffnet. Zudem erschien unter der Leitung des Stadtarchivars [[Peter Kuhlbrodt]] das Buch ''[[Schicksalsjahr 1945 – Inferno Nordhausen]]''. In den folgenden Tagen wurde ein ökumenischer Gedenkweg abgehalten, es gab Kranzniederlegungen am Gedenkstein auf dem Hauptfriedhof, dem Ehrenfriedhof und an der Boelcke-Kaserne. Begleitet wurde das Gedenken mit einer umfassenden Berichterstattung in der Presse, die auch überregional wirkte. <br />
<br />
Nach dem Jahr 1995 wurden die Jahrestage der Luftkriegserinnerung weitaus kleiner begangen.<ref name="Winter100"/> Ab Ende der 1990er Jahre erfolgte wieder eine allgemeine Repolitisierung der Luftkriegserinnerung.<ref name="Winter100">Winter: ''Öffentliche Erinnerungen an den Luftkrieg in Nordhausen 1945 - 2005''. Marburg: Tectum-Verl., 2010. S. 100.</ref> Es zeigte sich, dass sich die öffentliche Erinnerung mehr auf gegenwärtige Ereignisse als auf die Jahre des Zweiten Weltkrieges zu beziehen schien; so werden stärkere Bezüge zu außenpolitischen Themen<ref>Winter: ''Öffentliche Erinnerungen an den Luftkrieg in Nordhausen 1945 - 2005''. Marburg: Tectum-Verl., 2010. S. 101.</ref> oder Exkurse zum Rechtsextremismus hergestellt.<ref>[https://www.nnz-online.de/news/news_lang.php?ArtNr=108899 Zum Umgang mit der Bombardierung], nnz-online, 3. April 2012.</ref> Im Vergleich zu DDR-Zeiten wurde das Spektrum der Erinnerungsakteure erweitert, und vor allem die Kirche rückte in den Vordergrund. <br />
<br />
Seit den 2000er Jahren wird der Jahrestag der Luftangriffe mit der üblichen Kranzniederlegung an der Gedenkstele am Rathaus begangen. Seit 2017 werden statt Kränzen weiße Rosen niedergelegt.<ref>[https://www.nnz-online.de/news/news_lang.php?ArtNr=209936 Gedenken an der Stele], nnz-online, 3. April 2018.</ref> Im Gegensatz zu DDR-Zeiten werden Schuldzuweisungen an die Westalliierten weniger offen aggressiv und ideologisch untermauert vorgebracht.<ref>Winter: ''Öffentliche Erinnerungen an den Luftkrieg in Nordhausen 1945 - 2005''. Marburg: Tectum-Verl., 2010. S. 110.</ref><br />
<br />
=== Denkmäler ===<br />
[[File:Denkmal Bombenangriffe Nordhausen - Mai 2015.JPG|200px|thumb|Mahnmal am Alten Rathaus]]<br />
[[File:Gedenkstein Nordhausen.jpg|mini|200px|Gedenkstein am Massengrab für 600 Bombenopfer auf dem [[Zentralfriedhof an der Leimbacher Straße|Alten Friedhof]]]]<br />
* Mahnmal für die Opfer der Bombardierungen vor dem [[Altes Rathaus|Alten Rathaus]]: 1950 wurde ein Gedenkstein und eine Flammenschale am Sockel des früheren [[Lutherdenkmal]]s angebracht. Es trug die Inschrift: „4.4. 1945 - Zerstörung Nordhausens durch amerikanische Bomber - 8800 Opfer klagen an“ (''Amerikanische'' Bomber war falsch). 1969 wurde dieses Denkmal durch eine Säule des Künstlers Jürgen von Woyski ersetzt.<br />
* Auf dem [[Ehrenfriedhof]] westlich des ''Stresemann-Rings'' befindet sich ein 1999 umgestaltetes Denkmal in Erinnerung an die hier in Massengräbern beigesetzten über 1.600 KZ-Häftlinge, zum größten Teil Opfer der Luftangriffe auf die Boelcke-Kaserne am 3. und 4. April 1945. Viele Nordhäuser zivile Bombenopfer und Soldaten wurden auf dem nördlichen Teil des Sonderfriedhofs, des jetzigen Ehrenfriedhofs, oberhalb des Denkmals in Massengräbern beerdigt.<ref>Manfred Schröter: ''Die Zerstörung Nordhausens''. Nordhausen: Meyenburg-Museum, 1988. S. 59</ref><br />
* Auf dem ''Hauptfriedhof'' findet sich ein Denkmal, das die zusammenfassende Inschrift trägt: „Zum Gedenken an die Gefallenen und Vermissten beider Weltkriege, die Toten der Bombenangriffe, die Opfer aller Gewaltherrschaft. Die Bürger der Stadt Nordhausen“. Links seitlich von dem Denkmal, vor dem begrenzenden Zaun, wurde eine größere Anzahl von Bombentoten in Gemeinschaftsgräbern beigesetzt.<ref> Manfred Schröter: ''Die Zerstörung Nordhausens''. Nordhausen: Meyenburg-Museum, 1988. S. 59-60 </ref> Dort stehen noch einige große Kreuze, die wohl darauf hinweisen.<br />
<br />
== Zitate ==<br />
<br />
* „Das Ausmaß des Schreckens, der Verwüstung und des Todes, von dem unsere Stadt an jenen Apriltagen erfasst wurde, macht sie praktisch zu einem Synonym für die japanischen Städte Hiroshima und Nagasaki. Denn vergleicht man auf Airfotos ihre zerstörten Zentren, so lässt sich schwerlich ein gradueller Wirkungsunterschied erkennen.“ – ''[[Walter Geiger]]: [[Nordhausen im Bombervisier]], S. 154.''<br />
* „Nordhausen wurde am 3. und 4. April 1945 zerstört, weil der ehrgeizige britische Luftmarschall Sir Arthur Harris dem britischen Volk und den Alliierten zeigen wollte, dass sein "Bomber Command" das Handwerk des Tötens von deutschen Menschen perfektioniert hatte. Er löste einen furchtbaren Flächenbrand aus mit den stärksten Mitteln, die ihm zur Verfügung standen. Besonders verwerflich ist, dass er die Bombenziele auf die Nordhäuser Altstadt konzentrierte. Infam ist auch, dass er noch in den letzten Kriegstagen die Altstadt von Nordhausen mit einer nie vorher verwendeten Bomben-Mischung auslöschte. Er handelte trotzig wie ein Kind, dem man das Spielzeug wegnehmen will. Harris wollte sich in letzter Stunde in Nordhausen ein Denkmal aus Leichen und Ruinen setzen.“ – ''[[Jost-Dieter Rudloff]]: Warum wurde Nordhausen eine Woche vor Kriegsende 1945 in Brand gesetzt? Informationen und Überlegungen. In: [[Beiträge zur Geschichte aus Stadt und Kreis Nordhausen (Band 44/2019)]], S. 141.''<br />
"Das Bild, das wir von Harris haben, stimmt so auch nicht. Er war ein sehr guter Redner, und meine Güte, konnte der schreiben", stellt der<br />
britische Sachbuchautor Sinclair McKay in seinem soeben im Goldmann-Verlag München erschienenen Buch "Die Nacht, als das Feuer kam. Dresden 1945". Darin erinnert er daran: "Wenn er übere seine Bomber-Crews schrieb, kam das manchmal an Poesie heran. Es waren auch menschliche Züge im Spiel. Er bestritt immer, dass Terror-Bombardements sein Ziel gewesen seien. Vielleicht war er eher wahnhaft als blut-<br />
rünstig",zitiert die "Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung" (Nr. 7, S. 6) aus dem Buch.<br />
<br />
== Literatur ==<br />
*Jost-Dieter Rudloff: ''Warum wurde Nordhausen eine Woche vor Kriegsende 1945 in Brand gesetzt? Informationen und Überlegungen''. In: ''[[Beiträge zur Geschichte aus Stadt und Kreis Nordhausen (Band 44/2019)]]''.<br />
*Harald Rockstuhl (Hrsg.): ''[[Nordhausen – Luftbild-Atlas 1935–1945]]''. Bad Langensalza: Verlag Rockstuhl, 2017. ISBN 978-3959662833<br />
*[[Walter Geiger]]: ''[[Nordhausen im Bombervisier]]''. Nordhausen: Neukirchner, 2000. ISBN 3-929767-43-0<br />
*Olaf Groehler: ''Bombenkrieg gegen Deutschland''. Berlin: Akad.-Verl., 1990. ISBN 3-05-000612-9<br />
*[[Peter Kuhlbrodt]]: ''[[Inferno Nordhausen – Schicksalsjahr 1945]]''. Nordhausen: Archiv der Stadt Nordhausen, 1995. ISBN 3-929767-09-0<br />
*[[Martin Clemens Winter]]: ''[[Öffentliche Erinnerungen an den Luftkrieg in Nordhausen 1945 - 2005]]''. Marburg: Tectum-Verl., 2010. ISBN 9783828822214 <br />
*''Schicksale deutscher Baudenkmale im Zweiten Weltkrieg''. (Bd. 2) Berlin: Henschelverlag Kunst u. Gesellschaft, 1978.<br />
<br />
== Externe Verweise ==<br />
* [https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/1/1f/Nordhausen_concentration_camp_newsreel.webm Filmaufnahmen von der Boelcke-Kaserne (1945)]<br />
<br />
== Einzelnachweise ==<br />
<br />
<references/><br />
<br />
[[Kategorie:Geschichte]]</div>Latimer Rexhttps://nordhausen-wiki.de/index.php?title=Schnabelsburg&diff=15762Schnabelsburg2020-02-16T12:00:07Z<p>Latimer Rex: /* Geschichte */</p>
<hr />
<div>{{Infobox Burg<br />
|Name = Schnabelsburg<br />
|Bild = <br />
|Bildbeschreibung = <br />
|Alternativname = Snabilburgk, Snabilsburg, Snabilborg, Snabiliborg, Schnabelburg<br />
|Entstehungszeit = 14. Jahrhundert<br />
|Typologie n. geo. Lage = <br />
|Erhaltungszustand = zerstört<br />
|Ständische Stellung = <br />
|Mauerwerksmerkmale = <br />
|Heutiger Ortsname = Der Kohnstein gehört zum Ort [[Salza]] bzw. zur Siedlung Obersalza<br />
}} <br />
Die '''Schnabelsburg''' (auch ''Schnabelburg'') war eine kleine Herrenburg aus der Zeit der Kämpfe zwischen Städten und Territorialherren. Ab 1366 ließen die Hohnsteiner Grafen die Burg auf einer niedrigen aus dem [[Kohnstein]] vorspringenden Bergnase errichten. Bereits 1368 wurde die ''Snabilsburg'' oder auch ''Snabiborg'' zerstört.<br />
<br />
Beim Bau der Gastwirtschaft Schnabelsburg wurden die Reste der Burg, die nach dem Geländebefund nur ganz klein gewesen sein kann, zerstört.<br />
<br />
== Lage ==<br />
Die Schnabelsburg befand sich auf einem südlichen Ausläufer des Kohnsteines bzw. auf einem kleinen Bergsporn. Sie liegt 1,7 Kilometer nordöstlich von Salza entfernt. Die eher kleine Burganlage wurde auf diesem Sporn durch einen [[Halsgraben]] mit vorgelegten Wall gegen eine Annäherung gesichert. Die Burgstelle wurde allerdings [[neuzeit]]lich überbaut, es hat sich nur ein Grabenrest der Anlage erhalten.<ref>Thomas Bienert: ''Mittelalterliche Burgen in Thüringen – 430 Burgen, Burgruinen und Burgstätten'', S. 190</ref><br />
<br />
== Geschichte ==<br />
Um ihre gräflichen Besitzverhältnisse zu festigen, beschlossen im Jahre 1362 die Grafensöhne Heinrich in Neustadt, Dietrich in Heringen, Bernhard in Klettenberg und Ulrich am Kohnstein auf dem östlichen Schnabelsrand des Kohnsteins eine Zwingburg zu errichten.<ref>August Liesegang: ''Kohnsteinbuch''. S. 3 ff.</ref> Bauherr war der Hohnsteiner Graf Ulrich, und so wurde das „hus Snabilburg“ auch als „Ulrichsburg“ bezeichnet. Weithin sichtbar, jedoch von geringer Größe, erhob sich die Burg, die etwa 30 Meter oberhalb der Zorgeniederung und in 230 Meter Höhe fertiggestellt wurde. Sie bestand auf zwei Etagen, die vermutlich aus Buchenholz bestanden. Die Mauern dürften wahrscheinlich aus dem Anhydritgestein des Kohnsteins bestanden haben. <br />
<br />
In den ebenerdigen Räumlichkeiten waren Schlafkammern für 24 Knappen untergebracht, der Bauherr Ulrich bewohnte mit Familie die zwei Etagen. Der erste Burgvogt, der ledige Ritter Wieprecht, bezog die erste und zweite Etage des Gips-Turmes. In den Kellerräumen wurden die Gefangenen eingesperrt.<ref>August Liesegang: ''Kohnsteinbuch''. S. 6</ref><br />
<br />
Die Lage der Burg war ein strategisch günstiger Platz: so konnte die Alte Handels- und Heerstraße, die Zorgeniederung mit dem Salzaspring bis zur Reichsstadt mit Salza und Krimderode überblickt werden. <br />
<br />
=== Gaststätte ===<br />
Mit Errichtung des Konzentrationslagers Dora 1943 musste die Gaststätte schließen. Von 1945 bis 1947 wurden einige Umsiedlerfamilien in der ehemaligen Schnabelsburg einquartiert, die dann in Volkseigentum überging. 1948 erwarb der Gastwirt Max Eiteljörge mit seine Ehefrau Anni das Objekt, bis 1953/54 für kurze Zeit die Gastwirtin Mia Seeber die Gaststätte betrieb. Im April 1955 erwarb der Fuhrunternehmer Paul Kuhnhold die Schnabelsburg, nach dessen Tode im Jahr 1959 übernahm sein Bruder Gerhard. 1960 wurde die Waldgaststätte schließlich durch die Stadtverwaltung geschlossen. Die Familie Kuhnhold bewohnte bis 1964 die Schnabelsburg.<br />
<br />
== Siehe auch ==<br />
* [[Der Ritter von der Schnabelsburg]]<br />
<br />
== Literatur ==<br />
* [[Josef Tauchmann]]: ''Die Schnabelsburg am Kohnstein im Wandel der Jahrhunderte''. In: ''[[Beiträge zur Heimatkunde aus Stadt und Kreis Nordhausen (Heft 20/1995)]]''.<br />
* [[Fritz Tanne]], [[Vincent Eisfeld]] (Hrsg.): ''[[Der Tod des Grafen von Hohnstein]]'' (''= Nordhäuser Romane ; 1''). Berlin: epubli, 2019. ISBN 978-3746783000.<br />
<br />
== Einzelnachweise ==<br />
<references/><br />
<br />
[[Kategorie:Burg]]<br />
[[Kategorie:Gaststätte]]<br />
[[Kategorie:Salza]]</div>Latimer Rexhttps://nordhausen-wiki.de/index.php?title=Das_Nordh%C3%A4user_Geschichtenbuch&diff=15732Das Nordhäuser Geschichtenbuch2020-02-14T22:23:46Z<p>Latimer Rex: </p>
<hr />
<div>{{SEITENTITEL:''Das Nordhäuser Geschichtenbuch''}}<br />
{{Buch<br />
|Titel=Das Nordhäuser Geschichtenbuch<br />
|Untertitel=Kindheitserinnerungen der Generation von vorgestern<br />
|Bild=<br />
|Reihe=<br />
|BandNr=<br />
|Autor=<br />
|Herausgeber=Stadt Nordhausen, Amt für Kultur und Tourismus. Autorengruppe ...<br />
|Verlag=Nordhausen : le petit<br />
|Auflage=<br />
|Umfang=370 Seiten : Illustrationen<br />
|Preis=24,90 Euro<br />
|Erscheinungsjahr=2011<br />
|Bibliothek=ja<br />
|ISBN=<br />
|Homepage=<br />
|erfasst=11. November 2016<br />
}}<br />
'''''Das Nordhäuser Geschichtenbuch''''' ist ein im Dezember 2011 durch die Stadt Nordhausen herausgegebenes Erinnerungsbuch, in dem 24 Nordhäuser ihre Erlebnisse in den Jahren zwischen 1930 und 1945 niederschrieben. <br />
<br />
{{BlockSatzStart}}<br />
<br />
== Zum Geleit ==<br />
: '''''Horst Köhler'''''<br />
'''I'''mmer dann, wenn sich die Rauchschwaden einer bedeutenden Epoche so weit verzogen haben, dass nur die empfindlichen Nasen mancher erst viel später geborener Historiker noch den kalten Brandgeruch wahrzunehmen meinen, während sie suchend und forschend in der grauen Asche der Geschichte herumstochern, immer dann schlägt die Stunde der Zeitzeugen.<br />
<br />
Ach, das sind alte Leute - so heißt es dann - und die Erinnerung der Alten, das weiß man ja, hüllt das Vergangene gern in ein sanftes, verklärendes Licht. Dennoch - niemand sollte sich anmaßen, ihre Glaubwürdigkeit leichtfertig in Frage zu stellen, denn sie genießen den entscheidenden Vorteil eines großen Vorsprungs: Sie waren dabei.<br />
<br />
ln diesem Buch kommt eine Reihe solcher Zeitzeugen zu Wort, denen bei aller Unterschiedlichkeit ihres Herkommens und ihrer Betrachtungs-weise eines gemeinsam ist: Die Liebe zu ihrer Heimat, zu ihrer Vaterstadt Nordhausen und zu ihren Menschen. Folgen wir ihnen auf einem Gang durch ihre längst versunkene Zeit, durch die Straßen und Gassen, die den alten Lesern so vertraut sein werden, als spürten sie das holprige Kopfsteinpflaster wieder unter den nun müde gewordenen Füßen. Aber auch die jungen Nordhäuser sind eingeladen, uns zu begleiten und mitzuwandern auf Wegen, die sie so nie gekannt haben, wenn sie auch da und dort noch die lieb gewordenen Namen tragen.<br />
<br />
Damals! Waren die Zeiten damals besser als heute, oder waren sie schlechter? Wer wollte sich unterstehen, diese Frage wahrheitsgemäß zu beantworten? Sie waren - anders. Man sagt, es gäbe nichts Älteres als die Zeitung von gestern. Das mag zutreffen. Indessen - es gibt auch nichts Lebendigeres als die Erinnerung. Lasst sie uns behutsam pflegen und bewahren, unsere Stadt hat es verdient; denn sie hat viel gelitten. Vergessen wir aber dabei das Eine nicht: Die Erinnerung an sich wäre nichts ohne die Kraft, die sie in die Zukunft trägt.<br />
<br />
== Inhalt ==<br />
{| class="wikitable sortable"<br />
| align="center" style="background:#f0f0f0;"|<br />
| align="center" style="background:#f0f0f0;"|<br />
|-<br />
| Horst Köhler || [[Das_Nordhäuser_Geschichtenbuch#Zum Geleit|Zum Geleit]]<br />
|-<br />
| Aufruf - Nordhäuser Zeitzeugen gesucht ||<br />
|-<br />
|Stadtplan 1927<br />
|-<br />
|[[Das_Nordhäuser_Geschichtenbuch#Prolog|Prolog]] ||<br />
|-<br />
|Dr. Hermann Quosig || Das Nordhäuser Geschichtenbuch - früheste Kindheitserinnerungen<br />
|-<br />
|Karl-Heinz Bosse || Das Dreieck<br />
|-<br />
|Werner Koch || Bruchstücke aus dem Lebenslauf bis 1946<br />
|-<br />
|Gerhard Meurer || Kindheitserinnerungen an den Mühlgraben in der Waisenstraße <br />
|-<br />
|Gerhard Wittekopf || Ein Weihnachtsfest 1932 / 1933 - Ich wurde Schulkind ; Erinnerungen an einen jüdischen Schulkameraden <br />
|-<br />
| Wolfgang Bartscher || Kindheitserinnerungen<br />
|-<br />
|Kurt Kühne || Die Lutherkurrende in Nordhausen ; Theater-Erlebnis<br />
|-<br />
|Walter Kurbach || Kindheits- und Jugenderinnerungen<br />
|-<br />
|Hermann Voigt || Das Bauwesen und ich<br />
|-<br />
|Dr. Hermann Quosigk || Vom Tanzbär und Nachtgespenst<br />
|-<br />
|Dr. Herinrich Schnee || Erinnerungen an meine Gymnasialzeit<br />
|-<br />
|R. Reichardt ||Mein erster Gehegegang<br />
|-<br />
|Marianne Lewin-Traeger || Eine Martini-Erinnerung<br />
|-<br />
|Gerhard Meurer || Erinnerungen an eine alte Kupferschmiede und Apparatebaufirma<br />
|-<br />
|Hans-Martin Kromann ||Unsere Urahnen der Familien Kromann/Fromann ; Zigeuner - „Zindis und Tatern“<br />
|-<br />
|Dr. Hermann Quosigk || Stadtleben - in - und außer Haus<br />
|-<br />
|Margarete Unger ||Jugenderinnerungen aus den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts<br />
|-<br />
|Ursula Fromme || Bericht zu „Nordhäuser Zeitzeugen gesucht“<br />
|-<br />
|Horst Beier||Meine Erinnerungen an die Wiedigsburgschule und Hohensteiner Straße<br />
|-<br />
|Jost-Dieter Rudloff||Erinnerungen an die Meyenburgstraße 1938-1945<br />
|-<br />
|Marianne Jud||Erinnerungen<br />
|-<br />
|Wolfgang Boes||Das Kriegsende als Jugendlicher in Nordhausen 1943-1945<br />
|-<br />
|Brigtte Sander||Mein Leben in meiner Heimatstadt Nordhausen von 1935-1945<br />
|-<br />
|Jutta Arndt||So erlebte ich den Bombenangriffe am 3. und 4. April 1945<br />
|-<br />
|Otto Koch||Ein Teil meiner Lebensgeschichte<br />
|-<br />
|Ilse Leiß||Kindheitserinnerungen vor 1945<br />
|-<br />
|Volker Reinboth||Wiedersehen mit Nordhausen 1945<br />
|-<br />
|Achim Sander||Erinnerungen an die Kindheit und die Kriegsjahre<br />
|-<br />
|Bernhardt Sourell||Alltagsumstellung auf Kriegsverhältnisse<br />
|-<br />
|Rolf Dohle||Meine ersten Lebensjahre in Salza<br />
|-<br />
|Elisabeth Dohle||Nachruf auf Alt-Nordhausen<br />
|-<br />
|Bernhardt Sourell||Kriegserleben im 12. bis 17. Lebensjahr<br />
|-<br />
|Günter Angelstein||Erlebnisbericht - 1939 bis Kriegsende<br />
|-<br />
|Dr. Hermann Quosigk||Ein Bummel durch Nordhausen 1938<br />
|-<br />
|Karl-Heinz Bosse||Gedenken an die Fotografin Eleonore Wopfner<br />
|-<br />
|Margret Sieckel||Schicksal einer jüdischen Familie ; Das werde ich nie vergessen!<br />
|-<br />
|Gustav Warnstedt||Strohmühlenweg<br />
|-<br />
|Hans-Dieter Werther||Jugendjahre in einer alten Kornbranntwein-Brennerei<br />
|-<br />
|Horst Meibohn||Martini 1938 in Nordhausen<br />
|-<br />
|Dr. Manfred Schröter||Das Leben in Nordhausen in den letzten Kriegsmonaten<br />
|-<br />
|Walther Reinboth||Erinnerungen an die Heinrich-Mittelschule<br />
|-<br />
|Gerhard Stürmer||Meine Erinnerungen an die Zeit vor 1945<br />
|-<br />
|Klaus Thelemann||Kindheitserinnerungen<br />
|-<br />
|Wolf Thieme||Nordhäuser Erinnerungen<br />
|-<br />
|Charlotte Arpert||Nordhausen - Anno dazumal 1914<br />
|-<br />
|Dr. Ulrich Haun||Episoden des Fliegerangriffs am 3. April 1945<br />
|-<br />
|Verfasser unbekannt||Geschichtliches und Sehenswertes aus der 1000-jährigen Stadt Nordhausen<br />
|-<br />
|Otto Koch||Gedicht über Nordhausen<br />
|-<br />
|Horst Beier||Unsere Arbeitseinsätze während des Krieges<br />
|-<br />
|Dr. Hermann Quosigk||Epilog<br />
|-<br />
|[[Das_Nordhäuser_Geschichtenbuch#Kurzbiografien (alphabetisch)|Kurzbiografien (alphabetisch)]] ||<br />
|}<br />
<br />
== Prolog ==<br />
'''Wir wurden vor der Erfindung des Fernsehens, des Penicillins, der Schluckimpfung, der Tiefkühlkost und der Kunststoffe geboren und kannten Kontaktlinsen, Herzschrittmacher und die Pille noch nicht. Wir kauften Mehl und Zucker viertelpfundweise in Tüten und nicht in Geschenkpackungen. Wir waren schon da, bevor Kreditkarten, Telefax, Kernspaltung, Laser und Kugelschreiber zur Verfügung standen.<br />
Es gab noch keine Geschirrspüler, Wäschetrockner, Klimaanlagen, Last-Minute-Flüge, und der Mensch war noch nicht auf dem Mond gelandet. Wir pflegten unsere Verbindungen persönlich und nicht mit hotline, online, inline, airline. Was sich in der Welt ereignete, zeigte uns die Wochenschau im Kino etwa vierzehn Tage später.<br />
Wir haben erst geheiratet und dann zusammengelebt. Damals waren die Käfer noch keine Volkswagen. Und „mit jemanden gehen“ hieß schon fast so viel wie verlobt zu sein. Alte Zeitungen wurden für „hinterlistige“ Zwecke verbraucht oder im Ofen verbrannt. Von Recycling sprach niemand. Wir dachten nicht daran, dass der Wiener Wald etwas mit Brathähnchen zu tun hätte, und Arbeitslosigkeit war eine Drohung und kein Versicherungsfall.<br />
Wir waren da, bevor es den Hausmann, die Emanzipation, Pampers, Aussteiger und eine computergesteuerte Heiratsvermittlung gab. Zu unserer Zeit gab es noch keine Gruppentherapie, Weight Watchers, Sonnenstudios und kein Kindererziehungsjahr für Väter. Zweitwagen hatte keiner und brauchte sie auch nicht durchzuchecken. Und wenn man sich wunderte, sagte man „oh“ und nicht „wow“.<br />
Wir haben damals keine Musik vom Tonband oder über UKW aus Transistorradios oder die New Yorker Symphonie via Satellit gehört. Wir lauschten Musikkapellen oder einer Schallplatte, deren Töne nicht gepowert waren. Bands in Discos waren unbekannt. Es gab keine elektronischen Schreibmaschinen, künstliche Nieren, Yoghurt und auch keine Jungen, die Ohrringe trugen. Die Worte Software für alles, was man beim Computer nicht anfassen und Non-Food für alles, was man nicht essen und trinken kann, waren noch nicht erfunden. Und ein gesundes Fachwissen wurde noch nicht mit Know-how bezeichnet.<br />
ln dieser Zeit hieß Made in Japan so viel wie billiger Schund, und man hatte auch noch nie etwas von Pizzen, MacDonald's und lnstant-Coffee gehört. Der Ausspruch Pommes mit Ketchup war noch nicht geboren. Wir sagten noch Guten Tag und nicht „Hallo“ oder „Hi“ (sprich hei), und wenn wir etwas gut fanden, sagten wir auch, es war schön und nicht okay oder affengeil.<br />
Wir feierten unsere kleinen Feste und keine Parties oder Festivals, und Höhepunkte waren keine Highlights.<br />
Wir liefen schon auf der Straße herum, als man noch für fünf Pfennige ein Eis, einen Beutel Studentenfutter oder eine Flasche Brause kaufen konnte. Auf Briefe klebten wir Sechs-Pfennig-Marken, und für 15 Pfennige konnten wir mit der Straßenbahn von einem Ende der Stadt bis zum anderen fahren, wenn wir uns vorher eine Fahrkarte gekauft hatten, die damals noch nicht Ticket hieß. Wenn man weniger als einen Meter groß war, kostete es nichts. Im Gang stehen war verboten. Ein Ei kostete drei Pfennige und eine Semmel vier Pfennige.<br />
Bei Regen zog man sich einen Mantel an und kein Outfit. Die Verkäuferin hatte noch keinen Job im Shop. Man buchstabierte noch deutsch, wer hätte schon etwas verstanden, hätte man Eibiäm (IBM) gesagt? Statt des modernen Countdowns sagten wir noch abzählen. Freunde waren wir und keine Fans. Wir waren wohl die letzte Generation, die so dumm war zu glauben, dass eine Frau einen Mann heiraten muss, um ein Baby zu bekommen. Und wenn das Wort Kids fiel, dachten wir an kleine Rehe. Mit leuchtenden Augen lauschten wir den Märchen, die uns vorgelesen wurden. Comic-Strip waren uns unbekannt.<br />
Wir sammelten und bügelten noch alte Schleifen und Geschenkpapier, legten bröckelnde Seifenreste zusammen und waren Meister im Falten von Zahnpastatuben, um die letzten Spuren herauszuquetschen. Wir mussten fast alles selber tun und mit dem auskommen, was wir hatten. Zu glauben, dass der Staat uns schließlich doch versorgen wird, wenn wir vorher über unsere Verhältnisse gelebt haben, wäre undenkbar gewesen. Wer mehr ausgab als er einnahm, war ein krimineller Bankrotteur. Und Bock mussten wir immer haben! (Null Bock auf nichts)<br />
Diese ganze Entwicklung haben wir über uns ergehen lassen müssen. Ist es da ein Wunder, wenn wir etwas konfus erscheinen? So ist wohl auch die Kluft zwischen den Generationen entstanden. Wir haben aber alles überlebt und sind, der Statistik zufolge die gesündeste Generation. Das ist vielleicht auch der Beweis für unsere total überholte, aber vernünftige Lebensweise. Darum haben wir alle Grund zum Feiern, und wir freuen uns, dass wir das heute überhaupt noch können. <br />
Eine lange Entstehungsgeschichte liegt hinter den Initiatoren. dieses Buches. Die Herausgabe wäre selbst noch einmal eine Geschichte wert. Daher möchte ich mich im Namen aller Beteiligten bei der Stadt Nordhausen recht herzlich bedanken, dass sie sich bereiterklärte, dieses Buch zu publizieren. Die Autoren sehen es auch als ihren Beitrag zum 1085-jährigen Jubiläum der Stadt Nordhausen im nächsten Jahr 2012.<br />
<br />
== Kurzbiografien (alphabetisch) ==<br />
<br />
'''Angelstein, Günther'''<br><br />
1935 in Sundhausen, OT von Nordhausen, geboren und aufgewachsen. Besuch der dortigen Grundschule, Abschluss 8. Klasse. Fleischerlehre, Gesellenprüfung. Berufsausübung als Fleischer, industriell und Hausschlachtung. Qualfizierung zum Baggerfahrer<br />
<br />
'''Arndt, Jutta geb. Gothe'''<br><br />
1934 in Bielen geboren, OT von Nordhausen, Besuch der dortigen 8-klassigen Volksschule, Abschluss 8. Klasse. Lehre als Näherin, später Angestellte bei der Deutschen Reichsbahn, dann Bundesbahn, jetzt Rentnerin, verheiratet, 4 Kinder<br />
<br />
'''Bartscher, Wolfgang''' <br><br />
1927 in Nordhausen geboren. Petersbergschule. Mittelschule. Lehre bei Stadtverwaltung Nordhausen, Arbeitsdienst-Flak. Gefangenschaft in Belgien. Hochschule in Leipzig, Abschluss als Diplomwirtschaftler. Tätig im Lebensmittel-Großhandel und EDV, verheiratet, 2 Kinder, Vorruhestand 1990, Rentner ab 1992<br />
<br />
'''Beier, Horst'''<br><br />
1931 in Nordhausen geboren, Meyenburg-Mittelschule, ab 1945 als Helfer in der Stadtgärtnerei bei Gartenbau-Oberinspektor Ernst tätig. Studium zum Gartenbau-Ingenieur, 1961 bis 1973 Abteilungsleiter Gartenverwaltung, Ingenieur für Landschaftsgestaltung<br />
<br />
'''Boes, Wolfgang'''<br><br />
1931 in Köln geboren. 1942 in Köln ausgebombt, Umzug mit Familie nach Nordhausen, hier ab 1943 Oberschule. lm April 1945 in der Löbnitzstraße erneut ausgebombt, nach Mühlhausen verzogen, dort Berufsschule. Nach Enteignung des väterlichen Betriebes nach Westdeutschland. Großhandelskaufmann, EDV-Organisator bis zur Rente, verheiratet, 2 Kinder<br />
<br />
'''Bosse, Karl-Heinz'''<br><br />
1925 in Allstedt/Helme geboren, 1935 nach Nordhausen, Petersbergschule, Lehre als Maschinenschlosser und Technischer Zeichner. 1943 zur Luftwaffe, 1944 abgeschossen, verwundet, 1945 in Gefangenschaft. Tätig in MONTANIA und ABUS, Ingenieurstudium, Chefkonstrukteur bei NOBAS. Nach Kriegsende maßgeblich am Aufbau des Segelflugs in Nordhausen beteiligt, jetzt Rentner, verheiratet, 2 Kinder<br />
<br />
'''Dohle, Elisabeth geb. Giese'''<br><br />
1931 in Netzdorf/Westpreußen geboren, mit 8 Jahren 1940 nach Nordhausen zu den Großeltern gezogen, die in der Hohekreuzstraße beim Bombenangriff ums Leben kamen. Besuchte die Töpfertorschule, dann Mittelschule. 1943 Rückkehr nach Westpreußen, l945 nach der Vertreibung wieder im zerbombten Nordhausen. 2-jährige Lehre als Dreherin in der IFA, dann Assistentin der Betriebsschule, 1961 nach Bremen, Sekretärin, verwitwet, 3 Kinder<br />
<br />
'''Dohle, Rolf †'''<br><br />
1926 in Salza geboren, dortige Volksschule besucht, Abschluss 8. Klasse, ab 1940 Kaufmannslehre bei Kaffee-Krause & Co. in Nordhausen, für 3 Jahre Berufsschule. 1944 Kaufmanns-Gehilfe. Einberufung zum RAD und Luftwaffe, Einsatz in Frankreich, Lazarett, danach Abwehrkämpfe an der Oder, bis 1945 in amerikanischer Gefangenschaft. Ab 1950 bei der HO, ab 1951 Einkäufer IFA, 1961 nach-Bremen, dort selbständig, 3 Kinder, im Oktober 2009 verstorben<br />
<br />
'''Fromme, Ursula'''<br><br />
1922 in Loburg/Krs. Zerbst geboren, 1926 nach Kleinwerther gezogen, dortige Volksschule besucht, anschließend Mathilden-Mittelschule Nordhausen, Mittlere Reife, Pflichtjahr, Höhere Handelsschule Halle/Saale, Tätigkeit in der Stadtverwaltung Nordhausen, Sekretärin bis 1985, seit 1982 Rentnerin, Mitglied im Kulturbund, Harzklub<br />
<br />
'''Haun, Dr. Ulrich'''<br><br />
1940 in Nordhausen geboren, Sohn eines Landarztes, Grundschule in Großwechsungen, 1954-58 EOS Nordhausen, Abitur, 1959 Praktikum an der Bergakademie Freiberg, bis 1965 Medizinstudium Charité Berlin und MA Erfurt, 1966 Promotion, Oberarzt der Kinderklinik Nordhausen bis 2003, dann Altersteilzeit.<br />
<br />
'''Koch, Otto †'''<br><br />
1920 in Salza geboren. Heinrich-Mittelschule, Mittlere Reife. Maurerlehre, gesamte Kriegsteilnahme an der Ostfront, zweimal verwundet. Nach Kriegsende Berufsschullehrer, Ausbildungsleiter und Direktor der Betriebsberufsschule Hochbau Nordhausen, Dozent an der Fachschule für Bautechnik Weimar, Direktor Lehrmeister-Institut Magdeburg, 3 Kinder<br />
<br />
'''Koch, Werner'''<br><br />
1926 in Nordhausen geboren, 3. Generation einer Nordhäuser Färbermeisterfamilie, Petersberg-Realgymnasium, Luftwaffenhelfer, Kriegsabitur, Infantrist in der Schlacht von Arnheim, Gefangenschaft bis Oktober 1946. Färbermeister, selbstständig in Nordhausen bis zur Enteignung 1961, dann 25 Jahre Vorsitzender der PGH „Adrett“, verheiratet<br />
<br />
'''Köhler, Horst'''<br><br />
1924 in Nordhausen geboren, Realgymnasium, danach mehrere Jahre Soldat, nach Kriegsgefangenschaft in Bremen wohnhaft, dort im Außenhandel tätig. Buchveröffentlichungen „Glocken vom Petriturm“, „Laterna magica“', „Sonnenstaub und Wolkenschatten“, zahlreiche lyrische Gedichte, auch in „Nordhäuser Nachrichten“<br />
<br />
'''Kromann, Hans-Martin'''<br><br />
1926 in Nordhausen geboren, Petersbergschule, Mittelschule. Luftwaffensoldat, verwundet, bis l949 in Kriegsgefangenschaft in Frankreich. Fachschule für Binnenhandel, Großhandelskaufmann. Leitender Angestellter und Betriebsökonom, Autor „110 Jahre Luftfahrt in und um Nordhausen“, verheiratet, 1 Kind<br />
<br />
'''Kubach, Walter'''<br><br />
1923 in Duisburg/Meiderich Rhl. geboren, als Kleinkind nach Nordhausen gezogen. Von 1930 bis 1938 Petersbergschule, Handelsschule bis 1941. Lehre bei VIKK, Arbeitsdienst in Polen, lnfanterist im Kaukasus, schwer verwundet, 1945 amerikanische Gefangenschaft, l7 Jahre AOK, danach 27 Jahre Revision Verkehrsbetriebe Nordhausen, verheiratet, 2 Kinder<br />
<br />
'''Kühne, Kurt'''<br><br />
1923 in Nordhausen geboren. Meyenburg-Mittelschule, Mittlere Reife. Ab 1942 motorisierte lnfanterie, verwundet in Stalingrad, dann Einsatz in Süditalien, 1944 in Gefangenschaft nach Algerien und Frankreich, 1949 Heimkehr, 1953 Meisterprüfung Sanitär- und Heizungsbau. Weiterführung des väterlichen Betriebes bis 1988, verheiratet<br />
<br />
'''Leiß, Ilse geb. Meyer'''<br><br />
1927 in Nordhausen geboren, Justus-Jonas-Schule, nach Abschluss tätig im elterlichen Lebensmittelgeschäft und Gastwirtschaft „Grimmel Tor“. Nach Geschäftsaufgabe Ende 1960er Jahre in der Bücherstube beschäftigt, verwitwet, 1 Kind<br />
<br />
'''Maibohm, Horst'''<br><br />
1929 in Nordhausen geboren, Petersbergschule, von 1939-1945 Mittelschule, Bombenangriff in der Schützenstraße überlebt. Von 1946-1949 kaufmännische Lehre bei Fa. Gebhardt & König in Nordhausen, bis 1990 Industriekaufmann bei VEB Schachtbau, verheiratet, l Kind<br />
<br />
'''Meurer, Gerhard'''<br><br />
1926 in Nordhausen geboren, Sohn alteingesessenen Nordhäuser Fabrikantenfamilie, Meyenburgschule, Realgymnasium Nordhausen und Aufbauschule Sondershausen, Luftwaffenhelfer, Arbeitsdienst in Polen, Artillerist, Gefangenschaft 1945, dann Abitur, Kupferschmied, Studium Maschinenbau an TH Aachen, 1956 Diplomingenieur, in Dortmund tätig.<br />
<br />
'''Quosigk, Dr. Hermann'''<br> <br />
1926 in Nordhausen geboren, Sohn einer alteingesessenen Fabrikantenfamilie, Meyenburgschule, Realgymnasium, Luftwaffenhelfer, Arbeitsdienst, Kriegsabitur, Luftwaffe, Gefangenschaft bis 1946, nochmals Abitur, 1948 Dreherberuf, 1951-1956 Medizinstudium an der Humboldt-Universität Berlin, 44 Jahre als Arzt in Nordhausen tätig, verheiratet, 3 Kinder<br />
<br />
'''Reinboth, Walter sen.'''<br><br />
1928 in Nordhausen geboren, 1935-1939 Petersbergschule, bis 1945 Mittelschule, Segelflugausbildung in Ellrich. Beim Angriff 1945 in Schützenstraße ausgebombt, seitdem wohnhaft in Walkenried, bis 1988 Bankkaufmann bei der NORD/LB, verheiratet, 2 Kinder<br />
<br />
'''Rudloff, Jost-Dieter'''<br><br />
1934 in Halberstadt geboren, Schulbesuch in Nordhausen, Rundfunkmechaniker bis 1953, Abitur 1956, Diplom-Ingenieur in Pharma-Konzern (Schweiz), verheiratet, 2 Kinder<br />
<br />
'''Sander, Achim'''<br><br />
1932 in Nordhausen geboren, Petersbergschule, Mittelschule, Mittlere Reife. Ausbildung Industriekaufmann Elektrizitätswerk Nordhausen, bis 1956 im E-Werk tätig, dann Eisengießerei und Verkehrsbetriebe, danach im Kfm- und EDV-Bereich Bergbau Bochum, Lebensmittelindustrie Düsseldorf, verheiratet, 2 Kinder <br />
<br />
'''Schröter, Dr. Manfred'''<br><br />
1935 in Nordhausen geboren, Petersbergschule, 1951 aus politischen Gründen von der Humboldt-Schule verwiesen, Weberlehre in Bleicherode, danach 1955 Abitur, Studium der Medizin in Halle/Leipzig, ab 1961 als Arzt in Nordhausen tätig, 1990 Oberbürgermeister der Stadt Nordhausen, bis 2002 Verwaltungsdirektor, Publikationen über Zerstörung Nordhausens und Judenverfolgung, verheiratet, 4 Kinder<br />
<br />
'''Sieckel, Margret geb. Strecker'''<br><br />
1927 in Nordhausen geboren, 1934-1938 katholische Dorrischule, von 1938-1946 Lyzeum Nordhausen (Königin-Luise-Schule), 1946 Abitur, Lehrerausbildung am IfL Nordhausen, Lehrertätigkeit an Töpfertor- und Diesterweg-Schule sowie Organistin am Dom zu Nordhausen, verwitwet, 3 Kinder<br />
<br />
'''Sourell, Bernhard'''<br><br />
1927 geboren, mit elf Jahren nach Nordhausen, ab 1938 Realgymnasium bzw. Oberschule, Luftwaffenhelfer, Arbeitsdienst, Kanonier, von Gefangenschaft verschont, seit 1945 in Ziegelwerk Nordhausen tätig, 1951 Ingenieur, 1967 Diplom-Ingenieur, ab 1951 Unternehmer in 1990 reprivatisierter Familien GmbH, verheiratet, 2 Kinder<br />
<br />
'''Stürmer, Gerhard'''<br><br />
1932 in Nordhausen geboren, Meyenburgschule, Ausbildung beim Kreis Nordhausen als Verwaltungsangestellter in der Berufs- und Volksbildung bis 1956, danach Pionierleiter bis Renteneintritt, verheiratet, 3 Kinder<br />
<br />
'''Thelemann, Klaus'''<br><br />
1935 in Nordhausen geboren, Schulbesuch 1942-1950, danach Lehre als Maschinenschlosser im IFA-Motorenwerk, 1970-1973 nach Ablegung des 10. Klasseabschlusses Qualifizierung zum Industriemeister und Arbeitsnormer, bis 1990 im IFA-Motorenwerk tätig, verwitwet, 1 Kind, seit 60 Jahren Hobbymusiker<br />
<br />
'''Thieme, Wolf'''<br><br />
1937 als Sohn Nordhäuser Eltern in Bad Dürrenberg geboren, in der Werkssiedlung von Leuna aufgewachsen, Schulbesuch in Mücheln/Geiseltal, später in Berlin, seit 1955 Volontarist und Journalist, verheiratet, Großvater war Besitzer einer Kornbrennerei in der Grimmelallee, Heute Gaststätte „Destille“.<br />
<br />
'''Unger, Margarete'''<br><br />
1923 in Nordhausen geboren, Mathilden-Mittelschule (Mädchenschule), Mittlere Reife, 10 Jahre als Telefonistin und Fernschreiberin bei der Deutschen Post Nordhausen tätig, dann Studium als Lehrerin und Erzieherin, 30 Jahre in pädagogischen Berufen tätig, Internatsleiterin in Eisenach, ledig, keine Kinder<br />
<br />
'''Warnstedt, Gustav'''<br><br />
1927 in Nordhausen geboren, Petersberg- und Mittelschule, Mittlere Reife, Maurerlehre, 1944 Kavallerist an der Balkanfront. Sowjetische Gefangenschaft bis Dezember 1949, 1950 Lehre beendet, Besuch der Bauschule, Abschluss als Bauingenieur, in mehreren Funktionen tätig, auch bei VEB Hydrogeologie Wassererkundung-Tiefbrunnenbau Nordhausen<br />
<br />
'''Werther, Hans-Dieter'''<br><br />
1933 in Nordhausen geboren, Sohn einer Nordhäuser Unternehmerfamilie, Sohn des bekannten Fliegers Hans Werther. Meyenburg- und Humboldt-Oberschule, Abitur 1952, Studium in Jena, Berlin, Halle, Diplom-Brennerei-Ingenieur, Patent-Ingenieur (Soziologie), Imkerfacharbeiter, ab 1968 Betriebleiter Fa. Georg Hügues, später VEB Biochemie-Nordeis, verheiratet, 2 Kinder<br />
<br />
'''Wittekopf, Gerhard †'''<br><br />
1927 in Nordhausen geboren, Meyenburg-Mittelschule, Mittlere Reife, Verwaltungslehre im Landratsamt, Dezember 1944 Panzergrenardier bis Mai 1945, ab Sommer Demontagearbeiten im Kohnstein, Pädagogische Fachschule, 5 Jahre Neulehrer, dann Großhandelskaufmann bei Papier-Druck Erfurt, Verkaufsleiter Bildpostkarten, verheiratet, 2 Kinder</div>Latimer Rexhttps://nordhausen-wiki.de/index.php?title=Sedan-Turnhalle&diff=15727Sedan-Turnhalle2020-02-13T23:30:03Z<p>Latimer Rex: </p>
<hr />
<div>Die '''Turnhalle in der [[Sedanstraße]]''' (auch '''Sedan-Turnhalle''') wurde 1930/31 auf dem Petersberg errichtet. Bereits 1882 war hier eine Turnhalle gebaut worden. <br />
<br />
Die Turnhalle wurde von der [[Knabenvolksschule am Petersberg]] und der [[Mädchenvolksschule am Töpfertor]] gemeinsam genutzt. <br />
<br />
Durch die [[Luftangriffe auf Nordhausen]] 1945 wurde das Gebäude sowie das umliegende Gebiet komplett zerstört.<br />
<br />
== Geschichte ==<br />
[[Datei:Sedan Turnhalle Zerstörung Nordhausen 1945.jpg|thumb|Die zerstörte Turnhalle]]<br />
Am Standort entstand 1882 eine Turnhalle, die Ende der 1920er Jahre stark renovierungsbedürftig war. So sei das Gebäude so baufällig gewesen, daß für Leben und Gesundheit bei Schneebelastung und Sturmwind nicht garantiert werden konnte. Am 15. Januar 1930 verboten die Behörden schließlich die weitere Nutzung.<br />
<br />
Der geforderte Neubau einer Turnhalle wurde am 10. Februar 1930 von einer Mehrheit der Stadtverordneten wegen Geldmangels zunächst abgelehnt. Durch Vermittlung des Landtagsabgeordneten Kleinspehn gewährte die Berliner Zentrale des „Verbandes für Freidenkertum und Feuerbestattung“ der Stadt einen Kredit in Höhe von 200.000 Reichsmark (heutiger Wert 1.326.000 Euro).<br />
<br />
Am 5. Mai 1930 beschlossen die Stadtverordneten mit knapper Mehrheit ? wieso bei 17:17) – bei einem Stimmenverhältnis von 17 Ja- und 17 Nein-Stimmen – den Neubau der Sedan-Turnhalle. Nach dem Abriß der alten Turnhalle ist der Neubau seit Juni 1930 nach dem Entwurf von Stadtrat Rost errichtet worden.<br />
<br />
Am 8. April 1931 wurde die Turnhalle von Oberbürgermeister [[Curt Baller]] eingeweiht.<br />
<br />
Das Gebäude beherbergte zwei Turnräume im Erdgeschoß und im ersten Obergeschoß. Auf dem Dach befand sich ein Freiluft-Gymnastikboden. Zudem waren Wasch- und Duschräume, Umkleidekabinen, ein Abstellraum für Fahrräder und Schränke für Vereine vorhanden.<br />
<br />
Die Turnhalle wurde bei den Luftangriffen im April 1945 zerstört.<br />
<br />
[[Kategorie:Bauwerk]]<br />
[[Kategorie:Turnhalle]]</div>Latimer Rexhttps://nordhausen-wiki.de/index.php?title=Das_Nordh%C3%A4user_Geschichtenbuch&diff=15710Das Nordhäuser Geschichtenbuch2020-02-13T13:33:54Z<p>Latimer Rex: /* Kurzbiografien (alphabetisch) */</p>
<hr />
<div>{{SEITENTITEL:''Das Nordhäuser Geschichtenbuch''}}<br />
{{Buch<br />
|Titel=Das Nordhäuser Geschichtenbuch<br />
|Untertitel=Kindheitserinnerungen der Generation von vorgestern<br />
|Bild=<br />
|Reihe=<br />
|BandNr=<br />
|Autor=<br />
|Herausgeber=Stadt Nordhausen, Amt für Kultur und Tourismus. Autorengruppe ...<br />
|Verlag=Nordhausen : le petit<br />
|Auflage=<br />
|Umfang=370 Seiten : Illustrationen<br />
|Preis=24,90 Euro<br />
|Erscheinungsjahr=2011<br />
|Bibliothek=ja<br />
|ISBN=<br />
|Homepage=<br />
|erfasst=11. November 2016<br />
}}<br />
'''''Das Nordhäuser Geschichtenbuch''''' ist ein im Dezember 2011 durch die Stadt Nordhausen herausgegebenes Erinnerungsbuch, in dem 24 Nordhäuser ihre Erlebnisse in den Jahren zwischen 1930 und 1945 niederschrieben. <br />
<br />
{{BlockSatzStart}}<br />
<br />
== Zum Geleit ==<br />
: '''''Horst Köhler'''''<br />
'''I'''mmer dann, wenn sich die Rauchschwaden einer bedeutenden Epoche so weit verzogen haben, dass nur die empfindlichen Nasen mancher erst viel später geborener Historiker noch den kalten Brandgeruch wahrzunehmen meinen, während sie suchend und forschend in der grauen Asche der Geschichte herumstochern, immer dann schlägt die Stunde der Zeitzeugen.<br />
<br />
Ach, das sind alte Leute - so heißt es dann - und die Erinnerung der Alten, das weiß man ja, hüllt das Vergangene gern in ein sanftes, verklärendes Licht. Dennoch - niemand sollte sich anmaßen, ihre Glaubwürdigkeit leichtfertig in Frage zu stellen, denn sie genießen den entscheidenden Vorteil eines großen Vorsprungs: Sie waren dabei.<br />
<br />
ln diesem Buch kommt eine Reihe solcher Zeitzeugen zu Wort, denen bei aller Unterschiedlichkeit ihres Herkommens und ihrer Betrachtungs-weise eines gemeinsam ist: Die Liebe zu ihrer Heimat, zu ihrer Vaterstadt Nordhausen und zu ihren Menschen. Folgen wir ihnen auf einem Gang durch ihre längst versunkene Zeit, durch die Straßen und Gassen, die den alten Lesern so vertraut sein werden, als spürten sie das holprige Kopfsteinpflaster wieder unter den nun müde gewordenen Füßen. Aber auch die jungen Nordhäuser sind eingeladen, uns zu begleiten und mitzuwandern auf Wegen, die sie so nie gekannt haben, wenn sie auch da und dort noch die lieb gewordenen Namen tragen.<br />
<br />
Damals! Waren die Zeiten damals besser als heute, oder waren sie schlechter? Wer wollte sich unterstehen, diese Frage wahrheitsgemäß zu beantworten? Sie waren - anders. Man sagt, es gäbe nichts Älteres als die Zeitung von gestern. Das mag zutreffen. Indessen - es gibt auch nichts Lebendigeres als die Erinnerung. Lasst sie uns behutsam pflegen und bewahren, unsere Stadt hat es verdient; denn sie hat viel gelitten. Vergessen wir aber dabei das Eine nicht: Die Erinnerung an sich wäre nichts ohne die Kraft, die sie in die Zukunft trägt.<br />
<br />
== Inhalt ==<br />
{| class="wikitable sortable"<br />
| align="center" style="background:#f0f0f0;"|<br />
| align="center" style="background:#f0f0f0;"|<br />
|-<br />
| Horst Köhler || [[Das_Nordhäuser_Geschichtenbuch#Zum Geleit|Zum Geleit]]<br />
|-<br />
| Aufruf - Nordhäuser Zeitzeugen gesucht ||<br />
|-<br />
|Stadtplan 1927<br />
|-<br />
|[[Das_Nordhäuser_Geschichtenbuch#Prolog|Prolog]] ||<br />
|-<br />
|Dr. Hermann Quosig || Das Nordhäuser Geschichtenbuch - früheste Kindheitserinnerungen<br />
|-<br />
|Karl-Heinz Bosse || Das Dreieck<br />
|-<br />
|Werner Koch || Bruchstücke aus dem Lebenslauf bis 1946<br />
|-<br />
|Gerhard Meurer || Kindheitserinnerungen an den Mühlgraben in der Waisenstraße <br />
|-<br />
|Gerhard Wittekopf || Ein Weihnachtsfest 1932 / 1933 - Ich wurde Schulkind ; Erinnerungen an einen jüdischen Schulkameraden <br />
|-<br />
| Wolfgang Bartscher || Kindheitserinnerungen<br />
|-<br />
|Kurt Kühne || Die Lutherkurrende in Nordhausen ; Theater-Erlebnis<br />
|-<br />
|Walter Kurbach || Kindheits- und Jugenderinnerungen<br />
|-<br />
|Hermann Voigt || Das Bauwesen und ich<br />
|-<br />
|Dr. Hermann Quosigk || Vom Tanzbär und Nachtgespenst<br />
|-<br />
|Dr. Herinrich Schnee || Erinnerungen an meine Gymnasialzeit<br />
|-<br />
|R. Reichardt ||Mein erster Gehegegang<br />
|-<br />
|Marianne Lewin-Traeger || Eine Martini-Erinnerung<br />
|-<br />
|Gerhard Meurer || Erinnerungen an eine alte Kupferschmiede und Apparatebaufirma<br />
|-<br />
|Hans-Martin Kromann ||Unsere Urahnen der Familien Kromann/Fromann ; Zigeuner - „Zindis und Tatern“<br />
|-<br />
|Dr. Hermann Quosigk || Stadtleben - in - und außer Haus<br />
|-<br />
|Margarete Unger ||Jugenderinnerungen aus den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts<br />
|-<br />
|Ursula Fromme || Bericht zu „Nordhäuser Zeitzeugen gesucht“<br />
|-<br />
|Horst Beier||Meine Erinnerungen an die Wiedigsburgschule und Hohensteiner Straße<br />
|-<br />
|Jost-Dieter Rudloff||Erinnerungen an die Meyenburgstraße 1938-1945<br />
|-<br />
|Marianne Jud||Erinnerungen<br />
|-<br />
|Wolfgang Boes||Das Kriegsende als Jugendlicher in Nordhausen 1943-1945<br />
|-<br />
|Brigtte Sander||Mein Leben in meiner Heimatstadt Nordhausen von 1935-1945<br />
|-<br />
|Jutta Arndt||So erlebte ich den Bombenangriffe am 3. und 4. April 1945<br />
|-<br />
|Otto Koch||Ein Teil meiner Lebensgeschichte<br />
|-<br />
|Ilse Leiß||Kindheitserinnerungen vor 1945<br />
|-<br />
|Volker Reinboth||Wiedersehen mit Nordhausen 1945<br />
|-<br />
|Achim Sander||Erinnerungen an die Kindheit und die Kriegsjahre<br />
|-<br />
|Bernhardt Sourell||Alltagsumstellung auf Kriegsverhältnisse<br />
|-<br />
|Rolf Dohle||Meine ersten Lebensjahre in Salza<br />
|-<br />
|Elisabeth Dohle||Nachruf auf Alt-Nordhausen<br />
|-<br />
|Bernhardt Sourell||Kriegserleben im 12. bis 17. Lebensjahr<br />
|-<br />
|Günter Angelstein||Erlebnisbericht - 1939 bis Kriegsende<br />
|-<br />
|Dr. Hermann Quosigk||Ein Bummel durch Nordhausen 1938<br />
|-<br />
|Karl-Heinz Bosse||Gedenken an die Fotografin Eleonore Wopfner<br />
|-<br />
|Margret Sieckel||Schicksal einer jüdischen Familie ; Das werde ich nie vergessen!<br />
|-<br />
|Gustav Warnstedt||Strohmühlenweg<br />
|-<br />
|Hans-Dieter Werther||Jugendjahre in einer alten Kornbranntwein-Brennerei<br />
|-<br />
|Horst Meibohn||Martini 1938 in Nordhausen<br />
|-<br />
|Dr. Manfred Schröter||Das Leben in Nordhausen in den letzten Kriegsmonaten<br />
|-<br />
|Walther Reinboth||Erinnerungen an die Heinrich-Mittelschule<br />
|-<br />
|Gerhard Stürmer||Meine Erinnerungen an die Zeit vor 1945<br />
|-<br />
|Klaus Thelemann||Kindheitserinnerungen<br />
|-<br />
|Wolf Thieme||Nordhäuser Erinnerungen<br />
|-<br />
|Charlotte Arpert||Nordhausen - Anno dazumal 1914<br />
|-<br />
|Dr. Ulrich Haun||Episoden des Fliegerangriffs am 3. April 1945<br />
|-<br />
|Verfasser unbekannt||Geschichtliches und Sehenswertes aus der 1000-jährigen Stadt Nordhausen<br />
|-<br />
|Otto Koch||Gedicht über Nordhausen<br />
|-<br />
|Horst Beier||Unsere Arbeitseinsätze während des Krieges<br />
|-<br />
|Dr. Hermann Quosigk||Epilog<br />
|-<br />
|[[Das_Nordhäuser_Geschichtenbuch#Kurzbiografien (alphabetisch)|Kurzbiografien (alphabetisch)]] ||<br />
|}<br />
<br />
== Prolog ==<br />
'''Wir wurden vor der Erfindung des Fernsehens, des Penicillins, der Schluckimpfung, der Tiefkühlkost und der Kunststoffe geboren und kannten Kontaktlinsen, Herzschrittmacher und die Pille noch nicht. Wir kauften Mehl und Zucker viertelpfundweise in Tüten und nicht in Geschenkpackungen. Wir waren schon da, bevor Kreditkarten, Telefax, Kernspaltung, Laser und Kugelschreiber zur Verfügung standen.<br />
Es gab noch keine Geschirrspüler, Wäschetrockner, Klimaanlagen, Last-Minute-Flüge, und der Mensch war noch nicht auf dem Mond gelandet. Wir pflegten unsere Verbindungen persönlich und nicht mit hotline, online, inline, airline. Was sich in der Welt ereignete, zeigte uns die Wochenschau im Kino etwa vierzehn Tage später.<br />
Wir haben erst geheiratet und dann zusammengelebt. Damals waren die Käfer noch keine Volkswagen. Und „mit jemanden gehen“ hieß schon fast so viel wie verlobt zu sein. Alte Zeitungen wurden für „hinterlistige“ Zwecke verbraucht oder im Ofen verbrannt. Von Recycling sprach niemand. Wir dachten nicht daran, dass der Wiener Wald etwas mit Brathähnchen zu tun hätte, und Arbeitslosigkeit war eine Drohung und kein Versicherungsfall.<br />
Wir waren da, bevor es den Hausmann, die Emanzipation, Pampers, Aussteiger und eine computergesteuerte Heiratsvermittlung gab. Zu unserer Zeit gab es noch keine Gruppentherapie, Weight Watchers, Sonnenstudios und kein Kindererziehungsjahr für Väter. Zweitwagen hatte keiner und brauchte sie auch nicht durchzuchecken. Und wenn man sich wunderte, sagte man „oh“ und nicht „wow“.<br />
Wir haben damals keine Musik vom Tonband oder über UKW aus Transistorradios oder die New Yorker Symphonie via Satellit gehört. Wir lauschten Musikkapellen oder einer Schallplatte, deren Töne nicht gepowert waren. Bands in Discos waren unbekannt. Es gab keine elektronischen Schreibmaschinen, künstliche Nieren, Yoghurt und auch keine Jungen, die Ohrringe trugen. Die Worte Software für alles, was man beim Computer nicht anfassen und Non-Food für alles, was man nicht essen und trinken kann, waren noch nicht erfunden. Und ein gesundes Fachwissen wurde noch nicht mit Know-how bezeichnet.<br />
ln dieser Zeit hieß Made in Japan so viel wie billiger Schund, und man hatte auch noch nie etwas von Pizzen, MacDonald's und lnstant-Coffee gehört. Der Ausspruch Pommes mit Ketchup war noch nicht geboren. Wir sagten noch Guten Tag und nicht „Hallo“ oder „Hi“ (sprich hei), und wenn wir etwas gut fanden, sagten wir auch, es war schön und nicht okay oder affengeil.<br />
Wir feierten unsere kleinen Feste und keine Parties oder Festivals, und Höhepunkte waren keine Highlights.<br />
Wir liefen schon auf der Straße herum, als man noch für fünf Pfennige ein Eis, einen Beutel Studentenfutter oder eine Flasche Brause kaufen konnte. Auf Briefe klebten wir Sechs-Pfennig-Marken, und für 15 Pfennige konnten wir mit der Straßenbahn von einem Ende der Stadt bis zum anderen fahren, wenn wir uns vorher eine Fahrkarte gekauft hatten, die damals noch nicht Ticket hieß. Wenn man weniger als einen Meter groß war, kostete es nichts. Im Gang stehen war verboten. Ein Ei kostete drei Pfennige und eine Semmel vier Pfennige.<br />
Bei Regen zog man sich einen Mantel an und kein Outfit. Die Verkäuferin hatte noch keinen Job im Shop. Man buchstabierte noch deutsch, wer hätte schon etwas verstanden, hätte man Eibiäm (IBM) gesagt? Statt des modernen Countdowns sagten wir noch abzählen. Freunde waren wir und keine Fans. Wir waren wohl die letzte Generation, die so dumm war zu glauben, dass eine Frau einen Mann heiraten muss, um ein Baby zu bekommen. Und wenn das Wort Kids fiel, dachten wir an kleine Rehe. Mit leuchtenden Augen lauschten wir den Märchen, die uns vorgelesen wurden. Comic-Strip waren uns unbekannt.<br />
Wir sammelten und bügelten noch alte Schleifen und Geschenkpapier, legten bröckelnde Seifenreste zusammen und waren Meister im Falten von Zahnpastatuben, um die letzten Spuren herauszuquetschen. Wir mussten fast alles selber tun und mit dem auskommen, was wir hatten. Zu glauben, dass der Staat uns schließlich doch versorgen wird, wenn wir vorher über unsere Verhältnisse gelebt haben, wäre undenkbar gewesen. Wer mehr ausgab als er einnahm, war ein krimineller Bankrotteur. Und Bock mussten wir immer haben! (Null Bock auf nichts)<br />
Diese ganze Entwicklung haben wir über uns ergehen lassen müssen. Ist es da ein Wunder, wenn wir etwas konfus erscheinen? So ist wohl auch die Kluft zwischen den Generationen entstanden. Wir haben aber alles überlebt und sind, der Statistik zufolge die gesündeste Generation. Das ist vielleicht auch der Beweis für unsere total überholte, aber vernünftige Lebensweise. Darum haben wir alle Grund zum Feiern, und wir freuen uns, dass wir das heute überhaupt noch können. <br />
Eine lange Entstehungsgeschichte liegt hinter den Initiatoren. dieses Buches. Die Herausgabe wäre selbst noch einmal eine Geschichte wert. Daher möchte ich mich im Namen aller Beteiligten bei der Stadt Nordhausen recht herzlich bedanken, dass sie sich bereiterklärte, dieses Buch zu publizieren. Die Autoren sehen es auch als ihren Beitrag zum 1085-jährigen Jubiläum der Stadt Nordhausen im nächsten Jahr 2012.<br />
<br />
== Kurzbiografien (alphabetisch) ==<br />
<br />
'''Angelstein, Günther'''<br><br />
1935 in Sundhausen, OT von Nordhausen, geboren und aufgewachsen. Besuch der dortigen Grundschule, Abschluss 8. Klasse. Fleischerlehre, Gesellenprüfung. Berufsausübung als Fleischer, industriell und Hausschlachtung. Qualfizierung zum Baggerfahrer<br />
<br />
'''Arndt, Jutta geb. Gothe'''<br><br />
1934 in Bielen geboren, OT von Nordhausen, Besuch der dortigen 8-klassigen Volksschule, Abschluss 8. Klasse. Lehre als Näherin, später Angestellte bei der Deutschen Reichsbahn, dann Bundesbahn, jetzt Rentnerin, verheiratet, 4 Kinder<br />
<br />
'''Bartscher, Wolfgang''' <br><br />
1927 in Nordhausen geboren. Petersbergschule. Mittelschule. Lehre bei Stadtverwaltung Nordhausen, Arbeitsdienst-Flak. Gefangenschaft in Belgien. Hochschule in Leipzig, Abschluss als Diplomwirtschaftler. Tätig im Lebensmittel-Großhandel und EDV, verheiratet, 2 Kinder, Vorruhestand 1990, Rentner ab 1992<br />
<br />
'''Beier, Horst'''<br><br />
1931 in Nordhausen geboren, Meyenburg-Mittelschule, ab 1945 als Helfer in der Stadtgärtnerei bei Gartenbau-Oberinspektor Ernst tätig. Studium zum Gartenbau-Ingenieur, 1961 bis 1973 Abteilungsleiter Gartenverwaltung, Ingenieur für Landschaftsgestaltung<br />
<br />
'''Boes, Wolfgang'''<br><br />
1931 in Köln geboren. 1942 in Köln ausgebombt, Umzug mit Familie nach Nordhausen, hier ab 1943 Oberschule. lm April 1945 in der Löbnitzstraße erneut ausgebombt, nach Mühlhausen verzogen, dort Berufsschule. Nach Enteignung des väterlichen Betriebes nach Westdeutschland. Großhandelskaufmann, EDV-Organisator bis zur Rente, verheiratet, 2 Kinder<br />
<br />
'''Bosse, Karl-Heinz'''<br><br />
1925 in Allstedt/Helme geboren, 1935 nach Nordhausen, Petersbergschule, Lehre als Maschinenschlosser und Technischer Zeichner. 1943 zur Luftwaffe, 1944 abgeschossen, verwundet, 1945 in Gefangenschaft. Tätig in MONTANIA und ABUS, Ingenieurstudium, Chefkonstrukteur bei NOBAS. Nach Kriegsende maßgeblich am Aufbau des Segelflugs in Nordhausen beteiligt, jetzt Rentner, verheiratet, 2 Kinder<br />
<br />
'''Dohle, Elisabeth geb. Giese'''<br><br />
1931 in Netzdorf/Westpreußen geboren, mit 8 Jahren 1940 nach Nordhausen zu den Großeltern gezogen, die in der Hohekreuzstraße beim Bombenangriff ums Leben kamen. Besuchte die Töpfertorschule, dann Mittelschule. 1943 Rückkehr nach Westpreußen, l945 nach der Vertreibung wieder im zerbombten Nordhausen. 2-jährige Lehre als Dreherin in der IFA, dann Assistentin der Betriebsschule, 1961 nach Bremen, Sekretärin, verwitwet, 3 Kinder<br />
<br />
'''Dohle, Rolf †'''<br><br />
1926 in Salza geboren, dortige Volksschule besucht, Abschluss 8. Klasse, ab 1940 Kaufmannslehre bei Kaffee-Krause & Co. in Nordhausen, für 3 Jahre Berufsschule. 1944 Kaufmanns-Gehilfe. Einberufung zum RAD und Luftwaffe, Einsatz in Frankreich, Lazarett, danach Abwehrkämpfe an der Oder, bis 1945 in amerikanischer Gefangenschaft. Ab 1950 bei der HO, ab 1951 Einkäufer IFA, 1961 nach-Bremen, dort selbständig, 3 Kinder, im Oktober 2009 verstorben<br />
<br />
'''Fromme, Ursula'''<br><br />
1922 in Loburg/Krs. Zerbst geboren, 1926 nach Kleinwerther gezogen, dortige Volksschule besucht, anschließend Mathilden-Mittelschule Nordhausen, Mittlere Reife, Pflichtjahr, Höhere Handelsschule Halle/Saale, Tätigkeit in der Stadtverwaltung Nordhausen, Sekretärin bis 1985, seit 1982 Rentnerin, Mitglied im Kulturbund, Harzklub<br />
<br />
'''Haun, Dr. Ulrich'''<br><br />
1940 in Nordhausen geboren, Sohn eines Landarztes, Grundschule in Großwechsungen, 1954-58 EOS Nordhausen, Abitur, 1959 Praktikum an der Bergakademie Freiberg, bis 1965 Medizinstudium Charité Berlin und MA Erfurt, 1966 Promotion, Oberarzt der Kinderklinik Nordhausen bis 2003, dann Altersteilzeit.<br />
<br />
'''Koch, Otto †'''<br><br />
1920 in Salza geboren. Heinrich-Mittelschule, Mittlere Reife. Maurerlehre, gesamte Kriegsteilnahme an der Ostfront, zweimal verwundet. Nach Kriegsende Berufsschullehrer, Ausbildungsleiter und Direktor der Betriebsberufsschule Hochbau Nordhausen, Dozent an der Fachschule für Bautechnik Weimar, Direktor Lehrmeister-Institut Magdeburg, 3 Kinder<br />
<br />
'''Koch, Werner'''<br><br />
1926 in Nordhausen geboren, 3. Generation einer Nordhäuser Färbermeisterfamilie, Petersberg-Realgymnasium, Luftwaffenhelfer, Kriegsabitur, Infantrist in der Schlacht von Arnheim, Gefangenschaft bis Oktober 1946. Färbermeister, selbstständig in Nordhausen bis zur Enteignung 1961, dann 25 Jahre Vorsitzender der PGH „Adrett“, verheiratet<br />
<br />
'''Köhler, Horst'''<br><br />
1924 in Nordhausen geboren, Realgymnasium, danach mehrere Jahre Soldat, nach Kriegsgefangenschaft in Bremen wohnhaft, dort im Außenhandel tätig. Buchveröffentlichungen „Glocken vom Petriturm“, „Laterna magica“', „Sonnenstaub und Wolkenschatten“, zahlreiche lyrische Gedichte, auch in „Nordhäuser Nachrichten“<br />
<br />
'''Kromann, Hans-Martin'''<br><br />
1926 in Nordhausen geboren, Petersbergschule, Mittelschule. Luftwaffensoldat, verwundet, bis l949 in Kriegsgefangenschaft in Frankreich. Fachschule für Binnenhandel, Großhandelskaufmann. Leitender Angestellter und Betriebsökonom, Autor „110 Jahre Luftfahrt in und um Nordhausen“, verheiratet, 1 Kind<br />
<br />
'''Kubach, Walter'''<br><br />
1923 in Duisburg/Meiderich Rhl. geboren, als Kleinkind nach Nordhausen gezogen. Von 1930 bis 1938 Petersbergschule, Handelsschule bis 1941. Lehre bei VIKK, Arbeitsdienst in Polen, lnfanterist im Kaukasus, schwer verwundet, 1945 amerikanische Gefangenschaft, l7 Jahre AOK, danach 27 Jahre Revision Verkehrsbetriebe Nordhausen, verheiratet, 2 Kinder<br />
<br />
'''Kühne, Kurt'''<br><br />
1923 in Nordhausen geboren. Meyenburg-Mittelschule, Mittlere Reife. Ab 1942 motorisierte lnfanterie, verwundet in Stalingrad, dann Einsatz in Süditalien, 1944 in Gefangenschaft nach Algerien und Frankreich, 1949 Heimkehr, 1953 Meisterprüfung Sanitär- und Heizungsbau. Weiterführung des väterlichen Betriebes bis 1988, verheiratet<br />
<br />
'''Leiß, Ilse geb. Meyer'''<br><br />
1927 in Nordhausen geboren, Justus-Jonas-Schule, nach Abschluss tätig im elterlichen Lebensmittelgeschäft und Gastwirtschaft „Grimmel Tor“. Nach Geschäftsaufgabe Ende 1960er Jahre in der Bücherstube beschäftigt, verwitwet, 1 Kind<br />
<br />
'''Maibohm, Horst'''<br><br />
1929 in Nordhausen geboren, Petersbergschule, von 1939-1945 Mittelschule, Bombenangriff in der Schützenstraße überlebt. Von 1946-1949 kaufmännische Lehre bei Fa. Gebhardt & König in Nordhausen, bis 1990 Industriekaufmann bei VEB Schachtbau, verheiratet, l Kind<br />
<br />
'''Meurer, Gerhard'''<br><br />
1926 in Nordhausen geboren, Sohn alteingesessenen Nordhäuser Fabrikantenfamilie, Meyenburgschule, Realgymnasium Nordhausen und Aufbauschule Sondershausen, Luftwaffenhelfer, Arbeitsdienst in Polen, Artillerist, Gefangenschaft 1945, dann Abitur, Kupferschmied, Studium Maschinenbau an TH Aachen, 1956 Diplomingenieur, in Dortmund tätig.<br />
<br />
'''Quosigk, Dr. Hermann'''<br> <br />
1926 in Nordhausen geboren, Sohn einer alteingesessenen Fabrikantenfamilie, Meyenburgschule, Realgymnasium, Luftwaffenhelfer, Arbeitsdienst, Kriegsabitur, Luftwaffe, Gefangenschaft bis 1946, nochmals Abitur, 1948 Dreherberuf, 1951-1956 Medizinstudium an der Humboldt-Universität Berlin, 44 Jahre als Arzt in Nordhausen tätig, verheiratet, 3 Kinder<br />
<br />
'''Reinboth, Walter sen.'''<br><br />
1928 in Nordhausen geboren, 1935-1939 Petersbergschule, bis 1945 Mittelschule, Segelflugausbildung in Ellrich. Beim Angriff 1945 in Schützenstraße ausgebombt, seitdem wohnhaft in Walkenried, bis 1988 Bankkaufmann bei der NORD/LB, verheiratet, 2 Kinder<br />
<br />
'''Rudloff, Jost-Dieter'''<br><br />
1934 in Halberstadt geboren, Schulbesuch in Nordhausen, Rundfunkmechaniker bis 1953, Abitur 1956, Diplom-Ingenieur in Pharma-Konzern (Schweiz), verheiratet, 2 Kinder<br />
<br />
'''Sander, Achim'''<br><br />
1932 in Nordhausen geboren, Petersbergschule, Mittelschule, Mittlere Reife. Ausbildung Industriekaufmann Elektrizitätswerk Nordhausen, bis 1956 im E-Werk tätig, dann Eisengießerei und Verkehrsbetriebe, danach im Kfm- und EDV-Bereich Bergbau Bochum, Lebensmittelindustrie Düsseldorf, verheiratet, 2 Kinder <br />
<br />
'''Schröter, Dr. Manfred'''<br><br />
1935 in Nordhausen geboren, Petersbergschule, 1951 aus politischen Gründen von der Humboldt-Schule verwiesen, Weberlehre in Bleicherode, danach 1955 Abitur, Studium der Medizin in Halle/Leipzig, ab 1961 als Arzt in Nordhausen tätig, 1990 Oberbürgermeister der Stadt Nordhausen, bis 2002 Verwaltungsdirektor, Publikationen über Zerstörung Nordhausens und Judenverfolgung, verheiratet, 4 Kinder<br />
<br />
'''Sieckel, Margret geb. Strecker'''<br><br />
1927 in Nordhausen geboren, 1934-1938 katholische Dorrischule, von 1938-1946 Lyzeum Nordhausen (Königin-Luise-Schule), 1946 Abitur, Lehrerausbildung am lfL (?) Nordhausen, Lehrertätigkeit an Töpfertor- und Diesterweg-Schule sowie Organistin am Dom zu Nordhausen, verwitwet, 3 Kinder<br />
<br />
'''Sourell, Bernhard'''<br><br />
1927 geboren, mit elf Jahren nach Nordhausen, ab 1938 Realgymnasium bzw. Oberschule, Luftwaffenhelfer, Arbeitsdienst, Kanonier, von Gefangenschaft verschont, seit 1945 in Ziegelwerk Nordhausen tätig, 1951 Ingenieur, 1967 Diplom-Ingenieur, ab 1951 Unternehmer in 1990 reprivatisierter Familien GmbH, verheiratet, 2 Kinder<br />
<br />
'''Stürmer, Gerhard'''<br><br />
1932 in Nordhausen geboren, Meyenburgschule, Ausbildung beim Kreis Nordhausen als Verwaltungsangestellter in der Berufs- und Volksbildung bis 1956, danach Pionierleiter bis Renteneintritt, verheiratet, 3 Kinder<br />
<br />
'''Thelemann, Klaus'''<br><br />
1935 in Nordhausen geboren, Schulbesuch 1942-1950, danach Lehre als Maschinenschlosser im IFA-Motorenwerk, 1970-1973 nach Ablegung des 10. Klasseabschlusses Qualifizierung zum Industriemeister und Arbeitsnormer, bis 1990 im IFA-Motorenwerk tätig, verwitwet, 1 Kind, seit 60 Jahren Hobbymusiker<br />
<br />
'''Thieme, Wolf'''<br><br />
1937 als Sohn Nordhäuser Eltern in Bad Dürrenberg geboren, in der Werkssiedlung von Leuna aufgewachsen, Schulbesuch in Mücheln/Geiseltal, später in Berlin, seit 1955 Volontarist und Journalist, verheiratet, Großvater war Besitzer einer Kornbrennerei in der Grimmelallee, Heute Gaststätte „Destille“.<br />
<br />
'''Unger, Margarete'''<br><br />
1923 in Nordhausen geboren, Mathilden-Mittelschule (Mädchenschule), Mittlere Reife, 10 Jahre als Telefonistin und Fernschreiberin bei der Deutschen Post Nordhausen tätig, dann Studium als Lehrerin und Erzieherin, 30 Jahre in pädagogischen Berufen tätig, Internatsleiterin in Eisenach, ledig, keine Kinder<br />
<br />
'''Warnstedt, Gustav'''<br><br />
1927 in Nordhausen geboren, Petersberg- und Mittelschule, Mittlere Reife, Maurerlehre, 1944 Kavallerist an der Balkanfront. Sowjetische Gefangenschaft bis Dezember 1949, 1950 Lehre beendet, Besuch der Bauschule, Abschluss als Bauingenieur, in mehreren Funktionen tätig, auch bei VEB Hydrogeologie Wassererkundung-Tiefbrunnenbau Nordhausen<br />
<br />
'''Werther, Hans-Dieter'''<br><br />
1933 in Nordhausen geboren, Sohn einer Nordhäuser Unternehmerfamilie, Sohn des bekannten Fliegers Hans Werther. Meyenburg- und Humboldt-Oberschule, Abitur 1952, Studium in Jena, Berlin, Halle, Diplom-Brennerei-Ingenieur, Patent-Ingenieur (Soziologie), Imkerfacharbeiter, ab 1968 Betriebleiter Fa. Georg Hügues, später VEB Biochemie-Nordeis, verheiratet, 2 Kinder<br />
<br />
'''Wittekopf, Gerhard †'''<br><br />
1927 in Nordhausen geboren, Meyenburg-Mittelschule, Mittlere Reife, Verwaltungslehre im Landratsamt, Dezember 1944 Panzergrenardier bis Mai 1945, ab Sommer Demontagearbeiten im Kohnstein, Pädagogische Fachschule, 5 Jahre Neulehrer, dann Großhandelskaufmann bei Papier-Druck Erfurt, Verkaufsleiter Bildpostkarten, verheiratet, 2 Kinder</div>Latimer Rexhttps://nordhausen-wiki.de/index.php?title=Das_Nordh%C3%A4user_Geschichtenbuch&diff=15709Das Nordhäuser Geschichtenbuch2020-02-13T13:11:59Z<p>Latimer Rex: /* Prolog */</p>
<hr />
<div>{{SEITENTITEL:''Das Nordhäuser Geschichtenbuch''}}<br />
{{Buch<br />
|Titel=Das Nordhäuser Geschichtenbuch<br />
|Untertitel=Kindheitserinnerungen der Generation von vorgestern<br />
|Bild=<br />
|Reihe=<br />
|BandNr=<br />
|Autor=<br />
|Herausgeber=Stadt Nordhausen, Amt für Kultur und Tourismus. Autorengruppe ...<br />
|Verlag=Nordhausen : le petit<br />
|Auflage=<br />
|Umfang=370 Seiten : Illustrationen<br />
|Preis=24,90 Euro<br />
|Erscheinungsjahr=2011<br />
|Bibliothek=ja<br />
|ISBN=<br />
|Homepage=<br />
|erfasst=11. November 2016<br />
}}<br />
'''''Das Nordhäuser Geschichtenbuch''''' ist ein im Dezember 2011 durch die Stadt Nordhausen herausgegebenes Erinnerungsbuch, in dem 24 Nordhäuser ihre Erlebnisse in den Jahren zwischen 1930 und 1945 niederschrieben. <br />
<br />
{{BlockSatzStart}}<br />
<br />
== Zum Geleit ==<br />
: '''''Horst Köhler'''''<br />
'''I'''mmer dann, wenn sich die Rauchschwaden einer bedeutenden Epoche so weit verzogen haben, dass nur die empfindlichen Nasen mancher erst viel später geborener Historiker noch den kalten Brandgeruch wahrzunehmen meinen, während sie suchend und forschend in der grauen Asche der Geschichte herumstochern, immer dann schlägt die Stunde der Zeitzeugen.<br />
<br />
Ach, das sind alte Leute - so heißt es dann - und die Erinnerung der Alten, das weiß man ja, hüllt das Vergangene gern in ein sanftes, verklärendes Licht. Dennoch - niemand sollte sich anmaßen, ihre Glaubwürdigkeit leichtfertig in Frage zu stellen, denn sie genießen den entscheidenden Vorteil eines großen Vorsprungs: Sie waren dabei.<br />
<br />
ln diesem Buch kommt eine Reihe solcher Zeitzeugen zu Wort, denen bei aller Unterschiedlichkeit ihres Herkommens und ihrer Betrachtungs-weise eines gemeinsam ist: Die Liebe zu ihrer Heimat, zu ihrer Vaterstadt Nordhausen und zu ihren Menschen. Folgen wir ihnen auf einem Gang durch ihre längst versunkene Zeit, durch die Straßen und Gassen, die den alten Lesern so vertraut sein werden, als spürten sie das holprige Kopfsteinpflaster wieder unter den nun müde gewordenen Füßen. Aber auch die jungen Nordhäuser sind eingeladen, uns zu begleiten und mitzuwandern auf Wegen, die sie so nie gekannt haben, wenn sie auch da und dort noch die lieb gewordenen Namen tragen.<br />
<br />
Damals! Waren die Zeiten damals besser als heute, oder waren sie schlechter? Wer wollte sich unterstehen, diese Frage wahrheitsgemäß zu beantworten? Sie waren - anders. Man sagt, es gäbe nichts Älteres als die Zeitung von gestern. Das mag zutreffen. Indessen - es gibt auch nichts Lebendigeres als die Erinnerung. Lasst sie uns behutsam pflegen und bewahren, unsere Stadt hat es verdient; denn sie hat viel gelitten. Vergessen wir aber dabei das Eine nicht: Die Erinnerung an sich wäre nichts ohne die Kraft, die sie in die Zukunft trägt.<br />
<br />
== Inhalt ==<br />
{| class="wikitable sortable"<br />
| align="center" style="background:#f0f0f0;"|<br />
| align="center" style="background:#f0f0f0;"|<br />
|-<br />
| Horst Köhler || [[Das_Nordhäuser_Geschichtenbuch#Zum Geleit|Zum Geleit]]<br />
|-<br />
| Aufruf - Nordhäuser Zeitzeugen gesucht ||<br />
|-<br />
|Stadtplan 1927<br />
|-<br />
|[[Das_Nordhäuser_Geschichtenbuch#Prolog|Prolog]] ||<br />
|-<br />
|Dr. Hermann Quosig || Das Nordhäuser Geschichtenbuch - früheste Kindheitserinnerungen<br />
|-<br />
|Karl-Heinz Bosse || Das Dreieck<br />
|-<br />
|Werner Koch || Bruchstücke aus dem Lebenslauf bis 1946<br />
|-<br />
|Gerhard Meurer || Kindheitserinnerungen an den Mühlgraben in der Waisenstraße <br />
|-<br />
|Gerhard Wittekopf || Ein Weihnachtsfest 1932 / 1933 - Ich wurde Schulkind ; Erinnerungen an einen jüdischen Schulkameraden <br />
|-<br />
| Wolfgang Bartscher || Kindheitserinnerungen<br />
|-<br />
|Kurt Kühne || Die Lutherkurrende in Nordhausen ; Theater-Erlebnis<br />
|-<br />
|Walter Kurbach || Kindheits- und Jugenderinnerungen<br />
|-<br />
|Hermann Voigt || Das Bauwesen und ich<br />
|-<br />
|Dr. Hermann Quosigk || Vom Tanzbär und Nachtgespenst<br />
|-<br />
|Dr. Herinrich Schnee || Erinnerungen an meine Gymnasialzeit<br />
|-<br />
|R. Reichardt ||Mein erster Gehegegang<br />
|-<br />
|Marianne Lewin-Traeger || Eine Martini-Erinnerung<br />
|-<br />
|Gerhard Meurer || Erinnerungen an eine alte Kupferschmiede und Apparatebaufirma<br />
|-<br />
|Hans-Martin Kromann ||Unsere Urahnen der Familien Kromann/Fromann ; Zigeuner - „Zindis und Tatern“<br />
|-<br />
|Dr. Hermann Quosigk || Stadtleben - in - und außer Haus<br />
|-<br />
|Margarete Unger ||Jugenderinnerungen aus den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts<br />
|-<br />
|Ursula Fromme || Bericht zu „Nordhäuser Zeitzeugen gesucht“<br />
|-<br />
|Horst Beier||Meine Erinnerungen an die Wiedigsburgschule und Hohensteiner Straße<br />
|-<br />
|Jost-Dieter Rudloff||Erinnerungen an die Meyenburgstraße 1938-1945<br />
|-<br />
|Marianne Jud||Erinnerungen<br />
|-<br />
|Wolfgang Boes||Das Kriegsende als Jugendlicher in Nordhausen 1943-1945<br />
|-<br />
|Brigtte Sander||Mein Leben in meiner Heimatstadt Nordhausen von 1935-1945<br />
|-<br />
|Jutta Arndt||So erlebte ich den Bombenangriffe am 3. und 4. April 1945<br />
|-<br />
|Otto Koch||Ein Teil meiner Lebensgeschichte<br />
|-<br />
|Ilse Leiß||Kindheitserinnerungen vor 1945<br />
|-<br />
|Volker Reinboth||Wiedersehen mit Nordhausen 1945<br />
|-<br />
|Achim Sander||Erinnerungen an die Kindheit und die Kriegsjahre<br />
|-<br />
|Bernhardt Sourell||Alltagsumstellung auf Kriegsverhältnisse<br />
|-<br />
|Rolf Dohle||Meine ersten Lebensjahre in Salza<br />
|-<br />
|Elisabeth Dohle||Nachruf auf Alt-Nordhausen<br />
|-<br />
|Bernhardt Sourell||Kriegserleben im 12. bis 17. Lebensjahr<br />
|-<br />
|Günter Angelstein||Erlebnisbericht - 1939 bis Kriegsende<br />
|-<br />
|Dr. Hermann Quosigk||Ein Bummel durch Nordhausen 1938<br />
|-<br />
|Karl-Heinz Bosse||Gedenken an die Fotografin Eleonore Wopfner<br />
|-<br />
|Margret Sieckel||Schicksal einer jüdischen Familie ; Das werde ich nie vergessen!<br />
|-<br />
|Gustav Warnstedt||Strohmühlenweg<br />
|-<br />
|Hans-Dieter Werther||Jugendjahre in einer alten Kornbranntwein-Brennerei<br />
|-<br />
|Horst Meibohn||Martini 1938 in Nordhausen<br />
|-<br />
|Dr. Manfred Schröter||Das Leben in Nordhausen in den letzten Kriegsmonaten<br />
|-<br />
|Walther Reinboth||Erinnerungen an die Heinrich-Mittelschule<br />
|-<br />
|Gerhard Stürmer||Meine Erinnerungen an die Zeit vor 1945<br />
|-<br />
|Klaus Thelemann||Kindheitserinnerungen<br />
|-<br />
|Wolf Thieme||Nordhäuser Erinnerungen<br />
|-<br />
|Charlotte Arpert||Nordhausen - Anno dazumal 1914<br />
|-<br />
|Dr. Ulrich Haun||Episoden des Fliegerangriffs am 3. April 1945<br />
|-<br />
|Verfasser unbekannt||Geschichtliches und Sehenswertes aus der 1000-jährigen Stadt Nordhausen<br />
|-<br />
|Otto Koch||Gedicht über Nordhausen<br />
|-<br />
|Horst Beier||Unsere Arbeitseinsätze während des Krieges<br />
|-<br />
|Dr. Hermann Quosigk||Epilog<br />
|-<br />
|[[Das_Nordhäuser_Geschichtenbuch#Kurzbiografien (alphabetisch)|Kurzbiografien (alphabetisch)]] ||<br />
|}<br />
<br />
== Prolog ==<br />
'''Wir wurden vor der Erfindung des Fernsehens, des Penicillins, der Schluckimpfung, der Tiefkühlkost und der Kunststoffe geboren und kannten Kontaktlinsen, Herzschrittmacher und die Pille noch nicht. Wir kauften Mehl und Zucker viertelpfundweise in Tüten und nicht in Geschenkpackungen. Wir waren schon da, bevor Kreditkarten, Telefax, Kernspaltung, Laser und Kugelschreiber zur Verfügung standen.<br />
Es gab noch keine Geschirrspüler, Wäschetrockner, Klimaanlagen, Last-Minute-Flüge, und der Mensch war noch nicht auf dem Mond gelandet. Wir pflegten unsere Verbindungen persönlich und nicht mit hotline, online, inline, airline. Was sich in der Welt ereignete, zeigte uns die Wochenschau im Kino etwa vierzehn Tage später.<br />
Wir haben erst geheiratet und dann zusammengelebt. Damals waren die Käfer noch keine Volkswagen. Und „mit jemanden gehen“ hieß schon fast so viel wie verlobt zu sein. Alte Zeitungen wurden für „hinterlistige“ Zwecke verbraucht oder im Ofen verbrannt. Von Recycling sprach niemand. Wir dachten nicht daran, dass der Wiener Wald etwas mit Brathähnchen zu tun hätte, und Arbeitslosigkeit war eine Drohung und kein Versicherungsfall.<br />
Wir waren da, bevor es den Hausmann, die Emanzipation, Pampers, Aussteiger und eine computergesteuerte Heiratsvermittlung gab. Zu unserer Zeit gab es noch keine Gruppentherapie, Weight Watchers, Sonnenstudios und kein Kindererziehungsjahr für Väter. Zweitwagen hatte keiner und brauchte sie auch nicht durchzuchecken. Und wenn man sich wunderte, sagte man „oh“ und nicht „wow“.<br />
Wir haben damals keine Musik vom Tonband oder über UKW aus Transistorradios oder die New Yorker Symphonie via Satellit gehört. Wir lauschten Musikkapellen oder einer Schallplatte, deren Töne nicht gepowert waren. Bands in Discos waren unbekannt. Es gab keine elektronischen Schreibmaschinen, künstliche Nieren, Yoghurt und auch keine Jungen, die Ohrringe trugen. Die Worte Software für alles, was man beim Computer nicht anfassen und Non-Food für alles, was man nicht essen und trinken kann, waren noch nicht erfunden. Und ein gesundes Fachwissen wurde noch nicht mit Know-how bezeichnet.<br />
ln dieser Zeit hieß Made in Japan so viel wie billiger Schund, und man hatte auch noch nie etwas von Pizzen, MacDonald's und lnstant-Coffee gehört. Der Ausspruch Pommes mit Ketchup war noch nicht geboren. Wir sagten noch Guten Tag und nicht „Hallo“ oder „Hi“ (sprich hei), und wenn wir etwas gut fanden, sagten wir auch, es war schön und nicht okay oder affengeil.<br />
Wir feierten unsere kleinen Feste und keine Parties oder Festivals, und Höhepunkte waren keine Highlights.<br />
Wir liefen schon auf der Straße herum, als man noch für fünf Pfennige ein Eis, einen Beutel Studentenfutter oder eine Flasche Brause kaufen konnte. Auf Briefe klebten wir Sechs-Pfennig-Marken, und für 15 Pfennige konnten wir mit der Straßenbahn von einem Ende der Stadt bis zum anderen fahren, wenn wir uns vorher eine Fahrkarte gekauft hatten, die damals noch nicht Ticket hieß. Wenn man weniger als einen Meter groß war, kostete es nichts. Im Gang stehen war verboten. Ein Ei kostete drei Pfennige und eine Semmel vier Pfennige.<br />
Bei Regen zog man sich einen Mantel an und kein Outfit. Die Verkäuferin hatte noch keinen Job im Shop. Man buchstabierte noch deutsch, wer hätte schon etwas verstanden, hätte man Eibiäm (IBM) gesagt? Statt des modernen Countdowns sagten wir noch abzählen. Freunde waren wir und keine Fans. Wir waren wohl die letzte Generation, die so dumm war zu glauben, dass eine Frau einen Mann heiraten muss, um ein Baby zu bekommen. Und wenn das Wort Kids fiel, dachten wir an kleine Rehe. Mit leuchtenden Augen lauschten wir den Märchen, die uns vorgelesen wurden. Comic-Strip waren uns unbekannt.<br />
Wir sammelten und bügelten noch alte Schleifen und Geschenkpapier, legten bröckelnde Seifenreste zusammen und waren Meister im Falten von Zahnpastatuben, um die letzten Spuren herauszuquetschen. Wir mussten fast alles selber tun und mit dem auskommen, was wir hatten. Zu glauben, dass der Staat uns schließlich doch versorgen wird, wenn wir vorher über unsere Verhältnisse gelebt haben, wäre undenkbar gewesen. Wer mehr ausgab als er einnahm, war ein krimineller Bankrotteur. Und Bock mussten wir immer haben! (Null Bock auf nichts)<br />
Diese ganze Entwicklung haben wir über uns ergehen lassen müssen. Ist es da ein Wunder, wenn wir etwas konfus erscheinen? So ist wohl auch die Kluft zwischen den Generationen entstanden. Wir haben aber alles überlebt und sind, der Statistik zufolge die gesündeste Generation. Das ist vielleicht auch der Beweis für unsere total überholte, aber vernünftige Lebensweise. Darum haben wir alle Grund zum Feiern, und wir freuen uns, dass wir das heute überhaupt noch können. <br />
Eine lange Entstehungsgeschichte liegt hinter den Initiatoren. dieses Buches. Die Herausgabe wäre selbst noch einmal eine Geschichte wert. Daher möchte ich mich im Namen aller Beteiligten bei der Stadt Nordhausen recht herzlich bedanken, dass sie sich bereiterklärte, dieses Buch zu publizieren. Die Autoren sehen es auch als ihren Beitrag zum 1085-jährigen Jubiläum der Stadt Nordhausen im nächsten Jahr 2012.<br />
<br />
== Kurzbiografien (alphabetisch) ==<br />
<br />
'''Angelstein, Günther'''<br><br />
1935 in Sundhausen, OT von Nordhausen, geboren und aufgewachsen. Besuch der dortigen Grundschule, Abschluss 8. Klasse. Fleischerlehre, Gesellenprüfung. Berufsausübung als Fleischer, industriell und Hausschlachtung. Qualizierung zum Baggerfahrer<br />
<br />
'''Arndt, Jutta geb. Gothe'''<br><br />
1934 in Bielen geboren, OT von Nordhausen, Besuch der dortigen 8-klassigen Volksschule, Abschluss 8. Klasse. Lehre als Näherin, später Angestellte bei der Deutschen Reichsbahn, dann Bundesbahn, jetz Rentnerin, verheiratet, 4 Kinder<br />
<br />
'''Bartscher, Wolfgang''' <br><br />
1927 in Nordhausen geboren. Petersbergschule. Mittelschule. Lehre bei Stadtverwaltung Nordhausen, Arbeitsdienst-Flak. Gefangenschaft in Belgien. Hochschule in Leipzig, Abschluss als Diplomwirtschaftler. Tätig im Lebensmittel-Großhandel und EDV, verheiratet, 2 Kinder, Vorruhestand 1990, Rentner ab 1992<br />
<br />
'''Beier, Horst'''<br><br />
1931 in Nordhausen geboren, Meyenburg-Mittelschule, ab 1945 als Helfer in der Stadtgärtnerei bei Gartenbau-Oberinspektor Ernst tätig. Studium zum Gartenbau-Ingenieur, 1961 bis 1973 Abteilungsleiter Gartenverwaltung, Ingenieur fur Landschaftsgestaltung<br />
<br />
'''Boes, Wolfgang'''<br><br />
1931 in Köln geboren. 1942 in Köln ausgebomt, Umzug mit Familie nach Nordhausen, hier ab 1943 Oberschule. lm April 1945 in der Löbnitzstraße erneut ausgebombt, nach Mühlhausen verzogen, dort Berufsschule. Nach Enteignung des väterlichen Betriebse nach Westdeutschland. Großhandelskaufmann, EDV-Organisator bis zur Rente, verheiratet, 2 Kinder<br />
<br />
'''Bosse, Karl-Heinz'''<br><br />
1925 in Allstedt/Helme geboren, 1935 nach Nordhausen, Petersbergschule, Lehre als Maschinenschlosser und Technischer Zeichner. 1943 zur Luftwaffe, 1944 abgeschossen, verwundet, 1945 in Gefangenschaft. Tätig in MONTANIA und ABUS, Ingenieurstudium Chefkonstrukteur bei NOBAS. Nach Kriegsende maßgeblich am Aufbau des Segelflugs in Nordhausen beteiligt, jetzt Rentner, verheiratet, 2 Kinder<br />
<br />
'''Dohle, Elisabeth geb. Giese'''<br><br />
1931 in Netzdorf/Westpreußen geboren, mit 8 Jahren 1940 nach Nordhausen zu den Großeltern gezogen, die in der Hohekreuzstraße beim Bombenangriff ums Leben kamen. Besuchte die Töpfertorschule, dann Mittelschule. 1943 Rückkehr nach Westpreußen, l945 nach der Vertreibung wieder im zerbomten Nordhausen. 2-jährige Lehre als Dreherin in der IFA, dann Assistentin der Betriebsschule, 1961 anach Bremen, Sekretärin, verwitwet, 3 Kinder<br />
<br />
'''Dohle, Rolf †'''<br><br />
1926 in Salza geboren, dortige Volksschule besucht, Abschluss 8. Klasse, ab 1940 Kaufmannslehre bei Kaffee-Krause & Co. in Nordhausen, für 3 Jahre Berufsschule. 1944 Kaufmanns-Gehilfe. Einberufung zum RAD und Luftwaffe, Einsatz in Frankreich, Lazarett, danach Abwehrkämpfe an der Oder, bis 1945 in amerikanischer Gefangenschaft. Ab 1950 bei der HO, ab 1951 Einkäufer IFA, 1961 nach-Bremen, dort Selbständig, 3 Kinder, im Oktober 2009 verstorben<br />
<br />
'''Fromme, Ursula'''<br><br />
1922 in Loburg/Krs. Zerbst geboren, 1926 nach Kleinwerther gezogen, dortigge Volksschule besucht, anschließend Mathilden-Mittelschule Nordhausen, Mittlere Reife, Pflichtjahr, Höhere Handelsschule Halle/Saale, Tätigkeit in der Stadtverwaltung Nordhausen, Sekretärin bis 1985, seit 1982 Rentnerin, Mitglied im Kulturbund, Harzklub<br />
<br />
'''Haun, Dr. Ulrich'''<br><br />
1940 in Nordhausen geboren, Sohn eines Landarztes, Grundschule in Großwechsungen, 1954-58 EOS Nordhausen, Abitur, 1959 Praktikum an der Bergakademie Freiberg, bis 1965 Medizinstudium Charite Berlin und MA Erfurt, 1966 Promotion, Oberarzt der Kinderklinik Nordhausen bis 2003, dann Altersteilzeit.<br />
<br />
'''Koch, Otto †'''<br><br />
1920 in Salza geboren. Heinrich-Mittelschule, Mittlere Reife. Maurerlehre, gesamte Kriegsteilnahme an der Ostfront, 2 mal verwundet. Nach Kriegsende Berufsschullehrer, Ausbildungsleiter und Direktor der Betriebsberufsschule Hochbau Nordhausen, Dozent an der Fachschule für Bautechnik Weimar, Direktor Lehrmeister-Institut Magdeburg, 3 Kinder<br />
<br />
'''Koch, Werner'''<br><br />
1926 in Nordhausen geboren, 3. Generation einer Nordhäuser Färbeermeisterfamilie, Petersberg-Realgymnasium, Luftwaffenhelfer, Kriegsabitur, Infantrist in der Schlacht von Arnheim, Gefangenschaft bis Oktober 1946. Färbermeister, selbstständig in Nordhausen bis zur Enteignung 1961, dann 25 Jahre Vorsitzender der PGH „Adrett“, verheiratet<br />
<br />
'''Köhler, Horst'''<br><br />
1924 in Nordhausen geboren, Realgymnasium, danach mehrere Jahre Soldat, nach Kriegsgefangenschaft in Bremen wohnhaft, dort im Außenhandel tätig. Buchveröffentlichungen „Glocken vom Petrieturm“, „Laterna magica“', „Sonnenstaub und Wolkenschatten“, zahlreiche Lyrische Gedichte, auch in „Nordhäuser Nachrichten“<br />
<br />
'''Kromann, Hans-Martin'''<br><br />
1926 in Nordhausen geboren, Petersbergschule, Mittelschule. Luftwaffensoldat, verwundet bis l949 in Kriegsgefangenschaft in Frankreich. Fachschule für Binnenhandel, Großhandelskaufmann. Leitender Angestellter und Betriebsökonom, Autor „110 Jahre Luftfahrt in und um Nordhausen“, verheiratet, 1 Kind<br />
<br />
'''Kubach, Walter'''<br><br />
1923 in Duisburg/Meiderich Rhl. geboren, als Kleinkind nach Nordhausen gezogen. Von 1930 bis 1938 Petersbergschule, Handelsschule bis 1941. Lehre bei VIKK Arbeitsdienst in Polen, lnfanterist im Kaukasus, schwer verwundet, 1945 amerikanische Gefangenschaft, l7 Jahre AOK, danach 27 Jahre Revision Verkehrsbetriebe Nordhausen, verheiratet, 2 Kinder<br />
<br />
'''Kühne, Kurt'''<br><br />
1923 in Nordhausen geboren. Meyenburg-Mittelschule, Mittlere Reife. Ab 1942 motorisierte lnfanterie, verwundet in Stalingrad, dann Einsatz in Süditalien, 1944 in Gefan- genschaft nach Algerien und Frankreich, 1949 Heimkehr, 1953 Meisterprüfung Sanitär- und Heizungsbau. Weiterführung des väterlichen Betriebes bis 1988, verheiratet<br />
<br />
'''Leiß, Ilse geb. Meyer'''<br><br />
1927 in Nordhausen geboren, Justus-Jonas-Schule, nach Abschluß tätig im elterlichen Lebensmittelgeschäft und Gastwirtschaft „Grimmel Tor“. Nach Geschäftsaufgabe Ende 1960er-Jahre in der Bücherstube beschäftigt, verwitwet, 1 Kind<br />
<br />
'''Maibohm, Horst'''<br><br />
1929 in Nordhausen geboren, Petersbergschule, von 1939-1945 Mittelschule, Bombenangriff in der Schützenstraße überlebt. Von 1946-1949 kaufmännische Lehre bei Fa. Gebhardt & König in Nordhausen, bis 1990 Industriekaufmann bei VEB Schachtbau, verheiratet, l Kind<br />
<br />
'''Meurer, Gerhard'''<br><br />
1926 in Nordhausen geboren, Sohn alteingesessenen Nordhäuser Fabrikantenfamilie, Meyenburgschule, Realgymnasium Nordhausen und Aufbauschule Sondershausen, Luftwaffenhelfer, Arbeitsdienst in Polen, Artillerist, Gefangenschaft 1945, dann Abitur, Kupferschmied, Studium Maschinenbau an TH in Aachen, 1956 Diplomingenieur, in Dortmund tätig.<br />
<br />
'''Quosigk, Dr. Hermann'''<br> <br />
1926 in Nordhausen geboren, Sohn einer alteingesessenen Fabrikantenfamilie, Meyenburgschule, Realgymnasium, Luftwaffenhelfer, Arbeitsdienst, Kriegsabitur, Luftwaffe, Gefangenschaft bis 1946, nochmals Abitur, 1948 Dreherberuf, 1951-1956 Medizinstudium an der Humboldt-Universität Berlin, 44 Jahre als Arzt in Nordhausen tätig, verheiratet, 3 Kinder<br />
<br />
'''Reinboth, Walter sen.'''<br><br />
1928 in Nordhausen geboren, 1935-1939 Petersbergschule, bis 1945 Mittelschule, Segelflugausbildung in Ellrich. Beim Angriff 1945 in Schützenstraße ausgebombt, seit- dem wohnhaft in Walkenried, bis 1988 Bankkaufmann bei der NORD/LB, verheiratet, 2 Kinder<br />
<br />
'''Rudloff, Jost-Dieter'''<br><br />
1934 in Halberstadt geboren, Schulbesuch in Nordhausen, Rundfunkmechaniker bis 1953, Abitur 1956, Diplom-Ingenieur in Pharma-Konzern (Schweiz), verheiratet, 2 Kinder<br />
<br />
'''Sander, Achim'''<br><br />
1932 in Nordhausen geboren, Petersbergschule, Mittelschule, Mittlere Reife. Ausbildung Industriekaufmann Elektrizitätswerk Nordhausen, bis 1956 im E-Werk tätig, dann Eisengießerei und Verkehrsbetriebe, danach im Kfm. und EDV-Bereich Bergbau Bochum Lebensmittelindustrie Düsseldorf, verheiratet, 2 Kinder <br />
<br />
'''Schröter, Dr. Manfred'''<br><br />
1935 in Nordhausen geboren, Petersbergschule, 1951 aus politischen Gründen von der Humboldt-Schule verwiesen, Weberlehre in Bleicherode, danach 1955 Abitur, Studium der Medizin in Halle/Leipzig, ab 1961 als Arzt in Nordhausen tätig, 1990 Bürgermeister der Stadt Nordhausen, bis 2002 Verwaltungsdirektor, Publikationen über Zerstörung Nordhausens und Judenverfolgung, verheiratet, 4 Kinder<br />
<br />
'''Sieckel, Margret geb. Strecker'''<br><br />
1927 in Nordhausen geboren, 1934-1938 katholische Dorrischule, von 1938-1946 Lyzeum Nordhausen (Königin Luise Schule), 1946 Abitur, Lehrerausbildung am lfL Nordhausen, Lehrertätigkeit an Töpfertor- und Diesterweg-Schule, sowie Organistin am Dom zu Nordhausen, verwitwet, 3 Kinder<br />
<br />
'''Sourell, Bernhard'''<br><br />
1927 geboren, mit 11 Jahren nach Nordhausen, ab 1938 Realgyrnnasium bzw. Oberschule, Luftwaffenhelfer, Arbeitsdienst, Kanonier, von Gefangenschaft verschont, seit 1945 in Ziegelwerk Nordhausen tätig, 1951 Ingenieur, 1967 Diplom-Ingenieur, ab 1951 Unternehmer in 1990 reprivatisierter Familien GmbH, verheiratet, 2 Kinder<br />
<br />
'''Stürmer, Gerhard'''<br><br />
1932 in Nordhausen geboren, Meyenburgschule, Ausbildung beim Kreis Nordhausen als Verwaltungsangestellter in der Berufs- und Volksbildung bis 1956, danach Pionierleiter bis Renteneintritt, verheiratet, 3 Kinder<br />
<br />
'''Thelemann, Klaus'''<br><br />
1935 in Nordhausen geboren, Schulbesuch 1942-1950, danach Lehre als Maschinenschlosser im IFA-Motorenwerk, 1970-1973 nach Ablegung des 10. Klasseabschlusses Qualizierung zum Industriemeister und Arbeitsnormer, bis 1990 im IFA-Motorenwerk tätig, verwitwet, 1 Kind, seit 60 Jahren Hobbymusiker<br />
<br />
'''Thieme, Wolf'''<br><br />
1937 als Sohn Nordhäuser Eltern in Bad Dürrenberg geboren, in der Werkssiedlung von Leuna aufgewachsen, Schulbesuch in Mücheln/Geiseltal, später in Berlin, seit 1955 Volontarist und Journalist, verheiratet, Großvater war Besitzer einer Kornbrennerei in der Grimmelallee, Heute Gaststätte „Destille“.<br />
<br />
'''Unger, Margarete'''<br><br />
1923 in Nordhausen geboren, Mathilden-Mittelschule (Mädchenschule), Mittlere Reife, 10 Jahre als Telefonistin und Fernschreiberin bei der Deutschen Post Nordhausen tätig, dann Studium als Lehrerin und Erzieherin, 30 Jahre in pädagogischen Berufen tätig, Internatsleiterin in Eisenach, ledig, keine Kinder<br />
<br />
'''Warnstedt, Gustav'''<br><br />
1927 in Nordhausen geboren, Petersberg- und Mittelschule, Mittlere Reife, Maurerlehre, 1944 Kavallerist an der Balkanfront. Sowjetische Gefangenschaft bis Dezember 1949, 1950 Lehre beendet, Besuch der Bauschule, Abschluss als Bauingenieur, in mehreren Funktionen tätig, auch bei VEB Hydrogeologie Wassererkundung-Tiefbrunnenbau Nordhausen<br />
<br />
'''Werther, Hans-Dieter'''<br><br />
1933 in Nordhausen geboren, Sohn einer Nordhäuser Unternehmerfamilie, Sohn des bekannten Fliegers Hans Werther. Meyenburg- und Humboldt-Oberschule, Abitur 1952, Studium in Jena, Berlin, Halle, Diplom-Brennerei-Ingenieur, Patent-Ingenieur (Sozio-logie), lmkerfacharbeiter, ab 1968 Betriebleiter Fa. Georg I-Iügues, später VEB Biochemie-Nordeis, verheiratet, 2 Kinder<br />
<br />
'''Wittekopf, Gerhard †'''<br><br />
1927 in Nordhausen geboren, Meyenburg-Mittelschule, Mittlere Reife, Verwaltungslehre im Landratsamt, Dezember 1944 Panzergrenardier bis Mai 1945, ab Sommer Demontagearbeiten im Kohnstein, Pädagogische Fachschule, 5 Jahre Neulehrer, dann Großhandelskaufmann bei Papier-Druck Erfurt, Verkaufsleiter Bildpostkarten, verheiratet, 2 Kinder</div>Latimer Rexhttps://nordhausen-wiki.de/index.php?title=Das_Nordh%C3%A4user_Geschichtenbuch&diff=15708Das Nordhäuser Geschichtenbuch2020-02-13T12:54:57Z<p>Latimer Rex: /* Inhalt */</p>
<hr />
<div>{{SEITENTITEL:''Das Nordhäuser Geschichtenbuch''}}<br />
{{Buch<br />
|Titel=Das Nordhäuser Geschichtenbuch<br />
|Untertitel=Kindheitserinnerungen der Generation von vorgestern<br />
|Bild=<br />
|Reihe=<br />
|BandNr=<br />
|Autor=<br />
|Herausgeber=Stadt Nordhausen, Amt für Kultur und Tourismus. Autorengruppe ...<br />
|Verlag=Nordhausen : le petit<br />
|Auflage=<br />
|Umfang=370 Seiten : Illustrationen<br />
|Preis=24,90 Euro<br />
|Erscheinungsjahr=2011<br />
|Bibliothek=ja<br />
|ISBN=<br />
|Homepage=<br />
|erfasst=11. November 2016<br />
}}<br />
'''''Das Nordhäuser Geschichtenbuch''''' ist ein im Dezember 2011 durch die Stadt Nordhausen herausgegebenes Erinnerungsbuch, in dem 24 Nordhäuser ihre Erlebnisse in den Jahren zwischen 1930 und 1945 niederschrieben. <br />
<br />
{{BlockSatzStart}}<br />
<br />
== Zum Geleit ==<br />
: '''''Horst Köhler'''''<br />
'''I'''mmer dann, wenn sich die Rauchschwaden einer bedeutenden Epoche so weit verzogen haben, dass nur die empfindlichen Nasen mancher erst viel später geborener Historiker noch den kalten Brandgeruch wahrzunehmen meinen, während sie suchend und forschend in der grauen Asche der Geschichte herumstochern, immer dann schlägt die Stunde der Zeitzeugen.<br />
<br />
Ach, das sind alte Leute - so heißt es dann - und die Erinnerung der Alten, das weiß man ja, hüllt das Vergangene gern in ein sanftes, verklärendes Licht. Dennoch - niemand sollte sich anmaßen, ihre Glaubwürdigkeit leichtfertig in Frage zu stellen, denn sie genießen den entscheidenden Vorteil eines großen Vorsprungs: Sie waren dabei.<br />
<br />
ln diesem Buch kommt eine Reihe solcher Zeitzeugen zu Wort, denen bei aller Unterschiedlichkeit ihres Herkommens und ihrer Betrachtungs-weise eines gemeinsam ist: Die Liebe zu ihrer Heimat, zu ihrer Vaterstadt Nordhausen und zu ihren Menschen. Folgen wir ihnen auf einem Gang durch ihre längst versunkene Zeit, durch die Straßen und Gassen, die den alten Lesern so vertraut sein werden, als spürten sie das holprige Kopfsteinpflaster wieder unter den nun müde gewordenen Füßen. Aber auch die jungen Nordhäuser sind eingeladen, uns zu begleiten und mitzuwandern auf Wegen, die sie so nie gekannt haben, wenn sie auch da und dort noch die lieb gewordenen Namen tragen.<br />
<br />
Damals! Waren die Zeiten damals besser als heute, oder waren sie schlechter? Wer wollte sich unterstehen, diese Frage wahrheitsgemäß zu beantworten? Sie waren - anders. Man sagt, es gäbe nichts Älteres als die Zeitung von gestern. Das mag zutreffen. Indessen - es gibt auch nichts Lebendigeres als die Erinnerung. Lasst sie uns behutsam pflegen und bewahren, unsere Stadt hat es verdient; denn sie hat viel gelitten. Vergessen wir aber dabei das Eine nicht: Die Erinnerung an sich wäre nichts ohne die Kraft, die sie in die Zukunft trägt.<br />
<br />
== Inhalt ==<br />
{| class="wikitable sortable"<br />
| align="center" style="background:#f0f0f0;"|<br />
| align="center" style="background:#f0f0f0;"|<br />
|-<br />
| Horst Köhler || [[Das_Nordhäuser_Geschichtenbuch#Zum Geleit|Zum Geleit]]<br />
|-<br />
| Aufruf - Nordhäuser Zeitzeugen gesucht ||<br />
|-<br />
|Stadtplan 1927<br />
|-<br />
|[[Das_Nordhäuser_Geschichtenbuch#Prolog|Prolog]] ||<br />
|-<br />
|Dr. Hermann Quosig || Das Nordhäuser Geschichtenbuch - früheste Kindheitserinnerungen<br />
|-<br />
|Karl-Heinz Bosse || Das Dreieck<br />
|-<br />
|Werner Koch || Bruchstücke aus dem Lebenslauf bis 1946<br />
|-<br />
|Gerhard Meurer || Kindheitserinnerungen an den Mühlgraben in der Waisenstraße <br />
|-<br />
|Gerhard Wittekopf || Ein Weihnachtsfest 1932 / 1933 - Ich wurde Schulkind ; Erinnerungen an einen jüdischen Schulkameraden <br />
|-<br />
| Wolfgang Bartscher || Kindheitserinnerungen<br />
|-<br />
|Kurt Kühne || Die Lutherkurrende in Nordhausen ; Theater-Erlebnis<br />
|-<br />
|Walter Kurbach || Kindheits- und Jugenderinnerungen<br />
|-<br />
|Hermann Voigt || Das Bauwesen und ich<br />
|-<br />
|Dr. Hermann Quosigk || Vom Tanzbär und Nachtgespenst<br />
|-<br />
|Dr. Herinrich Schnee || Erinnerungen an meine Gymnasialzeit<br />
|-<br />
|R. Reichardt ||Mein erster Gehegegang<br />
|-<br />
|Marianne Lewin-Traeger || Eine Martini-Erinnerung<br />
|-<br />
|Gerhard Meurer || Erinnerungen an eine alte Kupferschmiede und Apparatebaufirma<br />
|-<br />
|Hans-Martin Kromann ||Unsere Urahnen der Familien Kromann/Fromann ; Zigeuner - „Zindis und Tatern“<br />
|-<br />
|Dr. Hermann Quosigk || Stadtleben - in - und außer Haus<br />
|-<br />
|Margarete Unger ||Jugenderinnerungen aus den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts<br />
|-<br />
|Ursula Fromme || Bericht zu „Nordhäuser Zeitzeugen gesucht“<br />
|-<br />
|Horst Beier||Meine Erinnerungen an die Wiedigsburgschule und Hohensteiner Straße<br />
|-<br />
|Jost-Dieter Rudloff||Erinnerungen an die Meyenburgstraße 1938-1945<br />
|-<br />
|Marianne Jud||Erinnerungen<br />
|-<br />
|Wolfgang Boes||Das Kriegsende als Jugendlicher in Nordhausen 1943-1945<br />
|-<br />
|Brigtte Sander||Mein Leben in meiner Heimatstadt Nordhausen von 1935-1945<br />
|-<br />
|Jutta Arndt||So erlebte ich den Bombenangriffe am 3. und 4. April 1945<br />
|-<br />
|Otto Koch||Ein Teil meiner Lebensgeschichte<br />
|-<br />
|Ilse Leiß||Kindheitserinnerungen vor 1945<br />
|-<br />
|Volker Reinboth||Wiedersehen mit Nordhausen 1945<br />
|-<br />
|Achim Sander||Erinnerungen an die Kindheit und die Kriegsjahre<br />
|-<br />
|Bernhardt Sourell||Alltagsumstellung auf Kriegsverhältnisse<br />
|-<br />
|Rolf Dohle||Meine ersten Lebensjahre in Salza<br />
|-<br />
|Elisabeth Dohle||Nachruf auf Alt-Nordhausen<br />
|-<br />
|Bernhardt Sourell||Kriegserleben im 12. bis 17. Lebensjahr<br />
|-<br />
|Günter Angelstein||Erlebnisbericht - 1939 bis Kriegsende<br />
|-<br />
|Dr. Hermann Quosigk||Ein Bummel durch Nordhausen 1938<br />
|-<br />
|Karl-Heinz Bosse||Gedenken an die Fotografin Eleonore Wopfner<br />
|-<br />
|Margret Sieckel||Schicksal einer jüdischen Familie ; Das werde ich nie vergessen!<br />
|-<br />
|Gustav Warnstedt||Strohmühlenweg<br />
|-<br />
|Hans-Dieter Werther||Jugendjahre in einer alten Kornbranntwein-Brennerei<br />
|-<br />
|Horst Meibohn||Martini 1938 in Nordhausen<br />
|-<br />
|Dr. Manfred Schröter||Das Leben in Nordhausen in den letzten Kriegsmonaten<br />
|-<br />
|Walther Reinboth||Erinnerungen an die Heinrich-Mittelschule<br />
|-<br />
|Gerhard Stürmer||Meine Erinnerungen an die Zeit vor 1945<br />
|-<br />
|Klaus Thelemann||Kindheitserinnerungen<br />
|-<br />
|Wolf Thieme||Nordhäuser Erinnerungen<br />
|-<br />
|Charlotte Arpert||Nordhausen - Anno dazumal 1914<br />
|-<br />
|Dr. Ulrich Haun||Episoden des Fliegerangriffs am 3. April 1945<br />
|-<br />
|Verfasser unbekannt||Geschichtliches und Sehenswertes aus der 1000-jährigen Stadt Nordhausen<br />
|-<br />
|Otto Koch||Gedicht über Nordhausen<br />
|-<br />
|Horst Beier||Unsere Arbeitseinsätze während des Krieges<br />
|-<br />
|Dr. Hermann Quosigk||Epilog<br />
|-<br />
|[[Das_Nordhäuser_Geschichtenbuch#Kurzbiografien (alphabetisch)|Kurzbiografien (alphabetisch)]] ||<br />
|}<br />
<br />
== Prolog ==<br />
'''W'''ir wurden vor der Erfindung des Fernsehens, des Penizillins, der Schluckirnpfung,<br />
der Tiefkühlkost und der Kunststoffe geboren und kannten Kontaktlinsen, Herzschritt-<br />
macher und die Pille noch nicht. Wir kauften Mehl und Zucker viertelpfundweise in Tüten und nicht in Geschenkpackungen. Wir waren schon da, bevor Kreditkarten, Telefax,<br />
Kernspaltung, Laser und Kugelschreiber zur Verfügung standen.<br />
<br />
Es gab noch keine Geschirrspüler, Wäschetrockner, Klimaanlagen, Last-Minute-Flüge<br />
und der Mensch war noch nicht auf dem Mond gelandet. Wir pflegten unsere Verbindungen persönlich und nicht mit hotline, online, inline, airline. Was sich in der Welt<br />
ereignete, zeigte uns die Wochenschau im Kino etwa vierzehn Tage später.<br />
<br />
Wir haben erst geheiratet und dann zusammengelebt. Damals waren die Käfer noch<br />
keine Volkswagen. Und „mit jemanden gehen“ hieß schon fast so viel wie verlobt zu<br />
sein. Alte Zeitungen wurden für „hinterlistige“ Zwecke verbraucht oder im Ofen verbrannt. Von Recycling sprach niemand. Wir dachten nicht daran, daß der Wiener Wald<br />
etwas mit Brathähnchen zu <br />
tun hätte, und Arbeitslosigkeit war eine Drohung und kein Versicherungsfall.<br />
<br />
Wir waren da, bevor es den Hausmann, die Emanzipation, Pampers, Aussteiger und eine<br />
computergesteuerte 1-leiratsvermittlung gab. Zu unserer Zeit gab es noch keine Gruppentherapie, Weight-Watchers, Sonnenstudios und kein Kindererziehungsj ahr für Väter.<br />
Zweitwagen hatte keiner und brauchte sie auch nicht durchzuchecken. Und wenn man<br />
sich wunderte, sagte man „oh“ und nicht „wow“.<br />
<br />
Wir haben damals keine Musik vom Tonband oder über UKW aus Transistorradios oder<br />
die New Yorker Symphonie via Satellit gehört. Wir lauschten Musikkapellen oder einer<br />
Schallplatte, deren Töne nicht gepowert waren. Band in Discos waren unbekannt. Es<br />
gab keine elektronischen Schreibmaschinen, künstliche Nieren, Yoghurt und auch keine<br />
Jungen, die Ohrringe trugen. Die Worte Software für alles, was man beim Computer<br />
nicht anfassen und Non-Food für alles, was man nicht essen und trinken kann, waren<br />
noch nicht erfunden. Und ein gesundes Fachwissen wurde noch nicht mit Know-how<br />
bezeichnet.<br />
<br />
ln dieser Zeit hieß Made in Japan so viel wie billiger Schund und man hatte auch noch<br />
nie etwas von Pizzen, MacDonald's und lnstand-Coffee gehört. Der Ausspruch Pommes<br />
mit Ketchup war noch nicht geboren. Wir sagten noch Guten Tag und nicht „Hallo“ oder<br />
„Hi“ (sprich hei) und wenn wir etwas gut fanden, sagten wir auch, es war schön und<br />
nicht okay oder affengeil.<br />
<br />
Wir feierten unsere kleinen Feste und keine Parties oder Festivals und Höhepunkte waren keine Highlights.<br />
<br />
Wir liefen schon auf der Straße herum, als man noch für fünf Pfennige ein Eis, einen<br />
Beutel Studentenfutter oder eine Flasche Brause kaufen konnte. Auf Briefe klebten wir Sechs-Pfennig-Marken und für fünfzehn Pfennige konnten wir mit der Straßenbahn von<br />
einem Ende der Stadt bis zum anderen fahren, wenn wir uns vorher eine Fahrkarte gekauft hatten, die damals noch nicht Ticket hieß. Wenn man weniger als einen Meter groß<br />
war, kostete es nichts. Im Gang stehen war verboten. Ein Ei kostete drei Pfennige und<br />
eine Semmel vier Pfennige.<br />
<br />
Bei Regen zog man sich einen Mantel an und kein Outfit. Die Verkäuferin hatte noch<br />
keinen Job im Shop. Man buchstabierte noch deutsch, wer hätte schon etwas verstanden, hätte man Eibiäm (IBM) gesagt? Statt des modernen Countdown sagten wir noch<br />
abzählen. Freunde waren wir und keine Fans. Wir waren wohl die letzte Generation,<br />
die so dumm war zu glauben, daß eine Frau einen Mann heiraten muß, um ein Baby zu<br />
bekommen. Und wenn das Wort Kids el, dachten wir an kleine Rehe. Mit leuchtenden<br />
Augen lauschten wir den Märchen, die uns vorgelesen wurden. Comic-Strip waren uns<br />
unbekannt.<br />
<br />
Wir sammelten und bügelten noch alte Schleifen und Geschenkpapier, legten bröckelnde Seifenreste zusammen und waren Meister im Falten von Zahnpastatuben, um die<br />
letzten Spuren herauszuquetschen.<br />
<br />
Wir mußten fast alles selber tun und mit dem auskommen, was wir hatten. Zu glauben,<br />
daß der Staat uns schließlich doch versorgen wird, wenn wir vorher über unsere Ver-<br />
hältnisse gelebt haben, wäre undenkbar gewesen. Wer mehr ausgab als er einnahm, war<br />
ein krimineller Bankrotteur.<br />
<br />
Und Bock mußten wir immer haben! (Null Bock auf nichts)<br />
Diese ganze Entwicklung haben wir über uns ergehen lassen müssen. Ist es da ein Wun-<br />
der, wenn wir etwas konfus erscheinen?<br />
<br />
So ist wohl auch die Kluft zwischen den Generationen entstanden. Wir haben aber alles<br />
überlebt und sind, der Statistik zufolge die gesündeste Generation. Das ist vielleicht<br />
auch der Beweis für unsere total überholte, aber vernünftige Lebensweise.<br />
Darum haben wir alle Grund zum feiern und wir freuen uns, daß wir das heute über-<br />
haupt noch können.<br />
<br />
Eine lange Entstehungsgeschichte liegt hinter den Initiatoren. dieses Buches. Die Herausgabe wäre selbst noch einmal eine Geschichte weit. Daher möchte ich mich im Na-<br />
men aller Beteiligten bei der Stadt Nordhausen recht herzlich bedanken, dass sie sich<br />
bereiterklärt hat dieses Buch zu publizieren. Die Autoren sehen es auch als ihren Beitrag<br />
zum 1085-jährigen Jubiläum der Stadt Nordhausen im nächsten Jahr 2012.<br />
<br />
== Kurzbiografien (alphabetisch) ==<br />
<br />
'''Angelstein, Günther'''<br><br />
1935 in Sundhausen, OT von Nordhausen, geboren und aufgewachsen. Besuch der dortigen Grundschule, Abschluss 8. Klasse. Fleischerlehre, Gesellenprüfung. Berufsausübung als Fleischer, industriell und Hausschlachtung. Qualizierung zum Baggerfahrer<br />
<br />
'''Arndt, Jutta geb. Gothe'''<br><br />
1934 in Bielen geboren, OT von Nordhausen, Besuch der dortigen 8-klassigen Volksschule, Abschluss 8. Klasse. Lehre als Näherin, später Angestellte bei der Deutschen Reichsbahn, dann Bundesbahn, jetz Rentnerin, verheiratet, 4 Kinder<br />
<br />
'''Bartscher, Wolfgang''' <br><br />
1927 in Nordhausen geboren. Petersbergschule. Mittelschule. Lehre bei Stadtverwaltung Nordhausen, Arbeitsdienst-Flak. Gefangenschaft in Belgien. Hochschule in Leipzig, Abschluss als Diplomwirtschaftler. Tätig im Lebensmittel-Großhandel und EDV, verheiratet, 2 Kinder, Vorruhestand 1990, Rentner ab 1992<br />
<br />
'''Beier, Horst'''<br><br />
1931 in Nordhausen geboren, Meyenburg-Mittelschule, ab 1945 als Helfer in der Stadtgärtnerei bei Gartenbau-Oberinspektor Ernst tätig. Studium zum Gartenbau-Ingenieur, 1961 bis 1973 Abteilungsleiter Gartenverwaltung, Ingenieur fur Landschaftsgestaltung<br />
<br />
'''Boes, Wolfgang'''<br><br />
1931 in Köln geboren. 1942 in Köln ausgebomt, Umzug mit Familie nach Nordhausen, hier ab 1943 Oberschule. lm April 1945 in der Löbnitzstraße erneut ausgebombt, nach Mühlhausen verzogen, dort Berufsschule. Nach Enteignung des väterlichen Betriebse nach Westdeutschland. Großhandelskaufmann, EDV-Organisator bis zur Rente, verheiratet, 2 Kinder<br />
<br />
'''Bosse, Karl-Heinz'''<br><br />
1925 in Allstedt/Helme geboren, 1935 nach Nordhausen, Petersbergschule, Lehre als Maschinenschlosser und Technischer Zeichner. 1943 zur Luftwaffe, 1944 abgeschossen, verwundet, 1945 in Gefangenschaft. Tätig in MONTANIA und ABUS, Ingenieurstudium Chefkonstrukteur bei NOBAS. Nach Kriegsende maßgeblich am Aufbau des Segelflugs in Nordhausen beteiligt, jetzt Rentner, verheiratet, 2 Kinder<br />
<br />
'''Dohle, Elisabeth geb. Giese'''<br><br />
1931 in Netzdorf/Westpreußen geboren, mit 8 Jahren 1940 nach Nordhausen zu den Großeltern gezogen, die in der Hohekreuzstraße beim Bombenangriff ums Leben kamen. Besuchte die Töpfertorschule, dann Mittelschule. 1943 Rückkehr nach Westpreußen, l945 nach der Vertreibung wieder im zerbomten Nordhausen. 2-jährige Lehre als Dreherin in der IFA, dann Assistentin der Betriebsschule, 1961 anach Bremen, Sekretärin, verwitwet, 3 Kinder<br />
<br />
'''Dohle, Rolf †'''<br><br />
1926 in Salza geboren, dortige Volksschule besucht, Abschluss 8. Klasse, ab 1940 Kaufmannslehre bei Kaffee-Krause & Co. in Nordhausen, für 3 Jahre Berufsschule. 1944 Kaufmanns-Gehilfe. Einberufung zum RAD und Luftwaffe, Einsatz in Frankreich, Lazarett, danach Abwehrkämpfe an der Oder, bis 1945 in amerikanischer Gefangenschaft. Ab 1950 bei der HO, ab 1951 Einkäufer IFA, 1961 nach-Bremen, dort Selbständig, 3 Kinder, im Oktober 2009 verstorben<br />
<br />
'''Fromme, Ursula'''<br><br />
1922 in Loburg/Krs. Zerbst geboren, 1926 nach Kleinwerther gezogen, dortigge Volksschule besucht, anschließend Mathilden-Mittelschule Nordhausen, Mittlere Reife, Pflichtjahr, Höhere Handelsschule Halle/Saale, Tätigkeit in der Stadtverwaltung Nordhausen, Sekretärin bis 1985, seit 1982 Rentnerin, Mitglied im Kulturbund, Harzklub<br />
<br />
'''Haun, Dr. Ulrich'''<br><br />
1940 in Nordhausen geboren, Sohn eines Landarztes, Grundschule in Großwechsungen, 1954-58 EOS Nordhausen, Abitur, 1959 Praktikum an der Bergakademie Freiberg, bis 1965 Medizinstudium Charite Berlin und MA Erfurt, 1966 Promotion, Oberarzt der Kinderklinik Nordhausen bis 2003, dann Altersteilzeit.<br />
<br />
'''Koch, Otto †'''<br><br />
1920 in Salza geboren. Heinrich-Mittelschule, Mittlere Reife. Maurerlehre, gesamte Kriegsteilnahme an der Ostfront, 2 mal verwundet. Nach Kriegsende Berufsschullehrer, Ausbildungsleiter und Direktor der Betriebsberufsschule Hochbau Nordhausen, Dozent an der Fachschule für Bautechnik Weimar, Direktor Lehrmeister-Institut Magdeburg, 3 Kinder<br />
<br />
'''Koch, Werner'''<br><br />
1926 in Nordhausen geboren, 3. Generation einer Nordhäuser Färbeermeisterfamilie, Petersberg-Realgymnasium, Luftwaffenhelfer, Kriegsabitur, Infantrist in der Schlacht von Arnheim, Gefangenschaft bis Oktober 1946. Färbermeister, selbstständig in Nordhausen bis zur Enteignung 1961, dann 25 Jahre Vorsitzender der PGH „Adrett“, verheiratet<br />
<br />
'''Köhler, Horst'''<br><br />
1924 in Nordhausen geboren, Realgymnasium, danach mehrere Jahre Soldat, nach Kriegsgefangenschaft in Bremen wohnhaft, dort im Außenhandel tätig. Buchveröffentlichungen „Glocken vom Petrieturm“, „Laterna magica“', „Sonnenstaub und Wolkenschatten“, zahlreiche Lyrische Gedichte, auch in „Nordhäuser Nachrichten“<br />
<br />
'''Kromann, Hans-Martin'''<br><br />
1926 in Nordhausen geboren, Petersbergschule, Mittelschule. Luftwaffensoldat, verwundet bis l949 in Kriegsgefangenschaft in Frankreich. Fachschule für Binnenhandel, Großhandelskaufmann. Leitender Angestellter und Betriebsökonom, Autor „110 Jahre Luftfahrt in und um Nordhausen“, verheiratet, 1 Kind<br />
<br />
'''Kubach, Walter'''<br><br />
1923 in Duisburg/Meiderich Rhl. geboren, als Kleinkind nach Nordhausen gezogen. Von 1930 bis 1938 Petersbergschule, Handelsschule bis 1941. Lehre bei VIKK Arbeitsdienst in Polen, lnfanterist im Kaukasus, schwer verwundet, 1945 amerikanische Gefangenschaft, l7 Jahre AOK, danach 27 Jahre Revision Verkehrsbetriebe Nordhausen, verheiratet, 2 Kinder<br />
<br />
'''Kühne, Kurt'''<br><br />
1923 in Nordhausen geboren. Meyenburg-Mittelschule, Mittlere Reife. Ab 1942 motorisierte lnfanterie, verwundet in Stalingrad, dann Einsatz in Süditalien, 1944 in Gefan- genschaft nach Algerien und Frankreich, 1949 Heimkehr, 1953 Meisterprüfung Sanitär- und Heizungsbau. Weiterführung des väterlichen Betriebes bis 1988, verheiratet<br />
<br />
'''Leiß, Ilse geb. Meyer'''<br><br />
1927 in Nordhausen geboren, Justus-Jonas-Schule, nach Abschluß tätig im elterlichen Lebensmittelgeschäft und Gastwirtschaft „Grimmel Tor“. Nach Geschäftsaufgabe Ende 1960er-Jahre in der Bücherstube beschäftigt, verwitwet, 1 Kind<br />
<br />
'''Maibohm, Horst'''<br><br />
1929 in Nordhausen geboren, Petersbergschule, von 1939-1945 Mittelschule, Bombenangriff in der Schützenstraße überlebt. Von 1946-1949 kaufmännische Lehre bei Fa. Gebhardt & König in Nordhausen, bis 1990 Industriekaufmann bei VEB Schachtbau, verheiratet, l Kind<br />
<br />
'''Meurer, Gerhard'''<br><br />
1926 in Nordhausen geboren, Sohn alteingesessenen Nordhäuser Fabrikantenfamilie, Meyenburgschule, Realgymnasium Nordhausen und Aufbauschule Sondershausen, Luftwaffenhelfer, Arbeitsdienst in Polen, Artillerist, Gefangenschaft 1945, dann Abitur, Kupferschmied, Studium Maschinenbau an TH in Aachen, 1956 Diplomingenieur, in Dortmund tätig.<br />
<br />
'''Quosigk, Dr. Hermann'''<br> <br />
1926 in Nordhausen geboren, Sohn einer alteingesessenen Fabrikantenfamilie, Meyenburgschule, Realgymnasium, Luftwaffenhelfer, Arbeitsdienst, Kriegsabitur, Luftwaffe, Gefangenschaft bis 1946, nochmals Abitur, 1948 Dreherberuf, 1951-1956 Medizinstudium an der Humboldt-Universität Berlin, 44 Jahre als Arzt in Nordhausen tätig, verheiratet, 3 Kinder<br />
<br />
'''Reinboth, Walter sen.'''<br><br />
1928 in Nordhausen geboren, 1935-1939 Petersbergschule, bis 1945 Mittelschule, Segelflugausbildung in Ellrich. Beim Angriff 1945 in Schützenstraße ausgebombt, seit- dem wohnhaft in Walkenried, bis 1988 Bankkaufmann bei der NORD/LB, verheiratet, 2 Kinder<br />
<br />
'''Rudloff, Jost-Dieter'''<br><br />
1934 in Halberstadt geboren, Schulbesuch in Nordhausen, Rundfunkmechaniker bis 1953, Abitur 1956, Diplom-Ingenieur in Pharma-Konzern (Schweiz), verheiratet, 2 Kinder<br />
<br />
'''Sander, Achim'''<br><br />
1932 in Nordhausen geboren, Petersbergschule, Mittelschule, Mittlere Reife. Ausbildung Industriekaufmann Elektrizitätswerk Nordhausen, bis 1956 im E-Werk tätig, dann Eisengießerei und Verkehrsbetriebe, danach im Kfm. und EDV-Bereich Bergbau Bochum Lebensmittelindustrie Düsseldorf, verheiratet, 2 Kinder <br />
<br />
'''Schröter, Dr. Manfred'''<br><br />
1935 in Nordhausen geboren, Petersbergschule, 1951 aus politischen Gründen von der Humboldt-Schule verwiesen, Weberlehre in Bleicherode, danach 1955 Abitur, Studium der Medizin in Halle/Leipzig, ab 1961 als Arzt in Nordhausen tätig, 1990 Bürgermeister der Stadt Nordhausen, bis 2002 Verwaltungsdirektor, Publikationen über Zerstörung Nordhausens und Judenverfolgung, verheiratet, 4 Kinder<br />
<br />
'''Sieckel, Margret geb. Strecker'''<br><br />
1927 in Nordhausen geboren, 1934-1938 katholische Dorrischule, von 1938-1946 Lyzeum Nordhausen (Königin Luise Schule), 1946 Abitur, Lehrerausbildung am lfL Nordhausen, Lehrertätigkeit an Töpfertor- und Diesterweg-Schule, sowie Organistin am Dom zu Nordhausen, verwitwet, 3 Kinder<br />
<br />
'''Sourell, Bernhard'''<br><br />
1927 geboren, mit 11 Jahren nach Nordhausen, ab 1938 Realgyrnnasium bzw. Oberschule, Luftwaffenhelfer, Arbeitsdienst, Kanonier, von Gefangenschaft verschont, seit 1945 in Ziegelwerk Nordhausen tätig, 1951 Ingenieur, 1967 Diplom-Ingenieur, ab 1951 Unternehmer in 1990 reprivatisierter Familien GmbH, verheiratet, 2 Kinder<br />
<br />
'''Stürmer, Gerhard'''<br><br />
1932 in Nordhausen geboren, Meyenburgschule, Ausbildung beim Kreis Nordhausen als Verwaltungsangestellter in der Berufs- und Volksbildung bis 1956, danach Pionierleiter bis Renteneintritt, verheiratet, 3 Kinder<br />
<br />
'''Thelemann, Klaus'''<br><br />
1935 in Nordhausen geboren, Schulbesuch 1942-1950, danach Lehre als Maschinenschlosser im IFA-Motorenwerk, 1970-1973 nach Ablegung des 10. Klasseabschlusses Qualizierung zum Industriemeister und Arbeitsnormer, bis 1990 im IFA-Motorenwerk tätig, verwitwet, 1 Kind, seit 60 Jahren Hobbymusiker<br />
<br />
'''Thieme, Wolf'''<br><br />
1937 als Sohn Nordhäuser Eltern in Bad Dürrenberg geboren, in der Werkssiedlung von Leuna aufgewachsen, Schulbesuch in Mücheln/Geiseltal, später in Berlin, seit 1955 Volontarist und Journalist, verheiratet, Großvater war Besitzer einer Kornbrennerei in der Grimmelallee, Heute Gaststätte „Destille“.<br />
<br />
'''Unger, Margarete'''<br><br />
1923 in Nordhausen geboren, Mathilden-Mittelschule (Mädchenschule), Mittlere Reife, 10 Jahre als Telefonistin und Fernschreiberin bei der Deutschen Post Nordhausen tätig, dann Studium als Lehrerin und Erzieherin, 30 Jahre in pädagogischen Berufen tätig, Internatsleiterin in Eisenach, ledig, keine Kinder<br />
<br />
'''Warnstedt, Gustav'''<br><br />
1927 in Nordhausen geboren, Petersberg- und Mittelschule, Mittlere Reife, Maurerlehre, 1944 Kavallerist an der Balkanfront. Sowjetische Gefangenschaft bis Dezember 1949, 1950 Lehre beendet, Besuch der Bauschule, Abschluss als Bauingenieur, in mehreren Funktionen tätig, auch bei VEB Hydrogeologie Wassererkundung-Tiefbrunnenbau Nordhausen<br />
<br />
'''Werther, Hans-Dieter'''<br><br />
1933 in Nordhausen geboren, Sohn einer Nordhäuser Unternehmerfamilie, Sohn des bekannten Fliegers Hans Werther. Meyenburg- und Humboldt-Oberschule, Abitur 1952, Studium in Jena, Berlin, Halle, Diplom-Brennerei-Ingenieur, Patent-Ingenieur (Sozio-logie), lmkerfacharbeiter, ab 1968 Betriebleiter Fa. Georg I-Iügues, später VEB Biochemie-Nordeis, verheiratet, 2 Kinder<br />
<br />
'''Wittekopf, Gerhard †'''<br><br />
1927 in Nordhausen geboren, Meyenburg-Mittelschule, Mittlere Reife, Verwaltungslehre im Landratsamt, Dezember 1944 Panzergrenardier bis Mai 1945, ab Sommer Demontagearbeiten im Kohnstein, Pädagogische Fachschule, 5 Jahre Neulehrer, dann Großhandelskaufmann bei Papier-Druck Erfurt, Verkaufsleiter Bildpostkarten, verheiratet, 2 Kinder</div>Latimer Rexhttps://nordhausen-wiki.de/index.php?title=Das_Nordh%C3%A4user_Geschichtenbuch&diff=15707Das Nordhäuser Geschichtenbuch2020-02-13T12:48:40Z<p>Latimer Rex: /* Inhalt */</p>
<hr />
<div>{{SEITENTITEL:''Das Nordhäuser Geschichtenbuch''}}<br />
{{Buch<br />
|Titel=Das Nordhäuser Geschichtenbuch<br />
|Untertitel=Kindheitserinnerungen der Generation von vorgestern<br />
|Bild=<br />
|Reihe=<br />
|BandNr=<br />
|Autor=<br />
|Herausgeber=Stadt Nordhausen, Amt für Kultur und Tourismus. Autorengruppe ...<br />
|Verlag=Nordhausen : le petit<br />
|Auflage=<br />
|Umfang=370 Seiten : Illustrationen<br />
|Preis=24,90 Euro<br />
|Erscheinungsjahr=2011<br />
|Bibliothek=ja<br />
|ISBN=<br />
|Homepage=<br />
|erfasst=11. November 2016<br />
}}<br />
'''''Das Nordhäuser Geschichtenbuch''''' ist ein im Dezember 2011 durch die Stadt Nordhausen herausgegebenes Erinnerungsbuch, in dem 24 Nordhäuser ihre Erlebnisse in den Jahren zwischen 1930 und 1945 niederschrieben. <br />
<br />
{{BlockSatzStart}}<br />
<br />
== Zum Geleit ==<br />
: '''''Horst Köhler'''''<br />
'''I'''mmer dann, wenn sich die Rauchschwaden einer bedeutenden Epoche so weit verzogen haben, dass nur die empfindlichen Nasen mancher erst viel später geborener Historiker noch den kalten Brandgeruch wahrzunehmen meinen, während sie suchend und forschend in der grauen Asche der Geschichte herumstochern, immer dann schlägt die Stunde der Zeitzeugen.<br />
<br />
Ach, das sind alte Leute - so heißt es dann - und die Erinnerung der Alten, das weiß man ja, hüllt das Vergangene gern in ein sanftes, verklärendes Licht. Dennoch - niemand sollte sich anmaßen, ihre Glaubwürdigkeit leichtfertig in Frage zu stellen, denn sie genießen den entscheidenden Vorteil eines großen Vorsprungs: Sie waren dabei.<br />
<br />
ln diesem Buch kommt eine Reihe solcher Zeitzeugen zu Wort, denen bei aller Unterschiedlichkeit ihres Herkommens und ihrer Betrachtungs-weise eines gemeinsam ist: Die Liebe zu ihrer Heimat, zu ihrer Vaterstadt Nordhausen und zu ihren Menschen. Folgen wir ihnen auf einem Gang durch ihre längst versunkene Zeit, durch die Straßen und Gassen, die den alten Lesern so vertraut sein werden, als spürten sie das holprige Kopfsteinpflaster wieder unter den nun müde gewordenen Füßen. Aber auch die jungen Nordhäuser sind eingeladen, uns zu begleiten und mitzuwandern auf Wegen, die sie so nie gekannt haben, wenn sie auch da und dort noch die lieb gewordenen Namen tragen.<br />
<br />
Damals! Waren die Zeiten damals besser als heute, oder waren sie schlechter? Wer wollte sich unterstehen, diese Frage wahrheitsgemäß zu beantworten? Sie waren - anders. Man sagt, es gäbe nichts Älteres als die Zeitung von gestern. Das mag zutreffen. Indessen - es gibt auch nichts Lebendigeres als die Erinnerung. Lasst sie uns behutsam pflegen und bewahren, unsere Stadt hat es verdient; denn sie hat viel gelitten. Vergessen wir aber dabei das Eine nicht: Die Erinnerung an sich wäre nichts ohne die Kraft, die sie in die Zukunft trägt.<br />
<br />
== Inhalt ==<br />
{| class="wikitable sortable"<br />
| align="center" style="background:#f0f0f0;"|<br />
| align="center" style="background:#f0f0f0;"|<br />
|-<br />
| Horst Köhler || [[Das_Nordhäuser_Geschichtenbuch#Zum Geleit|Zum Geleit]]<br />
|-<br />
| Aufruf - Nordhäuser Zeitzeugen gesucht ||<br />
|-<br />
|Stadtplan 1927<br />
|-<br />
|[[Das_Nordhäuser_Geschichtenbuch#Prolog|Prolog]] ||<br />
|-<br />
|Dr. Hermann Quosig || Das Nordhäuser Geschichtenbuch - früheste Kindheitserinnerungen<br />
|-<br />
|Karl-Heinz Bosse || Das Dreieck<br />
|-<br />
|Werner Koch || Bruchstücke aus dem Lebenslauf bis 1946<br />
|-<br />
|Gerhard Meurer || Kindheitserinnerungen an den Mühlgraben in der Waisenstraße <br />
|-<br />
|Gerhard Wittekopf || Ein Weihnachtsfest 1932 / 1933 - Ich wurde Schulkind ; Erinnerungen an einen jüdischen Schulkameraden <br />
|-<br />
| Wolfgang Bartscher || Kindheitserinnerungen<br />
|-<br />
|Kurt Kühne || Die Lutherkurrende in Nordhausen ; Theater-Erlebnis<br />
|-<br />
|Walter Kurbach || Kindheits- und Jugenderinnerungen<br />
|-<br />
|Hermann Voigt || Das Bauwesen und ich<br />
|-<br />
|Dr. Hermann Quosigk || Vom Tanzbär und Nachtgespenst<br />
|-<br />
|Dr. Herinrich Schnee || Erinnerungen an meine Gymnasialzeit<br />
|-<br />
|R. Reichardt ||Mein erster Gehegegang<br />
|-<br />
|Marianne Lewin-Traeger || Eine Martini-Erinnerung<br />
|-<br />
|Gerhard Meurer || Erinnerungen an eine alte Kupferschmiede und Apparatbaufirma<br />
|-<br />
|Hans-Martin Kromann ||Unsere Urahnen der Familien Kromann/Fromann ; Zigeuner - „Zindis und Tatern“<br />
|-<br />
|Dr. Hermann Quosigk || Stadtleben - in - und außer Haus<br />
|-<br />
|Margarete Unger ||Jugenerinnerungen aus den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts<br />
|-<br />
|Ursula Fromme || Bericht zu „Nordhäuser Zeitzeugen gesucht“<br />
|-<br />
|Horst Beier||Meine Erinnerungen an die Wiedigsburgschule und Hohensteiner Straße<br />
|-<br />
|Jost-Dieter Rudloff||Erinnerungen an die Meyenburgstraße 1938-1945<br />
|-<br />
|Marianne Jud||Erinnerungen<br />
|-<br />
|Wolfgang Boes||Das Kriegsende als Jugendlicher in Nordhausen 1943-1945<br />
|-<br />
|Brigtte Sander||Mein Leben in meiner Heimatstadt Nordhausen von 1935-1945<br />
|-<br />
|Jutta Arndt||So erlebte ich den Bombenangriffe am 3. und 4. April 1945<br />
|-<br />
|Otto Koch||Ein Teil meiner Lebensgeschichte<br />
|-<br />
|Ilse Leiß||Kindheitserinnerungen vor 1945<br />
|-<br />
|Volker Reinboth||Wiedersehen mit Nordhausen 1945<br />
|-<br />
|Achim Sander||Erinnerungen an die Kindheit und die Kriegsjahre<br />
|-<br />
|Bernhardt Sourell||Alltagsumstellung auf Kriegsverhältnisse<br />
|-<br />
|Rolf Dohle||Meine ersten Lebensjahre in Salza<br />
|-<br />
|Elisabeth Dohle||Nachruf aufAlt-Nordhausen<br />
|-<br />
|Bernhardt Sourell||Kriegserleben im 12. bis 17. Lebensjahr<br />
|-<br />
|Günter Angelstein||Erlebnisbericht - 1939 bis Kriegsende<br />
|-<br />
|Dr. Hermann Quosigk||Ein Bummel durch Nordhausen 1938<br />
|-<br />
|Karl-Heinz Bosse||Gedenken an die Fotogran Eleonore Wopfner<br />
|-<br />
|Margret Sieckel||Schicksal einerjüdischen Familie ; Das werde ich nie vergessen!<br />
|-<br />
|Gustav Warnstedt||Strohlmühlenweg<br />
|-<br />
|Hans-Dieter Werther||Jugendjahre in einer alten Kornbranntwein-Brennerei<br />
|-<br />
|Horst Meibohn||Martini 1938 in Nordhausen<br />
|-<br />
|Dr. Manfred Schröter||Das Leben in Nordhausen in den letzten Kriegsmonaten<br />
|-<br />
|Walther Reinboth||Erinnerungen an die Heinrich-Mittelschule<br />
|-<br />
|Gerhard Stürmer||Meine Erinnerungen an die Zeit vor 1945<br />
|-<br />
|Klaus Thelemann||Kindheitserinnerungen<br />
|-<br />
|Wolf Thieme||Nordhäuser Erinnerungen<br />
|-<br />
|Charlotte Arpert||Nordhausen - Anno dazumal 1914<br />
|-<br />
|Dr. Ulrich Haun||Episoden de Fliegerangriffs am 3. April 1945<br />
|-<br />
|Verfasser unbekannt||Geschichtliches und sehenswertes aus der 1000-jährigen Stadt Nordhausen<br />
|-<br />
|Otto Koch||Gedicht über Nordhausen<br />
|-<br />
|Horst Beier||Unsere Arbeitseinsätze während des Krieges<br />
|-<br />
|Dr. Hermann Quosigk||Epilog<br />
|-<br />
|[[Das_Nordhäuser_Geschichtenbuch#Kurzbiografien (alphabetisch)|Kurzbiografien (alphabetisch)]] ||<br />
|}<br />
<br />
== Prolog ==<br />
'''W'''ir wurden vor der Erfindung des Fernsehens, des Penizillins, der Schluckirnpfung,<br />
der Tiefkühlkost und der Kunststoffe geboren und kannten Kontaktlinsen, Herzschritt-<br />
macher und die Pille noch nicht. Wir kauften Mehl und Zucker viertelpfundweise in Tüten und nicht in Geschenkpackungen. Wir waren schon da, bevor Kreditkarten, Telefax,<br />
Kernspaltung, Laser und Kugelschreiber zur Verfügung standen.<br />
<br />
Es gab noch keine Geschirrspüler, Wäschetrockner, Klimaanlagen, Last-Minute-Flüge<br />
und der Mensch war noch nicht auf dem Mond gelandet. Wir pflegten unsere Verbindungen persönlich und nicht mit hotline, online, inline, airline. Was sich in der Welt<br />
ereignete, zeigte uns die Wochenschau im Kino etwa vierzehn Tage später.<br />
<br />
Wir haben erst geheiratet und dann zusammengelebt. Damals waren die Käfer noch<br />
keine Volkswagen. Und „mit jemanden gehen“ hieß schon fast so viel wie verlobt zu<br />
sein. Alte Zeitungen wurden für „hinterlistige“ Zwecke verbraucht oder im Ofen verbrannt. Von Recycling sprach niemand. Wir dachten nicht daran, daß der Wiener Wald<br />
etwas mit Brathähnchen zu <br />
tun hätte, und Arbeitslosigkeit war eine Drohung und kein Versicherungsfall.<br />
<br />
Wir waren da, bevor es den Hausmann, die Emanzipation, Pampers, Aussteiger und eine<br />
computergesteuerte 1-leiratsvermittlung gab. Zu unserer Zeit gab es noch keine Gruppentherapie, Weight-Watchers, Sonnenstudios und kein Kindererziehungsj ahr für Väter.<br />
Zweitwagen hatte keiner und brauchte sie auch nicht durchzuchecken. Und wenn man<br />
sich wunderte, sagte man „oh“ und nicht „wow“.<br />
<br />
Wir haben damals keine Musik vom Tonband oder über UKW aus Transistorradios oder<br />
die New Yorker Symphonie via Satellit gehört. Wir lauschten Musikkapellen oder einer<br />
Schallplatte, deren Töne nicht gepowert waren. Band in Discos waren unbekannt. Es<br />
gab keine elektronischen Schreibmaschinen, künstliche Nieren, Yoghurt und auch keine<br />
Jungen, die Ohrringe trugen. Die Worte Software für alles, was man beim Computer<br />
nicht anfassen und Non-Food für alles, was man nicht essen und trinken kann, waren<br />
noch nicht erfunden. Und ein gesundes Fachwissen wurde noch nicht mit Know-how<br />
bezeichnet.<br />
<br />
ln dieser Zeit hieß Made in Japan so viel wie billiger Schund und man hatte auch noch<br />
nie etwas von Pizzen, MacDonald's und lnstand-Coffee gehört. Der Ausspruch Pommes<br />
mit Ketchup war noch nicht geboren. Wir sagten noch Guten Tag und nicht „Hallo“ oder<br />
„Hi“ (sprich hei) und wenn wir etwas gut fanden, sagten wir auch, es war schön und<br />
nicht okay oder affengeil.<br />
<br />
Wir feierten unsere kleinen Feste und keine Parties oder Festivals und Höhepunkte waren keine Highlights.<br />
<br />
Wir liefen schon auf der Straße herum, als man noch für fünf Pfennige ein Eis, einen<br />
Beutel Studentenfutter oder eine Flasche Brause kaufen konnte. Auf Briefe klebten wir Sechs-Pfennig-Marken und für fünfzehn Pfennige konnten wir mit der Straßenbahn von<br />
einem Ende der Stadt bis zum anderen fahren, wenn wir uns vorher eine Fahrkarte gekauft hatten, die damals noch nicht Ticket hieß. Wenn man weniger als einen Meter groß<br />
war, kostete es nichts. Im Gang stehen war verboten. Ein Ei kostete drei Pfennige und<br />
eine Semmel vier Pfennige.<br />
<br />
Bei Regen zog man sich einen Mantel an und kein Outfit. Die Verkäuferin hatte noch<br />
keinen Job im Shop. Man buchstabierte noch deutsch, wer hätte schon etwas verstanden, hätte man Eibiäm (IBM) gesagt? Statt des modernen Countdown sagten wir noch<br />
abzählen. Freunde waren wir und keine Fans. Wir waren wohl die letzte Generation,<br />
die so dumm war zu glauben, daß eine Frau einen Mann heiraten muß, um ein Baby zu<br />
bekommen. Und wenn das Wort Kids el, dachten wir an kleine Rehe. Mit leuchtenden<br />
Augen lauschten wir den Märchen, die uns vorgelesen wurden. Comic-Strip waren uns<br />
unbekannt.<br />
<br />
Wir sammelten und bügelten noch alte Schleifen und Geschenkpapier, legten bröckelnde Seifenreste zusammen und waren Meister im Falten von Zahnpastatuben, um die<br />
letzten Spuren herauszuquetschen.<br />
<br />
Wir mußten fast alles selber tun und mit dem auskommen, was wir hatten. Zu glauben,<br />
daß der Staat uns schließlich doch versorgen wird, wenn wir vorher über unsere Ver-<br />
hältnisse gelebt haben, wäre undenkbar gewesen. Wer mehr ausgab als er einnahm, war<br />
ein krimineller Bankrotteur.<br />
<br />
Und Bock mußten wir immer haben! (Null Bock auf nichts)<br />
Diese ganze Entwicklung haben wir über uns ergehen lassen müssen. Ist es da ein Wun-<br />
der, wenn wir etwas konfus erscheinen?<br />
<br />
So ist wohl auch die Kluft zwischen den Generationen entstanden. Wir haben aber alles<br />
überlebt und sind, der Statistik zufolge die gesündeste Generation. Das ist vielleicht<br />
auch der Beweis für unsere total überholte, aber vernünftige Lebensweise.<br />
Darum haben wir alle Grund zum feiern und wir freuen uns, daß wir das heute über-<br />
haupt noch können.<br />
<br />
Eine lange Entstehungsgeschichte liegt hinter den Initiatoren. dieses Buches. Die Herausgabe wäre selbst noch einmal eine Geschichte weit. Daher möchte ich mich im Na-<br />
men aller Beteiligten bei der Stadt Nordhausen recht herzlich bedanken, dass sie sich<br />
bereiterklärt hat dieses Buch zu publizieren. Die Autoren sehen es auch als ihren Beitrag<br />
zum 1085-jährigen Jubiläum der Stadt Nordhausen im nächsten Jahr 2012.<br />
<br />
== Kurzbiografien (alphabetisch) ==<br />
<br />
'''Angelstein, Günther'''<br><br />
1935 in Sundhausen, OT von Nordhausen, geboren und aufgewachsen. Besuch der dortigen Grundschule, Abschluss 8. Klasse. Fleischerlehre, Gesellenprüfung. Berufsausübung als Fleischer, industriell und Hausschlachtung. Qualizierung zum Baggerfahrer<br />
<br />
'''Arndt, Jutta geb. Gothe'''<br><br />
1934 in Bielen geboren, OT von Nordhausen, Besuch der dortigen 8-klassigen Volksschule, Abschluss 8. Klasse. Lehre als Näherin, später Angestellte bei der Deutschen Reichsbahn, dann Bundesbahn, jetz Rentnerin, verheiratet, 4 Kinder<br />
<br />
'''Bartscher, Wolfgang''' <br><br />
1927 in Nordhausen geboren. Petersbergschule. Mittelschule. Lehre bei Stadtverwaltung Nordhausen, Arbeitsdienst-Flak. Gefangenschaft in Belgien. Hochschule in Leipzig, Abschluss als Diplomwirtschaftler. Tätig im Lebensmittel-Großhandel und EDV, verheiratet, 2 Kinder, Vorruhestand 1990, Rentner ab 1992<br />
<br />
'''Beier, Horst'''<br><br />
1931 in Nordhausen geboren, Meyenburg-Mittelschule, ab 1945 als Helfer in der Stadtgärtnerei bei Gartenbau-Oberinspektor Ernst tätig. Studium zum Gartenbau-Ingenieur, 1961 bis 1973 Abteilungsleiter Gartenverwaltung, Ingenieur fur Landschaftsgestaltung<br />
<br />
'''Boes, Wolfgang'''<br><br />
1931 in Köln geboren. 1942 in Köln ausgebomt, Umzug mit Familie nach Nordhausen, hier ab 1943 Oberschule. lm April 1945 in der Löbnitzstraße erneut ausgebombt, nach Mühlhausen verzogen, dort Berufsschule. Nach Enteignung des väterlichen Betriebse nach Westdeutschland. Großhandelskaufmann, EDV-Organisator bis zur Rente, verheiratet, 2 Kinder<br />
<br />
'''Bosse, Karl-Heinz'''<br><br />
1925 in Allstedt/Helme geboren, 1935 nach Nordhausen, Petersbergschule, Lehre als Maschinenschlosser und Technischer Zeichner. 1943 zur Luftwaffe, 1944 abgeschossen, verwundet, 1945 in Gefangenschaft. Tätig in MONTANIA und ABUS, Ingenieurstudium Chefkonstrukteur bei NOBAS. Nach Kriegsende maßgeblich am Aufbau des Segelflugs in Nordhausen beteiligt, jetzt Rentner, verheiratet, 2 Kinder<br />
<br />
'''Dohle, Elisabeth geb. Giese'''<br><br />
1931 in Netzdorf/Westpreußen geboren, mit 8 Jahren 1940 nach Nordhausen zu den Großeltern gezogen, die in der Hohekreuzstraße beim Bombenangriff ums Leben kamen. Besuchte die Töpfertorschule, dann Mittelschule. 1943 Rückkehr nach Westpreußen, l945 nach der Vertreibung wieder im zerbomten Nordhausen. 2-jährige Lehre als Dreherin in der IFA, dann Assistentin der Betriebsschule, 1961 anach Bremen, Sekretärin, verwitwet, 3 Kinder<br />
<br />
'''Dohle, Rolf †'''<br><br />
1926 in Salza geboren, dortige Volksschule besucht, Abschluss 8. Klasse, ab 1940 Kaufmannslehre bei Kaffee-Krause & Co. in Nordhausen, für 3 Jahre Berufsschule. 1944 Kaufmanns-Gehilfe. Einberufung zum RAD und Luftwaffe, Einsatz in Frankreich, Lazarett, danach Abwehrkämpfe an der Oder, bis 1945 in amerikanischer Gefangenschaft. Ab 1950 bei der HO, ab 1951 Einkäufer IFA, 1961 nach-Bremen, dort Selbständig, 3 Kinder, im Oktober 2009 verstorben<br />
<br />
'''Fromme, Ursula'''<br><br />
1922 in Loburg/Krs. Zerbst geboren, 1926 nach Kleinwerther gezogen, dortigge Volksschule besucht, anschließend Mathilden-Mittelschule Nordhausen, Mittlere Reife, Pflichtjahr, Höhere Handelsschule Halle/Saale, Tätigkeit in der Stadtverwaltung Nordhausen, Sekretärin bis 1985, seit 1982 Rentnerin, Mitglied im Kulturbund, Harzklub<br />
<br />
'''Haun, Dr. Ulrich'''<br><br />
1940 in Nordhausen geboren, Sohn eines Landarztes, Grundschule in Großwechsungen, 1954-58 EOS Nordhausen, Abitur, 1959 Praktikum an der Bergakademie Freiberg, bis 1965 Medizinstudium Charite Berlin und MA Erfurt, 1966 Promotion, Oberarzt der Kinderklinik Nordhausen bis 2003, dann Altersteilzeit.<br />
<br />
'''Koch, Otto †'''<br><br />
1920 in Salza geboren. Heinrich-Mittelschule, Mittlere Reife. Maurerlehre, gesamte Kriegsteilnahme an der Ostfront, 2 mal verwundet. Nach Kriegsende Berufsschullehrer, Ausbildungsleiter und Direktor der Betriebsberufsschule Hochbau Nordhausen, Dozent an der Fachschule für Bautechnik Weimar, Direktor Lehrmeister-Institut Magdeburg, 3 Kinder<br />
<br />
'''Koch, Werner'''<br><br />
1926 in Nordhausen geboren, 3. Generation einer Nordhäuser Färbeermeisterfamilie, Petersberg-Realgymnasium, Luftwaffenhelfer, Kriegsabitur, Infantrist in der Schlacht von Arnheim, Gefangenschaft bis Oktober 1946. Färbermeister, selbstständig in Nordhausen bis zur Enteignung 1961, dann 25 Jahre Vorsitzender der PGH „Adrett“, verheiratet<br />
<br />
'''Köhler, Horst'''<br><br />
1924 in Nordhausen geboren, Realgymnasium, danach mehrere Jahre Soldat, nach Kriegsgefangenschaft in Bremen wohnhaft, dort im Außenhandel tätig. Buchveröffentlichungen „Glocken vom Petrieturm“, „Laterna magica“', „Sonnenstaub und Wolkenschatten“, zahlreiche Lyrische Gedichte, auch in „Nordhäuser Nachrichten“<br />
<br />
'''Kromann, Hans-Martin'''<br><br />
1926 in Nordhausen geboren, Petersbergschule, Mittelschule. Luftwaffensoldat, verwundet bis l949 in Kriegsgefangenschaft in Frankreich. Fachschule für Binnenhandel, Großhandelskaufmann. Leitender Angestellter und Betriebsökonom, Autor „110 Jahre Luftfahrt in und um Nordhausen“, verheiratet, 1 Kind<br />
<br />
'''Kubach, Walter'''<br><br />
1923 in Duisburg/Meiderich Rhl. geboren, als Kleinkind nach Nordhausen gezogen. Von 1930 bis 1938 Petersbergschule, Handelsschule bis 1941. Lehre bei VIKK Arbeitsdienst in Polen, lnfanterist im Kaukasus, schwer verwundet, 1945 amerikanische Gefangenschaft, l7 Jahre AOK, danach 27 Jahre Revision Verkehrsbetriebe Nordhausen, verheiratet, 2 Kinder<br />
<br />
'''Kühne, Kurt'''<br><br />
1923 in Nordhausen geboren. Meyenburg-Mittelschule, Mittlere Reife. Ab 1942 motorisierte lnfanterie, verwundet in Stalingrad, dann Einsatz in Süditalien, 1944 in Gefan- genschaft nach Algerien und Frankreich, 1949 Heimkehr, 1953 Meisterprüfung Sanitär- und Heizungsbau. Weiterführung des väterlichen Betriebes bis 1988, verheiratet<br />
<br />
'''Leiß, Ilse geb. Meyer'''<br><br />
1927 in Nordhausen geboren, Justus-Jonas-Schule, nach Abschluß tätig im elterlichen Lebensmittelgeschäft und Gastwirtschaft „Grimmel Tor“. Nach Geschäftsaufgabe Ende 1960er-Jahre in der Bücherstube beschäftigt, verwitwet, 1 Kind<br />
<br />
'''Maibohm, Horst'''<br><br />
1929 in Nordhausen geboren, Petersbergschule, von 1939-1945 Mittelschule, Bombenangriff in der Schützenstraße überlebt. Von 1946-1949 kaufmännische Lehre bei Fa. Gebhardt & König in Nordhausen, bis 1990 Industriekaufmann bei VEB Schachtbau, verheiratet, l Kind<br />
<br />
'''Meurer, Gerhard'''<br><br />
1926 in Nordhausen geboren, Sohn alteingesessenen Nordhäuser Fabrikantenfamilie, Meyenburgschule, Realgymnasium Nordhausen und Aufbauschule Sondershausen, Luftwaffenhelfer, Arbeitsdienst in Polen, Artillerist, Gefangenschaft 1945, dann Abitur, Kupferschmied, Studium Maschinenbau an TH in Aachen, 1956 Diplomingenieur, in Dortmund tätig.<br />
<br />
'''Quosigk, Dr. Hermann'''<br> <br />
1926 in Nordhausen geboren, Sohn einer alteingesessenen Fabrikantenfamilie, Meyenburgschule, Realgymnasium, Luftwaffenhelfer, Arbeitsdienst, Kriegsabitur, Luftwaffe, Gefangenschaft bis 1946, nochmals Abitur, 1948 Dreherberuf, 1951-1956 Medizinstudium an der Humboldt-Universität Berlin, 44 Jahre als Arzt in Nordhausen tätig, verheiratet, 3 Kinder<br />
<br />
'''Reinboth, Walter sen.'''<br><br />
1928 in Nordhausen geboren, 1935-1939 Petersbergschule, bis 1945 Mittelschule, Segelflugausbildung in Ellrich. Beim Angriff 1945 in Schützenstraße ausgebombt, seit- dem wohnhaft in Walkenried, bis 1988 Bankkaufmann bei der NORD/LB, verheiratet, 2 Kinder<br />
<br />
'''Rudloff, Jost-Dieter'''<br><br />
1934 in Halberstadt geboren, Schulbesuch in Nordhausen, Rundfunkmechaniker bis 1953, Abitur 1956, Diplom-Ingenieur in Pharma-Konzern (Schweiz), verheiratet, 2 Kinder<br />
<br />
'''Sander, Achim'''<br><br />
1932 in Nordhausen geboren, Petersbergschule, Mittelschule, Mittlere Reife. Ausbildung Industriekaufmann Elektrizitätswerk Nordhausen, bis 1956 im E-Werk tätig, dann Eisengießerei und Verkehrsbetriebe, danach im Kfm. und EDV-Bereich Bergbau Bochum Lebensmittelindustrie Düsseldorf, verheiratet, 2 Kinder <br />
<br />
'''Schröter, Dr. Manfred'''<br><br />
1935 in Nordhausen geboren, Petersbergschule, 1951 aus politischen Gründen von der Humboldt-Schule verwiesen, Weberlehre in Bleicherode, danach 1955 Abitur, Studium der Medizin in Halle/Leipzig, ab 1961 als Arzt in Nordhausen tätig, 1990 Bürgermeister der Stadt Nordhausen, bis 2002 Verwaltungsdirektor, Publikationen über Zerstörung Nordhausens und Judenverfolgung, verheiratet, 4 Kinder<br />
<br />
'''Sieckel, Margret geb. Strecker'''<br><br />
1927 in Nordhausen geboren, 1934-1938 katholische Dorrischule, von 1938-1946 Lyzeum Nordhausen (Königin Luise Schule), 1946 Abitur, Lehrerausbildung am lfL Nordhausen, Lehrertätigkeit an Töpfertor- und Diesterweg-Schule, sowie Organistin am Dom zu Nordhausen, verwitwet, 3 Kinder<br />
<br />
'''Sourell, Bernhard'''<br><br />
1927 geboren, mit 11 Jahren nach Nordhausen, ab 1938 Realgyrnnasium bzw. Oberschule, Luftwaffenhelfer, Arbeitsdienst, Kanonier, von Gefangenschaft verschont, seit 1945 in Ziegelwerk Nordhausen tätig, 1951 Ingenieur, 1967 Diplom-Ingenieur, ab 1951 Unternehmer in 1990 reprivatisierter Familien GmbH, verheiratet, 2 Kinder<br />
<br />
'''Stürmer, Gerhard'''<br><br />
1932 in Nordhausen geboren, Meyenburgschule, Ausbildung beim Kreis Nordhausen als Verwaltungsangestellter in der Berufs- und Volksbildung bis 1956, danach Pionierleiter bis Renteneintritt, verheiratet, 3 Kinder<br />
<br />
'''Thelemann, Klaus'''<br><br />
1935 in Nordhausen geboren, Schulbesuch 1942-1950, danach Lehre als Maschinenschlosser im IFA-Motorenwerk, 1970-1973 nach Ablegung des 10. Klasseabschlusses Qualizierung zum Industriemeister und Arbeitsnormer, bis 1990 im IFA-Motorenwerk tätig, verwitwet, 1 Kind, seit 60 Jahren Hobbymusiker<br />
<br />
'''Thieme, Wolf'''<br><br />
1937 als Sohn Nordhäuser Eltern in Bad Dürrenberg geboren, in der Werkssiedlung von Leuna aufgewachsen, Schulbesuch in Mücheln/Geiseltal, später in Berlin, seit 1955 Volontarist und Journalist, verheiratet, Großvater war Besitzer einer Kornbrennerei in der Grimmelallee, Heute Gaststätte „Destille“.<br />
<br />
'''Unger, Margarete'''<br><br />
1923 in Nordhausen geboren, Mathilden-Mittelschule (Mädchenschule), Mittlere Reife, 10 Jahre als Telefonistin und Fernschreiberin bei der Deutschen Post Nordhausen tätig, dann Studium als Lehrerin und Erzieherin, 30 Jahre in pädagogischen Berufen tätig, Internatsleiterin in Eisenach, ledig, keine Kinder<br />
<br />
'''Warnstedt, Gustav'''<br><br />
1927 in Nordhausen geboren, Petersberg- und Mittelschule, Mittlere Reife, Maurerlehre, 1944 Kavallerist an der Balkanfront. Sowjetische Gefangenschaft bis Dezember 1949, 1950 Lehre beendet, Besuch der Bauschule, Abschluss als Bauingenieur, in mehreren Funktionen tätig, auch bei VEB Hydrogeologie Wassererkundung-Tiefbrunnenbau Nordhausen<br />
<br />
'''Werther, Hans-Dieter'''<br><br />
1933 in Nordhausen geboren, Sohn einer Nordhäuser Unternehmerfamilie, Sohn des bekannten Fliegers Hans Werther. Meyenburg- und Humboldt-Oberschule, Abitur 1952, Studium in Jena, Berlin, Halle, Diplom-Brennerei-Ingenieur, Patent-Ingenieur (Sozio-logie), lmkerfacharbeiter, ab 1968 Betriebleiter Fa. Georg I-Iügues, später VEB Biochemie-Nordeis, verheiratet, 2 Kinder<br />
<br />
'''Wittekopf, Gerhard †'''<br><br />
1927 in Nordhausen geboren, Meyenburg-Mittelschule, Mittlere Reife, Verwaltungslehre im Landratsamt, Dezember 1944 Panzergrenardier bis Mai 1945, ab Sommer Demontagearbeiten im Kohnstein, Pädagogische Fachschule, 5 Jahre Neulehrer, dann Großhandelskaufmann bei Papier-Druck Erfurt, Verkaufsleiter Bildpostkarten, verheiratet, 2 Kinder</div>Latimer Rexhttps://nordhausen-wiki.de/index.php?title=Das_Nordh%C3%A4user_Geschichtenbuch&diff=15706Das Nordhäuser Geschichtenbuch2020-02-13T12:47:11Z<p>Latimer Rex: </p>
<hr />
<div>{{SEITENTITEL:''Das Nordhäuser Geschichtenbuch''}}<br />
{{Buch<br />
|Titel=Das Nordhäuser Geschichtenbuch<br />
|Untertitel=Kindheitserinnerungen der Generation von vorgestern<br />
|Bild=<br />
|Reihe=<br />
|BandNr=<br />
|Autor=<br />
|Herausgeber=Stadt Nordhausen, Amt für Kultur und Tourismus. Autorengruppe ...<br />
|Verlag=Nordhausen : le petit<br />
|Auflage=<br />
|Umfang=370 Seiten : Illustrationen<br />
|Preis=24,90 Euro<br />
|Erscheinungsjahr=2011<br />
|Bibliothek=ja<br />
|ISBN=<br />
|Homepage=<br />
|erfasst=11. November 2016<br />
}}<br />
'''''Das Nordhäuser Geschichtenbuch''''' ist ein im Dezember 2011 durch die Stadt Nordhausen herausgegebenes Erinnerungsbuch, in dem 24 Nordhäuser ihre Erlebnisse in den Jahren zwischen 1930 und 1945 niederschrieben. <br />
<br />
{{BlockSatzStart}}<br />
<br />
== Zum Geleit ==<br />
: '''''Horst Köhler'''''<br />
'''I'''mmer dann, wenn sich die Rauchschwaden einer bedeutenden Epoche so weit verzogen haben, dass nur die empfindlichen Nasen mancher erst viel später geborener Historiker noch den kalten Brandgeruch wahrzunehmen meinen, während sie suchend und forschend in der grauen Asche der Geschichte herumstochern, immer dann schlägt die Stunde der Zeitzeugen.<br />
<br />
Ach, das sind alte Leute - so heißt es dann - und die Erinnerung der Alten, das weiß man ja, hüllt das Vergangene gern in ein sanftes, verklärendes Licht. Dennoch - niemand sollte sich anmaßen, ihre Glaubwürdigkeit leichtfertig in Frage zu stellen, denn sie genießen den entscheidenden Vorteil eines großen Vorsprungs: Sie waren dabei.<br />
<br />
ln diesem Buch kommt eine Reihe solcher Zeitzeugen zu Wort, denen bei aller Unterschiedlichkeit ihres Herkommens und ihrer Betrachtungs-weise eines gemeinsam ist: Die Liebe zu ihrer Heimat, zu ihrer Vaterstadt Nordhausen und zu ihren Menschen. Folgen wir ihnen auf einem Gang durch ihre längst versunkene Zeit, durch die Straßen und Gassen, die den alten Lesern so vertraut sein werden, als spürten sie das holprige Kopfsteinpflaster wieder unter den nun müde gewordenen Füßen. Aber auch die jungen Nordhäuser sind eingeladen, uns zu begleiten und mitzuwandern auf Wegen, die sie so nie gekannt haben, wenn sie auch da und dort noch die lieb gewordenen Namen tragen.<br />
<br />
Damals! Waren die Zeiten damals besser als heute, oder waren sie schlechter? Wer wollte sich unterstehen, diese Frage wahrheitsgemäß zu beantworten? Sie waren - anders. Man sagt, es gäbe nichts Älteres als die Zeitung von gestern. Das mag zutreffen. Indessen - es gibt auch nichts Lebendigeres als die Erinnerung. Lasst sie uns behutsam pflegen und bewahren, unsere Stadt hat es verdient; denn sie hat viel gelitten. Vergessen wir aber dabei das Eine nicht: Die Erinnerung an sich wäre nichts ohne die Kraft, die sie in die Zukunft trägt.<br />
<br />
== Inhalt ==<br />
{| class="wikitable sortable"<br />
| align="center" style="background:#f0f0f0;"|<br />
| align="center" style="background:#f0f0f0;"|<br />
|-<br />
| Horst Köhler || [[Das_Nordhäuser_Geschichtenbuch#Zum Geleit|Zum Geleit]]<br />
|-<br />
| Aufruf - Nordhäuser Zeitzeugen gesucht ||<br />
|-<br />
|Stadtplan 1927<br />
|-<br />
|[[Das_Nordhäuser_Geschichtenbuch#Prolog|Prolog]] ||<br />
|-<br />
|Dr. Hermann Quosig || Das Nordhäuser Geschichtenbuch - früheste Kindheitserinnerungen<br />
|-<br />
|Karl-Heinz Bosse || Das Dreieck<br />
|-<br />
|Werner Koch || bruchstücke aus dem Lebenslauf bis 1946<br />
|-<br />
|Gerhard Meurer || Kindheitserinnerungen an den Mühlgraben in der Weisenstraße <br />
|-<br />
|Gerhard Wittekopf || Ein Weihnachtsfest 1932 ; 1933 - Ich wurde Schulkind ; Erinnerungen an einen jüdischen Schulkameraden <br />
|-<br />
| Wolfgang Bartscher || Kindheitserinnerungen<br />
|-<br />
|Kurt Kühne || Die Lutherkurrende in Nordhausen ; Theater-Erlebnis<br />
|-<br />
|Walter Kurbach || Kindheits- und Jugenderinnerungen<br />
|-<br />
|Hermann Voigt || Das Bauwesen und ich<br />
|-<br />
|Dr. Hermann Quosigk || Vom Tanzbär und Nachtgespenst<br />
|-<br />
|Dr. Herinrich Schnee || Erinnerungen an meine Gymnasialzeit<br />
|-<br />
|R. Reichardt ||Mein erster Gehegegang<br />
|-<br />
|Marianne Lewin-Traeger || Eine Martini-Erinnerung<br />
|-<br />
|Gerhard Meurer || Erinnerungen an eine alte Kupferschmiede und Apparatbaufirma<br />
|-<br />
|Hans-Martin Kromann ||Unsere Urahnen der Familien Kromann/Fromann ; Zigeuner - „Zindis und Tatern“<br />
|-<br />
|Dr. Hermann Quosigk || Stadtleben - in - und außer Haus<br />
|-<br />
|Margarete Unger ||Jugenerinnerungen aus den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts<br />
|-<br />
|Ursula Fromme || Bericht zu „Nordhäuser Zeitzeugen gesucht“<br />
|-<br />
|Horst Beier||Meine Erinnerungen an die Wiedigsburgschule und Hohensteiner Straße<br />
|-<br />
|Jost-Dieter Rudloff||Erinnerungen an die Meyenburgstraße 1938-1945<br />
|-<br />
|Marianne Jud||Erinnerungen<br />
|-<br />
|Wolfgang Boes||Das Kriegsende als Jugendlicher in Nordhausen 1943-1945<br />
|-<br />
|Brigtte Sander||Mein Leben in meiner Heimatstadt Nordhausen von 1935-1945<br />
|-<br />
|Jutta Arndt||So erlebte ich den Bombenangriffe am 3. und 4. April 1945<br />
|-<br />
|Otto Koch||Ein Teil meiner Lebensgeschichte<br />
|-<br />
|Ilse Leiß||Kindheitserinnerungen vor 1945<br />
|-<br />
|Volker Reinboth||Wiedersehen mit Nordhausen 1945<br />
|-<br />
|Achim Sander||Erinnerungen an die Kindheit und die Kriegsjahre<br />
|-<br />
|Bernhardt Sourell||Alltagsumstellung auf Kriegsverhältnisse<br />
|-<br />
|Rolf Dohle||Meine ersten Lebensjahre in Salza<br />
|-<br />
|Elisabeth Dohle||Nachruf aufAlt-Nordhausen<br />
|-<br />
|Bernhardt Sourell||Kriegserleben im 12. bis 17. Lebensjahr<br />
|-<br />
|Günter Angelstein||Erlebnisbericht - 1939 bis Kriegsende<br />
|-<br />
|Dr. Hermann Quosigk||Ein Bummel durch Nordhausen 1938<br />
|-<br />
|Karl-Heinz Bosse||Gedenken an die Fotogran Eleonore Wopfner<br />
|-<br />
|Margret Sieckel||Schicksal einerjüdischen Familie ; Das werde ich nie vergessen!<br />
|-<br />
|Gustav Warnstedt||Strohlmühlenweg<br />
|-<br />
|Hans-Dieter Werther||Jugendjahre in einer alten Kornbranntwein-Brennerei<br />
|-<br />
|Horst Meibohn||Martini 1938 in Nordhausen<br />
|-<br />
|Dr. Manfred Schröter||Das Leben in Nordhausen in den letzten Kriegsmonaten<br />
|-<br />
|Walther Reinboth||Erinnerungen an die Heinrich-Mittelschule<br />
|-<br />
|Gerhard Stürmer||Meine Erinnerungen an die Zeit vor 1945<br />
|-<br />
|Klaus Thelemann||Kindheitserinnerungen<br />
|-<br />
|Wolf Thieme||Nordhäuser Erinnerungen<br />
|-<br />
|Charlotte Arpert||Nordhausen - Anno dazumal 1914<br />
|-<br />
|Dr. Ulrich Haun||Episoden de Fliegerangriffs am 3. April 1945<br />
|-<br />
|Verfasser unbekannt||Geschichtliches und sehenswertes aus der 1000-jährigen Stadt Nordhausen<br />
|-<br />
|Otto Koch||Gedicht über Nordhausen<br />
|-<br />
|Horst Beier||Unsere Arbeitseinsätze während des Krieges<br />
|-<br />
|Dr. Hermann Quosigk||Epilog<br />
|-<br />
|[[Das_Nordhäuser_Geschichtenbuch#Kurzbiografien (alphabetisch)|Kurzbiografien (alphabetisch)]] ||<br />
|}<br />
<br />
== Prolog ==<br />
'''W'''ir wurden vor der Erfindung des Fernsehens, des Penizillins, der Schluckirnpfung,<br />
der Tiefkühlkost und der Kunststoffe geboren und kannten Kontaktlinsen, Herzschritt-<br />
macher und die Pille noch nicht. Wir kauften Mehl und Zucker viertelpfundweise in Tüten und nicht in Geschenkpackungen. Wir waren schon da, bevor Kreditkarten, Telefax,<br />
Kernspaltung, Laser und Kugelschreiber zur Verfügung standen.<br />
<br />
Es gab noch keine Geschirrspüler, Wäschetrockner, Klimaanlagen, Last-Minute-Flüge<br />
und der Mensch war noch nicht auf dem Mond gelandet. Wir pflegten unsere Verbindungen persönlich und nicht mit hotline, online, inline, airline. Was sich in der Welt<br />
ereignete, zeigte uns die Wochenschau im Kino etwa vierzehn Tage später.<br />
<br />
Wir haben erst geheiratet und dann zusammengelebt. Damals waren die Käfer noch<br />
keine Volkswagen. Und „mit jemanden gehen“ hieß schon fast so viel wie verlobt zu<br />
sein. Alte Zeitungen wurden für „hinterlistige“ Zwecke verbraucht oder im Ofen verbrannt. Von Recycling sprach niemand. Wir dachten nicht daran, daß der Wiener Wald<br />
etwas mit Brathähnchen zu <br />
tun hätte, und Arbeitslosigkeit war eine Drohung und kein Versicherungsfall.<br />
<br />
Wir waren da, bevor es den Hausmann, die Emanzipation, Pampers, Aussteiger und eine<br />
computergesteuerte 1-leiratsvermittlung gab. Zu unserer Zeit gab es noch keine Gruppentherapie, Weight-Watchers, Sonnenstudios und kein Kindererziehungsj ahr für Väter.<br />
Zweitwagen hatte keiner und brauchte sie auch nicht durchzuchecken. Und wenn man<br />
sich wunderte, sagte man „oh“ und nicht „wow“.<br />
<br />
Wir haben damals keine Musik vom Tonband oder über UKW aus Transistorradios oder<br />
die New Yorker Symphonie via Satellit gehört. Wir lauschten Musikkapellen oder einer<br />
Schallplatte, deren Töne nicht gepowert waren. Band in Discos waren unbekannt. Es<br />
gab keine elektronischen Schreibmaschinen, künstliche Nieren, Yoghurt und auch keine<br />
Jungen, die Ohrringe trugen. Die Worte Software für alles, was man beim Computer<br />
nicht anfassen und Non-Food für alles, was man nicht essen und trinken kann, waren<br />
noch nicht erfunden. Und ein gesundes Fachwissen wurde noch nicht mit Know-how<br />
bezeichnet.<br />
<br />
ln dieser Zeit hieß Made in Japan so viel wie billiger Schund und man hatte auch noch<br />
nie etwas von Pizzen, MacDonald's und lnstand-Coffee gehört. Der Ausspruch Pommes<br />
mit Ketchup war noch nicht geboren. Wir sagten noch Guten Tag und nicht „Hallo“ oder<br />
„Hi“ (sprich hei) und wenn wir etwas gut fanden, sagten wir auch, es war schön und<br />
nicht okay oder affengeil.<br />
<br />
Wir feierten unsere kleinen Feste und keine Parties oder Festivals und Höhepunkte waren keine Highlights.<br />
<br />
Wir liefen schon auf der Straße herum, als man noch für fünf Pfennige ein Eis, einen<br />
Beutel Studentenfutter oder eine Flasche Brause kaufen konnte. Auf Briefe klebten wir Sechs-Pfennig-Marken und für fünfzehn Pfennige konnten wir mit der Straßenbahn von<br />
einem Ende der Stadt bis zum anderen fahren, wenn wir uns vorher eine Fahrkarte gekauft hatten, die damals noch nicht Ticket hieß. Wenn man weniger als einen Meter groß<br />
war, kostete es nichts. Im Gang stehen war verboten. Ein Ei kostete drei Pfennige und<br />
eine Semmel vier Pfennige.<br />
<br />
Bei Regen zog man sich einen Mantel an und kein Outfit. Die Verkäuferin hatte noch<br />
keinen Job im Shop. Man buchstabierte noch deutsch, wer hätte schon etwas verstanden, hätte man Eibiäm (IBM) gesagt? Statt des modernen Countdown sagten wir noch<br />
abzählen. Freunde waren wir und keine Fans. Wir waren wohl die letzte Generation,<br />
die so dumm war zu glauben, daß eine Frau einen Mann heiraten muß, um ein Baby zu<br />
bekommen. Und wenn das Wort Kids el, dachten wir an kleine Rehe. Mit leuchtenden<br />
Augen lauschten wir den Märchen, die uns vorgelesen wurden. Comic-Strip waren uns<br />
unbekannt.<br />
<br />
Wir sammelten und bügelten noch alte Schleifen und Geschenkpapier, legten bröckelnde Seifenreste zusammen und waren Meister im Falten von Zahnpastatuben, um die<br />
letzten Spuren herauszuquetschen.<br />
<br />
Wir mußten fast alles selber tun und mit dem auskommen, was wir hatten. Zu glauben,<br />
daß der Staat uns schließlich doch versorgen wird, wenn wir vorher über unsere Ver-<br />
hältnisse gelebt haben, wäre undenkbar gewesen. Wer mehr ausgab als er einnahm, war<br />
ein krimineller Bankrotteur.<br />
<br />
Und Bock mußten wir immer haben! (Null Bock auf nichts)<br />
Diese ganze Entwicklung haben wir über uns ergehen lassen müssen. Ist es da ein Wun-<br />
der, wenn wir etwas konfus erscheinen?<br />
<br />
So ist wohl auch die Kluft zwischen den Generationen entstanden. Wir haben aber alles<br />
überlebt und sind, der Statistik zufolge die gesündeste Generation. Das ist vielleicht<br />
auch der Beweis für unsere total überholte, aber vernünftige Lebensweise.<br />
Darum haben wir alle Grund zum feiern und wir freuen uns, daß wir das heute über-<br />
haupt noch können.<br />
<br />
Eine lange Entstehungsgeschichte liegt hinter den Initiatoren. dieses Buches. Die Herausgabe wäre selbst noch einmal eine Geschichte weit. Daher möchte ich mich im Na-<br />
men aller Beteiligten bei der Stadt Nordhausen recht herzlich bedanken, dass sie sich<br />
bereiterklärt hat dieses Buch zu publizieren. Die Autoren sehen es auch als ihren Beitrag<br />
zum 1085-jährigen Jubiläum der Stadt Nordhausen im nächsten Jahr 2012.<br />
<br />
== Kurzbiografien (alphabetisch) ==<br />
<br />
'''Angelstein, Günther'''<br><br />
1935 in Sundhausen, OT von Nordhausen, geboren und aufgewachsen. Besuch der dortigen Grundschule, Abschluss 8. Klasse. Fleischerlehre, Gesellenprüfung. Berufsausübung als Fleischer, industriell und Hausschlachtung. Qualizierung zum Baggerfahrer<br />
<br />
'''Arndt, Jutta geb. Gothe'''<br><br />
1934 in Bielen geboren, OT von Nordhausen, Besuch der dortigen 8-klassigen Volksschule, Abschluss 8. Klasse. Lehre als Näherin, später Angestellte bei der Deutschen Reichsbahn, dann Bundesbahn, jetz Rentnerin, verheiratet, 4 Kinder<br />
<br />
'''Bartscher, Wolfgang''' <br><br />
1927 in Nordhausen geboren. Petersbergschule. Mittelschule. Lehre bei Stadtverwaltung Nordhausen, Arbeitsdienst-Flak. Gefangenschaft in Belgien. Hochschule in Leipzig, Abschluss als Diplomwirtschaftler. Tätig im Lebensmittel-Großhandel und EDV, verheiratet, 2 Kinder, Vorruhestand 1990, Rentner ab 1992<br />
<br />
'''Beier, Horst'''<br><br />
1931 in Nordhausen geboren, Meyenburg-Mittelschule, ab 1945 als Helfer in der Stadtgärtnerei bei Gartenbau-Oberinspektor Ernst tätig. Studium zum Gartenbau-Ingenieur, 1961 bis 1973 Abteilungsleiter Gartenverwaltung, Ingenieur fur Landschaftsgestaltung<br />
<br />
'''Boes, Wolfgang'''<br><br />
1931 in Köln geboren. 1942 in Köln ausgebomt, Umzug mit Familie nach Nordhausen, hier ab 1943 Oberschule. lm April 1945 in der Löbnitzstraße erneut ausgebombt, nach Mühlhausen verzogen, dort Berufsschule. Nach Enteignung des väterlichen Betriebse nach Westdeutschland. Großhandelskaufmann, EDV-Organisator bis zur Rente, verheiratet, 2 Kinder<br />
<br />
'''Bosse, Karl-Heinz'''<br><br />
1925 in Allstedt/Helme geboren, 1935 nach Nordhausen, Petersbergschule, Lehre als Maschinenschlosser und Technischer Zeichner. 1943 zur Luftwaffe, 1944 abgeschossen, verwundet, 1945 in Gefangenschaft. Tätig in MONTANIA und ABUS, Ingenieurstudium Chefkonstrukteur bei NOBAS. Nach Kriegsende maßgeblich am Aufbau des Segelflugs in Nordhausen beteiligt, jetzt Rentner, verheiratet, 2 Kinder<br />
<br />
'''Dohle, Elisabeth geb. Giese'''<br><br />
1931 in Netzdorf/Westpreußen geboren, mit 8 Jahren 1940 nach Nordhausen zu den Großeltern gezogen, die in der Hohekreuzstraße beim Bombenangriff ums Leben kamen. Besuchte die Töpfertorschule, dann Mittelschule. 1943 Rückkehr nach Westpreußen, l945 nach der Vertreibung wieder im zerbomten Nordhausen. 2-jährige Lehre als Dreherin in der IFA, dann Assistentin der Betriebsschule, 1961 anach Bremen, Sekretärin, verwitwet, 3 Kinder<br />
<br />
'''Dohle, Rolf †'''<br><br />
1926 in Salza geboren, dortige Volksschule besucht, Abschluss 8. Klasse, ab 1940 Kaufmannslehre bei Kaffee-Krause & Co. in Nordhausen, für 3 Jahre Berufsschule. 1944 Kaufmanns-Gehilfe. Einberufung zum RAD und Luftwaffe, Einsatz in Frankreich, Lazarett, danach Abwehrkämpfe an der Oder, bis 1945 in amerikanischer Gefangenschaft. Ab 1950 bei der HO, ab 1951 Einkäufer IFA, 1961 nach-Bremen, dort Selbständig, 3 Kinder, im Oktober 2009 verstorben<br />
<br />
'''Fromme, Ursula'''<br><br />
1922 in Loburg/Krs. Zerbst geboren, 1926 nach Kleinwerther gezogen, dortigge Volksschule besucht, anschließend Mathilden-Mittelschule Nordhausen, Mittlere Reife, Pflichtjahr, Höhere Handelsschule Halle/Saale, Tätigkeit in der Stadtverwaltung Nordhausen, Sekretärin bis 1985, seit 1982 Rentnerin, Mitglied im Kulturbund, Harzklub<br />
<br />
'''Haun, Dr. Ulrich'''<br><br />
1940 in Nordhausen geboren, Sohn eines Landarztes, Grundschule in Großwechsungen, 1954-58 EOS Nordhausen, Abitur, 1959 Praktikum an der Bergakademie Freiberg, bis 1965 Medizinstudium Charite Berlin und MA Erfurt, 1966 Promotion, Oberarzt der Kinderklinik Nordhausen bis 2003, dann Altersteilzeit.<br />
<br />
'''Koch, Otto †'''<br><br />
1920 in Salza geboren. Heinrich-Mittelschule, Mittlere Reife. Maurerlehre, gesamte Kriegsteilnahme an der Ostfront, 2 mal verwundet. Nach Kriegsende Berufsschullehrer, Ausbildungsleiter und Direktor der Betriebsberufsschule Hochbau Nordhausen, Dozent an der Fachschule für Bautechnik Weimar, Direktor Lehrmeister-Institut Magdeburg, 3 Kinder<br />
<br />
'''Koch, Werner'''<br><br />
1926 in Nordhausen geboren, 3. Generation einer Nordhäuser Färbeermeisterfamilie, Petersberg-Realgymnasium, Luftwaffenhelfer, Kriegsabitur, Infantrist in der Schlacht von Arnheim, Gefangenschaft bis Oktober 1946. Färbermeister, selbstständig in Nordhausen bis zur Enteignung 1961, dann 25 Jahre Vorsitzender der PGH „Adrett“, verheiratet<br />
<br />
'''Köhler, Horst'''<br><br />
1924 in Nordhausen geboren, Realgymnasium, danach mehrere Jahre Soldat, nach Kriegsgefangenschaft in Bremen wohnhaft, dort im Außenhandel tätig. Buchveröffentlichungen „Glocken vom Petrieturm“, „Laterna magica“', „Sonnenstaub und Wolkenschatten“, zahlreiche Lyrische Gedichte, auch in „Nordhäuser Nachrichten“<br />
<br />
'''Kromann, Hans-Martin'''<br><br />
1926 in Nordhausen geboren, Petersbergschule, Mittelschule. Luftwaffensoldat, verwundet bis l949 in Kriegsgefangenschaft in Frankreich. Fachschule für Binnenhandel, Großhandelskaufmann. Leitender Angestellter und Betriebsökonom, Autor „110 Jahre Luftfahrt in und um Nordhausen“, verheiratet, 1 Kind<br />
<br />
'''Kubach, Walter'''<br><br />
1923 in Duisburg/Meiderich Rhl. geboren, als Kleinkind nach Nordhausen gezogen. Von 1930 bis 1938 Petersbergschule, Handelsschule bis 1941. Lehre bei VIKK Arbeitsdienst in Polen, lnfanterist im Kaukasus, schwer verwundet, 1945 amerikanische Gefangenschaft, l7 Jahre AOK, danach 27 Jahre Revision Verkehrsbetriebe Nordhausen, verheiratet, 2 Kinder<br />
<br />
'''Kühne, Kurt'''<br><br />
1923 in Nordhausen geboren. Meyenburg-Mittelschule, Mittlere Reife. Ab 1942 motorisierte lnfanterie, verwundet in Stalingrad, dann Einsatz in Süditalien, 1944 in Gefan- genschaft nach Algerien und Frankreich, 1949 Heimkehr, 1953 Meisterprüfung Sanitär- und Heizungsbau. Weiterführung des väterlichen Betriebes bis 1988, verheiratet<br />
<br />
'''Leiß, Ilse geb. Meyer'''<br><br />
1927 in Nordhausen geboren, Justus-Jonas-Schule, nach Abschluß tätig im elterlichen Lebensmittelgeschäft und Gastwirtschaft „Grimmel Tor“. Nach Geschäftsaufgabe Ende 1960er-Jahre in der Bücherstube beschäftigt, verwitwet, 1 Kind<br />
<br />
'''Maibohm, Horst'''<br><br />
1929 in Nordhausen geboren, Petersbergschule, von 1939-1945 Mittelschule, Bombenangriff in der Schützenstraße überlebt. Von 1946-1949 kaufmännische Lehre bei Fa. Gebhardt & König in Nordhausen, bis 1990 Industriekaufmann bei VEB Schachtbau, verheiratet, l Kind<br />
<br />
'''Meurer, Gerhard'''<br><br />
1926 in Nordhausen geboren, Sohn alteingesessenen Nordhäuser Fabrikantenfamilie, Meyenburgschule, Realgymnasium Nordhausen und Aufbauschule Sondershausen, Luftwaffenhelfer, Arbeitsdienst in Polen, Artillerist, Gefangenschaft 1945, dann Abitur, Kupferschmied, Studium Maschinenbau an TH in Aachen, 1956 Diplomingenieur, in Dortmund tätig.<br />
<br />
'''Quosigk, Dr. Hermann'''<br> <br />
1926 in Nordhausen geboren, Sohn einer alteingesessenen Fabrikantenfamilie, Meyenburgschule, Realgymnasium, Luftwaffenhelfer, Arbeitsdienst, Kriegsabitur, Luftwaffe, Gefangenschaft bis 1946, nochmals Abitur, 1948 Dreherberuf, 1951-1956 Medizinstudium an der Humboldt-Universität Berlin, 44 Jahre als Arzt in Nordhausen tätig, verheiratet, 3 Kinder<br />
<br />
'''Reinboth, Walter sen.'''<br><br />
1928 in Nordhausen geboren, 1935-1939 Petersbergschule, bis 1945 Mittelschule, Segelflugausbildung in Ellrich. Beim Angriff 1945 in Schützenstraße ausgebombt, seit- dem wohnhaft in Walkenried, bis 1988 Bankkaufmann bei der NORD/LB, verheiratet, 2 Kinder<br />
<br />
'''Rudloff, Jost-Dieter'''<br><br />
1934 in Halberstadt geboren, Schulbesuch in Nordhausen, Rundfunkmechaniker bis 1953, Abitur 1956, Diplom-Ingenieur in Pharma-Konzern (Schweiz), verheiratet, 2 Kinder<br />
<br />
'''Sander, Achim'''<br><br />
1932 in Nordhausen geboren, Petersbergschule, Mittelschule, Mittlere Reife. Ausbildung Industriekaufmann Elektrizitätswerk Nordhausen, bis 1956 im E-Werk tätig, dann Eisengießerei und Verkehrsbetriebe, danach im Kfm. und EDV-Bereich Bergbau Bochum Lebensmittelindustrie Düsseldorf, verheiratet, 2 Kinder <br />
<br />
'''Schröter, Dr. Manfred'''<br><br />
1935 in Nordhausen geboren, Petersbergschule, 1951 aus politischen Gründen von der Humboldt-Schule verwiesen, Weberlehre in Bleicherode, danach 1955 Abitur, Studium der Medizin in Halle/Leipzig, ab 1961 als Arzt in Nordhausen tätig, 1990 Bürgermeister der Stadt Nordhausen, bis 2002 Verwaltungsdirektor, Publikationen über Zerstörung Nordhausens und Judenverfolgung, verheiratet, 4 Kinder<br />
<br />
'''Sieckel, Margret geb. Strecker'''<br><br />
1927 in Nordhausen geboren, 1934-1938 katholische Dorrischule, von 1938-1946 Lyzeum Nordhausen (Königin Luise Schule), 1946 Abitur, Lehrerausbildung am lfL Nordhausen, Lehrertätigkeit an Töpfertor- und Diesterweg-Schule, sowie Organistin am Dom zu Nordhausen, verwitwet, 3 Kinder<br />
<br />
'''Sourell, Bernhard'''<br><br />
1927 geboren, mit 11 Jahren nach Nordhausen, ab 1938 Realgyrnnasium bzw. Oberschule, Luftwaffenhelfer, Arbeitsdienst, Kanonier, von Gefangenschaft verschont, seit 1945 in Ziegelwerk Nordhausen tätig, 1951 Ingenieur, 1967 Diplom-Ingenieur, ab 1951 Unternehmer in 1990 reprivatisierter Familien GmbH, verheiratet, 2 Kinder<br />
<br />
'''Stürmer, Gerhard'''<br><br />
1932 in Nordhausen geboren, Meyenburgschule, Ausbildung beim Kreis Nordhausen als Verwaltungsangestellter in der Berufs- und Volksbildung bis 1956, danach Pionierleiter bis Renteneintritt, verheiratet, 3 Kinder<br />
<br />
'''Thelemann, Klaus'''<br><br />
1935 in Nordhausen geboren, Schulbesuch 1942-1950, danach Lehre als Maschinenschlosser im IFA-Motorenwerk, 1970-1973 nach Ablegung des 10. Klasseabschlusses Qualizierung zum Industriemeister und Arbeitsnormer, bis 1990 im IFA-Motorenwerk tätig, verwitwet, 1 Kind, seit 60 Jahren Hobbymusiker<br />
<br />
'''Thieme, Wolf'''<br><br />
1937 als Sohn Nordhäuser Eltern in Bad Dürrenberg geboren, in der Werkssiedlung von Leuna aufgewachsen, Schulbesuch in Mücheln/Geiseltal, später in Berlin, seit 1955 Volontarist und Journalist, verheiratet, Großvater war Besitzer einer Kornbrennerei in der Grimmelallee, Heute Gaststätte „Destille“.<br />
<br />
'''Unger, Margarete'''<br><br />
1923 in Nordhausen geboren, Mathilden-Mittelschule (Mädchenschule), Mittlere Reife, 10 Jahre als Telefonistin und Fernschreiberin bei der Deutschen Post Nordhausen tätig, dann Studium als Lehrerin und Erzieherin, 30 Jahre in pädagogischen Berufen tätig, Internatsleiterin in Eisenach, ledig, keine Kinder<br />
<br />
'''Warnstedt, Gustav'''<br><br />
1927 in Nordhausen geboren, Petersberg- und Mittelschule, Mittlere Reife, Maurerlehre, 1944 Kavallerist an der Balkanfront. Sowjetische Gefangenschaft bis Dezember 1949, 1950 Lehre beendet, Besuch der Bauschule, Abschluss als Bauingenieur, in mehreren Funktionen tätig, auch bei VEB Hydrogeologie Wassererkundung-Tiefbrunnenbau Nordhausen<br />
<br />
'''Werther, Hans-Dieter'''<br><br />
1933 in Nordhausen geboren, Sohn einer Nordhäuser Unternehmerfamilie, Sohn des bekannten Fliegers Hans Werther. Meyenburg- und Humboldt-Oberschule, Abitur 1952, Studium in Jena, Berlin, Halle, Diplom-Brennerei-Ingenieur, Patent-Ingenieur (Sozio-logie), lmkerfacharbeiter, ab 1968 Betriebleiter Fa. Georg I-Iügues, später VEB Biochemie-Nordeis, verheiratet, 2 Kinder<br />
<br />
'''Wittekopf, Gerhard †'''<br><br />
1927 in Nordhausen geboren, Meyenburg-Mittelschule, Mittlere Reife, Verwaltungslehre im Landratsamt, Dezember 1944 Panzergrenardier bis Mai 1945, ab Sommer Demontagearbeiten im Kohnstein, Pädagogische Fachschule, 5 Jahre Neulehrer, dann Großhandelskaufmann bei Papier-Druck Erfurt, Verkaufsleiter Bildpostkarten, verheiratet, 2 Kinder</div>Latimer Rexhttps://nordhausen-wiki.de/index.php?title=Luftangriffe_auf_Nordhausen&diff=15695Luftangriffe auf Nordhausen2020-02-11T12:16:45Z<p>Latimer Rex: </p>
<hr />
<div>[[Datei:Marktkirche Rathaus Nordhausen 1945.jpg|thumb|300px|[[Marktkirche]], [[Altes Rathaus|Rathaus]] und [[Stadthaus]] nach den Luftangriffen]]<br />
Die '''Luftangriffe auf Nordhausen''' am 3. und 4. April 1945 durch Bomber der britischen Royal Air Force zerstörten Dreiviertel der Stadt. Dabei kamen über 8.800 Menschen ums Leben, weitere 20.000 wurden obdachlos. Mit einem Wohnungszerstörungsgrad von 55% (10.000 Wohnungen) gehörte Nordhausen zu den am schwersten zerstörten deutschen Städten; zahlreiche Denkmale von hervorragender Bedeutung, darunter die für Nordhausen charakteristischen Fachwerkbauten des 13. bis 19. Jahrhunderts, wurden vernichtet. Der historische Stadtkern, die Neustadt und die Gebäude um die [[Frauenbergkirche]] wurden fast gänzlich eingeebnet. Erhalten blieben die Gebiete westlich und nördlich der [[Stadtmauer]], [[Barfüßerstraße]], [[Kalte Gasse]], Teile des historischen [[Königshof]]s sowie der Stadtteil [[Altendorf]]. Ein Großteil der stark beschädigten Bauwerke wurde nach dem Zweiten Weltkrieg abgerissen. <br />
Die zerstörerische Gesamtwirkung aller Bomben und Luftminen war von keinem Einzelangriff im Luftkrieg gegen Deutschland auch nur annähernd erreicht worden.<ref>Geiger: ''Nordhausen im Bombenvisier''. S. 150.</ref> Bei der Bombardierung von Nordhausen handelte es sich um die größte Katastrophe in ihrer tausendjährigen Stadtgeschichte. <br />
Im Luftkrieg der Westalliierten über Deutschland kamen mehr als 600 000 Personen der Zivilbevölkerung ums Leben (WELT 28.6.2012). Durch deutsche Bomben und Raketen auf zivile Ziele in England starben 42 000 Einwohner. „Wir werden ihre Städte ausradieren“, hatte Adolf Hitler am 4. September 1940 gedroht, als die Luftwaffe englische Städte bombardierte. „Der Krieg ist nach Nordhausen zurückgekehrt“, schrieb Jens-Christian Wagner, ehemals Leiter der KZ-Gedenkstätte Dora, 2015 zum Jahrestag der Luftangriffe auf Nordhausen („Nordhäuser Allgemeine“, S.1 Lokalteil).<br />
<br />
== Nordhausen im Krieg ==<br />
Nordhausen hatte vor dem Zweiten Weltkrieg ca. 42.000 Einwohner. Während des Krieges stieg deren Zahl durch Ortsfremde (Luftkriegsevakuierte, Flüchtlinge, ausländische Arbeitskräfte, Verwundete und Kriegsgefangene) Anfang März 1945 auf 65.000 Einwohner.<ref>Peter Kuhlbrodt (Hrsg.): ''Schicksalsjahr 1945. Inferno Nordhausen''. Nordhausen: Archiv der Stadt Nordhausen, 1995. S. 20, 33 </ref> Insbesondere für Evakuierte aus Berlin, Hamburg und Westdeutschland waren Stadt und Kreis Nordhausen als Aufnahmeräume ausgewiesen.<br />
<br />
Der Bau von Luftschutzanlagen begann im Spätsommer 1943. Viele Bunkeranlagen in der Innenstadt blieben unvollendet. Am 29. November 1943 wurde für Nordhausen ein Evakuierungsplan, der Aussiedlungsrichtungen und Aufnahmegebiete festlegte, ausgearbeitet.<ref>Geiger: ''Nordhausen im Bombenvisier''. Nordhausen: Verlag Neukirchner, 2000. S. 65</ref><br />
<br />
{| class="wikitable sortable"<br />
|+ style="padding-bottom:1em" | Bis zum 22. Februar 1945 realisierte Stollenabschnitte<ref>Ullrich Mallis: ''Der Luftschutzstollen am Johanneshof / Neuer Weg. Ein Nordhäuser Baudenkmal'', in: ''[[Nordhäuser Nachrichten. Südharzer Heimatblätter (2/2011)]]'', S. 10.</ref><br />
|- class="hintergrundfarbe6"<br />
! class="unsortable" | Stollenabschnitte !! class="sortable" | Länge !! class="unsortable" | Herstellung !! class="unsortable" | Ausbauart !! class="unsortable" | Bemerkung<br />
|-<br />
| Stollen IA, Mühlhof || style="text-align:right" | 55,00 m<br />
| Okt. 1943 – Febr. 1944 || Beton, 27,5 m nur Holzausbau || Richtung Loge<br />
|-<br />
| Fluko-Bunkerzugang || style="text-align:right" | 2,40 m<br />
| Febr. – März 1944 || Eisenbetongewölbe || IA, > 40 m links<br />
|-<br />
| Kreuz IA-Stummel || style="text-align:right" | 0,50 m<br />
| März 1944 || Eisenbetongewölbe, wie das gesamte Kreuz IA || Drehscheibe<br />
|-<br />
| Stollen IB, Johannishof || style="text-align:right" | 38,50 m<br />
| Nov. 1943 – April 1944 || Beton, 22,5 m mit Firstschienen || noch begehbar<br />
|-<br />
| Stollen von IA nach IB || style="text-align:right" | 66,10 m<br />
| März 1944 – Nov. 1944 || Beton || Durchschlag im Nov. 1944<br />
|-<br />
| Stollen von IB nach IA || style="text-align:right" | 38,25 m<br />
| April 1944 – Nov. 1944 || Beton || Durchschlag im Nov. 1944<br />
|-<br />
| Oststollen, von IA-IB ab || style="text-align:right" | 21,75 m<br />
| Dez. 1944 – Febr. 1945 || Seitenbeton, Art des Firstausbaues nicht benannt || <br />
|-<br />
| Südstollen IC, ab IB || style="text-align:right" | 49,75 m<br />
| April 1944 – Febr. 1945 || || zum Lohmarkt<br />
|-<br />
| class="hintergrundfarbe5" | Gesamt: || style="text-align:right" class="hintergrundfarbe5" | 272,25 m<br />
| class="hintergrundfarbe5" | Okt. 1943 – Febr. 1945 || class="hintergrundfarbe5" | || class="hintergrundfarbe5" |<br />
|}<br />
<br />
<br />
<br />
Als Garnisonstadt hatte Nordhausen keine ältere Tradition. Ab 1935 wurde im Süden die [[Boelcke-Kaserne]] errichtet, mit Unterkünften und Fahrzeughallen; sie diente der Ausbildung von Luftnachrichtensoldaten. Daneben entstanden ein Fliegerhorst als Ausbildungsplatz und zeitweise Flugzeugwerft. Bis März 1945 wurden hier Flugzeuge für den Mistelschlepp ("Huckepack"-Flugzeuge) montiert und Piloten dafür geschult. Sonst diente der Fliegerhorst 1945 noch zum Auftanken von Jagdflugzeugen. In provisorischen Unterkünften in der Stadt gab es die evakuierte "Marineverwaltung West". In der Stadt und ihrer nahen Umgebung existierten viele Lazarette mit insgesamt etwa 1.000 Verwundeten. Die Lazarette und Krankenhäuser trugen weithin sichtbare große Rotkreuz-Symbole auf den Dächern. <br />
<br />
Das [[Mittelwerk GmbH|Mittelwerk Dora]] bei Nordhausen produzierte Anfang April 1945 keine V-Waffen oder andere Rüstungsgüter mehr. Die dort Beschäftigten, unter ihnen Tausende von Häftlingen des KZ Mittelbau-Dora und Zwangsarbeiter, wurden evakuiert. Das Werk oder seine Verkehrsanbindungen waren nie Ziel alliierter Luftangriffe. <br />
<br />
Die frühere [[KZ-Außenlager Boelcke-Kaserne|Boelcke-Kaserne]] wurde seit Herbst 1943 nicht mehr militärisch genutzt. Sie hatte seitdem Tausende von Arbeitern, später auch Flüchtlinge aufgenommen. Seit 8. Januar 1945 existierte ein bald überfülltes Häftlingslazarett in der Anlage.<ref> Manfred Schröter: ''Die Zerstörung Nordhausens''. Nordhausen: Meyenburg-Museum, 1988. S. 6-8 </ref> Im Februar kamen zeitweise 3.500 Häftlinge aus dem KZ Groß-Rosen dazu.<ref> Walter Geiger: ''Nordhausen im Bombervisier''. Nordhausen: Verlag Neukirchner, 2000. S. 258 </ref><br />
Vom Flugplatz Nordhausen waren im April 1945 die letzten Schulflugzeuge und Flak-Einheiten längst abgezogen worden. Eine kurz vor Kriegsende nach Nordhausen verlegte Marine-Dienststelle bestand lediglich aus Schreibkräften. So trafen die britischen Bomben auf in Kasernen eingesperrte KZ-Häftlinge.("Bad Lauterberger Tageblatt", 3./4. April 1985)<br />
<br />
== Erste Angriffe ==<br />
In der Nacht vom 25. August auf den 26. August 1940 griffen zwei britische Bomber vom Typ Handley Page Hampden den [[Flugplatz von Nordhausen]] an und warfen vier Bomben ab.<ref>Geiger: ''Nordhausen im Bombenvisier''. S. 61 f.</ref> Es entstand ein kleiner Brand, der bald gelöscht werden konnte. <br />
<br />
Von 1940 bis 1943 gab es insgesamt 72 öffentliche Luftwarnungen und Fliegerarlarme für Nordhausen. Als sich die alliierten Luftangriffe im Jahr 1944 auf die im Hinterland gelegenen deutschen Städte intensivierten, wurde Nordhausen verstärkt Überflugsort alliierter Bomberverbände, etwa wenn sie Berlin, Dessau oder Leipzig anflogen. Im März 1945 erreichten die durchschnittlich fünf bis sechs Luftalarme ihren Höhepunkt.<ref>Geiger: ''Nordhausen im Bombenvisier''. S. 98 f.</ref> <br />
<br />
Am 12. April 1944 flogen während der Mittagszeit zwei aus südlicher Richtung kommende amerikanische Jäger die Stadt an und töteten zwei Menschen, zwei Personen wurden schwer verletzt.<ref>Geiger: ''Nordhausen im Bombenvisier''. S. S 221 f.</ref> <br />
<br />
[[Datei:Luftangriffe Nordhausen Traueranzeige.jpeg|thumb|Traueranzeige vom 26. Februar 1945]]<br />
<br />
Am 22. Februar 1945 griffen gegen 12:30 Uhr US-amerikanische Bomber den Verschiebebahnhof an, trafen jedoch die Unterstadt, einige Anlagen des Industriegebietes und die vormalige Fernmeldeschule der Luftwaffe in der [[Boelcke-Kaserne]]. Insgesamt fielen 296 Mehrzweckbomben und töteten 40 Menschen. Im ''[[Südharzer Kurier]]'' erschien am 26. Februar eine Todesanzeige für die „Gefallenen des Terrorangriffs“ mit der Ankündigung zur Beisetzung. <br />
<br />
Am 28. Februar 1945 warfen drei amerikanische Maschinen 2,5 Tonnen Sprengbomben auf die Stadt ab. <br />
<br />
Am 1. April 1945 wurden das Auto-Hotel Hesse durch Bomben getroffen und zahlreiche Menschen getötet.<br />
<br />
== Großangriffe im April 1945 ==<br />
[[File:Avro Lancaster Mk 1 ExCC.jpg|thumb|Langstreckenbomber vom Typ ''Avro Lancaster'', wie sie bei der Bombardierung von Nordhausen zum Einsatz kamen.]]<br />
[[File:Mosquito 600pix.jpg|thumb|Zielmarkierer ''De Havilland Mosquito'' (1944)]]<br />
Am 3. April 1945 starteten gegen 13 Uhr die englischen Bomberverbände und erreichten Nordhausen um 16 Uhr. Die 247 Avro-Lancaster-Bomber (Tragfähigkeit je 6 Tonnen Bombenlast) und 9 Mosquito-Mehrzweckflugzeuge warfen in 20 Minuten ca. 1.216 Tonnen Sprengbomben ab und trafen vor allem die Außenbezirke von Nordhausen.<ref>Groehler: ''Bombenkrieg gegen Deutschland'', S. 422.</ref> Im Stadtinnern fielen Bomben um die [[Neustadt-Kirche]] und [[Neustadtstraße]]. In den umliegenden Wäldern und Ortschaften [[Sundhausen]], [[Bielen]], [[Himmelgarten]], [[Leimbach]] und [[Krimderode]] fielen schwere Bomben und Luftminen. Getroffen wurde auch die mit kranken Häftlingen überbelegte [[Boelcke-Kaserne]], wo allein in einer mit Tuberkulose-Kranken belegten Flugzeughalle 450 Menschen den Tod gefunden haben sollen.<ref>Wagner: ''Produktion des Todes.'' S. 280</ref> Die Stadt ohne Strom und Leitungswasser. Die Verletzten wurden gesammelt und nach [[Neustadt/Harz|Neustadt]] und [[Sülzhayn]] gebracht, die Ausgebombten erhielten Notquartiere in der Stadt selbst und ihrer Umgebung. Viele Nordhäuser flüchteten aus der Stadt. Zwei Stollen der unterirdischen Anlagen von Mittelbau Dora im Kohnstein nahmen bereits am 3. April Geflüchtete auf, später wurden es 10.000. Das Stadtkrankenhaus war beschädigt, die Patienten wurden in Notkrankenhäuser in das benachbarte [[Petersdorf]] gebracht, vor allem in das Ausflugsrestaurant Harzrigi.<ref> Manfred Schröter: ''Die Zerstörung Nordhausens''. Nordhausen: Meyenburg-Museum, 1988. S. 22, 23 </ref> Bomben fielen auch auf mehrere benachbarte Dörfer und deren Flur, besonders betroffen war Bielen. Zwei Bomber gingen beim Hin- und Rückflug verloren. Der erste Angriff erzielte die gewünschte Wirkung jedoch nicht. Der Angriff am 3. April war aus Sicht der RAF ein Misserfolg.<!-- (Quelle?) --> Viele Einwohner zogen am Abend des 3. April zum nahen [[Kohnstein]], wo die mittlerweile fast verlassenen Stollen des Mittelwerks Schutz boten.<br />
<br />
{{Zitat|Die Stadt ist schwer getroffen, aber sie ist noch eine organisierte Gemeinschaft… Gegenseitige und Nachbarschaftshilfe wird geleistet. Die Stadtverwaltung und die Luftschutzleitung setzen ihre Kräfte ein. Rotes Kreuz und die Krankentransporte kommen an die Schwerpunkte. Man leitet die Evakuierung des beschädigten Krankenhauses ein. Die Verletzten des Angriffs werden geborgen, abtransportiert, in den Gaststätten Parkhaus und Kurhaus gesammelt und schließlich nach Neustadt und Sülzhayn weiterbefördert. Die Feuerwehr bekämpft die wenigen Brandherde.|[[Manfred Schröter]]: ''[[Die Zerstörung Nordhausens und das Kriegsende im Kreis Grafschaft Hohenstein 1945]]''}}<br />
<br />
Am 4. April gegen 9 Uhr begann der zweite Großangriff der RAF. Der Verband kam über Gotha, Bad Langensalza und Schlotheim. Für 93 Bomber wurde die Boelcke-Kaserne als Angriffsziel befohlen, die anderen 150 hatten das Stadtzentrum anzugreifen.<ref>Geiger: ''Nordhausen im Bombenvisier''. S. 146 f.</ref> Zwei Bomber mussten frühzeitig zurückkehren, und zehn weitere hatten ihren militärischen Auftrag verfehlt, so dass von den 243 Flugzeugen 231 am Luftschlag teilnahmen. Ein Bomber explodierte über der Stadt. Die örtliche Feuerwehr war, soweit noch vorhanden, von der Lage völlig überfordert. Unter der überlebenden Bevölkerung herrschte Panik, viele verließen fluchtartig zu Zehntausenden das Inferno der Stadt in Richtung Kohnstein. Auch außerhalb von Nordhausen wurde sie von Jagdbombern beschossen.<ref> Manfred Schröter: ''Die Zerstörung Nordhausens''. Nordhausen: Meyenburg-Museum, 1988. S. 26 </ref> Am Abend und in der Nacht war die Stadt ein weithin leuchtendes Flammenmeer.<ref> Peter Kuhlbrodt: ''Schicksalsjahr 1945. Inferno Nordhausen''. Nordhausen 1995. S. 23 </ref> In der Mitte davon leuchtete der Kirchturm von St. Petri als riesige Fackel, die gegen Mitternacht zusammenbrach und auf das Kirchenschiff stürzte. RAF-Piloten, die von einem Einsatz bei Merseburg zurückflogen, berichteten um 23.00 Uhr von „good fires at Nordhausen“.<ref> Walter Geiger: ''Nordhausen im Bombervisier''. Nordhausen, 2000. S. 180 f.</ref> <br />
Der gebürtige Nordhäuser Schriftsteller [[Rudolf Hagelstange]] schrieb in seiner deutschen Familienchronik (Band 2: „Der Niedergang“, Seite 254) über die Feuersbrunst in seiner Heimatstadt: „Und die Hitze war so groß, dass in den meisten Straßen, sofern sie nicht gepflastert waren, der Asphalt geschmolzen war, dass Flüchtende da und dort in ihn eingesunken waren, einige unlöslich und damit zum Flammentod verurteilt.“<br />
<br />
=== Opfer ===<br />
[[Datei:Einwohnerentwicklung von Nordhausen ab 1800.svg|thumb|Einwohnerzahl von Nordhausen ab 1800. Deutlich sichtbar der Höhepunkt 1945]]<br />
Bei den Großangriffen im April 1945 kamen ca. 8.800 Menschen ums Leben. Diese Zahl geht auf Schätzungen vom Februar 1948 zurück.<ref name="Kuhlbrodt125">Kuhlbrodt: ''Inferno Nordhausen''. S. 125 f.</ref> Vor dem Abgriff befanden sich rund 65.000 Personen in der Stadt (42.000 ständige Bevölkerung, Militärpersonen, Gefangene, ausländische Arbeiter, Spezialarbeiter der Kriegsindustrie, Evakuierte). Der Antifa-Ausschuss von Nordhausen schätzte am 17. Juni 1945, dass über 10.000 Menschen bei den Bombenangriffen ums Leben gekommen seien.<ref> Peter Kuhlbrodt: ''Schicksalsjahr 1945. Inferno Nordhausen''. Nordhausen 1995. S. 115 </ref><br />
<br />
In den ersten Tagennach dem Einmarsch der Amerikaner ließ der US-Stadtkommandant in den Straßen liegende Leichen auf den Sonderfriedhof am Schlageter-(heute Stresemann-)Ring bringen. Andere wurden an Ort und Stelle in Bombentrichtern beerdigt. Eine beträchtliche Zahl ziviler Opfer und deutscher Soldaten wurde dann in dem höher gelegenen Teil des heutigen Ehrenfriedhofs in Massengräbern beigesetzt, unweit der getöteten Häftlinge aus der Boelcke-Kaserne. Für die später gefundenen Opfer ohne Anhang wurden Massengräber im vorderen Teil des Alten Hauptfriedhofs in der Leimbacher Straße angelegt. Heute steht an dieser Stelle ein Wohnblock. Auf dem Neuen Hauptfriedhof am Ring sind in den ersten Wochen und Monaten 920 Bombenopfer beerdigt worden.<br />
<br />
{| class="wikitable"<br />
|-<br />
| Verluste der ständigen Bevölkerung || 6.000<br />
|-<br />
| Verluste der nicht ständigen Bevölkerung || 1.500<br />
|-<br />
| Verluste der Häftlinge der Boelcke-Kaserne || 1.300<br />
|-<br />
| zusammen || 8.800<br />
|-<br />
|} <br />
<br />
==== Persönlichkeiten ====<br />
* [[Paul Urban]] (geb. 1892), KPD-Stadtrat<br />
<br />
=== Schäden und Totalverluste ===<br />
<br />
Der Zerstörungsgrad der Stadt wurde mit 74 Prozent errechnet. Die Gesamtfläche des zerstörten Gebietes betrug 810.000 Quadratmeter.<br />
Monate später, als die Opfer beigesetzt sind und die Überlebenden notdürftige Behausungen errichtet haben, ist diese Bilanz des Grauens zu ziehen: von 4.588 Gebäuden in der Stadt Nordhausen bleiben nur 971 unbeschädigt, von 13.075 Wohnungen sind 6.187 völlig und 4.575 teilweise zerstört. Das Stadtzentrum ist ausgelöscht. Von einmal 377 Einzelhandelsgeschäften sind kaum hundert übrig. Sieben Schulen und drei Kinos wurden zerstört, 411 der vordem 685 Handwerksbetriebe sind total- oder teilzerstört, ebenso die Mehrzahl der 109 großen Betriebe der Nahrungs- und Genußmittelindustrie (Nordhäuser Korn und Kautabak).<br />
<br />
==== Kirchen ====<br />
<br />
[[Datei:Petri-Kirche Außenansicht.JPG|thumb|[[St.-Petri-Kirche]]]]<br />
*[[St.-Jakobi-Kirche]]: Am 3. April erheblich durch Bomben zerstört. Reste des Schiffes abgetragen, Turmruine zu DDR-Zeiten beseitigt.<br />
*[[Marktkirche]]: Am 3. April weitgehend zerstört. Ruinenreste abgetragen.<br />
*[[St.-Petri-Kirche]]: Am 3. April bis auf Turm und Chor zerstört, zahlreiche Menschen finden in der Kirche den Tod. Der Turm erhielt 1954 ein Notdach, die übrigen Ruinenteile wurden beseitigt. 1987 wurde ein neuer Turmhelm gesetzt.<br />
* [[St.-Blasii-Kiche]]: Dach und Mauerwerk am 4. April durch Bombentreffer erheblich beschädigt [[Cranachgemälde]] im Auslagerungskeller verbrannt. Bis 1949 Wiederherstellung des Daches, Ausbesserung Mauerwerk, Erneuerung des Inneren.<br />
*[[Nordhäuser Dom]]: Am 4. April schwere Schäden durch Brandzerstörung des Steildaches über der Halle und Vernichtung der Fenster. Noch 1945 Fertigstellung Notdach und Beseitigung der Folgeschäden. 1965 Wiederherstellung des Steildaches in ursprünglicher Form.<br />
*[[Frauenbergkirche]]: Am 4. April durch Bomben schwer zerstört. Erhalten blieben Umfassungsmauern der Chor mit Apside, die Nebenchöre und das Querschiff, vom Langhaus nur Reste des ersten Joches sowie des Westportals. Von 1953 bis 1955 folgten Enttrümmerung und Sicherungsarbeiten.<br />
*[[Frauenbergkloster]]: Am 4. April durch Bombentreffer total zerstört. Gebäudereste wurden nach 1945 entfernt.<br />
<br />
==== Öffentliche Bauten ====<br />
*[[Rathaus]]: Am 4. April bis auf die Umfassungsmauern zerstört, Turm ausgebrannt. Ab 1951 Trümmer entfernt und Wiederaufbau bis 1952, dabei wurden die Erdgeschoßarkaden und das Innere neu gestaltet. Zum ebenfalls schwer zerstörten [[Stadthaus]] wurde der Verbindungsgang wiederaufgebaut, der [[Roland]] restauriert.<br />
*[[Stadtmauer]]: Es entstanden Schäden an der Stadtmauer, wobei besonders die teilweise genutzten Türme und Wiechhäuser betroffen wurden. Nach dem Krieg wurden Ruinen abgetragen und Sicherungsarbeiten durchgeführt. Zur Landesgartenschau 2004 erfolgten umfangreiche Sanierungsarbeiten, besonders um den [[Petersberg]]. <br />
*[[Theatergebäude]]:<br />
<br />
==== Fachwerkbauten ====<br />
[[Datei:Nordhäuser Roland 1945.jpg|thumb|Das ausgebrannte Rathaus mit dem [[Nordhäuser Roland|Roland]], der die Angriffe wie durch ein Wunder überstand]]<br />
[[Datei:Riesenhaus, Riese, Postkarte.jpg|thumb|Postkarte vom [[Riesenhaus]] am Holzmarkt (Lutherplatz) mit dem [[Nordhäuser Riese]]n.]]<br />
Bedeutende Fachwerkhäuser, die zerstört wurden (lt. dem Denkmalpfleger Rudolf<br />
Zießler):<br />
<br />
*[[Bäckerstraße]] 22: Mitte des 18. Jahrhunderts errichteter dreigeschossiger, neunachsiger, verputzter Fachwerkbau mit massivem Erdgeschoß, Satteldach und Zwerhaus. Stichbogenfenster mit einfacher profilierter Rahmung in Dreiergruppen. Betonung der Mittelachse durch ein von Pilastern flankiertes Portal mit gesprengtem Giebel, darauf ruhende Frauen und Wappen sowie durch einen auf Konsolen sitzenden Balkon mit schmiedeeisernem Gitter.<br />
*[[Blasiistraße]] 15: Alte Schule. Errichtet um 1700 als dreigeschossiger stattlicher Fachwerkbau mit hohem Satteldach. Unregelmäßige Fenstergruppierung (im ersten Obergeschoß dreizehn Achsen). Fachwerk mit halben Männern. Obergeschoß vorkragend mit Balkenköpfen und gekehlten Füllhölzern.<br />
*Blasiistraße 21: Bedeutendstes Renaissance-Fachwerkhaus Nordhausens von etwa 1550. Dreigeschossig mit zehn Fensterachsen in unregelmäßiger Gruppierung, Geschosse stark vorkragend. Reich ausgebildetes Schmuckfachwerk mit Balkonköpfen, Knaggen, Füllhölzern und Schiffskehlen. Haupteingang mit kräftigen Gewämdepfosten und halben Sonnen um 1700.<br />
*[[Hagenstraße]] 4: Um 1800 errichtet als zweigeschossiger, verschieferter Fachwerkbau mit zehn Fensterachsen. Eckpilaster, ebensolche toskanische Holzpilaster flankieren die vier Mittelachsen und nehmen einen verschieferten Dreieckgiebel auf. Stichbogenfenster mit einfacher Rahmung und Schlußsteinbetonung.<br />
*Hagenstraße: Ilfelder Hof, ehem. Klosterhof, seit dem ersten Viertel des 18. Jahrhunderts Kurhannoversche Postverwaltung, seit 1853 in Privatbesitz. 1277 angelegt, später erweitert, im 17. Jahrhundert Neubau auf erweitertem Grundriss mit massivem Erdgeschoß und zwei Fachwerkobergeschossen, verschiefert.<br />
*[[Holzmarkt]] (Lutherplatz): „Riesenhaus“. 1375 erstmals erwähntes Patrizierhaus mit massivem Erdgeschoss, zwei Fachwerkobergeschossen und Satteldach. Nach Brand von 1710 im Fachwerk erneuert. Fassade gegliedert durch zwölf Fensterachsen, jeweils in Dreiergruppen angeordnet. Fachwerkkonstruktion mit Wilden Männern. Mittelgiebel mit einem Mann in Ritterrüstung ([[Nordhäuser Riese]]), der eine Lanze hält. 1805 Einrichtung einer Gaststätte, Verputz des Fachwerks und klassizistische Fassadengestaltung. 1927 Endrestaurierung und Wiederherstellung des Fachwerks.<br />
*Jakobikirchplatz 4: Lateinschule. Zweigeschossiger Fachwerkbau von 1493 mit Satteldach. Ständer- und Riegelbau. Vorkragendes Obergeschoß über geschwungene Knaggen. Durchlaufender Fensterbrustriegel.<br />
*Jakobikirchplatz: Pfarrhaus. 1687 errichteter zweigeschossiger Fachwerkbau mit Krüppelwalmdach. Fenstergruppierung unregelmäßig. Stiele und Brustriegel durch Wilde Männer verstärkt. Geringe Auskragung, Balkonköpfe und Schwelle mit einfacheren Profilen. Gefache mit Ziegeln in Mustern ausgemauert. Oberdeutsch beeinflusstes Fachwerk.<br />
*[[Königshof]] 14: Dreigeschossiger Fachwerkbau mit oberdeutschen Stilelementen, ganze und halbe Männer. Um 1780 Verkleidung der Fenster mit Rokokogirlanden.<br />
*[[Krämerstraße]] 11: Verschieferter, zweigeschossiger, fünfachsiger Fachwerkbau mit spätbarockem Volutengiebel. Stichbogenfenster mit Rahmenverkleidung. Erdgeschoss durch Ladeneinbauten verändert.<br />
*Krämerstraße 15: Um 1700 errichteter schmaler dreigeschossiger Fachwerkbau in oberdeutschem Stil mit halben Männern an den Ecken. Balkonköpfe und Füllhölzer mit einheitlichem Profil. Satteldach mit Zwerchhaus.<br />
*[[Lohmarkt]] 2, 4, 20, 21: Nach 1686 errichtete Gerberhäuser. Zwei- bzw. dreigeschossige Fachwerkgebäude im gleichen oberdeutschen Baustil wie Pfarrhaus Jakobikirchplatz. Besonders reich ausgebildet der Türstock mit Renaissanceformen und Inschrift. Satteldächer mit Zwerchhäsern (Ladeluken).<br />
*[[Neustadtstraße]] 27: Zweigeschossiger, elfachsiger Fachwerkbau aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts mit Satteldach. An den Fenstern Rokokoverkleidung.<br />
*Neustadtstraße 35: Zweigeschossiger, achtachsiger Fachwerkbau aus der Mitte des 18. Jahrhunderts auf Sandsteinsockel. Türen und Fenster in Stichbogen mit geschnitzter Rokokoverkleidung.<br />
*Neustadtstraße 47: Dreigeschossiger Fachwerkbau der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts mit Krüppelwalmdach. Rokokofensterbekleidungen handwerklich vereinfacht.<br />
*[[Pferdemarkt]] 17: Dreigeschossiger Fachwerkbau von etwa 1550, niederdeutsch beeinflusst. Auskragung des Obergeschosses mit Balkonköpfen, Knaggen und Füllhölzern. Erdgeschoß baulich verändert.<br />
*[[Sandstraße]] 3, 21, 23, 28: Diese Häuser hinsichtlich der Entstehungszeit und der architektonischen Ausbildung denen der Neustadtstraße entsprechend.<br />
<br />
==== Situation nach dem Großangriff ====<br />
[[Datei:Boelcke-Kaserne-Tote HäftlingeA.jpg|thumb|Einwohner Nordhausens tragen am 12. April 1945 unter Bewachung von Angehörigen der US-Armee tote Häftlinge aus der Boelcke-Kaserne und legen sie davor ab]]<br />
[[File:Nordhausen um 1930.jpeg|thumb|Der Stadtteil [[Altendorf]] blieb weitgehend unzerstört (Luftaufnahme um 1930)]]<br />
Das britische Bomber Command berichtete als Ergebnis der beiden Großangriffe, dass „die Stadt fast vollständig zerstört wurde, inbegriffen die Kasernenblöcke.“<ref> Walter Geiger: ''Nordhausen im Bombervisier''. Nordhausen: Neukirchner, 2000. S. 154 </ref> <br />
Die Situation für die Bevölkerung nach den Angriffen kann nur mit dem Begriff „Inferno“ beschrieben werden. Das Stadtzentrum konnte tagelang nicht betreten werden. Es wüteten noch zahlreiche Brände<ref> Peter Kulhlbrodt: ''Schicksalsjahr 1945. Inferno Nordhausen''. Nordhausen 1995. S. 24</ref>, die Schutthaufen strahlten unerträgliche Hitze aus. Bomben mit Zeitzündern gingen hoch. Über den Trümmerfeldern lag bald Leichengeruch, besonders im Bereich der Boelcke-Kaserne. In den Nächten des 6. und 7. April wurden die Kranken und Verwundeten aus Nordhausen und Umgebung durch alle verfügbaren Fahrzeuge, besonders mit Pferde-Gespannen, in den Kohnstein in Sicherheit gebracht. Die Nordhäuser Bevölkerung verteilte sich nach Schätzungen am 7. April wie folgt: 6.000 (8.800) Opfer tot unter den Trümmern, 6.000 Überlebende noch in der Stadt, 10.000 im Kohnstein und 20.000 in den umliegenden Dörfern, besonders nordöstlich der Stadt.<ref> Manfred Schröter: ''Die Zerstörung Nordhausens''. Nordhausen: Meyenburg-Museum, 1988. S. 30 </ref> Am 8. April flogen 6 Jagdbomber noch einen Tagesangriff nach Zielmarkierung auf Nordhausen, parallel zu dem Bombardement auf [[Sondershausen]]. Am 10. April näherten sich US-Panzer aus Richtung [[Hain (Kleinfurra)|Hain]] dem Süden der Stadt und nahmen ihn unter Feuer, darunter die Trümmer der Boelcke-Kaserne.<ref> Manfred Schröter: ''Die Zerstörung Nordhausens''. Nordhausen: Meyenburg-Museum, 1988. S. 37 </ref><br />
Die britischen Bomber-Staffeln stießen bei den Angriffen an beiden Tagen auf keinerlei deutsche Luftabwehr. »Null« lauten jeweils die Eintragungen in den Rubriken »Flak« und »Einsatz von Jagdflugzeugen«. Am 8. April nahmen alliierte Flugzeuge »Aufnahmen von exzellenter Qualität« vom zerstörten Nordhausen auf. In dem angefügten Bericht heißt es: »Das Herz von Nordhausen wurde durch die beiden Angriffe verwüstet, und zwar von den nordwestlichen Außenbezirken über das Stadtzentrum bis hin zum Flugplatz und den Kasernen der Luftwaffe am Helme-Fluss im Südosten. Im militärischen Bereich wurden nahezu alle Gebäude schwer getroffen und völlig oder teilweise zerstört. Schwerer Schaden entstand am Flugkontrollturm, dem Wachraum und einem großen Hangar am Nordrand des Flugfeldes. Nahe der Bahnanlagen wurden Industriebetriebe und das Gaswerk getroffen, wobei drei Gasometer zerstört wurden.«<ref>''Bad Lauterberger Tageblatt'', 3./4.April 1985</ref><br />
<br />
== Nachwirkungen ==<br />
Insgesamt waren vom britischen Bomber Command 2.386 Tonnen und von der 8. US Air Force 296 Tonnen Bombenlast auf Nordhausen abgeworfen worden.<ref> Olaf Groehler: ''Bombenkrieg gegen Deutschland''. Berlin: Akademie-Verlag, 1990. S. 449 </ref><br />
Eine der am längsten nachwirkenden Folgen der Luftangriffe für die Bürger der Stadt blieben Hunderte von Blindgängern aller Kaliber: zwischen den Trümmern der Stadt und im Erdreich der Straßen, Gärten und Felder. In den ersten Jahren machten sich die Feuerwerker Jochen Nebel und Albin Diebler sehr verdient um die Entschärfung gefundener Bomben, ab 1962 der - deshalb zum Ehrenbürger ernannte - Helmut Zinke. Im Stadtgebiet wurden 1948 bis 1953 etwa 100 Bomben entschärft, dann 248 Blindgänger von 1954 bis 1999 entzündet und geräumt.<ref>Walter Geiger: ''Nordhausen im Bombervisier''. Nordhausen, 2000. S. 263-264 </ref> <br />
<br />
Noch 2014 gilt eine Verordnung in Nordhausen, nach der jeder Bürger, der bauen will, sicherstellen muss, dass unter seinem Grund und Boden kein Gefahrgut liegt.<ref>Katja Dörn: ''Die Gefahr rostet im Thüringer Boden''. Thüringische Landeszeitung, 12. Dezember 2014 </ref><br />
<br />
Auswahl weiterer Funde von Blindgängern:<br />
* 1996: 250-Kilogramm-Blindgänger wird gesprengt<br />
* 2008: 227-Kilogramm-Bombe in der Altstadt<br />
* 2010: Fünf-Zentner-Bombe am [[Taschenberg]] entdeckt, 4.500 Menschen wurden evakuiert, Bombe konnte nicht entschärft werden<br />
* Juni 2016: Kontrollierte Sprengung einer 800-Kilogramm-Bombe, Leimbach und Steigerthal mussten geräumt werden (1.080 Einwohner) <br />
* Dezember 2016: Fünf-Zentner-Bombe am [[Strohmühlenweg]], ca. 1000 Einwohner, so auch die Hochschule Nordhausen, wurden evakuiert<br />
* September 2017: Bombe auf einem Feld in der [[Windlücke]], ca. 3000 Einwohner evakuiert, Bombe entschärft<ref>https://www.nnz-online.de/news/news_lang.php?ArtNr=219719</ref><br />
* Oktober 2018: Bombe in der Windlücke, ca. 3000 Einwohner evakuiert, Bombe entschärft<ref>https://www.nnz-online.de/news/news_lang.php?ArtNr=243515</ref><br />
* November 2018: Bombe in Bielen, 1.1000 Einwohner wurden evakuiert (Sperrzone 1 Kilometer), Bombe entschärft<br />
* August 2019: 225-Kilogramm-Bombe an der [[Zorge]], 2.500 Einwohner wurden evakuiert (Sperrzone 500 Meter), Bombe entschärft und Zünder gesprengt<br />
* November 2019: 225-Kilogramm-Bombe am [[Stadttheater]], ca. 15.000 Einwohner wurden evakuiert (Sperrzone 1 Kilometer), Bombe entschärft und Säurezünder gesprengt. Es war die größte Evakuierungsaktion in Nordhausen nach dem Zweiten Weltkrieg.<ref>MDR, 8. November 2019</ref><br />
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== Rezeption ==<br />
[[Datei:Nordhausen mahnt 1949.jpg|thumb|200px|Werbeplakat zur Ausstellung „[[Nordhausen mahnt - Ausstellung vom 6. bis 27. März 1949|Nordhausen mahnt]]“ im März 1949]]<br />
Luftangriffe waren im Zweiten Weltkrieg für alle Kriegsparteien zum entschiedenen strategischen Kriegskonzept geworden. Die Westalliierten glaubten durch die planmäßige und massive Zerstörung deutscher Städte, vor allem der Wohngebiete der Industriearbeiter, die Moral und den Widerstandswillen der Bevölkerung zu brechen und den Krieg schneller beenden zu können.<ref>Johannes Volker Wagner: ''Bomben auf Bochum''. S. 3.</ref> Im Januar 1943 einigten sich Großbritannien und die Vereinigten Staaten in Casablanca auf die Forderung nach bedingungsloser Kapitulation des Deutschen Reiches und auf eine weitere Verschärfung des Bombenkrieges. Zu dieser Zeit war die deutsche Luftabwehr längst nicht mehr in der Lage, das Reichsgebiet zu verteidigen. Die Alliierten erreichten ihr Ziel der Demoralisierung jedoch nicht, und viele Deutsche klammerten sich in Verzweiflung an die Hoffnung auf einen „Endsieg“.<br />
<br />
<!-- Auszug aus „Winston Churchill“. Der späte Held, eine Biographie von Thomas Kielinger, erschienen im Verlag C.H. Beck, Kapitel XY, Seite 301 ff.: Nach dem Kriege stand eine andere Verantwortung Churchills im Vordergrund – „für die Vernichtung von nahezu 60 der größten Städte Deutschlands“. „Mit dem Untergang Dresdens sind auch nachdenkliche Briten bis heute nicht fertig. Die Zweifel, ob die Zerstörung dieser und anderer Städte so kurz vor dem nahen Kriegsende zu rechtfertigen war, haben sich längst zu dem Urteil verdichtet: Sie war es nicht! ... Hilft es zur Erklärung darauf hinzuweisen, dass in der Schlussphase des Krieges deutsche V1- und V2-Waffen weiterhin Zerstörung auf Antwerpen, Paris und London regnen ließen? Eine V2 schlug noch am 27. März 1945 im Osten Londons ein und tötete 134 Menschen. Die britische öffentliche Meinung hätte es nicht verstanden, wenn die mili-tärische Führung auf Schonung des Gegners geschaltet hätte, wo dieser bis zum Ende Vernichtung spie.“<br />
<br />
„Aber die alte Frage bleibt, die Lothar Kettenacker 2003 in dem Sammelband „Ein Volk von Opfern?“ noch einmal stellte – „ob der Zweck die Mittel heiligt, ob die Beseitigung einer unheilvollen Diktatur die rücksichtslose Bombardierung der Bevölkerung rechtfertigt. Unbehagen äußerte Churchill selbst schon 1943, als ihm Bilder von den Auswirkungen der Bomben in Deutschland vorgelegt wurden ...“ Der Australier Ricard Casey, der an den Sitzungen des britischen Kriegsrates ... teilnahm, schrieb am 27. Juni 1943 in sein Tagebuch: „Es wird ein Film gezeigt über das nächtliche Bombardement einer deutschen Stadt, und plötzlich richtet sich Churchill steil in seinem Sessel auf und sagt zur mir: ‚Sind wir Bestien? Gehen wir nicht zu weit? <br />
<br />
Churchills Meinungen zum Bombenkrieg gegen Deutschland schwankten. Nach der Zerstörung Dresdens begegnet man bei ihm, spät, einer eindeutigen Ablehnung, so in dem berühmten Memorandum vom 28. März 1945:‚Der Moment scheint mir gekommen, wo die Frage der Bombardierung deutscher Städte zum Zwecke der Erhöhung des ''''terrors'''' (in Englisch mit der Bedeutung von Angst und Schrecken) auch wenn wir andere Vorwände nennen, überprüft werden sollte... Es ist nötig, dass wir uns mehr auf militärische Ziele konzentrieren wie Öllager und Kommunikationszentren hinter der unmittelbaren Kampfzone, statt auf Akte des reinen terrors und der mutwilligen Zerstörung’.“<br />
„Nicht umsonst nannte man Harris auch den ‚butcher’, den Metzger. . . Schon Max Hastings (stockkonservativer Historiker) nannte in seinem Klassiker von 1979 ‚Bomber Command’ die Auslöschung deutscher Städte noch im Frühjahr 1945 ‚einen bleibenden Schandfleck’,“ soweit Kielinger. Nach Kriegsende zog sich Harris verbittert nach Südafrika zurück, weil er sich nicht gebührend geehrt vorkam. Luftangriffe hatte Harris als „relativ humane Methode“ bezeichnet. Butcher wurde er nicht wegen der zivilen Bombenopfer in Deutschland genannt, sondern weil 55 000 Angehörige des Bomber Command vom Feindflug nicht heimkehrten – jeder zweite Pilot und Bordschütze. --><br />
<br />
Im März 1945 hatte sich das Angriffstempo der US-Streitmacht im Vergleich zu den Vormonaten verlangsamt.<ref name="Gewiger158">Geiger: ''Nordhausen im Bombenvisier''. S. 158 f.</ref> Um dennoch den Stoß in das Zentrum Deutschlands als strategisches Ziel zügig fortzuführen, waren die Westalliierten zum Einsatz aller Mittel entschlossen, auch in Anbetracht eventuell noch bevorstehender Kämpfe und Widerstand im Südharz. Die Stadt Nordhausen erhielt daher militärische Bedeutsamkeit für die 1. US-Armee, auch wegen des Verschiebebahnhofs für Truppenbewegungen. Der unterirdische Rüstungsbetrieb im [[Kohnstein]] und das [[Konzentrationslager Dora Mittelbau]] wurden dagegen nie zum Ziel von Luftangriffen. <br />
<br />
Nordhausen und Umgebung wurden Ende 1944 von britischen Fernaufklärern nachts unter tagheller Beleuchtung durch Magnesiumbomben sorgfältig aus der Luft fotografiert.<ref>Manfred Schröter: ''Die Zerstörung Nordhausens''. Nordhausen 1988, S. 55</ref> Die Bombardierung von Nordhausen wurde am 2. April 1945 vom Alliierten Oberkommando (SHAEF) befohlen.<ref name="Gewiger158"/> Gefordert wurde ein Angriff zur Unterstützung der 1. US-Armee mit Priorität zur frühestmöglichen Gelegenheit. Einige Tage zuvor wurde vom SHAEF die Zerstörung durch die RAF beschlossen.<ref>Manfred Schröter: ''Die Zerstörung Nordhausens''. Meyenburg-Museum Nordhausen, 1988, S. 54–55</ref><br />
<br />
Dieses, geführt von Luftmarschall Arthur Harris, erteilte am 2. April den unmittelbaren Befehl für einen Doppelschlag an zwei Tagen.<ref>Walter Geiger: ''Nordhausen im Bombervisier''. Nordhausen 2000, S. 108–109</ref> Der Zweck der RAF-Angriffe im April 1945 bestand darin, den Weg für einen ungehinderten Vormarsch von der im Südharzer Raum erwarteten Gegenwehr freizumachen. 3.466 britische Soldaten sollten als fliegendes Personal an den Angriffen teilnehmen. Ihnen wurde als Ziel des Angriffs erklärt: „To kill military and Nazi personnel evacuated from Berlin to these barracks“ (gemeint das Areal der Boelcke-Kaserne und die Stadt Nordhausen).<ref>Geiger: ''Nordhausen im Bombenvisier''. S. 121 </ref><br />
<br />
<!-- Bitte Quelle angeben!(Wie aus dem Text eindeutig hervorgeht: Der genannte Journalist und Gesprächspartner Dr. Meyers!) Der gebürtige Nordhäuser [[Manfred Neuber]], als Journalist von 1960 bis 1963 in London und New York, recherchierte als erster bei der Royal Air Force und der US Air Force über die Luftangriffe auf Nordhausen. Aus den detaillierten Angaben ging hervor, dass allein Bomber der Royal Air Force Nordhausen angegriffen hatten. Die SED-Propaganda hatte behauptet, es habe sich um „amerikanische Terrorangriffe“ gehandelt. So stand es auch Jahre auf der Gedenkstele für die Opfer der Luftangriffe neben dem Alten Rathaus. Neuber hatte Gelegenheit, im Jahre 1964 in Bad Lauterberg mit Dr. [[Herbert Meyer]], Oberbürgermeister Nordhausens vor Kriegsende 1945, über die Bombenangriffe zu sprechen. Dabei widerlegte Meyer noch Jahre nach dem Kriege kursierende Gerüchte, die Luftangriffe hätten eigentlich der Stadt Gotha gelten sollen. Weil die Verantwortlichen dort kapituliert hätten, sei Nordhausen angegriffen worden, weil es nicht ebenso gehandelt habe. Meyer versicherte, es habe keine Aufforderung zur Übergabe der Stadt gegeben. Zum Zeitpunkt der Luftangriffe standen die US-Panzerspitzen noch im Raume Kassel. --><br />
<br />
=== Vermutungen und Gerüchte über den Großangriff ===<br />
<br />
* Nordhausen soll Aufforderung zur kampflosen Übergabe ausgeschlagen haben.<br />
** Der Nordhäuser Oberbürgermeister bei Kriegsende, [[Herbert Meyer]], widersprach dieser Darstellung in einem Gespräch mit dem Journalisten Manfred Neuber um 1964 in Bad Lauterberg: „An die Stadtverwaltung ist niemals bis zu den Angriffen eine Aufforderung der Amerikaner ergangen, Nordhausen zur offenen Stadt zu erklären. Ich möchte bezweifeln, dass sie an Kreisleiter Nentwig ergangen ist.“<ref name="Sting252">Heinz Sting: ''Das 1000-jährige Nordhausen und der schöne Südharz''. Hannover: Nordhäuser Heimatfreunde, 1965. S. 252.</ref> In den ersten April-Tagen 1945 standen die Panzerspitzen von US-General Patton noch vor Kassel, seine Truppen nahmen zu der Zeit gerade Fulda und Bad Hersfeld, Wasungen und Meiningen ein.<br />
* Nordhausen wurde durch die US-Luftwaffe zerstört.<br />
** Es ist unbestritten und belegt, dass britische Bomber die Stadt zerstörten. „Die Einsatzbefehle der 8. US-Luftflotte sahen weder am 3. noch am 4. April 1945 Nordhausen als Ziel vor. Die Operationsberichte der 8. Luftflotte geben auch keinen Großangriff auf Nordhausen an einem dieser beiden Tage an. Der Hauptzielplan für die amerikanischen Heeresflieger in Europa während des Zweiten Weltkrieges führt ebenfalls keinen Angriff auf Nordhausen im April 1945 auf“, teilte das amerikanische Aerospace Studies Institute auf Anfrage des Journalisten Manfred Neuber zu Beginn der 1960er Jahre schriftlich mit. „Aus anderen Quellen ist zu entnehmen“, gab der Leiter für geschichtliche Studien an diesem Institut der US Air Force University auf der Maxwell Air Base in Montgomery/Alabama, bei den Recherchen des Journalisten zu Protokoll, „dass am 3.und 4 .April 1945 vom Bomber Command der Royal Air Force schwere Angriffe auf Nordhausen geflogen wurden.“ Diese Angaben wurden von der Air Historical Branch im britischen Verteidigungsministerium (damals noch Ministry of War) dem Rechercheur bestätigt. Alle hier aufgeführten Originaldokumente wurden dem Stadtarchiv Nordhausen übergeben.<br />
<br />
* Nordhausen wurde anstelle Gothas bombardiert.<br />
** Diese Behauptung wurde u. a. von [[Kurt Kohlmann]] aufgestellt. So berichtete er von zwei US-Offizieren, die entsprechende Aussagen getätigt haben sollen: „Sie erzählten mir, der Kreisleiter von Nordhausen sei dreimal aufgefordert worden zu kapitulieren. Nachdem die Faschisten das dritte Mal abgelehnt hätten, sei ein auf Gotha angesetzter US-amerikanischer Bomberverband nach Nordhausen umgeleitet worden.“<ref name="Rudloff138">Jost-Dieter Rudloff: ''Warum wurde Nordhausen eine Woche vor Kriegsende 1945 in Brand gesetzt? Informationen und Überlegungen''. In: ''Beiträge zur Geschichte aus Stadt und Kreis Nordhausen (Band 44/2019)'', S. 138.</ref> Dies wurde ebenfalls von Herbert Meyer als unglaubwürdig zurückgewiesen.<ref name="Sting252"/><br />
<br />
* Nordhausen wurde wegen der Raketen-Produktion im Kohnstein bombardiert.<br />
** Den Alliierten war bekannt, dass sich im Kohnstein ein Rüstungsbetrieb befand, nicht jedoch, dass dort die V-Waffen gefertigt wurden.<ref>Jürgen Möller: ''Konzentrationslager Mittelbau-Dora''. Bad Langelsalza 2018, S. 33.</ref> Der Kohnstein war wegen der Kriegsgefangenenlager kein Angriffsziel.<ref name="Rudloff138"/><br />
<br />
* Die Nordhäuser Bevölkerung sollte wegen dem Konzentrationslager Dora-Mittelbau bestraft werden.<br />
** Dies wird durch kein Dokument der Alliierten bestätigt.<br />
<br />
* Nordhausen wurde aus militärischen Gründen bombardiert.<br />
** Die Stadt war verkehrstechnischer Knotenpunkt und Mittelpunkt der Nordthüringer Rüstungsindustrie und wurde auch von der deutschen Armeeführung als wichtig wahrgenommen.<ref name="Rudloff140">Jost-Dieter Rudloff: ''Warum wurde Nordhausen eine Woche vor Kriegsende 1945 in Brand gesetzt? Informationen und Überlegungen''. In: ''Beiträge zur Geschichte aus Stadt und Kreis Nordhausen (Band 44/2019)'', S. 140.</ref> Für das US-Militär bildete die Stadt kein strategisches Ziel mehr.<ref name="Rudloff140"/> Die Stadt Nordhausen erhielt militärische Bedeutsamkeit für die Bodentruppen der 1. US-Armee, auch wegen des Verschiebebahnhofs für Truppenbewegungen. Die Schonung der Rüstungsbetriebe mit ihrem Personal ergab sich aus der Hoffnung, möglichst viele Waffen und Fachkräfte zu erbeuten.<ref name="Rudloff140"/> Es gibt keinen Hinweis darauf, dass Nordhausen aus militärischen Gründen bombardiert wurde.<ref name="Rudloff140"/> (Doch: im SHAEF-Befehl ausdrücklich erwähnt)<br />
<br />
== Aufarbeitung und Gedenken ==<br />
=== 1945 bis 1990 ===<br />
==== DDR ====<br />
Bis zur Wiedervereinigung hielt sich die Behauptung, die United States Air Force habe Nordhausen am 3. und 4. April 1945 bombardiert. Zum einen wurde der US-Luftwaffe vorgehalten, dass die Angriffe auf Nordhausen ein Akt blinder Zerstörung und militärisch sinnlos gewesen seien, da das Ende des Dritten Reiches absehbar war. Andererseits wurde mit der „Gotha-Legende“ behauptet, dass Nordhausen bis zum Letzten verteidigt werden sollte und es deshalb zum Luftangriff kam. Damit wurde die Verantwortlichkeit für das Bombardement wahlweise den lokalen NS-Amtsträgern oder den USA zugeschrieben. <br />
<br />
Ein Interesse an einer realistischen Rekonstruktion hatte die SED auch aufgrund der Situation des Kalten Krieges nicht.<br />
Zum 40. Jahrestag der Luftangriffe wurde in der Lokalpresse erstmals von „250 britischen Lancaster-Maschinen“ berichtet.<ref>„Die Zerstörung Nordhausens - Mahnung und Verpflichtung“, ''Das Volk'', 2. April 1985.</ref> Eine Korrektur der Geschichte fand jedoch nicht statt, und auch danach war mitunter vom „Zerstörungsangriff amerikanischer Bomber“ die Rede.<ref>''Unser Aktuelles Argument'', April 1985.</ref> Für die in der DDR-Propaganda kolportierte öffentliche Erinnerung erklärt sich aus dem politischen Bedürfnis, die „imperialistischen“ Angreifer als möglichst grausam und skrupellos erscheinen zu lassen, im Sinne antiamerikanischer Propaganda.<ref name="Winter63">Winter: ''Öffentliche Erinnerungen an den Luftkrieg in Nordhausen 1945 - 2005''. Marburg: Tectum-Verl., 2010. S. 63.</ref> <br />
Mit Verweis auf die Luftangriffe auf Nordhausen wurde auf tatsächliche oder vermeintliche aktuelle militärische Bedrohungen oder Konflikte Bezug genommen, z. B. auf den Vietnamkrieg. <br />
<br />
Insgesamt war die Nordhäuser Luftkriegserinnerung gekennzeichnet von einer eigentümlichen „Verwischung der Grenze zwischen Faktizität und Fiktionalität“, die nach dem Historiker Martin Sabrow typisch für das Geschichtsdenken in der DDR war.<ref>Martin Sabrow: ''Einleitung - Geschichtsdiskurs und Doktringesellschaft'', Potsdam: Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam (ZZF), 2000. S. 24.</ref><br />
<br />
Der Versuch einer wirklichen Aufarbeitung in der DDR wurde erstmals 1985 angestoßen, als [[Manfred Schröter]] anlässlich des 40. Jahrestages eine Publikation veröffentlichen wollte. Darin wurde dargelegt, dass die RAF und nicht die USAF für den Angriff im April 1945 verantwortlich gewesen war. Nachdem Schröters Buch nach Begutachtung und Korrektur durch den Historiker Olaf Groehler sowie der SED-Kreisleitung und Bezirksleitung in Druck gegangen war, konfiszierte die Kreisleitung am 29. März 1985 die gesamte Auflage und verhinderte eine Veröffentlichung.<ref name="Winter62">Winter: ''Öffentliche Erinnerungen an den Luftkrieg in Nordhausen 1945 - 2005''. Marburg: Tectum-Verl., 2010. S. 62.</ref> Vorausgegangen war ein öffentlicher Vortrag Schröters am 14. März 1985, in dem er seine Ergebnisse (im Beisein von Stasi-Spitzeln) vorstellte.<br />
<br />
Das Gedenken an die Luftangriffe wurde zu DDR-Zeiten auch stark mit dem Wieder- bzw. Neuaufbau der Stadt verwoben. In den ersten Jahren nach dem Krieg wurde vor allem zur Mithilfe agitiert, um durch das „Aufbauwerk“ einer „glücklichen, friedlichen und sonnigen Zukunft“ entgegenzutreten.<ref>„Aufbauerfolge dürfen nicht preisgegeben werden,“ ''Das Volk'', 7. April 1953.</ref> Ab Ende der 1950er Jahre verwies die SED auf die bisher erzielten Erfolge. Zum 40. Jahrestag der Bombardierung 1985 behauptete Oberbürgermeister [[Peter Heiter]], dass die Jahre des Sozialismus die erfolgreichsten in der über tausendjährigen Stadtgeschichte gewesen seien und verwies auf die Rolle der Partei als entscheidender Faktor für das Erreichte.<ref name="Winter81">Winter: ''Öffentliche Erinnerungen an den Luftkrieg in Nordhausen 1945 - 2005''. Marburg: Tectum-Verl., 2010. S. 100.</ref> <br />
Ein wichtiges Großereignis war die Instandsetzung des [[St.-Petri-Kirche|Petri-Turms]] mit einer neuen Turmspitze zum 42. Jahrestag 1987 als „wiedererstandendes Wahrzeichen“.<ref>„Kupferhelm für den Petriturm“, ''Das Volk'', 7. April 1987.</ref><br />
In der Festschrift (1050 Jahre Nordhausen", 1977 herausgegeben vom Magistrat, heißt es: "Für den ausgesprochenen Terrorcharakter der anglo-amerikanischen Luftangriffe spricht auch, dass die Hauptstraßen des Schienen- und Straßenverkehrs funktionstüchtig blieben und die militärischen Anlagen der Stadt, insbesondere das Flugplatzgelände, weiter den Machthabern des Dritten Reiches für ihre verbrecherische Politik zur Verfügung standen."<br />
Die Festschrift hebt hervor: "Das heutige Nordhausen entwickelt sich dank der schöpferischen und angestrengten Arbeit der Arbeiterklasse und aller Bürger unserer Stadt, auf festen sozialistischen Fundamenten. Ständig entsteht Neues, man braucht sich nur umzuschauen." Dagegen bemerkte das "Bad Lauterberger Tageblatt" (Ausgabe vom 3./4. April 1985, Seite 3): "Der Wiederaufbau Nordhausens begann erst sehr spät und sehr schleppend. Noch immer bildet der alte Stadtkern eine weithin kahle Fläche."<br />
<br />
==== BRD ====<br />
<br />
In der Bundesrepublik wurde das Gedenken von dem Verein [[Nordhäuser Heimatfreunde]] getragen. Die erste gedruckte Ausgabe der Vereinszeitung ''[[Nordhäuser Nachrichten]]'' widmete sich der Zerstörung Nordhausens, und auch in den folgenden Jahren bildete es ein wiederkehrendes Themenfeld mit zahlreichen Erlebnisberichten. Die Rolle des Vereinsvorsitzenden und früheren Nordhäuser NSDAP-Oberbürgermeisters [[Heinz Sting]] zum Gedenken wird kritisch gesehen.<ref name="Winter83">Winter: ''Öffentliche Erinnerungen an den Luftkrieg in Nordhausen 1945 - 2005''. Marburg: Tectum-Verl., 2010. S. 83 ff.</ref> So sei Sting zwar bemüht gewesen, klarzustellen, dass nicht die US-Luftwaffe die Stadt bombardierte, doch zeigte er sich auch bestrebt, die Rolle des Nationalsozialismus zu relativieren.<br />
<br />
Diese historischen Fakten hatte der Journalist [[Manfred Neuber]] schon vor 1965 in US- und britischen Archiven ermittelt und publiziert (''Bad Lauterberger Tageblatt'' um 1964 und am 3./4. April 1985 in „Das Drama von Nordhausen“, in der ''Herzberger Zeitung'' und im späteren ''HarzKurier'' in Herzberg, im ''Göttinger Tageblatt'' sowie Erwähnung in den ''Nordhäuser Nachrichten'').<br />
[[Herbert Meyer]], Oberbürgermeister Nordhausens in den letzten Kriegstagen und später Stadtdirektor in Bad Lauterberg, versicherte Manfred Neuber 1963 in einem Gespräch über dessen Recherchen in Großbritannien und in den USA, die Stadt Nordhausen habe keine Aufforderung der Alliierten erhalten, Nordhausen zur offenen Stadt zu erklären. Eine Entscheidung darüber hätte auch nicht in seiner Kompetenz gelegen: „Ob eine solche Aufforderung an den Kreisleiter Hans Nentwig ergangen ist und ob dieser sich geweigert hat, ihr nachzukommen, weiß ich nicht. Ich möchte es aber bezweifeln“, erklärte Meyer (Originalzitat in den Aufzeichnungen über das Treffen). Der NSDAP-Kreisleiter [[Hans Nentwig]] hatte das Bombardement in seiner Ausweich-Befehlsstelle unbeschadet überstanden. Er lebte in der Nachkriegszeit in Katlenburg. Von der marxistischen Geschichtsschreibung in der DDR wurde ihm wegen „seiner verbrecherischen Durchhalte-Politik“ eine Hauptschuld an der Zerstörung Nordhausens zugeschrieben.<br />
<br />
=== Seit 1990 ===<br />
<br />
Der 50. Jahrestag der Luftangriffe 1995 wurde mit einer Gedenkwoche unter der Losung „Nordhausen 1945: Erinnerung – Trauer – Mahnung“ weitaus größer begangen als die Jahre zuvor. 1993 hatte das Stadtarchiv angekündigt, diverse Maßnahmen einzuleiten, um ein würdiges Gedenken zu gewährleisten. Darunter zählte das Sammeln von Zeitzeugenberichten, realisierte Veranstaltungen und Projekte sowie die Planung einer Publikation zum Thema. Am 30. März 1995 wurde eine Metallplastik auf der oberen Plattform des Petri-Turms enthüllt und einen Tag später eine Ausstellung mit Fotos und Dokumenten eröffnet. Zudem erschien unter der Leitung des Stadtarchivars [[Peter Kuhlbrodt]] das Buch ''[[Schicksalsjahr 1945 – Inferno Nordhausen]]''. In den folgenden Tagen wurde ein ökumenischer Gedenkweg abgehalten, es gab Kranzniederlegungen am Gedenkstein auf dem Hauptfriedhof, dem Ehrenfriedhof und an der Boelcke-Kaserne. Begleitet wurde das Gedenken mit einer umfassenden Berichterstattung in der Presse, die auch überregional wirkte. <br />
<br />
Nach dem Jahr 1995 wurden die Jahrestage der Luftkriegserinnerung weitaus kleiner begangen.<ref name="Winter100"/> Ab Ende der 1990er Jahre erfolgte wieder eine allgemeine Repolitisierung der Luftkriegserinnerung.<ref name="Winter100">Winter: ''Öffentliche Erinnerungen an den Luftkrieg in Nordhausen 1945 - 2005''. Marburg: Tectum-Verl., 2010. S. 100.</ref> Es zeigte sich, dass sich die öffentliche Erinnerung mehr auf gegenwärtige Ereignisse als auf die Jahre des Zweiten Weltkrieges zu beziehen schien; so werden stärkere Bezüge zu außenpolitischen Themen<ref>Winter: ''Öffentliche Erinnerungen an den Luftkrieg in Nordhausen 1945 - 2005''. Marburg: Tectum-Verl., 2010. S. 101.</ref> oder Exkurse zum Rechtsextremismus hergestellt.<ref>[https://www.nnz-online.de/news/news_lang.php?ArtNr=108899 Zum Umgang mit der Bombardierung], nnz-online, 3. April 2012.</ref> Im Vergleich zu DDR-Zeiten wurde das Spektrum der Erinnerungsakteure erweitert, und vor allem die Kirche rückte in den Vordergrund. <br />
<br />
Seit den 2000er Jahren wird der Jahrestag der Luftangriffe mit der üblichen Kranzniederlegung an der Gedenkstele am Rathaus begangen. Seit 2017 werden statt Kränzen weiße Rosen niedergelegt.<ref>[https://www.nnz-online.de/news/news_lang.php?ArtNr=209936 Gedenken an der Stele], nnz-online, 3. April 2018.</ref> Im Gegensatz zu DDR-Zeiten werden Schuldzuweisungen an die Westalliierten weniger offen aggressiv und ideologisch untermauert vorgebracht.<ref>Winter: ''Öffentliche Erinnerungen an den Luftkrieg in Nordhausen 1945 - 2005''. Marburg: Tectum-Verl., 2010. S. 110.</ref><br />
<br />
=== Denkmäler ===<br />
[[File:Denkmal Bombenangriffe Nordhausen - Mai 2015.JPG|200px|thumb|Mahnmal am Alten Rathaus]]<br />
[[File:Gedenkstein Nordhausen.jpg|mini|200px|Gedenkstein am Massengrab für 600 Bombenopfer auf dem [[Zentralfriedhof an der Leimbacher Straße|Alten Friedhof]]]]<br />
* Mahnmal für die Opfer der Bombardierungen vor dem [[Altes Rathaus|Alten Rathaus]]: 1950 wurde ein Gedenkstein und eine Flammenschale am Sockel des früheren [[Lutherdenkmal]]s angebracht. Es trug die Inschrift: „4.4. 1945 - Zerstörung Nordhausens durch amerikanische Bomber - 8800 Opfer klagen an“ (''Amerikanische'' Bomber war falsch). 1969 wurde dieses Denkmal durch eine Säule des Künstlers Jürgen von Woyski ersetzt.<br />
* Auf dem [[Ehrenfriedhof]] westlich des ''Stresemann-Rings'' befindet sich ein 1999 umgestaltetes Denkmal in Erinnerung an die hier in Massengräbern beigesetzten über 1.600 KZ-Häftlinge, zum größten Teil Opfer der Luftangriffe auf die Boelcke-Kaserne am 3. und 4. April 1945. Viele Nordhäuser zivile Bombenopfer und Soldaten wurden auf dem nördlichen Teil des Sonderfriedhofs, des jetzigen Ehrenfriedhofs, oberhalb des Denkmals in Massengräbern beerdigt.<ref>Manfred Schröter: ''Die Zerstörung Nordhausens''. Nordhausen: Meyenburg-Museum, 1988. S. 59</ref><br />
* Auf dem ''Hauptfriedhof'' findet sich ein Denkmal, das die zusammenfassende Inschrift trägt: „Zum Gedenken an die Gefallenen und Vermissten beider Weltkriege, die Toten der Bombenangriffe, die Opfer aller Gewaltherrschaft. Die Bürger der Stadt Nordhausen“. Links seitlich von dem Denkmal, vor dem begrenzenden Zaun, wurde eine größere Anzahl von Bombentoten in Gemeinschaftsgräbern beigesetzt.<ref> Manfred Schröter: ''Die Zerstörung Nordhausens''. Nordhausen: Meyenburg-Museum, 1988. S. 59-60 </ref> Dort stehen noch einige große Kreuze, die wohl darauf hinweisen.<br />
<br />
== Zitate ==<br />
<br />
* „Das Ausmaß des Schreckens, der Verwüstung und des Todes, von dem unsere Stadt an jenen Apriltagen erfasst wurde, macht sie praktisch zu einem Synonym für die japanischen Städte Hiroshima und Nagasaki. Denn vergleicht man auf Airfotos ihre zerstörten Zentren, so lässt sich schwerlich ein gradueller Wirkungsunterschied erkennen.“ – ''[[Walter Geiger]]: [[Nordhausen im Bombenvisier]], S. 154.''<br />
* „Nordhausen wurde am 3. und 4. April 1945 zerstört, weil der ehrgeizige britische Luftmarschall Sir Arthur Harris dem britischen Volk und den Alliierten zeigen wollte, dass sein "Bomber Command" das Handwerk des Tötens von deutschen Menschen perfektioniert hatte. Er löste einen furchtbaren Flächenbrand aus mit den stärksten Mitteln, die ihm zur Verfügung standen. Besonders verwerflich ist, dass er die Bombenziele auf die Nordhäuser Altstadt konzentrierte. Infam ist auch, dass er noch in den letzten Kriegstagen die Altstadt von Nordhausen mit einer nie vorher verwendeten Bomben-Mischung auslöschte. Er handelte trotzig wie ein Kind, dem man das Spielzeug wegnehmen will. Harris wollte sich in letzter Stunde in Nordhausen ein Denkmal aus Leichen und Ruinen setzen.“ – ''[[Jost-Dieter Rudloff]]: Warum wurde Nordhausen eine Woche vor Kriegsende 1945 in Brand gesetzt? Informationen und Überlegungen. In: [[Beiträge zur Geschichte aus Stadt und Kreis Nordhausen (Band 44/2019)]], S. 141.''<br />
<br />
== Literatur ==<br />
*Jost-Dieter Rudloff: ''Warum wurde Nordhausen eine Woche vor Kriegsende 1945 in Brand gesetzt? Informationen und Überlegungen''. In: ''[[Beiträge zur Geschichte aus Stadt und Kreis Nordhausen (Band 44/2019)]]''.<br />
*Harald Rockstuhl (Hrsg.): ''[[Nordhausen – Luftbild-Atlas 1935–1945]]''. Bad Langensalza: Verlag Rockstuhl, 2017. ISBN 978-3959662833<br />
*[[Walter Geiger]]: ''[[Nordhausen im Bombervisier]]''. Nordhausen: Neukirchner, 2000. ISBN 3-929767-43-0<br />
*Olaf Groehler: ''Bombenkrieg gegen Deutschland''. Berlin: Akad.-Verl., 1990. ISBN 3-05-000612-9<br />
*[[Peter Kuhlbrodt]]: ''[[Inferno Nordhausen – Schicksalsjahr 1945]]''. Nordhausen: Archiv der Stadt Nordhausen, 1995. ISBN 3-929767-09-0<br />
*[[Martin Clemens Winter]]: ''[[Öffentliche Erinnerungen an den Luftkrieg in Nordhausen 1945 - 2005]]''. Marburg: Tectum-Verl., 2010. ISBN 9783828822214 <br />
*''Schicksale deutscher Baudenkmale im Zweiten Weltkrieg''. (Bd. 2) Berlin: Henschelverlag Kunst u. Gesellschaft, 1978.<br />
<br />
== Externe Verweise ==<br />
* [https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/1/1f/Nordhausen_concentration_camp_newsreel.webm Filmaufnahmen von der Boelcke-Kaserne (1945)]<br />
<br />
== Einzelnachweise ==<br />
<br />
<references/><br />
<br />
[[Kategorie:Geschichte]]</div>Latimer Rexhttps://nordhausen-wiki.de/index.php?title=Luftangriffe_auf_Nordhausen&diff=15694Luftangriffe auf Nordhausen2020-02-11T12:13:53Z<p>Latimer Rex: </p>
<hr />
<div>[[Datei:Marktkirche Rathaus Nordhausen 1945.jpg|thumb|300px|[[Marktkirche]], [[Altes Rathaus|Rathaus]] und [[Stadthaus]] nach den Luftangriffen]]<br />
Die '''Luftangriffe auf Nordhausen''' am 3. und 4. April 1945 durch Bomber der britischen Royal Air Force zerstörten Dreiviertel der Stadt. Dabei kamen über 8.800 Menschen ums Leben, weitere 20.000 wurden obdachlos. Mit einem Wohnungszerstörungsgrad von 55% (10.000 Wohnungen) gehörte Nordhausen zu den am schwersten zerstörten deutschen Städten; zahlreiche Denkmale von hervorragender Bedeutung, darunter die für Nordhausen charakteristischen Fachwerkbauten des 13. bis 19. Jahrhunderts, wurden vernichtet. Der historische Stadtkern, die Neustadt und die Gebäude um die [[Frauenbergkirche]] wurden fast gänzlich eingeebnet. Erhalten blieben die Gebiete westlich und nördlich der [[Stadtmauer]], [[Barfüßerstraße]], [[Kalte Gasse]], Teile des historischen [[Königshof]]s sowie der Stadtteil [[Altendorf]]. Ein Großteil der stark beschädigten Bauwerke wurde nach dem Zweiten Weltkrieg abgerissen. <br />
Die zerstörerische Gesamtwirkung aller Bomben und Luftminen war von keinem Einzelangriff im Luftkrieg gegen Deutschland auch nur annähernd erreicht worden.<ref>Geiger: ''Nordhausen im Bombenvisier''. S. 150.</ref> Bei der Bombardierung von Nordhausen handelte es sich um die größte Katastrophe in ihrer tausendjährigen Stadtgeschichte. <br />
Im Luftkrieg der Westalliierten über Deutschland kamen mehr als 600 000<br />
Personen der Zivilbevölkerung ums Leben (WELT 28.6.2012). Durch deut-<br />
sche Bomben und Raketen auf zivile Ziele in England starben 42 000 Ein-<br />
wohner. „Wir werden ihre Städte ausradieren“, hatte Adolf Hitler am 4. Sep-<br />
tember 1940 gedroht, als die Luftwaffe englische Städte bombardierte. „Der<br />
Krieg ist nach Nordhausen zurückgekehrt“, schrieb Jens-Christian Wagner,<br />
ehemals Leiter der KZ-Gedenkstätte Dora, 2015 zum Jahrestag der Luftan-<br />
griffe auf Nordhausen („Nordhäuser Allgemeine“, S.1 Lokalteil).<br />
<br />
== Nordhausen im Krieg ==<br />
Nordhausen hatte vor dem Zweiten Weltkrieg ca. 42.000 Einwohner. Während des Krieges stieg deren Zahl durch Ortsfremde (Luftkriegsevakuierte, Flüchtlinge, ausländische Arbeitskräfte, Verwundete und Kriegsgefangene) Anfang März 1945 auf 65.000 Einwohner.<ref>Peter Kuhlbrodt (Hrsg.): ''Schicksalsjahr 1945. Inferno Nordhausen''. Nordhausen: Archiv der Stadt Nordhausen, 1995. S. 20, 33 </ref> Insbesondere für Evakuierte aus Berlin, Hamburg und Westdeutschland waren Stadt und Kreis Nordhausen als Aufnahmeräume ausgewiesen.<br />
<br />
Der Bau von Luftschutzanlagen begann im Spätsommer 1943. Viele Bunkeranlagen in der Innenstadt blieben unvollendet. Am 29. November 1943 wurde für Nordhausen ein Evakuierungsplan, der Aussiedlungsrichtungen und Aufnahmegebiete festlegte, ausgearbeitet.<ref>Geiger: ''Nordhausen im Bombenvisier''. Nordhausen: Verlag Neukirchner, 2000. S. 65</ref><br />
<br />
{| class="wikitable sortable"<br />
|+ style="padding-bottom:1em" | Bis zum 22. Februar 1945 realisierte Stollenabschnitte<ref>Ullrich Mallis: ''Der Luftschutzstollen am Johanneshof / Neuer Weg. Ein Nordhäuser Baudenkmal'', in: ''[[Nordhäuser Nachrichten. Südharzer Heimatblätter (2/2011)]]'', S. 10.</ref><br />
|- class="hintergrundfarbe6"<br />
! class="unsortable" | Stollenabschnitte !! class="sortable" | Länge !! class="unsortable" | Herstellung !! class="unsortable" | Ausbauart !! class="unsortable" | Bemerkung<br />
|-<br />
| Stollen IA, Mühlhof || style="text-align:right" | 55,00 m<br />
| Okt. 1943 – Febr. 1944 || Beton, 27,5 m nur Holzausbau || Richtung Loge<br />
|-<br />
| Fluko-Bunkerzugang || style="text-align:right" | 2,40 m<br />
| Febr. – März 1944 || Eisenbetongewölbe || IA, > 40 m links<br />
|-<br />
| Kreuz IA-Stummel || style="text-align:right" | 0,50 m<br />
| März 1944 || Eisenbetongewölbe, wie das gesamte Kreuz IA || Drehscheibe<br />
|-<br />
| Stollen IB, Johannishof || style="text-align:right" | 38,50 m<br />
| Nov. 1943 – April 1944 || Beton, 22,5 m mit Firstschienen || noch begehbar<br />
|-<br />
| Stollen von IA nach IB || style="text-align:right" | 66,10 m<br />
| März 1944 – Nov. 1944 || Beton || Durchschlag im Nov. 1944<br />
|-<br />
| Stollen von IB nach IA || style="text-align:right" | 38,25 m<br />
| April 1944 – Nov. 1944 || Beton || Durchschlag im Nov. 1944<br />
|-<br />
| Oststollen, von IA-IB ab || style="text-align:right" | 21,75 m<br />
| Dez. 1944 – Febr. 1945 || Seitenbeton, Art des Firstausbaues nicht benannt || <br />
|-<br />
| Südstollen IC, ab IB || style="text-align:right" | 49,75 m<br />
| April 1944 – Febr. 1945 || || zum Lohmarkt<br />
|-<br />
| class="hintergrundfarbe5" | Gesamt: || style="text-align:right" class="hintergrundfarbe5" | 272,25 m<br />
| class="hintergrundfarbe5" | Okt. 1943 – Febr. 1945 || class="hintergrundfarbe5" | || class="hintergrundfarbe5" |<br />
|}<br />
<br />
<br />
<br />
Als Garnisonstadt hatte Nordhausen keine ältere Tradition. Ab 1935 wurde im Süden die [[Boelcke-Kaserne]] errichtet, mit Unterkünften und Fahrzeughallen; sie diente der Ausbildung von Luftnachrichtensoldaten. Daneben entstanden ein Fliegerhorst als Ausbildungsplatz und zeitweise Flugzeugwerft. Bis März 1945 wurden hier Flugzeuge für den Mistelschlepp ("Huckepack"-Flugzeuge) montiert und Piloten dafür geschult. Sonst diente der Fliegerhorst 1945 noch zum Auftanken von Jagdflugzeugen. In provisorischen Unterkünften in der Stadt gab es die evakuierte "Marineverwaltung West". In der Stadt und ihrer nahen Umgebung existierten viele Lazarette mit insgesamt etwa 1.000 Verwundeten. Die Lazarette und Krankenhäuser trugen weithin sichtbare große Rotkreuz-Symbole auf den Dächern. <br />
<br />
Das [[Mittelwerk GmbH|Mittelwerk Dora]] bei Nordhausen produzierte Anfang April 1945 keine V-Waffen oder andere Rüstungsgüter mehr. Die dort Beschäftigten, unter ihnen Tausende von Häftlingen des KZ Mittelbau-Dora und Zwangsarbeiter, wurden evakuiert. Das Werk oder seine Verkehrsanbindungen waren nie Ziel alliierter Luftangriffe. <br />
<br />
Die frühere [[KZ-Außenlager Boelcke-Kaserne|Boelcke-Kaserne]] wurde seit Herbst 1943 nicht mehr militärisch genutzt. Sie hatte seitdem Tausende von Arbeitern, später auch Flüchtlinge aufgenommen. Seit 8. Januar 1945 existierte ein bald überfülltes Häftlingslazarett in der Anlage.<ref> Manfred Schröter: ''Die Zerstörung Nordhausens''. Nordhausen: Meyenburg-Museum, 1988. S. 6-8 </ref> Im Februar kamen zeitweise 3.500 Häftlinge aus dem KZ Groß-Rosen dazu.<ref> Walter Geiger: ''Nordhausen im Bombervisier''. Nordhausen: Verlag Neukirchner, 2000. S. 258 </ref><br />
Vom Flugplatz Nordhausen waren im April 1945 die letzten Schulflugzeuge und Flak-Einheiten längst abgezogen worden. Eine kurz vor Kriegsende nach Nordhausen verlegte Marine-Dienststelle bestand lediglich aus Schreibkräften. So trafen die britischen Bomben auf in Kasernen eingesperrte KZ-Häftlinge.("Bad Lauterberger Tageblatt", 3./4. April 1985)<br />
<br />
== Erste Angriffe ==<br />
In der Nacht vom 25. August auf den 26. August 1940 griffen zwei britische Bomber vom Typ Handley Page Hampden den [[Flugplatz von Nordhausen]] an und warfen vier Bomben ab.<ref>Geiger: ''Nordhausen im Bombenvisier''. S. 61 f.</ref> Es entstand ein kleiner Brand, der bald gelöscht werden konnte. <br />
<br />
Von 1940 bis 1943 gab es insgesamt 72 öffentliche Luftwarnungen und Fliegerarlarme für Nordhausen. Als sich die alliierten Luftangriffe im Jahr 1944 auf die im Hinterland gelegenen deutschen Städte intensivierten, wurde Nordhausen verstärkt Überflugsort alliierter Bomberverbände, etwa wenn sie Berlin, Dessau oder Leipzig anflogen. Im März 1945 erreichten die durchschnittlich fünf bis sechs Luftalarme ihren Höhepunkt.<ref>Geiger: ''Nordhausen im Bombenvisier''. S. 98 f.</ref> <br />
<br />
Am 12. April 1944 flogen während der Mittagszeit zwei aus südlicher Richtung kommende amerikanische Jäger die Stadt an und töteten zwei Menschen, zwei Personen wurden schwer verletzt.<ref>Geiger: ''Nordhausen im Bombenvisier''. S. S 221 f.</ref> <br />
<br />
[[Datei:Luftangriffe Nordhausen Traueranzeige.jpeg|thumb|Traueranzeige vom 26. Februar 1945]]<br />
<br />
Am 22. Februar 1945 griffen gegen 12:30 Uhr US-amerikanische Bomber den Verschiebebahnhof an, trafen jedoch die Unterstadt, einige Anlagen des Industriegebietes und die vormalige Fernmeldeschule der Luftwaffe in der [[Boelcke-Kaserne]]. Insgesamt fielen 296 Mehrzweckbomben und töteten 40 Menschen. Im ''[[Südharzer Kurier]]'' erschien am 26. Februar eine Todesanzeige für die „Gefallenen des Terrorangriffs“ mit der Ankündigung zur Beisetzung. <br />
<br />
Am 28. Februar 1945 warfen drei amerikanische Maschinen 2,5 Tonnen Sprengbomben auf die Stadt ab. <br />
<br />
Am 1. April 1945 wurden das Auto-Hotel Hesse durch Bomben getroffen und zahlreiche Menschen getötet.<br />
<br />
== Großangriffe im April 1945 ==<br />
[[File:Avro Lancaster Mk 1 ExCC.jpg|thumb|Langstreckenbomber vom Typ ''Avro Lancaster'', wie sie bei der Bombardierung von Nordhausen zum Einsatz kamen.]]<br />
[[File:Mosquito 600pix.jpg|thumb|Zielmarkierer ''De Havilland Mosquito'' (1944)]]<br />
Am 3. April 1945 starteten gegen 13 Uhr die englischen Bomberverbände und erreichten Nordhausen um 16 Uhr. Die 247 Avro-Lancaster-Bomber (Tragfähigkeit je 6 Tonnen Bombenlast) und 9 Mosquito-Mehrzweckflugzeuge warfen in 20 Minuten ca. 1.216 Tonnen Sprengbomben ab und trafen vor allem die Außenbezirke von Nordhausen.<ref>Groehler: ''Bombenkrieg gegen Deutschland'', S. 422.</ref> Im Stadtinnern fielen Bomben um die [[Neustadt-Kirche]] und [[Neustadtstraße]]. In den umliegenden Wäldern und Ortschaften [[Sundhausen]], [[Bielen]], [[Himmelgarten]], [[Leimbach]] und [[Krimderode]] fielen schwere Bomben und Luftminen. Getroffen wurde auch die mit kranken Häftlingen überbelegte [[Boelcke-Kaserne]], wo allein in einer mit Tuberkulose-Kranken belegten Flugzeughalle 450 Menschen den Tod gefunden haben sollen.<ref>Wagner: ''Produktion des Todes.'' S. 280</ref> Die Stadt ohne Strom und Leitungswasser. Die Verletzten wurden gesammelt und nach [[Neustadt/Harz|Neustadt]] und [[Sülzhayn]] gebracht, die Ausgebombten erhielten Notquartiere in der Stadt selbst und ihrer Umgebung. Viele Nordhäuser flüchteten aus der Stadt. Zwei Stollen der unterirdischen Anlagen von Mittelbau Dora im Kohnstein nahmen bereits am 3. April Geflüchtete auf, später wurden es 10.000. Das Stadtkrankenhaus war beschädigt, die Patienten wurden in Notkrankenhäuser in das benachbarte [[Petersdorf]] gebracht, vor allem in das Ausflugsrestaurant Harzrigi.<ref> Manfred Schröter: ''Die Zerstörung Nordhausens''. Nordhausen: Meyenburg-Museum, 1988. S. 22, 23 </ref> Bomben fielen auch auf mehrere benachbarte Dörfer und deren Flur, besonders betroffen war Bielen. Zwei Bomber gingen beim Hin- und Rückflug verloren. Der erste Angriff erzielte die gewünschte Wirkung jedoch nicht. Der Angriff am 3. April war aus Sicht der RAF ein Misserfolg.<!-- (Quelle?) --> Viele Einwohner zogen am Abend des 3. April zum nahen [[Kohnstein]], wo die mittlerweile fast verlassenen Stollen des Mittelwerks Schutz boten.<br />
<br />
{{Zitat|Die Stadt ist schwer getroffen, aber sie ist noch eine organisierte Gemeinschaft… Gegenseitige und Nachbarschaftshilfe wird geleistet. Die Stadtverwaltung und die Luftschutzleitung setzen ihre Kräfte ein. Rotes Kreuz und die Krankentransporte kommen an die Schwerpunkte. Man leitet die Evakuierung des beschädigten Krankenhauses ein. Die Verletzten des Angriffs werden geborgen, abtransportiert, in den Gaststätten Parkhaus und Kurhaus gesammelt und schließlich nach Neustadt und Sülzhayn weiterbefördert. Die Feuerwehr bekämpft die wenigen Brandherde.|[[Manfred Schröter]]: ''[[Die Zerstörung Nordhausens und das Kriegsende im Kreis Grafschaft Hohenstein 1945]]''}}<br />
<br />
Am 4. April gegen 9 Uhr begann der zweite Großangriff der RAF. Der Verband kam über Gotha, Bad Langensalza und Schlotheim. Für 93 Bomber wurde die Boelcke-Kaserne als Angriffsziel befohlen, die anderen 150 hatten das Stadtzentrum anzugreifen.<ref>Geiger: ''Nordhausen im Bombenvisier''. S. 146 f.</ref> Zwei Bomber mussten frühzeitig zurückkehren, und zehn weitere hatten ihren militärischen Auftrag verfehlt, so dass von den 243 Flugzeugen 231 am Luftschlag teilnahmen. Ein Bomber explodierte über der Stadt. Die örtliche Feuerwehr war, soweit noch vorhanden, von der Lage völlig überfordert. Unter der überlebenden Bevölkerung herrschte Panik, viele verließen fluchtartig zu Zehntausenden das Inferno der Stadt in Richtung Kohnstein. Auch außerhalb von Nordhausen wurde sie von Jagdbombern beschossen.<ref> Manfred Schröter: ''Die Zerstörung Nordhausens''. Nordhausen: Meyenburg-Museum, 1988. S. 26 </ref> Am Abend und in der Nacht war die Stadt ein weithin leuchtendes Flammenmeer.<ref> Peter Kuhlbrodt: ''Schicksalsjahr 1945. Inferno Nordhausen''. Nordhausen 1995. S. 23 </ref> In der Mitte davon leuchtete der Kirchturm von St. Petri als riesige Fackel, die gegen Mitternacht zusammenbrach und auf das Kirchenschiff stürzte. RAF-Piloten, die von einem Einsatz bei Merseburg zurückflogen, berichteten um 23.00 Uhr von „good fires at Nordhausen“.<ref> Walter Geiger: ''Nordhausen im Bombervisier''. Nordhausen, 2000. S. 180 f.</ref> <br />
Der gebürtige Nordhäuser Schriftsteller [[Rudolf Hagelstange]] schrieb in seiner deutschen Familienchronik (Band 2: „Der Niedergang“, Seite 254) über die Feuersbrunst in seiner Heimatstadt: „Und die Hitze war so groß, dass in den meisten Straßen, sofern sie nicht gepflastert waren, der Asphalt geschmolzen war, dass Flüchtende da und dort in ihn eingesunken waren, einige unlöslich und damit zum Flammentod verurteilt.“<br />
<br />
=== Opfer ===<br />
[[Datei:Einwohnerentwicklung von Nordhausen ab 1800.svg|thumb|Einwohnerzahl von Nordhausen ab 1800. Deutlich sichtbar der Höhepunkt 1945]]<br />
Bei den Großangriffen im April 1945 kamen ca. 8.800 Menschen ums Leben. Diese Zahl geht auf Schätzungen vom Februar 1948 zurück.<ref name="Kuhlbrodt125">Kuhlbrodt: ''Inferno Nordhausen''. S. 125 f.</ref> Vor dem Abgriff befanden sich rund 65.000 Personen in der Stadt (42.000 ständige Bevölkerung, Militärpersonen, Gefangene, ausländische Arbeiter, Spezialarbeiter der Kriegsindustrie, Evakuierte). Der Antifa-Ausschuss von Nordhausen schätzte am 17. Juni 1945, dass über 10.000 Menschen bei den Bombenangriffen ums Leben gekommen seien.<ref> Peter Kuhlbrodt: ''Schicksalsjahr 1945. Inferno Nordhausen''. Nordhausen 1995. S. 115 </ref><br />
<br />
In den ersten Tagennach dem Einmarsch der Amerikaner ließ der US-Stadtkommandant in den Straßen liegende Leichen auf den Sonderfriedhof am Schlageter-(heute Stresemann-)Ring bringen. Andere wurden an Ort und Stelle in Bombentrichtern beerdigt. Eine beträchtliche Zahl ziviler Opfer und deutscher Soldaten wurde dann in dem höher gelegenen Teil des heutigen Ehrenfriedhofs in Massengräbern beigesetzt, unweit der getöteten Häftlinge aus der Boelcke-Kaserne. Für die später gefundenen Opfer ohne Anhang wurden Massengräber im vorderen Teil des Alten Hauptfriedhofs in der Leimbacher Straße angelegt. Heute steht an dieser Stelle ein Wohnblock. Auf dem Neuen Hauptfriedhof am Ring sind in den ersten Wochen und Monaten 920 Bombenopfer beerdigt worden.<br />
<br />
{| class="wikitable"<br />
|-<br />
| Verluste der ständigen Bevölkerung || 6.000<br />
|-<br />
| Verluste der nicht ständigen Bevölkerung || 1.500<br />
|-<br />
| Verluste der Häftlinge der Boelcke-Kaserne || 1.300<br />
|-<br />
| zusammen || 8.800<br />
|-<br />
|} <br />
<br />
==== Persönlichkeiten ====<br />
* [[Paul Urban]] (geb. 1892), KPD-Stadtrat<br />
<br />
=== Schäden und Totalverluste ===<br />
<br />
Der Zerstörungsgrad der Stadt wurde mit 74 Prozent errechnet. Die Gesamtfläche des zerstörten Gebietes betrug 810.000 Quadratmeter.<br />
Monate später, als die Opfer beigesetzt sind und die Überlebenden notdürftige Behausungen errichtet haben, ist diese Bilanz des Grauens zu ziehen: von 4.588 Gebäuden in der Stadt Nordhausen bleiben nur 971 unbeschädigt, von 13.075 Wohnungen sind 6.187 völlig und 4.575 teilweise zerstört. Das Stadtzentrum ist ausgelöscht. Von einmal 377 Einzelhandelsgeschäften sind kaum hundert übrig. Sieben Schulen und drei Kinos wurden zerstört, 411 der vordem 685 Handwerksbetriebe sind total- oder teilzerstört, ebenso die Mehrzahl der 109 großen Betriebe der Nahrungs- und Genußmittelindustrie (Nordhäuser Korn und Kautabak).<br />
<br />
==== Kirchen ====<br />
<br />
[[Datei:Petri-Kirche Außenansicht.JPG|thumb|[[St.-Petri-Kirche]]]]<br />
*[[St.-Jakobi-Kirche]]: Am 3. April erheblich durch Bomben zerstört. Reste des Schiffes abgetragen, Turmruine zu DDR-Zeiten beseitigt.<br />
*[[Marktkirche]]: Am 3. April weitgehend zerstört. Ruinenreste abgetragen.<br />
*[[St.-Petri-Kirche]]: Am 3. April bis auf Turm und Chor zerstört, zahlreiche Menschen finden in der Kirche den Tod. Der Turm erhielt 1954 ein Notdach, die übrigen Ruinenteile wurden beseitigt. 1987 wurde ein neuer Turmhelm gesetzt.<br />
* [[St.-Blasii-Kiche]]: Dach und Mauerwerk am 4. April durch Bombentreffer erheblich beschädigt [[Cranachgemälde]] im Auslagerungskeller verbrannt. Bis 1949 Wiederherstellung des Daches, Ausbesserung Mauerwerk, Erneuerung des Inneren.<br />
*[[Nordhäuser Dom]]: Am 4. April schwere Schäden durch Brandzerstörung des Steildaches über der Halle und Vernichtung der Fenster. Noch 1945 Fertigstellung Notdach und Beseitigung der Folgeschäden. 1965 Wiederherstellung des Steildaches in ursprünglicher Form.<br />
*[[Frauenbergkirche]]: Am 4. April durch Bomben schwer zerstört. Erhalten blieben Umfassungsmauern der Chor mit Apside, die Nebenchöre und das Querschiff, vom Langhaus nur Reste des ersten Joches sowie des Westportals. Von 1953 bis 1955 folgten Enttrümmerung und Sicherungsarbeiten.<br />
*[[Frauenbergkloster]]: Am 4. April durch Bombentreffer total zerstört. Gebäudereste wurden nach 1945 entfernt.<br />
<br />
==== Öffentliche Bauten ====<br />
*[[Rathaus]]: Am 4. April bis auf die Umfassungsmauern zerstört, Turm ausgebrannt. Ab 1951 Trümmer entfernt und Wiederaufbau bis 1952, dabei wurden die Erdgeschoßarkaden und das Innere neu gestaltet. Zum ebenfalls schwer zerstörten [[Stadthaus]] wurde der Verbindungsgang wiederaufgebaut, der [[Roland]] restauriert.<br />
*[[Stadtmauer]]: Es entstanden Schäden an der Stadtmauer, wobei besonders die teilweise genutzten Türme und Wiechhäuser betroffen wurden. Nach dem Krieg wurden Ruinen abgetragen und Sicherungsarbeiten durchgeführt. Zur Landesgartenschau 2004 erfolgten umfangreiche Sanierungsarbeiten, besonders um den [[Petersberg]]. <br />
*[[Theatergebäude]]:<br />
<br />
==== Fachwerkbauten ====<br />
[[Datei:Nordhäuser Roland 1945.jpg|thumb|Das ausgebrannte Rathaus mit dem [[Nordhäuser Roland|Roland]], der die Angriffe wie durch ein Wunder überstand]]<br />
[[Datei:Riesenhaus, Riese, Postkarte.jpg|thumb|Postkarte vom [[Riesenhaus]] am Holzmarkt (Lutherplatz) mit dem [[Nordhäuser Riese]]n.]]<br />
Bedeutende Fachwerkhäuser, die zerstört wurden (lt. dem Denkmalpfleger Rudolf<br />
Zießler):<br />
<br />
*[[Bäckerstraße]] 22: Mitte des 18. Jahrhunderts errichteter dreigeschossiger, neunachsiger, verputzter Fachwerkbau mit massivem Erdgeschoß, Satteldach und Zwerhaus. Stichbogenfenster mit einfacher profilierter Rahmung in Dreiergruppen. Betonung der Mittelachse durch ein von Pilastern flankiertes Portal mit gesprengtem Giebel, darauf ruhende Frauen und Wappen sowie durch einen auf Konsolen sitzenden Balkon mit schmiedeeisernem Gitter.<br />
*[[Blasiistraße]] 15: Alte Schule. Errichtet um 1700 als dreigeschossiger stattlicher Fachwerkbau mit hohem Satteldach. Unregelmäßige Fenstergruppierung (im ersten Obergeschoß dreizehn Achsen). Fachwerk mit halben Männern. Obergeschoß vorkragend mit Balkenköpfen und gekehlten Füllhölzern.<br />
*Blasiistraße 21: Bedeutendstes Renaissance-Fachwerkhaus Nordhausens von etwa 1550. Dreigeschossig mit zehn Fensterachsen in unregelmäßiger Gruppierung, Geschosse stark vorkragend. Reich ausgebildetes Schmuckfachwerk mit Balkonköpfen, Knaggen, Füllhölzern und Schiffskehlen. Haupteingang mit kräftigen Gewämdepfosten und halben Sonnen um 1700.<br />
*[[Hagenstraße]] 4: Um 1800 errichtet als zweigeschossiger, verschieferter Fachwerkbau mit zehn Fensterachsen. Eckpilaster, ebensolche toskanische Holzpilaster flankieren die vier Mittelachsen und nehmen einen verschieferten Dreieckgiebel auf. Stichbogenfenster mit einfacher Rahmung und Schlußsteinbetonung.<br />
*Hagenstraße: Ilfelder Hof, ehem. Klosterhof, seit dem ersten Viertel des 18. Jahrhunderts Kurhannoversche Postverwaltung, seit 1853 in Privatbesitz. 1277 angelegt, später erweitert, im 17. Jahrhundert Neubau auf erweitertem Grundriss mit massivem Erdgeschoß und zwei Fachwerkobergeschossen, verschiefert.<br />
*[[Holzmarkt]] (Lutherplatz): „Riesenhaus“. 1375 erstmals erwähntes Patrizierhaus mit massivem Erdgeschoss, zwei Fachwerkobergeschossen und Satteldach. Nach Brand von 1710 im Fachwerk erneuert. Fassade gegliedert durch zwölf Fensterachsen, jeweils in Dreiergruppen angeordnet. Fachwerkkonstruktion mit Wilden Männern. Mittelgiebel mit einem Mann in Ritterrüstung ([[Nordhäuser Riese]]), der eine Lanze hält. 1805 Einrichtung einer Gaststätte, Verputz des Fachwerks und klassizistische Fassadengestaltung. 1927 Endrestaurierung und Wiederherstellung des Fachwerks.<br />
*Jakobikirchplatz 4: Lateinschule. Zweigeschossiger Fachwerkbau von 1493 mit Satteldach. Ständer- und Riegelbau. Vorkragendes Obergeschoß über geschwungene Knaggen. Durchlaufender Fensterbrustriegel.<br />
*Jakobikirchplatz: Pfarrhaus. 1687 errichteter zweigeschossiger Fachwerkbau mit Krüppelwalmdach. Fenstergruppierung unregelmäßig. Stiele und Brustriegel durch Wilde Männer verstärkt. Geringe Auskragung, Balkonköpfe und Schwelle mit einfacheren Profilen. Gefache mit Ziegeln in Mustern ausgemauert. Oberdeutsch beeinflusstes Fachwerk.<br />
*[[Königshof]] 14: Dreigeschossiger Fachwerkbau mit oberdeutschen Stilelementen, ganze und halbe Männer. Um 1780 Verkleidung der Fenster mit Rokokogirlanden.<br />
*[[Krämerstraße]] 11: Verschieferter, zweigeschossiger, fünfachsiger Fachwerkbau mit spätbarockem Volutengiebel. Stichbogenfenster mit Rahmenverkleidung. Erdgeschoss durch Ladeneinbauten verändert.<br />
*Krämerstraße 15: Um 1700 errichteter schmaler dreigeschossiger Fachwerkbau in oberdeutschem Stil mit halben Männern an den Ecken. Balkonköpfe und Füllhölzer mit einheitlichem Profil. Satteldach mit Zwerchhaus.<br />
*[[Lohmarkt]] 2, 4, 20, 21: Nach 1686 errichtete Gerberhäuser. Zwei- bzw. dreigeschossige Fachwerkgebäude im gleichen oberdeutschen Baustil wie Pfarrhaus Jakobikirchplatz. Besonders reich ausgebildet der Türstock mit Renaissanceformen und Inschrift. Satteldächer mit Zwerchhäsern (Ladeluken).<br />
*[[Neustadtstraße]] 27: Zweigeschossiger, elfachsiger Fachwerkbau aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts mit Satteldach. An den Fenstern Rokokoverkleidung.<br />
*Neustadtstraße 35: Zweigeschossiger, achtachsiger Fachwerkbau aus der Mitte des 18. Jahrhunderts auf Sandsteinsockel. Türen und Fenster in Stichbogen mit geschnitzter Rokokoverkleidung.<br />
*Neustadtstraße 47: Dreigeschossiger Fachwerkbau der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts mit Krüppelwalmdach. Rokokofensterbekleidungen handwerklich vereinfacht.<br />
*[[Pferdemarkt]] 17: Dreigeschossiger Fachwerkbau von etwa 1550, niederdeutsch beeinflusst. Auskragung des Obergeschosses mit Balkonköpfen, Knaggen und Füllhölzern. Erdgeschoß baulich verändert.<br />
*[[Sandstraße]] 3, 21, 23, 28: Diese Häuser hinsichtlich der Entstehungszeit und der architektonischen Ausbildung denen der Neustadtstraße entsprechend.<br />
<br />
==== Situation nach dem Großangriff ====<br />
[[Datei:Boelcke-Kaserne-Tote HäftlingeA.jpg|thumb|Einwohner Nordhausens tragen am 12. April 1945 unter Bewachung von Angehörigen der US-Armee tote Häftlinge aus der Boelcke-Kaserne und legen sie davor ab]]<br />
[[File:Nordhausen um 1930.jpeg|thumb|Der Stadtteil [[Altendorf]] blieb weitgehend unzerstört (Luftaufnahme um 1930)]]<br />
Das britische Bomber Command berichtete als Ergebnis der beiden Großangriffe, dass „die Stadt fast vollständig zerstört wurde, inbegriffen die Kasernenblöcke.“<ref> Walter Geiger: ''Nordhausen im Bombervisier''. Nordhausen: Neukirchner, 2000. S. 154 </ref> <br />
Die Situation für die Bevölkerung nach den Angriffen kann nur mit dem Begriff „Inferno“ beschrieben werden. Das Stadtzentrum konnte tagelang nicht betreten werden. Es wüteten noch zahlreiche Brände<ref> Peter Kulhlbrodt: ''Schicksalsjahr 1945. Inferno Nordhausen''. Nordhausen 1995. S. 24</ref>, die Schutthaufen strahlten unerträgliche Hitze aus. Bomben mit Zeitzündern gingen hoch. Über den Trümmerfeldern lag bald Leichengeruch, besonders im Bereich der Boelcke-Kaserne. In den Nächten des 6. und 7. April wurden die Kranken und Verwundeten aus Nordhausen und Umgebung durch alle verfügbaren Fahrzeuge, besonders mit Pferde-Gespannen, in den Kohnstein in Sicherheit gebracht. Die Nordhäuser Bevölkerung verteilte sich nach Schätzungen am 7. April wie folgt: 6.000 (8.800) Opfer tot unter den Trümmern, 6.000 Überlebende noch in der Stadt, 10.000 im Kohnstein und 20.000 in den umliegenden Dörfern, besonders nordöstlich der Stadt.<ref> Manfred Schröter: ''Die Zerstörung Nordhausens''. Nordhausen: Meyenburg-Museum, 1988. S. 30 </ref> Am 8. April flogen 6 Jagdbomber noch einen Tagesangriff nach Zielmarkierung auf Nordhausen, parallel zu dem Bombardement auf [[Sondershausen]]. Am 10. April näherten sich US-Panzer aus Richtung [[Hain (Kleinfurra)|Hain]] dem Süden der Stadt und nahmen ihn unter Feuer, darunter die Trümmer der Boelcke-Kaserne.<ref> Manfred Schröter: ''Die Zerstörung Nordhausens''. Nordhausen: Meyenburg-Museum, 1988. S. 37 </ref><br />
Die britischen Bomber-Staffeln stießen bei den Angriffen an beiden Tagen auf keinerlei deutsche Luftabwehr. »Null« lauten jeweils die Eintragungen in den Rubriken »Flak« und »Einsatz von Jagdflugzeugen«. Am 8. April nahmen alliierte Flugzeuge »Aufnahmen von exzellenter Qualität« vom zerstörten Nordhausen auf. In dem angefügten Bericht heißt es: »Das Herz von Nordhausen wurde durch die beiden Angriffe verwüstet, und zwar von den nordwestlichen Außenbezirken über das Stadtzentrum bis hin zum Flugplatz und den Kasernen der Luftwaffe am Helme-Fluss im Südosten. Im militärischen Bereich wurden nahezu alle Gebäude schwer getroffen und völlig oder teilweise zerstört. Schwerer Schaden entstand am Flugkontrollturm, dem Wachraum und einem großen Hangar am Nordrand des Flugfeldes. Nahe der Bahnanlagen wurden Industriebetriebe und das Gaswerk getroffen, wobei drei Gasometer zerstört wurden.«<ref>''Bad Lauterberger Tageblatt'', 3./4.April 1985</ref><br />
<br />
== Nachwirkungen ==<br />
Insgesamt waren vom britischen Bomber Command 2.386 Tonnen und von der 8. US Air Force 296 Tonnen Bombenlast auf Nordhausen abgeworfen worden.<ref> Olaf Groehler: ''Bombenkrieg gegen Deutschland''. Berlin: Akademie-Verlag, 1990. S. 449 </ref><br />
Eine der am längsten nachwirkenden Folgen der Luftangriffe für die Bürger der Stadt blieben Hunderte von Blindgängern aller Kaliber: zwischen den Trümmern der Stadt und im Erdreich der Straßen, Gärten und Felder. In den ersten Jahren machten sich die Feuerwerker Jochen Nebel und Albin Diebler sehr verdient um die Entschärfung gefundener Bomben, ab 1962 der - deshalb zum Ehrenbürger ernannte - Helmut Zinke. Im Stadtgebiet wurden 1948 bis 1953 etwa 100 Bomben entschärft, dann 248 Blindgänger von 1954 bis 1999 entzündet und geräumt.<ref>Walter Geiger: ''Nordhausen im Bombervisier''. Nordhausen, 2000. S. 263-264 </ref> <br />
<br />
Noch 2014 gilt eine Verordnung in Nordhausen, nach der jeder Bürger, der bauen will, sicherstellen muss, dass unter seinem Grund und Boden kein Gefahrgut liegt.<ref>Katja Dörn: ''Die Gefahr rostet im Thüringer Boden''. Thüringische Landeszeitung, 12. Dezember 2014 </ref><br />
<br />
Auswahl weiterer Funde von Blindgängern:<br />
* 1996: 250-Kilogramm-Blindgänger wird gesprengt<br />
* 2008: 227-Kilogramm-Bombe in der Altstadt<br />
* 2010: Fünf-Zentner-Bombe am [[Taschenberg]] entdeckt, 4.500 Menschen wurden evakuiert, Bombe konnte nicht entschärft werden<br />
* Juni 2016: Kontrollierte Sprengung einer 800-Kilogramm-Bombe, Leimbach und Steigerthal mussten geräumt werden (1.080 Einwohner) <br />
* Dezember 2016: Fünf-Zentner-Bombe am [[Strohmühlenweg]], ca. 1000 Einwohner, so auch die Hochschule Nordhausen, wurden evakuiert<br />
* September 2017: Bombe auf einem Feld in der [[Windlücke]], ca. 3000 Einwohner evakuiert, Bombe entschärft<ref>https://www.nnz-online.de/news/news_lang.php?ArtNr=219719</ref><br />
* Oktober 2018: Bombe in der Windlücke, ca. 3000 Einwohner evakuiert, Bombe entschärft<ref>https://www.nnz-online.de/news/news_lang.php?ArtNr=243515</ref><br />
* November 2018: Bombe in Bielen, 1.1000 Einwohner wurden evakuiert (Sperrzone 1 Kilometer), Bombe entschärft<br />
* August 2019: 225-Kilogramm-Bombe an der [[Zorge]], 2.500 Einwohner wurden evakuiert (Sperrzone 500 Meter), Bombe entschärft und Zünder gesprengt<br />
* November 2019: 225-Kilogramm-Bombe am [[Stadttheater]], ca. 15.000 Einwohner wurden evakuiert (Sperrzone 1 Kilometer), Bombe entschärft und Säurezünder gesprengt. Es war die größte Evakuierungsaktion in Nordhausen nach dem Zweiten Weltkrieg.<ref>MDR, 8. November 2019</ref><br />
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== Rezeption ==<br />
[[Datei:Nordhausen mahnt 1949.jpg|thumb|200px|Werbeplakat zur Ausstellung „[[Nordhausen mahnt - Ausstellung vom 6. bis 27. März 1949|Nordhausen mahnt]]“ im März 1949]]<br />
Luftangriffe waren im Zweiten Weltkrieg für alle Kriegsparteien zum entschiedenen strategischen Kriegskonzept geworden. Die Westalliierten glaubten durch die planmäßige und massive Zerstörung deutscher Städte, vor allem der Wohngebiete der Industriearbeiter, die Moral und den Widerstandswillen der Bevölkerung zu brechen und den Krieg schneller beenden zu können.<ref>Johannes Volker Wagner: ''Bomben auf Bochum''. S. 3.</ref> Im Januar 1943 einigten sich Großbritannien und die Vereinigten Staaten in Casablanca auf die Forderung nach bedingungsloser Kapitulation des Deutschen Reiches und auf eine weitere Verschärfung des Bombenkrieges. Zu dieser Zeit war die deutsche Luftabwehr längst nicht mehr in der Lage, das Reichsgebiet zu verteidigen. Die Alliierten erreichten ihr Ziel der Demoralisierung jedoch nicht, und viele Deutsche klammerten sich in Verzweiflung an die Hoffnung auf einen „Endsieg“.<br />
<br />
<!-- Auszug aus „Winston Churchill“. Der späte Held, eine Biographie von Thomas Kielinger, erschienen im Verlag C.H. Beck, Kapitel XY, Seite 301 ff.: Nach dem Kriege stand eine andere Verantwortung Churchills im Vordergrund – „für die Vernichtung von nahezu 60 der größten Städte Deutschlands“. „Mit dem Untergang Dresdens sind auch nachdenkliche Briten bis heute nicht fertig. Die Zweifel, ob die Zerstörung dieser und anderer Städte so kurz vor dem nahen Kriegsende zu rechtfertigen war, haben sich längst zu dem Urteil verdichtet: Sie war es nicht! ... Hilft es zur Erklärung darauf hinzuweisen, dass in der Schlussphase des Krieges deutsche V1- und V2-Waffen weiterhin Zerstörung auf Antwerpen, Paris und London regnen ließen? Eine V2 schlug noch am 27. März 1945 im Osten Londons ein und tötete 134 Menschen. Die britische öffentliche Meinung hätte es nicht verstanden, wenn die mili-tärische Führung auf Schonung des Gegners geschaltet hätte, wo dieser bis zum Ende Vernichtung spie.“<br />
<br />
„Aber die alte Frage bleibt, die Lothar Kettenacker 2003 in dem Sammelband „Ein Volk von Opfern?“ noch einmal stellte – „ob der Zweck die Mittel heiligt, ob die Beseitigung einer unheilvollen Diktatur die rücksichtslose Bombardierung der Bevölkerung rechtfertigt. Unbehagen äußerte Churchill selbst schon 1943, als ihm Bilder von den Auswirkungen der Bomben in Deutschland vorgelegt wurden ...“ Der Australier Ricard Casey, der an den Sitzungen des britischen Kriegsrates ... teilnahm, schrieb am 27. Juni 1943 in sein Tagebuch: „Es wird ein Film gezeigt über das nächtliche Bombardement einer deutschen Stadt, und plötzlich richtet sich Churchill steil in seinem Sessel auf und sagt zur mir: ‚Sind wir Bestien? Gehen wir nicht zu weit? <br />
<br />
Churchills Meinungen zum Bombenkrieg gegen Deutschland schwankten. Nach der Zerstörung Dresdens begegnet man bei ihm, spät, einer eindeutigen Ablehnung, so in dem berühmten Memorandum vom 28. März 1945:‚Der Moment scheint mir gekommen, wo die Frage der Bombardierung deutscher Städte zum Zwecke der Erhöhung des ''''terrors'''' (in Englisch mit der Bedeutung von Angst und Schrecken) auch wenn wir andere Vorwände nennen, überprüft werden sollte... Es ist nötig, dass wir uns mehr auf militärische Ziele konzentrieren wie Öllager und Kommunikationszentren hinter der unmittelbaren Kampfzone, statt auf Akte des reinen terrors und der mutwilligen Zerstörung’.“<br />
„Nicht umsonst nannte man Harris auch den ‚butcher’, den Metzger. . . Schon Max Hastings (stockkonservativer Historiker) nannte in seinem Klassiker von 1979 ‚Bomber Command’ die Auslöschung deutscher Städte noch im Frühjahr 1945 ‚einen bleibenden Schandfleck’,“ soweit Kielinger. Nach Kriegsende zog sich Harris verbittert nach Südafrika zurück, weil er sich nicht gebührend geehrt vorkam. Luftangriffe hatte Harris als „relativ humane Methode“ bezeichnet. Butcher wurde er nicht wegen der zivilen Bombenopfer in Deutschland genannt, sondern weil 55 000 Angehörige des Bomber Command vom Feindflug nicht heimkehrten – jeder zweite Pilot und Bordschütze. --><br />
<br />
Im März 1945 hatte sich das Angriffstempo der US-Streitmacht im Vergleich zu den Vormonaten verlangsamt.<ref name="Gewiger158">Geiger: ''Nordhausen im Bombenvisier''. S. 158 f.</ref> Um dennoch den Stoß in das Zentrum Deutschlands als strategisches Ziel zügig fortzuführen, waren die Westalliierten zum Einsatz aller Mittel entschlossen, auch in Anbetracht eventuell noch bevorstehender Kämpfe und Widerstand im Südharz. Die Stadt Nordhausen erhielt daher militärische Bedeutsamkeit für die 1. US-Armee, auch wegen des Verschiebebahnhofs für Truppenbewegungen. Der unterirdische Rüstungsbetrieb im [[Kohnstein]] und das [[Konzentrationslager Dora Mittelbau]] wurden dagegen nie zum Ziel von Luftangriffen. <br />
<br />
Nordhausen und Umgebung wurden Ende 1944 von britischen Fernaufklärern nachts unter tagheller Beleuchtung durch Magnesiumbomben sorgfältig aus der Luft fotografiert.<ref>Manfred Schröter: ''Die Zerstörung Nordhausens''. Nordhausen 1988, S. 55</ref> Die Bombardierung von Nordhausen wurde am 2. April 1945 vom Alliierten Oberkommando (SHAEF) befohlen.<ref name="Gewiger158"/> Gefordert wurde ein Angriff zur Unterstützung der 1. US-Armee mit Priorität zur frühestmöglichen Gelegenheit. Einige Tage zuvor wurde vom SHAEF die Zerstörung durch die RAF beschlossen.<ref>Manfred Schröter: ''Die Zerstörung Nordhausens''. Meyenburg-Museum Nordhausen, 1988, S. 54–55</ref><br />
<br />
Dieses, geführt von Luftmarschall Arthur Harris, erteilte am 2. April den unmittelbaren Befehl für einen Doppelschlag an zwei Tagen.<ref>Walter Geiger: ''Nordhausen im Bombervisier''. Nordhausen 2000, S. 108–109</ref> Der Zweck der RAF-Angriffe im April 1945 bestand darin, den Weg für einen ungehinderten Vormarsch von der im Südharzer Raum erwarteten Gegenwehr freizumachen. 3.466 britische Soldaten sollten als fliegendes Personal an den Angriffen teilnehmen. Ihnen wurde als Ziel des Angriffs erklärt: „To kill military and Nazi personnel evacuated from Berlin to these barracks“ (gemeint das Areal der Boelcke-Kaserne und die Stadt Nordhausen).<ref>Geiger: ''Nordhausen im Bombenvisier''. S. 121 </ref><br />
<br />
<!-- Bitte Quelle angeben!(Wie aus dem Text eindeutig hervorgeht: Der genannte Journalist und Gesprächspartner Dr. Meyers!) Der gebürtige Nordhäuser [[Manfred Neuber]], als Journalist von 1960 bis 1963 in London und New York, recherchierte als erster bei der Royal Air Force und der US Air Force über die Luftangriffe auf Nordhausen. Aus den detaillierten Angaben ging hervor, dass allein Bomber der Royal Air Force Nordhausen angegriffen hatten. Die SED-Propaganda hatte behauptet, es habe sich um „amerikanische Terrorangriffe“ gehandelt. So stand es auch Jahre auf der Gedenkstele für die Opfer der Luftangriffe neben dem Alten Rathaus. Neuber hatte Gelegenheit, im Jahre 1964 in Bad Lauterberg mit Dr. [[Herbert Meyer]], Oberbürgermeister Nordhausens vor Kriegsende 1945, über die Bombenangriffe zu sprechen. Dabei widerlegte Meyer noch Jahre nach dem Kriege kursierende Gerüchte, die Luftangriffe hätten eigentlich der Stadt Gotha gelten sollen. Weil die Verantwortlichen dort kapituliert hätten, sei Nordhausen angegriffen worden, weil es nicht ebenso gehandelt habe. Meyer versicherte, es habe keine Aufforderung zur Übergabe der Stadt gegeben. Zum Zeitpunkt der Luftangriffe standen die US-Panzerspitzen noch im Raume Kassel. --><br />
<br />
=== Vermutungen und Gerüchte über den Großangriff ===<br />
<br />
* Nordhausen soll Aufforderung zur kampflosen Übergabe ausgeschlagen haben.<br />
** Der Nordhäuser Oberbürgermeister bei Kriegsende, [[Herbert Meyer]], widersprach dieser Darstellung in einem Gespräch mit dem Journalisten Manfred Neuber um 1964 in Bad Lauterberg: „An die Stadtverwaltung ist niemals bis zu den Angriffen eine Aufforderung der Amerikaner ergangen, Nordhausen zur offenen Stadt zu erklären. Ich möchte bezweifeln, dass sie an Kreisleiter Nentwig ergangen ist.“<ref name="Sting252">Heinz Sting: ''Das 1000-jährige Nordhausen und der schöne Südharz''. Hannover: Nordhäuser Heimatfreunde, 1965. S. 252.</ref> In den ersten April-Tagen 1945 standen die Panzerspitzen von US-General Patton noch vor Kassel, seine Truppen nahmen zu der Zeit gerade Fulda und Bad Hersfeld, Wasungen und Meiningen ein.<br />
* Nordhausen wurde durch die US-Luftwaffe zerstört.<br />
** Es ist unbestritten und belegt, dass britische Bomber die Stadt zerstörten. „Die Einsatzbefehle der 8. US-Luftflotte sahen weder am 3. noch am 4. April 1945 Nordhausen als Ziel vor. Die Operationsberichte der 8. Luftflotte geben auch keinen Großangriff auf Nordhausen an einem dieser beiden Tage an. Der Hauptzielplan für die amerikanischen Heeresflieger in Europa während des Zweiten Weltkrieges führt ebenfalls keinen Angriff auf Nordhausen im April 1945 auf“, teilte das amerikanische Aerospace Studies Institute auf Anfrage des Journalisten Manfred Neuber zu Beginn der 1960er Jahre schriftlich mit. „Aus anderen Quellen ist zu entnehmen“, gab der Leiter für geschichtliche Studien an diesem Institut der US Air Force University auf der Maxwell Air Base in Montgomery/Alabama, bei den Recherchen des Journalisten zu Protokoll, „dass am 3.und 4 .April 1945 vom Bomber Command der Royal Air Force schwere Angriffe auf Nordhausen geflogen wurden.“ Diese Angaben wurden von der Air Historical Branch im britischen Verteidigungsministerium (damals noch Ministry of War) dem Rechercheur bestätigt. Alle hier aufgeführten Originaldokumente wurden dem Stadtarchiv Nordhausen übergeben.<br />
<br />
* Nordhausen wurde anstelle Gothas bombardiert.<br />
** Diese Behauptung wurde u. a. von [[Kurt Kohlmann]] aufgestellt. So berichtete er von zwei US-Offizieren, die entsprechende Aussagen getätigt haben sollen: „Sie erzählten mir, der Kreisleiter von Nordhausen sei dreimal aufgefordert worden zu kapitulieren. Nachdem die Faschisten das dritte Mal abgelehnt hätten, sei ein auf Gotha angesetzter US-amerikanischer Bomberverband nach Nordhausen umgeleitet worden.“<ref name="Rudloff138">Jost-Dieter Rudloff: ''Warum wurde Nordhausen eine Woche vor Kriegsende 1945 in Brand gesetzt? Informationen und Überlegungen''. In: ''Beiträge zur Geschichte aus Stadt und Kreis Nordhausen (Band 44/2019)'', S. 138.</ref> Dies wurde ebenfalls von Herbert Meyer als unglaubwürdig zurückgewiesen.<ref name="Sting252"/><br />
<br />
* Nordhausen wurde wegen der Raketen-Produktion im Kohnstein bombardiert.<br />
** Den Alliierten war bekannt, dass sich im Kohnstein ein Rüstungsbetrieb befand, nicht jedoch, dass dort die V-Waffen gefertigt wurden.<ref>Jürgen Möller: ''Konzentrationslager Mittelbau-Dora''. Bad Langelsalza 2018, S. 33.</ref> Der Kohnstein war wegen der Kriegsgefangenenlager kein Angriffsziel.<ref name="Rudloff138"/><br />
<br />
* Die Nordhäuser Bevölkerung sollte wegen dem Konzentrationslager Dora-Mittelbau bestraft werden.<br />
** Dies wird durch kein Dokument der Alliierten bestätigt.<br />
<br />
* Nordhausen wurde aus militärischen Gründen bombardiert.<br />
** Die Stadt war verkehrstechnischer Knotenpunkt und Mittelpunkt der Nordthüringer Rüstungsindustrie und wurde auch von der deutschen Armeeführung als wichtig wahrgenommen.<ref name="Rudloff140">Jost-Dieter Rudloff: ''Warum wurde Nordhausen eine Woche vor Kriegsende 1945 in Brand gesetzt? Informationen und Überlegungen''. In: ''Beiträge zur Geschichte aus Stadt und Kreis Nordhausen (Band 44/2019)'', S. 140.</ref> Für das US-Militär bildete die Stadt kein strategisches Ziel mehr.<ref name="Rudloff140"/> Die Stadt Nordhausen erhielt militärische Bedeutsamkeit für die Bodentruppen der 1. US-Armee, auch wegen des Verschiebebahnhofs für Truppenbewegungen. Die Schonung der Rüstungsbetriebe mit ihrem Personal ergab sich aus der Hoffnung, möglichst viele Waffen und Fachkräfte zu erbeuten.<ref name="Rudloff140"/> Es gibt keinen Hinweis darauf, dass Nordhausen aus militärischen Gründen bombardiert wurde.<ref name="Rudloff140"/> (Doch: im SHAEF-Befehl ausdrücklich erwähnt)<br />
<br />
== Aufarbeitung und Gedenken ==<br />
=== 1945 bis 1990 ===<br />
==== DDR ====<br />
Bis zur Wiedervereinigung hielt sich die Behauptung, die United States Air Force habe Nordhausen am 3. und 4. April 1945 bombardiert. Zum einen wurde der US-Luftwaffe vorgehalten, dass die Angriffe auf Nordhausen ein Akt blinder Zerstörung und militärisch sinnlos gewesen seien, da das Ende des Dritten Reiches absehbar war. Andererseits wurde mit der „Gotha-Legende“ behauptet, dass Nordhausen bis zum Letzten verteidigt werden sollte und es deshalb zum Luftangriff kam. Damit wurde die Verantwortlichkeit für das Bombardement wahlweise den lokalen NS-Amtsträgern oder den USA zugeschrieben. <br />
<br />
Ein Interesse an einer realistischen Rekonstruktion hatte die SED auch aufgrund der Situation des Kalten Krieges nicht.<br />
Zum 40. Jahrestag der Luftangriffe wurde in der Lokalpresse erstmals von „250 britischen Lancaster-Maschinen“ berichtet.<ref>„Die Zerstörung Nordhausens - Mahnung und Verpflichtung“, ''Das Volk'', 2. April 1985.</ref> Eine Korrektur der Geschichte fand jedoch nicht statt, und auch danach war mitunter vom „Zerstörungsangriff amerikanischer Bomber“ die Rede.<ref>''Unser Aktuelles Argument'', April 1985.</ref> Für die in der DDR-Propaganda kolportierte öffentliche Erinnerung erklärt sich aus dem politischen Bedürfnis, die „imperialistischen“ Angreifer als möglichst grausam und skrupellos erscheinen zu lassen, im Sinne antiamerikanischer Propaganda.<ref name="Winter63">Winter: ''Öffentliche Erinnerungen an den Luftkrieg in Nordhausen 1945 - 2005''. Marburg: Tectum-Verl., 2010. S. 63.</ref> <br />
Mit Verweis auf die Luftangriffe auf Nordhausen wurde auf tatsächliche oder vermeintliche aktuelle militärische Bedrohungen oder Konflikte Bezug genommen, z. B. auf den Vietnamkrieg. <br />
<br />
Insgesamt war die Nordhäuser Luftkriegserinnerung gekennzeichnet von einer eigentümlichen „Verwischung der Grenze zwischen Faktizität und Fiktionalität“, die nach dem Historiker Martin Sabrow typisch für das Geschichtsdenken in der DDR war.<ref>Martin Sabrow: ''Einleitung - Geschichtsdiskurs und Doktringesellschaft'', Potsdam: Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam (ZZF), 2000. S. 24.</ref><br />
<br />
Der Versuch einer wirklichen Aufarbeitung in der DDR wurde erstmals 1985 angestoßen, als [[Manfred Schröter]] anlässlich des 40. Jahrestages eine Publikation veröffentlichen wollte. Darin wurde dargelegt, dass die RAF und nicht die USAF für den Angriff im April 1945 verantwortlich gewesen war. Nachdem Schröters Buch nach Begutachtung und Korrektur durch den Historiker Olaf Groehler sowie der SED-Kreisleitung und Bezirksleitung in Druck gegangen war, konfiszierte die Kreisleitung am 29. März 1985 die gesamte Auflage und verhinderte eine Veröffentlichung.<ref name="Winter62">Winter: ''Öffentliche Erinnerungen an den Luftkrieg in Nordhausen 1945 - 2005''. Marburg: Tectum-Verl., 2010. S. 62.</ref> Vorausgegangen war ein öffentlicher Vortrag Schröters am 14. März 1985, in dem er seine Ergebnisse (im Beisein von Stasi-Spitzeln) vorstellte.<br />
<br />
Das Gedenken an die Luftangriffe wurde zu DDR-Zeiten auch stark mit dem Wieder- bzw. Neuaufbau der Stadt verwoben. In den ersten Jahren nach dem Krieg wurde vor allem zur Mithilfe agitiert, um durch das „Aufbauwerk“ einer „glücklichen, friedlichen und sonnigen Zukunft“ entgegenzutreten.<ref>„Aufbauerfolge dürfen nicht preisgegeben werden,“ ''Das Volk'', 7. April 1953.</ref> Ab Ende der 1950er Jahre verwies die SED auf die bisher erzielten Erfolge. Zum 40. Jahrestag der Bombardierung 1985 behauptete Oberbürgermeister [[Peter Heiter]], dass die Jahre des Sozialismus die erfolgreichsten in der über tausendjährigen Stadtgeschichte gewesen seien und verwies auf die Rolle der Partei als entscheidender Faktor für das Erreichte.<ref name="Winter81">Winter: ''Öffentliche Erinnerungen an den Luftkrieg in Nordhausen 1945 - 2005''. Marburg: Tectum-Verl., 2010. S. 100.</ref> <br />
Ein wichtiges Großereignis war die Instandsetzung des [[St.-Petri-Kirche|Petri-Turms]] mit einer neuen Turmspitze zum 42. Jahrestag 1987 als „wiedererstandendes Wahrzeichen“.<ref>„Kupferhelm für den Petriturm“, ''Das Volk'', 7. April 1987.</ref><br />
In der Festschrift (1050 Jahre Nordhausen", 1977 herausgegeben vom Magistrat, heißt es: "Für den ausgesprochenen Terrorcharakter der anglo-amerikanischen Luftangriffe spricht auch, dass die Hauptstraßen des Schienen- und Straßenverkehrs funktionstüchtig blieben und die militärischen Anlagen der Stadt, insbesondere das Flugplatzgelände, weiter den Machthabern des Dritten Reiches für ihre verbrecherische Politik zur Verfügung standen."<br />
Die Festschrift hebt hervor: "Das heutige Nordhausen entwickelt sich dank der schöpferischen und angestrengten Arbeit der Arbeiterklasse und aller Bürger unserer Stadt, auf festen sozialistischen Fundamenten. Ständig entsteht Neues, man braucht sich nur umzuschauen." Dagegen bemerkte das "Bad Lauterberger Tageblatt" (Ausgabe vom 3./4. April 1985, Seite 3): "Der Wiederaufbau Nordhausens begann erst sehr spät und sehr schleppend. Noch immer bildet der alte Stadtkern eine weithin kahle Fläche."<br />
<br />
==== BRD ====<br />
<br />
In der Bundesrepublik wurde das Gedenken von dem Verein [[Nordhäuser Heimatfreunde]] getragen. Die erste gedruckte Ausgabe der Vereinszeitung ''[[Nordhäuser Nachrichten]]'' widmete sich der Zerstörung Nordhausens, und auch in den folgenden Jahren bildete es ein wiederkehrendes Themenfeld mit zahlreichen Erlebnisberichten. Die Rolle des Vereinsvorsitzenden und früheren Nordhäuser NSDAP-Oberbürgermeisters [[Heinz Sting]] zum Gedenken wird kritisch gesehen.<ref name="Winter83">Winter: ''Öffentliche Erinnerungen an den Luftkrieg in Nordhausen 1945 - 2005''. Marburg: Tectum-Verl., 2010. S. 83 ff.</ref> So sei Sting zwar bemüht gewesen, klarzustellen, dass nicht die US-Luftwaffe die Stadt bombardierte, doch zeigte er sich auch bestrebt, die Rolle des Nationalsozialismus zu relativieren.<br />
<br />
Diese historischen Fakten hatte der Journalist [[Manfred Neuber]] schon vor 1965 in US- und britischen Archiven ermittelt und publiziert (''Bad Lauterberger Tageblatt'' um 1964 und am 3./4. April 1985 in „Das Drama von Nordhausen“, in der ''Herzberger Zeitung'' und im späteren ''HarzKurier'' in Herzberg, im ''Göttinger Tageblatt'' sowie Erwähnung in den ''Nordhäuser Nachrichten'').<br />
[[Herbert Meyer]], Oberbürgermeister Nordhausens in den letzten Kriegstagen und später Stadtdirektor in Bad Lauterberg, versicherte Manfred Neuber 1963 in einem Gespräch über dessen Recherchen in Großbritannien und in den USA, die Stadt Nordhausen habe keine Aufforderung der Alliierten erhalten, Nordhausen zur offenen Stadt zu erklären. Eine Entscheidung darüber hätte auch nicht in seiner Kompetenz gelegen: „Ob eine solche Aufforderung an den Kreisleiter Hans Nentwig ergangen ist und ob dieser sich geweigert hat, ihr nachzukommen, weiß ich nicht. Ich möchte es aber bezweifeln“, erklärte Meyer (Originalzitat in den Aufzeichnungen über das Treffen). Der NSDAP-Kreisleiter [[Hans Nentwig]] hatte das Bombardement in seiner Ausweich-Befehlsstelle unbeschadet überstanden. Er lebte in der Nachkriegszeit in Katlenburg. Von der marxistischen Geschichtsschreibung in der DDR wurde ihm wegen „seiner verbrecherischen Durchhalte-Politik“ eine Hauptschuld an der Zerstörung Nordhausens zugeschrieben.<br />
<br />
=== Seit 1990 ===<br />
<br />
Der 50. Jahrestag der Luftangriffe 1995 wurde mit einer Gedenkwoche unter der Losung „Nordhausen 1945: Erinnerung – Trauer – Mahnung“ weitaus größer begangen als die Jahre zuvor. 1993 hatte das Stadtarchiv angekündigt, diverse Maßnahmen einzuleiten, um ein würdiges Gedenken zu gewährleisten. Darunter zählte das Sammeln von Zeitzeugenberichten, realisierte Veranstaltungen und Projekte sowie die Planung einer Publikation zum Thema. Am 30. März 1995 wurde eine Metallplastik auf der oberen Plattform des Petri-Turms enthüllt und einen Tag später eine Ausstellung mit Fotos und Dokumenten eröffnet. Zudem erschien unter der Leitung des Stadtarchivars [[Peter Kuhlbrodt]] das Buch ''[[Schicksalsjahr 1945 – Inferno Nordhausen]]''. In den folgenden Tagen wurde ein ökumenischer Gedenkweg abgehalten, es gab Kranzniederlegungen am Gedenkstein auf dem Hauptfriedhof, dem Ehrenfriedhof und an der Boelcke-Kaserne. Begleitet wurde das Gedenken mit einer umfassenden Berichterstattung in der Presse, die auch überregional wirkte. <br />
<br />
Nach dem Jahr 1995 wurden die Jahrestage der Luftkriegserinnerung weitaus kleiner begangen.<ref name="Winter100"/> Ab Ende der 1990er Jahre erfolgte wieder eine allgemeine Repolitisierung der Luftkriegserinnerung.<ref name="Winter100">Winter: ''Öffentliche Erinnerungen an den Luftkrieg in Nordhausen 1945 - 2005''. Marburg: Tectum-Verl., 2010. S. 100.</ref> Es zeigte sich, dass sich die öffentliche Erinnerung mehr auf gegenwärtige Ereignisse als auf die Jahre des Zweiten Weltkrieges zu beziehen schien; so werden stärkere Bezüge zu außenpolitischen Themen<ref>Winter: ''Öffentliche Erinnerungen an den Luftkrieg in Nordhausen 1945 - 2005''. Marburg: Tectum-Verl., 2010. S. 101.</ref> oder Exkurse zum Rechtsextremismus hergestellt.<ref>[https://www.nnz-online.de/news/news_lang.php?ArtNr=108899 Zum Umgang mit der Bombardierung], nnz-online, 3. April 2012.</ref> Im Vergleich zu DDR-Zeiten wurde das Spektrum der Erinnerungsakteure erweitert, und vor allem die Kirche rückte in den Vordergrund. <br />
<br />
Seit den 2000er Jahren wird der Jahrestag der Luftangriffe mit der üblichen Kranzniederlegung an der Gedenkstele am Rathaus begangen. Seit 2017 werden statt Kränzen weiße Rosen niedergelegt.<ref>[https://www.nnz-online.de/news/news_lang.php?ArtNr=209936 Gedenken an der Stele], nnz-online, 3. April 2018.</ref> Im Gegensatz zu DDR-Zeiten werden Schuldzuweisungen an die Westalliierten weniger offen aggressiv und ideologisch untermauert vorgebracht.<ref>Winter: ''Öffentliche Erinnerungen an den Luftkrieg in Nordhausen 1945 - 2005''. Marburg: Tectum-Verl., 2010. S. 110.</ref><br />
<br />
=== Denkmäler ===<br />
[[File:Denkmal Bombenangriffe Nordhausen - Mai 2015.JPG|200px|thumb|Mahnmal am Alten Rathaus]]<br />
[[File:Gedenkstein Nordhausen.jpg|mini|200px|Gedenkstein am Massengrab für 600 Bombenopfer auf dem [[Zentralfriedhof an der Leimbacher Straße|Alten Friedhof]]]]<br />
* Mahnmal für die Opfer der Bombardierungen vor dem [[Altes Rathaus|Alten Rathaus]]: 1950 wurde ein Gedenkstein und eine Flammenschale am Sockel des früheren [[Lutherdenkmal]]s angebracht. Es trug die Inschrift: „4.4. 1945 - Zerstörung Nordhausens durch amerikanische Bomber - 8800 Opfer klagen an“ (''Amerikanische'' Bomber war falsch). 1969 wurde dieses Denkmal durch eine Säule des Künstlers Jürgen von Woyski ersetzt.<br />
* Auf dem [[Ehrenfriedhof]] westlich des ''Stresemann-Rings'' befindet sich ein 1999 umgestaltetes Denkmal in Erinnerung an die hier in Massengräbern beigesetzten über 1.600 KZ-Häftlinge, zum größten Teil Opfer der Luftangriffe auf die Boelcke-Kaserne am 3. und 4. April 1945. Viele Nordhäuser zivile Bombenopfer und Soldaten wurden auf dem nördlichen Teil des Sonderfriedhofs, des jetzigen Ehrenfriedhofs, oberhalb des Denkmals in Massengräbern beerdigt.<ref>Manfred Schröter: ''Die Zerstörung Nordhausens''. Nordhausen: Meyenburg-Museum, 1988. S. 59</ref><br />
* Auf dem ''Hauptfriedhof'' findet sich ein Denkmal, das die zusammenfassende Inschrift trägt: „Zum Gedenken an die Gefallenen und Vermissten beider Weltkriege, die Toten der Bombenangriffe, die Opfer aller Gewaltherrschaft. Die Bürger der Stadt Nordhausen“. Links seitlich von dem Denkmal, vor dem begrenzenden Zaun, wurde eine größere Anzahl von Bombentoten in Gemeinschaftsgräbern beigesetzt.<ref> Manfred Schröter: ''Die Zerstörung Nordhausens''. Nordhausen: Meyenburg-Museum, 1988. S. 59-60 </ref> Dort stehen noch einige große Kreuze, die wohl darauf hinweisen.<br />
<br />
== Zitate ==<br />
<br />
* „Das Ausmaß des Schreckens, der Verwüstung und des Todes, von dem unsere Stadt an jenen Apriltagen erfasst wurde, macht sie praktisch zu einem Synonym für die japanischen Städte Hiroshima und Nagasaki. Denn vergleicht man auf Airfotos ihre zerstörten Zentren, so lässt sich schwerlich ein gradueller Wirkungsunterschied erkennen.“ – ''[[Walter Geiger]]: [[Nordhausen im Bombenvisier]], S. 154.''<br />
* „Nordhausen wurde am 3. und 4. April 1945 zerstört, weil der ehrgeizige britische Luftmarschall Sir Arthur Harris dem britischen Volk und den Alliierten zeigen wollte, dass sein "Bomber Command" das Handwerk des Tötens von deutschen Menschen perfektioniert hatte. Er löste einen furchtbaren Flächenbrand aus mit den stärksten Mitteln, die ihm zur Verfügung standen. Besonders verwerflich ist, dass er die Bombenziele auf die Nordhäuser Altstadt konzentrierte. Infam ist auch, dass er noch in den letzten Kriegstagen die Altstadt von Nordhausen mit einer nie vorher verwendeten Bomben-Mischung auslöschte. Er handelte trotzig wie ein Kind, dem man das Spielzeug wegnehmen will. Harris wollte sich in letzter Stunde in Nordhausen ein Denkmal aus Leichen und Ruinen setzen.“ – ''[[Jost-Dieter Rudloff]]: Warum wurde Nordhausen eine Woche vor Kriegsende 1945 in Brand gesetzt? Informationen und Überlegungen. In: [[Beiträge zur Geschichte aus Stadt und Kreis Nordhausen (Band 44/2019)]], S. 141.''<br />
<br />
== Literatur ==<br />
*Jost-Dieter Rudloff: ''Warum wurde Nordhausen eine Woche vor Kriegsende 1945 in Brand gesetzt? Informationen und Überlegungen''. In: ''[[Beiträge zur Geschichte aus Stadt und Kreis Nordhausen (Band 44/2019)]]''.<br />
*Harald Rockstuhl (Hrsg.): ''[[Nordhausen – Luftbild-Atlas 1935–1945]]''. Bad Langensalza: Verlag Rockstuhl, 2017. ISBN 978-3959662833<br />
*[[Walter Geiger]]: ''[[Nordhausen im Bombervisier]]''. Nordhausen: Neukirchner, 2000. ISBN 3-929767-43-0<br />
*Olaf Groehler: ''Bombenkrieg gegen Deutschland''. Berlin: Akad.-Verl., 1990. ISBN 3-05-000612-9<br />
*[[Peter Kuhlbrodt]]: ''[[Inferno Nordhausen – Schicksalsjahr 1945]]''. Nordhausen: Archiv der Stadt Nordhausen, 1995. ISBN 3-929767-09-0<br />
*[[Martin Clemens Winter]]: ''[[Öffentliche Erinnerungen an den Luftkrieg in Nordhausen 1945 - 2005]]''. Marburg: Tectum-Verl., 2010. ISBN 9783828822214 <br />
*''Schicksale deutscher Baudenkmale im Zweiten Weltkrieg''. (Bd. 2) Berlin: Henschelverlag Kunst u. Gesellschaft, 1978.<br />
<br />
== Externe Verweise ==<br />
* [https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/1/1f/Nordhausen_concentration_camp_newsreel.webm Filmaufnahmen von der Boelcke-Kaserne (1945)]<br />
<br />
== Einzelnachweise ==<br />
<br />
<references/><br />
<br />
[[Kategorie:Geschichte]]</div>Latimer Rexhttps://nordhausen-wiki.de/index.php?title=Mundart-W%C3%B6rterbuch_Nordhausen&diff=15690Mundart-Wörterbuch Nordhausen2020-02-10T15:51:32Z<p>Latimer Rex: /* A */</p>
<hr />
<div>[[Datei:Dialekte Thüringen.svg|thumb|Verbreitungsgebiete der Dialekte in Thüringen. Der in Nordhausen gesprochene Dialekt (''Nordhiesisch'', zuweilen auch ''Nordhäuserisch'') gehört zum '''[[Nordthüringisch]]en'''.]]<br />
Das '''Mundart-Wörterbuch Nordhausen''' bietet eine alphabetische Auflistung von Wörtern bis hin zu Redewendungen und Sprichwörtern aus dem Landkreis Nordhausen. Die Sammlung erhebt nicht den Anspruch auf Vollständigkeit und ist nicht nach sprachwissenschaftlichen Gesichtspunkten erstellt. '''[http://nordhausen-wiki.de/index.php?title=Mundart-W%C3%B6rterbuch_Nordhausen&action=edit Helfen Sie mit!]''' Verfassen Sie neue Beiträge und erweitern oder korrigieren Sie bestehende. Fragen Sie Ihre Bekannten, Eltern und Großeltern nach bereits vergessenen oder selten gehörten Wörtern des ''Nordhiesischen''.<br />
<big>{{TOC Artikel}}</big><br />
= '''A''' =<br />
{| class="wikitable sortable"<br />
|- class="background:#f0f0f0" <br />
!style="width:60px"| Hochdeutsch !! style="width:60px" | Nordhiesisch<br />
|-<br />
| Aal||Aalert<br />
|-<br />
| Aas||Aast, Aester<br />
|-<br />
| abbekommen||objekriehe<br />
|-<br />
| Abend||Oobent<br />
|-<br />
| Abendbrot||Oobenbrut<br />
|-<br />
| abends||obens<br />
|-<br />
| aber||awwer, abber, abberst<br />
|-<br />
| abhetzen||(ab)jachtern<br />
|-<br />
| abmühen||obmarachen<br />
|-<br />
| abschneiden||obsaeweln<br />
|-<br />
| absolut||abselute<br />
|-<br />
| Abwechslung||Obwäxelung.Obwaejselung<br />
|-<br />
| Ach du meine Güte!||Herjemerschne!<br />
|-<br />
| Ader||Adder<br />
|-<br />
| Adieu||Hadjes<br />
|-<br />
| Adler||Aadelaer, Adlär<br />
|-<br />
| Ahorn||Maselder<br />
|-<br />
| alle zusammen||de ganze Hope, alle Hope<br />
|-<br />
| Altendorf, Stadtteil||Oolndorf<br />
|-<br />
| Altentor||Ohlenthor<br />
|-<br />
| Alter||Ooler<br />
|-<br />
| am Verstand zweifeln||er hat ‘n Fipp<br />
|-<br />
| Ameise||Hommeißel<br />
|-<br />
| anbieten||ahnsärwiern<br />
|-<br />
| anbinden, festmachen||fästknäpln<br />
|-<br />
| anders||annerschter<br />
|-<br />
| anerkennen||färästemiere, ästimieren<br />
|-<br />
| Anfang, Beginn||Beginichen<br />
|-<br />
| anfassen, unnützes||maere<br />
|-<br />
| Angst haben||Bammel<br />
|-<br />
| an kommen, anfahren||ahnzockeln<br />
|-<br />
| anmelden||ahnmälln<br />
|-<br />
| anschauen||aangucken<br />
|-anziehen ahnträckn, ahnstreckn<br />
-Anzug Brutenrock<br />
-Apfel, Äpfel / Appel, Oppel<br />
| Aufräumen, Saubermachen||Uffroimung<br />
|-<br />
| aufschlagen, krachen||schnaape<br />
|-<br />
| aufstapeln||banse, bansn<br />
|-<br />
| aufstellen||uffschtalln<br />
|-<br />
| Aufzug||Uffzugk(e)<br />
|-<br />
| Auge||Aue, Eiweltchen<br />
|-<br />
| Augen||Klüpen, Klupschen, Glotzen, Auen<br />
|-<br />
| aus||uhß, uuß, vß (v = u)<br />
|-<br />
| Ausdruck, Ausdrücke, Begriff(e)||Uhsdruck, Uhsdrucke<br />
|-<br />
| Ausflug, Ausflüge||Usfluch, Usfliche<br />
|-<br />
| ausgiebig frühstücken||n Schtinnechen friehschticke<br />
|-<br />
| Auskunft||Uhskunneft<br />
|-<br />
| ausschwenken, säubern||schelchn<br />
|-<br />
| aussortieren, vereinzeln||separiern<br />
|-<br />
| Aussteuer||Uhsschteier, Uhsschteuer<br />
|-<br />
| Auswärtiger||Ussewärtjer<br />
|-<br />
| Ausweg||Uhswäck<br />
|-<br />
| auswendig||vßßewönneg (v = u)<br />
|-<br />
| Automobil||Autemoppel, Autemoppäl<br />
|-<br />
| Axt||Hackebiel<br />
|-<br />
|}<br />
<br />
= '''B''' =<br />
<br />
{| class="wikitable sortable"<br />
|- class="background:#f0f0f0" <br />
!style="width:60px"| Hochdeutsch !! style="width:60px" | Nordhiesisch<br />
|-<br />
| Bachstelze||Ackermennichen<br />
|-<br />
| Bad Sachsa||Bad Sachse<br />
|-<br />
| Bahnsteig||Perong<br />
|-<br />
| bald||bohle, boolichen<br />
|-<br />
| baldmöglichst||ieweste<br />
|-<br />
| Bank, Bänke||Bongk, Benge<br />
|-<br />
| barfuß||barweß<br />
|-<br />
| Barfüßerstraße||Barwessen<br />
|-<br />
| Barometer||Bergemeter<br />
|-<br />
| Bart||Borth<br />
|-<br />
| Bauch||Buchch<br />
|-<br />
| Bauer(n)||Bur(en), Buhren, Buern, Buuer<br />
|-<br />
| Baugerüst||Boujerist<br />
|-<br />
| Baum, Bäume||Beime, Beimer<br />
|-<br />
| Baumstamm, jung||Reitel, Knebel<br />
|-<br />
| beben||böbbere, päppern<br />
|-<br />
| Beefsteak, Hackbraten||Beffschtick<br />
|-<br />
| Beeile dich, er kommt!||Moch haen, do kämmete!<br />
|-<br />
| beeilen||schwingn, schwinge<br />
|-<br />
| bei||by, bii<br />
|-<br />
| beibringen, etwas lehren||biejebränge<br />
|-<br />
| beieinander (sein)||bie, bienanner<br />
|-<br />
| Beifuß||Biiwest<br />
|-<br />
| beinahe||binoh, bynoo<br />
|-<br />
| beiseite (gehen)||biesiete<br />
|-<br />
| bekannt||bekönnt<br />
|-<br />
| bekommen||krein, jekräh<br />
|-<br />
| Beleuchtung||Belichtunk <br />
|-<br />
| Berg, Hügel||Bärgk<br />
|-<br />
| berühren, tupfen, antippen||tippe<br />
|-<br />
| Bescherung||Bescheerichte<br />
|-<br />
| beschimpfen||aanranzen<br />
|-<br />
| beschütten, überlaufen||überquitschen<br />
|-<br />
| besonders||besunnersch<br />
|-<br />
| besonders schön, vornehm||schnickeldebank<br />
|-<br />
| bestreichen, auflegen||uffkliern<br />
|-<br />
| Betrieb||Betriewe<br />
|-<br />
| betrügen||behimpeln<br />
|-<br />
| betrunken, besoffen || hartballer, hortboller (Nordhäuser Jugendsprache)<br />
|-<br />
| betrunken sein||Fäste ein’n jepilpert hom(haan)<br />
|-<br />
| Bett||Bätte, Pätte, Kahn, Nest<br />
|-<br />
| Beutel, Tasche||Bittl<br />
|-<br />
| Bewegung||Bewajung, Bewäjung<br />
|-<br />
| beweisen||bewässen<br />
|-<br />
| bezahlen||blächen<br />
|-<br />
| Bibliothek||Biwelthek<br />
|-<br />
| Bier||Beer<br />
|-<br />
| Biersorte||Briehan<br />
|-<br />
| Biest||Beist<br />
|-<br />
| bis unten hin||bis ungene haenn<br />
|-<br />
| bißchen||bäschen, bässchen, linzchen<br />
|-<br />
| bissig||bießening<br />
|-<br />
| Blatt, Blätter||Blath, Bletter<br />
|-<br />
| Blei||Blöi<br />
|-<br />
| bleiben||blaewwen, bläbben, bliewen<br />
|-<br />
| Bleicherode||Blicherode<br />
|-<br />
| (nach etwas) blicken, streben||ankere, ampere<br />
|-<br />
| blühen||blieh’n<br />
|-<br />
| Blümchen||Bliemechen<br />
|-<br />
| Blume(n)||Blumme(n)<br />
|-<br />
| Boden||Bodden<br />
|-<br />
| Bohnen||Bonn<br />
|-<br />
| Bohnen, grün||Schminkebonn<br />
|-<br />
| böse, ungezogen||biese, beese<br />
|-<br />
| Bratpfanne||Schaffen<br />
|-<br />
| Bratwürste||Rostwörschtchens<br />
|-<br />
| Bratwürste, frisch gestopft||Aanläufchen<br />
|-<br />
| braun||brun<br />
|-<br />
| Braunschweig||Brunschwieck<br />
|-<br />
| Bräutigam||Pryttigam<br />
|-<br />
| brav, sehr tüchtig||braawe<br />
|-<br />
| breit||braatsch<br />
|-<br />
| Brennerei||Bränneröi<br />
|-<br />
| Brezel(n)||Präzel(n)<br />
|-<br />
| Brille||Brill, Naasenklemmer<br />
|-<br />
| bringen||brengen<br />
|-<br />
| Brot||Bruhdt<br />
|-<br />
| Brötchen||Franzbretchen<br />
|-<br />
| Brötchen, klein||Knetzel<br />
|-<br />
| Brötchen, halb, getrocknet||Schröppelchen<br />
|-<br />
| Brotteile, Endstück||Runks, Runksen, Knust, Knuust<br />
|-<br />
| Brücke||Brick(e)n, Brügn<br />
|-<br />
| Brühe, Soße||Brie<br />
|-<br />
| brüllen||bellekn<br />
|-<br />
| brutzeln, grillen||praeppeln<br />
|-<br />
| Buchhandlung||Buchhannelung<br />
|-<br />
| Büchse, Dose / auch Hose||Bickse<br />
|-<br />
| Bückling(e)||Bickinge<br />
|-<br />
| büffeln, emsig arbeiten||bvlliche(n) (v = u)<br />
|-<br />
| Bühne||Biehne<br />
|-<br />
| Bündel||Bingel<br />
|-<br />
| Burg||Bork<br />
|-<br />
| Bürger, Bewohner||Bärjer<br />
|-<br />
| Bürgersteig||Bärjerschteich<br />
|-<br />
| Bürste, groß o. Kratzbürste||Berschten, Bärschten, Kartaetschen<br />
|-<br />
| bürsten||berschten<br />
|-<br />
| Busen||Bossem<br />
|-<br />
| Butter||Botter<br />
|-<br />
| Butterklößchen,||Botterkließchens<br />
|-<br />
|}<br />
<br />
= '''C''' =<br />
<br />
{| class="wikitable sortable"<br />
|- class="background:#f0f0f0" <br />
!style="width:60px"| Hochdeutsch !! style="width:60px" | Nordhiesisch<br />
|-<br />
| Chaussee||Schorsee, Schesse<br />
|-<br />
| Clique, Rolandgruppe||Konfiefchen, Konfievchen(v = u)<br />
|-<br />
| Cousine, Base||Waasen<br />
|-<br />
|}<br />
<br />
= '''D''' =<br />
<br />
{| class="wikitable sortable"<br />
|- class="background:#f0f0f0" <br />
!style="width:60px"| Hochdeutsch !! style="width:60px" | Nordhiesisch<br />
|-<br />
| Da haben wir es!||Nune do!<br />
|-<br />
| Da liegt das Zeug!||Do läht dr Bettel!<br />
|-<br />
| da, du, die, ihr||de<br />
|-<br />
| dabei||benäbest, derbie, derbii, darbie, dodärbie<br />
|-<br />
| Dachluke||Taaqeloch, Taaqkloch<br />
|-<br />
| dafür||de(a)rfeer, doderfer<br />
|-<br />
| dagegen||de(a)rwädder<br />
|-<br />
| dahinter||de(a)rhinger<br />
|-<br />
| damals||domohls, doozemool<br />
|-<br />
| damit||de(a)rmeede, dodrmet<br />
|-<br />
| danach||de(a)rnooch<br />
|-<br />
| dann||doo, da<br />
|-<br />
| daran||dodraan<br />
|-<br />
| daran ziehen||dranne drecke<br />
|-<br />
| Darm||Dorm, Dormen<br />
|-<br />
| darüber||dräwwer <br />
|-<br />
| darunter||dorunner<br />
|-<br />
| das erste..||zeerschte <br />
|-<br />
| das erste Mal||srschtemool<br />
|-<br />
| Das fehlt mir gerade noch!||Das haet mich grade noch gefählt!<br />
|-<br />
| dauern, anhalten||duhrn<br />
|-<br />
| Daumen||Duhmen<br />
|-<br />
| davon||de(a)rfoone, dodervone, drvonne (v = u)<br />
|-<br />
| dazu||de(a)rzou<br />
|-<br />
| dazwischen||de(a)rmangk, dermang partutemangk<br />
|-<br />
| Denkmal||Denkmohl<br />
|-<br />
| denn||dann<br />
|-<br />
| der||d’r, dr, daer<br />
|-<br />
| der/die Koffer||Kuffert(e)<br />
|-<br />
| des Lügens bezichtigen||Da soll dich doch glich de Zunge im Muule verfuhle! Verfleckstes Liegetier!<br />
|-<br />
| deshalb||däshalb<br />
|-<br />
| deswegen||daesserwegen<br />
|-<br />
| deutlich dicker Schädel|| Qualster<br />
|-<br />
| dickköpfig||dicknebisch<br />
|-<br />
| diskutieren||derchknetschn<br />
|-<br />
| doch, doch mal||dach, dachemool<br />
|-<br />
| Docht||Doocht<br />
|-<br />
| Donner||Dünner<br />
|-<br />
| Dörfchen||Derfchen, Darfchen<br />
|-<br />
| Dorn||Dooren<br />
|-<br />
| dort||durt<br />
|-<br />
| Draht||Troth(e)<br />
|-<br />
| draußen||drussene<br />
|-<br />
| Dreck, Schmutz||Dräck(e)<br />
|-<br />
| drei||dröi<br />
|-<br />
| dreißig||drissig<br />
|-<br />
| dreizehn||drizzen<br />
|-<br />
| dumm||daemesch, deemelig, damisch<br />
|-<br />
| Dunkelheit||Duustrichkeit<br />
|-<br />
| Dünndarm||Öngebvtten (v = u)<br />
|-<br />
| durch||därch<br />
|-<br />
| Durchgang, schmal o. Spalt||Schluppe<br />
|-<br />
| dürr, trocken||därr, därre<br />
|-<br />
|}<br />
<br />
= '''E''' =<br />
<br />
{| class="wikitable sortable"<br />
|- class="background:#f0f0f0" <br />
!style="width:60px"| Hochdeutsch !! style="width:60px" | Nordhiesisch<br />
|-<br />
| eben, also, daher||aewen(t), aebent<br />
|-<br />
| ebenso||aebent so, aewent so<br />
|-<br />
| edel, besonders gut||aeddel, äddel<br />
|-<br />
| ehe||eer, eher<br />
|-<br />
| Ehefrau||Ohle<br />
|-<br />
| Ehemann||Eekrreepel<br />
|-<br />
| Ei(er)||Ey(er)<br />
|-<br />
| Eichelhäher||Winnich<br />
|-<br />
| Eifer||liwer<br />
|-<br />
| Eimer||Emmer<br />
|-<br />
| ein||änn<br />
|-<br />
| ein gutes Essen||n gutes Paperchen<br />
|-<br />
| ein übervolles Gefäß||n Bielsche<br />
|-<br />
| ein wenig, ein bißchen,||n Mellichen, aen Wielichen,<br />
|-<br />
| ein Weilchen||aen Fiemichen<br />
|-<br />
| eine Hälfte||Hallewen, Halwen<br />
|-<br />
| Eine Ohrfeige geben||Ins mangk de Talleklichter gä’n<br />
|-<br />
| eine Viertelstunde||aenn Vaertelstünnichen<br />
|-<br />
| einen großen Mund haben||ne ultrafone Mämbrane in’n Nischel han<br />
|-<br />
| einen Streich spielen||aene Kanker koue<br />
|-<br />
| einen Vogel haben||Fimmei<br />
|-<br />
| Eingelegtes, sauer||suer färmängeliertes<br />
|-<br />
| eingepackt||biegeschtackt<br />
|-<br />
| einhundert||hunnert<br />
|-<br />
| Einkauf, Einkäufe||Inkoife<br />
|-<br />
| einmal||mool, einstmools<br />
|-<br />
| einschläfern, einwiegen||boie<br />
|-<br />
| einsehen||insiehn<br />
|-<br />
| Eintopf||Kochels<br />
|-<br />
| eintunken, eintauchen||tischn<br />
|-<br />
| einzeln||önzeln<br />
|-<br />
| einzig||önzig<br />
|-<br />
| Eisbein mit Sauerkraut||Isbein met Suerkruut<br />
|-<br />
| Eisbeine||Schwinnskielen<br />
|-<br />
| Eisen||lisen<br />
|-<br />
| Eisenbahn||Isenbahne<br />
|-<br />
| eisern||issern<br />
|-<br />
| eitel||yttel<br />
|-<br />
| Elend, Not||Eelönge, Eelänge<br />
|-<br />
| Elle||Eelen<br />
|-<br />
| entdecken||ändäckn, aendäckn<br />
|-<br />
| entfernen||äntfärn<br />
|-<br />
| entführen||äntfiehr(e)n<br />
|-<br />
| Enttäuschung||Aentoischunge, Aentoischungk<br />
|-<br />
| entwirren||knupeln, knepeln<br />
|-<br />
| entzwei, kaputt||inzwei<br />
|-<br />
| er|| he<br />
|-<br />
| Erbsen||Aerwessen Erweßen, Erwessen<br />
|-<br />
| Erde||Aere, Äere<br />
|-<br />
| Erfindung||Erfingung<br />
|-<br />
| Erfolg||Erfolleck<br />
|-<br />
| Erfurt||Aerfurt<br />
|-<br />
| erlauben||aerlauwn<br />
|-<br />
| erleben||aerlähm, ärläwn<br />
|-<br />
| Ernte||Ärnte<br />
|-<br />
| Erstaunen||Vä(e)rschtaunen,<br />
|-<br />
| Verschtaunen<br />
|-<br />
| ertrinken||värseifn<br />
|-<br />
| erzählen, schwatzen||färzaehln, färzähln, schtorchen, stojern<br />
|-<br />
| Es dauert noch eine Weile!||s duert noch’n Mälächen!<br />
|-<br />
| Es ist etwas passiert!||s ruhcht!<br />
|-<br />
| Es ist nicht zum Aushalten!||s aes nich zun Uhsjehole!<br />
|-<br />
| Es will mir nicht einfallen!<br />
|-<br />
| ||Äs wabbelt mich *so vär’n Muhle rim!<br />
|-<br />
| Es wird sich schon klären!||s waerd sich schon uusjewiese!<br />
|-<br />
| Essen||Aessen<br />
|-<br />
| essen, kauen||muffele, naetern<br />
|-<br />
| etliche||ötzliche<br />
|-<br />
| etwa||etwen<br />
|-<br />
| etwas besonders Schönes||schnipperschnäckch(es)<br />
|-<br />
| etwas darstellen, über etwas frei reden||äxtämperiren<br />
|-<br />
| etwas ist nicht in Ordnung||wu de Säje klemmt<br />
|-<br />
| etwas ordnen||fuzzeln<br />
|-<br />
| etwas tun||knupper(e)n<br />
|-<br />
| Eule||lilen, Illen<br />
|-<br />
| Euter||Eiter<br />
|-<br />
| Extrarunde||Aekstrarunne<br />
|-<br />
|}<br />
<br />
= '''F''' =<br />
<br />
{| class="wikitable sortable"<br />
|- class="background:#f0f0f0" <br />
!style="width:60px"| Hochdeutsch !! style="width:60px" | Nordhiesisch<br />
|-<br />
| Faden||Fadden<br />
|-<br />
| Fahrrad||Veloziped, Fillizipeh, Flizepeh<br />
|-<br />
| Fahrschein, -karte||Schien<br />
|-<br />
| Familie||Familigen<br />
|-<br />
| fangen||däwweln<br />
|-<br />
| faul||fühl<br />
|-<br />
| Faust, Fäustchen||Fuust, Fiestchen<br />
|-<br />
| Februar||Fewerwar<br />
|-<br />
| Fehler||Fählersch<br />
|-<br />
| Feier, Fest||F(f)ier, Faest, Feetz<br />
|-<br />
| Feind||Fiend<br />
|-<br />
| Fenster||Fanster, Fänster<br />
|-<br />
| Ferkel||Fickel<br />
|-<br />
| fertig||färtig<br />
|-<br />
| Fest||Fäst<br />
|-<br />
| feststellen||fästschte(ä)bbeln<br />
|-<br />
| Feuchtigkeit||Fiechte<br />
|-<br />
| Feuer||Fier<br />
|-<br />
| finden||fingn<br />
|-<br />
| Flasche||Pulle<br />
|-<br />
| flattern||pvrrele (v = u)<br />
|-<br />
| Fledermaus||Fläddermuhs<br />
|-<br />
| Flieder||Zitrenechen <br />
|-<br />
| Fohlen||Föllichens <br />
|-<br />
| Fortgang||Furtkank <br />
|-<br />
| fortgehen, -schleichen,||furtkiehn <br />
|-<br />
| verstecken||forttupeln <br />
|-<br />
| fragen||fraate<br />
|-<br />
| Frau, beleibt, auch Kosenamen||Qwutschelchen, Owutschelchen<br />
|-<br />
| Frau, einfältig||Truutschel <br />
|-<br />
| Frau, Frauen, Weib||Wieb(essen), Wiibeßen<br />
|-<br />
| Frau, kräftig gebaut||Trommel<br />
|-<br />
| Frau, liebevoll gesagt||Wiebechen<br />
|-<br />
| Frau, unordentlich,||Strunze,<br />
|-<br />
| liederlich||Schingelaich, Mänsche<br />
|-<br />
| Fräulein||Freelen<br />
|-<br />
| Freude||Fraide<br />
|-<br />
| Freund(e)||Fring(e)<br />
|-<br />
| Friedhof||Kerchhow(e), Kerchhoff<br />
|-<br />
| Friseur||Balwier<br />
|-<br />
| früh||frieh<br />
|-<br />
| Frühling||Fri(e)hlink<br />
|-<br />
| fünfzig||fuffzik<br />
|-<br />
| für ein, für ihn||fern<br />
|-<br />
| Für jemand, der viel ißt||He frisst wii en schebber!<br />
|-<br />
| Fürst||Forscht<br />
|-<br />
| Fuß, Füße||Fuuß, Fieß<br />
|-<br />
| Fußbank||Hitschen<br />
|-<br />
| Futter, Essen||Fitter<br />
|-<br />
|}<br />
<br />
= '''G'''=<br />
<br />
{| class="wikitable sortable"<br />
|- class="background:#f0f0f0" <br />
!style="width:60px"| Hochdeutsch !! style="width:60px" | Nordhiesisch<br />
|-<br />
| Gans, jung||Puttchen<br />
|-<br />
| Gänseblume||Kenseblummen<br />
|-<br />
| Gänsebraten||Kaensebroten<br />
|-<br />
| Gänserich||Kaneist, Gaaneist<br />
|-<br />
| gar||kahr<br />
|-<br />
| gar nicht||gornich. kornich<br />
|-<br />
| Gas||Kas<br />
|-<br />
| Gasse||Kasse<br />
|-<br />
| Gast, Gäste||Kast, Keste<br />
|-<br />
| Gaststube, Wirtshaus||Wärtschaft<br />
|-<br />
| Gebäude||Geböide<br />
|-<br />
| geben||gänn’, gäwen, käwn<br />
|-<br />
| Gebiß||Färdauungsbeferderungs-<br />
|-<br />
| maschine<br />
|-<br />
| Gefäß||Schtöbbichen<br />
|-<br />
| gegen||kägen<br />
|-<br />
| Gegend||Kägend<br />
|-<br />
| Gegenwart||Kägenwart<br />
|-<br />
| gegenwärtig||gägenwärtigk, kägenwärtich<br />
|-<br />
| Gegner, Rivale||Kägner<br />
|-<br />
| (hoch)gehen||(huch) sockn<br />
|-<br />
| Geh-, Bürgersteig,||Trettewor, Trittvare (v = u)<br />
|-<br />
| Geh-, Spazierstock||Kiehschtock<br />
|-<br />
| gehabt||gehatt<br />
|-<br />
| gehäuft||gehuuft<br />
|-<br />
| Gehege, Erholungsgebiet||Jeheeje, Gehäge<br />
|-<br />
| gehen, plump||wallepe<br />
|-<br />
| gehen, sehr langsam||zokkeln<br />
|-<br />
| Gehirn || Gehörn<br />
|-<br />
| gehört|| gehiert<br />
|-<br />
| Gehweg||Gahwäch, Gähwäch<br />
|-<br />
| Geiersberg, Straßenname||Geierschbärge, -bärgk<br />
|-<br />
| geifern||seibere<br />
|-<br />
| Geige||Figgeline<br />
|-<br />
| Geigenspieler||Figgelinenschtriecher<br />
|-<br />
| Geist||Keist<br />
|-<br />
| gelb||gelleb<br />
|-<br />
| Geld||Gald, Käld<br />
|-<br />
| Gemisch||Quadder, Quatsch<br />
|-<br />
| Generation||Schänneratio’<br />
|-<br />
| Genick||Kantusche<br />
|-<br />
| genug||genunk<br />
|-<br />
| gerade erst||kummest<br />
|-<br />
| Gericht der Region||Kittelwurschte, Lasekuchen, Magenzippel, Zippelwurscht<br />
|-<br />
| Gericht, Klöße||Tiewichens<br />
|-<br />
| gerinnen, ausschütten||(sich) scheete<br />
|-<br />
| Geschimpfe||Gaebellewer<br />
|-<br />
| geschmacklos ankleiden||färpaapeln<br />
|-<br />
| Geschnatter, Klatschbasen||Geschnärrelze<br />
|-<br />
| Gesicht||Fissasche<br />
|-<br />
| Gesicht, beleidigt||Flunsch<br />
|-<br />
| Gespräch führen||hänunhärschwatzn<br />
|-<br />
| getrost||triste<br />
|-<br />
| Gewirr, Durcheinander||Wärrich<br />
|-<br />
| Gewitter||Gewetter<br />
|-<br />
| gibt||gitt<br />
|-<br />
| Giebel||Gäwwel<br />
|-<br />
| gierig essen||acheln<br />
|-<br />
| Glas, Gläser||Klaas, Klesser<br />
|-<br />
| gleich||kliech<br />
|-<br />
| Glück||Glick<br />
|-<br />
| Gold||Kold<br />
|-<br />
| Götterspeise||Bibberpudding<br />
|-<br />
| Graben||Kraben<br />
|-<br />
| Gras||Kras<br />
|-<br />
| grau||krau<br />
|-<br />
| Graupen||Grvppen(v=u), Schwellenhipper<br />
|-<br />
| grillen||praeppeln<br />
|-<br />
| Grimmel, Stadtteil||Krimmel<br />
|-<br />
| grinsen, hämisch lachen||fletschen<br />
|-<br />
| grob, derb||krob, kropp<br />
|-<br />
| Grobian||Hache<br />
|-<br />
| Groschen||Groschen<br />
|-<br />
| groß||graß, kru(u)ß, gruuß<br />
|-<br />
| großes Hinterteil||Achzigdahler-Hingerfärtel<br />
|-<br />
| gucken, anstarren||beffe, beffn<br />
|-<br />
| Güte||Kiete<br />
|-<br />
| Guten Tag!||Gu’n Togk!<br />
|-<br />
|}<br />
<br />
= '''H''' =<br />
<br />
{| class="wikitable sortable"<br />
|- class="background:#f0f0f0" <br />
!style="width:60px"| Hochdeutsch !! style="width:60px" | Nordhiesisch<br />
|-<br />
| Haare||Hoore<br />
|-<br />
| halten||hohlen<br />
|-<br />
| Haltestelle, Station||Hooleschtälle<br />
|-<br />
| hämmern, pochen||peekere, peekern<br />
|-<br />
| Hand, Hände||Hand, Henge<br />
|-<br />
| Hand, klein||Patschhängechen<br />
|-<br />
| Hannover||Hannewer<br />
|-<br />
| Harzquerbahn, Quwirl||Querrel<br />
|-<br />
| ... hatten wir...||... hetteme ...<br />
|-<br />
| Haus, Häuser||Huß, Hisser<br />
|-<br />
| Haus, klein||Hißchen<br />
|-<br />
| Haustür||Husstiere<br />
|-<br />
| heben||hupeln<br />
|-<br />
| hell||hälle<br />
|-<br />
| Hemd||Hämmet, Hemmede, Kammisee, Kammisettchen, Chemisett<br />
|-<br />
| Hemdeinsatz (veraltet) Hemdeinsatz, Latz||Färhemedchen Schemisättchen <br />
|-<br />
| heran||raan <br />
|-<br />
| herauf, hoch, oben||ruf, ruff<br />
|-<br />
| herausputzen||uffklavieren,uffschmurunkeln<br />
|-<br />
| herbei||härbie<br />
|-<br />
| Herbst||Härtest, Härweste<br />
|-<br />
| herein||rin<br />
|-<br />
| Hering||Häring<br />
|-<br />
| Heringen||Häringen<br />
|-<br />
| Herr||Härre<br />
|-<br />
| Herrmannsacker||Härmannsacker<br />
|-<br />
| herüber||räbber, räbber<br />
|-<br />
| herüber und hinüber||räwwer un näwwer<br />
|-<br />
| herum||rim<br />
|-<br />
| herunter||runger<br />
|-<br />
| hervorragen, stecken, große Schritte machen||schtaake<br />
|-<br />
| Herz||Haerz(e)<br />
|-<br />
| heute||hiete<br />
|-<br />
| heutzutage||hietezetagks<br />
|-<br />
| Hieb, Schlag||Dachtel, Tachtel<br />
|-<br />
| Himmelgarten||Himmelgoorten<br />
|-<br />
| hinan||naan<br />
|-<br />
| hinauf||nuf<br />
|-<br />
| hinauftransportieren,<br />
|-<br />
| -reichen||nuffträbbn<br />
|-<br />
| hinaus||nuhs, nuuß<br />
|-<br />
| hineinlegen||nin, rinjetu<br />
|-<br />
| hineinstecken||fukkeln<br />
|-<br />
| hinhocken||kutzn<br />
|-<br />
| hinken||hunkeln<br />
|-<br />
| hinsehen||haenluupen<br />
|-<br />
| hinsetzen||kuhzn<br />
|-<br />
| hinter||hinger<br />
|-<br />
| hinterher||hingerhär<br />
|-<br />
| hinterher gehen||schlären<br />
|-<br />
| Hinterteil, Po||Hingerfärtel, Hingerschten<br />
|-<br />
| hinüber||nabber<br />
|-<br />
| hinunter||nunger, finter, ringer<br />
|-<br />
| Hinweis||Hänwies<br />
|-<br />
| Hirsch||Härsch<br />
|-<br />
| Hobby||Hoppi<br />
|-<br />
| hochdeutsch||huhchtietsch<br />
|-<br />
| hochgehen||huchsockn<br />
|-<br />
| hochheben||hopen<br />
|-<br />
| hochstehen (Haare)||schtiepeln<br />
|-<br />
| Hohegeiß||Huhekeist<br />
|-<br />
| Hole mir bitte ...||Langk mich mol...<br />
|-<br />
| Holunderbeeren||Zwöbbetsen<br />
|-<br />
| Honigbiene||Honnekbehne<br />
|-<br />
| Höre mir auf (damit)!||Haerk mich uff! (Auleben)<br />
|-<br />
| hören||heeren<br />
|-<br />
| hübsch, nett||schnaaksch<br />
|-<br />
| Hügel, Erhebung||Hiegel<br />
|-<br />
| Hühnerauge||Hinneraue<br />
|-<br />
| Hühnerstange||Hinneredeissen<br />
|-<br />
| Hund, Hunde||Betzen, Göter, Hunne, Hund<br />
|-<br />
| Hund, männlich||Rödden<br />
|-<br />
| Hut||Huht<br />
|-<br />
|}<br />
<br />
= '''I''' =<br />
<br />
{| class="wikitable sortable"<br />
|- class="background:#f0f0f0" <br />
!style="width:60px"| Hochdeutsch !! style="width:60px" | Nordhiesisch<br />
|-<br />
| Igel||Schwiineigel<br />
|-<br />
| Ilfeld||Ihlefeld<br />
|-<br />
| im Bett liegen||in dr Hotzen lae’n<br />
|-<br />
| im Dunkeln munkeln||n Dusterungen glustern<br />
|-<br />
| im Inneren||innewönnig<br />
|-<br />
| im Leib||in Liewe<br />
|-<br />
| im Ofen||in d’r Rährn<br />
|-<br />
| im übrigen||in’s Aewwrige<br />
|-<br />
| Imbiß vor Nachtruhe||Haanewackel<br />
|-<br />
| in Eile||in Raasche<br />
|-<br />
| innerlich||innewagk<br />
|-<br />
| Inspektor||Entschpekter<br />
|-<br />
| inzwischen||i(n)zund<br />
|-<br />
| irgendwie||aerjentwie<br />
|-<br />
|}<br />
<br />
= '''J''' =<br />
<br />
{| class="wikitable sortable"<br />
|- class="background:#f0f0f0" <br />
!style="width:60px"| Hochdeutsch !! style="width:60px" | Nordhiesisch<br />
|-<br />
| Jagd||Jacht<br />
|-<br />
| Jahr||Johr<br />
|-<br />
| Jahrmarkt||Jormart<br />
|-<br />
| jetzt, in diesem Moment||zund, zunder, justemänte<br />
|-<br />
| Junge, groß||langker Laban<br />
|-<br />
| Junge, klein||Porzel<br />
|-<br />
| Jungen, Bengel||Bängels<br />
|-<br />
|}<br />
<br />
= '''K''' =<br />
<br />
{| class="wikitable sortable"<br />
|- class="background:#f0f0f0" <br />
!style="width:60px"| Hochdeutsch !! style="width:60px" | Nordhiesisch<br />
|-<br />
| Kabarett||Kawwai-eh<br />
|-<br />
| Kaffee||Nater<br />
|-<br />
| Kalbsbraten||Kallewesbrooten<br />
|-<br />
| Kaldaunen, saure Flecke||Kalunn<br />
|-<br />
| kalte||koole<br />
|-<br />
| Kälte||Kiehle, Kille<br />
|-<br />
| Kam||kaamps <br />
|-<br />
| Kaplan||Kappelahn<br />
|-<br />
| Karpfen||Karpen<br />
|-<br />
| Kartenspiel||Koortenspeel<br />
|-<br />
| Kartoffel||Kartuffel<br />
|-<br />
| Karussell||Karsell, Karessäl,<br />
|-<br />
| Käse, klein und rund||Fügen<br />
|-<br />
| Käse, Quark||Hotten<br />
|-<br />
| Kater, Katze||Kaazert, Muunz<br />
|-<br />
| kauest||koueste<br />
|-<br />
| Kaulquappen||Rotzkulerten<br />
|-<br />
| Kautabak||Prim<br />
|-<br />
| Kehlkopf||Gorgelschtock<br />
|-<br />
| keifen||bellewere<br />
|-<br />
| Keller||Käller<br />
|-<br />
| Kellertreppe||Kaallertrappn<br />
|-<br />
| Kellner||Kaellnaer<br />
|-<br />
| Keramik, Steingut||Schteinzigk<br />
|-<br />
| Kette||Keete<br />
|-<br />
| Keule||Kiehle<br />
|-<br />
| Kind, klein||Queckenhammester, Wärgelchens<br />
|-<br />
| Kind, lieb u. klein||Knifterchen<br />
|-<br />
| Kind, neugierig||Spiekeding<br />
|-<br />
| Kind, verwahrlost||Kn atz<br />
|-<br />
| Kinder||Kinger, Kingersch, Wänster, Knärjel<br />
|-<br />
| Kirche||Kärche(n), Kerchen<br />
|-<br />
| Kirschberg||Kärschber(g)k<br />
|-<br />
| Kittel||Kättel <br />
|-<br />
| klauen||muusen<br />
|-<br />
| klebrig||kläwwerich<br />
|-<br />
| Kleidung||Kleedasche<br />
|-<br />
| Kleidung, vornehm||siedene Fahne<br />
|-<br />
| Kleie||Klöin<br />
|-<br />
| kleine Gänse||Billechen<br />
|-<br />
| kleine Handtasche||Uhskiehtäschchens<br />
|-<br />
| kleine Wunde, Strafmandat||t Klaebelaeppchens<br />
|-<br />
| kleiner Raum, Zimmer||Kabieschen<br />
|-<br />
| kleiner Topf, Glas||Teppchen<br />
|-<br />
| kleines Haus||Hoischen<br />
|-<br />
| Kleinkram||Kinkerlinzchen<br />
|-<br />
| klettern||häpeln<br />
|-<br />
| klirren||schäbbern<br />
|-<br />
| Kloß||Kluß<br />
|-<br />
| Kloster||Kluster<br />
|-<br />
| klug||kluhk<br />
|-<br />
| Knackwurstring||Bratworscht<br />
|-<br />
| kneten||mantschen<br />
|-<br />
| knirschen||schnorpse<br />
|-<br />
| Knoblauch||Knäbblauch<br />
|-<br />
| Knöchel, Fußteil||Önkel<br />
|-<br />
| Knopf||Knupp<br />
|-<br />
| Knoten, Haarfrisur||Kützchen<br />
|-<br />
| Hautverdickung, Knoten||Knullich<br />
|-<br />
| knüpfen||kneepel(e)n<br />
|-<br />
| kochen||pappern<br />
|-<br />
| kochen (Kaffee), hinsetzen||haensetzn<br />
|-<br />
| Kochstelle||Gruden<br />
|-<br />
| Kohlblatt||Fuuschen<br />
|-<br />
| Komm||Kumm<br />
|-<br />
| Kommentar||Kummentahr<br />
|-<br />
| kompetent, versiert||kumpetänt<br />
|-<br />
| Kompliment||Compelmänt<br />
|-<br />
| Konfirmation||Kumfermazione<br />
|-<br />
| König||Könnek<br />
|-<br />
| Konzert||Kunzärt<br />
|-<br />
| Kopf||Nischel, Taez, Tössel <br />
|-<br />
| Kopfbedeckung||Schaapel<br />
|-<br />
| Kornmarkt, Platz in der||Kornmarte <br />
|-<br />
| Körper, unartiges Kind||Ballek<br />
|-<br />
| Kotelett||Karmenade<br />
|-<br />
| Krach, Lärm, Unruhe, Radau||Deewes, Deews, Teweß<br />
|-<br />
| Krach, Radau machen||Räbbes mache, Rabbatz<br />
|-<br />
| Kraft||Forsche<br />
|-<br />
| kräftig||schteebig<br />
|-<br />
| kratzen||schraape<br />
|-<br />
| kriechen, anstrengend||krepeln<br />
|-<br />
| Krimderode||Crimderimde<br />
|-<br />
| kritisieren, bemängeln||rimkneeln<br />
|-<br />
| Krone||Krune<br />
|-<br />
| Krug||Kruhk<br />
|-<br />
| Kuh, Kühe||Koi, Köiwichen<br />
|-<br />
| Kuhberg, Stadtteil||Kuhbärgk, -bärge<br />
|-<br />
| Kuheuter||Nitter<br />
|-<br />
| Künstler||Kinstlär<br />
|-<br />
| kurzum||korzimm<br />
|-<br />
|}<br />
<br />
= '''L''' =<br />
<br />
{| class="wikitable sortable"<br />
|- class="background:#f0f0f0" <br />
!style="width:60px"| Hochdeutsch !! style="width:60px" | Nordhiesisch<br />
|-<br />
| lachen||futschen<br />
|-<br />
| Lampe, klein||Funsel<br />
|-<br />
| /schwaches Licht Landstreicher||Strönzer, Stränzer<br />
|-<br />
| lang||langk<br />
|-<br />
| langweilig||lankschteelig<br />
|-<br />
| Lappalien, Kleinigkeiten||Läppereien<br />
|-<br />
| Lärmen, losziehen, rufen||krake(e)ln<br />
|-<br />
| (bleiben)lassen||gelooße<br />
|-<br />
| Laterne(n)||Latärne(n)<br />
|-<br />
| laufen||deckele<br />
|-<br />
| laufen, eilig u. zielgerichtet||haennretaeriern<br />
|-<br />
| laut||lut *<br />
|-<br />
| laut schreien, gröhlen||kaaken, kaakn<br />
|-<br />
| Leber||Laewwer<br />
|-<br />
| Lebzeiten||Laebzieten<br />
|-<br />
| Leckermäulchen||Leckerschnießchen<br />
|-<br />
| Lehrer||Kanter<br />
|-<br />
| leicht betrunken||schweimein<br />
|-<br />
| Leiter||Laetter<br />
|-<br />
| Leser||Läser<br />
|-<br />
| Leute||Liite, Liethe, Liete<br />
|-<br />
| Lexikon||Läksikon<br />
|-<br />
| lieben, mögen||liewn<br />
|-<br />
| Likör||Lickeer<br />
|-<br />
| Limonade, Brause||Brunse, Bruuse<br />
|-<br />
| Linde||Linge<br />
|-<br />
| Lohn, Gehalt||Luhn, Macherluhn<br />
|-<br />
| losziehen||uff Redutte kiehn<br />
|}<br />
<br />
= '''M''' =<br />
<br />
{| class="wikitable sortable"<br />
|- class="background:#f0f0f0" <br />
!style="width:60px"| Hochdeutsch !! style="width:60px" | Nordhiesisch<br />
|-<br />
| Mädchen (aufgeregt),||Werrbingel<br />
|-<br />
| mit losem Haar Mädchen, trollig||Riebenzieschen<br />
|-<br />
| Mädchen, ungezogen||Litschken, Maachen, Maaechelchen<br />
|-<br />
| Magen||Butten, Maagen<br />
|-<br />
| mähen||hauen<br />
|-<br />
| Majoran||Mairal<br />
|-<br />
| Malz||Moolz<br />
|-<br />
| man, wir, mich||me<br />
|-<br />
| manche||manniche<br />
|-<br />
| mancher||mannecher<br />
|-<br />
| manchmal||"^nnichmoi<br />
|-<br />
| Mann, dünn||Spinder<br />
|-<br />
| Mann, groß||Laatch<br />
|-<br />
| Mann, kräftig||Prekel,Klampert, Pregel<br />
|-<br />
| Mann, Männer||Mannßen, Männechens, Mannsliete<br />
|-<br />
| Mann, ungeschickt u. steif || Schiepel<br />
|-<br />
| Mannsbild, Kerl||Kärrel<br />
|-<br />
| Märchen||Mierichen<br />
|-<br />
| Markt||Mar(h)te, Mart(e)<br />
|-<br />
| Marmor||Mermel<br />
|-<br />
| mästen||fröckn.ferbvtt (v=u)<br />
|-<br />
| Mauer||Muhr<br />
|-<br />
| Maurer||Miier, Murer <br />
|-<br />
| Maus, Mäuse||Mus, Miese <br />
|-<br />
| Mäusejagd||Musejacht<br />
|-<br />
| Meerrettich||Märrettg <br />
|-<br />
| Mehlklöße, Gericht||Mahlkleeße, Diebichen<br />
|-<br />
| meinetwegen||minnswäjen <br />
|-<br />
| meistens||merschtens Ts)<br />
|-<br />
| melden||melle<br />
|-<br />
| Menge||Mennige<br />
|-<br />
| Menge, klein||Klitschchen<br />
|-<br />
| Mensch eingebildet o. raffiniert, Snob||Mänsche, Piisterich<br />
|-<br />
| Mensch, Betrüger, Frechdachs ||Luntemann, Schtritzchen, Schtriefchen<br />
|-<br />
| Mensch, unbeholfen, Dummkopf || Tolter, Baafbittel<br />
|-<br />
| Mensch mit ungepflegter Frisur ||Zullepenkopp<br />
|-<br />
| Mensch, zurückhaltend und schüchtern||dummes Tutten, Maumel<br />
|-<br />
| Mensch, böser Bube||Schtränzer<br />
|-<br />
| Mensch, dick o. Prahlhans||Prullemeß, Stöpel<br />
|-<br />
| Mensch, einfältig||n Himpel<br />
|-<br />
| Mensch, flegelhaft||Bandreekel, Reekel Flaez, Schlaps<br />
|-<br />
| Mensch, geschickt oder gewandt auch Fischer||Häringsbänniger<br />
|-<br />
| Mensch, groß u. flegelhaft||Schlaps<br />
|-<br />
| Mensch, klein u. gedrungen||Knorpel, Knuust<br />
|-<br />
| Mensch, nörgelnd||Nehlsusen<br />
|-<br />
| Mensch, pessimistisch||Misepeter<br />
|-<br />
| Mensch, sehr wählerisch||Kiesefretsch<br />
|-<br />
| Mensch, simpel||Dämmernelken<br />
|-<br />
| Mensch, stur||Trebestock<br />
|-<br />
| Mensch, tolpatschig||Tempert<br />
|-<br />
| Mensch, traurig||Truuertullepen<br />
|-<br />
| Mensch, unangenehm||Kotzmichel<br />
|-<br />
| messen||mässn<br />
|-<br />
| Messer||Knift<br />
|-<br />
| Milch||Mällich, Maellich, Millich, Mellich<br />
|-<br />
| Milchgefäß||Räbbeß<br />
|-<br />
| mit||mett, mött<br />
|-<br />
| mit der Pferdekutsche ausfahren||Pfaerepartiee<br />
|-<br />
| mit jemanden unzufrieden||Ich trampe dich aen<br />
|-<br />
| sein||Taterwagen ins Kritzel<br />
|-<br />
| Mitgefühl||Metgefiehl<br />
|-<br />
| mitgehen||schtäbbeln, schtebbeln<br />
|-<br />
| mitschreiben||metschräwwn<br />
|-<br />
| mitunter||metunger<br />
|-<br />
| Moment||Momangk<br />
|-<br />
| Mönch||Minnich<br />
|-<br />
| Motorrad||Knatterkutschen<br />
|-<br />
| Motte||Mutten-Foogel<br />
|-<br />
| Mücke(n)||Micke(n), Nicken<br />
|-<br />
| Mühe||Mih<br />
|-<br />
| Mühe geben||Mih gänn<br />
|-<br />
| Mühle||Milln<br />
|-<br />
| Mühlhausen||Möllhusen<br />
|-<br />
| Mund||Muulwärk,Schnuußen, Rachen, Futterluken, Kaakrachen, Broirochn<br />
|-<br />
| Mund, schlaff||Schlabber, Schnute, Fleppe<br />
|-<br />
| Mund bei Kindern, Essen für Kinder||Peppe<br />
|-<br />
| Mund, klein||Schnitzchens<br />
|-<br />
| Mundharmonika||Muulorgel, Schnußenhobbel<br />
|-<br />
| Mundwerk, loses||Redemilln<br />
|-<br />
| Murmel||Kullerschoß, Mormel<br />
|-<br />
| murmeln, murren||muttele<br />
|-<br />
| muß||muost<br />
|-<br />
|}<br />
<br />
= '''N''' =<br />
<br />
{| class="wikitable sortable"<br />
|- class="background:#f0f0f0" <br />
!style="width:60px"| Hochdeutsch !! style="width:60px" | Nordhiesisch<br />
|-<br />
| nach hinten||ninger, ringer, hinger<br />
|-<br />
| nach/zu Hause||heime<br />
|-<br />
| Nachbar, Nachbarin||Napper, Napperschen<br />
|-<br />
| nachdem||nohchdäme<br />
|-<br />
| nachher||nochter(n), noaht, noocht(er)<br />
|-<br />
| Nachmittag||Nachmetagk<br />
|-<br />
| Nacht||Nahcht<br />
|-<br />
| Nachtgeschirr||Punschpärrine<br />
|-<br />
| Nachtigall||Nahchtekall<br />
|-<br />
| Nachwelt, Nachkommen||Nohchwält<br />
|-<br />
| näher||naehcher<br />
|-<br />
| Nase, dick o. tropfend||Kvllepen, Kylleken (v=u)<br />
|-<br />
| natürlich||notierlich<br />
|-<br />
| Nebel||Näbbel<br />
|-<br />
| necken, Spaß machen||schekern, honnercken<br />
|-<br />
| nein||nae, nei<br />
|-<br />
| Nest||Naest<br />
|-<br />
| Neuigkeiten||Noigkeiten, Noiichkeiten<br />
|-<br />
| neunzig||nienzig<br />
|-<br />
| Neustadt||Noischtadt<br />
|-<br />
| nicht||nich<br />
|-<br />
| nicht richtig im Kopf||jursch<br />
|-<br />
| nichts||nischt<br />
|-<br />
| Nichtsnutz||Preestchen<br />
|-<br />
| nicken||nuckere<br />
|-<br />
| nieder||nädder<br />
|-<br />
| Niedergebra||Niedergeb’r<br />
|-<br />
| nieseln, tröpfeln||mussein<br />
|-<br />
| noch||nach<br />
|-<br />
| Nonne(n)||Nunne(n)<br />
|-<br />
| Not||Nuht<br />
|-<br />
| Nuckel||Nootsch<br />
|-<br />
| nuckeln||notschn<br />
|-<br />
| Nun geht es los!||Nune kieht’s los!<br />
|-<br />
| nur||mant<br />
|-<br />
| Nutzen||G(J)enitze<br />
|-<br />
| nützlich||nitzlich<br />
|-<br />
|}<br />
<br />
= '''O''' =<br />
<br />
{| class="wikitable sortable"<br />
|- class="background:#f0f0f0" <br />
!style="width:60px"| Hochdeutsch !! style="width:60px" | Nordhiesisch<br />
|-<br />
| Ob||ob, ab<br />
|-<br />
| oberst||aewwerst, äbberst<br />
|-<br />
| Oberstadt||Äwwerschtadt, Aewwerschtadt<br />
|-<br />
| Obst, Früchte||Owest<br />
|-<br />
| Ochsen||Ockse(n), Oksen<br />
|-<br />
| Ofen||Uhwen<br />
|-<br />
| oft, öfter||öftersch, eftersch, genungsmools<br />
|-<br />
| Ohr(en)||Ur(en)<br />
|-<br />
| Ohren, groß||Horchlappen<br />
|-<br />
| Öl||Oehl<br />
|-<br />
| ordentlich||orntig<br />
|-<br />
|}<br />
<br />
= '''P''' =<br />
<br />
{| class="wikitable sortable"<br />
|- class="background:#f0f0f0" <br />
!style="width:60px"| Hochdeutsch !! style="width:60px" | Nordhiesisch<br />
|-<br />
| paar, einige||poar<br />
|-<br />
| Papst||Paabest<br />
|-<br />
| Pastor||Paste r<br />
|-<br />
| Petersilie||Pieterzölligen<br />
|-<br />
| Pfeife||Fiefen<br />
|-<br />
| pfeifen||fifen<br />
|-<br />
| Pfennig||Pfenneck<br />
|-<br />
| Pfennige, Groschen||Dittchens<br />
|-<br />
| Pferd, Pferde||Färd, Färe, Pfern<br />
|-<br />
| Pfingsten||Fingestfest<br />
|-<br />
| Pfirsich||Ferrsich<br />
|-<br />
| pflanzen||flanz(e)n<br />
|-<br />
| Pflaster||Flaster<br />
|-<br />
| Pflaume, gelb||Spilling<br />
|-<br />
| Pflaume, groß||Marunkel, Kwätsche<br />
|-<br />
| Pflaumenmus||Kwätschenmuuß, Mußt<br />
|-<br />
| Pfütze||Flutsche, Fitze, Pfitze<br />
|-<br />
| Plan||Plohn<br />
|-<br />
| plappern, keifen||schebbere<br />
|-<br />
| Platz, rund||Rondeel, Rundeei, Rundehlichen<br />
|-<br />
| pochen||pekern<br />
|-<br />
| Polizei||Polezei<br />
|-<br />
| Porree||Purreh<br />
|-<br />
| Portion||Porzjeenichen<br />
|-<br />
| Preis||Pries<br />
|-<br />
| preußisch||pröisch<br />
|-<br />
| Prost!||Preestchen!<br />
|-<br />
| Protokoll||Proteköllichen<br />
|-<br />
| prügeln, schlagen||wammeße, wammeßn<br />
|-<br />
| Publikum||Puwlekum<br />
|-<br />
| Puffbohne||Pvffbonn (v = u)<br />
|-<br />
| Purzelbaum, Rolle||Kopskeikel<br />
|-<br />
|}<br />
<br />
= '''Q''' =<br />
<br />
{| class="wikitable sortable"<br />
|- class="background:#f0f0f0" <br />
!style="width:60px"| Hochdeutsch !! style="width:60px" | Nordhiesisc<br />
|-<br />
| Quelle||Qualle<br />
|-<br />
|}<br />
<br />
= '''R''' =<br />
<br />
{| class="wikitable sortable"<br />
|- class="background:#f0f0f0" <br />
!style="width:60px"| Hochdeutsch !! style="width:60px" | Nordhiesisch<br />
|-<br />
| Rachen||Schlunk<br />
|-<br />
| Radieschen||Rötti(i)ßchen<br />
|-<br />
| Rapunzel, Feldsalat||Robinzchen, Rowinzchen<br />
|-<br />
| Ratschläge||Rotschläje<br />
|-<br />
| Ratskeller. Gaststätte||Rotskälder<br />
|-<br />
| (sich) rauten, schlagen||(sich) ralleke<br />
|-<br />
| Raum (eng), Stall||Schtiiz<br />
|-<br />
| Raupe||Rvppen (V = u)<br />
|-<br />
| rauschen, fließen||ruusche<br />
|-<br />
| Rautenstraße||Rutenschtroße<br />
|-<br />
| Rede nicht so! Höre auf!||Haere mich uff!<br />
|-<br />
| reden, sprechen||bälbern<br />
|-<br />
| Regen||Ragen, Räjen, Rajen<br />
|-<br />
| Regenwurm||Bandräkel<br />
|-<br />
| regnen||räg(e)n<br />
|-<br />
| regnen, heftig||klaatschn, droschn<br />
|-<br />
| Rehbraten||Rähbrotn<br />
|-<br />
| Reihe, Schlange||Rüje<br />
|-<br />
| rein||schür<br />
|-<br />
| Rektor, Schulleiter||Räkter<br />
|-<br />
| Rendezvous,||Ranksewuh<br />
|-<br />
| Zusammenkunft<br />
|-<br />
| Rennschlitten||Rinnschlätten<br />
|-<br />
| renovieren||reinefiere<br />
|-<br />
| reparieren||ramterieren<br />
|-<br />
| Rest, Neige||Neien<br />
|-<br />
| revanchieren||rättewanschiern<br />
|-<br />
| richtig sein, stimmen||schtimmerings<br />
|-<br />
| Riegel||Reekel<br />
|-<br />
| Rind(er)||Rind, Ringer<br />
|-<br />
| Ring, Ringe||Rink, Rinken<br />
|-<br />
| Rippe||Reeben<br />
|-<br />
| Riß||Schprungk<br />
|-<br />
| Rogen, Fischeier||Raagen<br />
|-<br />
| Roggen||Rocken<br />
|-<br />
| Röhre(n), Hülse||Rihre(n), Dilten<br />
|-<br />
| rollen||willigere<br />
|-<br />
| Rose(n)||Ruse(n)<br />
|-<br />
| Rostbratwurst||Bratwörschtchen<br />
|-<br />
| rot||ruth<br />
|-<br />
| Rotkohl||Blaukuhl<br />
|-<br />
| Rübe||Ruoben, Zuckerworzei<br />
|-<br />
| Rücken, Kreuz||Krizze<br />
|-<br />
| Rucksack||Ruckebittel<br />
|-<br />
| runter|| nunger, runger<br />
|-<br />
| Ruß||Rust<br />
|-<br />
|}<br />
<br />
= '''S''' =<br />
<br />
{| class="wikitable sortable"<br />
|- class="background:#f0f0f0" <br />
!style="width:60px"| Hochdeutsch !! style="width:60px" | Nordhiesisch<br />
|-<br />
| Säcke||Socken<br />
|-<br />
| sagen, sagte||saa, saate<br />
|-<br />
| sägen||saagen<br />
|-<br />
| sah||sahk<br />
|-<br />
| Sahne, Rahm||Room<br />
|-<br />
| Salat||Solaat<br />
|-<br />
| Salbung||Salwunk<br />
|-<br />
| Salz||Sohlz<br />
|-<br />
| Salza, Stadtteil||Solze<br />
|-<br />
| Salzstreuer||Sohlzmisten<br />
|-<br />
| sammeln, raffen||raape, raapse<br />
|-<br />
| Samt||Sammet<br />
|-<br />
| Sankt-Blasii-Kirche||Sankt-Blasiges-Kärche<br />
|-<br />
| sauer||suer<br />
|-<br />
| Sauerampfer||Suuerampel<br />
|-<br />
| saugen, nuckeln||svckele, nvckele (v = u)<br />
|-<br />
| Säule||Suulen<br />
|-<br />
| Schaf(e)||Schoof(e)<br />
|-<br />
| schaffen, arbeiten||scharwärken<br />
|-<br />
| Schande||Schanne<br />
|-<br />
| Schauder||Schvpper (v = u)<br />
|-<br />
| Schaufel||Schuofen, Schvffel (v = u)<br />
|-<br />
| Schaum||Schmand, Schment<br />
|-<br />
| Scheibe||Schiewen<br />
|-<br />
| Scheune||Schinn<br />
|-<br />
| schieben||schuben<br />
|-<br />
| schief||scheib<br />
|-<br />
| Schiene||Schönn<br />
|-<br />
| schimpfen, schelten||schäbbern, schäbern, schpietern, schulln<br />
|-<br />
| Schimpferei||Schimperöi<br />
|-<br />
| Schirm||Muhstkriecken, Scherm<br />
|-<br />
| Schlafzimmer||Schloofschtobben<br />
|-<br />
| Schlag||Taaf<br />
|-<br />
| Schläger||Flaaker<br />
|-<br />
| schlecht||schiächt<br />
|-<br />
| Schleuder, Zentrifuge||Schlvdder (v = u)<br />
|-<br />
| schlürfen||schlorfe<br />
|-<br />
| Schlüssel||Schiissel<br />
|-<br />
| Schmetterling||Botterfoogel, Botter-Foogel<br />
|-<br />
| Schmied||Schmeed<br />
|-<br />
| Schmiedemeister||Hippuf<br />
|-<br />
| schmutzig machen||vollklatern<br />
|-<br />
| schnappen, greifen||zuschnaapen<br />
|-<br />
| Schnaps||Schnapps<br />
|-<br />
| schnaufen||schnuwen<br />
|-<br />
| Schnee||Schniee<br />
|-<br />
| schneien||schnoin<br />
|-<br />
| schneiden||schnaaten<br />
|-<br />
| Schnell, beile dich!||Schwinge!<br />
|-<br />
| schneuzen||schuiize<br />
|-<br />
| Schnitte mit Fett||Fattbroot<br />
|-<br />
| Schnitzel||Schaazl, Schnaazel<br />
|-<br />
| schon||schunt<br />
|-<br />
| schön||schün<br />
|-<br />
| Schönheit||Schienheit<br />
|-<br />
| schreiben||schräwwen<br />
|-<br />
| schreiben, unleserlich||kraakeln<br />
|-<br />
| schreien, unangenehm||quake<br />
|-<br />
| schreien, weinen||gaaken<br />
|-<br />
| schrumpfen||schrumpele<br />
|-<br />
| Schuh, alter Schuh||Schuch, Schunken<br />
|-<br />
| Schulter||Schulder, Schüller<br />
|-<br />
| Schürze||Schärze<br />
|-<br />
| schütten||quaatschn, quuttschen<br />
|-<br />
| Schwamm||Schwumm<br />
|-<br />
| Schwein||Matz<br />
|-<br />
| Schwein(e)||Schwien(e)<br />
|-<br />
| Schwein, klein||Schwinnichen<br />
|-<br />
| Schweinebeinchen mit||sure Klaebechen met<br />
|-<br />
| Kartoffelsalat||Kartuffelsolot<br />
|-<br />
| Schweinefüßchen, typ. Gericht||Kläwichen, Klaebechen<br />
|-<br />
| Schwert||Schwärt<br />
|-<br />
| Sehne||Senn<br />
|-<br />
| sehr||siehr<br />
|-<br />
| Seide||Side<br />
|-<br />
| sein||sin<br />
|-<br />
| seit||siit, sint<br />
|-<br />
| Sekunde||Secunne<br />
|-<br />
| selbst||saellewer<br />
|-<br />
| selbstverständlich||sellewästverschtändlich,<br />
|-<br />
| ||sellewestfärschtändlich<br />
|-<br />
| Sellerie||Zelderii<br />
|-<br />
| Senf||Zännef<br />
|-<br />
| setzen, setzten||satzen, satzten<br />
|-<br />
| seufzen||seifzen<br />
|-<br />
| sich ein gutes||Fättlaewe mache<br />
|-<br />
| Leben machen||<br />
|-<br />
| sich ohne Kommentar||schtille klaatert se sich ahn<br />
|-<br />
| Sieb||Söbb<br />
|-<br />
| sieben||säbben<br />
|-<br />
| Silvester||Silwäster <br />
|-<br />
| sitzen, ungeniert bequem||krötenbreit, hinbrezeln,<br />
|-<br />
| fläzen, hänpräzeln<br />
|-<br />
| ||<br />
|-<br />
| sitzen, ungeniert/gehen m. großen Schritten||krätschn<br />
|-<br />
| so||suo<br />
|-<br />
| So ist es (das)||Soa aesses!<br />
|-<br />
| Sofateil||Kannrücken<br />
|-<br />
| sogar||suka(h)r<br />
|-<br />
| Sohle||Sollen<br />
|-<br />
| solch||söllich<br />
|-<br />
| soll||sall<br />
|-<br />
| Sommer||Summer<br />
|-<br />
| Sonnabend, Samstag||Sunnowend<br />
|-<br />
| Sonne||Sunn(e)<br />
|-<br />
| Sonntag||Sunntak<br />
|-<br />
| sonst||sinst(en), sunst<br />
|-<br />
| sowohl||suwoll<br />
|-<br />
| sowohl als auch||suwoll als in<br />
|-<br />
| Span||Spuon<br />
|-<br />
| sparsam, genügsam||schpoarsam<br />
|-<br />
| spät(er)||schpiet(er)<br />
|-<br />
| Spazierengehen||schpazierngiehn<br />
|-<br />
| ins Grüne gehen||mie kiehn ins Griene<br />
|-<br />
| Spaziergang||Schpatzierkank<br />
|-<br />
| Sperling||Tritschert<br />
|-<br />
| Spiel(e)||Schpeel(e), Schpeeleich<br />
|-<br />
| Spinne||Kanker<br />
|-<br />
| spionieren||spiggeniere<br />
|-<br />
| spuken .||schpieken<br />
|-<br />
| sprechen||lawwern, schprächen<br />
|-<br />
| sprechen, undeutlich||kneseln<br />
|-<br />
| sprechen, ununterbrochen||schwabbeln<br />
|-<br />
| Spreu vom Flachs||Scheeben<br />
|-<br />
| Spruch, Sprüche||Schprich(ereche)<br />
|-<br />
| Spukgestalt||Heckemännichen<br />
|-<br />
| spüren||schpiern<br />
|-<br />
| Stadt||Schtadt<br />
|-<br />
| Stadtkirmes, Stadtfest||Rulandsfäst<br />
|-<br />
| Stammkneipe||Börgerschtampe<br />
|-<br />
| ständig||schtännich<br />
|-<br />
| starr vor staunen||raagehart<br />
|-<br />
| Stätte||Schteete<br />
|-<br />
| stauchen, stoßen||quackse<br />
|-<br />
| Steckenpferd, Hobby||Schteckenfaerd, Hoppi<br />
|-<br />
| Steg||Schtagk<br />
|-<br />
| stehen||schtenne<br />
|-<br />
| stehlen, klauen||strumpsen, rapschen<br />
|-<br />
| Steigerthal||Schteiertol, Steiertol<br />
|-<br />
| Stein||Schtein<br />
|-<br />
| Steinbrücken||Schteebrucken<br />
|-<br />
| Steine werfen||Schtenzen<br />
|-<br />
| Stempeda||Schtempet<br />
|-<br />
| Stern||Schtärn<br />
|-<br />
| sticheln, stacheln||schteekere<br />
|-<br />
| Stiefel||Schtäbbel, Schtäwwel<br />
|-<br />
| Stiel||Schteel(e)<br />
|-<br />
| stillschweigend||schtillschwieningens<br />
|-<br />
| stochern||schteckeln, schtokeln, schtokern<br />
|-<br />
| stöhnen||kneern<br />
|-<br />
| Stolberg||Schtolwär(g)k<br />
|-<br />
| stopfen, ausbessern||fuhzen<br />
|-<br />
| Stoppel||Stvppel (v = u)<br />
|-<br />
| Storch, Störche||Schtoarg, Störge<br />
|-<br />
| stören, schüren||störrele, storrein<br />
|-<br />
| Stoß '||Fullich<br />
|-<br />
| stoßen, rempeln||fullichen<br />
|-<br />
| Straße||Schtroße(n)<br />
|-<br />
| Straßenbahn||Lektrische<br />
|-<br />
| Strauß||Schtruhß<br />
|-<br />
| streichen||striichel<br />
|-<br />
| Streit||Schtrit(h)<br />
|-<br />
| Streß||Schtreß<br />
|-<br />
| streuen||stroue<br />
|-<br />
| Strumpf, Strümpfe||Schtrump, Schtrimpe<br />
|-<br />
| Stube, Wohnraum||Schtobben<br />
|-<br />
| Stück||Schtücke, Schticke<br />
|-<br />
| Stunde||Stunne<br />
|-<br />
| stützen||schtebbele<br />
|-<br />
| Südharz||Siedhoarz<br />
|-<br />
|}<br />
<br />
= '''T''' =<br />
<br />
{| class="wikitable sortable"<br />
|- class="background:#f0f0f0" <br />
!style="width:60px"| Hochdeutsch !! style="width:60px" | Nordhiesisch<br />
|-<br />
| Tablett||Böckenbrat<br />
|-<br />
| Tag||Took, Togk<br />
|-<br />
| Tanz, Veranstaltung,||Ringeldewes<br />
|-<br />
| wildes Treiben tanzen, lustig leben||schwvche (v = u)<br />
|-<br />
| Tappen, klopfen||tempere<br />
|-<br />
| Tasche||Ficken<br />
|-<br />
| Taschenmesser||Knieft<br />
|-<br />
| Taschentuch||Schnupptuch, Schnuutztuch<br />
|-<br />
| taumeln, betrunken sein||toltern<br />
|-<br />
| Tausch||Tuhsch<br />
|-<br />
| tauschen||immewäkseln<br />
|-<br />
| Teich||Tiech<br />
|-<br />
| Teichtal||Tiechtal<br />
|-<br />
| Teig||Doigk<br />
|-<br />
| Teil, Stück||Färtel<br />
|-<br />
| teilweise||theilwiese<br />
|-<br />
| Telegramm||Telepesche<br />
|-<br />
| teuer, wertvoll||tier<br />
|-<br />
| Teufel||Deuwel, Töibel<br />
|-<br />
| Theke||Draesen<br />
|-<br />
| Tiegel, Bratpfanne||Schaffen<br />
|-<br />
| Titel, Überschrift||Äwwerschrift, Aewwerschrift<br />
|-<br />
| Toilette||Toalätten<br />
|-<br />
| Topf||Tuppe<br />
|-<br />
| Topfkuchen||Asch<br />
|-<br />
| tot sein||tudt<br />
|-<br />
| tragen||trecken, treckn <br />
|-<br />
| träumen||kaseln <br />
|-<br />
| traurig||truurich <br />
|-<br />
| Trinker||Pilperling<br />
|-<br />
| Trinkgeld||Trankkäld <br />
|-<br />
| trippeln||battern <br />
|-<br />
| trommeln, lopfen||bummere<br />
|-<br />
| Tropfen||Troppen, Truppen <br />
|-<br />
| trotzdem||trotz dän <br />
|-<br />
| tunken, tauchen||titschn<br />
|-<br />
| Tür||Teere, Thaer, Thör<br />
|-<br />
| Turnier, Wettspiel, Vergnügen||Speel, (Renn-)Speeleiche<br />
|-<br />
| Tüte||Dute, Tute<br />
|-<br />
| tuten||fäpen, päpen<br />
|-<br />
|}<br />
<br />
= '''U''' =<br />
<br />
{| class="wikitable sortable"<br />
|- class="background:#f0f0f0" <br />
!style="width:60px"| Hochdeutsch !! style="width:60px" | Nordhiesisch<br />
|-<br />
| Übel, übel||Äwwel, äwwel<br />
|-<br />
| über||äbber, ewwers<br />
|-<br />
| überall||aewwerohl, äwwerohl<br />
|-<br />
| ||allerwaegenst, allerwegens<br />
|-<br />
| überführen||öwwerfiern<br />
|-<br />
| überhaupt||äbberhaupt<br />
|-<br />
| überklettern,||haepeln<br />
|-<br />
| mühsam fortbewegen||<br />
|-<br />
| überlegen||äwwerlaen<br />
|-<br />
| übermütig||äwermietig, tiermietig<br />
|-<br />
| übertrieben||äwwerkanditelt<br />
|-<br />
| überwältigen, betäuben||többele<br />
|-<br />
| Überzeugung||Aewwerzoigunke<br />
|-<br />
| üblich||ieblich<br />
|-<br />
| übrig||äwwerig, äwwerich<br />
|-<br />
| übrigens||äbbrigens<br />
|-<br />
| Uhr, Zeiger||Seier<br />
|-<br />
| um||im, imme<br />
|-<br />
| um 10 Uhr||im Zähne<br />
|-<br />
| um 5 Uhr||im Finnefe<br />
|-<br />
| um 7 Uhr||im Säbbene<br />
|-<br />
| Umgebung||Imgägend, Imgäjend<br />
|-<br />
| umherschwatzen||rumpataischn<br />
|-<br />
| umherlaufen,-rennen,-irren||rimhärlaufn, rimharsuußn<br />
|-<br />
| umhertollen||rimherballejen<br />
|-<br />
| umlegen, umhüllen||immeknupeln<br />
|-<br />
| Umweg||Immwaegk<br />
|-<br />
| umwerfen, umhauen||immefiaakn<br />
|-<br />
| Unfug||Fisemantenten<br />
|-<br />
| ungeniert||färrungeniert, värrungeniert<br />
|-<br />
| ungeschliffen, grob||ungeschläffn, nujeschläffn<br />
|-<br />
| Unglück||Unklicke<br />
|-<br />
| Unordnung||Mährte<br />
|-<br />
| unruhig sein, bewegen||hucheln<br />
|-<br />
| unschuldig||unschullig<br />
|-<br />
| Unsinn, Haufen, wertloses Zeug || Klumpatsch<br />
|-<br />
| unten||ungene<br />
|-<br />
| untergehen||ungerkiehn<br />
|-<br />
| Unterstützung, Hilfe||Ungerschtitzung(e)<br />
|-<br />
| unterwegs||ungerwajens, ungerwäjens<br />
|-<br />
| Urbach||Erbich, Erwich<br />
|-<br />
| Urlaub||Orlaub<br />
|-<br />
| Uthleben||Uthläwe<br />
|-<br />
|}<br />
<br />
= '''V''' =<br />
<br />
{| class="wikitable sortable"<br />
|- class="background:#f0f0f0" <br />
!style="width:60px"| Hochdeutsch !! style="width:60px" | Nordhiesisch<br />
|-<br />
| Veilchen||Veilichens<br />
|-<br />
| veränderlich||quackelig<br />
|-<br />
| verbergen, entwenden||strumpe<br />
|-<br />
| Verflixt und zugenäht!||Värflöckt un zugebungen!<br />
|-<br />
| vergangen||värkiehn, verkiehn<br />
|-<br />
| vergessen||värkässn<br />
|-<br />
| vergießen||quvtsche (v = u)<br />
|-<br />
| Vergnügen||Färkniejen, Värgniechen<br />
|-<br />
| vergnügt||färkniej(e)t<br />
|-<br />
| Verkäufer||Värkoifer<br />
|-<br />
| verlegen, irgend wohin getan||färbaaseln<br />
|-<br />
| verloren||värlohren<br />
|-<br />
| vermehren||hecken<br />
|-<br />
| vermengen||färmengelieren<br />
|-<br />
| vernünftig||färninneftig<br />
|-<br />
| Verrat||Verreht<br />
|-<br />
| verraten||färrotn<br />
|-<br />
| Vers(e)||Färsch(e)<br />
|-<br />
| versehen||versitten<br />
|-<br />
| versöhnen||färseehn<br />
|-<br />
| verstecken, klar stellen verständlich machen||värtuupeln, färtupeln<br />
|-<br />
| verteidigen||färdeffendieren,<br />
|-<br />
| värdefentheidigen<br />
|-<br />
| Vertiefung||Dellen, Dvlleken (v = u)<br />
|-<br />
| Vieh||Fiech<br />
|-<br />
| viel||veeles, vehl<br />
|-<br />
| Vielfraß||Ranschkenknacker<br />
|-<br />
| vielleicht||vehle, verllicht<br />
|-<br />
| Vierteljahr||Färteljohr<br />
|-<br />
| vor||vär<br />
|-<br />
| vor den||värdn<br />
|-<br />
| voraus||färouhs<br />
|-<br />
| Vorbehalten||vörbehohlen<br />
|-<br />
| vorbei||verbie<br />
|-<br />
| Vordergrund||Voddergrunne<br />
|-<br />
| Vorfall||Färfall<br />
|-<br />
| vorgestern||eergöstern.eergestern<br />
|-<br />
| vorher||värrhär<br />
|-<br />
| vornehm||füührnehm<br />
|-<br />
| vorrätig||faeretich<br />
|-<br />
| Vorschlag||Verschlock<br />
|-<br />
| Vorsorge||Feersorge<br />
|-<br />
| vorsprechen||färschprechn<br />
|-<br />
| vorstellen||(sich) beginne<br />
|-<br />
| vorüber||väräbber<br />
|-<br />
|}<br />
<br />
= '''W''' =<br />
<br />
{| class="wikitable sortable"<br />
|- class="background:#f0f0f0" <br />
!style="width:60px"| Hochdeutsch !! style="width:60px" | Nordhiesisch<br />
|-<br />
| Waage||Woogen<br />
|-<br />
| Wachs||Waachs<br />
|-<br />
| wahr||wohr<br />
|-<br />
| Wahrzeichen||Wohrziechen<br />
|-<br />
| wälzen||wOii.ere<br />
|-<br />
| Wand, Wände||Wont, Wenge<br />
|-<br />
| wandern, gehen, ziehen||träkken<br />
|-<br />
| wann||wenner, wennher<br />
|-<br />
| Ware(n)||Waare(n)<br />
|-<br />
| warm||worme<br />
|-<br />
| warten||woorte, luern, lueren<br />
|-<br />
| warum||wuorim, werim<br />
|-<br />
| Im Sinne von: Was man nicht hinbekommt das lässt man.||Wo me nich hinkemmet do bliebede wack.<br />
|-<br />
| Was willst du nur?||Was witt dann mant?<br />
|-<br />
| Was schaust du so?||Was bäfst n?<br />
|-<br />
| Was willst du?||Witten?<br />
|-<br />
| Wassersalamander||Rieling<br />
|-<br />
| weben, (sich) bewegen||webbele, wabbele, wabbeln<br />
|-<br />
| Wechsungen||Wächsungen<br />
|-<br />
| weg||wäck, wack<br />
|-<br />
| Weg||Waeg, Wagk<br />
|-<br />
| Weide||Wydden, Wedde<br />
|-<br />
| Weihe, Greifvögel||Wiieich<br />
|-<br />
| Weihnachten||Wiehnochten<br />
|-<br />
| Weile||Wiile, Wiele<br />
|-<br />
| Wein||Wien<br />
|-<br />
| weiß||wyß<br />
|-<br />
| weiter||wiet, wither<br />
|-<br />
| Welt||Waelt<br />
|-<br />
| wenden||wönge<br />
|-<br />
| wenig(er)||wönneg, wennij(er)<br />
|-<br />
| werfen||stönze<br />
|-<br />
| Werkzeug||Wärkzick<br />
|-<br />
| Wert||Wärth<br />
|-<br />
| Wespe||Hernske<br />
|-<br />
| Wetter||Waetter, Wäter<br />
|-<br />
| Wie geht es?||Wie siehgk’s uhs?<br />
|-<br />
| Wie geht’s?||Wie ään? Wie änn?<br />
|-<br />
| Wie soll’s weitergehen?||Na, wie ään?<br />
|-<br />
| Wie spät ist es?||was dr Seier geschlo’n hot<br />
|-<br />
| Tatsache klarstellen wieder||wädder, wedder<br />
|-<br />
| wiederkommen||wädderkumme<br />
|-<br />
| Wiege||Hotze<br />
|-<br />
| Wiener Würstchen||en Zießchen, Zieschen<br />
|-<br />
| Wiesel||Wössel<br />
|-<br />
| Wind||Winne<br />
|-<br />
| Winter||Wenter<br />
|-<br />
| wir gehen||me kiehn<br />
|-<br />
| wir sind||simme<br />
|-<br />
| wird||wärd<br />
|-<br />
| wirklich||werklich<br />
|-<br />
| Witwe, Witwer||Wöttfrau, -mann<br />
|-<br />
| Witzbold||Hasselante<br />
|-<br />
| Wo?||Wuo?<br />
|-<br />
| Wo bist du?||Wo bäst dänn mant?<br />
|-<br />
| Wollen wir||Wullme<br />
|-<br />
| Worauf?||Wudruff?<br />
|-<br />
| Wunder||Wunner<br />
|-<br />
| wunderschön||wunnerscheen<br />
|-<br />
| Wünsche äußern||blempern<br />
|-<br />
| Würden Sie bitte?||Wörrnse woll su kuth?<br />
|-<br />
| wurde||wörre<br />
|-<br />
| Wurm, Würmer||Worm, Wörmer<br />
|-<br />
| Wurst||Worscht<br />
|-<br />
| Wurstende||Schnörpel<br />
|-<br />
| Wurzel||Worzel<br />
|-<br />
| Wüste||Wieste<br />
|-<br />
| Wut haben, zornig sein||de Platze krien<br />
|-<br />
|}<br />
<br />
= '''Z''' =<br />
<br />
{| class="wikitable sortable"<br />
|- class="background:#f0f0f0" <br />
!style="width:60px"| Hochdeutsch !! style="width:60px" | Nordhiesisch<br />
|-<br />
| Zähne, hervorstehender Kiefer||Rafferte<br />
|-<br />
| zappeln||zeppele<br />
|-<br />
| Zaun||Zuhn<br />
|-<br />
| zausen||zummele<br />
|-<br />
| Zeisig||Ziißchen<br />
|-<br />
| Zeit||Ziet<br />
|-<br />
| zeitlebens||zietläwens, zietläbens<br />
|-<br />
| Zelt(e)||Zält(er)<br />
|-<br />
| zerdrücken||knuuschen<br />
|-<br />
| zerren, necken||zerge<br />
|-<br />
| Zettel||Zäddel<br />
|-<br />
| Zeug, Kram||Sachen, Zick, Zyg<br />
|-<br />
| Ziege||Zein, Hippe<br />
|-<br />
| Ziegenjungens||Zeinluppei<br />
|-<br />
| zielen, sichern||sichere<br />
|-<br />
| (das) Zittern||Bewwer, Bewwern<br />
|-<br />
| Zopf||Zvllep (v=u)<br />
|-<br />
| zornig sein||n heimlichen Worm han<br />
|-<br />
| zu dumm zu etwas||nich met ‘n linken Duhmen in de rächte<br />
|-<br />
| zufrieden||zefreden<br />
|-<br />
| Zug, Eisenbahn||Zoogk<br />
|-<br />
| zugrunde gehen||z’ Krunne kiehn<br />
|-<br />
| zuletzt||zelötzte<br />
|-<br />
| Zunge zeigen||Bläke machen<br />
|-<br />
| zupfen, (zurück)ziehen||zocke, zuufe<br />
|-<br />
| zur Zeit||jezund<br />
|-<br />
| zurück||ze(r)ricke, zuricke, zurikke<br />
|-<br />
| zusammenschlagen||wemmen<br />
|-<br />
| zusammenstellen, nähen||fuzen<br />
|-<br />
| Zusammentragen||zusammenraapn<br />
|-<br />
| zuschlagen||schmaatzen<br />
|-<br />
| Zweck||Zwäck<br />
|-<br />
| Zweifel||Zweibel<br />
|-<br />
| Zwiebel(n)||Zippel(n)<br />
|-<br />
|}<br />
<br />
[[Kategorie:Mundart]]</div>Latimer Rexhttps://nordhausen-wiki.de/index.php?title=Mundart-W%C3%B6rterbuch_Nordhausen&diff=15689Mundart-Wörterbuch Nordhausen2020-02-10T15:49:15Z<p>Latimer Rex: </p>
<hr />
<div>[[Datei:Dialekte Thüringen.svg|thumb|Verbreitungsgebiete der Dialekte in Thüringen. Der in Nordhausen gesprochene Dialekt (''Nordhiesisch'', zuweilen auch ''Nordhäuserisch'') gehört zum '''[[Nordthüringisch]]en'''.]]<br />
Das '''Mundart-Wörterbuch Nordhausen''' bietet eine alphabetische Auflistung von Wörtern bis hin zu Redewendungen und Sprichwörtern aus dem Landkreis Nordhausen. Die Sammlung erhebt nicht den Anspruch auf Vollständigkeit und ist nicht nach sprachwissenschaftlichen Gesichtspunkten erstellt. '''[http://nordhausen-wiki.de/index.php?title=Mundart-W%C3%B6rterbuch_Nordhausen&action=edit Helfen Sie mit!]''' Verfassen Sie neue Beiträge und erweitern oder korrigieren Sie bestehende. Fragen Sie Ihre Bekannten, Eltern und Großeltern nach bereits vergessenen oder selten gehörten Wörtern des ''Nordhiesischen''.<br />
<big>{{TOC Artikel}}</big><br />
= '''A''' =<br />
{| class="wikitable sortable"<br />
|- class="background:#f0f0f0" <br />
!style="width:60px"| Hochdeutsch !! style="width:60px" | Nordhiesisch<br />
|-<br />
| Aal||Aalert<br />
|-<br />
| Aas||Aast, Aester<br />
|-<br />
| abbekommen||objekriehe<br />
|-<br />
| Abend||Oobent<br />
|-<br />
| Abendbrot||Oobenbrut<br />
|-<br />
| abends||obens<br />
|-<br />
| aber||awwer, abber, abberst<br />
|-<br />
| abhetzen||(ab)jachtern<br />
|-<br />
| abmühen||obmarachen<br />
|-<br />
| abschneiden||obsaeweln<br />
|-<br />
| absolut||abselute<br />
|-<br />
| Abwechslung||Obwäxelung.Obwaejselung<br />
|-<br />
| Ach du meine Güte!||Herjemerschne!<br />
|-<br />
| Ader||Adder<br />
|-<br />
| Adieu||Hadjes<br />
|-<br />
| Adler||Aadelaer, Adlär<br />
|-<br />
| Ahorn||Maselder<br />
|-<br />
| alle zusammen||de ganze Hope, alle Hope<br />
|-<br />
| Altendorf, Stadtteil||Oolndorf<br />
|-<br />
| Altentor||Ohlenthor<br />
|-<br />
| Alter||Ooler<br />
|-<br />
| am Verstand zweifeln||er hat ‘n Fipp<br />
|-<br />
| Ameise||Hommeißel<br />
|-<br />
| anbieten||ahnsärwiern<br />
|-<br />
| anbinden, festmachen||fästknäpln<br />
|-<br />
| anders||annerschter<br />
|-<br />
| anerkennen||färästemiere, ästimieren<br />
|-<br />
| Anfang, Beginn||Beginichen<br />
|-<br />
| anfassen, unnützes||maere<br />
|-<br />
| Angst haben||Bammel<br />
|-<br />
| an kommen, anfahren||ahnzockeln<br />
|-<br />
| anmelden||ahnmälln<br />
|-<br />
| anschauen||aangucken<br />
|-anziehen ahnträckn, ahnstreckn<br />
-Anzug / Brutenrock<br />
-Apfel, Äpfel / Appel, Oppel<br />
| Aufräumen, Saubermachen||Uffroimung<br />
|-<br />
| aufschlagen, krachen||schnaape<br />
|-<br />
| aufstapeln||banse, bansn<br />
|-<br />
| aufstellen||uffschtalln<br />
|-<br />
| Aufzug||Uffzugk(e)<br />
|-<br />
| Auge||Aue, Eiweltchen<br />
|-<br />
| Augen||Klüpen, Klupschen, Glotzen, Auen<br />
|-<br />
| aus||uhß, uuß, vß (v = u)<br />
|-<br />
| Ausdruck, Ausdrücke, Begriff(e)||Uhsdruck, Uhsdrucke<br />
|-<br />
| Ausflug, Ausflüge||Usfluch, Usfliche<br />
|-<br />
| ausgiebig frühstücken||n Schtinnechen friehschticke<br />
|-<br />
| Auskunft||Uhskunneft<br />
|-<br />
| ausschwenken, säubern||schelchn<br />
|-<br />
| aussortieren, vereinzeln||separiern<br />
|-<br />
| Aussteuer||Uhsschteier, Uhsschteuer<br />
|-<br />
| Auswärtiger||Ussewärtjer<br />
|-<br />
| Ausweg||Uhswäck<br />
|-<br />
| auswendig||vßßewönneg (v = u)<br />
|-<br />
| Automobil||Autemoppel, Autemoppäl<br />
|-<br />
| Axt||Hackebiel<br />
|-<br />
|}<br />
<br />
= '''B''' =<br />
<br />
{| class="wikitable sortable"<br />
|- class="background:#f0f0f0" <br />
!style="width:60px"| Hochdeutsch !! style="width:60px" | Nordhiesisch<br />
|-<br />
| Bachstelze||Ackermennichen<br />
|-<br />
| Bad Sachsa||Bad Sachse<br />
|-<br />
| Bahnsteig||Perong<br />
|-<br />
| bald||bohle, boolichen<br />
|-<br />
| baldmöglichst||ieweste<br />
|-<br />
| Bank, Bänke||Bongk, Benge<br />
|-<br />
| barfuß||barweß<br />
|-<br />
| Barfüßerstraße||Barwessen<br />
|-<br />
| Barometer||Bergemeter<br />
|-<br />
| Bart||Borth<br />
|-<br />
| Bauch||Buchch<br />
|-<br />
| Bauer(n)||Bur(en), Buhren, Buern, Buuer<br />
|-<br />
| Baugerüst||Boujerist<br />
|-<br />
| Baum, Bäume||Beime, Beimer<br />
|-<br />
| Baumstamm, jung||Reitel, Knebel<br />
|-<br />
| beben||böbbere, päppern<br />
|-<br />
| Beefsteak, Hackbraten||Beffschtick<br />
|-<br />
| Beeile dich, er kommt!||Moch haen, do kämmete!<br />
|-<br />
| beeilen||schwingn, schwinge<br />
|-<br />
| bei||by, bii<br />
|-<br />
| beibringen, etwas lehren||biejebränge<br />
|-<br />
| beieinander (sein)||bie, bienanner<br />
|-<br />
| Beifuß||Biiwest<br />
|-<br />
| beinahe||binoh, bynoo<br />
|-<br />
| beiseite (gehen)||biesiete<br />
|-<br />
| bekannt||bekönnt<br />
|-<br />
| bekommen||krein, jekräh<br />
|-<br />
| Beleuchtung||Belichtunk <br />
|-<br />
| Berg, Hügel||Bärgk<br />
|-<br />
| berühren, tupfen, antippen||tippe<br />
|-<br />
| Bescherung||Bescheerichte<br />
|-<br />
| beschimpfen||aanranzen<br />
|-<br />
| beschütten, überlaufen||überquitschen<br />
|-<br />
| besonders||besunnersch<br />
|-<br />
| besonders schön, vornehm||schnickeldebank<br />
|-<br />
| bestreichen, auflegen||uffkliern<br />
|-<br />
| Betrieb||Betriewe<br />
|-<br />
| betrügen||behimpeln<br />
|-<br />
| betrunken, besoffen || hartballer, hortboller (Nordhäuser Jugendsprache)<br />
|-<br />
| betrunken sein||Fäste ein’n jepilpert hom(haan)<br />
|-<br />
| Bett||Bätte, Pätte, Kahn, Nest<br />
|-<br />
| Beutel, Tasche||Bittl<br />
|-<br />
| Bewegung||Bewajung, Bewäjung<br />
|-<br />
| beweisen||bewässen<br />
|-<br />
| bezahlen||blächen<br />
|-<br />
| Bibliothek||Biwelthek<br />
|-<br />
| Bier||Beer<br />
|-<br />
| Biersorte||Briehan<br />
|-<br />
| Biest||Beist<br />
|-<br />
| bis unten hin||bis ungene haenn<br />
|-<br />
| bißchen||bäschen, bässchen, linzchen<br />
|-<br />
| bissig||bießening<br />
|-<br />
| Blatt, Blätter||Blath, Bletter<br />
|-<br />
| Blei||Blöi<br />
|-<br />
| bleiben||blaewwen, bläbben, bliewen<br />
|-<br />
| Bleicherode||Blicherode<br />
|-<br />
| (nach etwas) blicken, streben||ankere, ampere<br />
|-<br />
| blühen||blieh’n<br />
|-<br />
| Blümchen||Bliemechen<br />
|-<br />
| Blume(n)||Blumme(n)<br />
|-<br />
| Boden||Bodden<br />
|-<br />
| Bohnen||Bonn<br />
|-<br />
| Bohnen, grün||Schminkebonn<br />
|-<br />
| böse, ungezogen||biese, beese<br />
|-<br />
| Bratpfanne||Schaffen<br />
|-<br />
| Bratwürste||Rostwörschtchens<br />
|-<br />
| Bratwürste, frisch gestopft||Aanläufchen<br />
|-<br />
| braun||brun<br />
|-<br />
| Braunschweig||Brunschwieck<br />
|-<br />
| Bräutigam||Pryttigam<br />
|-<br />
| brav, sehr tüchtig||braawe<br />
|-<br />
| breit||braatsch<br />
|-<br />
| Brennerei||Bränneröi<br />
|-<br />
| Brezel(n)||Präzel(n)<br />
|-<br />
| Brille||Brill, Naasenklemmer<br />
|-<br />
| bringen||brengen<br />
|-<br />
| Brot||Bruhdt<br />
|-<br />
| Brötchen||Franzbretchen<br />
|-<br />
| Brötchen, klein||Knetzel<br />
|-<br />
| Brötchen, halb, getrocknet||Schröppelchen<br />
|-<br />
| Brotteile, Endstück||Runks, Runksen, Knust, Knuust<br />
|-<br />
| Brücke||Brick(e)n, Brügn<br />
|-<br />
| Brühe, Soße||Brie<br />
|-<br />
| brüllen||bellekn<br />
|-<br />
| brutzeln, grillen||praeppeln<br />
|-<br />
| Buchhandlung||Buchhannelung<br />
|-<br />
| Büchse, Dose / auch Hose||Bickse<br />
|-<br />
| Bückling(e)||Bickinge<br />
|-<br />
| büffeln, emsig arbeiten||bvlliche(n) (v = u)<br />
|-<br />
| Bühne||Biehne<br />
|-<br />
| Bündel||Bingel<br />
|-<br />
| Burg||Bork<br />
|-<br />
| Bürger, Bewohner||Bärjer<br />
|-<br />
| Bürgersteig||Bärjerschteich<br />
|-<br />
| Bürste, groß o. Kratzbürste||Berschten, Bärschten, Kartaetschen<br />
|-<br />
| bürsten||berschten<br />
|-<br />
| Busen||Bossem<br />
|-<br />
| Butter||Botter<br />
|-<br />
| Butterklößchen,||Botterkließchens<br />
|-<br />
|}<br />
<br />
= '''C''' =<br />
<br />
{| class="wikitable sortable"<br />
|- class="background:#f0f0f0" <br />
!style="width:60px"| Hochdeutsch !! style="width:60px" | Nordhiesisch<br />
|-<br />
| Chaussee||Schorsee, Schesse<br />
|-<br />
| Clique, Rolandgruppe||Konfiefchen, Konfievchen(v = u)<br />
|-<br />
| Cousine, Base||Waasen<br />
|-<br />
|}<br />
<br />
= '''D''' =<br />
<br />
{| class="wikitable sortable"<br />
|- class="background:#f0f0f0" <br />
!style="width:60px"| Hochdeutsch !! style="width:60px" | Nordhiesisch<br />
|-<br />
| Da haben wir es!||Nune do!<br />
|-<br />
| Da liegt das Zeug!||Do läht dr Bettel!<br />
|-<br />
| da, du, die, ihr||de<br />
|-<br />
| dabei||benäbest, derbie, derbii, darbie, dodärbie<br />
|-<br />
| Dachluke||Taaqeloch, Taaqkloch<br />
|-<br />
| dafür||de(a)rfeer, doderfer<br />
|-<br />
| dagegen||de(a)rwädder<br />
|-<br />
| dahinter||de(a)rhinger<br />
|-<br />
| damals||domohls, doozemool<br />
|-<br />
| damit||de(a)rmeede, dodrmet<br />
|-<br />
| danach||de(a)rnooch<br />
|-<br />
| dann||doo, da<br />
|-<br />
| daran||dodraan<br />
|-<br />
| daran ziehen||dranne drecke<br />
|-<br />
| Darm||Dorm, Dormen<br />
|-<br />
| darüber||dräwwer <br />
|-<br />
| darunter||dorunner<br />
|-<br />
| das erste..||zeerschte <br />
|-<br />
| das erste Mal||srschtemool<br />
|-<br />
| Das fehlt mir gerade noch!||Das haet mich grade noch gefählt!<br />
|-<br />
| dauern, anhalten||duhrn<br />
|-<br />
| Daumen||Duhmen<br />
|-<br />
| davon||de(a)rfoone, dodervone, drvonne (v = u)<br />
|-<br />
| dazu||de(a)rzou<br />
|-<br />
| dazwischen||de(a)rmangk, dermang partutemangk<br />
|-<br />
| Denkmal||Denkmohl<br />
|-<br />
| denn||dann<br />
|-<br />
| der||d’r, dr, daer<br />
|-<br />
| der/die Koffer||Kuffert(e)<br />
|-<br />
| des Lügens bezichtigen||Da soll dich doch glich de Zunge im Muule verfuhle! Verfleckstes Liegetier!<br />
|-<br />
| deshalb||däshalb<br />
|-<br />
| deswegen||daesserwegen<br />
|-<br />
| deutlich dicker Schädel|| Qualster<br />
|-<br />
| dickköpfig||dicknebisch<br />
|-<br />
| diskutieren||derchknetschn<br />
|-<br />
| doch, doch mal||dach, dachemool<br />
|-<br />
| Docht||Doocht<br />
|-<br />
| Donner||Dünner<br />
|-<br />
| Dörfchen||Derfchen, Darfchen<br />
|-<br />
| Dorn||Dooren<br />
|-<br />
| dort||durt<br />
|-<br />
| Draht||Troth(e)<br />
|-<br />
| draußen||drussene<br />
|-<br />
| Dreck, Schmutz||Dräck(e)<br />
|-<br />
| drei||dröi<br />
|-<br />
| dreißig||drissig<br />
|-<br />
| dreizehn||drizzen<br />
|-<br />
| dumm||daemesch, deemelig, damisch<br />
|-<br />
| Dunkelheit||Duustrichkeit<br />
|-<br />
| Dünndarm||Öngebvtten (v = u)<br />
|-<br />
| durch||därch<br />
|-<br />
| Durchgang, schmal o. Spalt||Schluppe<br />
|-<br />
| dürr, trocken||därr, därre<br />
|-<br />
|}<br />
<br />
= '''E''' =<br />
<br />
{| class="wikitable sortable"<br />
|- class="background:#f0f0f0" <br />
!style="width:60px"| Hochdeutsch !! style="width:60px" | Nordhiesisch<br />
|-<br />
| eben, also, daher||aewen(t), aebent<br />
|-<br />
| ebenso||aebent so, aewent so<br />
|-<br />
| edel, besonders gut||aeddel, äddel<br />
|-<br />
| ehe||eer, eher<br />
|-<br />
| Ehefrau||Ohle<br />
|-<br />
| Ehemann||Eekrreepel<br />
|-<br />
| Ei(er)||Ey(er)<br />
|-<br />
| Eichelhäher||Winnich<br />
|-<br />
| Eifer||liwer<br />
|-<br />
| Eimer||Emmer<br />
|-<br />
| ein||änn<br />
|-<br />
| ein gutes Essen||n gutes Paperchen<br />
|-<br />
| ein übervolles Gefäß||n Bielsche<br />
|-<br />
| ein wenig, ein bißchen,||n Mellichen, aen Wielichen,<br />
|-<br />
| ein Weilchen||aen Fiemichen<br />
|-<br />
| eine Hälfte||Hallewen, Halwen<br />
|-<br />
| Eine Ohrfeige geben||Ins mangk de Talleklichter gä’n<br />
|-<br />
| eine Viertelstunde||aenn Vaertelstünnichen<br />
|-<br />
| einen großen Mund haben||ne ultrafone Mämbrane in’n Nischel han<br />
|-<br />
| einen Streich spielen||aene Kanker koue<br />
|-<br />
| einen Vogel haben||Fimmei<br />
|-<br />
| Eingelegtes, sauer||suer färmängeliertes<br />
|-<br />
| eingepackt||biegeschtackt<br />
|-<br />
| einhundert||hunnert<br />
|-<br />
| Einkauf, Einkäufe||Inkoife<br />
|-<br />
| einmal||mool, einstmools<br />
|-<br />
| einschläfern, einwiegen||boie<br />
|-<br />
| einsehen||insiehn<br />
|-<br />
| Eintopf||Kochels<br />
|-<br />
| eintunken, eintauchen||tischn<br />
|-<br />
| einzeln||önzeln<br />
|-<br />
| einzig||önzig<br />
|-<br />
| Eisbein mit Sauerkraut||Isbein met Suerkruut<br />
|-<br />
| Eisbeine||Schwinnskielen<br />
|-<br />
| Eisen||lisen<br />
|-<br />
| Eisenbahn||Isenbahne<br />
|-<br />
| eisern||issern<br />
|-<br />
| eitel||yttel<br />
|-<br />
| Elend, Not||Eelönge, Eelänge<br />
|-<br />
| Elle||Eelen<br />
|-<br />
| entdecken||ändäckn, aendäckn<br />
|-<br />
| entfernen||äntfärn<br />
|-<br />
| entführen||äntfiehr(e)n<br />
|-<br />
| Enttäuschung||Aentoischunge, Aentoischungk<br />
|-<br />
| entwirren||knupeln, knepeln<br />
|-<br />
| entzwei, kaputt||inzwei<br />
|-<br />
| er|| he<br />
|-<br />
| Erbsen||Aerwessen Erweßen, Erwessen<br />
|-<br />
| Erde||Aere, Äere<br />
|-<br />
| Erfindung||Erfingung<br />
|-<br />
| Erfolg||Erfolleck<br />
|-<br />
| Erfurt||Aerfurt<br />
|-<br />
| erlauben||aerlauwn<br />
|-<br />
| erleben||aerlähm, ärläwn<br />
|-<br />
| Ernte||Ärnte<br />
|-<br />
| Erstaunen||Vä(e)rschtaunen,<br />
|-<br />
| Verschtaunen<br />
|-<br />
| ertrinken||värseifn<br />
|-<br />
| erzählen, schwatzen||färzaehln, färzähln, schtorchen, stojern<br />
|-<br />
| Es dauert noch eine Weile!||s duert noch’n Mälächen!<br />
|-<br />
| Es ist etwas passiert!||s ruhcht!<br />
|-<br />
| Es ist nicht zum Aushalten!||s aes nich zun Uhsjehole!<br />
|-<br />
| Es will mir nicht einfallen!<br />
|-<br />
| ||Äs wabbelt mich *so vär’n Muhle rim!<br />
|-<br />
| Es wird sich schon klären!||s waerd sich schon uusjewiese!<br />
|-<br />
| Essen||Aessen<br />
|-<br />
| essen, kauen||muffele, naetern<br />
|-<br />
| etliche||ötzliche<br />
|-<br />
| etwa||etwen<br />
|-<br />
| etwas besonders Schönes||schnipperschnäckch(es)<br />
|-<br />
| etwas darstellen, über etwas frei reden||äxtämperiren<br />
|-<br />
| etwas ist nicht in Ordnung||wu de Säje klemmt<br />
|-<br />
| etwas ordnen||fuzzeln<br />
|-<br />
| etwas tun||knupper(e)n<br />
|-<br />
| Eule||lilen, Illen<br />
|-<br />
| Euter||Eiter<br />
|-<br />
| Extrarunde||Aekstrarunne<br />
|-<br />
|}<br />
<br />
= '''F''' =<br />
<br />
{| class="wikitable sortable"<br />
|- class="background:#f0f0f0" <br />
!style="width:60px"| Hochdeutsch !! style="width:60px" | Nordhiesisch<br />
|-<br />
| Faden||Fadden<br />
|-<br />
| Fahrrad||Veloziped, Fillizipeh, Flizepeh<br />
|-<br />
| Fahrschein, -karte||Schien<br />
|-<br />
| Familie||Familigen<br />
|-<br />
| fangen||däwweln<br />
|-<br />
| faul||fühl<br />
|-<br />
| Faust, Fäustchen||Fuust, Fiestchen<br />
|-<br />
| Februar||Fewerwar<br />
|-<br />
| Fehler||Fählersch<br />
|-<br />
| Feier, Fest||F(f)ier, Faest, Feetz<br />
|-<br />
| Feind||Fiend<br />
|-<br />
| Fenster||Fanster, Fänster<br />
|-<br />
| Ferkel||Fickel<br />
|-<br />
| fertig||färtig<br />
|-<br />
| Fest||Fäst<br />
|-<br />
| feststellen||fästschte(ä)bbeln<br />
|-<br />
| Feuchtigkeit||Fiechte<br />
|-<br />
| Feuer||Fier<br />
|-<br />
| finden||fingn<br />
|-<br />
| Flasche||Pulle<br />
|-<br />
| flattern||pvrrele (v = u)<br />
|-<br />
| Fledermaus||Fläddermuhs<br />
|-<br />
| Flieder||Zitrenechen <br />
|-<br />
| Fohlen||Föllichens <br />
|-<br />
| Fortgang||Furtkank <br />
|-<br />
| fortgehen, -schleichen,||furtkiehn <br />
|-<br />
| verstecken||forttupeln <br />
|-<br />
| fragen||fraate<br />
|-<br />
| Frau, beleibt, auch Kosenamen||Qwutschelchen, Owutschelchen<br />
|-<br />
| Frau, einfältig||Truutschel <br />
|-<br />
| Frau, Frauen, Weib||Wieb(essen), Wiibeßen<br />
|-<br />
| Frau, kräftig gebaut||Trommel<br />
|-<br />
| Frau, liebevoll gesagt||Wiebechen<br />
|-<br />
| Frau, unordentlich,||Strunze,<br />
|-<br />
| liederlich||Schingelaich, Mänsche<br />
|-<br />
| Fräulein||Freelen<br />
|-<br />
| Freude||Fraide<br />
|-<br />
| Freund(e)||Fring(e)<br />
|-<br />
| Friedhof||Kerchhow(e), Kerchhoff<br />
|-<br />
| Friseur||Balwier<br />
|-<br />
| früh||frieh<br />
|-<br />
| Frühling||Fri(e)hlink<br />
|-<br />
| fünfzig||fuffzik<br />
|-<br />
| für ein, für ihn||fern<br />
|-<br />
| Für jemand, der viel ißt||He frisst wii en schebber!<br />
|-<br />
| Fürst||Forscht<br />
|-<br />
| Fuß, Füße||Fuuß, Fieß<br />
|-<br />
| Fußbank||Hitschen<br />
|-<br />
| Futter, Essen||Fitter<br />
|-<br />
|}<br />
<br />
= '''G'''=<br />
<br />
{| class="wikitable sortable"<br />
|- class="background:#f0f0f0" <br />
!style="width:60px"| Hochdeutsch !! style="width:60px" | Nordhiesisch<br />
|-<br />
| Gans, jung||Puttchen<br />
|-<br />
| Gänseblume||Kenseblummen<br />
|-<br />
| Gänsebraten||Kaensebroten<br />
|-<br />
| Gänserich||Kaneist, Gaaneist<br />
|-<br />
| gar||kahr<br />
|-<br />
| gar nicht||gornich. kornich<br />
|-<br />
| Gas||Kas<br />
|-<br />
| Gasse||Kasse<br />
|-<br />
| Gast, Gäste||Kast, Keste<br />
|-<br />
| Gaststube, Wirtshaus||Wärtschaft<br />
|-<br />
| Gebäude||Geböide<br />
|-<br />
| geben||gänn’, gäwen, käwn<br />
|-<br />
| Gebiß||Färdauungsbeferderungs-<br />
|-<br />
| maschine<br />
|-<br />
| Gefäß||Schtöbbichen<br />
|-<br />
| gegen||kägen<br />
|-<br />
| Gegend||Kägend<br />
|-<br />
| Gegenwart||Kägenwart<br />
|-<br />
| gegenwärtig||gägenwärtigk, kägenwärtich<br />
|-<br />
| Gegner, Rivale||Kägner<br />
|-<br />
| (hoch)gehen||(huch) sockn<br />
|-<br />
| Geh-, Bürgersteig,||Trettewor, Trittvare (v = u)<br />
|-<br />
| Geh-, Spazierstock||Kiehschtock<br />
|-<br />
| gehabt||gehatt<br />
|-<br />
| gehäuft||gehuuft<br />
|-<br />
| Gehege, Erholungsgebiet||Jeheeje, Gehäge<br />
|-<br />
| gehen, plump||wallepe<br />
|-<br />
| gehen, sehr langsam||zokkeln<br />
|-<br />
| Gehirn || Gehörn<br />
|-<br />
| gehört|| gehiert<br />
|-<br />
| Gehweg||Gahwäch, Gähwäch<br />
|-<br />
| Geiersberg, Straßenname||Geierschbärge, -bärgk<br />
|-<br />
| geifern||seibere<br />
|-<br />
| Geige||Figgeline<br />
|-<br />
| Geigenspieler||Figgelinenschtriecher<br />
|-<br />
| Geist||Keist<br />
|-<br />
| gelb||gelleb<br />
|-<br />
| Geld||Gald, Käld<br />
|-<br />
| Gemisch||Quadder, Quatsch<br />
|-<br />
| Generation||Schänneratio’<br />
|-<br />
| Genick||Kantusche<br />
|-<br />
| genug||genunk<br />
|-<br />
| gerade erst||kummest<br />
|-<br />
| Gericht der Region||Kittelwurschte, Lasekuchen, Magenzippel, Zippelwurscht<br />
|-<br />
| Gericht, Klöße||Tiewichens<br />
|-<br />
| gerinnen, ausschütten||(sich) scheete<br />
|-<br />
| Geschimpfe||Gaebellewer<br />
|-<br />
| geschmacklos ankleiden||färpaapeln<br />
|-<br />
| Geschnatter, Klatschbasen||Geschnärrelze<br />
|-<br />
| Gesicht||Fissasche<br />
|-<br />
| Gesicht, beleidigt||Flunsch<br />
|-<br />
| Gespräch führen||hänunhärschwatzn<br />
|-<br />
| getrost||triste<br />
|-<br />
| Gewirr, Durcheinander||Wärrich<br />
|-<br />
| Gewitter||Gewetter<br />
|-<br />
| gibt||gitt<br />
|-<br />
| Giebel||Gäwwel<br />
|-<br />
| gierig essen||acheln<br />
|-<br />
| Glas, Gläser||Klaas, Klesser<br />
|-<br />
| gleich||kliech<br />
|-<br />
| Glück||Glick<br />
|-<br />
| Gold||Kold<br />
|-<br />
| Götterspeise||Bibberpudding<br />
|-<br />
| Graben||Kraben<br />
|-<br />
| Gras||Kras<br />
|-<br />
| grau||krau<br />
|-<br />
| Graupen||Grvppen(v=u), Schwellenhipper<br />
|-<br />
| grillen||praeppeln<br />
|-<br />
| Grimmel, Stadtteil||Krimmel<br />
|-<br />
| grinsen, hämisch lachen||fletschen<br />
|-<br />
| grob, derb||krob, kropp<br />
|-<br />
| Grobian||Hache<br />
|-<br />
| Groschen||Groschen<br />
|-<br />
| groß||graß, kru(u)ß, gruuß<br />
|-<br />
| großes Hinterteil||Achzigdahler-Hingerfärtel<br />
|-<br />
| gucken, anstarren||beffe, beffn<br />
|-<br />
| Güte||Kiete<br />
|-<br />
| Guten Tag!||Gu’n Togk!<br />
|-<br />
|}<br />
<br />
= '''H''' =<br />
<br />
{| class="wikitable sortable"<br />
|- class="background:#f0f0f0" <br />
!style="width:60px"| Hochdeutsch !! style="width:60px" | Nordhiesisch<br />
|-<br />
| Haare||Hoore<br />
|-<br />
| halten||hohlen<br />
|-<br />
| Haltestelle, Station||Hooleschtälle<br />
|-<br />
| hämmern, pochen||peekere, peekern<br />
|-<br />
| Hand, Hände||Hand, Henge<br />
|-<br />
| Hand, klein||Patschhängechen<br />
|-<br />
| Hannover||Hannewer<br />
|-<br />
| Harzquerbahn, Quwirl||Querrel<br />
|-<br />
| ... hatten wir...||... hetteme ...<br />
|-<br />
| Haus, Häuser||Huß, Hisser<br />
|-<br />
| Haus, klein||Hißchen<br />
|-<br />
| Haustür||Husstiere<br />
|-<br />
| heben||hupeln<br />
|-<br />
| hell||hälle<br />
|-<br />
| Hemd||Hämmet, Hemmede, Kammisee, Kammisettchen, Chemisett<br />
|-<br />
| Hemdeinsatz (veraltet) Hemdeinsatz, Latz||Färhemedchen Schemisättchen <br />
|-<br />
| heran||raan <br />
|-<br />
| herauf, hoch, oben||ruf, ruff<br />
|-<br />
| herausputzen||uffklavieren,uffschmurunkeln<br />
|-<br />
| herbei||härbie<br />
|-<br />
| Herbst||Härtest, Härweste<br />
|-<br />
| herein||rin<br />
|-<br />
| Hering||Häring<br />
|-<br />
| Heringen||Häringen<br />
|-<br />
| Herr||Härre<br />
|-<br />
| Herrmannsacker||Härmannsacker<br />
|-<br />
| herüber||räbber, räbber<br />
|-<br />
| herüber und hinüber||räwwer un näwwer<br />
|-<br />
| herum||rim<br />
|-<br />
| herunter||runger<br />
|-<br />
| hervorragen, stecken, große Schritte machen||schtaake<br />
|-<br />
| Herz||Haerz(e)<br />
|-<br />
| heute||hiete<br />
|-<br />
| heutzutage||hietezetagks<br />
|-<br />
| Hieb, Schlag||Dachtel, Tachtel<br />
|-<br />
| Himmelgarten||Himmelgoorten<br />
|-<br />
| hinan||naan<br />
|-<br />
| hinauf||nuf<br />
|-<br />
| hinauftransportieren,<br />
|-<br />
| -reichen||nuffträbbn<br />
|-<br />
| hinaus||nuhs, nuuß<br />
|-<br />
| hineinlegen||nin, rinjetu<br />
|-<br />
| hineinstecken||fukkeln<br />
|-<br />
| hinhocken||kutzn<br />
|-<br />
| hinken||hunkeln<br />
|-<br />
| hinsehen||haenluupen<br />
|-<br />
| hinsetzen||kuhzn<br />
|-<br />
| hinter||hinger<br />
|-<br />
| hinterher||hingerhär<br />
|-<br />
| hinterher gehen||schlären<br />
|-<br />
| Hinterteil, Po||Hingerfärtel, Hingerschten<br />
|-<br />
| hinüber||nabber<br />
|-<br />
| hinunter||nunger, finter, ringer<br />
|-<br />
| Hinweis||Hänwies<br />
|-<br />
| Hirsch||Härsch<br />
|-<br />
| Hobby||Hoppi<br />
|-<br />
| hochdeutsch||huhchtietsch<br />
|-<br />
| hochgehen||huchsockn<br />
|-<br />
| hochheben||hopen<br />
|-<br />
| hochstehen (Haare)||schtiepeln<br />
|-<br />
| Hohegeiß||Huhekeist<br />
|-<br />
| Hole mir bitte ...||Langk mich mol...<br />
|-<br />
| Holunderbeeren||Zwöbbetsen<br />
|-<br />
| Honigbiene||Honnekbehne<br />
|-<br />
| Höre mir auf (damit)!||Haerk mich uff! (Auleben)<br />
|-<br />
| hören||heeren<br />
|-<br />
| hübsch, nett||schnaaksch<br />
|-<br />
| Hügel, Erhebung||Hiegel<br />
|-<br />
| Hühnerauge||Hinneraue<br />
|-<br />
| Hühnerstange||Hinneredeissen<br />
|-<br />
| Hund, Hunde||Betzen, Göter, Hunne, Hund<br />
|-<br />
| Hund, männlich||Rödden<br />
|-<br />
| Hut||Huht<br />
|-<br />
|}<br />
<br />
= '''I''' =<br />
<br />
{| class="wikitable sortable"<br />
|- class="background:#f0f0f0" <br />
!style="width:60px"| Hochdeutsch !! style="width:60px" | Nordhiesisch<br />
|-<br />
| Igel||Schwiineigel<br />
|-<br />
| Ilfeld||Ihlefeld<br />
|-<br />
| im Bett liegen||in dr Hotzen lae’n<br />
|-<br />
| im Dunkeln munkeln||n Dusterungen glustern<br />
|-<br />
| im Inneren||innewönnig<br />
|-<br />
| im Leib||in Liewe<br />
|-<br />
| im Ofen||in d’r Rährn<br />
|-<br />
| im übrigen||in’s Aewwrige<br />
|-<br />
| Imbiß vor Nachtruhe||Haanewackel<br />
|-<br />
| in Eile||in Raasche<br />
|-<br />
| innerlich||innewagk<br />
|-<br />
| Inspektor||Entschpekter<br />
|-<br />
| inzwischen||i(n)zund<br />
|-<br />
| irgendwie||aerjentwie<br />
|-<br />
|}<br />
<br />
= '''J''' =<br />
<br />
{| class="wikitable sortable"<br />
|- class="background:#f0f0f0" <br />
!style="width:60px"| Hochdeutsch !! style="width:60px" | Nordhiesisch<br />
|-<br />
| Jagd||Jacht<br />
|-<br />
| Jahr||Johr<br />
|-<br />
| Jahrmarkt||Jormart<br />
|-<br />
| jetzt, in diesem Moment||zund, zunder, justemänte<br />
|-<br />
| Junge, groß||langker Laban<br />
|-<br />
| Junge, klein||Porzel<br />
|-<br />
| Jungen, Bengel||Bängels<br />
|-<br />
|}<br />
<br />
= '''K''' =<br />
<br />
{| class="wikitable sortable"<br />
|- class="background:#f0f0f0" <br />
!style="width:60px"| Hochdeutsch !! style="width:60px" | Nordhiesisch<br />
|-<br />
| Kabarett||Kawwai-eh<br />
|-<br />
| Kaffee||Nater<br />
|-<br />
| Kalbsbraten||Kallewesbrooten<br />
|-<br />
| Kaldaunen, saure Flecke||Kalunn<br />
|-<br />
| kalte||koole<br />
|-<br />
| Kälte||Kiehle, Kille<br />
|-<br />
| Kam||kaamps <br />
|-<br />
| Kaplan||Kappelahn<br />
|-<br />
| Karpfen||Karpen<br />
|-<br />
| Kartenspiel||Koortenspeel<br />
|-<br />
| Kartoffel||Kartuffel<br />
|-<br />
| Karussell||Karsell, Karessäl,<br />
|-<br />
| Käse, klein und rund||Fügen<br />
|-<br />
| Käse, Quark||Hotten<br />
|-<br />
| Kater, Katze||Kaazert, Muunz<br />
|-<br />
| kauest||koueste<br />
|-<br />
| Kaulquappen||Rotzkulerten<br />
|-<br />
| Kautabak||Prim<br />
|-<br />
| Kehlkopf||Gorgelschtock<br />
|-<br />
| keifen||bellewere<br />
|-<br />
| Keller||Käller<br />
|-<br />
| Kellertreppe||Kaallertrappn<br />
|-<br />
| Kellner||Kaellnaer<br />
|-<br />
| Keramik, Steingut||Schteinzigk<br />
|-<br />
| Kette||Keete<br />
|-<br />
| Keule||Kiehle<br />
|-<br />
| Kind, klein||Queckenhammester, Wärgelchens<br />
|-<br />
| Kind, lieb u. klein||Knifterchen<br />
|-<br />
| Kind, neugierig||Spiekeding<br />
|-<br />
| Kind, verwahrlost||Kn atz<br />
|-<br />
| Kinder||Kinger, Kingersch, Wänster, Knärjel<br />
|-<br />
| Kirche||Kärche(n), Kerchen<br />
|-<br />
| Kirschberg||Kärschber(g)k<br />
|-<br />
| Kittel||Kättel <br />
|-<br />
| klauen||muusen<br />
|-<br />
| klebrig||kläwwerich<br />
|-<br />
| Kleidung||Kleedasche<br />
|-<br />
| Kleidung, vornehm||siedene Fahne<br />
|-<br />
| Kleie||Klöin<br />
|-<br />
| kleine Gänse||Billechen<br />
|-<br />
| kleine Handtasche||Uhskiehtäschchens<br />
|-<br />
| kleine Wunde, Strafmandat||t Klaebelaeppchens<br />
|-<br />
| kleiner Raum, Zimmer||Kabieschen<br />
|-<br />
| kleiner Topf, Glas||Teppchen<br />
|-<br />
| kleines Haus||Hoischen<br />
|-<br />
| Kleinkram||Kinkerlinzchen<br />
|-<br />
| klettern||häpeln<br />
|-<br />
| klirren||schäbbern<br />
|-<br />
| Kloß||Kluß<br />
|-<br />
| Kloster||Kluster<br />
|-<br />
| klug||kluhk<br />
|-<br />
| Knackwurstring||Bratworscht<br />
|-<br />
| kneten||mantschen<br />
|-<br />
| knirschen||schnorpse<br />
|-<br />
| Knoblauch||Knäbblauch<br />
|-<br />
| Knöchel, Fußteil||Önkel<br />
|-<br />
| Knopf||Knupp<br />
|-<br />
| Knoten, Haarfrisur||Kützchen<br />
|-<br />
| Hautverdickung, Knoten||Knullich<br />
|-<br />
| knüpfen||kneepel(e)n<br />
|-<br />
| kochen||pappern<br />
|-<br />
| kochen (Kaffee), hinsetzen||haensetzn<br />
|-<br />
| Kochstelle||Gruden<br />
|-<br />
| Kohlblatt||Fuuschen<br />
|-<br />
| Komm||Kumm<br />
|-<br />
| Kommentar||Kummentahr<br />
|-<br />
| kompetent, versiert||kumpetänt<br />
|-<br />
| Kompliment||Compelmänt<br />
|-<br />
| Konfirmation||Kumfermazione<br />
|-<br />
| König||Könnek<br />
|-<br />
| Konzert||Kunzärt<br />
|-<br />
| Kopf||Nischel, Taez, Tössel <br />
|-<br />
| Kopfbedeckung||Schaapel<br />
|-<br />
| Kornmarkt, Platz in der||Kornmarte <br />
|-<br />
| Körper, unartiges Kind||Ballek<br />
|-<br />
| Kotelett||Karmenade<br />
|-<br />
| Krach, Lärm, Unruhe, Radau||Deewes, Deews, Teweß<br />
|-<br />
| Krach, Radau machen||Räbbes mache, Rabbatz<br />
|-<br />
| Kraft||Forsche<br />
|-<br />
| kräftig||schteebig<br />
|-<br />
| kratzen||schraape<br />
|-<br />
| kriechen, anstrengend||krepeln<br />
|-<br />
| Krimderode||Crimderimde<br />
|-<br />
| kritisieren, bemängeln||rimkneeln<br />
|-<br />
| Krone||Krune<br />
|-<br />
| Krug||Kruhk<br />
|-<br />
| Kuh, Kühe||Koi, Köiwichen<br />
|-<br />
| Kuhberg, Stadtteil||Kuhbärgk, -bärge<br />
|-<br />
| Kuheuter||Nitter<br />
|-<br />
| Künstler||Kinstlär<br />
|-<br />
| kurzum||korzimm<br />
|-<br />
|}<br />
<br />
= '''L''' =<br />
<br />
{| class="wikitable sortable"<br />
|- class="background:#f0f0f0" <br />
!style="width:60px"| Hochdeutsch !! style="width:60px" | Nordhiesisch<br />
|-<br />
| lachen||futschen<br />
|-<br />
| Lampe, klein||Funsel<br />
|-<br />
| /schwaches Licht Landstreicher||Strönzer, Stränzer<br />
|-<br />
| lang||langk<br />
|-<br />
| langweilig||lankschteelig<br />
|-<br />
| Lappalien, Kleinigkeiten||Läppereien<br />
|-<br />
| Lärmen, losziehen, rufen||krake(e)ln<br />
|-<br />
| (bleiben)lassen||gelooße<br />
|-<br />
| Laterne(n)||Latärne(n)<br />
|-<br />
| laufen||deckele<br />
|-<br />
| laufen, eilig u. zielgerichtet||haennretaeriern<br />
|-<br />
| laut||lut *<br />
|-<br />
| laut schreien, gröhlen||kaaken, kaakn<br />
|-<br />
| Leber||Laewwer<br />
|-<br />
| Lebzeiten||Laebzieten<br />
|-<br />
| Leckermäulchen||Leckerschnießchen<br />
|-<br />
| Lehrer||Kanter<br />
|-<br />
| leicht betrunken||schweimein<br />
|-<br />
| Leiter||Laetter<br />
|-<br />
| Leser||Läser<br />
|-<br />
| Leute||Liite, Liethe, Liete<br />
|-<br />
| Lexikon||Läksikon<br />
|-<br />
| lieben, mögen||liewn<br />
|-<br />
| Likör||Lickeer<br />
|-<br />
| Limonade, Brause||Brunse, Bruuse<br />
|-<br />
| Linde||Linge<br />
|-<br />
| Lohn, Gehalt||Luhn, Macherluhn<br />
|-<br />
| losziehen||uff Redutte kiehn<br />
|}<br />
<br />
= '''M''' =<br />
<br />
{| class="wikitable sortable"<br />
|- class="background:#f0f0f0" <br />
!style="width:60px"| Hochdeutsch !! style="width:60px" | Nordhiesisch<br />
|-<br />
| Mädchen (aufgeregt),||Werrbingel<br />
|-<br />
| mit losem Haar Mädchen, trollig||Riebenzieschen<br />
|-<br />
| Mädchen, ungezogen||Litschken, Maachen, Maaechelchen<br />
|-<br />
| Magen||Butten, Maagen<br />
|-<br />
| mähen||hauen<br />
|-<br />
| Majoran||Mairal<br />
|-<br />
| Malz||Moolz<br />
|-<br />
| man, wir, mich||me<br />
|-<br />
| manche||manniche<br />
|-<br />
| mancher||mannecher<br />
|-<br />
| manchmal||"^nnichmoi<br />
|-<br />
| Mann, dünn||Spinder<br />
|-<br />
| Mann, groß||Laatch<br />
|-<br />
| Mann, kräftig||Prekel,Klampert, Pregel<br />
|-<br />
| Mann, Männer||Mannßen, Männechens, Mannsliete<br />
|-<br />
| Mann, ungeschickt u. steif || Schiepel<br />
|-<br />
| Mannsbild, Kerl||Kärrel<br />
|-<br />
| Märchen||Mierichen<br />
|-<br />
| Markt||Mar(h)te, Mart(e)<br />
|-<br />
| Marmor||Mermel<br />
|-<br />
| mästen||fröckn.ferbvtt (v=u)<br />
|-<br />
| Mauer||Muhr<br />
|-<br />
| Maurer||Miier, Murer <br />
|-<br />
| Maus, Mäuse||Mus, Miese <br />
|-<br />
| Mäusejagd||Musejacht<br />
|-<br />
| Meerrettich||Märrettg <br />
|-<br />
| Mehlklöße, Gericht||Mahlkleeße, Diebichen<br />
|-<br />
| meinetwegen||minnswäjen <br />
|-<br />
| meistens||merschtens Ts)<br />
|-<br />
| melden||melle<br />
|-<br />
| Menge||Mennige<br />
|-<br />
| Menge, klein||Klitschchen<br />
|-<br />
| Mensch eingebildet o. raffiniert, Snob||Mänsche, Piisterich<br />
|-<br />
| Mensch, Betrüger, Frechdachs ||Luntemann, Schtritzchen, Schtriefchen<br />
|-<br />
| Mensch, unbeholfen, Dummkopf || Tolter, Baafbittel<br />
|-<br />
| Mensch mit ungepflegter Frisur ||Zullepenkopp<br />
|-<br />
| Mensch, zurückhaltend und schüchtern||dummes Tutten, Maumel<br />
|-<br />
| Mensch, böser Bube||Schtränzer<br />
|-<br />
| Mensch, dick o. Prahlhans||Prullemeß, Stöpel<br />
|-<br />
| Mensch, einfältig||n Himpel<br />
|-<br />
| Mensch, flegelhaft||Bandreekel, Reekel Flaez, Schlaps<br />
|-<br />
| Mensch, geschickt oder gewandt auch Fischer||Häringsbänniger<br />
|-<br />
| Mensch, groß u. flegelhaft||Schlaps<br />
|-<br />
| Mensch, klein u. gedrungen||Knorpel, Knuust<br />
|-<br />
| Mensch, nörgelnd||Nehlsusen<br />
|-<br />
| Mensch, pessimistisch||Misepeter<br />
|-<br />
| Mensch, sehr wählerisch||Kiesefretsch<br />
|-<br />
| Mensch, simpel||Dämmernelken<br />
|-<br />
| Mensch, stur||Trebestock<br />
|-<br />
| Mensch, tolpatschig||Tempert<br />
|-<br />
| Mensch, traurig||Truuertullepen<br />
|-<br />
| Mensch, unangenehm||Kotzmichel<br />
|-<br />
| messen||mässn<br />
|-<br />
| Messer||Knift<br />
|-<br />
| Milch||Mällich, Maellich, Millich, Mellich<br />
|-<br />
| Milchgefäß||Räbbeß<br />
|-<br />
| mit||mett, mött<br />
|-<br />
| mit der Pferdekutsche ausfahren||Pfaerepartiee<br />
|-<br />
| mit jemanden unzufrieden||Ich trampe dich aen<br />
|-<br />
| sein||Taterwagen ins Kritzel<br />
|-<br />
| Mitgefühl||Metgefiehl<br />
|-<br />
| mitgehen||schtäbbeln, schtebbeln<br />
|-<br />
| mitschreiben||metschräwwn<br />
|-<br />
| mitunter||metunger<br />
|-<br />
| Moment||Momangk<br />
|-<br />
| Mönch||Minnich<br />
|-<br />
| Motorrad||Knatterkutschen<br />
|-<br />
| Motte||Mutten-Foogel<br />
|-<br />
| Mücke(n)||Micke(n), Nicken<br />
|-<br />
| Mühe||Mih<br />
|-<br />
| Mühe geben||Mih gänn<br />
|-<br />
| Mühle||Milln<br />
|-<br />
| Mühlhausen||Möllhusen<br />
|-<br />
| Mund||Muulwärk,Schnuußen, Rachen, Futterluken, Kaakrachen, Broirochn<br />
|-<br />
| Mund, schlaff||Schlabber, Schnute, Fleppe<br />
|-<br />
| Mund bei Kindern, Essen für Kinder||Peppe<br />
|-<br />
| Mund, klein||Schnitzchens<br />
|-<br />
| Mundharmonika||Muulorgel, Schnußenhobbel<br />
|-<br />
| Mundwerk, loses||Redemilln<br />
|-<br />
| Murmel||Kullerschoß, Mormel<br />
|-<br />
| murmeln, murren||muttele<br />
|-<br />
| muß||muost<br />
|-<br />
|}<br />
<br />
= '''N''' =<br />
<br />
{| class="wikitable sortable"<br />
|- class="background:#f0f0f0" <br />
!style="width:60px"| Hochdeutsch !! style="width:60px" | Nordhiesisch<br />
|-<br />
| nach hinten||ninger, ringer, hinger<br />
|-<br />
| nach/zu Hause||heime<br />
|-<br />
| Nachbar, Nachbarin||Napper, Napperschen<br />
|-<br />
| nachdem||nohchdäme<br />
|-<br />
| nachher||nochter(n), noaht, noocht(er)<br />
|-<br />
| Nachmittag||Nachmetagk<br />
|-<br />
| Nacht||Nahcht<br />
|-<br />
| Nachtgeschirr||Punschpärrine<br />
|-<br />
| Nachtigall||Nahchtekall<br />
|-<br />
| Nachwelt, Nachkommen||Nohchwält<br />
|-<br />
| näher||naehcher<br />
|-<br />
| Nase, dick o. tropfend||Kvllepen, Kylleken (v=u)<br />
|-<br />
| natürlich||notierlich<br />
|-<br />
| Nebel||Näbbel<br />
|-<br />
| necken, Spaß machen||schekern, honnercken<br />
|-<br />
| nein||nae, nei<br />
|-<br />
| Nest||Naest<br />
|-<br />
| Neuigkeiten||Noigkeiten, Noiichkeiten<br />
|-<br />
| neunzig||nienzig<br />
|-<br />
| Neustadt||Noischtadt<br />
|-<br />
| nicht||nich<br />
|-<br />
| nicht richtig im Kopf||jursch<br />
|-<br />
| nichts||nischt<br />
|-<br />
| Nichtsnutz||Preestchen<br />
|-<br />
| nicken||nuckere<br />
|-<br />
| nieder||nädder<br />
|-<br />
| Niedergebra||Niedergeb’r<br />
|-<br />
| nieseln, tröpfeln||mussein<br />
|-<br />
| noch||nach<br />
|-<br />
| Nonne(n)||Nunne(n)<br />
|-<br />
| Not||Nuht<br />
|-<br />
| Nuckel||Nootsch<br />
|-<br />
| nuckeln||notschn<br />
|-<br />
| Nun geht es los!||Nune kieht’s los!<br />
|-<br />
| nur||mant<br />
|-<br />
| Nutzen||G(J)enitze<br />
|-<br />
| nützlich||nitzlich<br />
|-<br />
|}<br />
<br />
= '''O''' =<br />
<br />
{| class="wikitable sortable"<br />
|- class="background:#f0f0f0" <br />
!style="width:60px"| Hochdeutsch !! style="width:60px" | Nordhiesisch<br />
|-<br />
| Ob||ob, ab<br />
|-<br />
| oberst||aewwerst, äbberst<br />
|-<br />
| Oberstadt||Äwwerschtadt, Aewwerschtadt<br />
|-<br />
| Obst, Früchte||Owest<br />
|-<br />
| Ochsen||Ockse(n), Oksen<br />
|-<br />
| Ofen||Uhwen<br />
|-<br />
| oft, öfter||öftersch, eftersch, genungsmools<br />
|-<br />
| Ohr(en)||Ur(en)<br />
|-<br />
| Ohren, groß||Horchlappen<br />
|-<br />
| Öl||Oehl<br />
|-<br />
| ordentlich||orntig<br />
|-<br />
|}<br />
<br />
= '''P''' =<br />
<br />
{| class="wikitable sortable"<br />
|- class="background:#f0f0f0" <br />
!style="width:60px"| Hochdeutsch !! style="width:60px" | Nordhiesisch<br />
|-<br />
| paar, einige||poar<br />
|-<br />
| Papst||Paabest<br />
|-<br />
| Pastor||Paste r<br />
|-<br />
| Petersilie||Pieterzölligen<br />
|-<br />
| Pfeife||Fiefen<br />
|-<br />
| pfeifen||fifen<br />
|-<br />
| Pfennig||Pfenneck<br />
|-<br />
| Pfennige, Groschen||Dittchens<br />
|-<br />
| Pferd, Pferde||Färd, Färe, Pfern<br />
|-<br />
| Pfingsten||Fingestfest<br />
|-<br />
| Pfirsich||Ferrsich<br />
|-<br />
| pflanzen||flanz(e)n<br />
|-<br />
| Pflaster||Flaster<br />
|-<br />
| Pflaume, gelb||Spilling<br />
|-<br />
| Pflaume, groß||Marunkel, Kwätsche<br />
|-<br />
| Pflaumenmus||Kwätschenmuuß, Mußt<br />
|-<br />
| Pfütze||Flutsche, Fitze, Pfitze<br />
|-<br />
| Plan||Plohn<br />
|-<br />
| plappern, keifen||schebbere<br />
|-<br />
| Platz, rund||Rondeel, Rundeei, Rundehlichen<br />
|-<br />
| pochen||pekern<br />
|-<br />
| Polizei||Polezei<br />
|-<br />
| Porree||Purreh<br />
|-<br />
| Portion||Porzjeenichen<br />
|-<br />
| Preis||Pries<br />
|-<br />
| preußisch||pröisch<br />
|-<br />
| Prost!||Preestchen!<br />
|-<br />
| Protokoll||Proteköllichen<br />
|-<br />
| prügeln, schlagen||wammeße, wammeßn<br />
|-<br />
| Publikum||Puwlekum<br />
|-<br />
| Puffbohne||Pvffbonn (v = u)<br />
|-<br />
| Purzelbaum, Rolle||Kopskeikel<br />
|-<br />
|}<br />
<br />
= '''Q''' =<br />
<br />
{| class="wikitable sortable"<br />
|- class="background:#f0f0f0" <br />
!style="width:60px"| Hochdeutsch !! style="width:60px" | Nordhiesisc<br />
|-<br />
| Quelle||Qualle<br />
|-<br />
|}<br />
<br />
= '''R''' =<br />
<br />
{| class="wikitable sortable"<br />
|- class="background:#f0f0f0" <br />
!style="width:60px"| Hochdeutsch !! style="width:60px" | Nordhiesisch<br />
|-<br />
| Rachen||Schlunk<br />
|-<br />
| Radieschen||Rötti(i)ßchen<br />
|-<br />
| Rapunzel, Feldsalat||Robinzchen, Rowinzchen<br />
|-<br />
| Ratschläge||Rotschläje<br />
|-<br />
| Ratskeller. Gaststätte||Rotskälder<br />
|-<br />
| (sich) rauten, schlagen||(sich) ralleke<br />
|-<br />
| Raum (eng), Stall||Schtiiz<br />
|-<br />
| Raupe||Rvppen (V = u)<br />
|-<br />
| rauschen, fließen||ruusche<br />
|-<br />
| Rautenstraße||Rutenschtroße<br />
|-<br />
| Rede nicht so! Höre auf!||Haere mich uff!<br />
|-<br />
| reden, sprechen||bälbern<br />
|-<br />
| Regen||Ragen, Räjen, Rajen<br />
|-<br />
| Regenwurm||Bandräkel<br />
|-<br />
| regnen||räg(e)n<br />
|-<br />
| regnen, heftig||klaatschn, droschn<br />
|-<br />
| Rehbraten||Rähbrotn<br />
|-<br />
| Reihe, Schlange||Rüje<br />
|-<br />
| rein||schür<br />
|-<br />
| Rektor, Schulleiter||Räkter<br />
|-<br />
| Rendezvous,||Ranksewuh<br />
|-<br />
| Zusammenkunft<br />
|-<br />
| Rennschlitten||Rinnschlätten<br />
|-<br />
| renovieren||reinefiere<br />
|-<br />
| reparieren||ramterieren<br />
|-<br />
| Rest, Neige||Neien<br />
|-<br />
| revanchieren||rättewanschiern<br />
|-<br />
| richtig sein, stimmen||schtimmerings<br />
|-<br />
| Riegel||Reekel<br />
|-<br />
| Rind(er)||Rind, Ringer<br />
|-<br />
| Ring, Ringe||Rink, Rinken<br />
|-<br />
| Rippe||Reeben<br />
|-<br />
| Riß||Schprungk<br />
|-<br />
| Rogen, Fischeier||Raagen<br />
|-<br />
| Roggen||Rocken<br />
|-<br />
| Röhre(n), Hülse||Rihre(n), Dilten<br />
|-<br />
| rollen||willigere<br />
|-<br />
| Rose(n)||Ruse(n)<br />
|-<br />
| Rostbratwurst||Bratwörschtchen<br />
|-<br />
| rot||ruth<br />
|-<br />
| Rotkohl||Blaukuhl<br />
|-<br />
| Rübe||Ruoben, Zuckerworzei<br />
|-<br />
| Rücken, Kreuz||Krizze<br />
|-<br />
| Rucksack||Ruckebittel<br />
|-<br />
| runter|| nunger, runger<br />
|-<br />
| Ruß||Rust<br />
|-<br />
|}<br />
<br />
= '''S''' =<br />
<br />
{| class="wikitable sortable"<br />
|- class="background:#f0f0f0" <br />
!style="width:60px"| Hochdeutsch !! style="width:60px" | Nordhiesisch<br />
|-<br />
| Säcke||Socken<br />
|-<br />
| sagen, sagte||saa, saate<br />
|-<br />
| sägen||saagen<br />
|-<br />
| sah||sahk<br />
|-<br />
| Sahne, Rahm||Room<br />
|-<br />
| Salat||Solaat<br />
|-<br />
| Salbung||Salwunk<br />
|-<br />
| Salz||Sohlz<br />
|-<br />
| Salza, Stadtteil||Solze<br />
|-<br />
| Salzstreuer||Sohlzmisten<br />
|-<br />
| sammeln, raffen||raape, raapse<br />
|-<br />
| Samt||Sammet<br />
|-<br />
| Sankt-Blasii-Kirche||Sankt-Blasiges-Kärche<br />
|-<br />
| sauer||suer<br />
|-<br />
| Sauerampfer||Suuerampel<br />
|-<br />
| saugen, nuckeln||svckele, nvckele (v = u)<br />
|-<br />
| Säule||Suulen<br />
|-<br />
| Schaf(e)||Schoof(e)<br />
|-<br />
| schaffen, arbeiten||scharwärken<br />
|-<br />
| Schande||Schanne<br />
|-<br />
| Schauder||Schvpper (v = u)<br />
|-<br />
| Schaufel||Schuofen, Schvffel (v = u)<br />
|-<br />
| Schaum||Schmand, Schment<br />
|-<br />
| Scheibe||Schiewen<br />
|-<br />
| Scheune||Schinn<br />
|-<br />
| schieben||schuben<br />
|-<br />
| schief||scheib<br />
|-<br />
| Schiene||Schönn<br />
|-<br />
| schimpfen, schelten||schäbbern, schäbern, schpietern, schulln<br />
|-<br />
| Schimpferei||Schimperöi<br />
|-<br />
| Schirm||Muhstkriecken, Scherm<br />
|-<br />
| Schlafzimmer||Schloofschtobben<br />
|-<br />
| Schlag||Taaf<br />
|-<br />
| Schläger||Flaaker<br />
|-<br />
| schlecht||schiächt<br />
|-<br />
| Schleuder, Zentrifuge||Schlvdder (v = u)<br />
|-<br />
| schlürfen||schlorfe<br />
|-<br />
| Schlüssel||Schiissel<br />
|-<br />
| Schmetterling||Botterfoogel, Botter-Foogel<br />
|-<br />
| Schmied||Schmeed<br />
|-<br />
| Schmiedemeister||Hippuf<br />
|-<br />
| schmutzig machen||vollklatern<br />
|-<br />
| schnappen, greifen||zuschnaapen<br />
|-<br />
| Schnaps||Schnapps<br />
|-<br />
| schnaufen||schnuwen<br />
|-<br />
| Schnee||Schniee<br />
|-<br />
| schneien||schnoin<br />
|-<br />
| schneiden||schnaaten<br />
|-<br />
| Schnell, beile dich!||Schwinge!<br />
|-<br />
| schneuzen||schuiize<br />
|-<br />
| Schnitte mit Fett||Fattbroot<br />
|-<br />
| Schnitzel||Schaazl, Schnaazel<br />
|-<br />
| schon||schunt<br />
|-<br />
| schön||schün<br />
|-<br />
| Schönheit||Schienheit<br />
|-<br />
| schreiben||schräwwen<br />
|-<br />
| schreiben, unleserlich||kraakeln<br />
|-<br />
| schreien, unangenehm||quake<br />
|-<br />
| schreien, weinen||gaaken<br />
|-<br />
| schrumpfen||schrumpele<br />
|-<br />
| Schuh, alter Schuh||Schuch, Schunken<br />
|-<br />
| Schulter||Schulder, Schüller<br />
|-<br />
| Schürze||Schärze<br />
|-<br />
| schütten||quaatschn, quuttschen<br />
|-<br />
| Schwamm||Schwumm<br />
|-<br />
| Schwein||Matz<br />
|-<br />
| Schwein(e)||Schwien(e)<br />
|-<br />
| Schwein, klein||Schwinnichen<br />
|-<br />
| Schweinebeinchen mit||sure Klaebechen met<br />
|-<br />
| Kartoffelsalat||Kartuffelsolot<br />
|-<br />
| Schweinefüßchen, typ. Gericht||Kläwichen, Klaebechen<br />
|-<br />
| Schwert||Schwärt<br />
|-<br />
| Sehne||Senn<br />
|-<br />
| sehr||siehr<br />
|-<br />
| Seide||Side<br />
|-<br />
| sein||sin<br />
|-<br />
| seit||siit, sint<br />
|-<br />
| Sekunde||Secunne<br />
|-<br />
| selbst||saellewer<br />
|-<br />
| selbstverständlich||sellewästverschtändlich,<br />
|-<br />
| ||sellewestfärschtändlich<br />
|-<br />
| Sellerie||Zelderii<br />
|-<br />
| Senf||Zännef<br />
|-<br />
| setzen, setzten||satzen, satzten<br />
|-<br />
| seufzen||seifzen<br />
|-<br />
| sich ein gutes||Fättlaewe mache<br />
|-<br />
| Leben machen||<br />
|-<br />
| sich ohne Kommentar||schtille klaatert se sich ahn<br />
|-<br />
| Sieb||Söbb<br />
|-<br />
| sieben||säbben<br />
|-<br />
| Silvester||Silwäster <br />
|-<br />
| sitzen, ungeniert bequem||krötenbreit, hinbrezeln,<br />
|-<br />
| fläzen, hänpräzeln<br />
|-<br />
| ||<br />
|-<br />
| sitzen, ungeniert/gehen m. großen Schritten||krätschn<br />
|-<br />
| so||suo<br />
|-<br />
| So ist es (das)||Soa aesses!<br />
|-<br />
| Sofateil||Kannrücken<br />
|-<br />
| sogar||suka(h)r<br />
|-<br />
| Sohle||Sollen<br />
|-<br />
| solch||söllich<br />
|-<br />
| soll||sall<br />
|-<br />
| Sommer||Summer<br />
|-<br />
| Sonnabend, Samstag||Sunnowend<br />
|-<br />
| Sonne||Sunn(e)<br />
|-<br />
| Sonntag||Sunntak<br />
|-<br />
| sonst||sinst(en), sunst<br />
|-<br />
| sowohl||suwoll<br />
|-<br />
| sowohl als auch||suwoll als in<br />
|-<br />
| Span||Spuon<br />
|-<br />
| sparsam, genügsam||schpoarsam<br />
|-<br />
| spät(er)||schpiet(er)<br />
|-<br />
| Spazierengehen||schpazierngiehn<br />
|-<br />
| ins Grüne gehen||mie kiehn ins Griene<br />
|-<br />
| Spaziergang||Schpatzierkank<br />
|-<br />
| Sperling||Tritschert<br />
|-<br />
| Spiel(e)||Schpeel(e), Schpeeleich<br />
|-<br />
| Spinne||Kanker<br />
|-<br />
| spionieren||spiggeniere<br />
|-<br />
| spuken .||schpieken<br />
|-<br />
| sprechen||lawwern, schprächen<br />
|-<br />
| sprechen, undeutlich||kneseln<br />
|-<br />
| sprechen, ununterbrochen||schwabbeln<br />
|-<br />
| Spreu vom Flachs||Scheeben<br />
|-<br />
| Spruch, Sprüche||Schprich(ereche)<br />
|-<br />
| Spukgestalt||Heckemännichen<br />
|-<br />
| spüren||schpiern<br />
|-<br />
| Stadt||Schtadt<br />
|-<br />
| Stadtkirmes, Stadtfest||Rulandsfäst<br />
|-<br />
| Stammkneipe||Börgerschtampe<br />
|-<br />
| ständig||schtännich<br />
|-<br />
| starr vor staunen||raagehart<br />
|-<br />
| Stätte||Schteete<br />
|-<br />
| stauchen, stoßen||quackse<br />
|-<br />
| Steckenpferd, Hobby||Schteckenfaerd, Hoppi<br />
|-<br />
| Steg||Schtagk<br />
|-<br />
| stehen||schtenne<br />
|-<br />
| stehlen, klauen||strumpsen, rapschen<br />
|-<br />
| Steigerthal||Schteiertol, Steiertol<br />
|-<br />
| Stein||Schtein<br />
|-<br />
| Steinbrücken||Schteebrucken<br />
|-<br />
| Steine werfen||Schtenzen<br />
|-<br />
| Stempeda||Schtempet<br />
|-<br />
| Stern||Schtärn<br />
|-<br />
| sticheln, stacheln||schteekere<br />
|-<br />
| Stiefel||Schtäbbel, Schtäwwel<br />
|-<br />
| Stiel||Schteel(e)<br />
|-<br />
| stillschweigend||schtillschwieningens<br />
|-<br />
| stochern||schteckeln, schtokeln, schtokern<br />
|-<br />
| stöhnen||kneern<br />
|-<br />
| Stolberg||Schtolwär(g)k<br />
|-<br />
| stopfen, ausbessern||fuhzen<br />
|-<br />
| Stoppel||Stvppel (v = u)<br />
|-<br />
| Storch, Störche||Schtoarg, Störge<br />
|-<br />
| stören, schüren||störrele, storrein<br />
|-<br />
| Stoß '||Fullich<br />
|-<br />
| stoßen, rempeln||fullichen<br />
|-<br />
| Straße||Schtroße(n)<br />
|-<br />
| Straßenbahn||Lektrische<br />
|-<br />
| Strauß||Schtruhß<br />
|-<br />
| streichen||striichel<br />
|-<br />
| Streit||Schtrit(h)<br />
|-<br />
| Streß||Schtreß<br />
|-<br />
| streuen||stroue<br />
|-<br />
| Strumpf, Strümpfe||Schtrump, Schtrimpe<br />
|-<br />
| Stube, Wohnraum||Schtobben<br />
|-<br />
| Stück||Schtücke, Schticke<br />
|-<br />
| Stunde||Stunne<br />
|-<br />
| stützen||schtebbele<br />
|-<br />
| Südharz||Siedhoarz<br />
|-<br />
|}<br />
<br />
= '''T''' =<br />
<br />
{| class="wikitable sortable"<br />
|- class="background:#f0f0f0" <br />
!style="width:60px"| Hochdeutsch !! style="width:60px" | Nordhiesisch<br />
|-<br />
| Tablett||Böckenbrat<br />
|-<br />
| Tag||Took, Togk<br />
|-<br />
| Tanz, Veranstaltung,||Ringeldewes<br />
|-<br />
| wildes Treiben tanzen, lustig leben||schwvche (v = u)<br />
|-<br />
| Tappen, klopfen||tempere<br />
|-<br />
| Tasche||Ficken<br />
|-<br />
| Taschenmesser||Knieft<br />
|-<br />
| Taschentuch||Schnupptuch, Schnuutztuch<br />
|-<br />
| taumeln, betrunken sein||toltern<br />
|-<br />
| Tausch||Tuhsch<br />
|-<br />
| tauschen||immewäkseln<br />
|-<br />
| Teich||Tiech<br />
|-<br />
| Teichtal||Tiechtal<br />
|-<br />
| Teig||Doigk<br />
|-<br />
| Teil, Stück||Färtel<br />
|-<br />
| teilweise||theilwiese<br />
|-<br />
| Telegramm||Telepesche<br />
|-<br />
| teuer, wertvoll||tier<br />
|-<br />
| Teufel||Deuwel, Töibel<br />
|-<br />
| Theke||Draesen<br />
|-<br />
| Tiegel, Bratpfanne||Schaffen<br />
|-<br />
| Titel, Überschrift||Äwwerschrift, Aewwerschrift<br />
|-<br />
| Toilette||Toalätten<br />
|-<br />
| Topf||Tuppe<br />
|-<br />
| Topfkuchen||Asch<br />
|-<br />
| tot sein||tudt<br />
|-<br />
| tragen||trecken, treckn <br />
|-<br />
| träumen||kaseln <br />
|-<br />
| traurig||truurich <br />
|-<br />
| Trinker||Pilperling<br />
|-<br />
| Trinkgeld||Trankkäld <br />
|-<br />
| trippeln||battern <br />
|-<br />
| trommeln, lopfen||bummere<br />
|-<br />
| Tropfen||Troppen, Truppen <br />
|-<br />
| trotzdem||trotz dän <br />
|-<br />
| tunken, tauchen||titschn<br />
|-<br />
| Tür||Teere, Thaer, Thör<br />
|-<br />
| Turnier, Wettspiel, Vergnügen||Speel, (Renn-)Speeleiche<br />
|-<br />
| Tüte||Dute, Tute<br />
|-<br />
| tuten||fäpen, päpen<br />
|-<br />
|}<br />
<br />
= '''U''' =<br />
<br />
{| class="wikitable sortable"<br />
|- class="background:#f0f0f0" <br />
!style="width:60px"| Hochdeutsch !! style="width:60px" | Nordhiesisch<br />
|-<br />
| Übel, übel||Äwwel, äwwel<br />
|-<br />
| über||äbber, ewwers<br />
|-<br />
| überall||aewwerohl, äwwerohl<br />
|-<br />
| ||allerwaegenst, allerwegens<br />
|-<br />
| überführen||öwwerfiern<br />
|-<br />
| überhaupt||äbberhaupt<br />
|-<br />
| überklettern,||haepeln<br />
|-<br />
| mühsam fortbewegen||<br />
|-<br />
| überlegen||äwwerlaen<br />
|-<br />
| übermütig||äwermietig, tiermietig<br />
|-<br />
| übertrieben||äwwerkanditelt<br />
|-<br />
| überwältigen, betäuben||többele<br />
|-<br />
| Überzeugung||Aewwerzoigunke<br />
|-<br />
| üblich||ieblich<br />
|-<br />
| übrig||äwwerig, äwwerich<br />
|-<br />
| übrigens||äbbrigens<br />
|-<br />
| Uhr, Zeiger||Seier<br />
|-<br />
| um||im, imme<br />
|-<br />
| um 10 Uhr||im Zähne<br />
|-<br />
| um 5 Uhr||im Finnefe<br />
|-<br />
| um 7 Uhr||im Säbbene<br />
|-<br />
| Umgebung||Imgägend, Imgäjend<br />
|-<br />
| umherschwatzen||rumpataischn<br />
|-<br />
| umherlaufen,-rennen,-irren||rimhärlaufn, rimharsuußn<br />
|-<br />
| umhertollen||rimherballejen<br />
|-<br />
| umlegen, umhüllen||immeknupeln<br />
|-<br />
| Umweg||Immwaegk<br />
|-<br />
| umwerfen, umhauen||immefiaakn<br />
|-<br />
| Unfug||Fisemantenten<br />
|-<br />
| ungeniert||färrungeniert, värrungeniert<br />
|-<br />
| ungeschliffen, grob||ungeschläffn, nujeschläffn<br />
|-<br />
| Unglück||Unklicke<br />
|-<br />
| Unordnung||Mährte<br />
|-<br />
| unruhig sein, bewegen||hucheln<br />
|-<br />
| unschuldig||unschullig<br />
|-<br />
| Unsinn, Haufen, wertloses Zeug || Klumpatsch<br />
|-<br />
| unten||ungene<br />
|-<br />
| untergehen||ungerkiehn<br />
|-<br />
| Unterstützung, Hilfe||Ungerschtitzung(e)<br />
|-<br />
| unterwegs||ungerwajens, ungerwäjens<br />
|-<br />
| Urbach||Erbich, Erwich<br />
|-<br />
| Urlaub||Orlaub<br />
|-<br />
| Uthleben||Uthläwe<br />
|-<br />
|}<br />
<br />
= '''V''' =<br />
<br />
{| class="wikitable sortable"<br />
|- class="background:#f0f0f0" <br />
!style="width:60px"| Hochdeutsch !! style="width:60px" | Nordhiesisch<br />
|-<br />
| Veilchen||Veilichens<br />
|-<br />
| veränderlich||quackelig<br />
|-<br />
| verbergen, entwenden||strumpe<br />
|-<br />
| Verflixt und zugenäht!||Värflöckt un zugebungen!<br />
|-<br />
| vergangen||värkiehn, verkiehn<br />
|-<br />
| vergessen||värkässn<br />
|-<br />
| vergießen||quvtsche (v = u)<br />
|-<br />
| Vergnügen||Färkniejen, Värgniechen<br />
|-<br />
| vergnügt||färkniej(e)t<br />
|-<br />
| Verkäufer||Värkoifer<br />
|-<br />
| verlegen, irgend wohin getan||färbaaseln<br />
|-<br />
| verloren||värlohren<br />
|-<br />
| vermehren||hecken<br />
|-<br />
| vermengen||färmengelieren<br />
|-<br />
| vernünftig||färninneftig<br />
|-<br />
| Verrat||Verreht<br />
|-<br />
| verraten||färrotn<br />
|-<br />
| Vers(e)||Färsch(e)<br />
|-<br />
| versehen||versitten<br />
|-<br />
| versöhnen||färseehn<br />
|-<br />
| verstecken, klar stellen verständlich machen||värtuupeln, färtupeln<br />
|-<br />
| verteidigen||färdeffendieren,<br />
|-<br />
| värdefentheidigen<br />
|-<br />
| Vertiefung||Dellen, Dvlleken (v = u)<br />
|-<br />
| Vieh||Fiech<br />
|-<br />
| viel||veeles, vehl<br />
|-<br />
| Vielfraß||Ranschkenknacker<br />
|-<br />
| vielleicht||vehle, verllicht<br />
|-<br />
| Vierteljahr||Färteljohr<br />
|-<br />
| vor||vär<br />
|-<br />
| vor den||värdn<br />
|-<br />
| voraus||färouhs<br />
|-<br />
| Vorbehalten||vörbehohlen<br />
|-<br />
| vorbei||verbie<br />
|-<br />
| Vordergrund||Voddergrunne<br />
|-<br />
| Vorfall||Färfall<br />
|-<br />
| vorgestern||eergöstern.eergestern<br />
|-<br />
| vorher||värrhär<br />
|-<br />
| vornehm||füührnehm<br />
|-<br />
| vorrätig||faeretich<br />
|-<br />
| Vorschlag||Verschlock<br />
|-<br />
| Vorsorge||Feersorge<br />
|-<br />
| vorsprechen||färschprechn<br />
|-<br />
| vorstellen||(sich) beginne<br />
|-<br />
| vorüber||väräbber<br />
|-<br />
|}<br />
<br />
= '''W''' =<br />
<br />
{| class="wikitable sortable"<br />
|- class="background:#f0f0f0" <br />
!style="width:60px"| Hochdeutsch !! style="width:60px" | Nordhiesisch<br />
|-<br />
| Waage||Woogen<br />
|-<br />
| Wachs||Waachs<br />
|-<br />
| wahr||wohr<br />
|-<br />
| Wahrzeichen||Wohrziechen<br />
|-<br />
| wälzen||wOii.ere<br />
|-<br />
| Wand, Wände||Wont, Wenge<br />
|-<br />
| wandern, gehen, ziehen||träkken<br />
|-<br />
| wann||wenner, wennher<br />
|-<br />
| Ware(n)||Waare(n)<br />
|-<br />
| warm||worme<br />
|-<br />
| warten||woorte, luern, lueren<br />
|-<br />
| warum||wuorim, werim<br />
|-<br />
| Im Sinne von: Was man nicht hinbekommt das lässt man.||Wo me nich hinkemmet do bliebede wack.<br />
|-<br />
| Was willst du nur?||Was witt dann mant?<br />
|-<br />
| Was schaust du so?||Was bäfst n?<br />
|-<br />
| Was willst du?||Witten?<br />
|-<br />
| Wassersalamander||Rieling<br />
|-<br />
| weben, (sich) bewegen||webbele, wabbele, wabbeln<br />
|-<br />
| Wechsungen||Wächsungen<br />
|-<br />
| weg||wäck, wack<br />
|-<br />
| Weg||Waeg, Wagk<br />
|-<br />
| Weide||Wydden, Wedde<br />
|-<br />
| Weihe, Greifvögel||Wiieich<br />
|-<br />
| Weihnachten||Wiehnochten<br />
|-<br />
| Weile||Wiile, Wiele<br />
|-<br />
| Wein||Wien<br />
|-<br />
| weiß||wyß<br />
|-<br />
| weiter||wiet, wither<br />
|-<br />
| Welt||Waelt<br />
|-<br />
| wenden||wönge<br />
|-<br />
| wenig(er)||wönneg, wennij(er)<br />
|-<br />
| werfen||stönze<br />
|-<br />
| Werkzeug||Wärkzick<br />
|-<br />
| Wert||Wärth<br />
|-<br />
| Wespe||Hernske<br />
|-<br />
| Wetter||Waetter, Wäter<br />
|-<br />
| Wie geht es?||Wie siehgk’s uhs?<br />
|-<br />
| Wie geht’s?||Wie ään? Wie änn?<br />
|-<br />
| Wie soll’s weitergehen?||Na, wie ään?<br />
|-<br />
| Wie spät ist es?||was dr Seier geschlo’n hot<br />
|-<br />
| Tatsache klarstellen wieder||wädder, wedder<br />
|-<br />
| wiederkommen||wädderkumme<br />
|-<br />
| Wiege||Hotze<br />
|-<br />
| Wiener Würstchen||en Zießchen, Zieschen<br />
|-<br />
| Wiesel||Wössel<br />
|-<br />
| Wind||Winne<br />
|-<br />
| Winter||Wenter<br />
|-<br />
| wir gehen||me kiehn<br />
|-<br />
| wir sind||simme<br />
|-<br />
| wird||wärd<br />
|-<br />
| wirklich||werklich<br />
|-<br />
| Witwe, Witwer||Wöttfrau, -mann<br />
|-<br />
| Witzbold||Hasselante<br />
|-<br />
| Wo?||Wuo?<br />
|-<br />
| Wo bist du?||Wo bäst dänn mant?<br />
|-<br />
| Wollen wir||Wullme<br />
|-<br />
| Worauf?||Wudruff?<br />
|-<br />
| Wunder||Wunner<br />
|-<br />
| wunderschön||wunnerscheen<br />
|-<br />
| Wünsche äußern||blempern<br />
|-<br />
| Würden Sie bitte?||Wörrnse woll su kuth?<br />
|-<br />
| wurde||wörre<br />
|-<br />
| Wurm, Würmer||Worm, Wörmer<br />
|-<br />
| Wurst||Worscht<br />
|-<br />
| Wurstende||Schnörpel<br />
|-<br />
| Wurzel||Worzel<br />
|-<br />
| Wüste||Wieste<br />
|-<br />
| Wut haben, zornig sein||de Platze krien<br />
|-<br />
|}<br />
<br />
= '''Z''' =<br />
<br />
{| class="wikitable sortable"<br />
|- class="background:#f0f0f0" <br />
!style="width:60px"| Hochdeutsch !! style="width:60px" | Nordhiesisch<br />
|-<br />
| Zähne, hervorstehender Kiefer||Rafferte<br />
|-<br />
| zappeln||zeppele<br />
|-<br />
| Zaun||Zuhn<br />
|-<br />
| zausen||zummele<br />
|-<br />
| Zeisig||Ziißchen<br />
|-<br />
| Zeit||Ziet<br />
|-<br />
| zeitlebens||zietläwens, zietläbens<br />
|-<br />
| Zelt(e)||Zält(er)<br />
|-<br />
| zerdrücken||knuuschen<br />
|-<br />
| zerren, necken||zerge<br />
|-<br />
| Zettel||Zäddel<br />
|-<br />
| Zeug, Kram||Sachen, Zick, Zyg<br />
|-<br />
| Ziege||Zein, Hippe<br />
|-<br />
| Ziegenjungens||Zeinluppei<br />
|-<br />
| zielen, sichern||sichere<br />
|-<br />
| (das) Zittern||Bewwer, Bewwern<br />
|-<br />
| Zopf||Zvllep (v=u)<br />
|-<br />
| zornig sein||n heimlichen Worm han<br />
|-<br />
| zu dumm zu etwas||nich met ‘n linken Duhmen in de rächte<br />
|-<br />
| zufrieden||zefreden<br />
|-<br />
| Zug, Eisenbahn||Zoogk<br />
|-<br />
| zugrunde gehen||z’ Krunne kiehn<br />
|-<br />
| zuletzt||zelötzte<br />
|-<br />
| Zunge zeigen||Bläke machen<br />
|-<br />
| zupfen, (zurück)ziehen||zocke, zuufe<br />
|-<br />
| zur Zeit||jezund<br />
|-<br />
| zurück||ze(r)ricke, zuricke, zurikke<br />
|-<br />
| zusammenschlagen||wemmen<br />
|-<br />
| zusammenstellen, nähen||fuzen<br />
|-<br />
| Zusammentragen||zusammenraapn<br />
|-<br />
| zuschlagen||schmaatzen<br />
|-<br />
| Zweck||Zwäck<br />
|-<br />
| Zweifel||Zweibel<br />
|-<br />
| Zwiebel(n)||Zippel(n)<br />
|-<br />
|}<br />
<br />
[[Kategorie:Mundart]]</div>Latimer Rexhttps://nordhausen-wiki.de/index.php?title=Kaiser-Wilhelm-Vereinshaus&diff=15687Kaiser-Wilhelm-Vereinshaus2020-02-10T15:24:11Z<p>Latimer Rex: /* Geschichte */</p>
<hr />
<div>[[Datei:Kaiser-Wilhelm-Vereinshaus Nordhausen.jpg|thumb|Kaiser-Wilhelm-Vereinshaus]]<br />
Das '''Kaiser-Wilhelm-Vereinshaus''' (von 1933 bis 1945 '''Adolf-Hitler-Haus''') befand sich in der [[Baltzerstraße]] 5. <br />
<br />
== Geschichte ==<br />
[[Datei:Vereinshaus Nordhausen 1926.jpg|thumb|Rückansicht, ca. 1925]]<br />
Ursprünglich wurde das Gebäude als „Uckermannsches Haus“ bezeichnet. Nach der Vermählung des „Hessen-Casselschen General-Postintendanten“ Jacob von Uckermann mit der Nordhäuserin Johanna Christina Meyer im Jahr 1761 ließen sie dieses Meyersche Elternhaus zum herrschaftlichen Wohnsitz umbauen. Später beherbergte dieses Haus das Hotel „Schwarzer Adler“, das als erstklassig galt. Hochrangige Persönlichkeiten übernachteten dort.<br />
<br />
In Nordhausen entfaltete sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein reges Vereinsleben. Bereits 1897 existierten 157 Vereine, die Zahl erhöhte sich ständig. 1914 gab es etwa 240 politische, mildtätige, gemeinnützige, gewerbliche sowie Militär- sowie Gesangsvereine.<br />
<br />
In den Jahren 1911/1912 wurde das Gebäude zum stadteigenen Kaiser-Wilhelm-Vereinshaus umgebaut. Für die Neueinrichtung des Hauses waren im Jahr 1906 von der evangelischen Bevölkerung 30.000 Mark gesammelt worden. Beim Umbau entstanden die Gauben und der opulente Portikus.<br />
<br />
[[Datei:Kaiser-Wilhelm-Vereinshaus Nordhausen 2.jpg|thumb|Ansichtskarte um 1915]]<br />
<br />
Oskar Döring schrieb 1929 in seinem Buch über Nordhausen: Das Vereinshaus gehört zu den Steinbauten Nordhausens „mit schönen, von gekuppelten Säulen flankierten flachbogigen Portale; darüber ein Balkon mit zierlichen schmiedeeisernem Gitter. Die Türleibung umgeben von reicher Rokokostuckatur".<br />
Hinter dem Barockbau der Straße entstand 1913 im Heimatschutzstil (?) ein Gebäudeensemble nach Entwürfen des Nordhäuser Architekten August Nerlich. Die Ostfassade bildete den Abschluss zum Gartenbereich, der sich bis an die Stadtmauer zur Promenade erstreckte. Auf einen Teil des Garten befand sich bis 1912 das alte Tivolitheater. Die Erweiterungsflügel wurden um einen reizvoll gestalteten Innenhof herum entwickelt, die alte Rokokofassade nach der Straßenseite zu unverändert belassen. Neues und Ursprüngliches standen in gutem Zusammenklang nebeneinander. Das Gebäude enthielt eine Reihe von Zimmern für Jugendvereine und evangelische Vereine, einen Saal, die evangelische Schwesternstation und anschließend auf dem Grundstück einen Spielgarten. Am 7. September 1913 wurde das Gebäude in Anwesenheit des Oberpräsidenten der Provinz Sachsen von Hegel und des Generalsuperintendenten D. Jacobi eingeweiht und der offizielle Name „Kaiser-Wilhelm-Haus“ verliehen.<br />
<br />
Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten wurde das Vereinshaus nach [[Adolf Hitler]] umbenannt, und die Nordhäuser [[NSDAP]] nutzte das Gebäude fortan als Parteizentrale; neben der Kreisleitung hatten auch die Hitler-Jugend und der Deutsche Frauenbund hier ihre Geschäftsstellen.<br />
<br />
Bei den britischen [[Luftangriffen]] im April 1945 wurde das Haus zerstört. Lediglich der Portikus überdauerte die Zerstörung nach 1945 noch einige Jahre.<br />
<br />
<gallery><br />
Datei:Kaiser-Wilhelm-Vereinshaus.jpg|Ansichtskarte der Rückansicht<br />
</gallery><br />
<br />
[[Kategorie:Bauwerk]]<br />
[[Kategorie:Baltzerstraße]]</div>Latimer Rexhttps://nordhausen-wiki.de/index.php?title=Luftangriffe_auf_Nordhausen&diff=15671Luftangriffe auf Nordhausen2020-02-09T17:14:33Z<p>Latimer Rex: /* Opfer */</p>
<hr />
<div>[[Datei:Marktkirche Rathaus Nordhausen 1945.jpg|thumb|300px|[[Marktkirche]], [[Altes Rathaus|Rathaus]] und [[Stadthaus]] nach den Luftangriffen]]<br />
Die '''Luftangriffe auf Nordhausen''' am 3. und 4. April 1945 durch Bomber der britischen Royal Air Force zerstörten Dreiviertel der Stadt. Dabei kamen über 8.800 Menschen ums Leben, weitere 20.000 wurden obdachlos. Mit einem Wohnungszerstörungsgrad von 55% (10.000 Wohnungen) gehörte Nordhausen zu den am schwersten zerstörten deutschen Städten; zahlreiche Denkmale von hervorragender Bedeutung, darunter die für Nordhausen charakteristischen Fachwerkbauten des 13. bis 19. Jahrhunderts, wurden vernichtet. Der historische Stadtkern, die Neustadt und die Gebäude um die [[Frauenbergkirche]] wurden fast gänzlich eingeebnet. Erhalten blieben die Gebiete westlich und nördlich der [[Stadtmauer]], [[Barfüßerstraße]], [[Kalte Gasse]], Teile des historischen [[Königshof]]s sowie der Stadtteil [[Altendorf]]. Ein Großteil der stark beschädigten Bauwerke wurde nach dem Zweiten Weltkrieg abgerissen. <br />
Die zerstörerische Gesamtwirkung aller Bomben und Luftminen war von keinem Einzelangriff im Luftkrieg gegen Deutschland auch nur annähernd erreicht worden.<ref>Geiger: ''Nordhausen im Bombenvisier''. S. 150.</ref> Bei der Bombardierung von Nordhausen handelte es sich um die größte Katastrophe in ihrer tausendjährigen Stadtgeschichte. <br />
<br />
== Nordhausen im Krieg ==<br />
Nordhausen hatte vor dem Zweiten Weltkrieg ca. 42.000 Einwohner. Während des Krieges stieg deren Zahl durch Ortsfremde (Luftkriegsevakuierte, Flüchtlinge, ausländische Arbeitskräfte, Verwundete und Kriegsgefangene) Anfang März 1945 auf 65.000 Einwohner.<ref>Peter Kuhlbrodt (Hrsg.): ''Schicksalsjahr 1945. Inferno Nordhausen''. Nordhausen: Archiv der Stadt Nordhausen, 1995. S. 20, 33 </ref> Insbesondere für Evakuierte aus Berlin, Hamburg und Westdeutschland waren Stadt und Kreis Nordhausen als Aufnahmeräume ausgewiesen.<br />
<br />
Der Bau von Luftschutzanlagen begann im Spätsommer 1943. Viele Bunkeranlagen in der Innenstadt blieben unvollendet. Am 29. November 1943 wurde für Nordhausen ein Evakuierungsplan, der Aussiedlungsrichtungen und Aufnahmegebiete festlegte, ausgearbeitet.<ref>Geiger: ''Nordhausen im Bombenvisier''. Nordhausen: Verlag Neukirchner, 2000. S. 65</ref><br />
<br />
{| class="wikitable sortable"<br />
|+ style="padding-bottom:1em" | Bis zum 22. Februar 1945 realisierte Stollenabschnitte<ref>Ullrich Mallis: ''Der Luftschutzstollen am Johanneshof / Neuer Weg. Ein Nordhäuser Baudenkmal'', in: ''[[Nordhäuser Nachrichten. Südharzer Heimatblätter (2/2011)]]'', S. 10.</ref><br />
|- class="hintergrundfarbe6"<br />
! class="unsortable" | Stollenabschnitte !! class="sortable" | Länge !! class="unsortable" | Herstellung !! class="unsortable" | Ausbauart !! class="unsortable" | Bemerkung<br />
|-<br />
| Stollen IA, Mühlhof || style="text-align:right" | 55,00 m<br />
| Okt. 1943 – Febr. 1944 || Beton, 27,5 m nur Holzausbau || Richtung Loge<br />
|-<br />
| Fluko-Bunkerzugang || style="text-align:right" | 2,40 m<br />
| Febr. – März 1944 || Eisenbetongewölbe || IA, > 40 m links<br />
|-<br />
| Kreuz IA-Stummel || style="text-align:right" | 0,50 m<br />
| März 1944 || Eisenbetongewölbe, wie das gesamte Kreuz IA || Drehscheibe<br />
|-<br />
| Stollen IB, Johannishof || style="text-align:right" | 38,50 m<br />
| Nov. 1943 – April 1944 || Beton, 22,5 m mit Firstschienen || noch begehbar<br />
|-<br />
| Stollen von IA nach IB || style="text-align:right" | 66,10 m<br />
| März 1944 – Nov. 1944 || Beton || Durchschlag im Nov. 1944<br />
|-<br />
| Stollen von IB nach IA || style="text-align:right" | 38,25 m<br />
| April 1944 – Nov. 1944 || Beton || Durchschlag im Nov. 1944<br />
|-<br />
| Oststollen, von IA-IB ab || style="text-align:right" | 21,75 m<br />
| Dez. 1944 – Febr. 1945 || Seitenbeton, Art des Firstausbaues nicht benannt || <br />
|-<br />
| Südstollen IC, ab IB || style="text-align:right" | 49,75 m<br />
| April 1944 – Febr. 1945 || || zum Lohmarkt<br />
|-<br />
| class="hintergrundfarbe5" | Gesamt: || style="text-align:right" class="hintergrundfarbe5" | 272,25 m<br />
| class="hintergrundfarbe5" | Okt. 1943 – Febr. 1945 || class="hintergrundfarbe5" | || class="hintergrundfarbe5" |<br />
|}<br />
<br />
<br />
<br />
Als Garnisonstadt hatte Nordhausen keine ältere Tradition. Ab 1935 wurde im Süden die [[Boelcke-Kaserne]] errichtet, mit Unterkünften und Fahrzeughallen; sie diente der Ausbildung von Luftnachrichtensoldaten. Daneben entstanden ein Fliegerhorst als Ausbildungsplatz und zeitweise Flugzeugwerft. Bis März 1945 wurden hier Flugzeuge für den Mistelschlepp ("Huckepack"-Flugzeuge) montiert und Piloten dafür geschult. Sonst diente der Fliegerhorst 1945 noch zum Auftanken von Jagdflugzeugen. In provisorischen Unterkünften in der Stadt gab es die evakuierte "Marineverwaltung West". In der Stadt und ihrer nahen Umgebung existierten viele Lazarette mit insgesamt etwa 1.000 Verwundeten. Die Lazarette und Krankenhäuser trugen weithin sichtbare große Rotkreuz-Symbole auf den Dächern. <br />
<br />
Das [[Mittelwerk GmbH|Mittelwerk Dora]] bei Nordhausen produzierte Anfang April 1945 keine V-Waffen oder andere Rüstungsgüter mehr. Die dort Beschäftigten, unter ihnen Tausende von Häftlingen des KZ Mittelbau-Dora und Zwangsarbeiter, wurden evakuiert. Das Werk oder seine Verkehrsanbindungen waren nie Ziel alliierter Luftangriffe. <br />
<br />
Die frühere [[KZ-Außenlager Boelcke-Kaserne|Boelcke-Kaserne]] wurde seit Herbst 1943 nicht mehr militärisch genutzt. Sie hatte seitdem Tausende von Arbeitern, später auch Flüchtlinge aufgenommen. Seit 8. Januar 1945 existierte ein bald überfülltes Häftlingslazarett in der Anlage.<ref> Manfred Schröter: ''Die Zerstörung Nordhausens''. Nordhausen: Meyenburg-Museum, 1988. S. 6-8 </ref> Im Februar kamen zeitweise 3.500 Häftlinge aus dem KZ Groß-Rosen dazu.<ref> Walter Geiger: ''Nordhausen im Bombervisier''. Nordhausen: Verlag Neukirchner, 2000. S. 258 </ref><br />
Vom Flugplatz Nordhausen waren im April 1945 die letzten Schulflugzeuge und Flak-Einheiten längst abgezogen worden. Eine kurz vor Kriegsende nach Nordhausen verlegte Marine-Dienststelle bestand lediglich aus Schreibkräften. So trafen die britischen Bomben auf in Kasernen eingesperrte KZ-Häftlinge.("Bad Lauterberger Tageblatt", 3./4. April 1985)<br />
<br />
== Erste Angriffe ==<br />
In der Nacht vom 25. August auf den 26. August 1940 griffen zwei britische Bomber vom Typ Handley Page Hampden den [[Flugplatz von Nordhausen]] an und warfen vier Bomben ab.<ref>Geiger: ''Nordhausen im Bombenvisier''. S. 61 f.</ref> Es entstand ein kleiner Brand, der bald gelöscht werden konnte. <br />
<br />
Von 1940 bis 1943 gab es insgesamt 72 öffentliche Luftwarnungen und Fliegerarlarme für Nordhausen. Als sich die alliierten Luftangriffe im Jahr 1944 auf die im Hinterland gelegenen deutschen Städte intensivierten, wurde Nordhausen verstärkt Überflugsort alliierter Bomberverbände, etwa wenn sie Berlin, Dessau oder Leipzig anflogen. Im März 1945 erreichten die durchschnittlich fünf bis sechs Luftalarme ihren Höhepunkt.<ref>Geiger: ''Nordhausen im Bombenvisier''. S. 98 f.</ref> <br />
<br />
Am 12. April 1944 flogen während der Mittagszeit zwei aus südlicher Richtung kommende amerikanische Jäger die Stadt an und töteten zwei Menschen, zwei Personen wurden schwer verletzt.<ref>Geiger: ''Nordhausen im Bombenvisier''. S. S 221 f.</ref> <br />
<br />
[[Datei:Luftangriffe Nordhausen Traueranzeige.jpeg|thumb|Traueranzeige vom 26. Februar 1945]]<br />
<br />
Am 22. Februar 1945 griffen gegen 12:30 Uhr US-amerikanische Bomber den Verschiebebahnhof an, trafen jedoch die Unterstadt, einige Anlagen des Industriegebietes und die vormalige Fernmeldeschule der Luftwaffe in der [[Boelcke-Kaserne]]. Insgesamt fielen 296 Mehrzweckbomben und töteten 40 Menschen. Im ''[[Südharzer Kurier]]'' erschien am 26. Februar eine Todesanzeige für die „Gefallenen des Terrorangriffs“ mit der Ankündigung zur Beisetzung. <br />
<br />
Am 28. Februar 1945 warfen drei amerikanische Maschinen 2,5 Tonnen Sprengbomben auf die Stadt ab. <br />
<br />
Am 1. April 1945 wurden das Auto-Hotel Hesse durch Bomben getroffen und zahlreiche Menschen getötet.<br />
<br />
== Großangriffe im April 1945 ==<br />
[[File:Avro Lancaster Mk 1 ExCC.jpg|thumb|Langstreckenbomber vom Typ ''Avro Lancaster'', wie sie bei der Bombardierung von Nordhausen zum Einsatz kamen.]]<br />
[[File:Mosquito 600pix.jpg|thumb|Zielmarkierer ''De Havilland Mosquito'' (1944)]]<br />
Am 3. April 1945 starteten gegen 13 Uhr die englischen Bomberverbände und erreichten Nordhausen um 16 Uhr. Die 247 Avro-Lancaster-Bomber (Tragfähigkeit je 6 Tonnen Bombenlast) und 9 Mosquito-Mehrzweckflugzeuge warfen in 20 Minuten ca. 1.216 Tonnen Sprengbomben ab und trafen vor allem die Außenbezirke von Nordhausen.<ref>Groehler: ''Bombenkrieg gegen Deutschland'', S. 422.</ref> Im Stadtinnern fielen Bomben um die [[Neustadt-Kirche]] und [[Neustadtstraße]]. In den umliegenden Wäldern und Ortschaften [[Sundhausen]], [[Bielen]], [[Himmelgarten]], [[Leimbach]] und [[Krimderode]] fielen schwere Bomben und Luftminen. Getroffen wurde auch die mit kranken Häftlingen überbelegte [[Boelcke-Kaserne]], wo allein in einer mit Tuberkulose-Kranken belegten Flugzeughalle 450 Menschen den Tod gefunden haben sollen.<ref>Wagner: ''Produktion des Todes.'' S. 280</ref> Die Stadt ohne Strom und Leitungswasser. Die Verletzten wurden gesammelt und nach [[Neustadt/Harz|Neustadt]] und [[Sülzhayn]] gebracht, die Ausgebombten erhielten Notquartiere in der Stadt selbst und ihrer Umgebung. Viele Nordhäuser flüchteten aus der Stadt. Zwei Stollen der unterirdischen Anlagen von Mittelbau Dora im Kohnstein nahmen bereits am 3. April Geflüchtete auf, später wurden es 10.000. Das Stadtkrankenhaus war beschädigt, die Patienten wurden in Notkrankenhäuser in das benachbarte [[Petersdorf]] gebracht, vor allem in das Ausflugsrestaurant Harzrigi.<ref> Manfred Schröter: ''Die Zerstörung Nordhausens''. Nordhausen: Meyenburg-Museum, 1988. S. 22, 23 </ref> Bomben fielen auch auf mehrere benachbarte Dörfer und deren Flur, besonders betroffen war Bielen. Zwei Bomber gingen beim Hin- und Rückflug verloren. Der erste Angriff erzielte die gewünschte Wirkung jedoch nicht. Der Angriff am 3. April war aus Sicht der RAF ein Misserfolg.<!-- (Quelle?) --> Viele Einwohner zogen am Abend des 3. April zum nahen [[Kohnstein]], wo die mittlerweile fast verlassenen Stollen des Mittelwerks Schutz boten.<br />
<br />
{{Zitat|Die Stadt ist schwer getroffen, aber sie ist noch eine organisierte Gemeinschaft… Gegenseitige und Nachbarschaftshilfe wird geleistet. Die Stadtverwaltung und die Luftschutzleitung setzen ihre Kräfte ein. Rotes Kreuz und die Krankentransporte kommen an die Schwerpunkte. Man leitet die Evakuierung des beschädigten Krankenhauses ein. Die Verletzten des Angriffs werden geborgen, abtransportiert, in den Gaststätten Parkhaus und Kurhaus gesammelt und schließlich nach Neustadt und Sülzhayn weiterbefördert. Die Feuerwehr bekämpft die wenigen Brandherde.|[[Manfred Schröter]]: ''[[Die Zerstörung Nordhausens und das Kriegsende im Kreis Grafschaft Hohenstein 1945]]''}}<br />
<br />
Am 4. April gegen 9 Uhr begann der zweite Großangriff der RAF. Der Verband kam über Gotha, Bad Langensalza und Schlotheim. Für 93 Bomber wurde die Boelcke-Kaserne als Angriffsziel befohlen, die anderen 150 hatten das Stadtzentrum anzugreifen.<ref>Geiger: ''Nordhausen im Bombenvisier''. S. 146 f.</ref> Zwei Bomber mussten frühzeitig zurückkehren, und zehn weitere hatten ihren militärischen Auftrag verfehlt, so dass von den 243 Flugzeugen 231 am Luftschlag teilnahmen. Ein Bomber explodierte über der Stadt. Die örtliche Feuerwehr war, soweit noch vorhanden, von der Lage völlig überfordert. Unter der überlebenden Bevölkerung herrschte Panik, viele verließen fluchtartig zu Zehntausenden das Inferno der Stadt in Richtung Kohnstein. Auch außerhalb von Nordhausen wurde sie von Jagdbombern beschossen.<ref> Manfred Schröter: ''Die Zerstörung Nordhausens''. Nordhausen: Meyenburg-Museum, 1988. S. 26 </ref> Am Abend und in der Nacht war die Stadt ein weithin leuchtendes Flammenmeer.<ref> Peter Kuhlbrodt: ''Schicksalsjahr 1945. Inferno Nordhausen''. Nordhausen 1995. S. 23 </ref> In der Mitte davon leuchtete der Kirchturm von St. Petri als riesige Fackel, die gegen Mitternacht zusammenbrach und auf das Kirchenschiff stürzte. RAF-Piloten, die von einem Einsatz bei Merseburg zurückflogen, berichteten um 23.00 Uhr von „good fires at Nordhausen“.<ref> Walter Geiger: ''Nordhausen im Bombervisier''. Nordhausen, 2000. S. 180 f.</ref> <br />
Der gebürtige Nordhäuser Schriftsteller [[Rudolf Hagelstange]] schrieb in seiner deutschen Familienchronik (Band 2: „Der Niedergang“, Seite 254) über die Feuersbrunst in seiner Heimatstadt: „Und die Hitze war so groß, dass in den meisten Straßen, sofern sie nicht gepflastert waren, der Asphalt geschmolzen war, dass Flüchtende da und dort in ihn eingesunken waren, einige unlöslich und damit zum Flammentod verurteilt.“<br />
<br />
=== Opfer ===<br />
[[Datei:Einwohnerentwicklung von Nordhausen ab 1800.svg|thumb|Einwohnerzahl von Nordhausen ab 1800. Deutlich sichtbar der Höhepunkt 1945]]<br />
Bei den Großangriffen im April 1945 kamen ca. 8.800 Menschen ums Leben. Diese Zahl geht auf Schätzungen vom Februar 1948 zurück.<ref name="Kuhlbrodt125">Kuhlbrodt: ''Inferno Nordhausen''. S. 125 f.</ref> Vor dem Abgriff befanden sich rund 65.000 Personen in der Stadt (42.000 ständige Bevölkerung, Militärpersonen, Gefangene, ausländische Arbeiter, Spezialarbeiter der Kriegsindustrie, Evakuierte). Der Antifa-Ausschuss von Nordhausen schätzte am 17. Juni 1945, dass über 10.000 Menschen bei den Bombenangriffen ums Leben gekommen seien.<ref> Peter Kuhlbrodt: ''Schicksalsjahr 1945. Inferno Nordhausen''. Nordhausen 1995. S. 115 </ref><br />
<br />
In den ersten Tagennach dem Einmarsch der Amerikaner ließ der US-Stadtkommandant in den Straßen liegende Leichen auf den Sonderfriedhof am Schlageter-(heute Stresemann-)Ring bringen. Andere wurden an Ort und Stelle in Bombentrichtern beerdigt. Eine beträchtliche Zahl ziviler Opfer und deutscher Soldaten wurde dann in dem höher gelegenen Teil des heutigen Ehrenfriedhofs in Massengräbern beigesetzt, unweit der getöteten Häftlinge aus der Boelcke-Kaserne. Für die später gefundenen Opfer ohne Anhang wurden Massengräber im vorderen Teil des Alten Hauptfriedhofs in der Leimbacher Straße angelegt. Heute steht an dieser Stelle ein Wohnblock. Auf dem Neuen Hauptfriedhof am Ring sind in den ersten Wochen und Monaten 920 Bombenopfer beerdigt worden.<br />
<br />
{| class="wikitable"<br />
|-<br />
| Verluste der ständigen Bevölkerung || 6.000<br />
|-<br />
| Verluste der nicht ständigen Bevölkerung || 1.500<br />
|-<br />
| Verluste der Häftlinge der Boelcke-Kaserne || 1.300<br />
|-<br />
| zusammen || 8.800<br />
|-<br />
|} <br />
<br />
==== Persönlichkeiten ====<br />
* [[Paul Urban]] (geb. 1892), KPD-Stadtrat<br />
<br />
=== Schäden und Totalverluste ===<br />
<br />
Der Zerstörungsgrad der Stadt wurde mit 74 Prozent errechnet. Die Gesamtfläche des zerstörten Gebietes betrug 810.000 Quadratmeter.<br />
Monate später, als die Opfer beigesetzt sind und die Überlebenden notdürftige Behausungen errichtet haben, ist diese Bilanz des Grauens zu ziehen: von 4.588 Gebäuden in der Stadt Nordhausen bleiben nur 971 unbeschädigt, von 13.075 Wohnungen sind 6.187 völlig und 4.575 teilweise zerstört. Das Stadtzentrum ist ausgelöscht. Von einmal 377 Einzelhandelsgeschäften sind kaum hundert übrig. Sieben Schulen und drei Kinos wurden zerstört, 411 der vordem 685 Handwerksbetriebe sind total- oder teilzerstört, ebenso die Mehrzahl der 109 großen Betriebe der Nahrungs- und Genußmittelindustrie (Nordhäuser Korn und Kautabak).<br />
<br />
==== Kirchen ====<br />
<br />
[[Datei:Petri-Kirche Außenansicht.JPG|thumb|[[St.-Petri-Kirche]]]]<br />
*[[St.-Jakobi-Kirche]]: Am 3. April erheblich durch Bomben zerstört. Reste des Schiffes abgetragen, Turmruine zu DDR-Zeiten beseitigt.<br />
*[[Marktkirche]]: Am 3. April weitgehend zerstört. Ruinenreste abgetragen.<br />
*[[St.-Petri-Kirche]]: Am 3. April bis auf Turm und Chor zerstört, zahlreiche Menschen finden in der Kirche den Tod. Der Turm erhielt 1954 ein Notdach, die übrigen Ruinenteile wurden beseitigt. 1987 wurde ein neuer Turmhelm gesetzt.<br />
* [[St.-Blasii-Kiche]]: Dach und Mauerwerk am 4. April durch Bombentreffer erheblich beschädigt [[Cranachgemälde]] im Auslagerungskeller verbrannt. Bis 1949 Wiederherstellung des Daches, Ausbesserung Mauerwerk, Erneuerung des Inneren.<br />
*[[Nordhäuser Dom]]: Am 4. April schwere Schäden durch Brandzerstörung des Steildaches über der Halle und Vernichtung der Fenster. Noch 1945 Fertigstellung Notdach und Beseitigung der Folgeschäden. 1965 Wiederherstellung des Steildaches in ursprünglicher Form.<br />
*[[Frauenbergkirche]]: Am 4. April durch Bomben schwer zerstört. Erhalten blieben Umfassungsmauern der Chor mit Apside, die Nebenchöre und das Querschiff, vom Langhaus nur Reste des ersten Joches sowie des Westportals. Von 1953 bis 1955 folgten Enttrümmerung und Sicherungsarbeiten.<br />
*[[Frauenbergkloster]]: Am 4. April durch Bombentreffer total zerstört. Gebäudereste wurden nach 1945 entfernt.<br />
<br />
==== Öffentliche Bauten ====<br />
*[[Rathaus]]: Am 4. April bis auf die Umfassungsmauern zerstört, Turm ausgebrannt. Ab 1951 Trümmer entfernt und Wiederaufbau bis 1952, dabei wurden die Erdgeschoßarkaden und das Innere neu gestaltet. Zum ebenfalls schwer zerstörten [[Stadthaus]] wurde der Verbindungsgang wiederaufgebaut, der [[Roland]] restauriert.<br />
*[[Stadtmauer]]: Es entstanden Schäden an der Stadtmauer, wobei besonders die teilweise genutzten Türme und Wiechhäuser betroffen wurden. Nach dem Krieg wurden Ruinen abgetragen und Sicherungsarbeiten durchgeführt. Zur Landesgartenschau 2004 erfolgten umfangreiche Sanierungsarbeiten, besonders um den [[Petersberg]]. <br />
*[[Theatergebäude]]:<br />
<br />
==== Fachwerkbauten ====<br />
[[Datei:Nordhäuser Roland 1945.jpg|thumb|Das ausgebrannte Rathaus mit dem [[Nordhäuser Roland|Roland]], der die Angriffe wie durch ein Wunder überstand]]<br />
[[Datei:Riesenhaus, Riese, Postkarte.jpg|thumb|Postkarte vom [[Riesenhaus]] am Holzmarkt (Lutherplatz) mit dem [[Nordhäuser Riese]]n.]]<br />
Bedeutende Fachwerkhäuser, die zerstört wurden (lt. dem Denkmalpfleger Rudolf<br />
Zießler):<br />
<br />
*[[Bäckerstraße]] 22: Mitte des 18. Jahrhunderts errichteter dreigeschossiger, neunachsiger, verputzter Fachwerkbau mit massivem Erdgeschoß, Satteldach und Zwerhaus. Stichbogenfenster mit einfacher profilierter Rahmung in Dreiergruppen. Betonung der Mittelachse durch ein von Pilastern flankiertes Portal mit gesprengtem Giebel, darauf ruhende Frauen und Wappen sowie durch einen auf Konsolen sitzenden Balkon mit schmiedeeisernem Gitter.<br />
*[[Blasiistraße]] 15: Alte Schule. Errichtet um 1700 als dreigeschossiger stattlicher Fachwerkbau mit hohem Satteldach. Unregelmäßige Fenstergruppierung (im ersten Obergeschoß dreizehn Achsen). Fachwerk mit halben Männern. Obergeschoß vorkragend mit Balkenköpfen und gekehlten Füllhölzern.<br />
*Blasiistraße 21: Bedeutendstes Renaissance-Fachwerkhaus Nordhausens von etwa 1550. Dreigeschossig mit zehn Fensterachsen in unregelmäßiger Gruppierung, Geschosse stark vorkragend. Reich ausgebildetes Schmuckfachwerk mit Balkonköpfen, Knaggen, Füllhölzern und Schiffskehlen. Haupteingang mit kräftigen Gewämdepfosten und halben Sonnen um 1700.<br />
*[[Hagenstraße]] 4: Um 1800 errichtet als zweigeschossiger, verschieferter Fachwerkbau mit zehn Fensterachsen. Eckpilaster, ebensolche toskanische Holzpilaster flankieren die vier Mittelachsen und nehmen einen verschieferten Dreieckgiebel auf. Stichbogenfenster mit einfacher Rahmung und Schlußsteinbetonung.<br />
*Hagenstraße: Ilfelder Hof, ehem. Klosterhof, seit dem ersten Viertel des 18. Jahrhunderts Kurhannoversche Postverwaltung, seit 1853 in Privatbesitz. 1277 angelegt, später erweitert, im 17. Jahrhundert Neubau auf erweitertem Grundriss mit massivem Erdgeschoß und zwei Fachwerkobergeschossen, verschiefert.<br />
*[[Holzmarkt]] (Lutherplatz): „Riesenhaus“. 1375 erstmals erwähntes Patrizierhaus mit massivem Erdgeschoss, zwei Fachwerkobergeschossen und Satteldach. Nach Brand von 1710 im Fachwerk erneuert. Fassade gegliedert durch zwölf Fensterachsen, jeweils in Dreiergruppen angeordnet. Fachwerkkonstruktion mit Wilden Männern. Mittelgiebel mit einem Mann in Ritterrüstung ([[Nordhäuser Riese]]), der eine Lanze hält. 1805 Einrichtung einer Gaststätte, Verputz des Fachwerks und klassizistische Fassadengestaltung. 1927 Endrestaurierung und Wiederherstellung des Fachwerks.<br />
*Jakobikirchplatz 4: Lateinschule. Zweigeschossiger Fachwerkbau von 1493 mit Satteldach. Ständer- und Riegelbau. Vorkragendes Obergeschoß über geschwungene Knaggen. Durchlaufender Fensterbrustriegel.<br />
*Jakobikirchplatz: Pfarrhaus. 1687 errichteter zweigeschossiger Fachwerkbau mit Krüppelwalmdach. Fenstergruppierung unregelmäßig. Stiele und Brustriegel durch Wilde Männer verstärkt. Geringe Auskragung, Balkonköpfe und Schwelle mit einfacheren Profilen. Gefache mit Ziegeln in Mustern ausgemauert. Oberdeutsch beeinflusstes Fachwerk.<br />
*[[Königshof]] 14: Dreigeschossiger Fachwerkbau mit oberdeutschen Stilelementen, ganze und halbe Männer. Um 1780 Verkleidung der Fenster mit Rokokogirlanden.<br />
*[[Krämerstraße]] 11: Verschieferter, zweigeschossiger, fünfachsiger Fachwerkbau mit spätbarockem Volutengiebel. Stichbogenfenster mit Rahmenverkleidung. Erdgeschoss durch Ladeneinbauten verändert.<br />
*Krämerstraße 15: Um 1700 errichteter schmaler dreigeschossiger Fachwerkbau in oberdeutschem Stil mit halben Männern an den Ecken. Balkonköpfe und Füllhölzer mit einheitlichem Profil. Satteldach mit Zwerchhaus.<br />
*[[Lohmarkt]] 2, 4, 20, 21: Nach 1686 errichtete Gerberhäuser. Zwei- bzw. dreigeschossige Fachwerkgebäude im gleichen oberdeutschen Baustil wie Pfarrhaus Jakobikirchplatz. Besonders reich ausgebildet der Türstock mit Renaissanceformen und Inschrift. Satteldächer mit Zwerchhäsern (Ladeluken).<br />
*[[Neustadtstraße]] 27: Zweigeschossiger, elfachsiger Fachwerkbau aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts mit Satteldach. An den Fenstern Rokokoverkleidung.<br />
*Neustadtstraße 35: Zweigeschossiger, achtachsiger Fachwerkbau aus der Mitte des 18. Jahrhunderts auf Sandsteinsockel. Türen und Fenster in Stichbogen mit geschnitzter Rokokoverkleidung.<br />
*Neustadtstraße 47: Dreigeschossiger Fachwerkbau der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts mit Krüppelwalmdach. Rokokofensterbekleidungen handwerklich vereinfacht.<br />
*[[Pferdemarkt]] 17: Dreigeschossiger Fachwerkbau von etwa 1550, niederdeutsch beeinflusst. Auskragung des Obergeschosses mit Balkonköpfen, Knaggen und Füllhölzern. Erdgeschoß baulich verändert.<br />
*[[Sandstraße]] 3, 21, 23, 28: Diese Häuser hinsichtlich der Entstehungszeit und der architektonischen Ausbildung denen der Neustadtstraße entsprechend.<br />
<br />
==== Situation nach dem Großangriff ====<br />
[[Datei:Boelcke-Kaserne-Tote HäftlingeA.jpg|thumb|Einwohner Nordhausens tragen am 12. April 1945 unter Bewachung von Angehörigen der US-Armee tote Häftlinge aus der Boelcke-Kaserne und legen sie davor ab]]<br />
[[File:Nordhausen um 1930.jpeg|thumb|Der Stadtteil [[Altendorf]] blieb weitgehend unzerstört (Luftaufnahme um 1930)]]<br />
Das britische Bomber Command berichtete als Ergebnis der beiden Großangriffe, dass „die Stadt fast vollständig zerstört wurde, inbegriffen die Kasernenblöcke.“<ref> Walter Geiger: ''Nordhausen im Bombervisier''. Nordhausen: Neukirchner, 2000. S. 154 </ref> <br />
Die Situation für die Bevölkerung nach den Angriffen kann nur mit dem Begriff „Inferno“ beschrieben werden. Das Stadtzentrum konnte tagelang nicht betreten werden. Es wüteten noch zahlreiche Brände<ref> Peter Kulhlbrodt: ''Schicksalsjahr 1945. Inferno Nordhausen''. Nordhausen 1995. S. 24</ref>, die Schutthaufen strahlten unerträgliche Hitze aus. Bomben mit Zeitzündern gingen hoch. Über den Trümmerfeldern lag bald Leichengeruch, besonders im Bereich der Boelcke-Kaserne. In den Nächten des 6. und 7. April wurden die Kranken und Verwundeten aus Nordhausen und Umgebung durch alle verfügbaren Fahrzeuge, besonders mit Pferde-Gespannen, in den Kohnstein in Sicherheit gebracht. Die Nordhäuser Bevölkerung verteilte sich nach Schätzungen am 7. April wie folgt: 6.000 (8.800) Opfer tot unter den Trümmern, 6.000 Überlebende noch in der Stadt, 10.000 im Kohnstein und 20.000 in den umliegenden Dörfern, besonders nordöstlich der Stadt.<ref> Manfred Schröter: ''Die Zerstörung Nordhausens''. Nordhausen: Meyenburg-Museum, 1988. S. 30 </ref> Am 8. April flogen 6 Jagdbomber noch einen Tagesangriff nach Zielmarkierung auf Nordhausen, parallel zu dem Bombardement auf [[Sondershausen]]. Am 10. April näherten sich US-Panzer aus Richtung [[Hain (Kleinfurra)|Hain]] dem Süden der Stadt und nahmen ihn unter Feuer, darunter die Trümmer der Boelcke-Kaserne.<ref> Manfred Schröter: ''Die Zerstörung Nordhausens''. Nordhausen: Meyenburg-Museum, 1988. S. 37 </ref><br />
Die britischen Bomber-Staffeln stießen bei den Angriffen an beiden Tagen auf keinerlei deutsche Luftabwehr. »Null« lauten jeweils die Eintragungen in den Rubriken »Flak« und »Einsatz von Jagdflugzeugen«. Am 8. April nahmen alliierte Flugzeuge »Aufnahmen von exzellenter Qualität« vom zerstörten Nordhausen auf. In dem angefügten Bericht heißt es: »Das Herz von Nordhausen wurde durch die beiden Angriffe verwüstet, und zwar von den nordwestlichen Außenbezirken über das Stadtzentrum bis hin zum Flugplatz und den Kasernen der Luftwaffe am Helme-Fluss im Südosten. Im militärischen Bereich wurden nahezu alle Gebäude schwer getroffen und völlig oder teilweise zerstört. Schwerer Schaden entstand am Flugkontrollturm, dem Wachraum und einem großen Hangar am Nordrand des Flugfeldes. Nahe der Bahnanlagen wurden Industriebetriebe und das Gaswerk getroffen, wobei drei Gasometer zerstört wurden.«<ref>''Bad Lauterberger Tageblatt'', 3./4.April 1985</ref><br />
<br />
== Nachwirkungen ==<br />
Insgesamt waren vom britischen Bomber Command 2.386 Tonnen und von der 8. US Air Force 296 Tonnen Bombenlast auf Nordhausen abgeworfen worden.<ref> Olaf Groehler: ''Bombenkrieg gegen Deutschland''. Berlin: Akademie-Verlag, 1990. S. 449 </ref><br />
Eine der am längsten nachwirkenden Folgen der Luftangriffe für die Bürger der Stadt blieben Hunderte von Blindgängern aller Kaliber: zwischen den Trümmern der Stadt und im Erdreich der Straßen, Gärten und Felder. In den ersten Jahren machten sich die Feuerwerker Jochen Nebel und Albin Diebler sehr verdient um die Entschärfung gefundener Bomben, ab 1962 der - deshalb zum Ehrenbürger ernannte - Helmut Zinke. Im Stadtgebiet wurden 1948 bis 1953 etwa 100 Bomben entschärft, dann 248 Blindgänger von 1954 bis 1999 entzündet und geräumt.<ref>Walter Geiger: ''Nordhausen im Bombervisier''. Nordhausen, 2000. S. 263-264 </ref> <br />
<br />
Noch 2014 gilt eine Verordnung in Nordhausen, nach der jeder Bürger, der bauen will, sicherstellen muss, dass unter seinem Grund und Boden kein Gefahrgut liegt.<ref>Katja Dörn: ''Die Gefahr rostet im Thüringer Boden''. Thüringische Landeszeitung, 12. Dezember 2014 </ref><br />
<br />
Auswahl weiterer Funde von Blindgängern:<br />
* 1996: 250-Kilogramm-Blindgänger wird gesprengt<br />
* 2008: 227-Kilogramm-Bombe in der Altstadt<br />
* 2010: Fünf-Zentner-Bombe am [[Taschenberg]] entdeckt, 4.500 Menschen wurden evakuiert, Bombe konnte nicht entschärft werden<br />
* Juni 2016: Kontrollierte Sprengung einer 800-Kilogramm-Bombe, Leimbach und Steigerthal mussten geräumt werden (1.080 Einwohner) <br />
* Dezember 2016: Fünf-Zentner-Bombe am [[Strohmühlenweg]], ca. 1000 Einwohner, so auch die Hochschule Nordhausen, wurden evakuiert<br />
* September 2017: Bombe auf einem Feld in der [[Windlücke]], ca. 3000 Einwohner evakuiert, Bombe entschärft<ref>https://www.nnz-online.de/news/news_lang.php?ArtNr=219719</ref><br />
* Oktober 2018: Bombe in der Windlücke, ca. 3000 Einwohner evakuiert, Bombe entschärft<ref>https://www.nnz-online.de/news/news_lang.php?ArtNr=243515</ref><br />
* November 2018: Bombe in Bielen, 1.1000 Einwohner wurden evakuiert (Sperrzone 1 Kilometer), Bombe entschärft<br />
* August 2019: 225-Kilogramm-Bombe an der [[Zorge]], 2.500 Einwohner wurden evakuiert (Sperrzone 500 Meter), Bombe entschärft und Zünder gesprengt<br />
* November 2019: 225-Kilogramm-Bombe am [[Stadttheater]], ca. 15.000 Einwohner wurden evakuiert (Sperrzone 1 Kilometer), Bombe entschärft und Säurezünder gesprengt. Es war die größte Evakuierungsaktion in Nordhausen nach dem Zweiten Weltkrieg.<ref>MDR, 8. November 2019</ref><br />
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== Rezeption ==<br />
[[Datei:Nordhausen mahnt 1949.jpg|thumb|200px|Werbeplakat zur Ausstellung „[[Nordhausen mahnt - Ausstellung vom 6. bis 27. März 1949|Nordhausen mahnt]]“ im März 1949]]<br />
Luftangriffe waren im Zweiten Weltkrieg für alle Kriegsparteien zum entschiedenen strategischen Kriegskonzept geworden. Die Westalliierten glaubten durch die planmäßige und massive Zerstörung deutscher Städte, vor allem der Wohngebiete der Industriearbeiter, die Moral und den Widerstandswillen der Bevölkerung zu brechen und den Krieg schneller beenden zu können.<ref>Johannes Volker Wagner: ''Bomben auf Bochum''. S. 3.</ref> Im Januar 1943 einigten sich Großbritannien und die Vereinigten Staaten in Casablanca auf die Forderung nach bedingungsloser Kapitulation des Deutschen Reiches und auf eine weitere Verschärfung des Bombenkrieges. Zu dieser Zeit war die deutsche Luftabwehr längst nicht mehr in der Lage, das Reichsgebiet zu verteidigen. Die Alliierten erreichten ihr Ziel der Demoralisierung jedoch nicht, und viele Deutsche klammerten sich in Verzweiflung an die Hoffnung auf einen „Endsieg“.<br />
<br />
<!-- Auszug aus „Winston Churchill“. Der späte Held, eine Biographie von Thomas Kielinger, erschienen im Verlag C.H. Beck, Kapitel XY, Seite 301 ff.: Nach dem Kriege stand eine andere Verantwortung Churchills im Vordergrund – „für die Vernichtung von nahezu 60 der größten Städte Deutschlands“. „Mit dem Untergang Dresdens sind auch nachdenkliche Briten bis heute nicht fertig. Die Zweifel, ob die Zerstörung dieser und anderer Städte so kurz vor dem nahen Kriegsende zu rechtfertigen war, haben sich längst zu dem Urteil verdichtet: Sie war es nicht! ... Hilft es zur Erklärung darauf hinzuweisen, dass in der Schlussphase des Krieges deutsche V1- und V2-Waffen weiterhin Zerstörung auf Antwerpen, Paris und London regnen ließen? Eine V2 schlug noch am 27. März 1945 im Osten Londons ein und tötete 134 Menschen. Die britische öffentliche Meinung hätte es nicht verstanden, wenn die mili-tärische Führung auf Schonung des Gegners geschaltet hätte, wo dieser bis zum Ende Vernichtung spie.“<br />
<br />
„Aber die alte Frage bleibt, die Lothar Kettenacker 2003 in dem Sammelband „Ein Volk von Opfern?“ noch einmal stellte – „ob der Zweck die Mittel heiligt, ob die Beseitigung einer unheilvollen Diktatur die rücksichtslose Bombardierung der Bevölkerung rechtfertigt. Unbehagen äußerte Churchill selbst schon 1943, als ihm Bilder von den Auswirkungen der Bomben in Deutschland vorgelegt wurden ...“ Der Australier Ricard Casey, der an den Sitzungen des britischen Kriegsrates ... teilnahm, schrieb am 27. Juni 1943 in sein Tagebuch: „Es wird ein Film gezeigt über das nächtliche Bombardement einer deutschen Stadt, und plötzlich richtet sich Churchill steil in seinem Sessel auf und sagt zur mir: ‚Sind wir Bestien? Gehen wir nicht zu weit? <br />
<br />
Churchills Meinungen zum Bombenkrieg gegen Deutschland schwankten. Nach der Zerstörung Dresdens begegnet man bei ihm, spät, einer eindeutigen Ablehnung, so in dem berühmten Memorandum vom 28. März 1945:‚Der Moment scheint mir gekommen, wo die Frage der Bombardierung deutscher Städte zum Zwecke der Erhöhung des ''''terrors'''' (in Englisch mit der Bedeutung von Angst und Schrecken) auch wenn wir andere Vorwände nennen, überprüft werden sollte... Es ist nötig, dass wir uns mehr auf militärische Ziele konzentrieren wie Öllager und Kommunikationszentren hinter der unmittelbaren Kampfzone, statt auf Akte des reinen terrors und der mutwilligen Zerstörung’.“<br />
„Nicht umsonst nannte man Harris auch den ‚butcher’, den Metzger. . . Schon Max Hastings (stockkonservativer Historiker) nannte in seinem Klassiker von 1979 ‚Bomber Command’ die Auslöschung deutscher Städte noch im Frühjahr 1945 ‚einen bleibenden Schandfleck’,“ soweit Kielinger. Nach Kriegsende zog sich Harris verbittert nach Südafrika zurück, weil er sich nicht gebührend geehrt vorkam. Luftangriffe hatte Harris als „relativ humane Methode“ bezeichnet. Butcher wurde er nicht wegen der zivilen Bombenopfer in Deutschland genannt, sondern weil 55 000 Angehörige des Bomber Command vom Feindflug nicht heimkehrten – jeder zweite Pilot und Bordschütze. --><br />
<br />
Im März 1945 hatte sich das Angriffstempo der US-Streitmacht im Vergleich zu den Vormonaten verlangsamt.<ref name="Gewiger158">Geiger: ''Nordhausen im Bombenvisier''. S. 158 f.</ref> Um dennoch den Stoß in das Zentrum Deutschlands als strategisches Ziel zügig fortzuführen, waren die Westalliierten zum Einsatz aller Mittel entschlossen, auch in Anbetracht eventuell noch bevorstehender Kämpfe und Widerstand im Südharz. Die Stadt Nordhausen erhielt daher militärische Bedeutsamkeit für die 1. US-Armee, auch wegen des Verschiebebahnhofs für Truppenbewegungen. Der unterirdische Rüstungsbetrieb im [[Kohnstein]] und das [[Konzentrationslager Dora Mittelbau]] wurden dagegen nie zum Ziel von Luftangriffen. <br />
<br />
Nordhausen und Umgebung wurden Ende 1944 von britischen Fernaufklärern nachts unter tagheller Beleuchtung durch Magnesiumbomben sorgfältig aus der Luft fotografiert.<ref>Manfred Schröter: ''Die Zerstörung Nordhausens''. Nordhausen 1988, S. 55</ref> Die Bombardierung von Nordhausen wurde am 2. April 1945 vom Alliierten Oberkommando (SHAEF) befohlen.<ref name="Gewiger158"/> Gefordert wurde ein Angriff zur Unterstützung der 1. US-Armee mit Priorität zur frühestmöglichen Gelegenheit. Einige Tage zuvor wurde vom SHAEF die Zerstörung durch die RAF beschlossen.<ref>Manfred Schröter: ''Die Zerstörung Nordhausens''. Meyenburg-Museum Nordhausen, 1988, S. 54–55</ref><br />
<br />
Dieses, geführt von Luftmarschall Arthur Harris, erteilte am 2. April den unmittelbaren Befehl für einen Doppelschlag an zwei Tagen.<ref>Walter Geiger: ''Nordhausen im Bombervisier''. Nordhausen 2000, S. 108–109</ref> Der Zweck der RAF-Angriffe im April 1945 bestand darin, den Weg für einen ungehinderten Vormarsch von der im Südharzer Raum erwarteten Gegenwehr freizumachen. 3.466 britische Soldaten sollten als fliegendes Personal an den Angriffen teilnehmen. Ihnen wurde als Ziel des Angriffs erklärt: „To kill military and Nazi personnel evacuated from Berlin to these barracks“ (gemeint das Areal der Boelcke-Kaserne und die Stadt Nordhausen).<ref>Geiger: ''Nordhausen im Bombenvisier''. S. 121 </ref><br />
<br />
<!-- Bitte Quelle angeben!(Wie aus dem Text eindeutig hervorgeht: Der genannte Journalist und Gesprächspartner Dr. Meyers!) Der gebürtige Nordhäuser [[Manfred Neuber]], als Journalist von 1960 bis 1963 in London und New York, recherchierte als erster bei der Royal Air Force und der US Air Force über die Luftangriffe auf Nordhausen. Aus den detaillierten Angaben ging hervor, dass allein Bomber der Royal Air Force Nordhausen angegriffen hatten. Die SED-Propaganda hatte behauptet, es habe sich um „amerikanische Terrorangriffe“ gehandelt. So stand es auch Jahre auf der Gedenkstele für die Opfer der Luftangriffe neben dem Alten Rathaus. Neuber hatte Gelegenheit, im Jahre 1964 in Bad Lauterberg mit Dr. [[Herbert Meyer]], Oberbürgermeister Nordhausens vor Kriegsende 1945, über die Bombenangriffe zu sprechen. Dabei widerlegte Meyer noch Jahre nach dem Kriege kursierende Gerüchte, die Luftangriffe hätten eigentlich der Stadt Gotha gelten sollen. Weil die Verantwortlichen dort kapituliert hätten, sei Nordhausen angegriffen worden, weil es nicht ebenso gehandelt habe. Meyer versicherte, es habe keine Aufforderung zur Übergabe der Stadt gegeben. Zum Zeitpunkt der Luftangriffe standen die US-Panzerspitzen noch im Raume Kassel. --><br />
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=== Vermutungen und Gerüchte über den Großangriff ===<br />
<br />
* Nordhausen soll Aufforderung zur kampflosen Übergabe ausgeschlagen haben.<br />
** Der Nordhäuser Oberbürgermeister bei Kriegsende, [[Herbert Meyer]], widersprach dieser Darstellung in einem Gespräch mit dem Journalisten Manfred Neuber um 1964 in Bad Lauterberg: „An die Stadtverwaltung ist niemals bis zu den Angriffen eine Aufforderung der Amerikaner ergangen, Nordhausen zur offenen Stadt zu erklären. Ich möchte bezweifeln, dass sie an Kreisleiter Nentwig ergangen ist.“<ref name="Sting252">Heinz Sting: ''Das 1000-jährige Nordhausen und der schöne Südharz''. Hannover: Nordhäuser Heimatfreunde, 1965. S. 252.</ref> In den ersten April-Tagen 1945 standen die Panzerspitzen von US-General Patton noch vor Kassel, seine Truppen nahmen zu der Zeit gerade Fulda und Bad Hersfeld, Wasungen und Meiningen ein.<br />
* Nordhausen wurde durch die US-Luftwaffe zerstört.<br />
** Es ist unbestritten und belegt, dass britische Bomber die Stadt zerstörten. „Die Einsatzbefehle der 8. US-Luftflotte sahen weder am 3. noch am 4. April 1945 Nordhausen als Ziel vor. Die Operationsberichte der 8. Luftflotte geben auch keinen Großangriff auf Nordhausen an einem dieser beiden Tage an. Der Hauptzielplan für die amerikanischen Heeresflieger in Europa während des Zweiten Weltkrieges führt ebenfalls keinen Angriff auf Nordhausen im April 1945 auf“, teilte das amerikanische Aerospace Studies Institute auf Anfrage des Journalisten Manfred Neuber zu Beginn der 1960er Jahre schriftlich mit. „Aus anderen Quellen ist zu entnehmen“, gab der Leiter für geschichtliche Studien an diesem Institut der US Air Force University auf der Maxwell Air Base in Montgomery/Alabama, bei den Recherchen des Journalisten zu Protokoll, „dass am 3.und 4 .April 1945 vom Bomber Command der Royal Air Force schwere Angriffe auf Nordhausen geflogen wurden.“ Diese Angaben wurden von der Air Historical Branch im britischen Verteidigungsministerium (damals noch Ministry of War) dem Rechercheur bestätigt. Alle hier aufgeführten Originaldokumente wurden dem Stadtarchiv Nordhausen übergeben.<br />
<br />
* Nordhausen wurde anstelle Gothas bombardiert.<br />
** Diese Behauptung wurde u. a. von [[Kurt Kohlmann]] aufgestellt. So berichtete er von zwei US-Offizieren, die entsprechende Aussagen getätigt haben sollen: „Sie erzählten mir, der Kreisleiter von Nordhausen sei dreimal aufgefordert worden zu kapitulieren. Nachdem die Faschisten das dritte Mal abgelehnt hätten, sei ein auf Gotha angesetzter US-amerikanischer Bomberverband nach Nordhausen umgeleitet worden.“<ref name="Rudloff138">Jost-Dieter Rudloff: ''Warum wurde Nordhausen eine Woche vor Kriegsende 1945 in Brand gesetzt? Informationen und Überlegungen''. In: ''Beiträge zur Geschichte aus Stadt und Kreis Nordhausen (Band 44/2019)'', S. 138.</ref> Dies wurde ebenfalls von Herbert Meyer als unglaubwürdig zurückgewiesen.<ref name="Sting252"/><br />
<br />
* Nordhausen wurde wegen der Raketen-Produktion im Kohnstein bombardiert.<br />
** Den Alliierten war bekannt, dass sich im Kohnstein ein Rüstungsbetrieb befand, nicht jedoch, dass dort die V-Waffen gefertigt wurden.<ref>Jürgen Möller: ''Konzentrationslager Mittelbau-Dora''. Bad Langelsalza 2018, S. 33.</ref> Der Kohnstein war wegen der Kriegsgefangenenlager kein Angriffsziel.<ref name="Rudloff138"/><br />
<br />
* Die Nordhäuser Bevölkerung sollte wegen dem Konzentrationslager Dora-Mittelbau bestraft werden.<br />
** Dies wird durch kein Dokument der Alliierten bestätigt.<br />
<br />
* Nordhausen wurde aus militärischen Gründen bombardiert.<br />
** Die Stadt war verkehrstechnischer Knotenpunkt und Mittelpunkt der Nordthüringer Rüstungsindustrie und wurde auch von der deutschen Armeeführung als wichtig wahrgenommen.<ref name="Rudloff140">Jost-Dieter Rudloff: ''Warum wurde Nordhausen eine Woche vor Kriegsende 1945 in Brand gesetzt? Informationen und Überlegungen''. In: ''Beiträge zur Geschichte aus Stadt und Kreis Nordhausen (Band 44/2019)'', S. 140.</ref> Für das US-Militär bildete die Stadt kein strategisches Ziel mehr.<ref name="Rudloff140"/> Die Stadt Nordhausen erhielt militärische Bedeutsamkeit für die Bodentruppen der 1. US-Armee, auch wegen des Verschiebebahnhofs für Truppenbewegungen. Die Schonung der Rüstungsbetriebe mit ihrem Personal ergab sich aus der Hoffnung, möglichst viele Waffen und Fachkräfte zu erbeuten.<ref name="Rudloff140"/> Es gibt keinen Hinweis darauf, dass Nordhausen aus militärischen Gründen bombardiert wurde.<ref name="Rudloff140"/> (Doch: im SHAEF-Befehl ausdrücklich erwähnt)<br />
<br />
== Aufarbeitung und Gedenken ==<br />
=== 1945 bis 1990 ===<br />
==== DDR ====<br />
Bis zur Wiedervereinigung hielt sich die Behauptung, die United States Air Force habe Nordhausen am 3. und 4. April 1945 bombardiert. Zum einen wurde der US-Luftwaffe vorgehalten, dass die Angriffe auf Nordhausen ein Akt blinder Zerstörung und militärisch sinnlos gewesen seien, da das Ende des Dritten Reiches absehbar war. Andererseits wurde mit der „Gotha-Legende“ behauptet, dass Nordhausen bis zum Letzten verteidigt werden sollte und es deshalb zum Luftangriff kam. Damit wurde die Verantwortlichkeit für das Bombardement wahlweise den lokalen NS-Amtsträgern oder den USA zugeschrieben. <br />
<br />
Ein Interesse an einer realistischen Rekonstruktion hatte die SED auch aufgrund der Situation des Kalten Krieges nicht.<br />
Zum 40. Jahrestag der Luftangriffe wurde in der Lokalpresse erstmals von „250 britischen Lancaster-Maschinen“ berichtet.<ref>„Die Zerstörung Nordhausens - Mahnung und Verpflichtung“, ''Das Volk'', 2. April 1985.</ref> Eine Korrektur der Geschichte fand jedoch nicht statt, und auch danach war mitunter vom „Zerstörungsangriff amerikanischer Bomber“ die Rede.<ref>''Unser Aktuelles Argument'', April 1985.</ref> Für die in der DDR-Propaganda kolportierte öffentliche Erinnerung erklärt sich aus dem politischen Bedürfnis, die „imperialistischen“ Angreifer als möglichst grausam und skrupellos erscheinen zu lassen, im Sinne antiamerikanischer Propaganda.<ref name="Winter63">Winter: ''Öffentliche Erinnerungen an den Luftkrieg in Nordhausen 1945 - 2005''. Marburg: Tectum-Verl., 2010. S. 63.</ref> <br />
Mit Verweis auf die Luftangriffe auf Nordhausen wurde auf tatsächliche oder vermeintliche aktuelle militärische Bedrohungen oder Konflikte Bezug genommen, z. B. auf den Vietnamkrieg. <br />
<br />
Insgesamt war die Nordhäuser Luftkriegserinnerung gekennzeichnet von einer eigentümlichen „Verwischung der Grenze zwischen Faktizität und Fiktionalität“, die nach dem Historiker Martin Sabrow typisch für das Geschichtsdenken in der DDR war.<ref>Martin Sabrow: ''Einleitung - Geschichtsdiskurs und Doktringesellschaft'', Potsdam: Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam (ZZF), 2000. S. 24.</ref><br />
<br />
Der Versuch einer wirklichen Aufarbeitung in der DDR wurde erstmals 1985 angestoßen, als [[Manfred Schröter]] anlässlich des 40. Jahrestages eine Publikation veröffentlichen wollte. Darin wurde dargelegt, dass die RAF und nicht die USAF für den Angriff im April 1945 verantwortlich gewesen war. Nachdem Schröters Buch nach Begutachtung und Korrektur durch den Historiker Olaf Groehler sowie der SED-Kreisleitung und Bezirksleitung in Druck gegangen war, konfiszierte die Kreisleitung am 29. März 1985 die gesamte Auflage und verhinderte eine Veröffentlichung.<ref name="Winter62">Winter: ''Öffentliche Erinnerungen an den Luftkrieg in Nordhausen 1945 - 2005''. Marburg: Tectum-Verl., 2010. S. 62.</ref> Vorausgegangen war ein öffentlicher Vortrag Schröters am 14. März 1985, in dem er seine Ergebnisse (im Beisein von Stasi-Spitzeln) vorstellte.<br />
<br />
Das Gedenken an die Luftangriffe wurde zu DDR-Zeiten auch stark mit dem Wieder- bzw. Neuaufbau der Stadt verwoben. In den ersten Jahren nach dem Krieg wurde vor allem zur Mithilfe agitiert, um durch das „Aufbauwerk“ einer „glücklichen, friedlichen und sonnigen Zukunft“ entgegenzutreten.<ref>„Aufbauerfolge dürfen nicht preisgegeben werden,“ ''Das Volk'', 7. April 1953.</ref> Ab Ende der 1950er Jahre verwies die SED auf die bisher erzielten Erfolge. Zum 40. Jahrestag der Bombardierung 1985 behauptete Oberbürgermeister [[Peter Heiter]], dass die Jahre des Sozialismus die erfolgreichsten in der über tausendjährigen Stadtgeschichte gewesen seien und verwies auf die Rolle der Partei als entscheidender Faktor für das Erreichte.<ref name="Winter81">Winter: ''Öffentliche Erinnerungen an den Luftkrieg in Nordhausen 1945 - 2005''. Marburg: Tectum-Verl., 2010. S. 100.</ref> <br />
Ein wichtiges Großereignis war die Instandsetzung des [[St.-Petri-Kirche|Petri-Turms]] mit einer neuen Turmspitze zum 42. Jahrestag 1987 als „wiedererstandendes Wahrzeichen“.<ref>„Kupferhelm für den Petriturm“, ''Das Volk'', 7. April 1987.</ref><br />
In der Festschrift (1050 Jahre Nordhausen", 1977 herausgegeben vom Magistrat, heißt es: "Für den ausgesprochenen Terrorcharakter der anglo-amerikanischen Luftangriffe spricht auch, dass die Hauptstraßen des Schienen- und Straßenverkehrs funktionstüchtig blieben und die militärischen Anlagen der Stadt, insbesondere das Flugplatzgelände, weiter den Machthabern des Dritten Reiches für ihre verbrecherische Politik zur Verfügung standen."<br />
Die Festschrift hebt hervor: "Das heutige Nordhausen entwickelt sich dank der schöpferischen und angestrengten Arbeit der Arbeiterklasse und aller Bürger unserer Stadt, auf festen sozialistischen Fundamenten. Ständig entsteht Neues, man braucht sich nur umzuschauen." Dagegen bemerkte das "Bad Lauterberger Tageblatt" (Ausgabe vom 3./4. April 1985, Seite 3): "Der Wiederaufbau Nordhausens begann erst sehr spät und sehr schleppend. Noch immer bildet der alte Stadtkern eine weithin kahle Fläche."<br />
<br />
==== BRD ====<br />
<br />
In der Bundesrepublik wurde das Gedenken von dem Verein [[Nordhäuser Heimatfreunde]] getragen. Die erste gedruckte Ausgabe der Vereinszeitung ''[[Nordhäuser Nachrichten]]'' widmete sich der Zerstörung Nordhausens, und auch in den folgenden Jahren bildete es ein wiederkehrendes Themenfeld mit zahlreichen Erlebnisberichten. Die Rolle des Vereinsvorsitzenden und früheren Nordhäuser NSDAP-Oberbürgermeisters [[Heinz Sting]] zum Gedenken wird kritisch gesehen.<ref name="Winter83">Winter: ''Öffentliche Erinnerungen an den Luftkrieg in Nordhausen 1945 - 2005''. Marburg: Tectum-Verl., 2010. S. 83 ff.</ref> So sei Sting zwar bemüht gewesen, klarzustellen, dass nicht die US-Luftwaffe die Stadt bombardierte, doch zeigte er sich auch bestrebt, die Rolle des Nationalsozialismus zu relativieren.<br />
<br />
Diese historischen Fakten hatte der Journalist [[Manfred Neuber]] schon vor 1965 in US- und britischen Archiven ermittelt und publiziert (''Bad Lauterberger Tageblatt'' um 1964 und am 3./4. April 1985 in „Das Drama von Nordhausen“, in der ''Herzberger Zeitung'' und im späteren ''HarzKurier'' in Herzberg, im ''Göttinger Tageblatt'' sowie Erwähnung in den ''Nordhäuser Nachrichten'').<br />
[[Herbert Meyer]], Oberbürgermeister Nordhausens in den letzten Kriegstagen und später Stadtdirektor in Bad Lauterberg, versicherte Manfred Neuber 1963 in einem Gespräch über dessen Recherchen in Großbritannien und in den USA, die Stadt Nordhausen habe keine Aufforderung der Alliierten erhalten, Nordhausen zur offenen Stadt zu erklären. Eine Entscheidung darüber hätte auch nicht in seiner Kompetenz gelegen: „Ob eine solche Aufforderung an den Kreisleiter Hans Nentwig ergangen ist und ob dieser sich geweigert hat, ihr nachzukommen, weiß ich nicht. Ich möchte es aber bezweifeln“, erklärte Meyer (Originalzitat in den Aufzeichnungen über das Treffen). Der NSDAP-Kreisleiter [[Hans Nentwig]] hatte das Bombardement in seiner Ausweich-Befehlsstelle unbeschadet überstanden. Er lebte in der Nachkriegszeit in Katlenburg. Von der marxistischen Geschichtsschreibung in der DDR wurde ihm wegen „seiner verbrecherischen Durchhalte-Politik“ eine Hauptschuld an der Zerstörung Nordhausens zugeschrieben.<br />
<br />
=== Seit 1990 ===<br />
<br />
Der 50. Jahrestag der Luftangriffe 1995 wurde mit einer Gedenkwoche unter der Losung „Nordhausen 1945: Erinnerung – Trauer – Mahnung“ weitaus größer begangen als die Jahre zuvor. 1993 hatte das Stadtarchiv angekündigt, diverse Maßnahmen einzuleiten, um ein würdiges Gedenken zu gewährleisten. Darunter zählte das Sammeln von Zeitzeugenberichten, realisierte Veranstaltungen und Projekte sowie die Planung einer Publikation zum Thema. Am 30. März 1995 wurde eine Metallplastik auf der oberen Plattform des Petri-Turms enthüllt und einen Tag später eine Ausstellung mit Fotos und Dokumenten eröffnet. Zudem erschien unter der Leitung des Stadtarchivars [[Peter Kuhlbrodt]] das Buch ''[[Schicksalsjahr 1945 – Inferno Nordhausen]]''. In den folgenden Tagen wurde ein ökumenischer Gedenkweg abgehalten, es gab Kranzniederlegungen am Gedenkstein auf dem Hauptfriedhof, dem Ehrenfriedhof und an der Boelcke-Kaserne. Begleitet wurde das Gedenken mit einer umfassenden Berichterstattung in der Presse, die auch überregional wirkte. <br />
<br />
Nach dem Jahr 1995 wurden die Jahrestage der Luftkriegserinnerung weitaus kleiner begangen.<ref name="Winter100"/> Ab Ende der 1990er Jahre erfolgte wieder eine allgemeine Repolitisierung der Luftkriegserinnerung.<ref name="Winter100">Winter: ''Öffentliche Erinnerungen an den Luftkrieg in Nordhausen 1945 - 2005''. Marburg: Tectum-Verl., 2010. S. 100.</ref> Es zeigte sich, dass sich die öffentliche Erinnerung mehr auf gegenwärtige Ereignisse als auf die Jahre des Zweiten Weltkrieges zu beziehen schien; so werden stärkere Bezüge zu außenpolitischen Themen<ref>Winter: ''Öffentliche Erinnerungen an den Luftkrieg in Nordhausen 1945 - 2005''. Marburg: Tectum-Verl., 2010. S. 101.</ref> oder Exkurse zum Rechtsextremismus hergestellt.<ref>[https://www.nnz-online.de/news/news_lang.php?ArtNr=108899 Zum Umgang mit der Bombardierung], nnz-online, 3. April 2012.</ref> Im Vergleich zu DDR-Zeiten wurde das Spektrum der Erinnerungsakteure erweitert, und vor allem die Kirche rückte in den Vordergrund. <br />
<br />
Seit den 2000er Jahren wird der Jahrestag der Luftangriffe mit der üblichen Kranzniederlegung an der Gedenkstele am Rathaus begangen. Seit 2017 werden statt Kränzen weiße Rosen niedergelegt.<ref>[https://www.nnz-online.de/news/news_lang.php?ArtNr=209936 Gedenken an der Stele], nnz-online, 3. April 2018.</ref> Im Gegensatz zu DDR-Zeiten werden Schuldzuweisungen an die Westalliierten weniger offen aggressiv und ideologisch untermauert vorgebracht.<ref>Winter: ''Öffentliche Erinnerungen an den Luftkrieg in Nordhausen 1945 - 2005''. Marburg: Tectum-Verl., 2010. S. 110.</ref><br />
<br />
=== Denkmäler ===<br />
[[File:Denkmal Bombenangriffe Nordhausen - Mai 2015.JPG|200px|thumb|Mahnmal am Alten Rathaus]]<br />
[[File:Gedenkstein Nordhausen.jpg|mini|200px|Gedenkstein am Massengrab für 600 Bombenopfer auf dem [[Zentralfriedhof an der Leimbacher Straße|Alten Friedhof]]]]<br />
* Mahnmal für die Opfer der Bombardierungen vor dem [[Altes Rathaus|Alten Rathaus]]: 1950 wurde ein Gedenkstein und eine Flammenschale am Sockel des früheren [[Lutherdenkmal]]s angebracht. Es trug die Inschrift: „4.4. 1945 - Zerstörung Nordhausens durch amerikanische Bomber - 8800 Opfer klagen an“ (''Amerikanische'' Bomber war falsch). 1969 wurde dieses Denkmal durch eine Säule des Künstlers Jürgen von Woyski ersetzt.<br />
* Auf dem [[Ehrenfriedhof]] westlich des ''Stresemann-Rings'' befindet sich ein 1999 umgestaltetes Denkmal in Erinnerung an die hier in Massengräbern beigesetzten über 1.600 KZ-Häftlinge, zum größten Teil Opfer der Luftangriffe auf die Boelcke-Kaserne am 3. und 4. April 1945. Viele Nordhäuser zivile Bombenopfer und Soldaten wurden auf dem nördlichen Teil des Sonderfriedhofs, des jetzigen Ehrenfriedhofs, oberhalb des Denkmals in Massengräbern beerdigt.<ref>Manfred Schröter: ''Die Zerstörung Nordhausens''. Nordhausen: Meyenburg-Museum, 1988. S. 59</ref><br />
* Auf dem ''Hauptfriedhof'' findet sich ein Denkmal, das die zusammenfassende Inschrift trägt: „Zum Gedenken an die Gefallenen und Vermissten beider Weltkriege, die Toten der Bombenangriffe, die Opfer aller Gewaltherrschaft. Die Bürger der Stadt Nordhausen“. Links seitlich von dem Denkmal, vor dem begrenzenden Zaun, wurde eine größere Anzahl von Bombentoten in Gemeinschaftsgräbern beigesetzt.<ref> Manfred Schröter: ''Die Zerstörung Nordhausens''. Nordhausen: Meyenburg-Museum, 1988. S. 59-60 </ref> Dort stehen noch einige große Kreuze, die wohl darauf hinweisen.<br />
<br />
== Zitate ==<br />
<br />
* „Das Ausmaß des Schreckens, der Verwüstung und des Todes, von dem unsere Stadt an jenen Apriltagen erfasst wurde, macht sie praktisch zu einem Synonym für die japanischen Städte Hiroshima und Nagasaki. Denn vergleicht man auf Airfotos ihre zerstörten Zentren, so lässt sich schwerlich ein gradueller Wirkungsunterschied erkennen.“ – ''[[Walter Geiger]]: [[Nordhausen im Bombenvisier]], S. 154.''<br />
* „Nordhausen wurde am 3. und 4. April 1945 zerstört, weil der ehrgeizige britische Luftmarschall Sir Arthur Harris dem britischen Volk und den Alliierten zeigen wollte, dass sein "Bomber Command" das Handwerk des Tötens von deutschen Menschen perfektioniert hatte. Er löste einen furchtbaren Flächenbrand aus mit den stärksten Mitteln, die ihm zur Verfügung standen. Besonders verwerflich ist, dass er die Bombenziele auf die Nordhäuser Altstadt konzentrierte. Infam ist auch, dass er noch in den letzten Kriegstagen die Altstadt von Nordhausen mit einer nie vorher verwendeten Bomben-Mischung auslöschte. Er handelte trotzig wie ein Kind, dem man das Spielzeug wegnehmen will. Harris wollte sich in letzter Stunde in Nordhausen ein Denkmal aus Leichen und Ruinen setzen.“ – ''[[Jost-Dieter Rudloff]]: Warum wurde Nordhausen eine Woche vor Kriegsende 1945 in Brand gesetzt? Informationen und Überlegungen. In: [[Beiträge zur Geschichte aus Stadt und Kreis Nordhausen (Band 44/2019)]], S. 141.''<br />
<br />
== Literatur ==<br />
*Jost-Dieter Rudloff: ''Warum wurde Nordhausen eine Woche vor Kriegsende 1945 in Brand gesetzt? Informationen und Überlegungen''. In: ''[[Beiträge zur Geschichte aus Stadt und Kreis Nordhausen (Band 44/2019)]]''.<br />
*Harald Rockstuhl (Hrsg.): ''[[Nordhausen – Luftbild-Atlas 1935–1945]]''. Bad Langensalza: Verlag Rockstuhl, 2017. ISBN 978-3959662833<br />
*[[Walter Geiger]]: ''[[Nordhausen im Bombervisier]]''. Nordhausen: Neukirchner, 2000. ISBN 3-929767-43-0<br />
*Olaf Groehler: ''Bombenkrieg gegen Deutschland''. Berlin: Akad.-Verl., 1990. ISBN 3-05-000612-9<br />
*[[Peter Kuhlbrodt]]: ''[[Inferno Nordhausen – Schicksalsjahr 1945]]''. Nordhausen: Archiv der Stadt Nordhausen, 1995. ISBN 3-929767-09-0<br />
*[[Martin Clemens Winter]]: ''[[Öffentliche Erinnerungen an den Luftkrieg in Nordhausen 1945 - 2005]]''. Marburg: Tectum-Verl., 2010. ISBN 9783828822214 <br />
*''Schicksale deutscher Baudenkmale im Zweiten Weltkrieg''. (Bd. 2) Berlin: Henschelverlag Kunst u. Gesellschaft, 1978.<br />
<br />
== Externe Verweise ==<br />
* [https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/1/1f/Nordhausen_concentration_camp_newsreel.webm Filmaufnahmen von der Boelcke-Kaserne (1945)]<br />
<br />
== Einzelnachweise ==<br />
<br />
<references/><br />
<br />
[[Kategorie:Geschichte]]</div>Latimer Rexhttps://nordhausen-wiki.de/index.php?title=Luftangriffe_auf_Nordhausen&diff=15670Luftangriffe auf Nordhausen2020-02-09T16:20:16Z<p>Latimer Rex: /* Nordhausen im Krieg */</p>
<hr />
<div>[[Datei:Marktkirche Rathaus Nordhausen 1945.jpg|thumb|300px|[[Marktkirche]], [[Altes Rathaus|Rathaus]] und [[Stadthaus]] nach den Luftangriffen]]<br />
Die '''Luftangriffe auf Nordhausen''' am 3. und 4. April 1945 durch Bomber der britischen Royal Air Force zerstörten Dreiviertel der Stadt. Dabei kamen über 8.800 Menschen ums Leben, weitere 20.000 wurden obdachlos. Mit einem Wohnungszerstörungsgrad von 55% (10.000 Wohnungen) gehörte Nordhausen zu den am schwersten zerstörten deutschen Städten; zahlreiche Denkmale von hervorragender Bedeutung, darunter die für Nordhausen charakteristischen Fachwerkbauten des 13. bis 19. Jahrhunderts, wurden vernichtet. Der historische Stadtkern, die Neustadt und die Gebäude um die [[Frauenbergkirche]] wurden fast gänzlich eingeebnet. Erhalten blieben die Gebiete westlich und nördlich der [[Stadtmauer]], [[Barfüßerstraße]], [[Kalte Gasse]], Teile des historischen [[Königshof]]s sowie der Stadtteil [[Altendorf]]. Ein Großteil der stark beschädigten Bauwerke wurde nach dem Zweiten Weltkrieg abgerissen. <br />
Die zerstörerische Gesamtwirkung aller Bomben und Luftminen war von keinem Einzelangriff im Luftkrieg gegen Deutschland auch nur annähernd erreicht worden.<ref>Geiger: ''Nordhausen im Bombenvisier''. S. 150.</ref> Bei der Bombardierung von Nordhausen handelte es sich um die größte Katastrophe in ihrer tausendjährigen Stadtgeschichte. <br />
<br />
== Nordhausen im Krieg ==<br />
Nordhausen hatte vor dem Zweiten Weltkrieg ca. 42.000 Einwohner. Während des Krieges stieg deren Zahl durch Ortsfremde (Luftkriegsevakuierte, Flüchtlinge, ausländische Arbeitskräfte, Verwundete und Kriegsgefangene) Anfang März 1945 auf 65.000 Einwohner.<ref>Peter Kuhlbrodt (Hrsg.): ''Schicksalsjahr 1945. Inferno Nordhausen''. Nordhausen: Archiv der Stadt Nordhausen, 1995. S. 20, 33 </ref> Insbesondere für Evakuierte aus Berlin, Hamburg und Westdeutschland waren Stadt und Kreis Nordhausen als Aufnahmeräume ausgewiesen.<br />
<br />
Der Bau von Luftschutzanlagen begann im Spätsommer 1943. Viele Bunkeranlagen in der Innenstadt blieben unvollendet. Am 29. November 1943 wurde für Nordhausen ein Evakuierungsplan, der Aussiedlungsrichtungen und Aufnahmegebiete festlegte, ausgearbeitet.<ref>Geiger: ''Nordhausen im Bombenvisier''. Nordhausen: Verlag Neukirchner, 2000. S. 65</ref><br />
<br />
{| class="wikitable sortable"<br />
|+ style="padding-bottom:1em" | Bis zum 22. Februar 1945 realisierte Stollenabschnitte<ref>Ullrich Mallis: ''Der Luftschutzstollen am Johanneshof / Neuer Weg. Ein Nordhäuser Baudenkmal'', in: ''[[Nordhäuser Nachrichten. Südharzer Heimatblätter (2/2011)]]'', S. 10.</ref><br />
|- class="hintergrundfarbe6"<br />
! class="unsortable" | Stollenabschnitte !! class="sortable" | Länge !! class="unsortable" | Herstellung !! class="unsortable" | Ausbauart !! class="unsortable" | Bemerkung<br />
|-<br />
| Stollen IA, Mühlhof || style="text-align:right" | 55,00 m<br />
| Okt. 1943 – Febr. 1944 || Beton, 27,5 m nur Holzausbau || Richtung Loge<br />
|-<br />
| Fluko-Bunkerzugang || style="text-align:right" | 2,40 m<br />
| Febr. – März 1944 || Eisenbetongewölbe || IA, > 40 m links<br />
|-<br />
| Kreuz IA-Stummel || style="text-align:right" | 0,50 m<br />
| März 1944 || Eisenbetongewölbe, wie das gesamte Kreuz IA || Drehscheibe<br />
|-<br />
| Stollen IB, Johannishof || style="text-align:right" | 38,50 m<br />
| Nov. 1943 – April 1944 || Beton, 22,5 m mit Firstschienen || noch begehbar<br />
|-<br />
| Stollen von IA nach IB || style="text-align:right" | 66,10 m<br />
| März 1944 – Nov. 1944 || Beton || Durchschlag im Nov. 1944<br />
|-<br />
| Stollen von IB nach IA || style="text-align:right" | 38,25 m<br />
| April 1944 – Nov. 1944 || Beton || Durchschlag im Nov. 1944<br />
|-<br />
| Oststollen, von IA-IB ab || style="text-align:right" | 21,75 m<br />
| Dez. 1944 – Febr. 1945 || Seitenbeton, Art des Firstausbaues nicht benannt || <br />
|-<br />
| Südstollen IC, ab IB || style="text-align:right" | 49,75 m<br />
| April 1944 – Febr. 1945 || || zum Lohmarkt<br />
|-<br />
| class="hintergrundfarbe5" | Gesamt: || style="text-align:right" class="hintergrundfarbe5" | 272,25 m<br />
| class="hintergrundfarbe5" | Okt. 1943 – Febr. 1945 || class="hintergrundfarbe5" | || class="hintergrundfarbe5" |<br />
|}<br />
<br />
<br />
<br />
Als Garnisonstadt hatte Nordhausen keine ältere Tradition. Ab 1935 wurde im Süden die [[Boelcke-Kaserne]] errichtet, mit Unterkünften und Fahrzeughallen; sie diente der Ausbildung von Luftnachrichtensoldaten. Daneben entstanden ein Fliegerhorst als Ausbildungsplatz und zeitweise Flugzeugwerft. Bis März 1945 wurden hier Flugzeuge für den Mistelschlepp ("Huckepack"-Flugzeuge) montiert und Piloten dafür geschult. Sonst diente der Fliegerhorst 1945 noch zum Auftanken von Jagdflugzeugen. In provisorischen Unterkünften in der Stadt gab es die evakuierte "Marineverwaltung West". In der Stadt und ihrer nahen Umgebung existierten viele Lazarette mit insgesamt etwa 1.000 Verwundeten. Die Lazarette und Krankenhäuser trugen weithin sichtbare große Rotkreuz-Symbole auf den Dächern. <br />
<br />
Das [[Mittelwerk GmbH|Mittelwerk Dora]] bei Nordhausen produzierte Anfang April 1945 keine V-Waffen oder andere Rüstungsgüter mehr. Die dort Beschäftigten, unter ihnen Tausende von Häftlingen des KZ Mittelbau-Dora und Zwangsarbeiter, wurden evakuiert. Das Werk oder seine Verkehrsanbindungen waren nie Ziel alliierter Luftangriffe. <br />
<br />
Die frühere [[KZ-Außenlager Boelcke-Kaserne|Boelcke-Kaserne]] wurde seit Herbst 1943 nicht mehr militärisch genutzt. Sie hatte seitdem Tausende von Arbeitern, später auch Flüchtlinge aufgenommen. Seit 8. Januar 1945 existierte ein bald überfülltes Häftlingslazarett in der Anlage.<ref> Manfred Schröter: ''Die Zerstörung Nordhausens''. Nordhausen: Meyenburg-Museum, 1988. S. 6-8 </ref> Im Februar kamen zeitweise 3.500 Häftlinge aus dem KZ Groß-Rosen dazu.<ref> Walter Geiger: ''Nordhausen im Bombervisier''. Nordhausen: Verlag Neukirchner, 2000. S. 258 </ref><br />
Vom Flugplatz Nordhausen waren im April 1945 die letzten Schulflugzeuge und Flak-Einheiten längst abgezogen worden. Eine kurz vor Kriegsende nach Nordhausen verlegte Marine-Dienststelle bestand lediglich aus Schreibkräften. So trafen die britischen Bomben auf in Kasernen eingesperrte KZ-Häftlinge.("Bad Lauterberger Tageblatt", 3./4. April 1985)<br />
<br />
== Erste Angriffe ==<br />
In der Nacht vom 25. August auf den 26. August 1940 griffen zwei britische Bomber vom Typ Handley Page Hampden den [[Flugplatz von Nordhausen]] an und warfen vier Bomben ab.<ref>Geiger: ''Nordhausen im Bombenvisier''. S. 61 f.</ref> Es entstand ein kleiner Brand, der bald gelöscht werden konnte. <br />
<br />
Von 1940 bis 1943 gab es insgesamt 72 öffentliche Luftwarnungen und Fliegerarlarme für Nordhausen. Als sich die alliierten Luftangriffe im Jahr 1944 auf die im Hinterland gelegenen deutschen Städte intensivierten, wurde Nordhausen verstärkt Überflugsort alliierter Bomberverbände, etwa wenn sie Berlin, Dessau oder Leipzig anflogen. Im März 1945 erreichten die durchschnittlich fünf bis sechs Luftalarme ihren Höhepunkt.<ref>Geiger: ''Nordhausen im Bombenvisier''. S. 98 f.</ref> <br />
<br />
Am 12. April 1944 flogen während der Mittagszeit zwei aus südlicher Richtung kommende amerikanische Jäger die Stadt an und töteten zwei Menschen, zwei Personen wurden schwer verletzt.<ref>Geiger: ''Nordhausen im Bombenvisier''. S. S 221 f.</ref> <br />
<br />
[[Datei:Luftangriffe Nordhausen Traueranzeige.jpeg|thumb|Traueranzeige vom 26. Februar 1945]]<br />
<br />
Am 22. Februar 1945 griffen gegen 12:30 Uhr US-amerikanische Bomber den Verschiebebahnhof an, trafen jedoch die Unterstadt, einige Anlagen des Industriegebietes und die vormalige Fernmeldeschule der Luftwaffe in der [[Boelcke-Kaserne]]. Insgesamt fielen 296 Mehrzweckbomben und töteten 40 Menschen. Im ''[[Südharzer Kurier]]'' erschien am 26. Februar eine Todesanzeige für die „Gefallenen des Terrorangriffs“ mit der Ankündigung zur Beisetzung. <br />
<br />
Am 28. Februar 1945 warfen drei amerikanische Maschinen 2,5 Tonnen Sprengbomben auf die Stadt ab. <br />
<br />
Am 1. April 1945 wurden das Auto-Hotel Hesse durch Bomben getroffen und zahlreiche Menschen getötet.<br />
<br />
== Großangriffe im April 1945 ==<br />
[[File:Avro Lancaster Mk 1 ExCC.jpg|thumb|Langstreckenbomber vom Typ ''Avro Lancaster'', wie sie bei der Bombardierung von Nordhausen zum Einsatz kamen.]]<br />
[[File:Mosquito 600pix.jpg|thumb|Zielmarkierer ''De Havilland Mosquito'' (1944)]]<br />
Am 3. April 1945 starteten gegen 13 Uhr die englischen Bomberverbände und erreichten Nordhausen um 16 Uhr. Die 247 Avro-Lancaster-Bomber (Tragfähigkeit je 6 Tonnen Bombenlast) und 9 Mosquito-Mehrzweckflugzeuge warfen in 20 Minuten ca. 1.216 Tonnen Sprengbomben ab und trafen vor allem die Außenbezirke von Nordhausen.<ref>Groehler: ''Bombenkrieg gegen Deutschland'', S. 422.</ref> Im Stadtinnern fielen Bomben um die [[Neustadt-Kirche]] und [[Neustadtstraße]]. In den umliegenden Wäldern und Ortschaften [[Sundhausen]], [[Bielen]], [[Himmelgarten]], [[Leimbach]] und [[Krimderode]] fielen schwere Bomben und Luftminen. Getroffen wurde auch die mit kranken Häftlingen überbelegte [[Boelcke-Kaserne]], wo allein in einer mit Tuberkulose-Kranken belegten Flugzeughalle 450 Menschen den Tod gefunden haben sollen.<ref>Wagner: ''Produktion des Todes.'' S. 280</ref> Die Stadt ohne Strom und Leitungswasser. Die Verletzten wurden gesammelt und nach [[Neustadt/Harz|Neustadt]] und [[Sülzhayn]] gebracht, die Ausgebombten erhielten Notquartiere in der Stadt selbst und ihrer Umgebung. Viele Nordhäuser flüchteten aus der Stadt. Zwei Stollen der unterirdischen Anlagen von Mittelbau Dora im Kohnstein nahmen bereits am 3. April Geflüchtete auf, später wurden es 10.000. Das Stadtkrankenhaus war beschädigt, die Patienten wurden in Notkrankenhäuser in das benachbarte [[Petersdorf]] gebracht, vor allem in das Ausflugsrestaurant Harzrigi.<ref> Manfred Schröter: ''Die Zerstörung Nordhausens''. Nordhausen: Meyenburg-Museum, 1988. S. 22, 23 </ref> Bomben fielen auch auf mehrere benachbarte Dörfer und deren Flur, besonders betroffen war Bielen. Zwei Bomber gingen beim Hin- und Rückflug verloren. Der erste Angriff erzielte die gewünschte Wirkung jedoch nicht. Der Angriff am 3. April war aus Sicht der RAF ein Misserfolg.<!-- (Quelle?) --> Viele Einwohner zogen am Abend des 3. April zum nahen [[Kohnstein]], wo die mittlerweile fast verlassenen Stollen des Mittelwerks Schutz boten.<br />
<br />
{{Zitat|Die Stadt ist schwer getroffen, aber sie ist noch eine organisierte Gemeinschaft… Gegenseitige und Nachbarschaftshilfe wird geleistet. Die Stadtverwaltung und die Luftschutzleitung setzen ihre Kräfte ein. Rotes Kreuz und die Krankentransporte kommen an die Schwerpunkte. Man leitet die Evakuierung des beschädigten Krankenhauses ein. Die Verletzten des Angriffs werden geborgen, abtransportiert, in den Gaststätten Parkhaus und Kurhaus gesammelt und schließlich nach Neustadt und Sülzhayn weiterbefördert. Die Feuerwehr bekämpft die wenigen Brandherde.|[[Manfred Schröter]]: ''[[Die Zerstörung Nordhausens und das Kriegsende im Kreis Grafschaft Hohenstein 1945]]''}}<br />
<br />
Am 4. April gegen 9 Uhr begann der zweite Großangriff der RAF. Der Verband kam über Gotha, Bad Langensalza und Schlotheim. Für 93 Bomber wurde die Boelcke-Kaserne als Angriffsziel befohlen, die anderen 150 hatten das Stadtzentrum anzugreifen.<ref>Geiger: ''Nordhausen im Bombenvisier''. S. 146 f.</ref> Zwei Bomber mussten frühzeitig zurückkehren, und zehn weitere hatten ihren militärischen Auftrag verfehlt, so dass von den 243 Flugzeugen 231 am Luftschlag teilnahmen. Ein Bomber explodierte über der Stadt. Die örtliche Feuerwehr war, soweit noch vorhanden, von der Lage völlig überfordert. Unter der überlebenden Bevölkerung herrschte Panik, viele verließen fluchtartig zu Zehntausenden das Inferno der Stadt in Richtung Kohnstein. Auch außerhalb von Nordhausen wurde sie von Jagdbombern beschossen.<ref> Manfred Schröter: ''Die Zerstörung Nordhausens''. Nordhausen: Meyenburg-Museum, 1988. S. 26 </ref> Am Abend und in der Nacht war die Stadt ein weithin leuchtendes Flammenmeer.<ref> Peter Kuhlbrodt: ''Schicksalsjahr 1945. Inferno Nordhausen''. Nordhausen 1995. S. 23 </ref> In der Mitte davon leuchtete der Kirchturm von St. Petri als riesige Fackel, die gegen Mitternacht zusammenbrach und auf das Kirchenschiff stürzte. RAF-Piloten, die von einem Einsatz bei Merseburg zurückflogen, berichteten um 23.00 Uhr von „good fires at Nordhausen“.<ref> Walter Geiger: ''Nordhausen im Bombervisier''. Nordhausen, 2000. S. 180 f.</ref> <br />
Der gebürtige Nordhäuser Schriftsteller [[Rudolf Hagelstange]] schrieb in seiner deutschen Familienchronik (Band 2: „Der Niedergang“, Seite 254) über die Feuersbrunst in seiner Heimatstadt: „Und die Hitze war so groß, dass in den meisten Straßen, sofern sie nicht gepflastert waren, der Asphalt geschmolzen war, dass Flüchtende da und dort in ihn eingesunken waren, einige unlöslich und damit zum Flammentod verurteilt.“<br />
<br />
=== Opfer ===<br />
[[Datei:Einwohnerentwicklung von Nordhausen ab 1800.svg|thumb|Einwohnerzahl von Nordhausen ab 1800. Deutlich sichtbar der Höhepunkt 1945]]<br />
Bei den Großangriffen im April 1945 kamen ca. 8.800 Menschen ums Leben. Diese Zahl geht auf Schätzungen vom Februar 1948 zurück.<ref name="Kuhlbrodt125">Kuhlbrodt: ''Inferno Nordhausen''. S. 125 f.</ref> Vor dem Abgriff befanden sich rund 65.000 Personen in der Stadt (42.000 ständige Bevölkerung, Militärpersonen, Gefangene, ausländische Arbeiter, Spezialarbeiter der Kriegsindustrie, Evakuierte). Der Antifa-Ausschuss von Nordhausen schätzte am 17. Juni 1945, dass über 10.000 Menschen bei den Bombenangriffen ums Leben gekommen seien.<ref> Peter Kuhlbrodt: ''Schicksalsjahr 1945. Inferno Nordhausen''. Nordhausen 1995. S. 115 </ref><br />
<br />
In den ersten Tagennach dem Einmarsch der Amerikaner ließ der US-Stadtkommandant in den Straßen liegende Leichen auf den Sonderfriedhof am Schlageter-Ring bringen. Andere wurden an Ort und Stelle in Bombentrichtern beerdigt. Eine beträchtliche Zahl ziviler Opfer und deutscher Soldaten wurde dann in dem höher gelegenen Teil des heutigen Ehrenfriedhofs in Massengräbern beigesetzt, unweit der getöteten Häftlinge aus der Boelcke-Kaserne. Für die später gefundenen Opfer ohne Anhang wurden Massengräber im vorderen Teil des Alten Hauptfriedhofs in der Leimbacher Straße angelegt. Heute steht an dieser Stelle ein Wohnblock. Auf dem Neuen Hauptfriedhof am Ring sind in den ersten Wochen und Monaten 920 Bombenopfer beerdigt worden.<br />
<br />
{| class="wikitable"<br />
|-<br />
| Verluste der ständigen Bevölkerung || 6.000<br />
|-<br />
| Verluste der nicht ständigen Bevölkerung || 1.500<br />
|-<br />
| Verluste der Häftlinge der Boelcke-Kaserne || 1.300<br />
|-<br />
| zusammen || 8.800<br />
|-<br />
|} <br />
<br />
==== Persönlichkeiten ====<br />
* [[Paul Urban]] (geb. 1892), KPD-Stadtrat<br />
<br />
=== Schäden und Totalverluste ===<br />
<br />
Der Zerstörungsgrad der Stadt wurde mit 74 Prozent errechnet. Die Gesamtfläche des zerstörten Gebietes betrug 810.000 Quadratmeter.<br />
Monate später, als die Opfer beigesetzt sind und die Überlebenden notdürftige Behausungen errichtet haben, ist diese Bilanz des Grauens zu ziehen: von 4.588 Gebäuden in der Stadt Nordhausen bleiben nur 971 unbeschädigt, von 13.075 Wohnungen sind 6.187 völlig und 4.575 teilweise zerstört. Das Stadtzentrum ist ausgelöscht. Von einmal 377 Einzelhandelsgeschäften sind kaum hundert übrig. Sieben Schulen und drei Kinos wurden zerstört, 411 der vordem 685 Handwerksbetriebe sind total- oder teilzerstört, ebenso die Mehrzahl der 109 großen Betriebe der Nahrungs- und Genußmittelindustrie (Nordhäuser Korn und Kautabak).<br />
<br />
==== Kirchen ====<br />
<br />
[[Datei:Petri-Kirche Außenansicht.JPG|thumb|[[St.-Petri-Kirche]]]]<br />
*[[St.-Jakobi-Kirche]]: Am 3. April erheblich durch Bomben zerstört. Reste des Schiffes abgetragen, Turmruine zu DDR-Zeiten beseitigt.<br />
*[[Marktkirche]]: Am 3. April weitgehend zerstört. Ruinenreste abgetragen.<br />
*[[St.-Petri-Kirche]]: Am 3. April bis auf Turm und Chor zerstört, zahlreiche Menschen finden in der Kirche den Tod. Der Turm erhielt 1954 ein Notdach, die übrigen Ruinenteile wurden beseitigt. 1987 wurde ein neuer Turmhelm gesetzt.<br />
* [[St.-Blasii-Kiche]]: Dach und Mauerwerk am 4. April durch Bombentreffer erheblich beschädigt [[Cranachgemälde]] im Auslagerungskeller verbrannt. Bis 1949 Wiederherstellung des Daches, Ausbesserung Mauerwerk, Erneuerung des Inneren.<br />
*[[Nordhäuser Dom]]: Am 4. April schwere Schäden durch Brandzerstörung des Steildaches über der Halle und Vernichtung der Fenster. Noch 1945 Fertigstellung Notdach und Beseitigung der Folgeschäden. 1965 Wiederherstellung des Steildaches in ursprünglicher Form.<br />
*[[Frauenbergkirche]]: Am 4. April durch Bomben schwer zerstört. Erhalten blieben Umfassungsmauern der Chor mit Apside, die Nebenchöre und das Querschiff, vom Langhaus nur Reste des ersten Joches sowie des Westportals. Von 1953 bis 1955 folgten Enttrümmerung und Sicherungsarbeiten.<br />
*[[Frauenbergkloster]]: Am 4. April durch Bombentreffer total zerstört. Gebäudereste wurden nach 1945 entfernt.<br />
<br />
==== Öffentliche Bauten ====<br />
*[[Rathaus]]: Am 4. April bis auf die Umfassungsmauern zerstört, Turm ausgebrannt. Ab 1951 Trümmer entfernt und Wiederaufbau bis 1952, dabei wurden die Erdgeschoßarkaden und das Innere neu gestaltet. Zum ebenfalls schwer zerstörten [[Stadthaus]] wurde der Verbindungsgang wiederaufgebaut, der [[Roland]] restauriert.<br />
*[[Stadtmauer]]: Es entstanden Schäden an der Stadtmauer, wobei besonders die teilweise genutzten Türme und Wiechhäuser betroffen wurden. Nach dem Krieg wurden Ruinen abgetragen und Sicherungsarbeiten durchgeführt. Zur Landesgartenschau 2004 erfolgten umfangreiche Sanierungsarbeiten, besonders um den [[Petersberg]]. <br />
*[[Theatergebäude]]:<br />
<br />
==== Fachwerkbauten ====<br />
[[Datei:Nordhäuser Roland 1945.jpg|thumb|Das ausgebrannte Rathaus mit dem [[Nordhäuser Roland|Roland]], der die Angriffe wie durch ein Wunder überstand]]<br />
[[Datei:Riesenhaus, Riese, Postkarte.jpg|thumb|Postkarte vom [[Riesenhaus]] am Holzmarkt (Lutherplatz) mit dem [[Nordhäuser Riese]]n.]]<br />
Bedeutende Fachwerkhäuser, die zerstört wurden (lt. dem Denkmalpfleger Rudolf<br />
Zießler):<br />
<br />
*[[Bäckerstraße]] 22: Mitte des 18. Jahrhunderts errichteter dreigeschossiger, neunachsiger, verputzter Fachwerkbau mit massivem Erdgeschoß, Satteldach und Zwerhaus. Stichbogenfenster mit einfacher profilierter Rahmung in Dreiergruppen. Betonung der Mittelachse durch ein von Pilastern flankiertes Portal mit gesprengtem Giebel, darauf ruhende Frauen und Wappen sowie durch einen auf Konsolen sitzenden Balkon mit schmiedeeisernem Gitter.<br />
*[[Blasiistraße]] 15: Alte Schule. Errichtet um 1700 als dreigeschossiger stattlicher Fachwerkbau mit hohem Satteldach. Unregelmäßige Fenstergruppierung (im ersten Obergeschoß dreizehn Achsen). Fachwerk mit halben Männern. Obergeschoß vorkragend mit Balkenköpfen und gekehlten Füllhölzern.<br />
*Blasiistraße 21: Bedeutendstes Renaissance-Fachwerkhaus Nordhausens von etwa 1550. Dreigeschossig mit zehn Fensterachsen in unregelmäßiger Gruppierung, Geschosse stark vorkragend. Reich ausgebildetes Schmuckfachwerk mit Balkonköpfen, Knaggen, Füllhölzern und Schiffskehlen. Haupteingang mit kräftigen Gewämdepfosten und halben Sonnen um 1700.<br />
*[[Hagenstraße]] 4: Um 1800 errichtet als zweigeschossiger, verschieferter Fachwerkbau mit zehn Fensterachsen. Eckpilaster, ebensolche toskanische Holzpilaster flankieren die vier Mittelachsen und nehmen einen verschieferten Dreieckgiebel auf. Stichbogenfenster mit einfacher Rahmung und Schlußsteinbetonung.<br />
*Hagenstraße: Ilfelder Hof, ehem. Klosterhof, seit dem ersten Viertel des 18. Jahrhunderts Kurhannoversche Postverwaltung, seit 1853 in Privatbesitz. 1277 angelegt, später erweitert, im 17. Jahrhundert Neubau auf erweitertem Grundriss mit massivem Erdgeschoß und zwei Fachwerkobergeschossen, verschiefert.<br />
*[[Holzmarkt]] (Lutherplatz): „Riesenhaus“. 1375 erstmals erwähntes Patrizierhaus mit massivem Erdgeschoss, zwei Fachwerkobergeschossen und Satteldach. Nach Brand von 1710 im Fachwerk erneuert. Fassade gegliedert durch zwölf Fensterachsen, jeweils in Dreiergruppen angeordnet. Fachwerkkonstruktion mit Wilden Männern. Mittelgiebel mit einem Mann in Ritterrüstung ([[Nordhäuser Riese]]), der eine Lanze hält. 1805 Einrichtung einer Gaststätte, Verputz des Fachwerks und klassizistische Fassadengestaltung. 1927 Endrestaurierung und Wiederherstellung des Fachwerks.<br />
*Jakobikirchplatz 4: Lateinschule. Zweigeschossiger Fachwerkbau von 1493 mit Satteldach. Ständer- und Riegelbau. Vorkragendes Obergeschoß über geschwungene Knaggen. Durchlaufender Fensterbrustriegel.<br />
*Jakobikirchplatz: Pfarrhaus. 1687 errichteter zweigeschossiger Fachwerkbau mit Krüppelwalmdach. Fenstergruppierung unregelmäßig. Stiele und Brustriegel durch Wilde Männer verstärkt. Geringe Auskragung, Balkonköpfe und Schwelle mit einfacheren Profilen. Gefache mit Ziegeln in Mustern ausgemauert. Oberdeutsch beeinflusstes Fachwerk.<br />
*[[Königshof]] 14: Dreigeschossiger Fachwerkbau mit oberdeutschen Stilelementen, ganze und halbe Männer. Um 1780 Verkleidung der Fenster mit Rokokogirlanden.<br />
*[[Krämerstraße]] 11: Verschieferter, zweigeschossiger, fünfachsiger Fachwerkbau mit spätbarockem Volutengiebel. Stichbogenfenster mit Rahmenverkleidung. Erdgeschoss durch Ladeneinbauten verändert.<br />
*Krämerstraße 15: Um 1700 errichteter schmaler dreigeschossiger Fachwerkbau in oberdeutschem Stil mit halben Männern an den Ecken. Balkonköpfe und Füllhölzer mit einheitlichem Profil. Satteldach mit Zwerchhaus.<br />
*[[Lohmarkt]] 2, 4, 20, 21: Nach 1686 errichtete Gerberhäuser. Zwei- bzw. dreigeschossige Fachwerkgebäude im gleichen oberdeutschen Baustil wie Pfarrhaus Jakobikirchplatz. Besonders reich ausgebildet der Türstock mit Renaissanceformen und Inschrift. Satteldächer mit Zwerchhäsern (Ladeluken).<br />
*[[Neustadtstraße]] 27: Zweigeschossiger, elfachsiger Fachwerkbau aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts mit Satteldach. An den Fenstern Rokokoverkleidung.<br />
*Neustadtstraße 35: Zweigeschossiger, achtachsiger Fachwerkbau aus der Mitte des 18. Jahrhunderts auf Sandsteinsockel. Türen und Fenster in Stichbogen mit geschnitzter Rokokoverkleidung.<br />
*Neustadtstraße 47: Dreigeschossiger Fachwerkbau der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts mit Krüppelwalmdach. Rokokofensterbekleidungen handwerklich vereinfacht.<br />
*[[Pferdemarkt]] 17: Dreigeschossiger Fachwerkbau von etwa 1550, niederdeutsch beeinflusst. Auskragung des Obergeschosses mit Balkonköpfen, Knaggen und Füllhölzern. Erdgeschoß baulich verändert.<br />
*[[Sandstraße]] 3, 21, 23, 28: Diese Häuser hinsichtlich der Entstehungszeit und der architektonischen Ausbildung denen der Neustadtstraße entsprechend.<br />
<br />
==== Situation nach dem Großangriff ====<br />
[[Datei:Boelcke-Kaserne-Tote HäftlingeA.jpg|thumb|Einwohner Nordhausens tragen am 12. April 1945 unter Bewachung von Angehörigen der US-Armee tote Häftlinge aus der Boelcke-Kaserne und legen sie davor ab]]<br />
[[File:Nordhausen um 1930.jpeg|thumb|Der Stadtteil [[Altendorf]] blieb weitgehend unzerstört (Luftaufnahme um 1930)]]<br />
Das britische Bomber Command berichtete als Ergebnis der beiden Großangriffe, dass „die Stadt fast vollständig zerstört wurde, inbegriffen die Kasernenblöcke.“<ref> Walter Geiger: ''Nordhausen im Bombervisier''. Nordhausen: Neukirchner, 2000. S. 154 </ref> <br />
Die Situation für die Bevölkerung nach den Angriffen kann nur mit dem Begriff „Inferno“ beschrieben werden. Das Stadtzentrum konnte tagelang nicht betreten werden. Es wüteten noch zahlreiche Brände<ref> Peter Kulhlbrodt: ''Schicksalsjahr 1945. Inferno Nordhausen''. Nordhausen 1995. S. 24</ref>, die Schutthaufen strahlten unerträgliche Hitze aus. Bomben mit Zeitzündern gingen hoch. Über den Trümmerfeldern lag bald Leichengeruch, besonders im Bereich der Boelcke-Kaserne. In den Nächten des 6. und 7. April wurden die Kranken und Verwundeten aus Nordhausen und Umgebung durch alle verfügbaren Fahrzeuge, besonders mit Pferde-Gespannen, in den Kohnstein in Sicherheit gebracht. Die Nordhäuser Bevölkerung verteilte sich nach Schätzungen am 7. April wie folgt: 6.000 (8.800) Opfer tot unter den Trümmern, 6.000 Überlebende noch in der Stadt, 10.000 im Kohnstein und 20.000 in den umliegenden Dörfern, besonders nordöstlich der Stadt.<ref> Manfred Schröter: ''Die Zerstörung Nordhausens''. Nordhausen: Meyenburg-Museum, 1988. S. 30 </ref> Am 8. April flogen 6 Jagdbomber noch einen Tagesangriff nach Zielmarkierung auf Nordhausen, parallel zu dem Bombardement auf [[Sondershausen]]. Am 10. April näherten sich US-Panzer aus Richtung [[Hain (Kleinfurra)|Hain]] dem Süden der Stadt und nahmen ihn unter Feuer, darunter die Trümmer der Boelcke-Kaserne.<ref> Manfred Schröter: ''Die Zerstörung Nordhausens''. Nordhausen: Meyenburg-Museum, 1988. S. 37 </ref><br />
Die britischen Bomber-Staffeln stießen bei den Angriffen an beiden Tagen auf keinerlei deutsche Luftabwehr. »Null« lauten jeweils die Eintragungen in den Rubriken »Flak« und »Einsatz von Jagdflugzeugen«. Am 8. April nahmen alliierte Flugzeuge »Aufnahmen von exzellenter Qualität« vom zerstörten Nordhausen auf. In dem angefügten Bericht heißt es: »Das Herz von Nordhausen wurde durch die beiden Angriffe verwüstet, und zwar von den nordwestlichen Außenbezirken über das Stadtzentrum bis hin zum Flugplatz und den Kasernen der Luftwaffe am Helme-Fluss im Südosten. Im militärischen Bereich wurden nahezu alle Gebäude schwer getroffen und völlig oder teilweise zerstört. Schwerer Schaden entstand am Flugkontrollturm, dem Wachraum und einem großen Hangar am Nordrand des Flugfeldes. Nahe der Bahnanlagen wurden Industriebetriebe und das Gaswerk getroffen, wobei drei Gasometer zerstört wurden.«<ref>''Bad Lauterberger Tageblatt'', 3./4.April 1985</ref><br />
<br />
== Nachwirkungen ==<br />
Insgesamt waren vom britischen Bomber Command 2.386 Tonnen und von der 8. US Air Force 296 Tonnen Bombenlast auf Nordhausen abgeworfen worden.<ref> Olaf Groehler: ''Bombenkrieg gegen Deutschland''. Berlin: Akademie-Verlag, 1990. S. 449 </ref><br />
Eine der am längsten nachwirkenden Folgen der Luftangriffe für die Bürger der Stadt blieben Hunderte von Blindgängern aller Kaliber: zwischen den Trümmern der Stadt und im Erdreich der Straßen, Gärten und Felder. In den ersten Jahren machten sich die Feuerwerker Jochen Nebel und Albin Diebler sehr verdient um die Entschärfung gefundener Bomben, ab 1962 der - deshalb zum Ehrenbürger ernannte - Helmut Zinke. Im Stadtgebiet wurden 1948 bis 1953 etwa 100 Bomben entschärft, dann 248 Blindgänger von 1954 bis 1999 entzündet und geräumt.<ref>Walter Geiger: ''Nordhausen im Bombervisier''. Nordhausen, 2000. S. 263-264 </ref> <br />
<br />
Noch 2014 gilt eine Verordnung in Nordhausen, nach der jeder Bürger, der bauen will, sicherstellen muss, dass unter seinem Grund und Boden kein Gefahrgut liegt.<ref>Katja Dörn: ''Die Gefahr rostet im Thüringer Boden''. Thüringische Landeszeitung, 12. Dezember 2014 </ref><br />
<br />
Auswahl weiterer Funde von Blindgängern:<br />
* 1996: 250-Kilogramm-Blindgänger wird gesprengt<br />
* 2008: 227-Kilogramm-Bombe in der Altstadt<br />
* 2010: Fünf-Zentner-Bombe am [[Taschenberg]] entdeckt, 4.500 Menschen wurden evakuiert, Bombe konnte nicht entschärft werden<br />
* Juni 2016: Kontrollierte Sprengung einer 800-Kilogramm-Bombe, Leimbach und Steigerthal mussten geräumt werden (1.080 Einwohner) <br />
* Dezember 2016: Fünf-Zentner-Bombe am [[Strohmühlenweg]], ca. 1000 Einwohner, so auch die Hochschule Nordhausen, wurden evakuiert<br />
* September 2017: Bombe auf einem Feld in der [[Windlücke]], ca. 3000 Einwohner evakuiert, Bombe entschärft<ref>https://www.nnz-online.de/news/news_lang.php?ArtNr=219719</ref><br />
* Oktober 2018: Bombe in der Windlücke, ca. 3000 Einwohner evakuiert, Bombe entschärft<ref>https://www.nnz-online.de/news/news_lang.php?ArtNr=243515</ref><br />
* November 2018: Bombe in Bielen, 1.1000 Einwohner wurden evakuiert (Sperrzone 1 Kilometer), Bombe entschärft<br />
* August 2019: 225-Kilogramm-Bombe an der [[Zorge]], 2.500 Einwohner wurden evakuiert (Sperrzone 500 Meter), Bombe entschärft und Zünder gesprengt<br />
* November 2019: 225-Kilogramm-Bombe am [[Stadttheater]], ca. 15.000 Einwohner wurden evakuiert (Sperrzone 1 Kilometer), Bombe entschärft und Säurezünder gesprengt. Es war die größte Evakuierungsaktion in Nordhausen nach dem Zweiten Weltkrieg.<ref>MDR, 8. November 2019</ref><br />
<br />
== Rezeption ==<br />
[[Datei:Nordhausen mahnt 1949.jpg|thumb|200px|Werbeplakat zur Ausstellung „[[Nordhausen mahnt - Ausstellung vom 6. bis 27. März 1949|Nordhausen mahnt]]“ im März 1949]]<br />
Luftangriffe waren im Zweiten Weltkrieg für alle Kriegsparteien zum entschiedenen strategischen Kriegskonzept geworden. Die Westalliierten glaubten durch die planmäßige und massive Zerstörung deutscher Städte, vor allem der Wohngebiete der Industriearbeiter, die Moral und den Widerstandswillen der Bevölkerung zu brechen und den Krieg schneller beenden zu können.<ref>Johannes Volker Wagner: ''Bomben auf Bochum''. S. 3.</ref> Im Januar 1943 einigten sich Großbritannien und die Vereinigten Staaten in Casablanca auf die Forderung nach bedingungsloser Kapitulation des Deutschen Reiches und auf eine weitere Verschärfung des Bombenkrieges. Zu dieser Zeit war die deutsche Luftabwehr längst nicht mehr in der Lage, das Reichsgebiet zu verteidigen. Die Alliierten erreichten ihr Ziel der Demoralisierung jedoch nicht, und viele Deutsche klammerten sich in Verzweiflung an die Hoffnung auf einen „Endsieg“.<br />
<br />
<!-- Auszug aus „Winston Churchill“. Der späte Held, eine Biographie von Thomas Kielinger, erschienen im Verlag C.H. Beck, Kapitel XY, Seite 301 ff.: Nach dem Kriege stand eine andere Verantwortung Churchills im Vordergrund – „für die Vernichtung von nahezu 60 der größten Städte Deutschlands“. „Mit dem Untergang Dresdens sind auch nachdenkliche Briten bis heute nicht fertig. Die Zweifel, ob die Zerstörung dieser und anderer Städte so kurz vor dem nahen Kriegsende zu rechtfertigen war, haben sich längst zu dem Urteil verdichtet: Sie war es nicht! ... Hilft es zur Erklärung darauf hinzuweisen, dass in der Schlussphase des Krieges deutsche V1- und V2-Waffen weiterhin Zerstörung auf Antwerpen, Paris und London regnen ließen? Eine V2 schlug noch am 27. März 1945 im Osten Londons ein und tötete 134 Menschen. Die britische öffentliche Meinung hätte es nicht verstanden, wenn die mili-tärische Führung auf Schonung des Gegners geschaltet hätte, wo dieser bis zum Ende Vernichtung spie.“<br />
<br />
„Aber die alte Frage bleibt, die Lothar Kettenacker 2003 in dem Sammelband „Ein Volk von Opfern?“ noch einmal stellte – „ob der Zweck die Mittel heiligt, ob die Beseitigung einer unheilvollen Diktatur die rücksichtslose Bombardierung der Bevölkerung rechtfertigt. Unbehagen äußerte Churchill selbst schon 1943, als ihm Bilder von den Auswirkungen der Bomben in Deutschland vorgelegt wurden ...“ Der Australier Ricard Casey, der an den Sitzungen des britischen Kriegsrates ... teilnahm, schrieb am 27. Juni 1943 in sein Tagebuch: „Es wird ein Film gezeigt über das nächtliche Bombardement einer deutschen Stadt, und plötzlich richtet sich Churchill steil in seinem Sessel auf und sagt zur mir: ‚Sind wir Bestien? Gehen wir nicht zu weit? <br />
<br />
Churchills Meinungen zum Bombenkrieg gegen Deutschland schwankten. Nach der Zerstörung Dresdens begegnet man bei ihm, spät, einer eindeutigen Ablehnung, so in dem berühmten Memorandum vom 28. März 1945:‚Der Moment scheint mir gekommen, wo die Frage der Bombardierung deutscher Städte zum Zwecke der Erhöhung des ''''terrors'''' (in Englisch mit der Bedeutung von Angst und Schrecken) auch wenn wir andere Vorwände nennen, überprüft werden sollte... Es ist nötig, dass wir uns mehr auf militärische Ziele konzentrieren wie Öllager und Kommunikationszentren hinter der unmittelbaren Kampfzone, statt auf Akte des reinen terrors und der mutwilligen Zerstörung’.“<br />
„Nicht umsonst nannte man Harris auch den ‚butcher’, den Metzger. . . Schon Max Hastings (stockkonservativer Historiker) nannte in seinem Klassiker von 1979 ‚Bomber Command’ die Auslöschung deutscher Städte noch im Frühjahr 1945 ‚einen bleibenden Schandfleck’,“ soweit Kielinger. Nach Kriegsende zog sich Harris verbittert nach Südafrika zurück, weil er sich nicht gebührend geehrt vorkam. Luftangriffe hatte Harris als „relativ humane Methode“ bezeichnet. Butcher wurde er nicht wegen der zivilen Bombenopfer in Deutschland genannt, sondern weil 55 000 Angehörige des Bomber Command vom Feindflug nicht heimkehrten – jeder zweite Pilot und Bordschütze. --><br />
<br />
Im März 1945 hatte sich das Angriffstempo der US-Streitmacht im Vergleich zu den Vormonaten verlangsamt.<ref name="Gewiger158">Geiger: ''Nordhausen im Bombenvisier''. S. 158 f.</ref> Um dennoch den Stoß in das Zentrum Deutschlands als strategisches Ziel zügig fortzuführen, waren die Westalliierten zum Einsatz aller Mittel entschlossen, auch in Anbetracht eventuell noch bevorstehender Kämpfe und Widerstand im Südharz. Die Stadt Nordhausen erhielt daher militärische Bedeutsamkeit für die 1. US-Armee, auch wegen des Verschiebebahnhofs für Truppenbewegungen. Der unterirdische Rüstungsbetrieb im [[Kohnstein]] und das [[Konzentrationslager Dora Mittelbau]] wurden dagegen nie zum Ziel von Luftangriffen. <br />
<br />
Nordhausen und Umgebung wurden Ende 1944 von britischen Fernaufklärern nachts unter tagheller Beleuchtung durch Magnesiumbomben sorgfältig aus der Luft fotografiert.<ref>Manfred Schröter: ''Die Zerstörung Nordhausens''. Nordhausen 1988, S. 55</ref> Die Bombardierung von Nordhausen wurde am 2. April 1945 vom Alliierten Oberkommando (SHAEF) befohlen.<ref name="Gewiger158"/> Gefordert wurde ein Angriff zur Unterstützung der 1. US-Armee mit Priorität zur frühestmöglichen Gelegenheit. Einige Tage zuvor wurde vom SHAEF die Zerstörung durch die RAF beschlossen.<ref>Manfred Schröter: ''Die Zerstörung Nordhausens''. Meyenburg-Museum Nordhausen, 1988, S. 54–55</ref><br />
<br />
Dieses, geführt von Luftmarschall Arthur Harris, erteilte am 2. April den unmittelbaren Befehl für einen Doppelschlag an zwei Tagen.<ref>Walter Geiger: ''Nordhausen im Bombervisier''. Nordhausen 2000, S. 108–109</ref> Der Zweck der RAF-Angriffe im April 1945 bestand darin, den Weg für einen ungehinderten Vormarsch von der im Südharzer Raum erwarteten Gegenwehr freizumachen. 3.466 britische Soldaten sollten als fliegendes Personal an den Angriffen teilnehmen. Ihnen wurde als Ziel des Angriffs erklärt: „To kill military and Nazi personnel evacuated from Berlin to these barracks“ (gemeint das Areal der Boelcke-Kaserne und die Stadt Nordhausen).<ref>Geiger: ''Nordhausen im Bombenvisier''. S. 121 </ref><br />
<br />
<!-- Bitte Quelle angeben!(Wie aus dem Text eindeutig hervorgeht: Der genannte Journalist und Gesprächspartner Dr. Meyers!) Der gebürtige Nordhäuser [[Manfred Neuber]], als Journalist von 1960 bis 1963 in London und New York, recherchierte als erster bei der Royal Air Force und der US Air Force über die Luftangriffe auf Nordhausen. Aus den detaillierten Angaben ging hervor, dass allein Bomber der Royal Air Force Nordhausen angegriffen hatten. Die SED-Propaganda hatte behauptet, es habe sich um „amerikanische Terrorangriffe“ gehandelt. So stand es auch Jahre auf der Gedenkstele für die Opfer der Luftangriffe neben dem Alten Rathaus. Neuber hatte Gelegenheit, im Jahre 1964 in Bad Lauterberg mit Dr. [[Herbert Meyer]], Oberbürgermeister Nordhausens vor Kriegsende 1945, über die Bombenangriffe zu sprechen. Dabei widerlegte Meyer noch Jahre nach dem Kriege kursierende Gerüchte, die Luftangriffe hätten eigentlich der Stadt Gotha gelten sollen. Weil die Verantwortlichen dort kapituliert hätten, sei Nordhausen angegriffen worden, weil es nicht ebenso gehandelt habe. Meyer versicherte, es habe keine Aufforderung zur Übergabe der Stadt gegeben. Zum Zeitpunkt der Luftangriffe standen die US-Panzerspitzen noch im Raume Kassel. --><br />
<br />
=== Vermutungen und Gerüchte über den Großangriff ===<br />
<br />
* Nordhausen soll Aufforderung zur kampflosen Übergabe ausgeschlagen haben.<br />
** Der Nordhäuser Oberbürgermeister bei Kriegsende, [[Herbert Meyer]], widersprach dieser Darstellung in einem Gespräch mit dem Journalisten Manfred Neuber um 1964 in Bad Lauterberg: „An die Stadtverwaltung ist niemals bis zu den Angriffen eine Aufforderung der Amerikaner ergangen, Nordhausen zur offenen Stadt zu erklären. Ich möchte bezweifeln, dass sie an Kreisleiter Nentwig ergangen ist.“<ref name="Sting252">Heinz Sting: ''Das 1000-jährige Nordhausen und der schöne Südharz''. Hannover: Nordhäuser Heimatfreunde, 1965. S. 252.</ref> In den ersten April-Tagen 1945 standen die Panzerspitzen von US-General Patton noch vor Kassel, seine Truppen nahmen zu der Zeit gerade Fulda und Bad Hersfeld, Wasungen und Meiningen ein.<br />
* Nordhausen wurde durch die US-Luftwaffe zerstört.<br />
** Es ist unbestritten und belegt, dass britische Bomber die Stadt zerstörten. „Die Einsatzbefehle der 8. US-Luftflotte sahen weder am 3. noch am 4. April 1945 Nordhausen als Ziel vor. Die Operationsberichte der 8. Luftflotte geben auch keinen Großangriff auf Nordhausen an einem dieser beiden Tage an. Der Hauptzielplan für die amerikanischen Heeresflieger in Europa während des Zweiten Weltkrieges führt ebenfalls keinen Angriff auf Nordhausen im April 1945 auf“, teilte das amerikanische Aerospace Studies Institute auf Anfrage des Journalisten Manfred Neuber zu Beginn der 1960er Jahre schriftlich mit. „Aus anderen Quellen ist zu entnehmen“, gab der Leiter für geschichtliche Studien an diesem Institut der US Air Force University auf der Maxwell Air Base in Montgomery/Alabama, bei den Recherchen des Journalisten zu Protokoll, „dass am 3.und 4 .April 1945 vom Bomber Command der Royal Air Force schwere Angriffe auf Nordhausen geflogen wurden.“ Diese Angaben wurden von der Air Historical Branch im britischen Verteidigungsministerium (damals noch Ministry of War) dem Rechercheur bestätigt. Alle hier aufgeführten Originaldokumente wurden dem Stadtarchiv Nordhausen übergeben.<br />
<br />
* Nordhausen wurde anstelle Gothas bombardiert.<br />
** Diese Behauptung wurde u. a. von [[Kurt Kohlmann]] aufgestellt. So berichtete er von zwei US-Offizieren, die entsprechende Aussagen getätigt haben sollen: „Sie erzählten mir, der Kreisleiter von Nordhausen sei dreimal aufgefordert worden zu kapitulieren. Nachdem die Faschisten das dritte Mal abgelehnt hätten, sei ein auf Gotha angesetzter US-amerikanischer Bomberverband nach Nordhausen umgeleitet worden.“<ref name="Rudloff138">Jost-Dieter Rudloff: ''Warum wurde Nordhausen eine Woche vor Kriegsende 1945 in Brand gesetzt? Informationen und Überlegungen''. In: ''Beiträge zur Geschichte aus Stadt und Kreis Nordhausen (Band 44/2019)'', S. 138.</ref> Dies wurde ebenfalls von Herbert Meyer als unglaubwürdig zurückgewiesen.<ref name="Sting252"/><br />
<br />
* Nordhausen wurde wegen der Raketen-Produktion im Kohnstein bombardiert.<br />
** Den Alliierten war bekannt, dass sich im Kohnstein ein Rüstungsbetrieb befand, nicht jedoch, dass dort die V-Waffen gefertigt wurden.<ref>Jürgen Möller: ''Konzentrationslager Mittelbau-Dora''. Bad Langelsalza 2018, S. 33.</ref> Der Kohnstein war wegen der Kriegsgefangenenlager kein Angriffsziel.<ref name="Rudloff138"/><br />
<br />
* Die Nordhäuser Bevölkerung sollte wegen dem Konzentrationslager Dora-Mittelbau bestraft werden.<br />
** Dies wird durch kein Dokument der Alliierten bestätigt.<br />
<br />
* Nordhausen wurde aus militärischen Gründen bombardiert.<br />
** Die Stadt war verkehrstechnischer Knotenpunkt und Mittelpunkt der Nordthüringer Rüstungsindustrie und wurde auch von der deutschen Armeeführung als wichtig wahrgenommen.<ref name="Rudloff140">Jost-Dieter Rudloff: ''Warum wurde Nordhausen eine Woche vor Kriegsende 1945 in Brand gesetzt? Informationen und Überlegungen''. In: ''Beiträge zur Geschichte aus Stadt und Kreis Nordhausen (Band 44/2019)'', S. 140.</ref> Für das US-Militär bildete die Stadt kein strategisches Ziel mehr.<ref name="Rudloff140"/> Die Stadt Nordhausen erhielt militärische Bedeutsamkeit für die Bodentruppen der 1. US-Armee, auch wegen des Verschiebebahnhofs für Truppenbewegungen. Die Schonung der Rüstungsbetriebe mit ihrem Personal ergab sich aus der Hoffnung, möglichst viele Waffen und Fachkräfte zu erbeuten.<ref name="Rudloff140"/> Es gibt keinen Hinweis darauf, dass Nordhausen aus militärischen Gründen bombardiert wurde.<ref name="Rudloff140"/> (Doch: im SHAEF-Befehl ausdrücklich erwähnt)<br />
<br />
== Aufarbeitung und Gedenken ==<br />
=== 1945 bis 1990 ===<br />
==== DDR ====<br />
Bis zur Wiedervereinigung hielt sich die Behauptung, die United States Air Force habe Nordhausen am 3. und 4. April 1945 bombardiert. Zum einen wurde der US-Luftwaffe vorgehalten, dass die Angriffe auf Nordhausen ein Akt blinder Zerstörung und militärisch sinnlos gewesen seien, da das Ende des Dritten Reiches absehbar war. Andererseits wurde mit der „Gotha-Legende“ behauptet, dass Nordhausen bis zum Letzten verteidigt werden sollte und es deshalb zum Luftangriff kam. Damit wurde die Verantwortlichkeit für das Bombardement wahlweise den lokalen NS-Amtsträgern oder den USA zugeschrieben. <br />
<br />
Ein Interesse an einer realistischen Rekonstruktion hatte die SED auch aufgrund der Situation des Kalten Krieges nicht.<br />
Zum 40. Jahrestag der Luftangriffe wurde in der Lokalpresse erstmals von „250 britischen Lancaster-Maschinen“ berichtet.<ref>„Die Zerstörung Nordhausens - Mahnung und Verpflichtung“, ''Das Volk'', 2. April 1985.</ref> Eine Korrektur der Geschichte fand jedoch nicht statt, und auch danach war mitunter vom „Zerstörungsangriff amerikanischer Bomber“ die Rede.<ref>''Unser Aktuelles Argument'', April 1985.</ref> Für die in der DDR-Propaganda kolportierte öffentliche Erinnerung erklärt sich aus dem politischen Bedürfnis, die „imperialistischen“ Angreifer als möglichst grausam und skrupellos erscheinen zu lassen, im Sinne antiamerikanischer Propaganda.<ref name="Winter63">Winter: ''Öffentliche Erinnerungen an den Luftkrieg in Nordhausen 1945 - 2005''. Marburg: Tectum-Verl., 2010. S. 63.</ref> <br />
Mit Verweis auf die Luftangriffe auf Nordhausen wurde auf tatsächliche oder vermeintliche aktuelle militärische Bedrohungen oder Konflikte Bezug genommen, z. B. auf den Vietnamkrieg. <br />
<br />
Insgesamt war die Nordhäuser Luftkriegserinnerung gekennzeichnet von einer eigentümlichen „Verwischung der Grenze zwischen Faktizität und Fiktionalität“, die nach dem Historiker Martin Sabrow typisch für das Geschichtsdenken in der DDR war.<ref>Martin Sabrow: ''Einleitung - Geschichtsdiskurs und Doktringesellschaft'', Potsdam: Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam (ZZF), 2000. S. 24.</ref><br />
<br />
Der Versuch einer wirklichen Aufarbeitung in der DDR wurde erstmals 1985 angestoßen, als [[Manfred Schröter]] anlässlich des 40. Jahrestages eine Publikation veröffentlichen wollte. Darin wurde dargelegt, dass die RAF und nicht die USAF für den Angriff im April 1945 verantwortlich gewesen war. Nachdem Schröters Buch nach Begutachtung und Korrektur durch den Historiker Olaf Groehler sowie der SED-Kreisleitung und Bezirksleitung in Druck gegangen war, konfiszierte die Kreisleitung am 29. März 1985 die gesamte Auflage und verhinderte eine Veröffentlichung.<ref name="Winter62">Winter: ''Öffentliche Erinnerungen an den Luftkrieg in Nordhausen 1945 - 2005''. Marburg: Tectum-Verl., 2010. S. 62.</ref> Vorausgegangen war ein öffentlicher Vortrag Schröters am 14. März 1985, in dem er seine Ergebnisse (im Beisein von Stasi-Spitzeln) vorstellte.<br />
<br />
Das Gedenken an die Luftangriffe wurde zu DDR-Zeiten auch stark mit dem Wieder- bzw. Neuaufbau der Stadt verwoben. In den ersten Jahren nach dem Krieg wurde vor allem zur Mithilfe agitiert, um durch das „Aufbauwerk“ einer „glücklichen, friedlichen und sonnigen Zukunft“ entgegenzutreten.<ref>„Aufbauerfolge dürfen nicht preisgegeben werden,“ ''Das Volk'', 7. April 1953.</ref> Ab Ende der 1950er Jahre verwies die SED auf die bisher erzielten Erfolge. Zum 40. Jahrestag der Bombardierung 1985 behauptete Oberbürgermeister [[Peter Heiter]], dass die Jahre des Sozialismus die erfolgreichsten in der über tausendjährigen Stadtgeschichte gewesen seien und verwies auf die Rolle der Partei als entscheidender Faktor für das Erreichte.<ref name="Winter81">Winter: ''Öffentliche Erinnerungen an den Luftkrieg in Nordhausen 1945 - 2005''. Marburg: Tectum-Verl., 2010. S. 100.</ref> <br />
Ein wichtiges Großereignis war die Instandsetzung des [[St.-Petri-Kirche|Petri-Turms]] mit einer neuen Turmspitze zum 42. Jahrestag 1987 als „wiedererstandendes Wahrzeichen“.<ref>„Kupferhelm für den Petriturm“, ''Das Volk'', 7. April 1987.</ref><br />
In der Festschrift (1050 Jahre Nordhausen", 1977 herausgegeben vom Magistrat, heißt es: "Für den ausgesprochenen Terrorcharakter der anglo-amerikanischen Luftangriffe spricht auch, dass die Hauptstraßen des Schienen- und Straßenverkehrs funktionstüchtig blieben und die militärischen Anlagen der Stadt, insbesondere das Flugplatzgelände, weiter den Machthabern des Dritten Reiches für ihre verbrecherische Politik zur Verfügung standen."<br />
Die Festschrift hebt hervor: "Das heutige Nordhausen entwickelt sich dank der schöpferischen und angestrengten Arbeit der Arbeiterklasse und aller Bürger unserer Stadt, auf festen sozialistischen Fundamenten. Ständig entsteht Neues, man braucht sich nur umzuschauen." Dagegen bemerkte das "Bad Lauterberger Tageblatt" (Ausgabe vom 3./4. April 1985, Seite 3): "Der Wiederaufbau Nordhausens begann erst sehr spät und sehr schleppend. Noch immer bildet der alte Stadtkern eine weithin kahle Fläche."<br />
<br />
==== BRD ====<br />
<br />
In der Bundesrepublik wurde das Gedenken von dem Verein [[Nordhäuser Heimatfreunde]] getragen. Die erste gedruckte Ausgabe der Vereinszeitung ''[[Nordhäuser Nachrichten]]'' widmete sich der Zerstörung Nordhausens, und auch in den folgenden Jahren bildete es ein wiederkehrendes Themenfeld mit zahlreichen Erlebnisberichten. Die Rolle des Vereinsvorsitzenden und früheren Nordhäuser NSDAP-Oberbürgermeisters [[Heinz Sting]] zum Gedenken wird kritisch gesehen.<ref name="Winter83">Winter: ''Öffentliche Erinnerungen an den Luftkrieg in Nordhausen 1945 - 2005''. Marburg: Tectum-Verl., 2010. S. 83 ff.</ref> So sei Sting zwar bemüht gewesen, klarzustellen, dass nicht die US-Luftwaffe die Stadt bombardierte, doch zeigte er sich auch bestrebt, die Rolle des Nationalsozialismus zu relativieren.<br />
<br />
Diese historischen Fakten hatte der Journalist [[Manfred Neuber]] schon vor 1965 in US- und britischen Archiven ermittelt und publiziert (''Bad Lauterberger Tageblatt'' um 1964 und am 3./4. April 1985 in „Das Drama von Nordhausen“, in der ''Herzberger Zeitung'' und im späteren ''HarzKurier'' in Herzberg, im ''Göttinger Tageblatt'' sowie Erwähnung in den ''Nordhäuser Nachrichten'').<br />
[[Herbert Meyer]], Oberbürgermeister Nordhausens in den letzten Kriegstagen und später Stadtdirektor in Bad Lauterberg, versicherte Manfred Neuber 1963 in einem Gespräch über dessen Recherchen in Großbritannien und in den USA, die Stadt Nordhausen habe keine Aufforderung der Alliierten erhalten, Nordhausen zur offenen Stadt zu erklären. Eine Entscheidung darüber hätte auch nicht in seiner Kompetenz gelegen: „Ob eine solche Aufforderung an den Kreisleiter Hans Nentwig ergangen ist und ob dieser sich geweigert hat, ihr nachzukommen, weiß ich nicht. Ich möchte es aber bezweifeln“, erklärte Meyer (Originalzitat in den Aufzeichnungen über das Treffen). Der NSDAP-Kreisleiter [[Hans Nentwig]] hatte das Bombardement in seiner Ausweich-Befehlsstelle unbeschadet überstanden. Er lebte in der Nachkriegszeit in Katlenburg. Von der marxistischen Geschichtsschreibung in der DDR wurde ihm wegen „seiner verbrecherischen Durchhalte-Politik“ eine Hauptschuld an der Zerstörung Nordhausens zugeschrieben.<br />
<br />
=== Seit 1990 ===<br />
<br />
Der 50. Jahrestag der Luftangriffe 1995 wurde mit einer Gedenkwoche unter der Losung „Nordhausen 1945: Erinnerung – Trauer – Mahnung“ weitaus größer begangen als die Jahre zuvor. 1993 hatte das Stadtarchiv angekündigt, diverse Maßnahmen einzuleiten, um ein würdiges Gedenken zu gewährleisten. Darunter zählte das Sammeln von Zeitzeugenberichten, realisierte Veranstaltungen und Projekte sowie die Planung einer Publikation zum Thema. Am 30. März 1995 wurde eine Metallplastik auf der oberen Plattform des Petri-Turms enthüllt und einen Tag später eine Ausstellung mit Fotos und Dokumenten eröffnet. Zudem erschien unter der Leitung des Stadtarchivars [[Peter Kuhlbrodt]] das Buch ''[[Schicksalsjahr 1945 – Inferno Nordhausen]]''. In den folgenden Tagen wurde ein ökumenischer Gedenkweg abgehalten, es gab Kranzniederlegungen am Gedenkstein auf dem Hauptfriedhof, dem Ehrenfriedhof und an der Boelcke-Kaserne. Begleitet wurde das Gedenken mit einer umfassenden Berichterstattung in der Presse, die auch überregional wirkte. <br />
<br />
Nach dem Jahr 1995 wurden die Jahrestage der Luftkriegserinnerung weitaus kleiner begangen.<ref name="Winter100"/> Ab Ende der 1990er Jahre erfolgte wieder eine allgemeine Repolitisierung der Luftkriegserinnerung.<ref name="Winter100">Winter: ''Öffentliche Erinnerungen an den Luftkrieg in Nordhausen 1945 - 2005''. Marburg: Tectum-Verl., 2010. S. 100.</ref> Es zeigte sich, dass sich die öffentliche Erinnerung mehr auf gegenwärtige Ereignisse als auf die Jahre des Zweiten Weltkrieges zu beziehen schien; so werden stärkere Bezüge zu außenpolitischen Themen<ref>Winter: ''Öffentliche Erinnerungen an den Luftkrieg in Nordhausen 1945 - 2005''. Marburg: Tectum-Verl., 2010. S. 101.</ref> oder Exkurse zum Rechtsextremismus hergestellt.<ref>[https://www.nnz-online.de/news/news_lang.php?ArtNr=108899 Zum Umgang mit der Bombardierung], nnz-online, 3. April 2012.</ref> Im Vergleich zu DDR-Zeiten wurde das Spektrum der Erinnerungsakteure erweitert, und vor allem die Kirche rückte in den Vordergrund. <br />
<br />
Seit den 2000er Jahren wird der Jahrestag der Luftangriffe mit der üblichen Kranzniederlegung an der Gedenkstele am Rathaus begangen. Seit 2017 werden statt Kränzen weiße Rosen niedergelegt.<ref>[https://www.nnz-online.de/news/news_lang.php?ArtNr=209936 Gedenken an der Stele], nnz-online, 3. April 2018.</ref> Im Gegensatz zu DDR-Zeiten werden Schuldzuweisungen an die Westalliierten weniger offen aggressiv und ideologisch untermauert vorgebracht.<ref>Winter: ''Öffentliche Erinnerungen an den Luftkrieg in Nordhausen 1945 - 2005''. Marburg: Tectum-Verl., 2010. S. 110.</ref><br />
<br />
=== Denkmäler ===<br />
[[File:Denkmal Bombenangriffe Nordhausen - Mai 2015.JPG|200px|thumb|Mahnmal am Alten Rathaus]]<br />
[[File:Gedenkstein Nordhausen.jpg|mini|200px|Gedenkstein am Massengrab für 600 Bombenopfer auf dem [[Zentralfriedhof an der Leimbacher Straße|Alten Friedhof]]]]<br />
* Mahnmal für die Opfer der Bombardierungen vor dem [[Altes Rathaus|Alten Rathaus]]: 1950 wurde ein Gedenkstein und eine Flammenschale am Sockel des früheren [[Lutherdenkmal]]s angebracht. Es trug die Inschrift: „4.4. 1945 - Zerstörung Nordhausens durch amerikanische Bomber - 8800 Opfer klagen an“ (''Amerikanische'' Bomber war falsch). 1969 wurde dieses Denkmal durch eine Säule des Künstlers Jürgen von Woyski ersetzt.<br />
* Auf dem [[Ehrenfriedhof]] westlich des ''Stresemann-Rings'' befindet sich ein 1999 umgestaltetes Denkmal in Erinnerung an die hier in Massengräbern beigesetzten über 1.600 KZ-Häftlinge, zum größten Teil Opfer der Luftangriffe auf die Boelcke-Kaserne am 3. und 4. April 1945. Viele Nordhäuser zivile Bombenopfer und Soldaten wurden auf dem nördlichen Teil des Sonderfriedhofs, des jetzigen Ehrenfriedhofs, oberhalb des Denkmals in Massengräbern beerdigt.<ref>Manfred Schröter: ''Die Zerstörung Nordhausens''. Nordhausen: Meyenburg-Museum, 1988. S. 59</ref><br />
* Auf dem ''Hauptfriedhof'' findet sich ein Denkmal, das die zusammenfassende Inschrift trägt: „Zum Gedenken an die Gefallenen und Vermissten beider Weltkriege, die Toten der Bombenangriffe, die Opfer aller Gewaltherrschaft. Die Bürger der Stadt Nordhausen“. Links seitlich von dem Denkmal, vor dem begrenzenden Zaun, wurde eine größere Anzahl von Bombentoten in Gemeinschaftsgräbern beigesetzt.<ref> Manfred Schröter: ''Die Zerstörung Nordhausens''. Nordhausen: Meyenburg-Museum, 1988. S. 59-60 </ref> Dort stehen noch einige große Kreuze, die wohl darauf hinweisen.<br />
<br />
== Zitate ==<br />
<br />
* „Das Ausmaß des Schreckens, der Verwüstung und des Todes, von dem unsere Stadt an jenen Apriltagen erfasst wurde, macht sie praktisch zu einem Synonym für die japanischen Städte Hiroshima und Nagasaki. Denn vergleicht man auf Airfotos ihre zerstörten Zentren, so lässt sich schwerlich ein gradueller Wirkungsunterschied erkennen.“ – ''[[Walter Geiger]]: [[Nordhausen im Bombenvisier]], S. 154.''<br />
* „Nordhausen wurde am 3. und 4. April 1945 zerstört, weil der ehrgeizige britische Luftmarschall Sir Arthur Harris dem britischen Volk und den Alliierten zeigen wollte, dass sein "Bomber Command" das Handwerk des Tötens von deutschen Menschen perfektioniert hatte. Er löste einen furchtbaren Flächenbrand aus mit den stärksten Mitteln, die ihm zur Verfügung standen. Besonders verwerflich ist, dass er die Bombenziele auf die Nordhäuser Altstadt konzentrierte. Infam ist auch, dass er noch in den letzten Kriegstagen die Altstadt von Nordhausen mit einer nie vorher verwendeten Bomben-Mischung auslöschte. Er handelte trotzig wie ein Kind, dem man das Spielzeug wegnehmen will. Harris wollte sich in letzter Stunde in Nordhausen ein Denkmal aus Leichen und Ruinen setzen.“ – ''[[Jost-Dieter Rudloff]]: Warum wurde Nordhausen eine Woche vor Kriegsende 1945 in Brand gesetzt? Informationen und Überlegungen. In: [[Beiträge zur Geschichte aus Stadt und Kreis Nordhausen (Band 44/2019)]], S. 141.''<br />
<br />
== Literatur ==<br />
*Jost-Dieter Rudloff: ''Warum wurde Nordhausen eine Woche vor Kriegsende 1945 in Brand gesetzt? Informationen und Überlegungen''. In: ''[[Beiträge zur Geschichte aus Stadt und Kreis Nordhausen (Band 44/2019)]]''.<br />
*Harald Rockstuhl (Hrsg.): ''[[Nordhausen – Luftbild-Atlas 1935–1945]]''. Bad Langensalza: Verlag Rockstuhl, 2017. ISBN 978-3959662833<br />
*[[Walter Geiger]]: ''[[Nordhausen im Bombervisier]]''. Nordhausen: Neukirchner, 2000. ISBN 3-929767-43-0<br />
*Olaf Groehler: ''Bombenkrieg gegen Deutschland''. Berlin: Akad.-Verl., 1990. ISBN 3-05-000612-9<br />
*[[Peter Kuhlbrodt]]: ''[[Inferno Nordhausen – Schicksalsjahr 1945]]''. Nordhausen: Archiv der Stadt Nordhausen, 1995. ISBN 3-929767-09-0<br />
*[[Martin Clemens Winter]]: ''[[Öffentliche Erinnerungen an den Luftkrieg in Nordhausen 1945 - 2005]]''. Marburg: Tectum-Verl., 2010. ISBN 9783828822214 <br />
*''Schicksale deutscher Baudenkmale im Zweiten Weltkrieg''. (Bd. 2) Berlin: Henschelverlag Kunst u. Gesellschaft, 1978.<br />
<br />
== Externe Verweise ==<br />
* [https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/1/1f/Nordhausen_concentration_camp_newsreel.webm Filmaufnahmen von der Boelcke-Kaserne (1945)]<br />
<br />
== Einzelnachweise ==<br />
<br />
<references/><br />
<br />
[[Kategorie:Geschichte]]</div>Latimer Rexhttps://nordhausen-wiki.de/index.php?title=Luftangriffe_auf_Nordhausen&diff=15669Luftangriffe auf Nordhausen2020-02-09T16:13:10Z<p>Latimer Rex: /* Vermutungen und Gerüchte über den Großangriff */</p>
<hr />
<div>[[Datei:Marktkirche Rathaus Nordhausen 1945.jpg|thumb|300px|[[Marktkirche]], [[Altes Rathaus|Rathaus]] und [[Stadthaus]] nach den Luftangriffen]]<br />
Die '''Luftangriffe auf Nordhausen''' am 3. und 4. April 1945 durch Bomber der britischen Royal Air Force zerstörten Dreiviertel der Stadt. Dabei kamen über 8.800 Menschen ums Leben, weitere 20.000 wurden obdachlos. Mit einem Wohnungszerstörungsgrad von 55% (10.000 Wohnungen) gehörte Nordhausen zu den am schwersten zerstörten deutschen Städten; zahlreiche Denkmale von hervorragender Bedeutung, darunter die für Nordhausen charakteristischen Fachwerkbauten des 13. bis 19. Jahrhunderts, wurden vernichtet. Der historische Stadtkern, die Neustadt und die Gebäude um die [[Frauenbergkirche]] wurden fast gänzlich eingeebnet. Erhalten blieben die Gebiete westlich und nördlich der [[Stadtmauer]], [[Barfüßerstraße]], [[Kalte Gasse]], Teile des historischen [[Königshof]]s sowie der Stadtteil [[Altendorf]]. Ein Großteil der stark beschädigten Bauwerke wurde nach dem Zweiten Weltkrieg abgerissen. <br />
Die zerstörerische Gesamtwirkung aller Bomben und Luftminen war von keinem Einzelangriff im Luftkrieg gegen Deutschland auch nur annähernd erreicht worden.<ref>Geiger: ''Nordhausen im Bombenvisier''. S. 150.</ref> Bei der Bombardierung von Nordhausen handelte es sich um die größte Katastrophe in ihrer tausendjährigen Stadtgeschichte. <br />
<br />
== Nordhausen im Krieg ==<br />
Nordhausen hatte vor dem Zweiten Weltkrieg ca. 42.000 Einwohner. Während des Krieges stieg deren Zahl durch Ortsfremde (Luftkriegsevakuierte, Flüchtlinge, ausländische Arbeitskräfte, Verwundete und Kriegsgefangene) Anfang März 1945 auf 65.000 Einwohner.<ref>Peter Kuhlbrodt (Hrsg.): ''Schicksalsjahr 1945. Inferno Nordhausen''. Nordhausen: Archiv der Stadt Nordhausen, 1995. S. 20, 33 </ref> Insbesondere für Evakuierte aus Berlin, Hamburg und Westdeutschland waren Stadt und Kreis Nordhausen als Aufnahmeräume ausgewiesen.<br />
<br />
Der Bau von Luftschutzanlagen begann im Spätsommer 1943. Viele Bunkeranlagen in der Innenstadt blieben unvollendet. Am 29. November 1943 wurde für Nordhausen ein Evakuierungsplan, der Aussiedlungsrichtungen und Aufnahmegebiete festlegte, ausgearbeitet.<ref>Geiger: ''Nordhausen im Bombenvisier''. Nordhausen: Verlag Neukirchner, 2000. S. 65</ref><br />
<br />
{| class="wikitable sortable"<br />
|+ style="padding-bottom:1em" | Bis zum 22. Februar 1945 realisierte Stollenabschnitte<ref>Ullrich Mallis: ''Der Luftschutzstollen am Johanneshof / Neuer Weg. Ein Nordhäuser Baudenkmal'', in: ''[[Nordhäuser Nachrichten. Südharzer Heimatblätter (2/2011)]]'', S. 10.</ref><br />
|- class="hintergrundfarbe6"<br />
! class="unsortable" | Stollenabschnitte !! class="sortable" | Länge !! class="unsortable" | Herstellung !! class="unsortable" | Ausbauart !! class="unsortable" | Bemerkung<br />
|-<br />
| Stollen IA, Mühlhof || style="text-align:right" | 55,00 m<br />
| Okt. 1943 – Febr. 1944 || Beton, 27,5 m nur Holzausbau || Richtung Loge<br />
|-<br />
| Fluko-Bunkerzugang || style="text-align:right" | 2,40 m<br />
| Febr. – März 1944 || Eisenbetongewölbe || IA, > 40 m links<br />
|-<br />
| Kreuz IA-Stummel || style="text-align:right" | 0,50 m<br />
| März 1944 || Eisenbetongewölbe, wie das gesamte Kreuz IA || Drehscheibe<br />
|-<br />
| Stollen IB, Johannishof || style="text-align:right" | 38,50 m<br />
| Nov. 1943 – April 1944 || Beton, 22,5 m mit Firstschienen || noch begehbar<br />
|-<br />
| Stollen von IA nach IB || style="text-align:right" | 66,10 m<br />
| März 1944 – Nov. 1944 || Beton || Durchschlag im Nov. 1944<br />
|-<br />
| Stollen von IB nach IA || style="text-align:right" | 38,25 m<br />
| April 1944 – Nov. 1944 || Beton || Durchschlag im Nov. 1944<br />
|-<br />
| Oststollen, von IA-IB ab || style="text-align:right" | 21,75 m<br />
| Dez. 1944 – Febr. 1945 || Seitenbeton, Art des Firstausbaues nicht benannt || <br />
|-<br />
| Südstollen IC, ab IB || style="text-align:right" | 49,75 m<br />
| April 1944 – Febr. 1945 || || zum Lohmarkt<br />
|-<br />
| class="hintergrundfarbe5" | Gesamt: || style="text-align:right" class="hintergrundfarbe5" | 272,25 m<br />
| class="hintergrundfarbe5" | Okt. 1943 – Febr. 1945 || class="hintergrundfarbe5" | || class="hintergrundfarbe5" |<br />
|}<br />
<br />
<br />
<br />
Als Garnisonstadt hatte Nordhausen keine ältere Tradition. Ab 1935 wurde im Süden die [[Boelcke-Kaserne]] errichtet, mit Unterkünften und Fahrzeughallen; sie diente der Ausbildung von Luftnachrichtensoldaten. Daneben entstanden ein Fliegerhorst als Ausbildungsplatz und zeitweise Flugzeugwerft. Bis März 1945 wurden hier Flugzeuge für den Mistelschlepp ("Huckepack"-Flugzeuge) montiert und Piloten dafür geschult. Sonst diente der Fliegerhorst 1945 noch zum Auftanken von Jagdflugzeugen. In provisorischen Unterkünften in der Stadt gab es die evakuierte "Marineverwaltung West". In der Stadt und ihrer nahen Umgebung existierten viele Lazarette mit insgesamt etwa 1.000 Verwundeten. Die Lazarette und Krankenhäuser trugen weithin sichtbare große Rotkreuz-Symbole auf den Dächern. <br />
<br />
Das [[Mittelwerk GmbH|Mittelwerk Dora]] bei Nordhausen produzierte Anfang April 1945 keine V-Waffen oder andere Rüstungsgüter mehr. Die dort Beschäftigten, unter ihnen Tausende von Häftlingen des KZ Mittelbau-Dora und Zwangsarbeiter, wurden evakuiert. Das Werk oder seine Verkehrsanbindungen waren nie Ziel alliierter Luftangriffe. <br />
<br />
Die frühere [[KZ-Außenlager Boelcke-Kaserne|Boelcke-Kaserne]] wurde seit Herbst 1943 nicht mehr militärisch genutzt. Sie hatte seitdem Tausende von Arbeitern, später auch Flüchtlinge aufgenommen. Seit 8. Januar 1945 existierte ein bald überfülltes Häftlingslazarett in der Anlage.<ref> Manfred Schröter: ''Die Zerstörung Nordhausens''. Nordhausen: Meyenburg-Museum, 1988. S. 6-8 </ref> Im Februar kamen zeitweise 3.500 Häftlinge aus dem KZ Groß-Rosen dazu.<ref> Walter Geiger: ''Nordhausen im Bombervisier''. Nordhausen: Verlag Neukirchner, 2000. S. 258 </ref><br />
<br />
== Erste Angriffe ==<br />
In der Nacht vom 25. August auf den 26. August 1940 griffen zwei britische Bomber vom Typ Handley Page Hampden den [[Flugplatz von Nordhausen]] an und warfen vier Bomben ab.<ref>Geiger: ''Nordhausen im Bombenvisier''. S. 61 f.</ref> Es entstand ein kleiner Brand, der bald gelöscht werden konnte. <br />
<br />
Von 1940 bis 1943 gab es insgesamt 72 öffentliche Luftwarnungen und Fliegerarlarme für Nordhausen. Als sich die alliierten Luftangriffe im Jahr 1944 auf die im Hinterland gelegenen deutschen Städte intensivierten, wurde Nordhausen verstärkt Überflugsort alliierter Bomberverbände, etwa wenn sie Berlin, Dessau oder Leipzig anflogen. Im März 1945 erreichten die durchschnittlich fünf bis sechs Luftalarme ihren Höhepunkt.<ref>Geiger: ''Nordhausen im Bombenvisier''. S. 98 f.</ref> <br />
<br />
Am 12. April 1944 flogen während der Mittagszeit zwei aus südlicher Richtung kommende amerikanische Jäger die Stadt an und töteten zwei Menschen, zwei Personen wurden schwer verletzt.<ref>Geiger: ''Nordhausen im Bombenvisier''. S. S 221 f.</ref> <br />
<br />
[[Datei:Luftangriffe Nordhausen Traueranzeige.jpeg|thumb|Traueranzeige vom 26. Februar 1945]]<br />
<br />
Am 22. Februar 1945 griffen gegen 12:30 Uhr US-amerikanische Bomber den Verschiebebahnhof an, trafen jedoch die Unterstadt, einige Anlagen des Industriegebietes und die vormalige Fernmeldeschule der Luftwaffe in der [[Boelcke-Kaserne]]. Insgesamt fielen 296 Mehrzweckbomben und töteten 40 Menschen. Im ''[[Südharzer Kurier]]'' erschien am 26. Februar eine Todesanzeige für die „Gefallenen des Terrorangriffs“ mit der Ankündigung zur Beisetzung. <br />
<br />
Am 28. Februar 1945 warfen drei amerikanische Maschinen 2,5 Tonnen Sprengbomben auf die Stadt ab. <br />
<br />
Am 1. April 1945 wurden das Auto-Hotel Hesse durch Bomben getroffen und zahlreiche Menschen getötet.<br />
<br />
== Großangriffe im April 1945 ==<br />
[[File:Avro Lancaster Mk 1 ExCC.jpg|thumb|Langstreckenbomber vom Typ ''Avro Lancaster'', wie sie bei der Bombardierung von Nordhausen zum Einsatz kamen.]]<br />
[[File:Mosquito 600pix.jpg|thumb|Zielmarkierer ''De Havilland Mosquito'' (1944)]]<br />
Am 3. April 1945 starteten gegen 13 Uhr die englischen Bomberverbände und erreichten Nordhausen um 16 Uhr. Die 247 Avro-Lancaster-Bomber (Tragfähigkeit je 6 Tonnen Bombenlast) und 9 Mosquito-Mehrzweckflugzeuge warfen in 20 Minuten ca. 1.216 Tonnen Sprengbomben ab und trafen vor allem die Außenbezirke von Nordhausen.<ref>Groehler: ''Bombenkrieg gegen Deutschland'', S. 422.</ref> Im Stadtinnern fielen Bomben um die [[Neustadt-Kirche]] und [[Neustadtstraße]]. In den umliegenden Wäldern und Ortschaften [[Sundhausen]], [[Bielen]], [[Himmelgarten]], [[Leimbach]] und [[Krimderode]] fielen schwere Bomben und Luftminen. Getroffen wurde auch die mit kranken Häftlingen überbelegte [[Boelcke-Kaserne]], wo allein in einer mit Tuberkulose-Kranken belegten Flugzeughalle 450 Menschen den Tod gefunden haben sollen.<ref>Wagner: ''Produktion des Todes.'' S. 280</ref> Die Stadt ohne Strom und Leitungswasser. Die Verletzten wurden gesammelt und nach [[Neustadt/Harz|Neustadt]] und [[Sülzhayn]] gebracht, die Ausgebombten erhielten Notquartiere in der Stadt selbst und ihrer Umgebung. Viele Nordhäuser flüchteten aus der Stadt. Zwei Stollen der unterirdischen Anlagen von Mittelbau Dora im Kohnstein nahmen bereits am 3. April Geflüchtete auf, später wurden es 10.000. Das Stadtkrankenhaus war beschädigt, die Patienten wurden in Notkrankenhäuser in das benachbarte [[Petersdorf]] gebracht, vor allem in das Ausflugsrestaurant Harzrigi.<ref> Manfred Schröter: ''Die Zerstörung Nordhausens''. Nordhausen: Meyenburg-Museum, 1988. S. 22, 23 </ref> Bomben fielen auch auf mehrere benachbarte Dörfer und deren Flur, besonders betroffen war Bielen. Zwei Bomber gingen beim Hin- und Rückflug verloren. Der erste Angriff erzielte die gewünschte Wirkung jedoch nicht. Der Angriff am 3. April war aus Sicht der RAF ein Misserfolg.<!-- (Quelle?) --> Viele Einwohner zogen am Abend des 3. April zum nahen [[Kohnstein]], wo die mittlerweile fast verlassenen Stollen des Mittelwerks Schutz boten.<br />
<br />
{{Zitat|Die Stadt ist schwer getroffen, aber sie ist noch eine organisierte Gemeinschaft… Gegenseitige und Nachbarschaftshilfe wird geleistet. Die Stadtverwaltung und die Luftschutzleitung setzen ihre Kräfte ein. Rotes Kreuz und die Krankentransporte kommen an die Schwerpunkte. Man leitet die Evakuierung des beschädigten Krankenhauses ein. Die Verletzten des Angriffs werden geborgen, abtransportiert, in den Gaststätten Parkhaus und Kurhaus gesammelt und schließlich nach Neustadt und Sülzhayn weiterbefördert. Die Feuerwehr bekämpft die wenigen Brandherde.|[[Manfred Schröter]]: ''[[Die Zerstörung Nordhausens und das Kriegsende im Kreis Grafschaft Hohenstein 1945]]''}}<br />
<br />
Am 4. April gegen 9 Uhr begann der zweite Großangriff der RAF. Der Verband kam über Gotha, Bad Langensalza und Schlotheim. Für 93 Bomber wurde die Boelcke-Kaserne als Angriffsziel befohlen, die anderen 150 hatten das Stadtzentrum anzugreifen.<ref>Geiger: ''Nordhausen im Bombenvisier''. S. 146 f.</ref> Zwei Bomber mussten frühzeitig zurückkehren, und zehn weitere hatten ihren militärischen Auftrag verfehlt, so dass von den 243 Flugzeugen 231 am Luftschlag teilnahmen. Ein Bomber explodierte über der Stadt. Die örtliche Feuerwehr war, soweit noch vorhanden, von der Lage völlig überfordert. Unter der überlebenden Bevölkerung herrschte Panik, viele verließen fluchtartig zu Zehntausenden das Inferno der Stadt in Richtung Kohnstein. Auch außerhalb von Nordhausen wurde sie von Jagdbombern beschossen.<ref> Manfred Schröter: ''Die Zerstörung Nordhausens''. Nordhausen: Meyenburg-Museum, 1988. S. 26 </ref> Am Abend und in der Nacht war die Stadt ein weithin leuchtendes Flammenmeer.<ref> Peter Kuhlbrodt: ''Schicksalsjahr 1945. Inferno Nordhausen''. Nordhausen 1995. S. 23 </ref> In der Mitte davon leuchtete der Kirchturm von St. Petri als riesige Fackel, die gegen Mitternacht zusammenbrach und auf das Kirchenschiff stürzte. RAF-Piloten, die von einem Einsatz bei Merseburg zurückflogen, berichteten um 23.00 Uhr von „good fires at Nordhausen“.<ref> Walter Geiger: ''Nordhausen im Bombervisier''. Nordhausen, 2000. S. 180 f.</ref> <br />
Der gebürtige Nordhäuser Schriftsteller [[Rudolf Hagelstange]] schrieb in seiner deutschen Familienchronik (Band 2: „Der Niedergang“, Seite 254) über die Feuersbrunst in seiner Heimatstadt: „Und die Hitze war so groß, dass in den meisten Straßen, sofern sie nicht gepflastert waren, der Asphalt geschmolzen war, dass Flüchtende da und dort in ihn eingesunken waren, einige unlöslich und damit zum Flammentod verurteilt.“<br />
<br />
=== Opfer ===<br />
[[Datei:Einwohnerentwicklung von Nordhausen ab 1800.svg|thumb|Einwohnerzahl von Nordhausen ab 1800. Deutlich sichtbar der Höhepunkt 1945]]<br />
Bei den Großangriffen im April 1945 kamen ca. 8.800 Menschen ums Leben. Diese Zahl geht auf Schätzungen vom Februar 1948 zurück.<ref name="Kuhlbrodt125">Kuhlbrodt: ''Inferno Nordhausen''. S. 125 f.</ref> Vor dem Abgriff befanden sich rund 65.000 Personen in der Stadt (42.000 ständige Bevölkerung, Militärpersonen, Gefangene, ausländische Arbeiter, Spezialarbeiter der Kriegsindustrie, Evakuierte). Der Antifa-Ausschuss von Nordhausen schätzte am 17. Juni 1945, dass über 10.000 Menschen bei den Bombenangriffen ums Leben gekommen seien.<ref> Peter Kuhlbrodt: ''Schicksalsjahr 1945. Inferno Nordhausen''. Nordhausen 1995. S. 115 </ref><br />
<br />
In den ersten Tagennach dem Einmarsch der Amerikaner ließ der US-Stadtkommandant in den Straßen liegende Leichen auf den Sonderfriedhof am Schlageter-Ring bringen. Andere wurden an Ort und Stelle in Bombentrichtern beerdigt. Eine beträchtliche Zahl ziviler Opfer und deutscher Soldaten wurde dann in dem höher gelegenen Teil des heutigen Ehrenfriedhofs in Massengräbern beigesetzt, unweit der getöteten Häftlinge aus der Boelcke-Kaserne. Für die später gefundenen Opfer ohne Anhang wurden Massengräber im vorderen Teil des Alten Hauptfriedhofs in der Leimbacher Straße angelegt. Heute steht an dieser Stelle ein Wohnblock. Auf dem Neuen Hauptfriedhof am Ring sind in den ersten Wochen und Monaten 920 Bombenopfer beerdigt worden.<br />
<br />
{| class="wikitable"<br />
|-<br />
| Verluste der ständigen Bevölkerung || 6.000<br />
|-<br />
| Verluste der nicht ständigen Bevölkerung || 1.500<br />
|-<br />
| Verluste der Häftlinge der Boelcke-Kaserne || 1.300<br />
|-<br />
| zusammen || 8.800<br />
|-<br />
|} <br />
<br />
==== Persönlichkeiten ====<br />
* [[Paul Urban]] (geb. 1892), KPD-Stadtrat<br />
<br />
=== Schäden und Totalverluste ===<br />
<br />
Der Zerstörungsgrad der Stadt wurde mit 74 Prozent errechnet. Die Gesamtfläche des zerstörten Gebietes betrug 810.000 Quadratmeter.<br />
Monate später, als die Opfer beigesetzt sind und die Überlebenden notdürftige Behausungen errichtet haben, ist diese Bilanz des Grauens zu ziehen: von 4.588 Gebäuden in der Stadt Nordhausen bleiben nur 971 unbeschädigt, von 13.075 Wohnungen sind 6.187 völlig und 4.575 teilweise zerstört. Das Stadtzentrum ist ausgelöscht. Von einmal 377 Einzelhandelsgeschäften sind kaum hundert übrig. Sieben Schulen und drei Kinos wurden zerstört, 411 der vordem 685 Handwerksbetriebe sind total- oder teilzerstört, ebenso die Mehrzahl der 109 großen Betriebe der Nahrungs- und Genußmittelindustrie (Nordhäuser Korn und Kautabak).<br />
<br />
==== Kirchen ====<br />
<br />
[[Datei:Petri-Kirche Außenansicht.JPG|thumb|[[St.-Petri-Kirche]]]]<br />
*[[St.-Jakobi-Kirche]]: Am 3. April erheblich durch Bomben zerstört. Reste des Schiffes abgetragen, Turmruine zu DDR-Zeiten beseitigt.<br />
*[[Marktkirche]]: Am 3. April weitgehend zerstört. Ruinenreste abgetragen.<br />
*[[St.-Petri-Kirche]]: Am 3. April bis auf Turm und Chor zerstört, zahlreiche Menschen finden in der Kirche den Tod. Der Turm erhielt 1954 ein Notdach, die übrigen Ruinenteile wurden beseitigt. 1987 wurde ein neuer Turmhelm gesetzt.<br />
* [[St.-Blasii-Kiche]]: Dach und Mauerwerk am 4. April durch Bombentreffer erheblich beschädigt [[Cranachgemälde]] im Auslagerungskeller verbrannt. Bis 1949 Wiederherstellung des Daches, Ausbesserung Mauerwerk, Erneuerung des Inneren.<br />
*[[Nordhäuser Dom]]: Am 4. April schwere Schäden durch Brandzerstörung des Steildaches über der Halle und Vernichtung der Fenster. Noch 1945 Fertigstellung Notdach und Beseitigung der Folgeschäden. 1965 Wiederherstellung des Steildaches in ursprünglicher Form.<br />
*[[Frauenbergkirche]]: Am 4. April durch Bomben schwer zerstört. Erhalten blieben Umfassungsmauern der Chor mit Apside, die Nebenchöre und das Querschiff, vom Langhaus nur Reste des ersten Joches sowie des Westportals. Von 1953 bis 1955 folgten Enttrümmerung und Sicherungsarbeiten.<br />
*[[Frauenbergkloster]]: Am 4. April durch Bombentreffer total zerstört. Gebäudereste wurden nach 1945 entfernt.<br />
<br />
==== Öffentliche Bauten ====<br />
*[[Rathaus]]: Am 4. April bis auf die Umfassungsmauern zerstört, Turm ausgebrannt. Ab 1951 Trümmer entfernt und Wiederaufbau bis 1952, dabei wurden die Erdgeschoßarkaden und das Innere neu gestaltet. Zum ebenfalls schwer zerstörten [[Stadthaus]] wurde der Verbindungsgang wiederaufgebaut, der [[Roland]] restauriert.<br />
*[[Stadtmauer]]: Es entstanden Schäden an der Stadtmauer, wobei besonders die teilweise genutzten Türme und Wiechhäuser betroffen wurden. Nach dem Krieg wurden Ruinen abgetragen und Sicherungsarbeiten durchgeführt. Zur Landesgartenschau 2004 erfolgten umfangreiche Sanierungsarbeiten, besonders um den [[Petersberg]]. <br />
*[[Theatergebäude]]:<br />
<br />
==== Fachwerkbauten ====<br />
[[Datei:Nordhäuser Roland 1945.jpg|thumb|Das ausgebrannte Rathaus mit dem [[Nordhäuser Roland|Roland]], der die Angriffe wie durch ein Wunder überstand]]<br />
[[Datei:Riesenhaus, Riese, Postkarte.jpg|thumb|Postkarte vom [[Riesenhaus]] am Holzmarkt (Lutherplatz) mit dem [[Nordhäuser Riese]]n.]]<br />
Bedeutende Fachwerkhäuser, die zerstört wurden (lt. dem Denkmalpfleger Rudolf<br />
Zießler):<br />
<br />
*[[Bäckerstraße]] 22: Mitte des 18. Jahrhunderts errichteter dreigeschossiger, neunachsiger, verputzter Fachwerkbau mit massivem Erdgeschoß, Satteldach und Zwerhaus. Stichbogenfenster mit einfacher profilierter Rahmung in Dreiergruppen. Betonung der Mittelachse durch ein von Pilastern flankiertes Portal mit gesprengtem Giebel, darauf ruhende Frauen und Wappen sowie durch einen auf Konsolen sitzenden Balkon mit schmiedeeisernem Gitter.<br />
*[[Blasiistraße]] 15: Alte Schule. Errichtet um 1700 als dreigeschossiger stattlicher Fachwerkbau mit hohem Satteldach. Unregelmäßige Fenstergruppierung (im ersten Obergeschoß dreizehn Achsen). Fachwerk mit halben Männern. Obergeschoß vorkragend mit Balkenköpfen und gekehlten Füllhölzern.<br />
*Blasiistraße 21: Bedeutendstes Renaissance-Fachwerkhaus Nordhausens von etwa 1550. Dreigeschossig mit zehn Fensterachsen in unregelmäßiger Gruppierung, Geschosse stark vorkragend. Reich ausgebildetes Schmuckfachwerk mit Balkonköpfen, Knaggen, Füllhölzern und Schiffskehlen. Haupteingang mit kräftigen Gewämdepfosten und halben Sonnen um 1700.<br />
*[[Hagenstraße]] 4: Um 1800 errichtet als zweigeschossiger, verschieferter Fachwerkbau mit zehn Fensterachsen. Eckpilaster, ebensolche toskanische Holzpilaster flankieren die vier Mittelachsen und nehmen einen verschieferten Dreieckgiebel auf. Stichbogenfenster mit einfacher Rahmung und Schlußsteinbetonung.<br />
*Hagenstraße: Ilfelder Hof, ehem. Klosterhof, seit dem ersten Viertel des 18. Jahrhunderts Kurhannoversche Postverwaltung, seit 1853 in Privatbesitz. 1277 angelegt, später erweitert, im 17. Jahrhundert Neubau auf erweitertem Grundriss mit massivem Erdgeschoß und zwei Fachwerkobergeschossen, verschiefert.<br />
*[[Holzmarkt]] (Lutherplatz): „Riesenhaus“. 1375 erstmals erwähntes Patrizierhaus mit massivem Erdgeschoss, zwei Fachwerkobergeschossen und Satteldach. Nach Brand von 1710 im Fachwerk erneuert. Fassade gegliedert durch zwölf Fensterachsen, jeweils in Dreiergruppen angeordnet. Fachwerkkonstruktion mit Wilden Männern. Mittelgiebel mit einem Mann in Ritterrüstung ([[Nordhäuser Riese]]), der eine Lanze hält. 1805 Einrichtung einer Gaststätte, Verputz des Fachwerks und klassizistische Fassadengestaltung. 1927 Endrestaurierung und Wiederherstellung des Fachwerks.<br />
*Jakobikirchplatz 4: Lateinschule. Zweigeschossiger Fachwerkbau von 1493 mit Satteldach. Ständer- und Riegelbau. Vorkragendes Obergeschoß über geschwungene Knaggen. Durchlaufender Fensterbrustriegel.<br />
*Jakobikirchplatz: Pfarrhaus. 1687 errichteter zweigeschossiger Fachwerkbau mit Krüppelwalmdach. Fenstergruppierung unregelmäßig. Stiele und Brustriegel durch Wilde Männer verstärkt. Geringe Auskragung, Balkonköpfe und Schwelle mit einfacheren Profilen. Gefache mit Ziegeln in Mustern ausgemauert. Oberdeutsch beeinflusstes Fachwerk.<br />
*[[Königshof]] 14: Dreigeschossiger Fachwerkbau mit oberdeutschen Stilelementen, ganze und halbe Männer. Um 1780 Verkleidung der Fenster mit Rokokogirlanden.<br />
*[[Krämerstraße]] 11: Verschieferter, zweigeschossiger, fünfachsiger Fachwerkbau mit spätbarockem Volutengiebel. Stichbogenfenster mit Rahmenverkleidung. Erdgeschoss durch Ladeneinbauten verändert.<br />
*Krämerstraße 15: Um 1700 errichteter schmaler dreigeschossiger Fachwerkbau in oberdeutschem Stil mit halben Männern an den Ecken. Balkonköpfe und Füllhölzer mit einheitlichem Profil. Satteldach mit Zwerchhaus.<br />
*[[Lohmarkt]] 2, 4, 20, 21: Nach 1686 errichtete Gerberhäuser. Zwei- bzw. dreigeschossige Fachwerkgebäude im gleichen oberdeutschen Baustil wie Pfarrhaus Jakobikirchplatz. Besonders reich ausgebildet der Türstock mit Renaissanceformen und Inschrift. Satteldächer mit Zwerchhäsern (Ladeluken).<br />
*[[Neustadtstraße]] 27: Zweigeschossiger, elfachsiger Fachwerkbau aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts mit Satteldach. An den Fenstern Rokokoverkleidung.<br />
*Neustadtstraße 35: Zweigeschossiger, achtachsiger Fachwerkbau aus der Mitte des 18. Jahrhunderts auf Sandsteinsockel. Türen und Fenster in Stichbogen mit geschnitzter Rokokoverkleidung.<br />
*Neustadtstraße 47: Dreigeschossiger Fachwerkbau der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts mit Krüppelwalmdach. Rokokofensterbekleidungen handwerklich vereinfacht.<br />
*[[Pferdemarkt]] 17: Dreigeschossiger Fachwerkbau von etwa 1550, niederdeutsch beeinflusst. Auskragung des Obergeschosses mit Balkonköpfen, Knaggen und Füllhölzern. Erdgeschoß baulich verändert.<br />
*[[Sandstraße]] 3, 21, 23, 28: Diese Häuser hinsichtlich der Entstehungszeit und der architektonischen Ausbildung denen der Neustadtstraße entsprechend.<br />
<br />
==== Situation nach dem Großangriff ====<br />
[[Datei:Boelcke-Kaserne-Tote HäftlingeA.jpg|thumb|Einwohner Nordhausens tragen am 12. April 1945 unter Bewachung von Angehörigen der US-Armee tote Häftlinge aus der Boelcke-Kaserne und legen sie davor ab]]<br />
[[File:Nordhausen um 1930.jpeg|thumb|Der Stadtteil [[Altendorf]] blieb weitgehend unzerstört (Luftaufnahme um 1930)]]<br />
Das britische Bomber Command berichtete als Ergebnis der beiden Großangriffe, dass „die Stadt fast vollständig zerstört wurde, inbegriffen die Kasernenblöcke.“<ref> Walter Geiger: ''Nordhausen im Bombervisier''. Nordhausen: Neukirchner, 2000. S. 154 </ref> <br />
Die Situation für die Bevölkerung nach den Angriffen kann nur mit dem Begriff „Inferno“ beschrieben werden. Das Stadtzentrum konnte tagelang nicht betreten werden. Es wüteten noch zahlreiche Brände<ref> Peter Kulhlbrodt: ''Schicksalsjahr 1945. Inferno Nordhausen''. Nordhausen 1995. S. 24</ref>, die Schutthaufen strahlten unerträgliche Hitze aus. Bomben mit Zeitzündern gingen hoch. Über den Trümmerfeldern lag bald Leichengeruch, besonders im Bereich der Boelcke-Kaserne. In den Nächten des 6. und 7. April wurden die Kranken und Verwundeten aus Nordhausen und Umgebung durch alle verfügbaren Fahrzeuge, besonders mit Pferde-Gespannen, in den Kohnstein in Sicherheit gebracht. Die Nordhäuser Bevölkerung verteilte sich nach Schätzungen am 7. April wie folgt: 6.000 (8.800) Opfer tot unter den Trümmern, 6.000 Überlebende noch in der Stadt, 10.000 im Kohnstein und 20.000 in den umliegenden Dörfern, besonders nordöstlich der Stadt.<ref> Manfred Schröter: ''Die Zerstörung Nordhausens''. Nordhausen: Meyenburg-Museum, 1988. S. 30 </ref> Am 8. April flogen 6 Jagdbomber noch einen Tagesangriff nach Zielmarkierung auf Nordhausen, parallel zu dem Bombardement auf [[Sondershausen]]. Am 10. April näherten sich US-Panzer aus Richtung [[Hain (Kleinfurra)|Hain]] dem Süden der Stadt und nahmen ihn unter Feuer, darunter die Trümmer der Boelcke-Kaserne.<ref> Manfred Schröter: ''Die Zerstörung Nordhausens''. Nordhausen: Meyenburg-Museum, 1988. S. 37 </ref><br />
Die britischen Bomber-Staffeln stießen bei den Angriffen an beiden Tagen auf keinerlei deutsche Luftabwehr. »Null« lauten jeweils die Eintragungen in den Rubriken »Flak« und »Einsatz von Jagdflugzeugen«. Am 8. April nahmen alliierte Flugzeuge »Aufnahmen von exzellenter Qualität« vom zerstörten Nordhausen auf. In dem angefügten Bericht heißt es: »Das Herz von Nordhausen wurde durch die beiden Angriffe verwüstet, und zwar von den nordwestlichen Außenbezirken über das Stadtzentrum bis hin zum Flugplatz und den Kasernen der Luftwaffe am Helme-Fluss im Südosten. Im militärischen Bereich wurden nahezu alle Gebäude schwer getroffen und völlig oder teilweise zerstört. Schwerer Schaden entstand am Flugkontrollturm, dem Wachraum und einem großen Hangar am Nordrand des Flugfeldes. Nahe der Bahnanlagen wurden Industriebetriebe und das Gaswerk getroffen, wobei drei Gasometer zerstört wurden.«<ref>''Bad Lauterberger Tageblatt'', 3./4.April 1985</ref><br />
<br />
== Nachwirkungen ==<br />
Insgesamt waren vom britischen Bomber Command 2.386 Tonnen und von der 8. US Air Force 296 Tonnen Bombenlast auf Nordhausen abgeworfen worden.<ref> Olaf Groehler: ''Bombenkrieg gegen Deutschland''. Berlin: Akademie-Verlag, 1990. S. 449 </ref><br />
Eine der am längsten nachwirkenden Folgen der Luftangriffe für die Bürger der Stadt blieben Hunderte von Blindgängern aller Kaliber: zwischen den Trümmern der Stadt und im Erdreich der Straßen, Gärten und Felder. In den ersten Jahren machten sich die Feuerwerker Jochen Nebel und Albin Diebler sehr verdient um die Entschärfung gefundener Bomben, ab 1962 der - deshalb zum Ehrenbürger ernannte - Helmut Zinke. Im Stadtgebiet wurden 1948 bis 1953 etwa 100 Bomben entschärft, dann 248 Blindgänger von 1954 bis 1999 entzündet und geräumt.<ref>Walter Geiger: ''Nordhausen im Bombervisier''. Nordhausen, 2000. S. 263-264 </ref> <br />
<br />
Noch 2014 gilt eine Verordnung in Nordhausen, nach der jeder Bürger, der bauen will, sicherstellen muss, dass unter seinem Grund und Boden kein Gefahrgut liegt.<ref>Katja Dörn: ''Die Gefahr rostet im Thüringer Boden''. Thüringische Landeszeitung, 12. Dezember 2014 </ref><br />
<br />
Auswahl weiterer Funde von Blindgängern:<br />
* 1996: 250-Kilogramm-Blindgänger wird gesprengt<br />
* 2008: 227-Kilogramm-Bombe in der Altstadt<br />
* 2010: Fünf-Zentner-Bombe am [[Taschenberg]] entdeckt, 4.500 Menschen wurden evakuiert, Bombe konnte nicht entschärft werden<br />
* Juni 2016: Kontrollierte Sprengung einer 800-Kilogramm-Bombe, Leimbach und Steigerthal mussten geräumt werden (1.080 Einwohner) <br />
* Dezember 2016: Fünf-Zentner-Bombe am [[Strohmühlenweg]], ca. 1000 Einwohner, so auch die Hochschule Nordhausen, wurden evakuiert<br />
* September 2017: Bombe auf einem Feld in der [[Windlücke]], ca. 3000 Einwohner evakuiert, Bombe entschärft<ref>https://www.nnz-online.de/news/news_lang.php?ArtNr=219719</ref><br />
* Oktober 2018: Bombe in der Windlücke, ca. 3000 Einwohner evakuiert, Bombe entschärft<ref>https://www.nnz-online.de/news/news_lang.php?ArtNr=243515</ref><br />
* November 2018: Bombe in Bielen, 1.1000 Einwohner wurden evakuiert (Sperrzone 1 Kilometer), Bombe entschärft<br />
* August 2019: 225-Kilogramm-Bombe an der [[Zorge]], 2.500 Einwohner wurden evakuiert (Sperrzone 500 Meter), Bombe entschärft und Zünder gesprengt<br />
* November 2019: 225-Kilogramm-Bombe am [[Stadttheater]], ca. 15.000 Einwohner wurden evakuiert (Sperrzone 1 Kilometer), Bombe entschärft und Säurezünder gesprengt. Es war die größte Evakuierungsaktion in Nordhausen nach dem Zweiten Weltkrieg.<ref>MDR, 8. November 2019</ref><br />
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== Rezeption ==<br />
[[Datei:Nordhausen mahnt 1949.jpg|thumb|200px|Werbeplakat zur Ausstellung „[[Nordhausen mahnt - Ausstellung vom 6. bis 27. März 1949|Nordhausen mahnt]]“ im März 1949]]<br />
Luftangriffe waren im Zweiten Weltkrieg für alle Kriegsparteien zum entschiedenen strategischen Kriegskonzept geworden. Die Westalliierten glaubten durch die planmäßige und massive Zerstörung deutscher Städte, vor allem der Wohngebiete der Industriearbeiter, die Moral und den Widerstandswillen der Bevölkerung zu brechen und den Krieg schneller beenden zu können.<ref>Johannes Volker Wagner: ''Bomben auf Bochum''. S. 3.</ref> Im Januar 1943 einigten sich Großbritannien und die Vereinigten Staaten in Casablanca auf die Forderung nach bedingungsloser Kapitulation des Deutschen Reiches und auf eine weitere Verschärfung des Bombenkrieges. Zu dieser Zeit war die deutsche Luftabwehr längst nicht mehr in der Lage, das Reichsgebiet zu verteidigen. Die Alliierten erreichten ihr Ziel der Demoralisierung jedoch nicht, und viele Deutsche klammerten sich in Verzweiflung an die Hoffnung auf einen „Endsieg“.<br />
<br />
<!-- Auszug aus „Winston Churchill“. Der späte Held, eine Biographie von Thomas Kielinger, erschienen im Verlag C.H. Beck, Kapitel XY, Seite 301 ff.: Nach dem Kriege stand eine andere Verantwortung Churchills im Vordergrund – „für die Vernichtung von nahezu 60 der größten Städte Deutschlands“. „Mit dem Untergang Dresdens sind auch nachdenkliche Briten bis heute nicht fertig. Die Zweifel, ob die Zerstörung dieser und anderer Städte so kurz vor dem nahen Kriegsende zu rechtfertigen war, haben sich längst zu dem Urteil verdichtet: Sie war es nicht! ... Hilft es zur Erklärung darauf hinzuweisen, dass in der Schlussphase des Krieges deutsche V1- und V2-Waffen weiterhin Zerstörung auf Antwerpen, Paris und London regnen ließen? Eine V2 schlug noch am 27. März 1945 im Osten Londons ein und tötete 134 Menschen. Die britische öffentliche Meinung hätte es nicht verstanden, wenn die mili-tärische Führung auf Schonung des Gegners geschaltet hätte, wo dieser bis zum Ende Vernichtung spie.“<br />
<br />
„Aber die alte Frage bleibt, die Lothar Kettenacker 2003 in dem Sammelband „Ein Volk von Opfern?“ noch einmal stellte – „ob der Zweck die Mittel heiligt, ob die Beseitigung einer unheilvollen Diktatur die rücksichtslose Bombardierung der Bevölkerung rechtfertigt. Unbehagen äußerte Churchill selbst schon 1943, als ihm Bilder von den Auswirkungen der Bomben in Deutschland vorgelegt wurden ...“ Der Australier Ricard Casey, der an den Sitzungen des britischen Kriegsrates ... teilnahm, schrieb am 27. Juni 1943 in sein Tagebuch: „Es wird ein Film gezeigt über das nächtliche Bombardement einer deutschen Stadt, und plötzlich richtet sich Churchill steil in seinem Sessel auf und sagt zur mir: ‚Sind wir Bestien? Gehen wir nicht zu weit? <br />
<br />
Churchills Meinungen zum Bombenkrieg gegen Deutschland schwankten. Nach der Zerstörung Dresdens begegnet man bei ihm, spät, einer eindeutigen Ablehnung, so in dem berühmten Memorandum vom 28. März 1945:‚Der Moment scheint mir gekommen, wo die Frage der Bombardierung deutscher Städte zum Zwecke der Erhöhung des ''''terrors'''' (in Englisch mit der Bedeutung von Angst und Schrecken) auch wenn wir andere Vorwände nennen, überprüft werden sollte... Es ist nötig, dass wir uns mehr auf militärische Ziele konzentrieren wie Öllager und Kommunikationszentren hinter der unmittelbaren Kampfzone, statt auf Akte des reinen terrors und der mutwilligen Zerstörung’.“<br />
„Nicht umsonst nannte man Harris auch den ‚butcher’, den Metzger. . . Schon Max Hastings (stockkonservativer Historiker) nannte in seinem Klassiker von 1979 ‚Bomber Command’ die Auslöschung deutscher Städte noch im Frühjahr 1945 ‚einen bleibenden Schandfleck’,“ soweit Kielinger. Nach Kriegsende zog sich Harris verbittert nach Südafrika zurück, weil er sich nicht gebührend geehrt vorkam. Luftangriffe hatte Harris als „relativ humane Methode“ bezeichnet. Butcher wurde er nicht wegen der zivilen Bombenopfer in Deutschland genannt, sondern weil 55 000 Angehörige des Bomber Command vom Feindflug nicht heimkehrten – jeder zweite Pilot und Bordschütze. --><br />
<br />
Im März 1945 hatte sich das Angriffstempo der US-Streitmacht im Vergleich zu den Vormonaten verlangsamt.<ref name="Gewiger158">Geiger: ''Nordhausen im Bombenvisier''. S. 158 f.</ref> Um dennoch den Stoß in das Zentrum Deutschlands als strategisches Ziel zügig fortzuführen, waren die Westalliierten zum Einsatz aller Mittel entschlossen, auch in Anbetracht eventuell noch bevorstehender Kämpfe und Widerstand im Südharz. Die Stadt Nordhausen erhielt daher militärische Bedeutsamkeit für die 1. US-Armee, auch wegen des Verschiebebahnhofs für Truppenbewegungen. Der unterirdische Rüstungsbetrieb im [[Kohnstein]] und das [[Konzentrationslager Dora Mittelbau]] wurden dagegen nie zum Ziel von Luftangriffen. <br />
<br />
Nordhausen und Umgebung wurden Ende 1944 von britischen Fernaufklärern nachts unter tagheller Beleuchtung durch Magnesiumbomben sorgfältig aus der Luft fotografiert.<ref>Manfred Schröter: ''Die Zerstörung Nordhausens''. Nordhausen 1988, S. 55</ref> Die Bombardierung von Nordhausen wurde am 2. April 1945 vom Alliierten Oberkommando (SHAEF) befohlen.<ref name="Gewiger158"/> Gefordert wurde ein Angriff zur Unterstützung der 1. US-Armee mit Priorität zur frühestmöglichen Gelegenheit. Einige Tage zuvor wurde vom SHAEF die Zerstörung durch die RAF beschlossen.<ref>Manfred Schröter: ''Die Zerstörung Nordhausens''. Meyenburg-Museum Nordhausen, 1988, S. 54–55</ref><br />
<br />
Dieses, geführt von Luftmarschall Arthur Harris, erteilte am 2. April den unmittelbaren Befehl für einen Doppelschlag an zwei Tagen.<ref>Walter Geiger: ''Nordhausen im Bombervisier''. Nordhausen 2000, S. 108–109</ref> Der Zweck der RAF-Angriffe im April 1945 bestand darin, den Weg für einen ungehinderten Vormarsch von der im Südharzer Raum erwarteten Gegenwehr freizumachen. 3.466 britische Soldaten sollten als fliegendes Personal an den Angriffen teilnehmen. Ihnen wurde als Ziel des Angriffs erklärt: „To kill military and Nazi personnel evacuated from Berlin to these barracks“ (gemeint das Areal der Boelcke-Kaserne und die Stadt Nordhausen).<ref>Geiger: ''Nordhausen im Bombenvisier''. S. 121 </ref><br />
<br />
<!-- Bitte Quelle angeben!(Wie aus dem Text eindeutig hervorgeht: Der genannte Journalist und Gesprächspartner Dr. Meyers!) Der gebürtige Nordhäuser [[Manfred Neuber]], als Journalist von 1960 bis 1963 in London und New York, recherchierte als erster bei der Royal Air Force und der US Air Force über die Luftangriffe auf Nordhausen. Aus den detaillierten Angaben ging hervor, dass allein Bomber der Royal Air Force Nordhausen angegriffen hatten. Die SED-Propaganda hatte behauptet, es habe sich um „amerikanische Terrorangriffe“ gehandelt. So stand es auch Jahre auf der Gedenkstele für die Opfer der Luftangriffe neben dem Alten Rathaus. Neuber hatte Gelegenheit, im Jahre 1964 in Bad Lauterberg mit Dr. [[Herbert Meyer]], Oberbürgermeister Nordhausens vor Kriegsende 1945, über die Bombenangriffe zu sprechen. Dabei widerlegte Meyer noch Jahre nach dem Kriege kursierende Gerüchte, die Luftangriffe hätten eigentlich der Stadt Gotha gelten sollen. Weil die Verantwortlichen dort kapituliert hätten, sei Nordhausen angegriffen worden, weil es nicht ebenso gehandelt habe. Meyer versicherte, es habe keine Aufforderung zur Übergabe der Stadt gegeben. Zum Zeitpunkt der Luftangriffe standen die US-Panzerspitzen noch im Raume Kassel. --><br />
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=== Vermutungen und Gerüchte über den Großangriff ===<br />
<br />
* Nordhausen soll Aufforderung zur kampflosen Übergabe ausgeschlagen haben.<br />
** Der Nordhäuser Oberbürgermeister bei Kriegsende, [[Herbert Meyer]], widersprach dieser Darstellung in einem Gespräch mit dem Journalisten Manfred Neuber um 1964 in Bad Lauterberg: „An die Stadtverwaltung ist niemals bis zu den Angriffen eine Aufforderung der Amerikaner ergangen, Nordhausen zur offenen Stadt zu erklären. Ich möchte bezweifeln, dass sie an Kreisleiter Nentwig ergangen ist.“<ref name="Sting252">Heinz Sting: ''Das 1000-jährige Nordhausen und der schöne Südharz''. Hannover: Nordhäuser Heimatfreunde, 1965. S. 252.</ref> In den ersten April-Tagen 1945 standen die Panzerspitzen von US-General Patton noch vor Kassel, seine Truppen nahmen zu der Zeit gerade Fulda und Bad Hersfeld, Wasungen und Meiningen ein.<br />
* Nordhausen wurde durch die US-Luftwaffe zerstört.<br />
** Es ist unbestritten und belegt, dass britische Bomber die Stadt zerstörten. „Die Einsatzbefehle der 8. US-Luftflotte sahen weder am 3. noch am 4. April 1945 Nordhausen als Ziel vor. Die Operationsberichte der 8. Luftflotte geben auch keinen Großangriff auf Nordhausen an einem dieser beiden Tage an. Der Hauptzielplan für die amerikanischen Heeresflieger in Europa während des Zweiten Weltkrieges führt ebenfalls keinen Angriff auf Nordhausen im April 1945 auf“, teilte das amerikanische Aerospace Studies Institute auf Anfrage des Journalisten Manfred Neuber zu Beginn der 1960er Jahre schriftlich mit. „Aus anderen Quellen ist zu entnehmen“, gab der Leiter für geschichtliche Studien an diesem Institut der US Air Force University auf der Maxwell Air Base in Montgomery/Alabama, bei den Recherchen des Journalisten zu Protokoll, „dass am 3.und 4 .April 1945 vom Bomber Command der Royal Air Force schwere Angriffe auf Nordhausen geflogen wurden.“ Diese Angaben wurden von der Air Historical Branch im britischen Verteidigungsministerium (damals noch Ministry of War) dem Rechercheur bestätigt. Alle hier aufgeführten Originaldokumente wurden dem Stadtarchiv Nordhausen übergeben.<br />
<br />
* Nordhausen wurde anstelle Gothas bombardiert.<br />
** Diese Behauptung wurde u. a. von [[Kurt Kohlmann]] aufgestellt. So berichtete er von zwei US-Offizieren, die entsprechende Aussagen getätigt haben sollen: „Sie erzählten mir, der Kreisleiter von Nordhausen sei dreimal aufgefordert worden zu kapitulieren. Nachdem die Faschisten das dritte Mal abgelehnt hätten, sei ein auf Gotha angesetzter US-amerikanischer Bomberverband nach Nordhausen umgeleitet worden.“<ref name="Rudloff138">Jost-Dieter Rudloff: ''Warum wurde Nordhausen eine Woche vor Kriegsende 1945 in Brand gesetzt? Informationen und Überlegungen''. In: ''Beiträge zur Geschichte aus Stadt und Kreis Nordhausen (Band 44/2019)'', S. 138.</ref> Dies wurde ebenfalls von Herbert Meyer als unglaubwürdig zurückgewiesen.<ref name="Sting252"/><br />
<br />
* Nordhausen wurde wegen der Raketen-Produktion im Kohnstein bombardiert.<br />
** Den Alliierten war bekannt, dass sich im Kohnstein ein Rüstungsbetrieb befand, nicht jedoch, dass dort die V-Waffen gefertigt wurden.<ref>Jürgen Möller: ''Konzentrationslager Mittelbau-Dora''. Bad Langelsalza 2018, S. 33.</ref> Der Kohnstein war wegen der Kriegsgefangenenlager kein Angriffsziel.<ref name="Rudloff138"/><br />
<br />
* Die Nordhäuser Bevölkerung sollte wegen dem Konzentrationslager Dora-Mittelbau bestraft werden.<br />
** Dies wird durch kein Dokument der Alliierten bestätigt.<br />
<br />
* Nordhausen wurde aus militärischen Gründen bombardiert.<br />
** Die Stadt war verkehrstechnischer Knotenpunkt und Mittelpunkt der Nordthüringer Rüstungsindustrie und wurde auch von der deutschen Armeeführung als wichtig wahrgenommen.<ref name="Rudloff140">Jost-Dieter Rudloff: ''Warum wurde Nordhausen eine Woche vor Kriegsende 1945 in Brand gesetzt? Informationen und Überlegungen''. In: ''Beiträge zur Geschichte aus Stadt und Kreis Nordhausen (Band 44/2019)'', S. 140.</ref> Für das US-Militär bildete die Stadt kein strategisches Ziel mehr.<ref name="Rudloff140"/> Die Stadt Nordhausen erhielt militärische Bedeutsamkeit für die Bodentruppen der 1. US-Armee, auch wegen des Verschiebebahnhofs für Truppenbewegungen. Die Schonung der Rüstungsbetriebe mit ihrem Personal ergab sich aus der Hoffnung, möglichst viele Waffen und Fachkräfte zu erbeuten.<ref name="Rudloff140"/> Es gibt keinen Hinweis darauf, dass Nordhausen aus militärischen Gründen bombardiert wurde.<ref name="Rudloff140"/> (Doch: im SHAEF-Befehl ausdrücklich erwähnt)<br />
<br />
== Aufarbeitung und Gedenken ==<br />
=== 1945 bis 1990 ===<br />
==== DDR ====<br />
Bis zur Wiedervereinigung hielt sich die Behauptung, die United States Air Force habe Nordhausen am 3. und 4. April 1945 bombardiert. Zum einen wurde der US-Luftwaffe vorgehalten, dass die Angriffe auf Nordhausen ein Akt blinder Zerstörung und militärisch sinnlos gewesen seien, da das Ende des Dritten Reiches absehbar war. Andererseits wurde mit der „Gotha-Legende“ behauptet, dass Nordhausen bis zum Letzten verteidigt werden sollte und es deshalb zum Luftangriff kam. Damit wurde die Verantwortlichkeit für das Bombardement wahlweise den lokalen NS-Amtsträgern oder den USA zugeschrieben. <br />
<br />
Ein Interesse an einer realistischen Rekonstruktion hatte die SED auch aufgrund der Situation des Kalten Krieges nicht.<br />
Zum 40. Jahrestag der Luftangriffe wurde in der Lokalpresse erstmals von „250 britischen Lancaster-Maschinen“ berichtet.<ref>„Die Zerstörung Nordhausens - Mahnung und Verpflichtung“, ''Das Volk'', 2. April 1985.</ref> Eine Korrektur der Geschichte fand jedoch nicht statt, und auch danach war mitunter vom „Zerstörungsangriff amerikanischer Bomber“ die Rede.<ref>''Unser Aktuelles Argument'', April 1985.</ref> Für die in der DDR-Propaganda kolportierte öffentliche Erinnerung erklärt sich aus dem politischen Bedürfnis, die „imperialistischen“ Angreifer als möglichst grausam und skrupellos erscheinen zu lassen, im Sinne antiamerikanischer Propaganda.<ref name="Winter63">Winter: ''Öffentliche Erinnerungen an den Luftkrieg in Nordhausen 1945 - 2005''. Marburg: Tectum-Verl., 2010. S. 63.</ref> <br />
Mit Verweis auf die Luftangriffe auf Nordhausen wurde auf tatsächliche oder vermeintliche aktuelle militärische Bedrohungen oder Konflikte Bezug genommen, z. B. auf den Vietnamkrieg. <br />
<br />
Insgesamt war die Nordhäuser Luftkriegserinnerung gekennzeichnet von einer eigentümlichen „Verwischung der Grenze zwischen Faktizität und Fiktionalität“, die nach dem Historiker Martin Sabrow typisch für das Geschichtsdenken in der DDR war.<ref>Martin Sabrow: ''Einleitung - Geschichtsdiskurs und Doktringesellschaft'', Potsdam: Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam (ZZF), 2000. S. 24.</ref><br />
<br />
Der Versuch einer wirklichen Aufarbeitung in der DDR wurde erstmals 1985 angestoßen, als [[Manfred Schröter]] anlässlich des 40. Jahrestages eine Publikation veröffentlichen wollte. Darin wurde dargelegt, dass die RAF und nicht die USAF für den Angriff im April 1945 verantwortlich gewesen war. Nachdem Schröters Buch nach Begutachtung und Korrektur durch den Historiker Olaf Groehler sowie der SED-Kreisleitung und Bezirksleitung in Druck gegangen war, konfiszierte die Kreisleitung am 29. März 1985 die gesamte Auflage und verhinderte eine Veröffentlichung.<ref name="Winter62">Winter: ''Öffentliche Erinnerungen an den Luftkrieg in Nordhausen 1945 - 2005''. Marburg: Tectum-Verl., 2010. S. 62.</ref> Vorausgegangen war ein öffentlicher Vortrag Schröters am 14. März 1985, in dem er seine Ergebnisse (im Beisein von Stasi-Spitzeln) vorstellte.<br />
<br />
Das Gedenken an die Luftangriffe wurde zu DDR-Zeiten auch stark mit dem Wieder- bzw. Neuaufbau der Stadt verwoben. In den ersten Jahren nach dem Krieg wurde vor allem zur Mithilfe agitiert, um durch das „Aufbauwerk“ einer „glücklichen, friedlichen und sonnigen Zukunft“ entgegenzutreten.<ref>„Aufbauerfolge dürfen nicht preisgegeben werden,“ ''Das Volk'', 7. April 1953.</ref> Ab Ende der 1950er Jahre verwies die SED auf die bisher erzielten Erfolge. Zum 40. Jahrestag der Bombardierung 1985 behauptete Oberbürgermeister [[Peter Heiter]], dass die Jahre des Sozialismus die erfolgreichsten in der über tausendjährigen Stadtgeschichte gewesen seien und verwies auf die Rolle der Partei als entscheidender Faktor für das Erreichte.<ref name="Winter81">Winter: ''Öffentliche Erinnerungen an den Luftkrieg in Nordhausen 1945 - 2005''. Marburg: Tectum-Verl., 2010. S. 100.</ref> <br />
Ein wichtiges Großereignis war die Instandsetzung des [[St.-Petri-Kirche|Petri-Turms]] mit einer neuen Turmspitze zum 42. Jahrestag 1987 als „wiedererstandendes Wahrzeichen“.<ref>„Kupferhelm für den Petriturm“, ''Das Volk'', 7. April 1987.</ref><br />
In der Festschrift (1050 Jahre Nordhausen", 1977 herausgegeben vom Magistrat, heißt es: "Für den ausgesprochenen Terrorcharakter der anglo-amerikanischen Luftangriffe spricht auch, dass die Hauptstraßen des Schienen- und Straßenverkehrs funktionstüchtig blieben und die militärischen Anlagen der Stadt, insbesondere das Flugplatzgelände, weiter den Machthabern des Dritten Reiches für ihre verbrecherische Politik zur Verfügung standen."<br />
Die Festschrift hebt hervor: "Das heutige Nordhausen entwickelt sich dank der schöpferischen und angestrengten Arbeit der Arbeiterklasse und aller Bürger unserer Stadt, auf festen sozialistischen Fundamenten. Ständig entsteht Neues, man braucht sich nur umzuschauen." Dagegen bemerkte das "Bad Lauterberger Tageblatt" (Ausgabe vom 3./4. April 1985, Seite 3): "Der Wiederaufbau Nordhausens begann erst sehr spät und sehr schleppend. Noch immer bildet der alte Stadtkern eine weithin kahle Fläche."<br />
<br />
==== BRD ====<br />
<br />
In der Bundesrepublik wurde das Gedenken von dem Verein [[Nordhäuser Heimatfreunde]] getragen. Die erste gedruckte Ausgabe der Vereinszeitung ''[[Nordhäuser Nachrichten]]'' widmete sich der Zerstörung Nordhausens, und auch in den folgenden Jahren bildete es ein wiederkehrendes Themenfeld mit zahlreichen Erlebnisberichten. Die Rolle des Vereinsvorsitzenden und früheren Nordhäuser NSDAP-Oberbürgermeisters [[Heinz Sting]] zum Gedenken wird kritisch gesehen.<ref name="Winter83">Winter: ''Öffentliche Erinnerungen an den Luftkrieg in Nordhausen 1945 - 2005''. Marburg: Tectum-Verl., 2010. S. 83 ff.</ref> So sei Sting zwar bemüht gewesen, klarzustellen, dass nicht die US-Luftwaffe die Stadt bombardierte, doch zeigte er sich auch bestrebt, die Rolle des Nationalsozialismus zu relativieren.<br />
<br />
Diese historischen Fakten hatte der Journalist [[Manfred Neuber]] schon vor 1965 in US- und britischen Archiven ermittelt und publiziert (''Bad Lauterberger Tageblatt'' um 1964 und am 3./4. April 1985 in „Das Drama von Nordhausen“, in der ''Herzberger Zeitung'' und im späteren ''HarzKurier'' in Herzberg, im ''Göttinger Tageblatt'' sowie Erwähnung in den ''Nordhäuser Nachrichten'').<br />
[[Herbert Meyer]], Oberbürgermeister Nordhausens in den letzten Kriegstagen und später Stadtdirektor in Bad Lauterberg, versicherte Manfred Neuber 1963 in einem Gespräch über dessen Recherchen in Großbritannien und in den USA, die Stadt Nordhausen habe keine Aufforderung der Alliierten erhalten, Nordhausen zur offenen Stadt zu erklären. Eine Entscheidung darüber hätte auch nicht in seiner Kompetenz gelegen: „Ob eine solche Aufforderung an den Kreisleiter Hans Nentwig ergangen ist und ob dieser sich geweigert hat, ihr nachzukommen, weiß ich nicht. Ich möchte es aber bezweifeln“, erklärte Meyer (Originalzitat in den Aufzeichnungen über das Treffen). Der NSDAP-Kreisleiter [[Hans Nentwig]] hatte das Bombardement in seiner Ausweich-Befehlsstelle unbeschadet überstanden. Er lebte in der Nachkriegszeit in Katlenburg. Von der marxistischen Geschichtsschreibung in der DDR wurde ihm wegen „seiner verbrecherischen Durchhalte-Politik“ eine Hauptschuld an der Zerstörung Nordhausens zugeschrieben.<br />
<br />
=== Seit 1990 ===<br />
<br />
Der 50. Jahrestag der Luftangriffe 1995 wurde mit einer Gedenkwoche unter der Losung „Nordhausen 1945: Erinnerung – Trauer – Mahnung“ weitaus größer begangen als die Jahre zuvor. 1993 hatte das Stadtarchiv angekündigt, diverse Maßnahmen einzuleiten, um ein würdiges Gedenken zu gewährleisten. Darunter zählte das Sammeln von Zeitzeugenberichten, realisierte Veranstaltungen und Projekte sowie die Planung einer Publikation zum Thema. Am 30. März 1995 wurde eine Metallplastik auf der oberen Plattform des Petri-Turms enthüllt und einen Tag später eine Ausstellung mit Fotos und Dokumenten eröffnet. Zudem erschien unter der Leitung des Stadtarchivars [[Peter Kuhlbrodt]] das Buch ''[[Schicksalsjahr 1945 – Inferno Nordhausen]]''. In den folgenden Tagen wurde ein ökumenischer Gedenkweg abgehalten, es gab Kranzniederlegungen am Gedenkstein auf dem Hauptfriedhof, dem Ehrenfriedhof und an der Boelcke-Kaserne. Begleitet wurde das Gedenken mit einer umfassenden Berichterstattung in der Presse, die auch überregional wirkte. <br />
<br />
Nach dem Jahr 1995 wurden die Jahrestage der Luftkriegserinnerung weitaus kleiner begangen.<ref name="Winter100"/> Ab Ende der 1990er Jahre erfolgte wieder eine allgemeine Repolitisierung der Luftkriegserinnerung.<ref name="Winter100">Winter: ''Öffentliche Erinnerungen an den Luftkrieg in Nordhausen 1945 - 2005''. Marburg: Tectum-Verl., 2010. S. 100.</ref> Es zeigte sich, dass sich die öffentliche Erinnerung mehr auf gegenwärtige Ereignisse als auf die Jahre des Zweiten Weltkrieges zu beziehen schien; so werden stärkere Bezüge zu außenpolitischen Themen<ref>Winter: ''Öffentliche Erinnerungen an den Luftkrieg in Nordhausen 1945 - 2005''. Marburg: Tectum-Verl., 2010. S. 101.</ref> oder Exkurse zum Rechtsextremismus hergestellt.<ref>[https://www.nnz-online.de/news/news_lang.php?ArtNr=108899 Zum Umgang mit der Bombardierung], nnz-online, 3. April 2012.</ref> Im Vergleich zu DDR-Zeiten wurde das Spektrum der Erinnerungsakteure erweitert, und vor allem die Kirche rückte in den Vordergrund. <br />
<br />
Seit den 2000er Jahren wird der Jahrestag der Luftangriffe mit der üblichen Kranzniederlegung an der Gedenkstele am Rathaus begangen. Seit 2017 werden statt Kränzen weiße Rosen niedergelegt.<ref>[https://www.nnz-online.de/news/news_lang.php?ArtNr=209936 Gedenken an der Stele], nnz-online, 3. April 2018.</ref> Im Gegensatz zu DDR-Zeiten werden Schuldzuweisungen an die Westalliierten weniger offen aggressiv und ideologisch untermauert vorgebracht.<ref>Winter: ''Öffentliche Erinnerungen an den Luftkrieg in Nordhausen 1945 - 2005''. Marburg: Tectum-Verl., 2010. S. 110.</ref><br />
<br />
=== Denkmäler ===<br />
[[File:Denkmal Bombenangriffe Nordhausen - Mai 2015.JPG|200px|thumb|Mahnmal am Alten Rathaus]]<br />
[[File:Gedenkstein Nordhausen.jpg|mini|200px|Gedenkstein am Massengrab für 600 Bombenopfer auf dem [[Zentralfriedhof an der Leimbacher Straße|Alten Friedhof]]]]<br />
* Mahnmal für die Opfer der Bombardierungen vor dem [[Altes Rathaus|Alten Rathaus]]: 1950 wurde ein Gedenkstein und eine Flammenschale am Sockel des früheren [[Lutherdenkmal]]s angebracht. Es trug die Inschrift: „4.4. 1945 - Zerstörung Nordhausens durch amerikanische Bomber - 8800 Opfer klagen an“ (''Amerikanische'' Bomber war falsch). 1969 wurde dieses Denkmal durch eine Säule des Künstlers Jürgen von Woyski ersetzt.<br />
* Auf dem [[Ehrenfriedhof]] westlich des ''Stresemann-Rings'' befindet sich ein 1999 umgestaltetes Denkmal in Erinnerung an die hier in Massengräbern beigesetzten über 1.600 KZ-Häftlinge, zum größten Teil Opfer der Luftangriffe auf die Boelcke-Kaserne am 3. und 4. April 1945. Viele Nordhäuser zivile Bombenopfer und Soldaten wurden auf dem nördlichen Teil des Sonderfriedhofs, des jetzigen Ehrenfriedhofs, oberhalb des Denkmals in Massengräbern beerdigt.<ref>Manfred Schröter: ''Die Zerstörung Nordhausens''. Nordhausen: Meyenburg-Museum, 1988. S. 59</ref><br />
* Auf dem ''Hauptfriedhof'' findet sich ein Denkmal, das die zusammenfassende Inschrift trägt: „Zum Gedenken an die Gefallenen und Vermissten beider Weltkriege, die Toten der Bombenangriffe, die Opfer aller Gewaltherrschaft. Die Bürger der Stadt Nordhausen“. Links seitlich von dem Denkmal, vor dem begrenzenden Zaun, wurde eine größere Anzahl von Bombentoten in Gemeinschaftsgräbern beigesetzt.<ref> Manfred Schröter: ''Die Zerstörung Nordhausens''. Nordhausen: Meyenburg-Museum, 1988. S. 59-60 </ref> Dort stehen noch einige große Kreuze, die wohl darauf hinweisen.<br />
<br />
== Zitate ==<br />
<br />
* „Das Ausmaß des Schreckens, der Verwüstung und des Todes, von dem unsere Stadt an jenen Apriltagen erfasst wurde, macht sie praktisch zu einem Synonym für die japanischen Städte Hiroshima und Nagasaki. Denn vergleicht man auf Airfotos ihre zerstörten Zentren, so lässt sich schwerlich ein gradueller Wirkungsunterschied erkennen.“ – ''[[Walter Geiger]]: [[Nordhausen im Bombenvisier]], S. 154.''<br />
* „Nordhausen wurde am 3. und 4. April 1945 zerstört, weil der ehrgeizige britische Luftmarschall Sir Arthur Harris dem britischen Volk und den Alliierten zeigen wollte, dass sein "Bomber Command" das Handwerk des Tötens von deutschen Menschen perfektioniert hatte. Er löste einen furchtbaren Flächenbrand aus mit den stärksten Mitteln, die ihm zur Verfügung standen. Besonders verwerflich ist, dass er die Bombenziele auf die Nordhäuser Altstadt konzentrierte. Infam ist auch, dass er noch in den letzten Kriegstagen die Altstadt von Nordhausen mit einer nie vorher verwendeten Bomben-Mischung auslöschte. Er handelte trotzig wie ein Kind, dem man das Spielzeug wegnehmen will. Harris wollte sich in letzter Stunde in Nordhausen ein Denkmal aus Leichen und Ruinen setzen.“ – ''[[Jost-Dieter Rudloff]]: Warum wurde Nordhausen eine Woche vor Kriegsende 1945 in Brand gesetzt? Informationen und Überlegungen. In: [[Beiträge zur Geschichte aus Stadt und Kreis Nordhausen (Band 44/2019)]], S. 141.''<br />
<br />
== Literatur ==<br />
*Jost-Dieter Rudloff: ''Warum wurde Nordhausen eine Woche vor Kriegsende 1945 in Brand gesetzt? Informationen und Überlegungen''. In: ''[[Beiträge zur Geschichte aus Stadt und Kreis Nordhausen (Band 44/2019)]]''.<br />
*Harald Rockstuhl (Hrsg.): ''[[Nordhausen – Luftbild-Atlas 1935–1945]]''. Bad Langensalza: Verlag Rockstuhl, 2017. ISBN 978-3959662833<br />
*[[Walter Geiger]]: ''[[Nordhausen im Bombervisier]]''. Nordhausen: Neukirchner, 2000. ISBN 3-929767-43-0<br />
*Olaf Groehler: ''Bombenkrieg gegen Deutschland''. Berlin: Akad.-Verl., 1990. ISBN 3-05-000612-9<br />
*[[Peter Kuhlbrodt]]: ''[[Inferno Nordhausen – Schicksalsjahr 1945]]''. Nordhausen: Archiv der Stadt Nordhausen, 1995. ISBN 3-929767-09-0<br />
*[[Martin Clemens Winter]]: ''[[Öffentliche Erinnerungen an den Luftkrieg in Nordhausen 1945 - 2005]]''. Marburg: Tectum-Verl., 2010. ISBN 9783828822214 <br />
*''Schicksale deutscher Baudenkmale im Zweiten Weltkrieg''. (Bd. 2) Berlin: Henschelverlag Kunst u. Gesellschaft, 1978.<br />
<br />
== Externe Verweise ==<br />
* [https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/1/1f/Nordhausen_concentration_camp_newsreel.webm Filmaufnahmen von der Boelcke-Kaserne (1945)]<br />
<br />
== Einzelnachweise ==<br />
<br />
<references/><br />
<br />
[[Kategorie:Geschichte]]</div>Latimer Rexhttps://nordhausen-wiki.de/index.php?title=Luftangriffe_auf_Nordhausen&diff=15668Luftangriffe auf Nordhausen2020-02-09T16:06:45Z<p>Latimer Rex: /* Situation nach dem Großangriff */</p>
<hr />
<div>[[Datei:Marktkirche Rathaus Nordhausen 1945.jpg|thumb|300px|[[Marktkirche]], [[Altes Rathaus|Rathaus]] und [[Stadthaus]] nach den Luftangriffen]]<br />
Die '''Luftangriffe auf Nordhausen''' am 3. und 4. April 1945 durch Bomber der britischen Royal Air Force zerstörten Dreiviertel der Stadt. Dabei kamen über 8.800 Menschen ums Leben, weitere 20.000 wurden obdachlos. Mit einem Wohnungszerstörungsgrad von 55% (10.000 Wohnungen) gehörte Nordhausen zu den am schwersten zerstörten deutschen Städten; zahlreiche Denkmale von hervorragender Bedeutung, darunter die für Nordhausen charakteristischen Fachwerkbauten des 13. bis 19. Jahrhunderts, wurden vernichtet. Der historische Stadtkern, die Neustadt und die Gebäude um die [[Frauenbergkirche]] wurden fast gänzlich eingeebnet. Erhalten blieben die Gebiete westlich und nördlich der [[Stadtmauer]], [[Barfüßerstraße]], [[Kalte Gasse]], Teile des historischen [[Königshof]]s sowie der Stadtteil [[Altendorf]]. Ein Großteil der stark beschädigten Bauwerke wurde nach dem Zweiten Weltkrieg abgerissen. <br />
Die zerstörerische Gesamtwirkung aller Bomben und Luftminen war von keinem Einzelangriff im Luftkrieg gegen Deutschland auch nur annähernd erreicht worden.<ref>Geiger: ''Nordhausen im Bombenvisier''. S. 150.</ref> Bei der Bombardierung von Nordhausen handelte es sich um die größte Katastrophe in ihrer tausendjährigen Stadtgeschichte. <br />
<br />
== Nordhausen im Krieg ==<br />
Nordhausen hatte vor dem Zweiten Weltkrieg ca. 42.000 Einwohner. Während des Krieges stieg deren Zahl durch Ortsfremde (Luftkriegsevakuierte, Flüchtlinge, ausländische Arbeitskräfte, Verwundete und Kriegsgefangene) Anfang März 1945 auf 65.000 Einwohner.<ref>Peter Kuhlbrodt (Hrsg.): ''Schicksalsjahr 1945. Inferno Nordhausen''. Nordhausen: Archiv der Stadt Nordhausen, 1995. S. 20, 33 </ref> Insbesondere für Evakuierte aus Berlin, Hamburg und Westdeutschland waren Stadt und Kreis Nordhausen als Aufnahmeräume ausgewiesen.<br />
<br />
Der Bau von Luftschutzanlagen begann im Spätsommer 1943. Viele Bunkeranlagen in der Innenstadt blieben unvollendet. Am 29. November 1943 wurde für Nordhausen ein Evakuierungsplan, der Aussiedlungsrichtungen und Aufnahmegebiete festlegte, ausgearbeitet.<ref>Geiger: ''Nordhausen im Bombenvisier''. Nordhausen: Verlag Neukirchner, 2000. S. 65</ref><br />
<br />
{| class="wikitable sortable"<br />
|+ style="padding-bottom:1em" | Bis zum 22. Februar 1945 realisierte Stollenabschnitte<ref>Ullrich Mallis: ''Der Luftschutzstollen am Johanneshof / Neuer Weg. Ein Nordhäuser Baudenkmal'', in: ''[[Nordhäuser Nachrichten. Südharzer Heimatblätter (2/2011)]]'', S. 10.</ref><br />
|- class="hintergrundfarbe6"<br />
! class="unsortable" | Stollenabschnitte !! class="sortable" | Länge !! class="unsortable" | Herstellung !! class="unsortable" | Ausbauart !! class="unsortable" | Bemerkung<br />
|-<br />
| Stollen IA, Mühlhof || style="text-align:right" | 55,00 m<br />
| Okt. 1943 – Febr. 1944 || Beton, 27,5 m nur Holzausbau || Richtung Loge<br />
|-<br />
| Fluko-Bunkerzugang || style="text-align:right" | 2,40 m<br />
| Febr. – März 1944 || Eisenbetongewölbe || IA, > 40 m links<br />
|-<br />
| Kreuz IA-Stummel || style="text-align:right" | 0,50 m<br />
| März 1944 || Eisenbetongewölbe, wie das gesamte Kreuz IA || Drehscheibe<br />
|-<br />
| Stollen IB, Johannishof || style="text-align:right" | 38,50 m<br />
| Nov. 1943 – April 1944 || Beton, 22,5 m mit Firstschienen || noch begehbar<br />
|-<br />
| Stollen von IA nach IB || style="text-align:right" | 66,10 m<br />
| März 1944 – Nov. 1944 || Beton || Durchschlag im Nov. 1944<br />
|-<br />
| Stollen von IB nach IA || style="text-align:right" | 38,25 m<br />
| April 1944 – Nov. 1944 || Beton || Durchschlag im Nov. 1944<br />
|-<br />
| Oststollen, von IA-IB ab || style="text-align:right" | 21,75 m<br />
| Dez. 1944 – Febr. 1945 || Seitenbeton, Art des Firstausbaues nicht benannt || <br />
|-<br />
| Südstollen IC, ab IB || style="text-align:right" | 49,75 m<br />
| April 1944 – Febr. 1945 || || zum Lohmarkt<br />
|-<br />
| class="hintergrundfarbe5" | Gesamt: || style="text-align:right" class="hintergrundfarbe5" | 272,25 m<br />
| class="hintergrundfarbe5" | Okt. 1943 – Febr. 1945 || class="hintergrundfarbe5" | || class="hintergrundfarbe5" |<br />
|}<br />
<br />
<br />
<br />
Als Garnisonstadt hatte Nordhausen keine ältere Tradition. Ab 1935 wurde im Süden die [[Boelcke-Kaserne]] errichtet, mit Unterkünften und Fahrzeughallen; sie diente der Ausbildung von Luftnachrichtensoldaten. Daneben entstanden ein Fliegerhorst als Ausbildungsplatz und zeitweise Flugzeugwerft. Bis März 1945 wurden hier Flugzeuge für den Mistelschlepp ("Huckepack"-Flugzeuge) montiert und Piloten dafür geschult. Sonst diente der Fliegerhorst 1945 noch zum Auftanken von Jagdflugzeugen. In provisorischen Unterkünften in der Stadt gab es die evakuierte "Marineverwaltung West". In der Stadt und ihrer nahen Umgebung existierten viele Lazarette mit insgesamt etwa 1.000 Verwundeten. Die Lazarette und Krankenhäuser trugen weithin sichtbare große Rotkreuz-Symbole auf den Dächern. <br />
<br />
Das [[Mittelwerk GmbH|Mittelwerk Dora]] bei Nordhausen produzierte Anfang April 1945 keine V-Waffen oder andere Rüstungsgüter mehr. Die dort Beschäftigten, unter ihnen Tausende von Häftlingen des KZ Mittelbau-Dora und Zwangsarbeiter, wurden evakuiert. Das Werk oder seine Verkehrsanbindungen waren nie Ziel alliierter Luftangriffe. <br />
<br />
Die frühere [[KZ-Außenlager Boelcke-Kaserne|Boelcke-Kaserne]] wurde seit Herbst 1943 nicht mehr militärisch genutzt. Sie hatte seitdem Tausende von Arbeitern, später auch Flüchtlinge aufgenommen. Seit 8. Januar 1945 existierte ein bald überfülltes Häftlingslazarett in der Anlage.<ref> Manfred Schröter: ''Die Zerstörung Nordhausens''. Nordhausen: Meyenburg-Museum, 1988. S. 6-8 </ref> Im Februar kamen zeitweise 3.500 Häftlinge aus dem KZ Groß-Rosen dazu.<ref> Walter Geiger: ''Nordhausen im Bombervisier''. Nordhausen: Verlag Neukirchner, 2000. S. 258 </ref><br />
<br />
== Erste Angriffe ==<br />
In der Nacht vom 25. August auf den 26. August 1940 griffen zwei britische Bomber vom Typ Handley Page Hampden den [[Flugplatz von Nordhausen]] an und warfen vier Bomben ab.<ref>Geiger: ''Nordhausen im Bombenvisier''. S. 61 f.</ref> Es entstand ein kleiner Brand, der bald gelöscht werden konnte. <br />
<br />
Von 1940 bis 1943 gab es insgesamt 72 öffentliche Luftwarnungen und Fliegerarlarme für Nordhausen. Als sich die alliierten Luftangriffe im Jahr 1944 auf die im Hinterland gelegenen deutschen Städte intensivierten, wurde Nordhausen verstärkt Überflugsort alliierter Bomberverbände, etwa wenn sie Berlin, Dessau oder Leipzig anflogen. Im März 1945 erreichten die durchschnittlich fünf bis sechs Luftalarme ihren Höhepunkt.<ref>Geiger: ''Nordhausen im Bombenvisier''. S. 98 f.</ref> <br />
<br />
Am 12. April 1944 flogen während der Mittagszeit zwei aus südlicher Richtung kommende amerikanische Jäger die Stadt an und töteten zwei Menschen, zwei Personen wurden schwer verletzt.<ref>Geiger: ''Nordhausen im Bombenvisier''. S. S 221 f.</ref> <br />
<br />
[[Datei:Luftangriffe Nordhausen Traueranzeige.jpeg|thumb|Traueranzeige vom 26. Februar 1945]]<br />
<br />
Am 22. Februar 1945 griffen gegen 12:30 Uhr US-amerikanische Bomber den Verschiebebahnhof an, trafen jedoch die Unterstadt, einige Anlagen des Industriegebietes und die vormalige Fernmeldeschule der Luftwaffe in der [[Boelcke-Kaserne]]. Insgesamt fielen 296 Mehrzweckbomben und töteten 40 Menschen. Im ''[[Südharzer Kurier]]'' erschien am 26. Februar eine Todesanzeige für die „Gefallenen des Terrorangriffs“ mit der Ankündigung zur Beisetzung. <br />
<br />
Am 28. Februar 1945 warfen drei amerikanische Maschinen 2,5 Tonnen Sprengbomben auf die Stadt ab. <br />
<br />
Am 1. April 1945 wurden das Auto-Hotel Hesse durch Bomben getroffen und zahlreiche Menschen getötet.<br />
<br />
== Großangriffe im April 1945 ==<br />
[[File:Avro Lancaster Mk 1 ExCC.jpg|thumb|Langstreckenbomber vom Typ ''Avro Lancaster'', wie sie bei der Bombardierung von Nordhausen zum Einsatz kamen.]]<br />
[[File:Mosquito 600pix.jpg|thumb|Zielmarkierer ''De Havilland Mosquito'' (1944)]]<br />
Am 3. April 1945 starteten gegen 13 Uhr die englischen Bomberverbände und erreichten Nordhausen um 16 Uhr. Die 247 Avro-Lancaster-Bomber (Tragfähigkeit je 6 Tonnen Bombenlast) und 9 Mosquito-Mehrzweckflugzeuge warfen in 20 Minuten ca. 1.216 Tonnen Sprengbomben ab und trafen vor allem die Außenbezirke von Nordhausen.<ref>Groehler: ''Bombenkrieg gegen Deutschland'', S. 422.</ref> Im Stadtinnern fielen Bomben um die [[Neustadt-Kirche]] und [[Neustadtstraße]]. In den umliegenden Wäldern und Ortschaften [[Sundhausen]], [[Bielen]], [[Himmelgarten]], [[Leimbach]] und [[Krimderode]] fielen schwere Bomben und Luftminen. Getroffen wurde auch die mit kranken Häftlingen überbelegte [[Boelcke-Kaserne]], wo allein in einer mit Tuberkulose-Kranken belegten Flugzeughalle 450 Menschen den Tod gefunden haben sollen.<ref>Wagner: ''Produktion des Todes.'' S. 280</ref> Die Stadt ohne Strom und Leitungswasser. Die Verletzten wurden gesammelt und nach [[Neustadt/Harz|Neustadt]] und [[Sülzhayn]] gebracht, die Ausgebombten erhielten Notquartiere in der Stadt selbst und ihrer Umgebung. Viele Nordhäuser flüchteten aus der Stadt. Zwei Stollen der unterirdischen Anlagen von Mittelbau Dora im Kohnstein nahmen bereits am 3. April Geflüchtete auf, später wurden es 10.000. Das Stadtkrankenhaus war beschädigt, die Patienten wurden in Notkrankenhäuser in das benachbarte [[Petersdorf]] gebracht, vor allem in das Ausflugsrestaurant Harzrigi.<ref> Manfred Schröter: ''Die Zerstörung Nordhausens''. Nordhausen: Meyenburg-Museum, 1988. S. 22, 23 </ref> Bomben fielen auch auf mehrere benachbarte Dörfer und deren Flur, besonders betroffen war Bielen. Zwei Bomber gingen beim Hin- und Rückflug verloren. Der erste Angriff erzielte die gewünschte Wirkung jedoch nicht. Der Angriff am 3. April war aus Sicht der RAF ein Misserfolg.<!-- (Quelle?) --> Viele Einwohner zogen am Abend des 3. April zum nahen [[Kohnstein]], wo die mittlerweile fast verlassenen Stollen des Mittelwerks Schutz boten.<br />
<br />
{{Zitat|Die Stadt ist schwer getroffen, aber sie ist noch eine organisierte Gemeinschaft… Gegenseitige und Nachbarschaftshilfe wird geleistet. Die Stadtverwaltung und die Luftschutzleitung setzen ihre Kräfte ein. Rotes Kreuz und die Krankentransporte kommen an die Schwerpunkte. Man leitet die Evakuierung des beschädigten Krankenhauses ein. Die Verletzten des Angriffs werden geborgen, abtransportiert, in den Gaststätten Parkhaus und Kurhaus gesammelt und schließlich nach Neustadt und Sülzhayn weiterbefördert. Die Feuerwehr bekämpft die wenigen Brandherde.|[[Manfred Schröter]]: ''[[Die Zerstörung Nordhausens und das Kriegsende im Kreis Grafschaft Hohenstein 1945]]''}}<br />
<br />
Am 4. April gegen 9 Uhr begann der zweite Großangriff der RAF. Der Verband kam über Gotha, Bad Langensalza und Schlotheim. Für 93 Bomber wurde die Boelcke-Kaserne als Angriffsziel befohlen, die anderen 150 hatten das Stadtzentrum anzugreifen.<ref>Geiger: ''Nordhausen im Bombenvisier''. S. 146 f.</ref> Zwei Bomber mussten frühzeitig zurückkehren, und zehn weitere hatten ihren militärischen Auftrag verfehlt, so dass von den 243 Flugzeugen 231 am Luftschlag teilnahmen. Ein Bomber explodierte über der Stadt. Die örtliche Feuerwehr war, soweit noch vorhanden, von der Lage völlig überfordert. Unter der überlebenden Bevölkerung herrschte Panik, viele verließen fluchtartig zu Zehntausenden das Inferno der Stadt in Richtung Kohnstein. Auch außerhalb von Nordhausen wurde sie von Jagdbombern beschossen.<ref> Manfred Schröter: ''Die Zerstörung Nordhausens''. Nordhausen: Meyenburg-Museum, 1988. S. 26 </ref> Am Abend und in der Nacht war die Stadt ein weithin leuchtendes Flammenmeer.<ref> Peter Kuhlbrodt: ''Schicksalsjahr 1945. Inferno Nordhausen''. Nordhausen 1995. S. 23 </ref> In der Mitte davon leuchtete der Kirchturm von St. Petri als riesige Fackel, die gegen Mitternacht zusammenbrach und auf das Kirchenschiff stürzte. RAF-Piloten, die von einem Einsatz bei Merseburg zurückflogen, berichteten um 23.00 Uhr von „good fires at Nordhausen“.<ref> Walter Geiger: ''Nordhausen im Bombervisier''. Nordhausen, 2000. S. 180 f.</ref> <br />
Der gebürtige Nordhäuser Schriftsteller [[Rudolf Hagelstange]] schrieb in seiner deutschen Familienchronik (Band 2: „Der Niedergang“, Seite 254) über die Feuersbrunst in seiner Heimatstadt: „Und die Hitze war so groß, dass in den meisten Straßen, sofern sie nicht gepflastert waren, der Asphalt geschmolzen war, dass Flüchtende da und dort in ihn eingesunken waren, einige unlöslich und damit zum Flammentod verurteilt.“<br />
<br />
=== Opfer ===<br />
[[Datei:Einwohnerentwicklung von Nordhausen ab 1800.svg|thumb|Einwohnerzahl von Nordhausen ab 1800. Deutlich sichtbar der Höhepunkt 1945]]<br />
Bei den Großangriffen im April 1945 kamen ca. 8.800 Menschen ums Leben. Diese Zahl geht auf Schätzungen vom Februar 1948 zurück.<ref name="Kuhlbrodt125">Kuhlbrodt: ''Inferno Nordhausen''. S. 125 f.</ref> Vor dem Abgriff befanden sich rund 65.000 Personen in der Stadt (42.000 ständige Bevölkerung, Militärpersonen, Gefangene, ausländische Arbeiter, Spezialarbeiter der Kriegsindustrie, Evakuierte). Der Antifa-Ausschuss von Nordhausen schätzte am 17. Juni 1945, dass über 10.000 Menschen bei den Bombenangriffen ums Leben gekommen seien.<ref> Peter Kuhlbrodt: ''Schicksalsjahr 1945. Inferno Nordhausen''. Nordhausen 1995. S. 115 </ref><br />
<br />
In den ersten Tagennach dem Einmarsch der Amerikaner ließ der US-Stadtkommandant in den Straßen liegende Leichen auf den Sonderfriedhof am Schlageter-Ring bringen. Andere wurden an Ort und Stelle in Bombentrichtern beerdigt. Eine beträchtliche Zahl ziviler Opfer und deutscher Soldaten wurde dann in dem höher gelegenen Teil des heutigen Ehrenfriedhofs in Massengräbern beigesetzt, unweit der getöteten Häftlinge aus der Boelcke-Kaserne. Für die später gefundenen Opfer ohne Anhang wurden Massengräber im vorderen Teil des Alten Hauptfriedhofs in der Leimbacher Straße angelegt. Heute steht an dieser Stelle ein Wohnblock. Auf dem Neuen Hauptfriedhof am Ring sind in den ersten Wochen und Monaten 920 Bombenopfer beerdigt worden.<br />
<br />
{| class="wikitable"<br />
|-<br />
| Verluste der ständigen Bevölkerung || 6.000<br />
|-<br />
| Verluste der nicht ständigen Bevölkerung || 1.500<br />
|-<br />
| Verluste der Häftlinge der Boelcke-Kaserne || 1.300<br />
|-<br />
| zusammen || 8.800<br />
|-<br />
|} <br />
<br />
==== Persönlichkeiten ====<br />
* [[Paul Urban]] (geb. 1892), KPD-Stadtrat<br />
<br />
=== Schäden und Totalverluste ===<br />
<br />
Der Zerstörungsgrad der Stadt wurde mit 74 Prozent errechnet. Die Gesamtfläche des zerstörten Gebietes betrug 810.000 Quadratmeter.<br />
Monate später, als die Opfer beigesetzt sind und die Überlebenden notdürftige Behausungen errichtet haben, ist diese Bilanz des Grauens zu ziehen: von 4.588 Gebäuden in der Stadt Nordhausen bleiben nur 971 unbeschädigt, von 13.075 Wohnungen sind 6.187 völlig und 4.575 teilweise zerstört. Das Stadtzentrum ist ausgelöscht. Von einmal 377 Einzelhandelsgeschäften sind kaum hundert übrig. Sieben Schulen und drei Kinos wurden zerstört, 411 der vordem 685 Handwerksbetriebe sind total- oder teilzerstört, ebenso die Mehrzahl der 109 großen Betriebe der Nahrungs- und Genußmittelindustrie (Nordhäuser Korn und Kautabak).<br />
<br />
==== Kirchen ====<br />
<br />
[[Datei:Petri-Kirche Außenansicht.JPG|thumb|[[St.-Petri-Kirche]]]]<br />
*[[St.-Jakobi-Kirche]]: Am 3. April erheblich durch Bomben zerstört. Reste des Schiffes abgetragen, Turmruine zu DDR-Zeiten beseitigt.<br />
*[[Marktkirche]]: Am 3. April weitgehend zerstört. Ruinenreste abgetragen.<br />
*[[St.-Petri-Kirche]]: Am 3. April bis auf Turm und Chor zerstört, zahlreiche Menschen finden in der Kirche den Tod. Der Turm erhielt 1954 ein Notdach, die übrigen Ruinenteile wurden beseitigt. 1987 wurde ein neuer Turmhelm gesetzt.<br />
* [[St.-Blasii-Kiche]]: Dach und Mauerwerk am 4. April durch Bombentreffer erheblich beschädigt [[Cranachgemälde]] im Auslagerungskeller verbrannt. Bis 1949 Wiederherstellung des Daches, Ausbesserung Mauerwerk, Erneuerung des Inneren.<br />
*[[Nordhäuser Dom]]: Am 4. April schwere Schäden durch Brandzerstörung des Steildaches über der Halle und Vernichtung der Fenster. Noch 1945 Fertigstellung Notdach und Beseitigung der Folgeschäden. 1965 Wiederherstellung des Steildaches in ursprünglicher Form.<br />
*[[Frauenbergkirche]]: Am 4. April durch Bomben schwer zerstört. Erhalten blieben Umfassungsmauern der Chor mit Apside, die Nebenchöre und das Querschiff, vom Langhaus nur Reste des ersten Joches sowie des Westportals. Von 1953 bis 1955 folgten Enttrümmerung und Sicherungsarbeiten.<br />
*[[Frauenbergkloster]]: Am 4. April durch Bombentreffer total zerstört. Gebäudereste wurden nach 1945 entfernt.<br />
<br />
==== Öffentliche Bauten ====<br />
*[[Rathaus]]: Am 4. April bis auf die Umfassungsmauern zerstört, Turm ausgebrannt. Ab 1951 Trümmer entfernt und Wiederaufbau bis 1952, dabei wurden die Erdgeschoßarkaden und das Innere neu gestaltet. Zum ebenfalls schwer zerstörten [[Stadthaus]] wurde der Verbindungsgang wiederaufgebaut, der [[Roland]] restauriert.<br />
*[[Stadtmauer]]: Es entstanden Schäden an der Stadtmauer, wobei besonders die teilweise genutzten Türme und Wiechhäuser betroffen wurden. Nach dem Krieg wurden Ruinen abgetragen und Sicherungsarbeiten durchgeführt. Zur Landesgartenschau 2004 erfolgten umfangreiche Sanierungsarbeiten, besonders um den [[Petersberg]]. <br />
*[[Theatergebäude]]:<br />
<br />
==== Fachwerkbauten ====<br />
[[Datei:Nordhäuser Roland 1945.jpg|thumb|Das ausgebrannte Rathaus mit dem [[Nordhäuser Roland|Roland]], der die Angriffe wie durch ein Wunder überstand]]<br />
[[Datei:Riesenhaus, Riese, Postkarte.jpg|thumb|Postkarte vom [[Riesenhaus]] am Holzmarkt (Lutherplatz) mit dem [[Nordhäuser Riese]]n.]]<br />
Bedeutende Fachwerkhäuser, die zerstört wurden (lt. dem Denkmalpfleger Rudolf<br />
Zießler):<br />
<br />
*[[Bäckerstraße]] 22: Mitte des 18. Jahrhunderts errichteter dreigeschossiger, neunachsiger, verputzter Fachwerkbau mit massivem Erdgeschoß, Satteldach und Zwerhaus. Stichbogenfenster mit einfacher profilierter Rahmung in Dreiergruppen. Betonung der Mittelachse durch ein von Pilastern flankiertes Portal mit gesprengtem Giebel, darauf ruhende Frauen und Wappen sowie durch einen auf Konsolen sitzenden Balkon mit schmiedeeisernem Gitter.<br />
*[[Blasiistraße]] 15: Alte Schule. Errichtet um 1700 als dreigeschossiger stattlicher Fachwerkbau mit hohem Satteldach. Unregelmäßige Fenstergruppierung (im ersten Obergeschoß dreizehn Achsen). Fachwerk mit halben Männern. Obergeschoß vorkragend mit Balkenköpfen und gekehlten Füllhölzern.<br />
*Blasiistraße 21: Bedeutendstes Renaissance-Fachwerkhaus Nordhausens von etwa 1550. Dreigeschossig mit zehn Fensterachsen in unregelmäßiger Gruppierung, Geschosse stark vorkragend. Reich ausgebildetes Schmuckfachwerk mit Balkonköpfen, Knaggen, Füllhölzern und Schiffskehlen. Haupteingang mit kräftigen Gewämdepfosten und halben Sonnen um 1700.<br />
*[[Hagenstraße]] 4: Um 1800 errichtet als zweigeschossiger, verschieferter Fachwerkbau mit zehn Fensterachsen. Eckpilaster, ebensolche toskanische Holzpilaster flankieren die vier Mittelachsen und nehmen einen verschieferten Dreieckgiebel auf. Stichbogenfenster mit einfacher Rahmung und Schlußsteinbetonung.<br />
*Hagenstraße: Ilfelder Hof, ehem. Klosterhof, seit dem ersten Viertel des 18. Jahrhunderts Kurhannoversche Postverwaltung, seit 1853 in Privatbesitz. 1277 angelegt, später erweitert, im 17. Jahrhundert Neubau auf erweitertem Grundriss mit massivem Erdgeschoß und zwei Fachwerkobergeschossen, verschiefert.<br />
*[[Holzmarkt]] (Lutherplatz): „Riesenhaus“. 1375 erstmals erwähntes Patrizierhaus mit massivem Erdgeschoss, zwei Fachwerkobergeschossen und Satteldach. Nach Brand von 1710 im Fachwerk erneuert. Fassade gegliedert durch zwölf Fensterachsen, jeweils in Dreiergruppen angeordnet. Fachwerkkonstruktion mit Wilden Männern. Mittelgiebel mit einem Mann in Ritterrüstung ([[Nordhäuser Riese]]), der eine Lanze hält. 1805 Einrichtung einer Gaststätte, Verputz des Fachwerks und klassizistische Fassadengestaltung. 1927 Endrestaurierung und Wiederherstellung des Fachwerks.<br />
*Jakobikirchplatz 4: Lateinschule. Zweigeschossiger Fachwerkbau von 1493 mit Satteldach. Ständer- und Riegelbau. Vorkragendes Obergeschoß über geschwungene Knaggen. Durchlaufender Fensterbrustriegel.<br />
*Jakobikirchplatz: Pfarrhaus. 1687 errichteter zweigeschossiger Fachwerkbau mit Krüppelwalmdach. Fenstergruppierung unregelmäßig. Stiele und Brustriegel durch Wilde Männer verstärkt. Geringe Auskragung, Balkonköpfe und Schwelle mit einfacheren Profilen. Gefache mit Ziegeln in Mustern ausgemauert. Oberdeutsch beeinflusstes Fachwerk.<br />
*[[Königshof]] 14: Dreigeschossiger Fachwerkbau mit oberdeutschen Stilelementen, ganze und halbe Männer. Um 1780 Verkleidung der Fenster mit Rokokogirlanden.<br />
*[[Krämerstraße]] 11: Verschieferter, zweigeschossiger, fünfachsiger Fachwerkbau mit spätbarockem Volutengiebel. Stichbogenfenster mit Rahmenverkleidung. Erdgeschoss durch Ladeneinbauten verändert.<br />
*Krämerstraße 15: Um 1700 errichteter schmaler dreigeschossiger Fachwerkbau in oberdeutschem Stil mit halben Männern an den Ecken. Balkonköpfe und Füllhölzer mit einheitlichem Profil. Satteldach mit Zwerchhaus.<br />
*[[Lohmarkt]] 2, 4, 20, 21: Nach 1686 errichtete Gerberhäuser. Zwei- bzw. dreigeschossige Fachwerkgebäude im gleichen oberdeutschen Baustil wie Pfarrhaus Jakobikirchplatz. Besonders reich ausgebildet der Türstock mit Renaissanceformen und Inschrift. Satteldächer mit Zwerchhäsern (Ladeluken).<br />
*[[Neustadtstraße]] 27: Zweigeschossiger, elfachsiger Fachwerkbau aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts mit Satteldach. An den Fenstern Rokokoverkleidung.<br />
*Neustadtstraße 35: Zweigeschossiger, achtachsiger Fachwerkbau aus der Mitte des 18. Jahrhunderts auf Sandsteinsockel. Türen und Fenster in Stichbogen mit geschnitzter Rokokoverkleidung.<br />
*Neustadtstraße 47: Dreigeschossiger Fachwerkbau der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts mit Krüppelwalmdach. Rokokofensterbekleidungen handwerklich vereinfacht.<br />
*[[Pferdemarkt]] 17: Dreigeschossiger Fachwerkbau von etwa 1550, niederdeutsch beeinflusst. Auskragung des Obergeschosses mit Balkonköpfen, Knaggen und Füllhölzern. Erdgeschoß baulich verändert.<br />
*[[Sandstraße]] 3, 21, 23, 28: Diese Häuser hinsichtlich der Entstehungszeit und der architektonischen Ausbildung denen der Neustadtstraße entsprechend.<br />
<br />
==== Situation nach dem Großangriff ====<br />
[[Datei:Boelcke-Kaserne-Tote HäftlingeA.jpg|thumb|Einwohner Nordhausens tragen am 12. April 1945 unter Bewachung von Angehörigen der US-Armee tote Häftlinge aus der Boelcke-Kaserne und legen sie davor ab]]<br />
[[File:Nordhausen um 1930.jpeg|thumb|Der Stadtteil [[Altendorf]] blieb weitgehend unzerstört (Luftaufnahme um 1930)]]<br />
Das britische Bomber Command berichtete als Ergebnis der beiden Großangriffe, dass „die Stadt fast vollständig zerstört wurde, inbegriffen die Kasernenblöcke.“<ref> Walter Geiger: ''Nordhausen im Bombervisier''. Nordhausen: Neukirchner, 2000. S. 154 </ref> <br />
Die Situation für die Bevölkerung nach den Angriffen kann nur mit dem Begriff „Inferno“ beschrieben werden. Das Stadtzentrum konnte tagelang nicht betreten werden. Es wüteten noch zahlreiche Brände<ref> Peter Kulhlbrodt: ''Schicksalsjahr 1945. Inferno Nordhausen''. Nordhausen 1995. S. 24</ref>, die Schutthaufen strahlten unerträgliche Hitze aus. Bomben mit Zeitzündern gingen hoch. Über den Trümmerfeldern lag bald Leichengeruch, besonders im Bereich der Boelcke-Kaserne. In den Nächten des 6. und 7. April wurden die Kranken und Verwundeten aus Nordhausen und Umgebung durch alle verfügbaren Fahrzeuge, besonders mit Pferde-Gespannen, in den Kohnstein in Sicherheit gebracht. Die Nordhäuser Bevölkerung verteilte sich nach Schätzungen am 7. April wie folgt: 6.000 (8.800) Opfer tot unter den Trümmern, 6.000 Überlebende noch in der Stadt, 10.000 im Kohnstein und 20.000 in den umliegenden Dörfern, besonders nordöstlich der Stadt.<ref> Manfred Schröter: ''Die Zerstörung Nordhausens''. Nordhausen: Meyenburg-Museum, 1988. S. 30 </ref> Am 8. April flogen 6 Jagdbomber noch einen Tagesangriff nach Zielmarkierung auf Nordhausen, parallel zu dem Bombardement auf [[Sondershausen]]. Am 10. April näherten sich US-Panzer aus Richtung [[Hain (Kleinfurra)|Hain]] dem Süden der Stadt und nahmen ihn unter Feuer, darunter die Trümmer der Boelcke-Kaserne.<ref> Manfred Schröter: ''Die Zerstörung Nordhausens''. Nordhausen: Meyenburg-Museum, 1988. S. 37 </ref><br />
Die britischen Bomber-Staffeln stießen bei den Angriffen an beiden Tagen auf keinerlei deutsche Luftabwehr. »Null« lauten jeweils die Eintragungen in den Rubriken »Flak« und »Einsatz von Jagdflugzeugen«. Am 8. April nahmen alliierte Flugzeuge »Aufnahmen von exzellenter Qualität« vom zerstörten Nordhausen auf. In dem angefügten Bericht heißt es: »Das Herz von Nordhausen wurde durch die beiden Angriffe verwüstet, und zwar von den nordwestlichen Außenbezirken über das Stadtzentrum bis hin zum Flugplatz und den Kasernen der Luftwaffe am Helme-Fluss im Südosten. Im militärischen Bereich wurden nahezu alle Gebäude schwer getroffen und völlig oder teilweise zerstört. Schwerer Schaden entstand am Flugkontrollturm, dem Wachraum und einem großen Hangar am Nordrand des Flugfeldes. Nahe der Bahnanlagen wurden Industriebetriebe und das Gaswerk getroffen, wobei drei Gasometer zerstört wurden.«<ref>''Bad Lauterberger Tageblatt'', 3./4.April 1985</ref><br />
<br />
== Nachwirkungen ==<br />
Insgesamt waren vom britischen Bomber Command 2.386 Tonnen und von der 8. US Air Force 296 Tonnen Bombenlast auf Nordhausen abgeworfen worden.<ref> Olaf Groehler: ''Bombenkrieg gegen Deutschland''. Berlin: Akademie-Verlag, 1990. S. 449 </ref><br />
Eine der am längsten nachwirkenden Folgen der Luftangriffe für die Bürger der Stadt blieben Hunderte von Blindgängern aller Kaliber: zwischen den Trümmern der Stadt und im Erdreich der Straßen, Gärten und Felder. In den ersten Jahren machten sich die Feuerwerker Jochen Nebel und Albin Diebler sehr verdient um die Entschärfung gefundener Bomben, ab 1962 der - deshalb zum Ehrenbürger ernannte - Helmut Zinke. Im Stadtgebiet wurden 1948 bis 1953 etwa 100 Bomben entschärft, dann 248 Blindgänger von 1954 bis 1999 entzündet und geräumt.<ref>Walter Geiger: ''Nordhausen im Bombervisier''. Nordhausen, 2000. S. 263-264 </ref> <br />
<br />
Noch 2014 gilt eine Verordnung in Nordhausen, nach der jeder Bürger, der bauen will, sicherstellen muss, dass unter seinem Grund und Boden kein Gefahrgut liegt.<ref>Katja Dörn: ''Die Gefahr rostet im Thüringer Boden''. Thüringische Landeszeitung, 12. Dezember 2014 </ref><br />
<br />
Auswahl weiterer Funde von Blindgängern:<br />
* 1996: 250-Kilogramm-Blindgänger wird gesprengt<br />
* 2008: 227-Kilogramm-Bombe in der Altstadt<br />
* 2010: Fünf-Zentner-Bombe am [[Taschenberg]] entdeckt, 4.500 Menschen wurden evakuiert, Bombe konnte nicht entschärft werden<br />
* Juni 2016: Kontrollierte Sprengung einer 800-Kilogramm-Bombe, Leimbach und Steigerthal mussten geräumt werden (1.080 Einwohner) <br />
* Dezember 2016: Fünf-Zentner-Bombe am [[Strohmühlenweg]], ca. 1000 Einwohner, so auch die Hochschule Nordhausen, wurden evakuiert<br />
* September 2017: Bombe auf einem Feld in der [[Windlücke]], ca. 3000 Einwohner evakuiert, Bombe entschärft<ref>https://www.nnz-online.de/news/news_lang.php?ArtNr=219719</ref><br />
* Oktober 2018: Bombe in der Windlücke, ca. 3000 Einwohner evakuiert, Bombe entschärft<ref>https://www.nnz-online.de/news/news_lang.php?ArtNr=243515</ref><br />
* November 2018: Bombe in Bielen, 1.1000 Einwohner wurden evakuiert (Sperrzone 1 Kilometer), Bombe entschärft<br />
* August 2019: 225-Kilogramm-Bombe an der [[Zorge]], 2.500 Einwohner wurden evakuiert (Sperrzone 500 Meter), Bombe entschärft und Zünder gesprengt<br />
* November 2019: 225-Kilogramm-Bombe am [[Stadttheater]], ca. 15.000 Einwohner wurden evakuiert (Sperrzone 1 Kilometer), Bombe entschärft und Säurezünder gesprengt. Es war die größte Evakuierungsaktion in Nordhausen nach dem Zweiten Weltkrieg.<ref>MDR, 8. November 2019</ref><br />
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== Rezeption ==<br />
[[Datei:Nordhausen mahnt 1949.jpg|thumb|200px|Werbeplakat zur Ausstellung „[[Nordhausen mahnt - Ausstellung vom 6. bis 27. März 1949|Nordhausen mahnt]]“ im März 1949]]<br />
Luftangriffe waren im Zweiten Weltkrieg für alle Kriegsparteien zum entschiedenen strategischen Kriegskonzept geworden. Die Westalliierten glaubten durch die planmäßige und massive Zerstörung deutscher Städte, vor allem der Wohngebiete der Industriearbeiter, die Moral und den Widerstandswillen der Bevölkerung zu brechen und den Krieg schneller beenden zu können.<ref>Johannes Volker Wagner: ''Bomben auf Bochum''. S. 3.</ref> Im Januar 1943 einigten sich Großbritannien und die Vereinigten Staaten in Casablanca auf die Forderung nach bedingungsloser Kapitulation des Deutschen Reiches und auf eine weitere Verschärfung des Bombenkrieges. Zu dieser Zeit war die deutsche Luftabwehr längst nicht mehr in der Lage, das Reichsgebiet zu verteidigen. Die Alliierten erreichten ihr Ziel der Demoralisierung jedoch nicht, und viele Deutsche klammerten sich in Verzweiflung an die Hoffnung auf einen „Endsieg“.<br />
<br />
<!-- Auszug aus „Winston Churchill“. Der späte Held, eine Biographie von Thomas Kielinger, erschienen im Verlag C.H. Beck, Kapitel XY, Seite 301 ff.: Nach dem Kriege stand eine andere Verantwortung Churchills im Vordergrund – „für die Vernichtung von nahezu 60 der größten Städte Deutschlands“. „Mit dem Untergang Dresdens sind auch nachdenkliche Briten bis heute nicht fertig. Die Zweifel, ob die Zerstörung dieser und anderer Städte so kurz vor dem nahen Kriegsende zu rechtfertigen war, haben sich längst zu dem Urteil verdichtet: Sie war es nicht! ... Hilft es zur Erklärung darauf hinzuweisen, dass in der Schlussphase des Krieges deutsche V1- und V2-Waffen weiterhin Zerstörung auf Antwerpen, Paris und London regnen ließen? Eine V2 schlug noch am 27. März 1945 im Osten Londons ein und tötete 134 Menschen. Die britische öffentliche Meinung hätte es nicht verstanden, wenn die mili-tärische Führung auf Schonung des Gegners geschaltet hätte, wo dieser bis zum Ende Vernichtung spie.“<br />
<br />
„Aber die alte Frage bleibt, die Lothar Kettenacker 2003 in dem Sammelband „Ein Volk von Opfern?“ noch einmal stellte – „ob der Zweck die Mittel heiligt, ob die Beseitigung einer unheilvollen Diktatur die rücksichtslose Bombardierung der Bevölkerung rechtfertigt. Unbehagen äußerte Churchill selbst schon 1943, als ihm Bilder von den Auswirkungen der Bomben in Deutschland vorgelegt wurden ...“ Der Australier Ricard Casey, der an den Sitzungen des britischen Kriegsrates ... teilnahm, schrieb am 27. Juni 1943 in sein Tagebuch: „Es wird ein Film gezeigt über das nächtliche Bombardement einer deutschen Stadt, und plötzlich richtet sich Churchill steil in seinem Sessel auf und sagt zur mir: ‚Sind wir Bestien? Gehen wir nicht zu weit? <br />
<br />
Churchills Meinungen zum Bombenkrieg gegen Deutschland schwankten. Nach der Zerstörung Dresdens begegnet man bei ihm, spät, einer eindeutigen Ablehnung, so in dem berühmten Memorandum vom 28. März 1945:‚Der Moment scheint mir gekommen, wo die Frage der Bombardierung deutscher Städte zum Zwecke der Erhöhung des ''''terrors'''' (in Englisch mit der Bedeutung von Angst und Schrecken) auch wenn wir andere Vorwände nennen, überprüft werden sollte... Es ist nötig, dass wir uns mehr auf militärische Ziele konzentrieren wie Öllager und Kommunikationszentren hinter der unmittelbaren Kampfzone, statt auf Akte des reinen terrors und der mutwilligen Zerstörung’.“<br />
„Nicht umsonst nannte man Harris auch den ‚butcher’, den Metzger. . . Schon Max Hastings (stockkonservativer Historiker) nannte in seinem Klassiker von 1979 ‚Bomber Command’ die Auslöschung deutscher Städte noch im Frühjahr 1945 ‚einen bleibenden Schandfleck’,“ soweit Kielinger. Nach Kriegsende zog sich Harris verbittert nach Südafrika zurück, weil er sich nicht gebührend geehrt vorkam. Luftangriffe hatte Harris als „relativ humane Methode“ bezeichnet. Butcher wurde er nicht wegen der zivilen Bombenopfer in Deutschland genannt, sondern weil 55 000 Angehörige des Bomber Command vom Feindflug nicht heimkehrten – jeder zweite Pilot und Bordschütze. --><br />
<br />
Im März 1945 hatte sich das Angriffstempo der US-Streitmacht im Vergleich zu den Vormonaten verlangsamt.<ref name="Gewiger158">Geiger: ''Nordhausen im Bombenvisier''. S. 158 f.</ref> Um dennoch den Stoß in das Zentrum Deutschlands als strategisches Ziel zügig fortzuführen, waren die Westalliierten zum Einsatz aller Mittel entschlossen, auch in Anbetracht eventuell noch bevorstehender Kämpfe und Widerstand im Südharz. Die Stadt Nordhausen erhielt daher militärische Bedeutsamkeit für die 1. US-Armee, auch wegen des Verschiebebahnhofs für Truppenbewegungen. Der unterirdische Rüstungsbetrieb im [[Kohnstein]] und das [[Konzentrationslager Dora Mittelbau]] wurden dagegen nie zum Ziel von Luftangriffen. <br />
<br />
Nordhausen und Umgebung wurden Ende 1944 von britischen Fernaufklärern nachts unter tagheller Beleuchtung durch Magnesiumbomben sorgfältig aus der Luft fotografiert.<ref>Manfred Schröter: ''Die Zerstörung Nordhausens''. Nordhausen 1988, S. 55</ref> Die Bombardierung von Nordhausen wurde am 2. April 1945 vom Alliierten Oberkommando (SHAEF) befohlen.<ref name="Gewiger158"/> Gefordert wurde ein Angriff zur Unterstützung der 1. US-Armee mit Priorität zur frühestmöglichen Gelegenheit. Einige Tage zuvor wurde vom SHAEF die Zerstörung durch die RAF beschlossen.<ref>Manfred Schröter: ''Die Zerstörung Nordhausens''. Meyenburg-Museum Nordhausen, 1988, S. 54–55</ref><br />
<br />
Dieses, geführt von Luftmarschall Arthur Harris, erteilte am 2. April den unmittelbaren Befehl für einen Doppelschlag an zwei Tagen.<ref>Walter Geiger: ''Nordhausen im Bombervisier''. Nordhausen 2000, S. 108–109</ref> Der Zweck der RAF-Angriffe im April 1945 bestand darin, den Weg für einen ungehinderten Vormarsch von der im Südharzer Raum erwarteten Gegenwehr freizumachen. 3.466 britische Soldaten sollten als fliegendes Personal an den Angriffen teilnehmen. Ihnen wurde als Ziel des Angriffs erklärt: „To kill military and Nazi personnel evacuated from Berlin to these barracks“ (gemeint das Areal der Boelcke-Kaserne und die Stadt Nordhausen).<ref>Geiger: ''Nordhausen im Bombenvisier''. S. 121 </ref><br />
<br />
<!-- Bitte Quelle angeben!(Wie aus dem Text eindeutig hervorgeht: Der genannte Journalist und Gesprächspartner Dr. Meyers!) Der gebürtige Nordhäuser [[Manfred Neuber]], als Journalist von 1960 bis 1963 in London und New York, recherchierte als erster bei der Royal Air Force und der US Air Force über die Luftangriffe auf Nordhausen. Aus den detaillierten Angaben ging hervor, dass allein Bomber der Royal Air Force Nordhausen angegriffen hatten. Die SED-Propaganda hatte behauptet, es habe sich um „amerikanische Terrorangriffe“ gehandelt. So stand es auch Jahre auf der Gedenkstele für die Opfer der Luftangriffe neben dem Alten Rathaus. Neuber hatte Gelegenheit, im Jahre 1964 in Bad Lauterberg mit Dr. [[Herbert Meyer]], Oberbürgermeister Nordhausens vor Kriegsende 1945, über die Bombenangriffe zu sprechen. Dabei widerlegte Meyer noch Jahre nach dem Kriege kursierende Gerüchte, die Luftangriffe hätten eigentlich der Stadt Gotha gelten sollen. Weil die Verantwortlichen dort kapituliert hätten, sei Nordhausen angegriffen worden, weil es nicht ebenso gehandelt habe. Meyer versicherte, es habe keine Aufforderung zur Übergabe der Stadt gegeben. Zum Zeitpunkt der Luftangriffe standen die US-Panzerspitzen noch im Raume Kassel. --><br />
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=== Vermutungen und Gerüchte über den Großangriff ===<br />
<br />
* Nordhausen soll Aufforderung zur kampflosen Übergabe ausgeschlagen haben.<br />
** Der Nordhäuser Oberbürgermeister bei Kriegsende, [[Herbert Meyer]], widersprach dieser Darstellung in einem Gespräch mit dem Journalisten Manfred Neuber um 1964 in Bad Lauterberg: „An die Stadtverwaltung ist niemals bis zu den Angriffen eine Aufforderung der Amerikaner ergangen, Nordhausen zur offenen Stadt zu erklären. Ich möchte bezweifeln, dass sie an Kreisleiter Nentwig ergangen ist.“<ref name="Sting252">Heinz Sting: ''Das 1000-jährige Nordhausen und der schöne Südharz''. Hannover: Nordhäuser Heimatfreunde, 1965. S. 252.</ref><br />
<br />
* Nordhausen wurde durch die US-Luftwaffe zerstört.<br />
** Es ist unbestritten und belegt, dass britische Bomber die Stadt zerstörten. „Die Einsatzbefehle der 8. US-Luftflotte sahen weder am 3. noch am 4. April 1945 Nordhausen als Ziel vor. Die Operationsberichte der 8. Luftflotte geben auch keinen Großangriff auf Nordhausen an einem dieser beiden Tage an. Der Hauptzielplan für die amerikanischen Heeresflieger in Europa während des Zweiten Weltkrieges führt ebenfalls keinen Angriff auf Nordhausen im April 1945 auf“, teilte das amerikanische Aerospace Studies Institute auf Anfrage des Journalisten Manfred Neuber zu Beginn der 1960er Jahre schriftlich mit. „Aus anderen Quellen ist zu entnehmen“, gab der Leiter für geschichtliche Studien an diesem Institut der US Air Force University auf der Maxwell Air Base in Montgomery/Alabama, bei den Recherchen des Journalisten zu Protokoll, „dass am 3.und 4 .April 1945 vom Bomber Command der Royal Air Force schwere Angriffe auf Nordhausen geflogen wurden.“ Diese Angaben wurden von der Air Historical Branch im britischen Verteidigungsministerium (damals noch Ministry of War) dem Rechercheur bestätigt. Alle hier aufgeführten Originaldokumente wurden dem Stadtarchiv Nordhausen übergeben.<br />
<br />
* Nordhausen wurde anstelle Gothas bombardiert.<br />
** Diese Behauptung wurde u. a. von [[Kurt Kohlmann]] aufgestellt. So berichtete er von zwei US-Offizieren, die entsprechende Aussagen getätigt haben sollen: „Sie erzählten mir, der Kreisleiter von Nordhausen sei dreimal aufgefordert worden zu kapitulieren. Nachdem die Faschisten das dritte Mal abgelehnt hätten, sei ein auf Gotha angesetzter US-amerikanischer Bomberverband nach Nordhausen umgeleitet worden.“<ref name="Rudloff138">Jost-Dieter Rudloff: ''Warum wurde Nordhausen eine Woche vor Kriegsende 1945 in Brand gesetzt? Informationen und Überlegungen''. In: ''Beiträge zur Geschichte aus Stadt und Kreis Nordhausen (Band 44/2019)'', S. 138.</ref> Dies wurde ebenfalls von Herbert Meyer als unglaubwürdig zurückgewiesen.<ref name="Sting252"/><br />
<br />
* Nordhausen wurde wegen der Raketen-Produktion im Kohnstein bombardiert.<br />
** Den Alliierten war bekannt, dass sich im Kohnstein ein Rüstungsbetrieb befand, nicht jedoch, dass dort die V-Waffen gefertigt wurden.<ref>Jürgen Möller: ''Konzentrationslager Mittelbau-Dora''. Bad Langelsalza 2018, S. 33.</ref> Der Kohnstein war wegen der Kriegsgefangenenlager kein Angriffsziel.<ref name="Rudloff138"/><br />
<br />
* Die Nordhäuser Bevölkerung sollte wegen dem Konzentrationslager Dora-Mittelbau bestraft werden.<br />
** Dies wird durch kein Dokument der Alliierten bestätigt.<br />
<br />
* Nordhausen wurde aus militärischen Gründen bombardiert.<br />
** Die Stadt war verkehrstechnischer Knotenpunkt und Mittelpunkt der Nordthüringer Rüstungsindustrie und wurde auch von der deutschen Armeeführung als wichtig wahrgenommen.<ref name="Rudloff140">Jost-Dieter Rudloff: ''Warum wurde Nordhausen eine Woche vor Kriegsende 1945 in Brand gesetzt? Informationen und Überlegungen''. In: ''Beiträge zur Geschichte aus Stadt und Kreis Nordhausen (Band 44/2019)'', S. 140.</ref> Für das US-Militär bildete die Stadt kein strategisches Ziel mehr.<ref name="Rudloff140"/> Die Stadt Nordhausen erhielt militärische Bedeutsamkeit für die Bodentruppen der 1. US-Armee, auch wegen des Verschiebebahnhofs für Truppenbewegungen. Die Schonung der Rüstungsbetriebe mit ihrem Personal ergab sich aus der Hoffnung, möglichst viele Waffen und Fachkräfte zu erbeuten.<ref name="Rudloff140"/> Es gibt keinen Hinweis darauf, dass Nordhausen aus militärischen Gründen bombardiert wurde.<ref name="Rudloff140"/> (Doch: im SHAEF-Befehl ausdrücklich erwähnt)<br />
<br />
== Aufarbeitung und Gedenken ==<br />
=== 1945 bis 1990 ===<br />
==== DDR ====<br />
Bis zur Wiedervereinigung hielt sich die Behauptung, die United States Air Force habe Nordhausen am 3. und 4. April 1945 bombardiert. Zum einen wurde der US-Luftwaffe vorgehalten, dass die Angriffe auf Nordhausen ein Akt blinder Zerstörung und militärisch sinnlos gewesen seien, da das Ende des Dritten Reiches absehbar war. Andererseits wurde mit der „Gotha-Legende“ behauptet, dass Nordhausen bis zum Letzten verteidigt werden sollte und es deshalb zum Luftangriff kam. Damit wurde die Verantwortlichkeit für das Bombardement wahlweise den lokalen NS-Amtsträgern oder den USA zugeschrieben. <br />
<br />
Ein Interesse an einer realistischen Rekonstruktion hatte die SED auch aufgrund der Situation des Kalten Krieges nicht.<br />
Zum 40. Jahrestag der Luftangriffe wurde in der Lokalpresse erstmals von „250 britischen Lancaster-Maschinen“ berichtet.<ref>„Die Zerstörung Nordhausens - Mahnung und Verpflichtung“, ''Das Volk'', 2. April 1985.</ref> Eine Korrektur der Geschichte fand jedoch nicht statt, und auch danach war mitunter vom „Zerstörungsangriff amerikanischer Bomber“ die Rede.<ref>''Unser Aktuelles Argument'', April 1985.</ref> Für die in der DDR-Propaganda kolportierte öffentliche Erinnerung erklärt sich aus dem politischen Bedürfnis, die „imperialistischen“ Angreifer als möglichst grausam und skrupellos erscheinen zu lassen, im Sinne antiamerikanischer Propaganda.<ref name="Winter63">Winter: ''Öffentliche Erinnerungen an den Luftkrieg in Nordhausen 1945 - 2005''. Marburg: Tectum-Verl., 2010. S. 63.</ref> <br />
Mit Verweis auf die Luftangriffe auf Nordhausen wurde auf tatsächliche oder vermeintliche aktuelle militärische Bedrohungen oder Konflikte Bezug genommen, z. B. auf den Vietnamkrieg. <br />
<br />
Insgesamt war die Nordhäuser Luftkriegserinnerung gekennzeichnet von einer eigentümlichen „Verwischung der Grenze zwischen Faktizität und Fiktionalität“, die nach dem Historiker Martin Sabrow typisch für das Geschichtsdenken in der DDR war.<ref>Martin Sabrow: ''Einleitung - Geschichtsdiskurs und Doktringesellschaft'', Potsdam: Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam (ZZF), 2000. S. 24.</ref><br />
<br />
Der Versuch einer wirklichen Aufarbeitung in der DDR wurde erstmals 1985 angestoßen, als [[Manfred Schröter]] anlässlich des 40. Jahrestages eine Publikation veröffentlichen wollte. Darin wurde dargelegt, dass die RAF und nicht die USAF für den Angriff im April 1945 verantwortlich gewesen war. Nachdem Schröters Buch nach Begutachtung und Korrektur durch den Historiker Olaf Groehler sowie der SED-Kreisleitung und Bezirksleitung in Druck gegangen war, konfiszierte die Kreisleitung am 29. März 1985 die gesamte Auflage und verhinderte eine Veröffentlichung.<ref name="Winter62">Winter: ''Öffentliche Erinnerungen an den Luftkrieg in Nordhausen 1945 - 2005''. Marburg: Tectum-Verl., 2010. S. 62.</ref> Vorausgegangen war ein öffentlicher Vortrag Schröters am 14. März 1985, in dem er seine Ergebnisse (im Beisein von Stasi-Spitzeln) vorstellte.<br />
<br />
Das Gedenken an die Luftangriffe wurde zu DDR-Zeiten auch stark mit dem Wieder- bzw. Neuaufbau der Stadt verwoben. In den ersten Jahren nach dem Krieg wurde vor allem zur Mithilfe agitiert, um durch das „Aufbauwerk“ einer „glücklichen, friedlichen und sonnigen Zukunft“ entgegenzutreten.<ref>„Aufbauerfolge dürfen nicht preisgegeben werden,“ ''Das Volk'', 7. April 1953.</ref> Ab Ende der 1950er Jahre verwies die SED auf die bisher erzielten Erfolge. Zum 40. Jahrestag der Bombardierung 1985 behauptete Oberbürgermeister [[Peter Heiter]], dass die Jahre des Sozialismus die erfolgreichsten in der über tausendjährigen Stadtgeschichte gewesen seien und verwies auf die Rolle der Partei als entscheidender Faktor für das Erreichte.<ref name="Winter81">Winter: ''Öffentliche Erinnerungen an den Luftkrieg in Nordhausen 1945 - 2005''. Marburg: Tectum-Verl., 2010. S. 100.</ref> <br />
Ein wichtiges Großereignis war die Instandsetzung des [[St.-Petri-Kirche|Petri-Turms]] mit einer neuen Turmspitze zum 42. Jahrestag 1987 als „wiedererstandendes Wahrzeichen“.<ref>„Kupferhelm für den Petriturm“, ''Das Volk'', 7. April 1987.</ref><br />
In der Festschrift (1050 Jahre Nordhausen", 1977 herausgegeben vom Magistrat, heißt es: "Für den ausgesprochenen Terrorcharakter der anglo-amerikanischen Luftangriffe spricht auch, dass die Hauptstraßen des Schienen- und Straßenverkehrs funktionstüchtig blieben und die militärischen Anlagen der Stadt, insbesondere das Flugplatzgelände, weiter den Machthabern des Dritten Reiches für ihre verbrecherische Politik zur Verfügung standen."<br />
Die Festschrift hebt hervor: "Das heutige Nordhausen entwickelt sich dank der schöpferischen und angestrengten Arbeit der Arbeiterklasse und aller Bürger unserer Stadt, auf festen sozialistischen Fundamenten. Ständig entsteht Neues, man braucht sich nur umzuschauen." Dagegen bemerkte das "Bad Lauterberger Tageblatt" (Ausgabe vom 3./4. April 1985, Seite 3): "Der Wiederaufbau Nordhausens begann erst sehr spät und sehr schleppend. Noch immer bildet der alte Stadtkern eine weithin kahle Fläche."<br />
<br />
==== BRD ====<br />
<br />
In der Bundesrepublik wurde das Gedenken von dem Verein [[Nordhäuser Heimatfreunde]] getragen. Die erste gedruckte Ausgabe der Vereinszeitung ''[[Nordhäuser Nachrichten]]'' widmete sich der Zerstörung Nordhausens, und auch in den folgenden Jahren bildete es ein wiederkehrendes Themenfeld mit zahlreichen Erlebnisberichten. Die Rolle des Vereinsvorsitzenden und früheren Nordhäuser NSDAP-Oberbürgermeisters [[Heinz Sting]] zum Gedenken wird kritisch gesehen.<ref name="Winter83">Winter: ''Öffentliche Erinnerungen an den Luftkrieg in Nordhausen 1945 - 2005''. Marburg: Tectum-Verl., 2010. S. 83 ff.</ref> So sei Sting zwar bemüht gewesen, klarzustellen, dass nicht die US-Luftwaffe die Stadt bombardierte, doch zeigte er sich auch bestrebt, die Rolle des Nationalsozialismus zu relativieren.<br />
<br />
Diese historischen Fakten hatte der Journalist [[Manfred Neuber]] schon vor 1965 in US- und britischen Archiven ermittelt und publiziert (''Bad Lauterberger Tageblatt'' um 1964 und am 3./4. April 1985 in „Das Drama von Nordhausen“, in der ''Herzberger Zeitung'' und im späteren ''HarzKurier'' in Herzberg, im ''Göttinger Tageblatt'' sowie Erwähnung in den ''Nordhäuser Nachrichten'').<br />
[[Herbert Meyer]], Oberbürgermeister Nordhausens in den letzten Kriegstagen und später Stadtdirektor in Bad Lauterberg, versicherte Manfred Neuber 1963 in einem Gespräch über dessen Recherchen in Großbritannien und in den USA, die Stadt Nordhausen habe keine Aufforderung der Alliierten erhalten, Nordhausen zur offenen Stadt zu erklären. Eine Entscheidung darüber hätte auch nicht in seiner Kompetenz gelegen: „Ob eine solche Aufforderung an den Kreisleiter Hans Nentwig ergangen ist und ob dieser sich geweigert hat, ihr nachzukommen, weiß ich nicht. Ich möchte es aber bezweifeln“, erklärte Meyer (Originalzitat in den Aufzeichnungen über das Treffen). Der NSDAP-Kreisleiter [[Hans Nentwig]] hatte das Bombardement in seiner Ausweich-Befehlsstelle unbeschadet überstanden. Er lebte in der Nachkriegszeit in Katlenburg. Von der marxistischen Geschichtsschreibung in der DDR wurde ihm wegen „seiner verbrecherischen Durchhalte-Politik“ eine Hauptschuld an der Zerstörung Nordhausens zugeschrieben.<br />
<br />
=== Seit 1990 ===<br />
<br />
Der 50. Jahrestag der Luftangriffe 1995 wurde mit einer Gedenkwoche unter der Losung „Nordhausen 1945: Erinnerung – Trauer – Mahnung“ weitaus größer begangen als die Jahre zuvor. 1993 hatte das Stadtarchiv angekündigt, diverse Maßnahmen einzuleiten, um ein würdiges Gedenken zu gewährleisten. Darunter zählte das Sammeln von Zeitzeugenberichten, realisierte Veranstaltungen und Projekte sowie die Planung einer Publikation zum Thema. Am 30. März 1995 wurde eine Metallplastik auf der oberen Plattform des Petri-Turms enthüllt und einen Tag später eine Ausstellung mit Fotos und Dokumenten eröffnet. Zudem erschien unter der Leitung des Stadtarchivars [[Peter Kuhlbrodt]] das Buch ''[[Schicksalsjahr 1945 – Inferno Nordhausen]]''. In den folgenden Tagen wurde ein ökumenischer Gedenkweg abgehalten, es gab Kranzniederlegungen am Gedenkstein auf dem Hauptfriedhof, dem Ehrenfriedhof und an der Boelcke-Kaserne. Begleitet wurde das Gedenken mit einer umfassenden Berichterstattung in der Presse, die auch überregional wirkte. <br />
<br />
Nach dem Jahr 1995 wurden die Jahrestage der Luftkriegserinnerung weitaus kleiner begangen.<ref name="Winter100"/> Ab Ende der 1990er Jahre erfolgte wieder eine allgemeine Repolitisierung der Luftkriegserinnerung.<ref name="Winter100">Winter: ''Öffentliche Erinnerungen an den Luftkrieg in Nordhausen 1945 - 2005''. Marburg: Tectum-Verl., 2010. S. 100.</ref> Es zeigte sich, dass sich die öffentliche Erinnerung mehr auf gegenwärtige Ereignisse als auf die Jahre des Zweiten Weltkrieges zu beziehen schien; so werden stärkere Bezüge zu außenpolitischen Themen<ref>Winter: ''Öffentliche Erinnerungen an den Luftkrieg in Nordhausen 1945 - 2005''. Marburg: Tectum-Verl., 2010. S. 101.</ref> oder Exkurse zum Rechtsextremismus hergestellt.<ref>[https://www.nnz-online.de/news/news_lang.php?ArtNr=108899 Zum Umgang mit der Bombardierung], nnz-online, 3. April 2012.</ref> Im Vergleich zu DDR-Zeiten wurde das Spektrum der Erinnerungsakteure erweitert, und vor allem die Kirche rückte in den Vordergrund. <br />
<br />
Seit den 2000er Jahren wird der Jahrestag der Luftangriffe mit der üblichen Kranzniederlegung an der Gedenkstele am Rathaus begangen. Seit 2017 werden statt Kränzen weiße Rosen niedergelegt.<ref>[https://www.nnz-online.de/news/news_lang.php?ArtNr=209936 Gedenken an der Stele], nnz-online, 3. April 2018.</ref> Im Gegensatz zu DDR-Zeiten werden Schuldzuweisungen an die Westalliierten weniger offen aggressiv und ideologisch untermauert vorgebracht.<ref>Winter: ''Öffentliche Erinnerungen an den Luftkrieg in Nordhausen 1945 - 2005''. Marburg: Tectum-Verl., 2010. S. 110.</ref><br />
<br />
=== Denkmäler ===<br />
[[File:Denkmal Bombenangriffe Nordhausen - Mai 2015.JPG|200px|thumb|Mahnmal am Alten Rathaus]]<br />
[[File:Gedenkstein Nordhausen.jpg|mini|200px|Gedenkstein am Massengrab für 600 Bombenopfer auf dem [[Zentralfriedhof an der Leimbacher Straße|Alten Friedhof]]]]<br />
* Mahnmal für die Opfer der Bombardierungen vor dem [[Altes Rathaus|Alten Rathaus]]: 1950 wurde ein Gedenkstein und eine Flammenschale am Sockel des früheren [[Lutherdenkmal]]s angebracht. Es trug die Inschrift: „4.4. 1945 - Zerstörung Nordhausens durch amerikanische Bomber - 8800 Opfer klagen an“ (''Amerikanische'' Bomber war falsch). 1969 wurde dieses Denkmal durch eine Säule des Künstlers Jürgen von Woyski ersetzt.<br />
* Auf dem [[Ehrenfriedhof]] westlich des ''Stresemann-Rings'' befindet sich ein 1999 umgestaltetes Denkmal in Erinnerung an die hier in Massengräbern beigesetzten über 1.600 KZ-Häftlinge, zum größten Teil Opfer der Luftangriffe auf die Boelcke-Kaserne am 3. und 4. April 1945. Viele Nordhäuser zivile Bombenopfer und Soldaten wurden auf dem nördlichen Teil des Sonderfriedhofs, des jetzigen Ehrenfriedhofs, oberhalb des Denkmals in Massengräbern beerdigt.<ref>Manfred Schröter: ''Die Zerstörung Nordhausens''. Nordhausen: Meyenburg-Museum, 1988. S. 59</ref><br />
* Auf dem ''Hauptfriedhof'' findet sich ein Denkmal, das die zusammenfassende Inschrift trägt: „Zum Gedenken an die Gefallenen und Vermissten beider Weltkriege, die Toten der Bombenangriffe, die Opfer aller Gewaltherrschaft. Die Bürger der Stadt Nordhausen“. Links seitlich von dem Denkmal, vor dem begrenzenden Zaun, wurde eine größere Anzahl von Bombentoten in Gemeinschaftsgräbern beigesetzt.<ref> Manfred Schröter: ''Die Zerstörung Nordhausens''. Nordhausen: Meyenburg-Museum, 1988. S. 59-60 </ref> Dort stehen noch einige große Kreuze, die wohl darauf hinweisen.<br />
<br />
== Zitate ==<br />
<br />
* „Das Ausmaß des Schreckens, der Verwüstung und des Todes, von dem unsere Stadt an jenen Apriltagen erfasst wurde, macht sie praktisch zu einem Synonym für die japanischen Städte Hiroshima und Nagasaki. Denn vergleicht man auf Airfotos ihre zerstörten Zentren, so lässt sich schwerlich ein gradueller Wirkungsunterschied erkennen.“ – ''[[Walter Geiger]]: [[Nordhausen im Bombenvisier]], S. 154.''<br />
* „Nordhausen wurde am 3. und 4. April 1945 zerstört, weil der ehrgeizige britische Luftmarschall Sir Arthur Harris dem britischen Volk und den Alliierten zeigen wollte, dass sein "Bomber Command" das Handwerk des Tötens von deutschen Menschen perfektioniert hatte. Er löste einen furchtbaren Flächenbrand aus mit den stärksten Mitteln, die ihm zur Verfügung standen. Besonders verwerflich ist, dass er die Bombenziele auf die Nordhäuser Altstadt konzentrierte. Infam ist auch, dass er noch in den letzten Kriegstagen die Altstadt von Nordhausen mit einer nie vorher verwendeten Bomben-Mischung auslöschte. Er handelte trotzig wie ein Kind, dem man das Spielzeug wegnehmen will. Harris wollte sich in letzter Stunde in Nordhausen ein Denkmal aus Leichen und Ruinen setzen.“ – ''[[Jost-Dieter Rudloff]]: Warum wurde Nordhausen eine Woche vor Kriegsende 1945 in Brand gesetzt? Informationen und Überlegungen. In: [[Beiträge zur Geschichte aus Stadt und Kreis Nordhausen (Band 44/2019)]], S. 141.''<br />
<br />
== Literatur ==<br />
*Jost-Dieter Rudloff: ''Warum wurde Nordhausen eine Woche vor Kriegsende 1945 in Brand gesetzt? Informationen und Überlegungen''. In: ''[[Beiträge zur Geschichte aus Stadt und Kreis Nordhausen (Band 44/2019)]]''.<br />
*Harald Rockstuhl (Hrsg.): ''[[Nordhausen – Luftbild-Atlas 1935–1945]]''. Bad Langensalza: Verlag Rockstuhl, 2017. ISBN 978-3959662833<br />
*[[Walter Geiger]]: ''[[Nordhausen im Bombervisier]]''. Nordhausen: Neukirchner, 2000. ISBN 3-929767-43-0<br />
*Olaf Groehler: ''Bombenkrieg gegen Deutschland''. Berlin: Akad.-Verl., 1990. ISBN 3-05-000612-9<br />
*[[Peter Kuhlbrodt]]: ''[[Inferno Nordhausen – Schicksalsjahr 1945]]''. Nordhausen: Archiv der Stadt Nordhausen, 1995. ISBN 3-929767-09-0<br />
*[[Martin Clemens Winter]]: ''[[Öffentliche Erinnerungen an den Luftkrieg in Nordhausen 1945 - 2005]]''. Marburg: Tectum-Verl., 2010. ISBN 9783828822214 <br />
*''Schicksale deutscher Baudenkmale im Zweiten Weltkrieg''. (Bd. 2) Berlin: Henschelverlag Kunst u. Gesellschaft, 1978.<br />
<br />
== Externe Verweise ==<br />
* [https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/1/1f/Nordhausen_concentration_camp_newsreel.webm Filmaufnahmen von der Boelcke-Kaserne (1945)]<br />
<br />
== Einzelnachweise ==<br />
<br />
<references/><br />
<br />
[[Kategorie:Geschichte]]</div>Latimer Rexhttps://nordhausen-wiki.de/index.php?title=Luftangriffe_auf_Nordhausen&diff=15667Luftangriffe auf Nordhausen2020-02-09T15:51:30Z<p>Latimer Rex: /* Schäden und Totalverluste */</p>
<hr />
<div>[[Datei:Marktkirche Rathaus Nordhausen 1945.jpg|thumb|300px|[[Marktkirche]], [[Altes Rathaus|Rathaus]] und [[Stadthaus]] nach den Luftangriffen]]<br />
Die '''Luftangriffe auf Nordhausen''' am 3. und 4. April 1945 durch Bomber der britischen Royal Air Force zerstörten Dreiviertel der Stadt. Dabei kamen über 8.800 Menschen ums Leben, weitere 20.000 wurden obdachlos. Mit einem Wohnungszerstörungsgrad von 55% (10.000 Wohnungen) gehörte Nordhausen zu den am schwersten zerstörten deutschen Städten; zahlreiche Denkmale von hervorragender Bedeutung, darunter die für Nordhausen charakteristischen Fachwerkbauten des 13. bis 19. Jahrhunderts, wurden vernichtet. Der historische Stadtkern, die Neustadt und die Gebäude um die [[Frauenbergkirche]] wurden fast gänzlich eingeebnet. Erhalten blieben die Gebiete westlich und nördlich der [[Stadtmauer]], [[Barfüßerstraße]], [[Kalte Gasse]], Teile des historischen [[Königshof]]s sowie der Stadtteil [[Altendorf]]. Ein Großteil der stark beschädigten Bauwerke wurde nach dem Zweiten Weltkrieg abgerissen. <br />
Die zerstörerische Gesamtwirkung aller Bomben und Luftminen war von keinem Einzelangriff im Luftkrieg gegen Deutschland auch nur annähernd erreicht worden.<ref>Geiger: ''Nordhausen im Bombenvisier''. S. 150.</ref> Bei der Bombardierung von Nordhausen handelte es sich um die größte Katastrophe in ihrer tausendjährigen Stadtgeschichte. <br />
<br />
== Nordhausen im Krieg ==<br />
Nordhausen hatte vor dem Zweiten Weltkrieg ca. 42.000 Einwohner. Während des Krieges stieg deren Zahl durch Ortsfremde (Luftkriegsevakuierte, Flüchtlinge, ausländische Arbeitskräfte, Verwundete und Kriegsgefangene) Anfang März 1945 auf 65.000 Einwohner.<ref>Peter Kuhlbrodt (Hrsg.): ''Schicksalsjahr 1945. Inferno Nordhausen''. Nordhausen: Archiv der Stadt Nordhausen, 1995. S. 20, 33 </ref> Insbesondere für Evakuierte aus Berlin, Hamburg und Westdeutschland waren Stadt und Kreis Nordhausen als Aufnahmeräume ausgewiesen.<br />
<br />
Der Bau von Luftschutzanlagen begann im Spätsommer 1943. Viele Bunkeranlagen in der Innenstadt blieben unvollendet. Am 29. November 1943 wurde für Nordhausen ein Evakuierungsplan, der Aussiedlungsrichtungen und Aufnahmegebiete festlegte, ausgearbeitet.<ref>Geiger: ''Nordhausen im Bombenvisier''. Nordhausen: Verlag Neukirchner, 2000. S. 65</ref><br />
<br />
{| class="wikitable sortable"<br />
|+ style="padding-bottom:1em" | Bis zum 22. Februar 1945 realisierte Stollenabschnitte<ref>Ullrich Mallis: ''Der Luftschutzstollen am Johanneshof / Neuer Weg. Ein Nordhäuser Baudenkmal'', in: ''[[Nordhäuser Nachrichten. Südharzer Heimatblätter (2/2011)]]'', S. 10.</ref><br />
|- class="hintergrundfarbe6"<br />
! class="unsortable" | Stollenabschnitte !! class="sortable" | Länge !! class="unsortable" | Herstellung !! class="unsortable" | Ausbauart !! class="unsortable" | Bemerkung<br />
|-<br />
| Stollen IA, Mühlhof || style="text-align:right" | 55,00 m<br />
| Okt. 1943 – Febr. 1944 || Beton, 27,5 m nur Holzausbau || Richtung Loge<br />
|-<br />
| Fluko-Bunkerzugang || style="text-align:right" | 2,40 m<br />
| Febr. – März 1944 || Eisenbetongewölbe || IA, > 40 m links<br />
|-<br />
| Kreuz IA-Stummel || style="text-align:right" | 0,50 m<br />
| März 1944 || Eisenbetongewölbe, wie das gesamte Kreuz IA || Drehscheibe<br />
|-<br />
| Stollen IB, Johannishof || style="text-align:right" | 38,50 m<br />
| Nov. 1943 – April 1944 || Beton, 22,5 m mit Firstschienen || noch begehbar<br />
|-<br />
| Stollen von IA nach IB || style="text-align:right" | 66,10 m<br />
| März 1944 – Nov. 1944 || Beton || Durchschlag im Nov. 1944<br />
|-<br />
| Stollen von IB nach IA || style="text-align:right" | 38,25 m<br />
| April 1944 – Nov. 1944 || Beton || Durchschlag im Nov. 1944<br />
|-<br />
| Oststollen, von IA-IB ab || style="text-align:right" | 21,75 m<br />
| Dez. 1944 – Febr. 1945 || Seitenbeton, Art des Firstausbaues nicht benannt || <br />
|-<br />
| Südstollen IC, ab IB || style="text-align:right" | 49,75 m<br />
| April 1944 – Febr. 1945 || || zum Lohmarkt<br />
|-<br />
| class="hintergrundfarbe5" | Gesamt: || style="text-align:right" class="hintergrundfarbe5" | 272,25 m<br />
| class="hintergrundfarbe5" | Okt. 1943 – Febr. 1945 || class="hintergrundfarbe5" | || class="hintergrundfarbe5" |<br />
|}<br />
<br />
<br />
<br />
Als Garnisonstadt hatte Nordhausen keine ältere Tradition. Ab 1935 wurde im Süden die [[Boelcke-Kaserne]] errichtet, mit Unterkünften und Fahrzeughallen; sie diente der Ausbildung von Luftnachrichtensoldaten. Daneben entstanden ein Fliegerhorst als Ausbildungsplatz und zeitweise Flugzeugwerft. Bis März 1945 wurden hier Flugzeuge für den Mistelschlepp ("Huckepack"-Flugzeuge) montiert und Piloten dafür geschult. Sonst diente der Fliegerhorst 1945 noch zum Auftanken von Jagdflugzeugen. In provisorischen Unterkünften in der Stadt gab es die evakuierte "Marineverwaltung West". In der Stadt und ihrer nahen Umgebung existierten viele Lazarette mit insgesamt etwa 1.000 Verwundeten. Die Lazarette und Krankenhäuser trugen weithin sichtbare große Rotkreuz-Symbole auf den Dächern. <br />
<br />
Das [[Mittelwerk GmbH|Mittelwerk Dora]] bei Nordhausen produzierte Anfang April 1945 keine V-Waffen oder andere Rüstungsgüter mehr. Die dort Beschäftigten, unter ihnen Tausende von Häftlingen des KZ Mittelbau-Dora und Zwangsarbeiter, wurden evakuiert. Das Werk oder seine Verkehrsanbindungen waren nie Ziel alliierter Luftangriffe. <br />
<br />
Die frühere [[KZ-Außenlager Boelcke-Kaserne|Boelcke-Kaserne]] wurde seit Herbst 1943 nicht mehr militärisch genutzt. Sie hatte seitdem Tausende von Arbeitern, später auch Flüchtlinge aufgenommen. Seit 8. Januar 1945 existierte ein bald überfülltes Häftlingslazarett in der Anlage.<ref> Manfred Schröter: ''Die Zerstörung Nordhausens''. Nordhausen: Meyenburg-Museum, 1988. S. 6-8 </ref> Im Februar kamen zeitweise 3.500 Häftlinge aus dem KZ Groß-Rosen dazu.<ref> Walter Geiger: ''Nordhausen im Bombervisier''. Nordhausen: Verlag Neukirchner, 2000. S. 258 </ref><br />
<br />
== Erste Angriffe ==<br />
In der Nacht vom 25. August auf den 26. August 1940 griffen zwei britische Bomber vom Typ Handley Page Hampden den [[Flugplatz von Nordhausen]] an und warfen vier Bomben ab.<ref>Geiger: ''Nordhausen im Bombenvisier''. S. 61 f.</ref> Es entstand ein kleiner Brand, der bald gelöscht werden konnte. <br />
<br />
Von 1940 bis 1943 gab es insgesamt 72 öffentliche Luftwarnungen und Fliegerarlarme für Nordhausen. Als sich die alliierten Luftangriffe im Jahr 1944 auf die im Hinterland gelegenen deutschen Städte intensivierten, wurde Nordhausen verstärkt Überflugsort alliierter Bomberverbände, etwa wenn sie Berlin, Dessau oder Leipzig anflogen. Im März 1945 erreichten die durchschnittlich fünf bis sechs Luftalarme ihren Höhepunkt.<ref>Geiger: ''Nordhausen im Bombenvisier''. S. 98 f.</ref> <br />
<br />
Am 12. April 1944 flogen während der Mittagszeit zwei aus südlicher Richtung kommende amerikanische Jäger die Stadt an und töteten zwei Menschen, zwei Personen wurden schwer verletzt.<ref>Geiger: ''Nordhausen im Bombenvisier''. S. S 221 f.</ref> <br />
<br />
[[Datei:Luftangriffe Nordhausen Traueranzeige.jpeg|thumb|Traueranzeige vom 26. Februar 1945]]<br />
<br />
Am 22. Februar 1945 griffen gegen 12:30 Uhr US-amerikanische Bomber den Verschiebebahnhof an, trafen jedoch die Unterstadt, einige Anlagen des Industriegebietes und die vormalige Fernmeldeschule der Luftwaffe in der [[Boelcke-Kaserne]]. Insgesamt fielen 296 Mehrzweckbomben und töteten 40 Menschen. Im ''[[Südharzer Kurier]]'' erschien am 26. Februar eine Todesanzeige für die „Gefallenen des Terrorangriffs“ mit der Ankündigung zur Beisetzung. <br />
<br />
Am 28. Februar 1945 warfen drei amerikanische Maschinen 2,5 Tonnen Sprengbomben auf die Stadt ab. <br />
<br />
Am 1. April 1945 wurden das Auto-Hotel Hesse durch Bomben getroffen und zahlreiche Menschen getötet.<br />
<br />
== Großangriffe im April 1945 ==<br />
[[File:Avro Lancaster Mk 1 ExCC.jpg|thumb|Langstreckenbomber vom Typ ''Avro Lancaster'', wie sie bei der Bombardierung von Nordhausen zum Einsatz kamen.]]<br />
[[File:Mosquito 600pix.jpg|thumb|Zielmarkierer ''De Havilland Mosquito'' (1944)]]<br />
Am 3. April 1945 starteten gegen 13 Uhr die englischen Bomberverbände und erreichten Nordhausen um 16 Uhr. Die 247 Avro-Lancaster-Bomber (Tragfähigkeit je 6 Tonnen Bombenlast) und 9 Mosquito-Mehrzweckflugzeuge warfen in 20 Minuten ca. 1.216 Tonnen Sprengbomben ab und trafen vor allem die Außenbezirke von Nordhausen.<ref>Groehler: ''Bombenkrieg gegen Deutschland'', S. 422.</ref> Im Stadtinnern fielen Bomben um die [[Neustadt-Kirche]] und [[Neustadtstraße]]. In den umliegenden Wäldern und Ortschaften [[Sundhausen]], [[Bielen]], [[Himmelgarten]], [[Leimbach]] und [[Krimderode]] fielen schwere Bomben und Luftminen. Getroffen wurde auch die mit kranken Häftlingen überbelegte [[Boelcke-Kaserne]], wo allein in einer mit Tuberkulose-Kranken belegten Flugzeughalle 450 Menschen den Tod gefunden haben sollen.<ref>Wagner: ''Produktion des Todes.'' S. 280</ref> Die Stadt ohne Strom und Leitungswasser. Die Verletzten wurden gesammelt und nach [[Neustadt/Harz|Neustadt]] und [[Sülzhayn]] gebracht, die Ausgebombten erhielten Notquartiere in der Stadt selbst und ihrer Umgebung. Viele Nordhäuser flüchteten aus der Stadt. Zwei Stollen der unterirdischen Anlagen von Mittelbau Dora im Kohnstein nahmen bereits am 3. April Geflüchtete auf, später wurden es 10.000. Das Stadtkrankenhaus war beschädigt, die Patienten wurden in Notkrankenhäuser in das benachbarte [[Petersdorf]] gebracht, vor allem in das Ausflugsrestaurant Harzrigi.<ref> Manfred Schröter: ''Die Zerstörung Nordhausens''. Nordhausen: Meyenburg-Museum, 1988. S. 22, 23 </ref> Bomben fielen auch auf mehrere benachbarte Dörfer und deren Flur, besonders betroffen war Bielen. Zwei Bomber gingen beim Hin- und Rückflug verloren. Der erste Angriff erzielte die gewünschte Wirkung jedoch nicht. Der Angriff am 3. April war aus Sicht der RAF ein Misserfolg.<!-- (Quelle?) --> Viele Einwohner zogen am Abend des 3. April zum nahen [[Kohnstein]], wo die mittlerweile fast verlassenen Stollen des Mittelwerks Schutz boten.<br />
<br />
{{Zitat|Die Stadt ist schwer getroffen, aber sie ist noch eine organisierte Gemeinschaft… Gegenseitige und Nachbarschaftshilfe wird geleistet. Die Stadtverwaltung und die Luftschutzleitung setzen ihre Kräfte ein. Rotes Kreuz und die Krankentransporte kommen an die Schwerpunkte. Man leitet die Evakuierung des beschädigten Krankenhauses ein. Die Verletzten des Angriffs werden geborgen, abtransportiert, in den Gaststätten Parkhaus und Kurhaus gesammelt und schließlich nach Neustadt und Sülzhayn weiterbefördert. Die Feuerwehr bekämpft die wenigen Brandherde.|[[Manfred Schröter]]: ''[[Die Zerstörung Nordhausens und das Kriegsende im Kreis Grafschaft Hohenstein 1945]]''}}<br />
<br />
Am 4. April gegen 9 Uhr begann der zweite Großangriff der RAF. Der Verband kam über Gotha, Bad Langensalza und Schlotheim. Für 93 Bomber wurde die Boelcke-Kaserne als Angriffsziel befohlen, die anderen 150 hatten das Stadtzentrum anzugreifen.<ref>Geiger: ''Nordhausen im Bombenvisier''. S. 146 f.</ref> Zwei Bomber mussten frühzeitig zurückkehren, und zehn weitere hatten ihren militärischen Auftrag verfehlt, so dass von den 243 Flugzeugen 231 am Luftschlag teilnahmen. Ein Bomber explodierte über der Stadt. Die örtliche Feuerwehr war, soweit noch vorhanden, von der Lage völlig überfordert. Unter der überlebenden Bevölkerung herrschte Panik, viele verließen fluchtartig zu Zehntausenden das Inferno der Stadt in Richtung Kohnstein. Auch außerhalb von Nordhausen wurde sie von Jagdbombern beschossen.<ref> Manfred Schröter: ''Die Zerstörung Nordhausens''. Nordhausen: Meyenburg-Museum, 1988. S. 26 </ref> Am Abend und in der Nacht war die Stadt ein weithin leuchtendes Flammenmeer.<ref> Peter Kuhlbrodt: ''Schicksalsjahr 1945. Inferno Nordhausen''. Nordhausen 1995. S. 23 </ref> In der Mitte davon leuchtete der Kirchturm von St. Petri als riesige Fackel, die gegen Mitternacht zusammenbrach und auf das Kirchenschiff stürzte. RAF-Piloten, die von einem Einsatz bei Merseburg zurückflogen, berichteten um 23.00 Uhr von „good fires at Nordhausen“.<ref> Walter Geiger: ''Nordhausen im Bombervisier''. Nordhausen, 2000. S. 180 f.</ref> <br />
Der gebürtige Nordhäuser Schriftsteller [[Rudolf Hagelstange]] schrieb in seiner deutschen Familienchronik (Band 2: „Der Niedergang“, Seite 254) über die Feuersbrunst in seiner Heimatstadt: „Und die Hitze war so groß, dass in den meisten Straßen, sofern sie nicht gepflastert waren, der Asphalt geschmolzen war, dass Flüchtende da und dort in ihn eingesunken waren, einige unlöslich und damit zum Flammentod verurteilt.“<br />
<br />
=== Opfer ===<br />
[[Datei:Einwohnerentwicklung von Nordhausen ab 1800.svg|thumb|Einwohnerzahl von Nordhausen ab 1800. Deutlich sichtbar der Höhepunkt 1945]]<br />
Bei den Großangriffen im April 1945 kamen ca. 8.800 Menschen ums Leben. Diese Zahl geht auf Schätzungen vom Februar 1948 zurück.<ref name="Kuhlbrodt125">Kuhlbrodt: ''Inferno Nordhausen''. S. 125 f.</ref> Vor dem Abgriff befanden sich rund 65.000 Personen in der Stadt (42.000 ständige Bevölkerung, Militärpersonen, Gefangene, ausländische Arbeiter, Spezialarbeiter der Kriegsindustrie, Evakuierte). Der Antifa-Ausschuss von Nordhausen schätzte am 17. Juni 1945, dass über 10.000 Menschen bei den Bombenangriffen ums Leben gekommen seien.<ref> Peter Kuhlbrodt: ''Schicksalsjahr 1945. Inferno Nordhausen''. Nordhausen 1995. S. 115 </ref><br />
<br />
In den ersten Tagennach dem Einmarsch der Amerikaner ließ der US-Stadtkommandant in den Straßen liegende Leichen auf den Sonderfriedhof am Schlageter-Ring bringen. Andere wurden an Ort und Stelle in Bombentrichtern beerdigt. Eine beträchtliche Zahl ziviler Opfer und deutscher Soldaten wurde dann in dem höher gelegenen Teil des heutigen Ehrenfriedhofs in Massengräbern beigesetzt, unweit der getöteten Häftlinge aus der Boelcke-Kaserne. Für die später gefundenen Opfer ohne Anhang wurden Massengräber im vorderen Teil des Alten Hauptfriedhofs in der Leimbacher Straße angelegt. Heute steht an dieser Stelle ein Wohnblock. Auf dem Neuen Hauptfriedhof am Ring sind in den ersten Wochen und Monaten 920 Bombenopfer beerdigt worden.<br />
<br />
{| class="wikitable"<br />
|-<br />
| Verluste der ständigen Bevölkerung || 6.000<br />
|-<br />
| Verluste der nicht ständigen Bevölkerung || 1.500<br />
|-<br />
| Verluste der Häftlinge der Boelcke-Kaserne || 1.300<br />
|-<br />
| zusammen || 8.800<br />
|-<br />
|} <br />
<br />
==== Persönlichkeiten ====<br />
* [[Paul Urban]] (geb. 1892), KPD-Stadtrat<br />
<br />
=== Schäden und Totalverluste ===<br />
<br />
Der Zerstörungsgrad der Stadt wurde mit 74 Prozent errechnet. Die Gesamtfläche des zerstörten Gebietes betrug 810.000 Quadratmeter.<br />
Monate später, als die Opfer beigesetzt sind und die Überlebenden notdürftige Behausungen errichtet haben, ist diese Bilanz des Grauens zu ziehen: von 4.588 Gebäuden in der Stadt Nordhausen bleiben nur 971 unbeschädigt, von 13.075 Wohnungen sind 6.187 völlig und 4.575 teilweise zerstört. Das Stadtzentrum ist ausgelöscht. Von einmal 377 Einzelhandelsgeschäften sind kaum hundert übrig. Sieben Schulen und drei Kinos wurden zerstört, 411 der vordem 685 Handwerksbetriebe sind total- oder teilzerstört, ebenso die Mehrzahl der 109 großen Betriebe der Nahrungs- und Genußmittelindustrie (Nordhäuser Korn und Kautabak).<br />
<br />
==== Kirchen ====<br />
<br />
[[Datei:Petri-Kirche Außenansicht.JPG|thumb|[[St.-Petri-Kirche]]]]<br />
*[[St.-Jakobi-Kirche]]: Am 3. April erheblich durch Bomben zerstört. Reste des Schiffes abgetragen, Turmruine zu DDR-Zeiten beseitigt.<br />
*[[Marktkirche]]: Am 3. April weitgehend zerstört. Ruinenreste abgetragen.<br />
*[[St.-Petri-Kirche]]: Am 3. April bis auf Turm und Chor zerstört, zahlreiche Menschen finden in der Kirche den Tod. Der Turm erhielt 1954 ein Notdach, die übrigen Ruinenteile wurden beseitigt. 1987 wurde ein neuer Turmhelm gesetzt.<br />
* [[St.-Blasii-Kiche]]: Dach und Mauerwerk am 4. April durch Bombentreffer erheblich beschädigt [[Cranachgemälde]] im Auslagerungskeller verbrannt. Bis 1949 Wiederherstellung des Daches, Ausbesserung Mauerwerk, Erneuerung des Inneren.<br />
*[[Nordhäuser Dom]]: Am 4. April schwere Schäden durch Brandzerstörung des Steildaches über der Halle und Vernichtung der Fenster. Noch 1945 Fertigstellung Notdach und Beseitigung der Folgeschäden. 1965 Wiederherstellung des Steildaches in ursprünglicher Form.<br />
*[[Frauenbergkirche]]: Am 4. April durch Bomben schwer zerstört. Erhalten blieben Umfassungsmauern der Chor mit Apside, die Nebenchöre und das Querschiff, vom Langhaus nur Reste des ersten Joches sowie des Westportals. Von 1953 bis 1955 folgten Enttrümmerung und Sicherungsarbeiten.<br />
*[[Frauenbergkloster]]: Am 4. April durch Bombentreffer total zerstört. Gebäudereste wurden nach 1945 entfernt.<br />
<br />
==== Öffentliche Bauten ====<br />
*[[Rathaus]]: Am 4. April bis auf die Umfassungsmauern zerstört, Turm ausgebrannt. Ab 1951 Trümmer entfernt und Wiederaufbau bis 1952, dabei wurden die Erdgeschoßarkaden und das Innere neu gestaltet. Zum ebenfalls schwer zerstörten [[Stadthaus]] wurde der Verbindungsgang wiederaufgebaut, der [[Roland]] restauriert.<br />
*[[Stadtmauer]]: Es entstanden Schäden an der Stadtmauer, wobei besonders die teilweise genutzten Türme und Wiechhäuser betroffen wurden. Nach dem Krieg wurden Ruinen abgetragen und Sicherungsarbeiten durchgeführt. Zur Landesgartenschau 2004 erfolgten umfangreiche Sanierungsarbeiten, besonders um den [[Petersberg]]. <br />
*[[Theatergebäude]]:<br />
<br />
==== Fachwerkbauten ====<br />
[[Datei:Nordhäuser Roland 1945.jpg|thumb|Das ausgebrannte Rathaus mit dem [[Nordhäuser Roland|Roland]], der die Angriffe wie durch ein Wunder überstand]]<br />
[[Datei:Riesenhaus, Riese, Postkarte.jpg|thumb|Postkarte vom [[Riesenhaus]] am Holzmarkt (Lutherplatz) mit dem [[Nordhäuser Riese]]n.]]<br />
Bedeutende Fachwerkhäuser, die zerstört wurden (lt. dem Denkmalpfleger Rudolf<br />
Zießler):<br />
<br />
*[[Bäckerstraße]] 22: Mitte des 18. Jahrhunderts errichteter dreigeschossiger, neunachsiger, verputzter Fachwerkbau mit massivem Erdgeschoß, Satteldach und Zwerhaus. Stichbogenfenster mit einfacher profilierter Rahmung in Dreiergruppen. Betonung der Mittelachse durch ein von Pilastern flankiertes Portal mit gesprengtem Giebel, darauf ruhende Frauen und Wappen sowie durch einen auf Konsolen sitzenden Balkon mit schmiedeeisernem Gitter.<br />
*[[Blasiistraße]] 15: Alte Schule. Errichtet um 1700 als dreigeschossiger stattlicher Fachwerkbau mit hohem Satteldach. Unregelmäßige Fenstergruppierung (im ersten Obergeschoß dreizehn Achsen). Fachwerk mit halben Männern. Obergeschoß vorkragend mit Balkenköpfen und gekehlten Füllhölzern.<br />
*Blasiistraße 21: Bedeutendstes Renaissance-Fachwerkhaus Nordhausens von etwa 1550. Dreigeschossig mit zehn Fensterachsen in unregelmäßiger Gruppierung, Geschosse stark vorkragend. Reich ausgebildetes Schmuckfachwerk mit Balkonköpfen, Knaggen, Füllhölzern und Schiffskehlen. Haupteingang mit kräftigen Gewämdepfosten und halben Sonnen um 1700.<br />
*[[Hagenstraße]] 4: Um 1800 errichtet als zweigeschossiger, verschieferter Fachwerkbau mit zehn Fensterachsen. Eckpilaster, ebensolche toskanische Holzpilaster flankieren die vier Mittelachsen und nehmen einen verschieferten Dreieckgiebel auf. Stichbogenfenster mit einfacher Rahmung und Schlußsteinbetonung.<br />
*Hagenstraße: Ilfelder Hof, ehem. Klosterhof, seit dem ersten Viertel des 18. Jahrhunderts Kurhannoversche Postverwaltung, seit 1853 in Privatbesitz. 1277 angelegt, später erweitert, im 17. Jahrhundert Neubau auf erweitertem Grundriss mit massivem Erdgeschoß und zwei Fachwerkobergeschossen, verschiefert.<br />
*[[Holzmarkt]] (Lutherplatz): „Riesenhaus“. 1375 erstmals erwähntes Patrizierhaus mit massivem Erdgeschoss, zwei Fachwerkobergeschossen und Satteldach. Nach Brand von 1710 im Fachwerk erneuert. Fassade gegliedert durch zwölf Fensterachsen, jeweils in Dreiergruppen angeordnet. Fachwerkkonstruktion mit Wilden Männern. Mittelgiebel mit einem Mann in Ritterrüstung ([[Nordhäuser Riese]]), der eine Lanze hält. 1805 Einrichtung einer Gaststätte, Verputz des Fachwerks und klassizistische Fassadengestaltung. 1927 Endrestaurierung und Wiederherstellung des Fachwerks.<br />
*Jakobikirchplatz 4: Lateinschule. Zweigeschossiger Fachwerkbau von 1493 mit Satteldach. Ständer- und Riegelbau. Vorkragendes Obergeschoß über geschwungene Knaggen. Durchlaufender Fensterbrustriegel.<br />
*Jakobikirchplatz: Pfarrhaus. 1687 errichteter zweigeschossiger Fachwerkbau mit Krüppelwalmdach. Fenstergruppierung unregelmäßig. Stiele und Brustriegel durch Wilde Männer verstärkt. Geringe Auskragung, Balkonköpfe und Schwelle mit einfacheren Profilen. Gefache mit Ziegeln in Mustern ausgemauert. Oberdeutsch beeinflusstes Fachwerk.<br />
*[[Königshof]] 14: Dreigeschossiger Fachwerkbau mit oberdeutschen Stilelementen, ganze und halbe Männer. Um 1780 Verkleidung der Fenster mit Rokokogirlanden.<br />
*[[Krämerstraße]] 11: Verschieferter, zweigeschossiger, fünfachsiger Fachwerkbau mit spätbarockem Volutengiebel. Stichbogenfenster mit Rahmenverkleidung. Erdgeschoss durch Ladeneinbauten verändert.<br />
*Krämerstraße 15: Um 1700 errichteter schmaler dreigeschossiger Fachwerkbau in oberdeutschem Stil mit halben Männern an den Ecken. Balkonköpfe und Füllhölzer mit einheitlichem Profil. Satteldach mit Zwerchhaus.<br />
*[[Lohmarkt]] 2, 4, 20, 21: Nach 1686 errichtete Gerberhäuser. Zwei- bzw. dreigeschossige Fachwerkgebäude im gleichen oberdeutschen Baustil wie Pfarrhaus Jakobikirchplatz. Besonders reich ausgebildet der Türstock mit Renaissanceformen und Inschrift. Satteldächer mit Zwerchhäsern (Ladeluken).<br />
*[[Neustadtstraße]] 27: Zweigeschossiger, elfachsiger Fachwerkbau aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts mit Satteldach. An den Fenstern Rokokoverkleidung.<br />
*Neustadtstraße 35: Zweigeschossiger, achtachsiger Fachwerkbau aus der Mitte des 18. Jahrhunderts auf Sandsteinsockel. Türen und Fenster in Stichbogen mit geschnitzter Rokokoverkleidung.<br />
*Neustadtstraße 47: Dreigeschossiger Fachwerkbau der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts mit Krüppelwalmdach. Rokokofensterbekleidungen handwerklich vereinfacht.<br />
*[[Pferdemarkt]] 17: Dreigeschossiger Fachwerkbau von etwa 1550, niederdeutsch beeinflusst. Auskragung des Obergeschosses mit Balkonköpfen, Knaggen und Füllhölzern. Erdgeschoß baulich verändert.<br />
*[[Sandstraße]] 3, 21, 23, 28: Diese Häuser hinsichtlich der Entstehungszeit und der architektonischen Ausbildung denen der Neustadtstraße entsprechend.<br />
<br />
==== Situation nach dem Großangriff ====<br />
[[Datei:Boelcke-Kaserne-Tote HäftlingeA.jpg|thumb|Einwohner Nordhausens tragen am 12. April 1945 unter Bewachung von Angehörigen der US-Armee tote Häftlinge aus der Boelcke-Kaserne und legen sie davor ab]]<br />
[[File:Nordhausen um 1930.jpeg|thumb|Der Stadtteil [[Altendorf]] blieb weitgehend unzerstört (Luftaufnahme um 1930)]]<br />
Das britische Bomber Command berichtete als Ergebnis der beiden Großangriffe, dass „die Stadt fast vollständig zerstört wurde, inbegriffen die Kasernenblöcke.“<ref> Walter Geiger: ''Nordhausen im Bombervisier''. Nordhausen: Neukirchner, 2000. S. 154 </ref> <br />
Die Situation für die Bevölkerung nach den Angriffen kann nur mit dem Begriff „Inferno“ beschrieben werden. Das Stadtzentrum konnte tagelang nicht betreten werden. Es wüteten noch zahlreiche Brände<ref> Peter Kulhlbrodt: ''Schicksalsjahr 1945. Inferno Nordhausen''. Nordhausen 1995. S. 24</ref>, die Schutthaufen strahlten unerträgliche Hitze aus. Bomben mit Zeitzündern gingen hoch. Über den Trümmerfeldern lag bald Leichengeruch, besonders im Bereich der Boelcke-Kaserne. In den Nächten des 6. und 7. April wurden die Kranken und Verwundeten aus Nordhausen und Umgebung durch alle verfügbaren Fahrzeuge, besonders mit Bauern-Gespannen, in den Kohnstein in Sicherheit gebracht. Die Nordhäuser Bevölkerung verteilte sich nach Schätzungen am 7. April wie folgt: 6.000 (8.800) Opfer tot unter den Trümmern, 6.000 Überlebende noch in der Stadt, 10.000 im Kohnstein und 20.000 in den umliegenden Dörfern, besonders nordöstlich der Stadt.<ref> Manfred Schröter: ''Die Zerstörung Nordhausens''. Nordhausen: Meyenburg-Museum, 1988. S. 30 </ref> Am 8. April flogen 6 Jagdbomber noch einen Tagesangriff nach Zielmarkierung auf Nordhausen, parallel zu dem Bombardement auf [[Sondershausen]]. Am 10. April näherten sich US-Panzer aus Richtung [[Hain (Kleinfurra)|Hain]] dem Süden der Stadt und nahmen ihn unter Feuer, darunter die Trümmer der Boelcke-Kaserne.<ref> Manfred Schröter: ''Die Zerstörung Nordhausens''. Nordhausen: Meyenburg-Museum, 1988. S. 37 </ref><br />
Die britischen Bomber-Staffeln stießen bei den Angriffen an beiden Tagen auf keinerlei deutsche Luftabwehr. »Null« lauten jeweils die Eintragungen in den Rubriken »Flak« und »Einsatz von Jagdflugzeugen«. Am 8. April nahmen alliierte Flugzeuge »Aufnahmen von exzellenter Qualität« vom zerstörten Nordhausen auf. In dem angefügten Bericht heißt es: »Das Herz von Nordhausen wurde durch die beiden Angriffe verwüstet, und zwar von den nordwestlichen Außenbezirken über das Stadtzentrum bis hin zum Flugplatz und den Kasernen der Luftwaffe am Helme-Fluss im Südosten. Im militärischen Bereich wurden nahezu alle Gebäude schwer getroffen und völlig oder teilweise zerstört. Schwerer Schaden entstand am Flugkontrollturm, dem Wachraum und einem großen Hangar am Nordrand des Flugfeldes. Nahe der Bahnanlagen wurden Industriebetriebe und das Gaswerk getroffen, wobei drei Gasometer zerstört wurden.«<ref>''Bad Lauterberger Tageblatt'', 3./4.April 1985</ref><br />
<br />
== Nachwirkungen ==<br />
Insgesamt waren vom britischen Bomber Command 2.386 Tonnen und von der 8. US Air Force 296 Tonnen Bombenlast auf Nordhausen abgeworfen worden.<ref> Olaf Groehler: ''Bombenkrieg gegen Deutschland''. Berlin: Akademie-Verlag, 1990. S. 449 </ref><br />
Eine der am längsten nachwirkenden Folgen der Luftangriffe für die Bürger der Stadt blieben Hunderte von Blindgängern aller Kaliber: zwischen den Trümmern der Stadt und im Erdreich der Straßen, Gärten und Felder. In den ersten Jahren machten sich die Feuerwerker Jochen Nebel und Albin Diebler sehr verdient um die Entschärfung gefundener Bomben, ab 1962 der - deshalb zum Ehrenbürger ernannte - Helmut Zinke. Im Stadtgebiet wurden 1948 bis 1953 etwa 100 Bomben entschärft, dann 248 Blindgänger von 1954 bis 1999 entzündet und geräumt.<ref>Walter Geiger: ''Nordhausen im Bombervisier''. Nordhausen, 2000. S. 263-264 </ref> <br />
<br />
Noch 2014 gilt eine Verordnung in Nordhausen, nach der jeder Bürger, der bauen will, sicherstellen muss, dass unter seinem Grund und Boden kein Gefahrgut liegt.<ref>Katja Dörn: ''Die Gefahr rostet im Thüringer Boden''. Thüringische Landeszeitung, 12. Dezember 2014 </ref><br />
<br />
Auswahl weiterer Funde von Blindgängern:<br />
* 1996: 250-Kilogramm-Blindgänger wird gesprengt<br />
* 2008: 227-Kilogramm-Bombe in der Altstadt<br />
* 2010: Fünf-Zentner-Bombe am [[Taschenberg]] entdeckt, 4.500 Menschen wurden evakuiert, Bombe konnte nicht entschärft werden<br />
* Juni 2016: Kontrollierte Sprengung einer 800-Kilogramm-Bombe, Leimbach und Steigerthal mussten geräumt werden (1.080 Einwohner) <br />
* Dezember 2016: Fünf-Zentner-Bombe am [[Strohmühlenweg]], ca. 1000 Einwohner, so auch die Hochschule Nordhausen, wurden evakuiert<br />
* September 2017: Bombe auf einem Feld in der [[Windlücke]], ca. 3000 Einwohner evakuiert, Bombe entschärft<ref>https://www.nnz-online.de/news/news_lang.php?ArtNr=219719</ref><br />
* Oktober 2018: Bombe in der Windlücke, ca. 3000 Einwohner evakuiert, Bombe entschärft<ref>https://www.nnz-online.de/news/news_lang.php?ArtNr=243515</ref><br />
* November 2018: Bombe in Bielen, 1.1000 Einwohner wurden evakuiert (Sperrzone 1 Kilometer), Bombe entschärft<br />
* August 2019: 225-Kilogramm-Bombe an der [[Zorge]], 2.500 Einwohner wurden evakuiert (Sperrzone 500 Meter), Bombe entschärft und Zünder gesprengt<br />
* November 2019: 225-Kilogramm-Bombe am [[Stadttheater]], ca. 15.000 Einwohner wurden evakuiert (Sperrzone 1 Kilometer), Bombe entschärft und Säurezünder gesprengt. Es war die größte Evakuierungsaktion in Nordhausen nach dem Zweiten Weltkrieg.<ref>MDR, 8. November 2019</ref><br />
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== Rezeption ==<br />
[[Datei:Nordhausen mahnt 1949.jpg|thumb|200px|Werbeplakat zur Ausstellung „[[Nordhausen mahnt - Ausstellung vom 6. bis 27. März 1949|Nordhausen mahnt]]“ im März 1949]]<br />
Luftangriffe waren im Zweiten Weltkrieg für alle Kriegsparteien zum entschiedenen strategischen Kriegskonzept geworden. Die Westalliierten glaubten durch die planmäßige und massive Zerstörung deutscher Städte, vor allem der Wohngebiete der Industriearbeiter, die Moral und den Widerstandswillen der Bevölkerung zu brechen und den Krieg schneller beenden zu können.<ref>Johannes Volker Wagner: ''Bomben auf Bochum''. S. 3.</ref> Im Januar 1943 einigten sich Großbritannien und die Vereinigten Staaten in Casablanca auf die Forderung nach bedingungsloser Kapitulation des Deutschen Reiches und auf eine weitere Verschärfung des Bombenkrieges. Zu dieser Zeit war die deutsche Luftabwehr längst nicht mehr in der Lage, das Reichsgebiet zu verteidigen. Die Alliierten erreichten ihr Ziel der Demoralisierung jedoch nicht, und viele Deutsche klammerten sich in Verzweiflung an die Hoffnung auf einen „Endsieg“.<br />
<br />
<!-- Auszug aus „Winston Churchill“. Der späte Held, eine Biographie von Thomas Kielinger, erschienen im Verlag C.H. Beck, Kapitel XY, Seite 301 ff.: Nach dem Kriege stand eine andere Verantwortung Churchills im Vordergrund – „für die Vernichtung von nahezu 60 der größten Städte Deutschlands“. „Mit dem Untergang Dresdens sind auch nachdenkliche Briten bis heute nicht fertig. Die Zweifel, ob die Zerstörung dieser und anderer Städte so kurz vor dem nahen Kriegsende zu rechtfertigen war, haben sich längst zu dem Urteil verdichtet: Sie war es nicht! ... Hilft es zur Erklärung darauf hinzuweisen, dass in der Schlussphase des Krieges deutsche V1- und V2-Waffen weiterhin Zerstörung auf Antwerpen, Paris und London regnen ließen? Eine V2 schlug noch am 27. März 1945 im Osten Londons ein und tötete 134 Menschen. Die britische öffentliche Meinung hätte es nicht verstanden, wenn die mili-tärische Führung auf Schonung des Gegners geschaltet hätte, wo dieser bis zum Ende Vernichtung spie.“<br />
<br />
„Aber die alte Frage bleibt, die Lothar Kettenacker 2003 in dem Sammelband „Ein Volk von Opfern?“ noch einmal stellte – „ob der Zweck die Mittel heiligt, ob die Beseitigung einer unheilvollen Diktatur die rücksichtslose Bombardierung der Bevölkerung rechtfertigt. Unbehagen äußerte Churchill selbst schon 1943, als ihm Bilder von den Auswirkungen der Bomben in Deutschland vorgelegt wurden ...“ Der Australier Ricard Casey, der an den Sitzungen des britischen Kriegsrates ... teilnahm, schrieb am 27. Juni 1943 in sein Tagebuch: „Es wird ein Film gezeigt über das nächtliche Bombardement einer deutschen Stadt, und plötzlich richtet sich Churchill steil in seinem Sessel auf und sagt zur mir: ‚Sind wir Bestien? Gehen wir nicht zu weit? <br />
<br />
Churchills Meinungen zum Bombenkrieg gegen Deutschland schwankten. Nach der Zerstörung Dresdens begegnet man bei ihm, spät, einer eindeutigen Ablehnung, so in dem berühmten Memorandum vom 28. März 1945:‚Der Moment scheint mir gekommen, wo die Frage der Bombardierung deutscher Städte zum Zwecke der Erhöhung des ''''terrors'''' (in Englisch mit der Bedeutung von Angst und Schrecken) auch wenn wir andere Vorwände nennen, überprüft werden sollte... Es ist nötig, dass wir uns mehr auf militärische Ziele konzentrieren wie Öllager und Kommunikationszentren hinter der unmittelbaren Kampfzone, statt auf Akte des reinen terrors und der mutwilligen Zerstörung’.“<br />
„Nicht umsonst nannte man Harris auch den ‚butcher’, den Metzger. . . Schon Max Hastings (stockkonservativer Historiker) nannte in seinem Klassiker von 1979 ‚Bomber Command’ die Auslöschung deutscher Städte noch im Frühjahr 1945 ‚einen bleibenden Schandfleck’,“ soweit Kielinger. Nach Kriegsende zog sich Harris verbittert nach Südafrika zurück, weil er sich nicht gebührend geehrt vorkam. Luftangriffe hatte Harris als „relativ humane Methode“ bezeichnet. Butcher wurde er nicht wegen der zivilen Bombenopfer in Deutschland genannt, sondern weil 55 000 Angehörige des Bomber Command vom Feindflug nicht heimkehrten – jeder zweite Pilot und Bordschütze. --><br />
<br />
Im März 1945 hatte sich das Angriffstempo der US-Streitmacht im Vergleich zu den Vormonaten verlangsamt.<ref name="Gewiger158">Geiger: ''Nordhausen im Bombenvisier''. S. 158 f.</ref> Um dennoch den Stoß in das Zentrum Deutschlands als strategisches Ziel zügig fortzuführen, waren die Westalliierten zum Einsatz aller Mittel entschlossen, auch in Anbetracht eventuell noch bevorstehender Kämpfe und Widerstand im Südharz. Die Stadt Nordhausen erhielt daher militärische Bedeutsamkeit für die 1. US-Armee, auch wegen des Verschiebebahnhofs für Truppenbewegungen. Der unterirdische Rüstungsbetrieb im [[Kohnstein]] und das [[Konzentrationslager Dora Mittelbau]] wurden dagegen nie zum Ziel von Luftangriffen. <br />
<br />
Nordhausen und Umgebung wurden Ende 1944 von britischen Fernaufklärern nachts unter tagheller Beleuchtung durch Magnesiumbomben sorgfältig aus der Luft fotografiert.<ref>Manfred Schröter: ''Die Zerstörung Nordhausens''. Nordhausen 1988, S. 55</ref> Die Bombardierung von Nordhausen wurde am 2. April 1945 vom Alliierten Oberkommando (SHAEF) befohlen.<ref name="Gewiger158"/> Gefordert wurde ein Angriff zur Unterstützung der 1. US-Armee mit Priorität zur frühestmöglichen Gelegenheit. Einige Tage zuvor wurde vom SHAEF die Zerstörung durch die RAF beschlossen.<ref>Manfred Schröter: ''Die Zerstörung Nordhausens''. Meyenburg-Museum Nordhausen, 1988, S. 54–55</ref><br />
<br />
Dieses, geführt von Luftmarschall Arthur Harris, erteilte am 2. April den unmittelbaren Befehl für einen Doppelschlag an zwei Tagen.<ref>Walter Geiger: ''Nordhausen im Bombervisier''. Nordhausen 2000, S. 108–109</ref> Der Zweck der RAF-Angriffe im April 1945 bestand darin, den Weg für einen ungehinderten Vormarsch von der im Südharzer Raum erwarteten Gegenwehr freizumachen. 3.466 britische Soldaten sollten als fliegendes Personal an den Angriffen teilnehmen. Ihnen wurde als Ziel des Angriffs erklärt: „To kill military and Nazi personnel evacuated from Berlin to these barracks“ (gemeint das Areal der Boelcke-Kaserne und die Stadt Nordhausen).<ref>Geiger: ''Nordhausen im Bombenvisier''. S. 121 </ref><br />
<br />
<!-- Bitte Quelle angeben!(Wie aus dem Text eindeutig hervorgeht: Der genannte Journalist und Gesprächspartner Dr. Meyers!) Der gebürtige Nordhäuser [[Manfred Neuber]], als Journalist von 1960 bis 1963 in London und New York, recherchierte als erster bei der Royal Air Force und der US Air Force über die Luftangriffe auf Nordhausen. Aus den detaillierten Angaben ging hervor, dass allein Bomber der Royal Air Force Nordhausen angegriffen hatten. Die SED-Propaganda hatte behauptet, es habe sich um „amerikanische Terrorangriffe“ gehandelt. So stand es auch Jahre auf der Gedenkstele für die Opfer der Luftangriffe neben dem Alten Rathaus. Neuber hatte Gelegenheit, im Jahre 1964 in Bad Lauterberg mit Dr. [[Herbert Meyer]], Oberbürgermeister Nordhausens vor Kriegsende 1945, über die Bombenangriffe zu sprechen. Dabei widerlegte Meyer noch Jahre nach dem Kriege kursierende Gerüchte, die Luftangriffe hätten eigentlich der Stadt Gotha gelten sollen. Weil die Verantwortlichen dort kapituliert hätten, sei Nordhausen angegriffen worden, weil es nicht ebenso gehandelt habe. Meyer versicherte, es habe keine Aufforderung zur Übergabe der Stadt gegeben. Zum Zeitpunkt der Luftangriffe standen die US-Panzerspitzen noch im Raume Kassel. --><br />
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=== Vermutungen und Gerüchte über den Großangriff ===<br />
<br />
* Nordhausen soll Aufforderung zur kampflosen Übergabe ausgeschlagen haben.<br />
** Der Nordhäuser Oberbürgermeister bei Kriegsende, [[Herbert Meyer]], widersprach dieser Darstellung in einem Gespräch mit dem Journalisten Manfred Neuber um 1964 in Bad Lauterberg: „An die Stadtverwaltung ist niemals bis zu den Angriffen eine Aufforderung der Amerikaner ergangen, Nordhausen zur offenen Stadt zu erklären. Ich möchte bezweifeln, dass sie an Kreisleiter Nentwig ergangen ist.“<ref name="Sting252">Heinz Sting: ''Das 1000-jährige Nordhausen und der schöne Südharz''. Hannover: Nordhäuser Heimatfreunde, 1965. S. 252.</ref><br />
<br />
* Nordhausen wurde durch die US-Luftwaffe zerstört.<br />
** Es ist unbestritten und belegt, dass britische Bomber die Stadt zerstörten. „Die Einsatzbefehle der 8. US-Luftflotte sahen weder am 3. noch am 4. April 1945 Nordhausen als Ziel vor. Die Operationsberichte der 8. Luftflotte geben auch keinen Großangriff auf Nordhausen an einem dieser beiden Tage an. Der Hauptzielplan für die amerikanischen Heeresflieger in Europa während des Zweiten Weltkrieges führt ebenfalls keinen Angriff auf Nordhausen im April 1945 auf“, teilte das amerikanische Aerospace Studies Institute auf Anfrage des Journalisten Manfred Neuber zu Beginn der 1960er Jahre schriftlich mit. „Aus anderen Quellen ist zu entnehmen“, gab der Leiter für geschichtliche Studien an diesem Institut der US Air Force University auf der Maxwell Air Base in Montgomery/Alabama, bei den Recherchen des Journalisten zu Protokoll, „dass am 3.und 4 .April 1945 vom Bomber Command der Royal Air Force schwere Angriffe auf Nordhausen geflogen wurden.“ Diese Angaben wurden von der Air Historical Branch im britischen Verteidigungsministerium (damals noch Ministry of War) dem Rechercheur bestätigt. Alle hier aufgeführten Originaldokumente wurden dem Stadtarchiv Nordhausen übergeben.<br />
<br />
* Nordhausen wurde anstelle Gothas bombardiert.<br />
** Diese Behauptung wurde u. a. von [[Kurt Kohlmann]] aufgestellt. So berichtete er von zwei US-Offizieren, die entsprechende Aussagen getätigt haben sollen: „Sie erzählten mir, der Kreisleiter von Nordhausen sei dreimal aufgefordert worden zu kapitulieren. Nachdem die Faschisten das dritte Mal abgelehnt hätten, sei ein auf Gotha angesetzter US-amerikanischer Bomberverband nach Nordhausen umgeleitet worden.“<ref name="Rudloff138">Jost-Dieter Rudloff: ''Warum wurde Nordhausen eine Woche vor Kriegsende 1945 in Brand gesetzt? Informationen und Überlegungen''. In: ''Beiträge zur Geschichte aus Stadt und Kreis Nordhausen (Band 44/2019)'', S. 138.</ref> Dies wurde ebenfalls von Herbert Meyer als unglaubwürdig zurückgewiesen.<ref name="Sting252"/><br />
<br />
* Nordhausen wurde wegen der Raketen-Produktion im Kohnstein bombardiert.<br />
** Den Alliierten war bekannt, dass sich im Kohnstein ein Rüstungsbetrieb befand, nicht jedoch, dass dort die V-Waffen gefertigt wurden.<ref>Jürgen Möller: ''Konzentrationslager Mittelbau-Dora''. Bad Langelsalza 2018, S. 33.</ref> Der Kohnstein war wegen der Kriegsgefangenenlager kein Angriffsziel.<ref name="Rudloff138"/><br />
<br />
* Die Nordhäuser Bevölkerung sollte wegen dem Konzentrationslager Dora-Mittelbau bestraft werden.<br />
** Dies wird durch kein Dokument der Alliierten bestätigt.<br />
<br />
* Nordhausen wurde aus militärischen Gründen bombardiert.<br />
** Die Stadt war verkehrstechnischer Knotenpunkt und Mittelpunkt der Nordthüringer Rüstungsindustrie und wurde auch von der deutschen Armeeführung als wichtig wahrgenommen.<ref name="Rudloff140">Jost-Dieter Rudloff: ''Warum wurde Nordhausen eine Woche vor Kriegsende 1945 in Brand gesetzt? Informationen und Überlegungen''. In: ''Beiträge zur Geschichte aus Stadt und Kreis Nordhausen (Band 44/2019)'', S. 140.</ref> Für das US-Militär bildete die Stadt kein strategisches Ziel mehr.<ref name="Rudloff140"/> Die Stadt Nordhausen erhielt militärische Bedeutsamkeit für die Bodentruppen der 1. US-Armee, auch wegen des Verschiebebahnhofs für Truppenbewegungen. Die Schonung der Rüstungsbetriebe mit ihrem Personal ergab sich aus der Hoffnung, möglichst viele Waffen und Fachkräfte zu erbeuten.<ref name="Rudloff140"/> Es gibt keinen Hinweis darauf, dass Nordhausen aus militärischen Gründen bombardiert wurde.<ref name="Rudloff140"/> (Doch: im SHAEF-Befehl ausdrücklich erwähnt)<br />
<br />
== Aufarbeitung und Gedenken ==<br />
=== 1945 bis 1990 ===<br />
==== DDR ====<br />
Bis zur Wiedervereinigung hielt sich die Behauptung, die United States Air Force habe Nordhausen am 3. und 4. April 1945 bombardiert. Zum einen wurde der US-Luftwaffe vorgehalten, dass die Angriffe auf Nordhausen ein Akt blinder Zerstörung und militärisch sinnlos gewesen seien, da das Ende des Dritten Reiches absehbar war. Andererseits wurde mit der „Gotha-Legende“ behauptet, dass Nordhausen bis zum Letzten verteidigt werden sollte und es deshalb zum Luftangriff kam. Damit wurde die Verantwortlichkeit für das Bombardement wahlweise den lokalen NS-Amtsträgern oder den USA zugeschrieben. <br />
<br />
Ein Interesse an einer realistischen Rekonstruktion hatte die SED auch aufgrund der Situation des Kalten Krieges nicht.<br />
Zum 40. Jahrestag der Luftangriffe wurde in der Lokalpresse erstmals von „250 britischen Lancaster-Maschinen“ berichtet.<ref>„Die Zerstörung Nordhausens - Mahnung und Verpflichtung“, ''Das Volk'', 2. April 1985.</ref> Eine Korrektur der Geschichte fand jedoch nicht statt, und auch danach war mitunter vom „Zerstörungsangriff amerikanischer Bomber“ die Rede.<ref>''Unser Aktuelles Argument'', April 1985.</ref> Für die in der DDR-Propaganda kolportierte öffentliche Erinnerung erklärt sich aus dem politischen Bedürfnis, die „imperialistischen“ Angreifer als möglichst grausam und skrupellos erscheinen zu lassen, im Sinne antiamerikanischer Propaganda.<ref name="Winter63">Winter: ''Öffentliche Erinnerungen an den Luftkrieg in Nordhausen 1945 - 2005''. Marburg: Tectum-Verl., 2010. S. 63.</ref> <br />
Mit Verweis auf die Luftangriffe auf Nordhausen wurde auf tatsächliche oder vermeintliche aktuelle militärische Bedrohungen oder Konflikte Bezug genommen, z. B. auf den Vietnamkrieg. <br />
<br />
Insgesamt war die Nordhäuser Luftkriegserinnerung gekennzeichnet von einer eigentümlichen „Verwischung der Grenze zwischen Faktizität und Fiktionalität“, die nach dem Historiker Martin Sabrow typisch für das Geschichtsdenken in der DDR war.<ref>Martin Sabrow: ''Einleitung - Geschichtsdiskurs und Doktringesellschaft'', Potsdam: Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam (ZZF), 2000. S. 24.</ref><br />
<br />
Der Versuch einer wirklichen Aufarbeitung in der DDR wurde erstmals 1985 angestoßen, als [[Manfred Schröter]] anlässlich des 40. Jahrestages eine Publikation veröffentlichen wollte. Darin wurde dargelegt, dass die RAF und nicht die USAF für den Angriff im April 1945 verantwortlich gewesen war. Nachdem Schröters Buch nach Begutachtung und Korrektur durch den Historiker Olaf Groehler sowie der SED-Kreisleitung und Bezirksleitung in Druck gegangen war, konfiszierte die Kreisleitung am 29. März 1985 die gesamte Auflage und verhinderte eine Veröffentlichung.<ref name="Winter62">Winter: ''Öffentliche Erinnerungen an den Luftkrieg in Nordhausen 1945 - 2005''. Marburg: Tectum-Verl., 2010. S. 62.</ref> Vorausgegangen war ein öffentlicher Vortrag Schröters am 14. März 1985, in dem er seine Ergebnisse (im Beisein von Stasi-Spitzeln) vorstellte.<br />
<br />
Das Gedenken an die Luftangriffe wurde zu DDR-Zeiten auch stark mit dem Wieder- bzw. Neuaufbau der Stadt verwoben. In den ersten Jahren nach dem Krieg wurde vor allem zur Mithilfe agitiert, um durch das „Aufbauwerk“ einer „glücklichen, friedlichen und sonnigen Zukunft“ entgegenzutreten.<ref>„Aufbauerfolge dürfen nicht preisgegeben werden,“ ''Das Volk'', 7. April 1953.</ref> Ab Ende der 1950er Jahre verwies die SED auf die bisher erzielten Erfolge. Zum 40. Jahrestag der Bombardierung 1985 behauptete Oberbürgermeister [[Peter Heiter]], dass die Jahre des Sozialismus die erfolgreichsten in der über tausendjährigen Stadtgeschichte gewesen seien und verwies auf die Rolle der Partei als entscheidender Faktor für das Erreichte.<ref name="Winter81">Winter: ''Öffentliche Erinnerungen an den Luftkrieg in Nordhausen 1945 - 2005''. Marburg: Tectum-Verl., 2010. S. 100.</ref> <br />
Ein wichtiges Großereignis war die Instandsetzung des [[St.-Petri-Kirche|Petri-Turms]] mit einer neuen Turmspitze zum 42. Jahrestag 1987 als „wiedererstandendes Wahrzeichen“.<ref>„Kupferhelm für den Petriturm“, ''Das Volk'', 7. April 1987.</ref><br />
In der Festschrift (1050 Jahre Nordhausen", 1977 herausgegeben vom Magistrat, heißt es: "Für den ausgesprochenen Terrorcharakter der anglo-amerikanischen Luftangriffe spricht auch, dass die Hauptstraßen des Schienen- und Straßenverkehrs funktionstüchtig blieben und die militärischen Anlagen der Stadt, insbesondere das Flugplatzgelände, weiter den Machthabern des Dritten Reiches für ihre verbrecherische Politik zur Verfügung standen."<br />
Die Festschrift hebt hervor: "Das heutige Nordhausen entwickelt sich dank der schöpferischen und angestrengten Arbeit der Arbeiterklasse und aller Bürger unserer Stadt, auf festen sozialistischen Fundamenten. Ständig entsteht Neues, man braucht sich nur umzuschauen." Dagegen bemerkte das "Bad Lauterberger Tageblatt" (Ausgabe vom 3./4. April 1985, Seite 3): "Der Wiederaufbau Nordhausens begann erst sehr spät und sehr schleppend. Noch immer bildet der alte Stadtkern eine weithin kahle Fläche."<br />
<br />
==== BRD ====<br />
<br />
In der Bundesrepublik wurde das Gedenken von dem Verein [[Nordhäuser Heimatfreunde]] getragen. Die erste gedruckte Ausgabe der Vereinszeitung ''[[Nordhäuser Nachrichten]]'' widmete sich der Zerstörung Nordhausens, und auch in den folgenden Jahren bildete es ein wiederkehrendes Themenfeld mit zahlreichen Erlebnisberichten. Die Rolle des Vereinsvorsitzenden und früheren Nordhäuser NSDAP-Oberbürgermeisters [[Heinz Sting]] zum Gedenken wird kritisch gesehen.<ref name="Winter83">Winter: ''Öffentliche Erinnerungen an den Luftkrieg in Nordhausen 1945 - 2005''. Marburg: Tectum-Verl., 2010. S. 83 ff.</ref> So sei Sting zwar bemüht gewesen, klarzustellen, dass nicht die US-Luftwaffe die Stadt bombardierte, doch zeigte er sich auch bestrebt, die Rolle des Nationalsozialismus zu relativieren.<br />
<br />
Diese historischen Fakten hatte der Journalist [[Manfred Neuber]] schon vor 1965 in US- und britischen Archiven ermittelt und publiziert (''Bad Lauterberger Tageblatt'' um 1964 und am 3./4. April 1985 in „Das Drama von Nordhausen“, in der ''Herzberger Zeitung'' und im späteren ''HarzKurier'' in Herzberg, im ''Göttinger Tageblatt'' sowie Erwähnung in den ''Nordhäuser Nachrichten'').<br />
[[Herbert Meyer]], Oberbürgermeister Nordhausens in den letzten Kriegstagen und später Stadtdirektor in Bad Lauterberg, versicherte Manfred Neuber 1963 in einem Gespräch über dessen Recherchen in Großbritannien und in den USA, die Stadt Nordhausen habe keine Aufforderung der Alliierten erhalten, Nordhausen zur offenen Stadt zu erklären. Eine Entscheidung darüber hätte auch nicht in seiner Kompetenz gelegen: „Ob eine solche Aufforderung an den Kreisleiter Hans Nentwig ergangen ist und ob dieser sich geweigert hat, ihr nachzukommen, weiß ich nicht. Ich möchte es aber bezweifeln“, erklärte Meyer (Originalzitat in den Aufzeichnungen über das Treffen). Der NSDAP-Kreisleiter [[Hans Nentwig]] hatte das Bombardement in seiner Ausweich-Befehlsstelle unbeschadet überstanden. Er lebte in der Nachkriegszeit in Katlenburg. Von der marxistischen Geschichtsschreibung in der DDR wurde ihm wegen „seiner verbrecherischen Durchhalte-Politik“ eine Hauptschuld an der Zerstörung Nordhausens zugeschrieben.<br />
<br />
=== Seit 1990 ===<br />
<br />
Der 50. Jahrestag der Luftangriffe 1995 wurde mit einer Gedenkwoche unter der Losung „Nordhausen 1945: Erinnerung – Trauer – Mahnung“ weitaus größer begangen als die Jahre zuvor. 1993 hatte das Stadtarchiv angekündigt, diverse Maßnahmen einzuleiten, um ein würdiges Gedenken zu gewährleisten. Darunter zählte das Sammeln von Zeitzeugenberichten, realisierte Veranstaltungen und Projekte sowie die Planung einer Publikation zum Thema. Am 30. März 1995 wurde eine Metallplastik auf der oberen Plattform des Petri-Turms enthüllt und einen Tag später eine Ausstellung mit Fotos und Dokumenten eröffnet. Zudem erschien unter der Leitung des Stadtarchivars [[Peter Kuhlbrodt]] das Buch ''[[Schicksalsjahr 1945 – Inferno Nordhausen]]''. In den folgenden Tagen wurde ein ökumenischer Gedenkweg abgehalten, es gab Kranzniederlegungen am Gedenkstein auf dem Hauptfriedhof, dem Ehrenfriedhof und an der Boelcke-Kaserne. Begleitet wurde das Gedenken mit einer umfassenden Berichterstattung in der Presse, die auch überregional wirkte. <br />
<br />
Nach dem Jahr 1995 wurden die Jahrestage der Luftkriegserinnerung weitaus kleiner begangen.<ref name="Winter100"/> Ab Ende der 1990er Jahre erfolgte wieder eine allgemeine Repolitisierung der Luftkriegserinnerung.<ref name="Winter100">Winter: ''Öffentliche Erinnerungen an den Luftkrieg in Nordhausen 1945 - 2005''. Marburg: Tectum-Verl., 2010. S. 100.</ref> Es zeigte sich, dass sich die öffentliche Erinnerung mehr auf gegenwärtige Ereignisse als auf die Jahre des Zweiten Weltkrieges zu beziehen schien; so werden stärkere Bezüge zu außenpolitischen Themen<ref>Winter: ''Öffentliche Erinnerungen an den Luftkrieg in Nordhausen 1945 - 2005''. Marburg: Tectum-Verl., 2010. S. 101.</ref> oder Exkurse zum Rechtsextremismus hergestellt.<ref>[https://www.nnz-online.de/news/news_lang.php?ArtNr=108899 Zum Umgang mit der Bombardierung], nnz-online, 3. April 2012.</ref> Im Vergleich zu DDR-Zeiten wurde das Spektrum der Erinnerungsakteure erweitert, und vor allem die Kirche rückte in den Vordergrund. <br />
<br />
Seit den 2000er Jahren wird der Jahrestag der Luftangriffe mit der üblichen Kranzniederlegung an der Gedenkstele am Rathaus begangen. Seit 2017 werden statt Kränzen weiße Rosen niedergelegt.<ref>[https://www.nnz-online.de/news/news_lang.php?ArtNr=209936 Gedenken an der Stele], nnz-online, 3. April 2018.</ref> Im Gegensatz zu DDR-Zeiten werden Schuldzuweisungen an die Westalliierten weniger offen aggressiv und ideologisch untermauert vorgebracht.<ref>Winter: ''Öffentliche Erinnerungen an den Luftkrieg in Nordhausen 1945 - 2005''. Marburg: Tectum-Verl., 2010. S. 110.</ref><br />
<br />
=== Denkmäler ===<br />
[[File:Denkmal Bombenangriffe Nordhausen - Mai 2015.JPG|200px|thumb|Mahnmal am Alten Rathaus]]<br />
[[File:Gedenkstein Nordhausen.jpg|mini|200px|Gedenkstein am Massengrab für 600 Bombenopfer auf dem [[Zentralfriedhof an der Leimbacher Straße|Alten Friedhof]]]]<br />
* Mahnmal für die Opfer der Bombardierungen vor dem [[Altes Rathaus|Alten Rathaus]]: 1950 wurde ein Gedenkstein und eine Flammenschale am Sockel des früheren [[Lutherdenkmal]]s angebracht. Es trug die Inschrift: „4.4. 1945 - Zerstörung Nordhausens durch amerikanische Bomber - 8800 Opfer klagen an“ (''Amerikanische'' Bomber war falsch). 1969 wurde dieses Denkmal durch eine Säule des Künstlers Jürgen von Woyski ersetzt.<br />
* Auf dem [[Ehrenfriedhof]] westlich des ''Stresemann-Rings'' befindet sich ein 1999 umgestaltetes Denkmal in Erinnerung an die hier in Massengräbern beigesetzten über 1.600 KZ-Häftlinge, zum größten Teil Opfer der Luftangriffe auf die Boelcke-Kaserne am 3. und 4. April 1945. Viele Nordhäuser zivile Bombenopfer und Soldaten wurden auf dem nördlichen Teil des Sonderfriedhofs, des jetzigen Ehrenfriedhofs, oberhalb des Denkmals in Massengräbern beerdigt.<ref>Manfred Schröter: ''Die Zerstörung Nordhausens''. Nordhausen: Meyenburg-Museum, 1988. S. 59</ref><br />
* Auf dem ''Hauptfriedhof'' findet sich ein Denkmal, das die zusammenfassende Inschrift trägt: „Zum Gedenken an die Gefallenen und Vermissten beider Weltkriege, die Toten der Bombenangriffe, die Opfer aller Gewaltherrschaft. Die Bürger der Stadt Nordhausen“. Links seitlich von dem Denkmal, vor dem begrenzenden Zaun, wurde eine größere Anzahl von Bombentoten in Gemeinschaftsgräbern beigesetzt.<ref> Manfred Schröter: ''Die Zerstörung Nordhausens''. Nordhausen: Meyenburg-Museum, 1988. S. 59-60 </ref> Dort stehen noch einige große Kreuze, die wohl darauf hinweisen.<br />
<br />
== Zitate ==<br />
<br />
* „Das Ausmaß des Schreckens, der Verwüstung und des Todes, von dem unsere Stadt an jenen Apriltagen erfasst wurde, macht sie praktisch zu einem Synonym für die japanischen Städte Hiroshima und Nagasaki. Denn vergleicht man auf Airfotos ihre zerstörten Zentren, so lässt sich schwerlich ein gradueller Wirkungsunterschied erkennen.“ – ''[[Walter Geiger]]: [[Nordhausen im Bombenvisier]], S. 154.''<br />
* „Nordhausen wurde am 3. und 4. April 1945 zerstört, weil der ehrgeizige britische Luftmarschall Sir Arthur Harris dem britischen Volk und den Alliierten zeigen wollte, dass sein "Bomber Command" das Handwerk des Tötens von deutschen Menschen perfektioniert hatte. Er löste einen furchtbaren Flächenbrand aus mit den stärksten Mitteln, die ihm zur Verfügung standen. Besonders verwerflich ist, dass er die Bombenziele auf die Nordhäuser Altstadt konzentrierte. Infam ist auch, dass er noch in den letzten Kriegstagen die Altstadt von Nordhausen mit einer nie vorher verwendeten Bomben-Mischung auslöschte. Er handelte trotzig wie ein Kind, dem man das Spielzeug wegnehmen will. Harris wollte sich in letzter Stunde in Nordhausen ein Denkmal aus Leichen und Ruinen setzen.“ – ''[[Jost-Dieter Rudloff]]: Warum wurde Nordhausen eine Woche vor Kriegsende 1945 in Brand gesetzt? Informationen und Überlegungen. In: [[Beiträge zur Geschichte aus Stadt und Kreis Nordhausen (Band 44/2019)]], S. 141.''<br />
<br />
== Literatur ==<br />
*Jost-Dieter Rudloff: ''Warum wurde Nordhausen eine Woche vor Kriegsende 1945 in Brand gesetzt? Informationen und Überlegungen''. In: ''[[Beiträge zur Geschichte aus Stadt und Kreis Nordhausen (Band 44/2019)]]''.<br />
*Harald Rockstuhl (Hrsg.): ''[[Nordhausen – Luftbild-Atlas 1935–1945]]''. Bad Langensalza: Verlag Rockstuhl, 2017. ISBN 978-3959662833<br />
*[[Walter Geiger]]: ''[[Nordhausen im Bombervisier]]''. Nordhausen: Neukirchner, 2000. ISBN 3-929767-43-0<br />
*Olaf Groehler: ''Bombenkrieg gegen Deutschland''. Berlin: Akad.-Verl., 1990. ISBN 3-05-000612-9<br />
*[[Peter Kuhlbrodt]]: ''[[Inferno Nordhausen – Schicksalsjahr 1945]]''. Nordhausen: Archiv der Stadt Nordhausen, 1995. ISBN 3-929767-09-0<br />
*[[Martin Clemens Winter]]: ''[[Öffentliche Erinnerungen an den Luftkrieg in Nordhausen 1945 - 2005]]''. Marburg: Tectum-Verl., 2010. ISBN 9783828822214 <br />
*''Schicksale deutscher Baudenkmale im Zweiten Weltkrieg''. (Bd. 2) Berlin: Henschelverlag Kunst u. Gesellschaft, 1978.<br />
<br />
== Externe Verweise ==<br />
* [https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/1/1f/Nordhausen_concentration_camp_newsreel.webm Filmaufnahmen von der Boelcke-Kaserne (1945)]<br />
<br />
== Einzelnachweise ==<br />
<br />
<references/><br />
<br />
[[Kategorie:Geschichte]]</div>Latimer Rexhttps://nordhausen-wiki.de/index.php?title=Luftangriffe_auf_Nordhausen&diff=15665Luftangriffe auf Nordhausen2020-02-09T12:00:19Z<p>Latimer Rex: /* Situation nach dem Großangriff */</p>
<hr />
<div>[[Datei:Marktkirche Rathaus Nordhausen 1945.jpg|thumb|300px|[[Marktkirche]], [[Altes Rathaus|Rathaus]] und [[Stadthaus]] nach den Luftangriffen]]<br />
Die '''Luftangriffe auf Nordhausen''' am 3. und 4. April 1945 durch Bomber der britischen Royal Air Force zerstörten Dreiviertel der Stadt. Dabei kamen über 8.800 Menschen ums Leben, weitere 20.000 wurden obdachlos. Mit einem Wohnungszerstörungsgrad von 55% (10.000 Wohnungen) gehörte Nordhausen zu den am schwersten zerstörten deutschen Städten; zahlreiche Denkmale von hervorragender Bedeutung, darunter die für Nordhausen charakteristischen Fachwerkbauten des 13. bis 19. Jahrhunderts, wurden vernichtet. Der historische Stadtkern, die Neustadt und die Gebäude um die [[Frauenbergkirche]] wurden fast gänzlich eingeebnet. Erhalten blieben die Gebiete westlich und nördlich der [[Stadtmauer]], [[Barfüßerstraße]], [[Kalte Gasse]], Teile des historischen [[Königshof]]s sowie der Stadtteil [[Altendorf]]. Ein Großteil der stark beschädigten Bauwerke wurde nach dem Zweiten Weltkrieg abgerissen. <br />
Die zerstörerische Gesamtwirkung aller Bomben und Luftminen war von keinem Einzelangriff im Luftkrieg gegen Deutschland auch nur annähernd erreicht worden.<ref>Geiger: ''Nordhausen im Bombenvisier''. S. 150.</ref> Bei der Bombardierung von Nordhausen handelte es sich um die größte Katastrophe in ihrer tausendjährigen Stadtgeschichte. <br />
<br />
== Nordhausen im Krieg ==<br />
Nordhausen hatte vor dem Zweiten Weltkrieg ca. 42.000 Einwohner. Während des Krieges stieg deren Zahl durch Ortsfremde (Luftkriegsevakuierte, Flüchtlinge, ausländische Arbeitskräfte, Verwundete und Kriegsgefangene) Anfang März 1945 auf 65.000 Einwohner.<ref>Peter Kuhlbrodt (Hrsg.): ''Schicksalsjahr 1945. Inferno Nordhausen''. Nordhausen: Archiv der Stadt Nordhausen, 1995. S. 20, 33 </ref> Insbesondere für Evakuierte aus Berlin, Hamburg und Westdeutschland waren Stadt und Kreis Nordhausen als Aufnahmeräume ausgewiesen.<br />
<br />
Der Bau von Luftschutzanlagen begann im Spätsommer 1943. Viele Bunkeranlagen in der Innenstadt blieben unvollendet. Am 29. November 1943 wurde für Nordhausen ein Evakuierungsplan, der Aussiedlungsrichtungen und Aufnahmegebiete festlegte, ausgearbeitet.<ref>Geiger: ''Nordhausen im Bombenvisier''. Nordhausen: Verlag Neukirchner, 2000. S. 65</ref><br />
<br />
{| class="wikitable sortable"<br />
|+ style="padding-bottom:1em" | Bis zum 22. Februar 1945 realisierte Stollenabschnitte<ref>Ullrich Mallis: ''Der Luftschutzstollen am Johanneshof / Neuer Weg. Ein Nordhäuser Baudenkmal'', in: ''[[Nordhäuser Nachrichten. Südharzer Heimatblätter (2/2011)]]'', S. 10.</ref><br />
|- class="hintergrundfarbe6"<br />
! class="unsortable" | Stollenabschnitte !! class="sortable" | Länge !! class="unsortable" | Herstellung !! class="unsortable" | Ausbauart !! class="unsortable" | Bemerkung<br />
|-<br />
| Stollen IA, Mühlhof || style="text-align:right" | 55,00 m<br />
| Okt. 1943 – Febr. 1944 || Beton, 27,5 m nur Holzausbau || Richtung Loge<br />
|-<br />
| Fluko-Bunkerzugang || style="text-align:right" | 2,40 m<br />
| Febr. – März 1944 || Eisenbetongewölbe || IA, > 40 m links<br />
|-<br />
| Kreuz IA-Stummel || style="text-align:right" | 0,50 m<br />
| März 1944 || Eisenbetongewölbe, wie das gesamte Kreuz IA || Drehscheibe<br />
|-<br />
| Stollen IB, Johannishof || style="text-align:right" | 38,50 m<br />
| Nov. 1943 – April 1944 || Beton, 22,5 m mit Firstschienen || noch begehbar<br />
|-<br />
| Stollen von IA nach IB || style="text-align:right" | 66,10 m<br />
| März 1944 – Nov. 1944 || Beton || Durchschlag im Nov. 1944<br />
|-<br />
| Stollen von IB nach IA || style="text-align:right" | 38,25 m<br />
| April 1944 – Nov. 1944 || Beton || Durchschlag im Nov. 1944<br />
|-<br />
| Oststollen, von IA-IB ab || style="text-align:right" | 21,75 m<br />
| Dez. 1944 – Febr. 1945 || Seitenbeton, Art des Firstausbaues nicht benannt || <br />
|-<br />
| Südstollen IC, ab IB || style="text-align:right" | 49,75 m<br />
| April 1944 – Febr. 1945 || || zum Lohmarkt<br />
|-<br />
| class="hintergrundfarbe5" | Gesamt: || style="text-align:right" class="hintergrundfarbe5" | 272,25 m<br />
| class="hintergrundfarbe5" | Okt. 1943 – Febr. 1945 || class="hintergrundfarbe5" | || class="hintergrundfarbe5" |<br />
|}<br />
<br />
<br />
<br />
Als Garnisonstadt hatte Nordhausen keine ältere Tradition. Ab 1935 wurde im Süden die [[Boelcke-Kaserne]] errichtet, mit Unterkünften und Fahrzeughallen; sie diente der Ausbildung von Luftnachrichtensoldaten. Daneben entstanden ein Fliegerhorst als Ausbildungsplatz und zeitweise Flugzeugwerft. Bis März 1945 wurden hier Flugzeuge für den Mistelschlepp ("Huckepack"-Flugzeuge) montiert und Piloten dafür geschult. Sonst diente der Fliegerhorst 1945 noch zum Auftanken von Jagdflugzeugen. In provisorischen Unterkünften in der Stadt gab es die evakuierte "Marineverwaltung West". In der Stadt und ihrer nahen Umgebung existierten viele Lazarette mit insgesamt etwa 1.000 Verwundeten. Die Lazarette und Krankenhäuser trugen weithin sichtbare große Rotkreuz-Symbole auf den Dächern. <br />
<br />
Das [[Mittelwerk GmbH|Mittelwerk Dora]] bei Nordhausen produzierte Anfang April 1945 keine V-Waffen oder andere Rüstungsgüter mehr. Die dort Beschäftigten, unter ihnen Tausende von Häftlingen des KZ Mittelbau-Dora und Zwangsarbeiter, wurden evakuiert. Das Werk oder seine Verkehrsanbindungen waren nie Ziel alliierter Luftangriffe. <br />
<br />
Die frühere [[KZ-Außenlager Boelcke-Kaserne|Boelcke-Kaserne]] wurde seit Herbst 1943 nicht mehr militärisch genutzt. Sie hatte seitdem Tausende von Arbeitern, später auch Flüchtlinge aufgenommen. Seit 8. Januar 1945 existierte ein bald überfülltes Häftlingslazarett in der Anlage.<ref> Manfred Schröter: ''Die Zerstörung Nordhausens''. Nordhausen: Meyenburg-Museum, 1988. S. 6-8 </ref> Im Februar kamen zeitweise 3.500 Häftlinge aus dem KZ Groß-Rosen dazu.<ref> Walter Geiger: ''Nordhausen im Bombervisier''. Nordhausen: Verlag Neukirchner, 2000. S. 258 </ref><br />
<br />
== Erste Angriffe ==<br />
In der Nacht vom 25. August auf den 26. August 1940 griffen zwei britische Bomber vom Typ Handley Page Hampden den [[Flugplatz von Nordhausen]] an und warfen vier Bomben ab.<ref>Geiger: ''Nordhausen im Bombenvisier''. S. 61 f.</ref> Es entstand ein kleiner Brand, der bald gelöscht werden konnte. <br />
<br />
Von 1940 bis 1943 gab es insgesamt 72 öffentliche Luftwarnungen und Fliegerarlarme für Nordhausen. Als sich die alliierten Luftangriffe im Jahr 1944 auf die im Hinterland gelegenen deutschen Städte intensivierten, wurde Nordhausen verstärkt Überflugsort alliierter Bomberverbände, etwa wenn sie Berlin, Dessau oder Leipzig anflogen. Im März 1945 erreichten die durchschnittlich fünf bis sechs Luftalarme ihren Höhepunkt.<ref>Geiger: ''Nordhausen im Bombenvisier''. S. 98 f.</ref> <br />
<br />
Am 12. April 1944 flogen während der Mittagszeit zwei aus südlicher Richtung kommende amerikanische Jäger die Stadt an und töteten zwei Menschen, zwei Personen wurden schwer verletzt.<ref>Geiger: ''Nordhausen im Bombenvisier''. S. S 221 f.</ref> <br />
<br />
[[Datei:Luftangriffe Nordhausen Traueranzeige.jpeg|thumb|Traueranzeige vom 26. Februar 1945]]<br />
<br />
Am 22. Februar 1945 griffen gegen 12:30 Uhr US-amerikanische Bomber den Verschiebebahnhof an, trafen jedoch die Unterstadt, einige Anlagen des Industriegebietes und die vormalige Fernmeldeschule der Luftwaffe in der [[Boelcke-Kaserne]]. Insgesamt fielen 296 Mehrzweckbomben und töteten 40 Menschen. Im ''[[Südharzer Kurier]]'' erschien am 26. Februar eine Todesanzeige für die „Gefallenen des Terrorangriffs“ mit der Ankündigung zur Beisetzung. <br />
<br />
Am 28. Februar 1945 warfen drei amerikanische Maschinen 2,5 Tonnen Sprengbomben auf die Stadt ab. <br />
<br />
Am 1. April 1945 wurden das Auto-Hotel Hesse durch Bomben getroffen und zahlreiche Menschen getötet.<br />
<br />
== Großangriffe im April 1945 ==<br />
[[File:Avro Lancaster Mk 1 ExCC.jpg|thumb|Langstreckenbomber vom Typ ''Avro Lancaster'', wie sie bei der Bombardierung von Nordhausen zum Einsatz kamen.]]<br />
[[File:Mosquito 600pix.jpg|thumb|Zielmarkierer ''De Havilland Mosquito'' (1944)]]<br />
Am 3. April 1945 starteten gegen 13 Uhr die englischen Bomberverbände und erreichten Nordhausen um 16 Uhr. Die 247 Avro-Lancaster-Bomber (Tragfähigkeit je 6 Tonnen Bombenlast) und 9 Mosquito-Mehrzweckflugzeuge warfen in 20 Minuten ca. 1.216 Tonnen Sprengbomben ab und trafen vor allem die Außenbezirke von Nordhausen.<ref>Groehler: ''Bombenkrieg gegen Deutschland'', S. 422.</ref> Im Stadtinnern fielen Bomben um die [[Neustadt-Kirche]] und [[Neustadtstraße]]. In den umliegenden Wäldern und Ortschaften [[Sundhausen]], [[Bielen]], [[Himmelgarten]], [[Leimbach]] und [[Krimderode]] fielen schwere Bomben und Luftminen. Getroffen wurde auch die mit kranken Häftlingen überbelegte [[Boelcke-Kaserne]], wo allein in einer mit Tuberkulose-Kranken belegten Flugzeughalle 450 Menschen den Tod gefunden haben sollen.<ref>Wagner: ''Produktion des Todes.'' S. 280</ref> Die Stadt ohne Strom und Leitungswasser. Die Verletzten wurden gesammelt und nach [[Neustadt/Harz|Neustadt]] und [[Sülzhayn]] gebracht, die Ausgebombten erhielten Notquartiere in der Stadt selbst und ihrer Umgebung. Viele Nordhäuser flüchteten aus der Stadt. Zwei Stollen der unterirdischen Anlagen von Mittelbau Dora im Kohnstein nahmen bereits am 3. April Geflüchtete auf, später wurden es 10.000. Das Stadtkrankenhaus war beschädigt, die Patienten wurden in Notkrankenhäuser in das benachbarte [[Petersdorf]] gebracht, vor allem in das Ausflugsrestaurant Harzrigi.<ref> Manfred Schröter: ''Die Zerstörung Nordhausens''. Nordhausen: Meyenburg-Museum, 1988. S. 22, 23 </ref> Bomben fielen auch auf mehrere benachbarte Dörfer und deren Flur, besonders betroffen war Bielen. Zwei Bomber gingen beim Hin- und Rückflug verloren. Der erste Angriff erzielte die gewünschte Wirkung jedoch nicht. Der Angriff am 3. April war aus Sicht der RAF ein Misserfolg.<!-- (Quelle?) --> Viele Einwohner zogen am Abend des 3. April zum nahen [[Kohnstein]], wo die mittlerweile fast verlassenen Stollen des Mittelwerks Schutz boten.<br />
<br />
{{Zitat|Die Stadt ist schwer getroffen, aber sie ist noch eine organisierte Gemeinschaft… Gegenseitige und Nachbarschaftshilfe wird geleistet. Die Stadtverwaltung und die Luftschutzleitung setzen ihre Kräfte ein. Rotes Kreuz und die Krankentransporte kommen an die Schwerpunkte. Man leitet die Evakuierung des beschädigten Krankenhauses ein. Die Verletzten des Angriffs werden geborgen, abtransportiert, in den Gaststätten Parkhaus und Kurhaus gesammelt und schließlich nach Neustadt und Sülzhayn weiterbefördert. Die Feuerwehr bekämpft die wenigen (?) Brandherde.|[[Manfred Schröter]]: ''[[Die Zerstörung Nordhausens und das Kriegsende im Kreis Grafschaft Hohenstein 1945]]''}}<br />
<br />
Am 4. April gegen 9 Uhr begann der zweite Großangriff der RAF. Der Verband kam über Gotha, Bad Langensalza und Schlotheim. Für 93 Bomber wurde die Boelcke-Kaserne als Angriffsziel befohlen, die anderen 150 hatten das Stadtzentrum anzugreifen.<ref>Geiger: ''Nordhausen im Bombenvisier''. S. 146 f.</ref> Zwei Bomber mussten frühzeitig zurückkehren, und zehn weitere hatten ihren militärischen Auftrag verfehlt, so dass von den 243 Flugzeugen 231 am Luftschlag teilnahmen. Ein Bomber explodierte über der Stadt. Die örtliche Feuerwehr war, soweit noch vorhanden, von der Lage völlig überfordert. Unter der überlebenden Bevölkerung herrschte Panik, viele verließen fluchtartig zu Zehntausenden das Inferno der Stadt in Richtung Kohnstein. Auch außerhalb von Nordhausen wurde sie von Jagdbombern beschossen.<ref> Manfred Schröter: ''Die Zerstörung Nordhausens''. Nordhausen: Meyenburg-Museum, 1988. S. 26 </ref> Am Abend und in der Nacht war die Stadt ein weithin leuchtendes Flammenmeer.<ref> Peter Kuhlbrodt: ''Schicksalsjahr 1945. Inferno Nordhausen''. Nordhausen 1995. S. 23 </ref> In der Mitte davon leuchtete der Kirchturm von St. Petri als riesige Fackel, die gegen Mitternacht zusammenbrach und auf das Kirchenschiff stürzte. RAF-Piloten, die von einem Einsatz bei Merseburg zurückflogen, berichteten um 23.00 Uhr von „good fires at Nordhausen“.<ref> Walter Geiger: ''Nordhausen im Bombervisier''. Nordhausen, 2000. S. 180 f.</ref> <br />
Der gebürtige Nordhäuser Schriftsteller [[Rudolf Hagelstange]] schrieb in seiner deutschen Familienchronik (Band 2: „Der Niedergang“, Seite 254) über die Feuersbrunst in seiner Heimatstadt: „Und die Hitze war so groß, dass in den meisten Straßen, sofern sie nicht gepflastert waren, der Asphalt geschmolzen war, dass Flüchtende da und dort in ihn eingesunken waren, einige unlöslich und damit zum Flammentod verurteilt.“<br />
<br />
=== Opfer ===<br />
[[Datei:Einwohnerentwicklung von Nordhausen ab 1800.svg|thumb|Einwohnerzahl von Nordhausen ab 1800. Deutlich sichtbar der Höhepunkt 1945]]<br />
Bei den Großangriffen im April 1945 kamen ca. 8.800 Menschen ums Leben. Diese Zahl geht auf Schätzungen vom Februar 1948 zurück.<ref name="Kuhlbrodt125">Kuhlbrodt: ''Inferno Nordhausen''. S. 125 f.</ref> Vor dem Abgriff befanden sich rund 65.000 Personen in der Stadt (42.000 ständige Bevölkerung, Militärpersonen, Gefangene, ausländische Arbeiter, Spezialarbeiter der Kriegsindustrie, Evakuierte). Der Antifa-Ausschuss von Nordhausen schätzte am 17. Juni 1945, dass über 10.000 Menschen bei den Bombenangriffen ums Leben gekommen seien.<ref> Peter Kuhlbrodt: ''Schicksalsjahr 1945. Inferno Nordhausen''. Nordhausen 1995. S. 115 </ref><br />
<br />
In den ersten Tagennach dem Einmarsch der Amerikaner ließ der US-Stadtkommandant in den Straßen liegende Leichen auf den Sonderfriedhof am Schlageter-Ring bringen. Andere wurden an Ort und Stelle in Bombentrichtern beerdigt. Eine beträchtliche Zahl ziviler Opfer und deutscher Soldaten wurde dann in dem höher gelegenen Teil des heutigen Ehrenfriedhofs in Massengräbern beigesetzt, unweit der getöteten Häftlinge aus der Boelcke-Kaserne. Für die später gefundenen Opfer ohne Anhang wurden Massengräber im vorderen Teil des Alten Hauptfriedhofs in der Leimbacher Straße angelegt. Heute steht an dieser Stelle ein Wohnblock. Auf dem Neuen Hauptfriedhof am Ring sind in den ersten Wochen und Monaten 920 Bombenopfer beerdigt worden.<br />
<br />
{| class="wikitable"<br />
|-<br />
| Verluste der ständigen Bevölkerung || 6.000<br />
|-<br />
| Verluste der nicht ständigen Bevölkerung || 1.500<br />
|-<br />
| Verluste der Häftlinge der Boelcke-Kaserne || 1.300<br />
|-<br />
| zusammen || 8.800<br />
|-<br />
|} <br />
<br />
==== Persönlichkeiten ====<br />
* [[Paul Urban]] (geb. 1892), KPD-Stadtrat<br />
<br />
=== Schäden und Totalverluste ===<br />
<br />
Der Zerstörungsgrad der Stadt wurde mit 74 Prozent errechnet. Die Gesamtfläche des zerstörten Gebietes betrug 810.000 Quadratmeter. Von den 13.075 Wohnungen wurden 6.187 total zerstört und 4.575 beschädigt.<br />
<br />
==== Kirchen ====<br />
<br />
[[Datei:Petri-Kirche Außenansicht.JPG|thumb|[[St.-Petri-Kirche]]]]<br />
*[[St.-Jakobi-Kirche]]: Am 3. April erheblich durch Bomben zerstört. Reste des Schiffes abgetragen, Turmruine zu DDR-Zeiten beseitigt.<br />
*[[Marktkirche]]: Am 3. April weitgehend zerstört. Ruinenreste abgetragen.<br />
*[[St.-Petri-Kirche]]: Am 3. April bis auf Turm und Chor zerstört, zahlreiche Menschen finden in der Kirche den Tod. Der Turm erhielt 1954 ein Notdach, die übrigen Ruinenteile wurden beseitigt. 1987 wurde ein neuer Turmhelm gesetzt.<br />
* [[St.-Blasii-Kiche]]: Dach und Mauerwerk am 4. April durch Bombentreffer erheblich beschädigt [[Cranachgemälde]] im Auslagerungskeller verbrannt. Bis 1949 Wiederherstellung des Daches, Ausbesserung Mauerwerk, Erneuerung des Inneren.<br />
*[[Nordhäuser Dom]]: Am 4. April schwere Schäden durch Brandzerstörung des Steildaches über der Halle und Vernichtung der Fenster. Noch 1945 Fertigstellung Notdach und Beseitigung der Folgeschäden. 1965 Wiederherstellung des Steildaches in ursprünglicher Form.<br />
*[[Frauenbergkirche]]: Am 4. April durch Bomben schwer zerstört. Erhalten blieben Umfassungsmauern der Chor mit Apside, die Nebenchöre und das Querschiff, vom Langhaus nur Reste des ersten Joches sowie des Westportals. Von 1953 bis 1955 folgten Enttrümmerung und Sicherungsarbeiten.<br />
*[[Frauenbergkloster]]: Am 4. April durch Bombentreffer total zerstört. Gebäudereste wurden nach 1945 entfernt.<br />
<br />
==== Öffentliche Bauten ====<br />
*[[Rathaus]]: Am 4. April bis auf die Umfassungsmauern zerstört, Turm ausgebrannt. Ab 1951 Trümmer entfernt und Wiederaufbau bis 1952, dabei wurden die Erdgeschoßarkaden und das Innere neu gestaltet. Zum ebenfalls schwer zerstörten [[Stadthaus]] wurde der Verbindungsgang wiederaufgebaut, der [[Roland]] restauriert.<br />
*[[Stadtmauer]]: Es entstanden Schäden an der Stadtmauer, wobei besonders die teilweise genutzten Türme und Wiechhäuser betroffen wurden. Nach dem Krieg wurden Ruinen abgetragen und Sicherungsarbeiten durchgeführt. Zur Landesgartenschau 2004 erfolgten umfangreiche Sanierungsarbeiten, besonders um den [[Petersberg]]. <br />
*[[Theatergebäude]]:<br />
<br />
==== Fachwerkbauten ====<br />
[[Datei:Nordhäuser Roland 1945.jpg|thumb|Das ausgebrannte Rathaus mit dem [[Nordhäuser Roland|Roland]], der die Angriffe wie durch ein Wunder überstand]]<br />
[[Datei:Riesenhaus, Riese, Postkarte.jpg|thumb|Postkarte vom [[Riesenhaus]] am Holzmarkt (Lutherplatz) mit dem [[Nordhäuser Riese]]n.]]<br />
Bedeutende Fachwerkhäuser, die zerstört wurden (lt. dem Denkmalpfleger Rudolf<br />
Zießler):<br />
<br />
*[[Bäckerstraße]] 22: Mitte des 18. Jahrhunderts errichteter dreigeschossiger, neunachsiger, verputzter Fachwerkbau mit massivem Erdgeschoß, Satteldach und Zwerhaus. Stichbogenfenster mit einfacher profilierter Rahmung in Dreiergruppen. Betonung der Mittelachse durch ein von Pilastern flankiertes Portal mit gesprengtem Giebel, darauf ruhende Frauen und Wappen sowie durch einen auf Konsolen sitzenden Balkon mit schmiedeeisernem Gitter.<br />
*[[Blasiistraße]] 15: Alte Schule. Errichtet um 1700 als dreigeschossiger stattlicher Fachwerkbau mit hohem Satteldach. Unregelmäßige Fenstergruppierung (im ersten Obergeschoß dreizehn Achsen). Fachwerk mit halben Männern. Obergeschoß vorkragend mit Balkenköpfen und gekehlten Füllhölzern.<br />
*Blasiistraße 21: Bedeutendstes Renaissance-Fachwerkhaus Nordhausens von etwa 1550. Dreigeschossig mit zehn Fensterachsen in unregelmäßiger Gruppierung, Geschosse stark vorkragend. Reich ausgebildetes Schmuckfachwerk mit Balkonköpfen, Knaggen, Füllhölzern und Schiffskehlen. Haupteingang mit kräftigen Gewämdepfosten und halben Sonnen um 1700.<br />
*[[Hagenstraße]] 4: Um 1800 errichtet als zweigeschossiger, verschieferter Fachwerkbau mit zehn Fensterachsen. Eckpilaster, ebensolche toskanische Holzpilaster flankieren die vier Mittelachsen und nehmen einen verschieferten Dreieckgiebel auf. Stichbogenfenster mit einfacher Rahmung und Schlußsteinbetonung.<br />
*Hagenstraße: Ilfelder Hof, ehem. Klosterhof, seit dem ersten Viertel des 18. Jahrhunderts Kurhannoversche Postverwaltung, seit 1853 in Privatbesitz. 1277 angelegt, später erweitert, im 17. Jahrhundert Neubau auf erweitertem Grundriss mit massivem Erdgeschoß und zwei Fachwerkobergeschossen, verschiefert.<br />
*[[Holzmarkt]] (Lutherplatz): „Riesenhaus“. 1375 erstmals erwähntes Patrizierhaus mit massivem Erdgeschoss, zwei Fachwerkobergeschossen und Satteldach. Nach Brand von 1710 im Fachwerk erneuert. Fassade gegliedert durch zwölf Fensterachsen, jeweils in Dreiergruppen angeordnet. Fachwerkkonstruktion mit Wilden Männern. Mittelgiebel mit einem Mann in Ritterrüstung ([[Nordhäuser Riese]]), der eine Lanze hält. 1805 Einrichtung einer Gaststätte, Verputz des Fachwerks und klassizistische Fassadengestaltung. 1927 Endrestaurierung und Wiederherstellung des Fachwerks.<br />
*Jakobikirchplatz 4: Lateinschule. Zweigeschossiger Fachwerkbau von 1493 mit Satteldach. Ständer- und Riegelbau. Vorkragendes Obergeschoß über geschwungene Knaggen. Durchlaufender Fensterbrustriegel.<br />
*Jakobikirchplatz: Pfarrhaus. 1687 errichteter zweigeschossiger Fachwerkbau mit Krüppelwalmdach. Fenstergruppierung unregelmäßig. Stiele und Brustriegel durch Wilde Männer verstärkt. Geringe Auskragung, Balkonköpfe und Schwelle mit einfacheren Profilen. Gefache mit Ziegeln in Mustern ausgemauert. Oberdeutsch beeinflusstes Fachwerk.<br />
*[[Königshof]] 14: Dreigeschossiger Fachwerkbau mit oberdeutschen Stilelementen, ganze und halbe Männer. Um 1780 Verkleidung der Fenster mit Rokokogirlanden.<br />
*[[Krämerstraße]] 11: Verschieferter, zweigeschossiger, fünfachsiger Fachwerkbau mit spätbarockem Volutengiebel. Stichbogenfenster mit Rahmenverkleidung. Erdgeschoss durch Ladeneinbauten verändert.<br />
*Krämerstraße 15: Um 1700 errichteter schmaler dreigeschossiger Fachwerkbau in oberdeutschem Stil mit halben Männern an den Ecken. Balkonköpfe und Füllhölzer mit einheitlichem Profil. Satteldach mit Zwerchhaus.<br />
*[[Lohmarkt]] 2, 4, 20, 21: Nach 1686 errichtete Gerberhäuser. Zwei- bzw. dreigeschossige Fachwerkgebäude im gleichen oberdeutschen Baustil wie Pfarrhaus Jakobikirchplatz. Besonders reich ausgebildet der Türstock mit Renaissanceformen und Inschrift. Satteldächer mit Zwerchhäsern (Ladeluken).<br />
*[[Neustadtstraße]] 27: Zweigeschossiger, elfachsiger Fachwerkbau aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts mit Satteldach. An den Fenstern Rokokoverkleidung.<br />
*Neustadtstraße 35: Zweigeschossiger, achtachsiger Fachwerkbau aus der Mitte des 18. Jahrhunderts auf Sandsteinsockel. Türen und Fenster in Stichbogen mit geschnitzter Rokokoverkleidung.<br />
*Neustadtstraße 47: Dreigeschossiger Fachwerkbau der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts mit Krüppelwalmdach. Rokokofensterbekleidungen handwerklich vereinfacht.<br />
*[[Pferdemarkt]] 17: Dreigeschossiger Fachwerkbau von etwa 1550, niederdeutsch beeinflusst. Auskragung des Obergeschosses mit Balkonköpfen, Knaggen und Füllhölzern. Erdgeschoß baulich verändert.<br />
*[[Sandstraße]] 3, 21, 23, 28: Diese Häuser hinsichtlich der Entstehungszeit und der architektonischen Ausbildung denen der Neustadtstraße entsprechend.<br />
<br />
==== Situation nach dem Großangriff ====<br />
[[Datei:Boelcke-Kaserne-Tote HäftlingeA.jpg|thumb|Einwohner Nordhausens tragen am 12. April 1945 unter Bewachung von Angehörigen der US-Armee tote Häftlinge aus der Boelcke-Kaserne und legen sie davor ab]]<br />
[[File:Nordhausen um 1930.jpeg|thumb|Der Stadtteil [[Altendorf]] blieb weitgehend unzerstört (Luftaufnahme um 1930)]]<br />
Das britische Bomber Command berichtete als Ergebnis der beiden Großangriffe, dass „die Stadt fast vollständig zerstört wurde, inbegriffen die Kasernenblöcke.“<ref> Walter Geiger: ''Nordhausen im Bombervisier''. Nordhausen: Neukirchner, 2000. S. 154 </ref> <br />
Die Situation für die Bevölkerung nach den Angriffen kann nur mit dem Begriff „Inferno“ beschrieben werden. Das Stadtzentrum konnte tagelang nicht betreten werden. Es wüteten noch zahlreiche Brände<ref> Peter Kulhlbrodt: ''Schicksalsjahr 1945. Inferno Nordhausen''. Nordhausen 1995. S. 24</ref>, die Schutthaufen strahlten unerträgliche Hitze aus. Bomben mit Zeitzündern gingen hoch. Über den Trümmerfeldern lag bald Leichengeruch, besonders im Bereich der Boelcke-Kaserne. In den Nächten des 6. und 7. April wurden die Kranken und Verwundeten aus Nordhausen und Umgebung durch alle verfügbaren Fahrzeuge, besonders mit Bauern-Gespannen, in den Kohnstein in Sicherheit gebracht. Die Nordhäuser Bevölkerung (?) verteilte sich nach Schätzungen am 7. April wie folgt: 6.000 (8.800) Opfer tot unter den Trümmern, 6.000 Überlebende noch in der Stadt, 10.000 im Kohnstein und 20.000 in den umliegenden Dörfern, besonders nordöstlich der Stadt.<ref> Manfred Schröter: ''Die Zerstörung Nordhausens''. Nordhausen: Meyenburg-Museum, 1988. S. 30 </ref> Am 8. April flogen 6 Jagdbomber noch einen Tagesangriff nach Zielmarkierung auf Nordhausen, parallel zu dem Bombardement auf [[Sondershausen]]. Am 10. April näherten sich US-Panzer aus Richtung [[Hain (Kleinfurra)|Hain]] dem Süden der Stadt und nahmen ihn unter Feuer, darunter die Trümmer der Boelcke-Kaserne.<ref> Manfred Schröter: ''Die Zerstörung Nordhausens''. Nordhausen: Meyenburg-Museum, 1988. S. 37 </ref><br />
Die britischen Bomber-Staffeln stießen bei den Angriffen an beiden Tagen auf keinerlei deutsche Luftabwehr. »Null« lauten jeweils die Eintragungen in den Rubriken »Flak« und »Einsatz von Jagdflugzeugen«. Am 8. April nahmen alliierte Flugzeuge »Aufnahmen von exzellenter Qualität« vom zerstörten Nordhausen auf. In dem angefügten Bericht heißt es: »Das Herz von Nordhausen wurde durch die beiden Angriffe verwüstet, und zwar von den nordwestlichen Außenbezirken über das Stadtzentrum bis hin zum Flugplatz und den Kasernen der Luftwaffe am Helme-Fluss im Südosten. Im militärischen Bereich wurden nahezu alle Gebäude schwer getroffen und völlig oder teilweise zerstört. Schwerer Schaden entstand am Flugkontrollturm, dem Wachraum und einem großen Hangar am Nordrand des Flugfeldes. Nahe der Bahnanlagen wurden Industriebetriebe und das Gaswerk getroffen, wobei drei Gasometer zerstört wurden.« - ("Bad Lauterberger Tageblatt", 3./4.April 1985<br />
<br />
== Nachwirkungen ==<br />
Insgesamt waren vom britischen Bomber Command 2.386 Tonnen und von der 8. US Air Force 296 Tonnen Bombenlast auf Nordhausen abgeworfen worden.<ref> Olaf Groehler: ''Bombenkrieg gegen Deutschland''. Berlin: Akademie-Verlag, 1990. S. 449 </ref><br />
Eine der am längsten nachwirkenden Folgen der Luftangriffe für die Bürger der Stadt blieben Hunderte von Blindgängern aller Kaliber: zwischen den Trümmern der Stadt und im Erdreich der Straßen, Gärten und Felder. In den ersten Jahren machten sich die Feuerwerker Jochen Nebel und Albin Diebler sehr verdient um die Entschärfung gefundener Bomben, ab 1962 der - deshalb zum Ehrenbürger ernannte - Helmut Zinke. Im Stadtgebiet wurden 1948 bis 1953 etwa 100 Bomben entschärft, dann 248 Blindgänger von 1954 bis 1999 entzündet und geräumt.<ref>Walter Geiger: ''Nordhausen im Bombervisier''. Nordhausen, 2000. S. 263-264 </ref> <br />
<br />
Noch 2014 gilt eine Verordnung in Nordhausen, nach der jeder Bürger, der bauen will, sicherstellen muss, dass unter seinem Grund und Boden kein Gefahrgut liegt.<ref>Katja Dörn: ''Die Gefahr rostet im Thüringer Boden''. Thüringische Landeszeitung, 12. Dezember 2014 </ref><br />
<br />
Auswahl weiterer Funde von Blindgängern:<br />
* 1996: 250-Kilogramm-Blindgänger wird gesprengt<br />
* 2008: 227-Kilogramm-Bombe in der Altstadt<br />
* 2010: Fünf-Zentner-Bombe am [[Taschenberg]] entdeckt, 4.500 Menschen wurden evakuiert, Bombe konnte nicht entschärft werden<br />
* Juni 2016: Kontrollierte Sprengung einer 800-Kilogramm-Bombe, Leimbach und Steigerthal mussten geräumt werden (1.080 Einwohner) <br />
* Dezember 2016: Fünf-Zentner-Bombe am [[Strohmühlenweg]], ca. 1000 Einwohner, so auch die Hochschule Nordhausen, wurden evakuiert<br />
* September 2017: Bombe auf einem Feld in der [[Windlücke]], ca. 3000 Einwohner evakuiert, Bombe entschärft<ref>https://www.nnz-online.de/news/news_lang.php?ArtNr=219719</ref><br />
* Oktober 2018: Bombe in der Windlücke, ca. 3000 Einwohner evakuiert, Bombe entschärft<ref>https://www.nnz-online.de/news/news_lang.php?ArtNr=243515</ref><br />
* November 2018: Bombe in Bielen, 1.1000 Einwohner wurden evakuiert (Sperrzone 1 Kilometer), Bombe entschärft<br />
* August 2019: 225-Kilogramm-Bombe an der [[Zorge]], 2.500 Einwohner wurden evakuiert (Sperrzone 500 Meter), Bombe entschärft und Zünder gesprengt<br />
* November 2019: 225-Kilogramm-Bombe am [[Stadttheater]], ca. 15.000 Einwohner wurden evakuiert (Sperrzone 1 Kilometer), Bombe entschärft und Säurezünder gesprengt. Es war die größte Evakuierungsaktion in Nordhausen nach dem Zweiten Weltkrieg.<ref>MDR, 8. November 2019</ref><br />
<br />
== Rezeption ==<br />
[[Datei:Nordhausen mahnt 1949.jpg|thumb|200px|Werbeplakat zur Ausstellung „[[Nordhausen mahnt - Ausstellung vom 6. bis 27. März 1949|Nordhausen mahnt]]“ im März 1949]]<br />
Luftangriffe waren im Zweiten Weltkrieg für alle Kriegsparteien zum entschiedenen strategischen Kriegskonzept geworden. Die Westalliierten glaubten durch die planmäßige und massive Zerstörung deutscher Städte, vor allem der Wohngebiete der Industriearbeiter, die Moral und den Widerstandswillen der Bevölkerung zu brechen und den Krieg schneller beenden zu können.<ref>Johannes Volker Wagner: ''Bomben auf Bochum''. S. 3.</ref> Im Januar 1943 einigten sich Großbritannien und die Vereinigten Staaten in Casablanca auf die Forderung nach bedingungsloser Kapitulation des Deutschen Reiches und auf eine weitere Verschärfung des Bombenkrieges. Zu dieser Zeit war die deutsche Luftabwehr längst nicht mehr in der Lage, das Reichsgebiet zu verteidigen. Die Alliierten erreichten ihr Ziel der Demoralisierung jedoch nicht, und viele Deutsche klammerten sich in Verzweiflung an die Hoffnung auf einen „Endsieg“.<br />
<br />
<!-- Auszug aus „Winston Churchill“. Der späte Held, eine Biographie von Thomas Kielinger, erschienen im Verlag C.H. Beck, Kapitel XY, Seite 301 ff.: Nach dem Kriege stand eine andere Verantwortung Churchills im Vordergrund – „für die Vernichtung von nahezu 60 der größten Städte Deutschlands“. „Mit dem Untergang Dresdens sind auch nachdenkliche Briten bis heute nicht fertig. Die Zweifel, ob die Zerstörung dieser und anderer Städte so kurz vor dem nahen Kriegsende zu rechtfertigen war, haben sich längst zu dem Urteil verdichtet: Sie war es nicht! ... Hilft es zur Erklärung darauf hinzuweisen, dass in der Schlussphase des Krieges deutsche V1- und V2-Waffen weiterhin Zerstörung auf Antwerpen, Paris und London regnen ließen? Eine V2 schlug noch am 27. März 1945 im Osten Londons ein und tötete 134 Menschen. Die britische öffentliche Meinung hätte es nicht verstanden, wenn die mili-tärische Führung auf Schonung des Gegners geschaltet hätte, wo dieser bis zum Ende Vernichtung spie.“<br />
<br />
„Aber die alte Frage bleibt, die Lothar Kettenacker 2003 in dem Sammelband „Ein Volk von Opfern?“ noch einmal stellte – „ob der Zweck die Mittel heiligt, ob die Beseitigung einer unheilvollen Diktatur die rücksichtslose Bombardierung der Bevölkerung rechtfertigt. Unbehagen äußerte Churchill selbst schon 1943, als ihm Bilder von den Auswirkungen der Bomben in Deutschland vorgelegt wurden ...“ Der Australier Ricard Casey, der an den Sitzungen des britischen Kriegsrates ... teilnahm, schrieb am 27. Juni 1943 in sein Tagebuch: „Es wird ein Film gezeigt über das nächtliche Bombardement einer deutschen Stadt, und plötzlich richtet sich Churchill steil in seinem Sessel auf und sagt zur mir: ‚Sind wir Bestien? Gehen wir nicht zu weit? <br />
<br />
Churchills Meinungen zum Bombenkrieg gegen Deutschland schwankten. Nach der Zerstörung Dresdens begegnet man bei ihm, spät, einer eindeutigen Ablehnung, so in dem berühmten Memorandum vom 28. März 1945:‚Der Moment scheint mir gekommen, wo die Frage der Bombardierung deutscher Städte zum Zwecke der Erhöhung des ''''terrors'''' (in Englisch mit der Bedeutung von Angst und Schrecken) auch wenn wir andere Vorwände nennen, überprüft werden sollte... Es ist nötig, dass wir uns mehr auf militärische Ziele konzentrieren wie Öllager und Kommunikationszentren hinter der unmittelbaren Kampfzone, statt auf Akte des reinen terrors und der mutwilligen Zerstörung’.“<br />
„Nicht umsonst nannte man Harris auch den ‚butcher’, den Metzger. . . Schon Max Hastings (stockkonservativer Historiker) nannte in seinem Klassiker von 1979 ‚Bomber Command’ die Auslöschung deutscher Städte noch im Frühjahr 1945 ‚einen bleibenden Schandfleck’,“ soweit Kielinger. Nach Kriegsende zog sich Harris verbittert nach Südafrika zurück, weil er sich nicht gebührend geehrt vorkam. Luftangriffe hatte Harris als „relativ humane Methode“ bezeichnet. Butcher wurde er nicht wegen der zivilen Bombenopfer in Deutschland genannt, sondern weil 55 000 Angehörige des Bomber Command vom Feindflug nicht heimkehrten – jeder zweite Pilot und Bordschütze. --><br />
<br />
Im März 1945 hatte sich das Angriffstempo der US-Streitmacht im Vergleich zu den Vormonaten verlangsamt.<ref name="Gewiger158">Geiger: ''Nordhausen im Bombenvisier''. S. 158 f.</ref> Um dennoch den Stoß in das Zentrum Deutschlands als strategisches Ziel zügig fortzuführen, waren die Westalliierten zum Einsatz aller Mittel entschlossen, auch in Anbetracht eventuell noch bevorstehender Kämpfe und Widerstand im Südharz. Die Stadt Nordhausen erhielt daher militärische Bedeutsamkeit für die 1. US-Armee, auch wegen des Verschiebebahnhofs für Truppenbewegungen. Der unterirdische Rüstungsbetrieb im [[Kohnstein]] und das [[Konzentrationslager Dora Mittelbau]] wurden dagegen nie zum Ziel von Luftangriffen. <br />
<br />
Nordhausen und Umgebung wurden Ende 1944 von britischen Fernaufklärern nachts unter tagheller Beleuchtung durch Magnesiumbomben sorgfältig aus der Luft fotografiert.<ref>Manfred Schröter: ''Die Zerstörung Nordhausens''. Nordhausen 1988, S. 55</ref> Die Bombardierung von Nordhausen wurde am 2. April 1945 vom Alliierten Oberkommando (SHAEF) befohlen.<ref name="Gewiger158"/> Gefordert wurde ein Angriff zur Unterstützung der 1. US-Armee mit Priorität zur frühestmöglichen Gelegenheit. Einige Tage zuvor wurde vom SHAEF die Zerstörung durch die RAF beschlossen.<ref>Manfred Schröter: ''Die Zerstörung Nordhausens''. Meyenburg-Museum Nordhausen, 1988, S. 54–55</ref><br />
<br />
Dieses, geführt von Luftmarschall Arthur Harris, erteilte am 2. April den unmittelbaren Befehl für einen Doppelschlag an zwei Tagen.<ref>Walter Geiger: ''Nordhausen im Bombervisier''. Nordhausen 2000, S. 108–109</ref> Der Zweck der RAF-Angriffe im April 1945 bestand darin, den Weg für einen ungehinderten Vormarsch von der im Südharzer Raum erwarteten Gegenwehr freizumachen. 3.466 britische Soldaten sollten als fliegendes Personal an den Angriffen teilnehmen. Ihnen wurde als Ziel des Angriffs erklärt: „To kill military and Nazi personnel evacuated from Berlin to these barracks“ (gemeint das Areal der Boelcke-Kaserne und die Stadt Nordhausen).<ref>Geiger: ''Nordhausen im Bombenvisier''. S. 121 </ref><br />
<br />
<!-- Bitte Quelle angeben!(Wie aus dem Text eindeutig hervorgeht: Der genannte Journalist und Gesprächspartner Dr. Meyers!) Der gebürtige Nordhäuser [[Manfred Neuber]], als Journalist von 1960 bis 1963 in London und New York, recherchierte als erster bei der Royal Air Force und der US Air Force über die Luftangriffe auf Nordhausen. Aus den detaillierten Angaben ging hervor, dass allein Bomber der Royal Air Force Nordhausen angegriffen hatten. Die SED-Propaganda hatte behauptet, es habe sich um „amerikanische Terrorangriffe“ gehandelt. So stand es auch Jahre auf der Gedenkstele für die Opfer der Luftangriffe neben dem Alten Rathaus. Neuber hatte Gelegenheit, im Jahre 1964 in Bad Lauterberg mit Dr. [[Herbert Meyer]], Oberbürgermeister Nordhausens vor Kriegsende 1945, über die Bombenangriffe zu sprechen. Dabei widerlegte Meyer noch Jahre nach dem Kriege kursierende Gerüchte, die Luftangriffe hätten eigentlich der Stadt Gotha gelten sollen. Weil die Verantwortlichen dort kapituliert hätten, sei Nordhausen angegriffen worden, weil es nicht ebenso gehandelt habe. Meyer versicherte, es habe keine Aufforderung zur Übergabe der Stadt gegeben. Zum Zeitpunkt der Luftangriffe standen die US-Panzerspitzen noch im Raume Kassel. --><br />
<br />
=== Vermutungen und Gerüchte über den Großangriff ===<br />
<br />
* Nordhausen soll Aufforderung zur kampflosen Übergabe ausgeschlagen haben.<br />
** Der Nordhäuser Oberbürgermeister bei Kriegsende, [[Herbert Meyer]], widersprach dieser Darstellung in einem Gespräch mit dem Journalisten Manfred Neuber um 1964 in Bad Lauterberg: „An die Stadtverwaltung ist niemals bis zu den Angriffen eine Aufforderung der Amerikaner ergangen, Nordhausen zur offenen Stadt zu erklären. Ich möchte bezweifeln, dass sie an Kreisleiter Nentwig ergangen ist.“<ref name="Sting252">Heinz Sting: ''Das 1000-jährige Nordhausen und der schöne Südharz''. Hannover: Nordhäuser Heimatfreunde, 1965. S. 252.</ref><br />
<br />
* Nordhausen wurde durch die US-Luftwaffe zerstört.<br />
** Es ist unbestritten und belegt, dass britische Bomber die Stadt zerstörten. „Die Einsatzbefehle der 8. US-Luftflotte sahen weder am 3. noch am 4. April 1945 Nordhausen als Ziel vor. Die Operationsberichte der 8. Luftflotte geben auch keinen Großangriff auf Nordhausen an einem dieser beiden Tage an. Der Hauptzielplan für die amerikanischen Heeresflieger in Europa während des Zweiten Weltkrieges führt ebenfalls keinen Angriff auf Nordhausen im April 1945 auf“, teilte das amerikanische Aerospace Studies Institute auf Anfrage des Journalisten Manfred Neuber zu Beginn der 1960er Jahre schriftlich mit. „Aus anderen Quellen ist zu entnehmen“, gab der Leiter für geschichtliche Studien an diesem Institut der US Air Force University auf der Maxwell Air Base in Montgomery/Alabama, bei den Recherchen des Journalisten zu Protokoll, „dass am 3.und 4 .April 1945 vom Bomber Command der Royal Air Force schwere Angriffe auf Nordhausen geflogen wurden.“ Diese Angaben wurden von der Air Historical Branch im britischen Verteidigungsministerium (damals noch Ministry of War) dem Rechercheur bestätigt. Alle hier aufgeführten Originaldokumente wurden dem Stadtarchiv Nordhausen übergeben.<br />
<br />
* Nordhausen wurde anstelle Gothas bombardiert.<br />
** Diese Behauptung wurde u. a. von [[Kurt Kohlmann]] aufgestellt. So berichtete er von zwei US-Offizieren, die entsprechende Aussagen getätigt haben sollen: „Sie erzählten mir, der Kreisleiter von Nordhausen sei dreimal aufgefordert worden zu kapitulieren. Nachdem die Faschisten (DDR-Jargon, nicht US-Offiziere) das dritte Mal abgelehnt hätten, sei ein auf Gotha angesetzter US-amerikanischer Bomberverband (Unsinn, es war die Royal Air Force) nach Nordhausen umgeleitet worden.“<ref name="Rudloff138">Jost-Dieter Rudloff: ''Warum wurde Nordhausen eine Woche vor Kriegsende 1945 in Brand gesetzt? Informationen und Überlegungen''. In: ''Beiträge zur Geschichte aus Stadt und Kreis Nordhausen (Band 44/2019)'', S. 138.</ref> Dies wurde ebenfalls von Herbert Meyer als unglaubwürdig zurückgewiesen.<ref name="Sting252"/><br />
<br />
* Nordhausen wurde wegen der Raketen-Produktion im Kohnstein bombardiert.<br />
** Den Alliierten war bekannt, dass sich im Kohnstein ein Rüstungsbetrieb befand, nicht jedoch, dass dort die V-Waffen gefertigt wurden.<ref>Jürgen Möller: ''Konzentrationslager Mittelbau-Dora''. Bad Langelsalza 2018, S. 33.</ref> Der Kohnstein war wegen der Kriegsgefangenenlager kein Angriffsziel.<ref name="Rudloff138"/><br />
<br />
* Die Nordhäuser Bevölkerung sollte wegen dem Konzentrationslager Dora-Mittelbau bestraft werden.<br />
** Dies wird durch kein Dokument der Alliierten bestätigt.<br />
<br />
* Nordhausen wurde aus militärischen Gründen bombardiert.<br />
** Die Stadt war verkehrstechnischer Knotenpunkt und Mittelpunkt der Nordthüringer Rüstungsindustrie und wurde auch von der deutschen Armeeführung als wichtig wahrgenommen.<ref name="Rudloff140">Jost-Dieter Rudloff: ''Warum wurde Nordhausen eine Woche vor Kriegsende 1945 in Brand gesetzt? Informationen und Überlegungen''. In: ''Beiträge zur Geschichte aus Stadt und Kreis Nordhausen (Band 44/2019)'', S. 140.</ref> Für das US-Militär bildete die Stadt kein strategisches Ziel mehr.<ref name="Rudloff140"/> Die Stadt Nordhausen erhielt militärische Bedeutsamkeit für die Bodentruppen der 1. US-Armee, auch wegen des Verschiebebahnhofs für Truppenbewegungen. Die Schonung der Rüstungsbetriebe mit ihrem Personal ergab sich aus der Hoffnung, möglichst viele Waffen und Fachkräfte zu erbeuten.<ref name="Rudloff140"/> Es gibt keinen Hinweis darauf, dass Nordhausen aus militärischen Gründen bombardiert wurde.<ref name="Rudloff140"/> (Doch: im SHAEF-Befehl ausdrücklich erwähnt)<br />
<br />
== Aufarbeitung und Gedenken ==<br />
=== 1945 bis 1990 ===<br />
==== DDR ====<br />
Bis zur Wiedervereinigung hielt sich die Behauptung, die United States Air Force habe Nordhausen am 3. und 4. April 1945 bombardiert. Zum einen wurde der US-Luftwaffe vorgehalten, dass die Angriffe auf Nordhausen ein Akt blinder Zerstörung und militärisch sinnlos gewesen seien, da das Ende des Dritten Reiches absehbar war. Andererseits wurde mit der „Gotha-Legende“ behauptet, dass Nordhausen bis zum Letzten verteidigt werden sollte und es deshalb zum Luftangriff kam. Damit wurde die Verantwortlichkeit für das Bombardement wahlweise den lokalen NS-Amtsträgern oder den USA zugeschrieben. <br />
<br />
Ein Interesse an einer realistischen Rekonstruktion hatte die SED auch aufgrund der Situation des Kalten Krieges nicht.<br />
Zum 40. Jahrestag der Luftangriffe wurde in der Lokalpresse erstmals von „250 britischen Lancaster-Maschinen“ berichtet.<ref>„Die Zerstörung Nordhausens - Mahnung und Verpflichtung“, ''Das Volk'', 2. April 1985.</ref> Eine Korrektur der Geschichte fand jedoch nicht statt, und auch danach war mitunter vom „Zerstörungsangriff amerikanischer Bomber“ die Rede.<ref>''Unser Aktuelles Argument'', April 1985.</ref> Für die in der DDR-Propaganda kolportierte öffentliche Erinnerung erklärt sich aus dem politischen Bedürfnis, die „imperialistischen“ Angreifer als möglichst grausam und skrupellos erscheinen zu lassen, im Sinne antiamerikanischer Propaganda.<ref name="Winter63">Winter: ''Öffentliche Erinnerungen an den Luftkrieg in Nordhausen 1945 - 2005''. Marburg: Tectum-Verl., 2010. S. 63.</ref> <br />
Mit Verweis auf die Luftangriffe auf Nordhausen wurde auf tatsächliche oder vermeintliche aktuelle militärische Bedrohungen oder Konflikte Bezug genommen, z. B. auf den Vietnamkrieg. <br />
<br />
Insgesamt war die Nordhäuser Luftkriegserinnerung gekennzeichnet von einer eigentümlichen „Verwischung der Grenze zwischen Faktizität und Fiktionalität“, die nach dem Historiker Martin Sabrow typisch für das Geschichtsdenken in der DDR war.<ref>Martin Sabrow: ''Einleitung - Geschichtsdiskurs und Doktringesellschaft'', Potsdam: Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam (ZZF), 2000. S. 24.</ref><br />
<br />
Der Versuch einer wirklichen Aufarbeitung in der DDR wurde erstmals 1985 angestoßen, als [[Manfred Schröter]] anlässlich des 40. Jahrestages eine Publikation veröffentlichen wollte. Darin wurde dargelegt, dass die RAF und nicht die USAF für den Angriff im April 1945 verantwortlich gewesen war. Nachdem Schröters Buch nach Begutachtung und Korrektur durch den Historiker Olaf Groehler sowie der SED-Kreisleitung und Bezirksleitung in Druck gegangen war, konfiszierte die Kreisleitung am 29. März 1985 die gesamte Auflage und verhinderte eine Veröffentlichung.<ref name="Winter62">Winter: ''Öffentliche Erinnerungen an den Luftkrieg in Nordhausen 1945 - 2005''. Marburg: Tectum-Verl., 2010. S. 62.</ref> Vorausgegangen war ein öffentlicher Vortrag Schröters am 14. März 1985, in dem er seine Ergebnisse (im Beisein von Stasi-Spitzeln) vorstellte.<br />
<br />
Das Gedenken an die Luftangriffe wurde zu DDR-Zeiten auch stark mit dem Wieder- bzw. Neuaufbau der Stadt verwoben. In den ersten Jahren nach dem Krieg wurde vor allem zur Mithilfe agitiert, um durch das „Aufbauwerk“ einer „glücklichen, friedlichen und sonnigen Zukunft“ entgegenzutreten.<ref>„Aufbauerfolge dürfen nicht preisgegeben werden,“ ''Das Volk'', 7. April 1953.</ref> Ab Ende der 1950er Jahre verwies die SED auf die bisher erzielten Erfolge. Zum 40. Jahrestag der Bombardierung 1985 behauptete Oberbürgermeister [[Peter Heiter]], dass die Jahre des Sozialismus die erfolgreichsten in der über tausendjährigen Stadtgeschichte gewesen seien und verwies auf die Rolle der Partei als entscheidender Faktor für das Erreichte.<ref name="Winter81">Winter: ''Öffentliche Erinnerungen an den Luftkrieg in Nordhausen 1945 - 2005''. Marburg: Tectum-Verl., 2010. S. 100.</ref> <br />
Ein wichtiges Großereignis war die Instandsetzung des [[St.-Petri-Kirche|Petri-Turms]] mit einer neuen Turmspitze zum 42. Jahrestag 1987 als „wiedererstandendes Wahrzeichen“.<ref>„Kupferhelm für den Petriturm“, ''Das Volk'', 7. April 1987.</ref><br />
In der Festschrift (1050 Jahre Nordhausen", 1977 herausgegeben vom Magistrat, heißt es: "Für den ausgesprochenen Terrorcharakter der anglo-amerikanischen Luftangriffe spricht auch, dass die Hauptstraßen des Schienen- und Straßenverkehrs funktionstüchtig blieben und die militärischen Anlagen der Stadt, insbesondere das Flugplatzgelände, weiter den Machthabern des Dritten Reiches für ihre verbrecherische Politik zur Verfügung standen."<br />
Die Festschrift hebt hervor: "Das heutige Nordhausen entwickelt sich dank der schöpferischen und angestrengten Arbeit der Arbeiterklasse und aller Bürger unserer Stadt, auf festen sozialistischen Fundamenten. Ständig entsteht Neues, man braucht sich nur umzuschauen." Dagegen bemerkte das "Bad Lauterberger Tageblatt" (Ausgabe vom 3./4. April 1985, Seite 3): "Der Wiederaufbau Nordhausens begann erst sehr spät und sehr schleppend. Noch immer bildet der alte Stadtkern eine weithin kahle Fläche."<br />
<br />
==== BRD ====<br />
<br />
In der Bundesrepublik wurde das Gedenken von dem Verein [[Nordhäuser Heimatfreunde]] getragen. Die erste gedruckte Ausgabe der Vereinszeitung ''[[Nordhäuser Nachrichten]]'' widmete sich der Zerstörung Nordhausens, und auch in den folgenden Jahren bildete es ein wiederkehrendes Themenfeld mit zahlreichen Erlebnisberichten. Die Rolle des Vereinsvorsitzenden und früheren Nordhäuser NSDAP-Oberbürgermeisters [[Heinz Sting]] zum Gedenken wird kritisch gesehen.<ref name="Winter83">Winter: ''Öffentliche Erinnerungen an den Luftkrieg in Nordhausen 1945 - 2005''. Marburg: Tectum-Verl., 2010. S. 83 ff.</ref> So sei Sting zwar bemüht gewesen, klarzustellen, dass nicht die US-Luftwaffe die Stadt bombardierte, doch zeigte er sich auch bestrebt, die Rolle des Nationalsozialismus zu relativieren.<br />
<br />
Diese historischen Fakten hatte der Journalist [[Manfred Neuber]] schon vor 1965 in US- und britischen Archiven ermittelt und publiziert (''Bad Lauterberger Tageblatt'' um 1964 und am 3./4. April 1985 in „Das Drama von Nordhausen“, in der ''Herzberger Zeitung'' und im späteren ''HarzKurier'' in Herzberg, im ''Göttinger Tageblatt'' sowie Erwähnung in den ''Nordhäuser Nachrichten'').<br />
[[Herbert Meyer]], Oberbürgermeister Nordhausens in den letzten Kriegstagen und später Stadtdirektor in Bad Lauterberg, versicherte Manfred Neuber 1963 in einem Gespräch über dessen Recherchen in Großbritannien und in den USA, die Stadt Nordhausen habe keine Aufforderung der Alliierten erhalten, Nordhausen zur offenen Stadt zu erklären. Eine Entscheidung darüber hätte auch nicht in seiner Kompetenz gelegen: „Ob eine solche Aufforderung an den Kreisleiter Hans Nentwig ergangen ist und ob dieser sich geweigert hat, ihr nachzukommen, weiß ich nicht. Ich möchte es aber bezweifeln“, erklärte Meyer (Originalzitat in den Aufzeichnungen über das Treffen). Der NSDAP-Kreisleiter [[Hans Nentwig]] hatte das Bombardement in seiner Ausweich-Befehlsstelle unbeschadet überstanden. Er lebte in der Nachkriegszeit in Katlenburg. Von der marxistischen Geschichtsschreibung in der DDR wurde ihm wegen „seiner verbrecherischen Durchhalte-Politik“ eine Hauptschuld an der Zerstörung Nordhausens zugeschrieben.<br />
<br />
=== Seit 1990 ===<br />
<br />
Der 50. Jahrestag der Luftangriffe 1995 wurde mit einer Gedenkwoche unter der Losung „Nordhausen 1945: Erinnerung – Trauer – Mahnung“ weitaus größer begangen als die Jahre zuvor. 1993 hatte das Stadtarchiv angekündigt, diverse Maßnahmen einzuleiten, um ein würdiges Gedenken zu gewährleisten. Darunter zählte das Sammeln von Zeitzeugenberichten, realisierte Veranstaltungen und Projekte sowie die Planung einer Publikation zum Thema. Am 30. März 1995 wurde eine Metallplastik auf der oberen Plattform des Petri-Turms enthüllt und einen Tag später eine Ausstellung mit Fotos und Dokumenten eröffnet. Zudem erschien unter der Leitung des Stadtarchivars [[Peter Kuhlbrodt]] das Buch ''[[Schicksalsjahr 1945 – Inferno Nordhausen]]''. In den folgenden Tagen wurde ein ökumenischer Gedenkweg abgehalten, es gab Kranzniederlegungen am Gedenkstein auf dem Hauptfriedhof, dem Ehrenfriedhof und an der Boelcke-Kaserne. Begleitet wurde das Gedenken mit einer umfassenden Berichterstattung in der Presse, die auch überregional wirkte. <br />
<br />
Nach dem Jahr 1995 wurden die Jahrestage der Luftkriegserinnerung weitaus kleiner begangen.<ref name="Winter100"/> Ab Ende der 1990er Jahre erfolgte wieder eine allgemeine Repolitisierung der Luftkriegserinnerung.<ref name="Winter100">Winter: ''Öffentliche Erinnerungen an den Luftkrieg in Nordhausen 1945 - 2005''. Marburg: Tectum-Verl., 2010. S. 100.</ref> Es zeigte sich, dass sich die öffentliche Erinnerung mehr auf gegenwärtige Ereignisse als auf die Jahre des Zweiten Weltkrieges zu beziehen schien; so werden stärkere Bezüge zu außenpolitischen Themen<ref>Winter: ''Öffentliche Erinnerungen an den Luftkrieg in Nordhausen 1945 - 2005''. Marburg: Tectum-Verl., 2010. S. 101.</ref> oder Exkurse zum Rechtsextremismus hergestellt.<ref>[https://www.nnz-online.de/news/news_lang.php?ArtNr=108899 Zum Umgang mit der Bombardierung], nnz-online, 3. April 2012.</ref> Im Vergleich zu DDR-Zeiten wurde das Spektrum der Erinnerungsakteure erweitert, und vor allem die Kirche rückte in den Vordergrund. <br />
<br />
Seit den 2000er Jahren wird der Jahrestag der Luftangriffe mit der üblichen Kranzniederlegung an der Gedenkstele am Rathaus begangen. Seit 2017 werden statt Kränzen weiße Rosen niedergelegt.<ref>[https://www.nnz-online.de/news/news_lang.php?ArtNr=209936 Gedenken an der Stele], nnz-online, 3. April 2018.</ref> Im Gegensatz zu DDR-Zeiten werden Schuldzuweisungen an die Westalliierten weniger offen aggressiv und ideologisch untermauert vorgebracht.<ref>Winter: ''Öffentliche Erinnerungen an den Luftkrieg in Nordhausen 1945 - 2005''. Marburg: Tectum-Verl., 2010. S. 110.</ref><br />
<br />
=== Denkmäler ===<br />
[[File:Denkmal Bombenangriffe Nordhausen - Mai 2015.JPG|200px|thumb|Mahnmal am Alten Rathaus]]<br />
[[File:Gedenkstein Nordhausen.jpg|mini|200px|Gedenkstein am Massengrab für 600 Bombenopfer auf dem [[Zentralfriedhof an der Leimbacher Straße|Alten Friedhof]]]]<br />
* Mahnmal für die Opfer der Bombardierungen vor dem [[Altes Rathaus|Alten Rathaus]]: 1950 wurde ein Gedenkstein und eine Flammenschale am Sockel des früheren [[Lutherdenkmal]]s angebracht. Es trug die Inschrift: „4.4. 1945 - Zerstörung Nordhausens durch amerikanische Bomber - 8800 Opfer klagen an“ (''Amerikanische'' Bomber war falsch). 1969 wurde dieses Denkmal durch eine Säule des Künstlers Jürgen von Woyski ersetzt.<br />
* Auf dem [[Ehrenfriedhof]] westlich des ''Stresemann-Rings'' befindet sich ein 1999 umgestaltetes Denkmal in Erinnerung an die hier in Massengräbern beigesetzten über 1.600 KZ-Häftlinge, zum größten Teil Opfer der Luftangriffe auf die Boelcke-Kaserne am 3. und 4. April 1945. Viele Nordhäuser zivile Bombenopfer und Soldaten wurden auf dem nördlichen Teil des Sonderfriedhofs, des jetzigen Ehrenfriedhofs, oberhalb des Denkmals in Massengräbern beerdigt.<ref>Manfred Schröter: ''Die Zerstörung Nordhausens''. Nordhausen: Meyenburg-Museum, 1988. S. 59</ref><br />
* Auf dem ''Hauptfriedhof'' findet sich ein Denkmal, das die zusammenfassende Inschrift trägt: „Zum Gedenken an die Gefallenen und Vermissten beider Weltkriege, die Toten der Bombenangriffe, die Opfer aller Gewaltherrschaft. Die Bürger der Stadt Nordhausen“. Links seitlich von dem Denkmal, vor dem begrenzenden Zaun, wurde eine größere Anzahl von Bombentoten in Gemeinschaftsgräbern beigesetzt.<ref> Manfred Schröter: ''Die Zerstörung Nordhausens''. Nordhausen: Meyenburg-Museum, 1988. S. 59-60 </ref> Dort stehen noch einige große Kreuze, die wohl darauf hinweisen.<br />
<br />
== Zitate ==<br />
<br />
* „Das Ausmaß des Schreckens, der Verwüstung und des Todes, von dem unsere Stadt an jenen Apriltagen erfasst wurde, macht sie praktisch zu einem Synonym für die japanischen Städte Hiroshima und Nagasaki. Denn vergleicht man auf Airfotos ihre zerstörten Zentren, so lässt sich schwerlich ein gradueller Wirkungsunterschied erkennen.“ – ''[[Walter Geiger]]: [[Nordhausen im Bombenvisier]], S. 154.''<br />
* „Nordhausen wurde am 3. und 4. April 1945 zerstört, weil der ehrgeizige britische Luftmarschall Sir Arthur Harris dem britischen Volk und den Alliierten zeigen wollte, dass sein "Bomber Command" das Handwerk des Tötens von deutschen Menschen perfektioniert hatte. Er löste einen furchtbaren Flächenbrand aus mit den stärksten Mitteln, die ihm zur Verfügung standen. Besonders verwerflich ist, dass er die Bombenziele auf die Nordhäuser Altstadt konzentrierte. Infam ist auch, dass er noch in den letzten Kriegstagen die Altstadt von Nordhausen mit einer nie vorher verwendeten Bomben-Mischung auslöschte. Er handelte trotzig wie ein Kind, dem man das Spielzeug wegnehmen will. Harris wollte sich in letzter Stunde in Nordhausen ein Denkmal aus Leichen und Ruinen setzen.“ – ''[[Jost-Dieter Rudloff]]: Warum wurde Nordhausen eine Woche vor Kriegsende 1945 in Brand gesetzt? Informationen und Überlegungen. In: [[Beiträge zur Geschichte aus Stadt und Kreis Nordhausen (Band 44/2019)]], S. 141.''<br />
<br />
== Literatur ==<br />
*Jost-Dieter Rudloff: ''Warum wurde Nordhausen eine Woche vor Kriegsende 1945 in Brand gesetzt? Informationen und Überlegungen''. In: ''[[Beiträge zur Geschichte aus Stadt und Kreis Nordhausen (Band 44/2019)]]''.<br />
*Harald Rockstuhl (Hrsg.): ''[[Nordhausen – Luftbild-Atlas 1935–1945]]''. Bad Langensalza: Verlag Rockstuhl, 2017. ISBN 978-3959662833<br />
*[[Walter Geiger]]: ''[[Nordhausen im Bombervisier]]''. Nordhausen: Neukirchner, 2000. ISBN 3-929767-43-0<br />
*Olaf Groehler: ''Bombenkrieg gegen Deutschland''. Berlin: Akad.-Verl., 1990. ISBN 3-05-000612-9<br />
*[[Peter Kuhlbrodt]]: ''[[Inferno Nordhausen – Schicksalsjahr 1945]]''. Nordhausen: Archiv der Stadt Nordhausen, 1995. ISBN 3-929767-09-0<br />
*[[Martin Clemens Winter]]: ''[[Öffentliche Erinnerungen an den Luftkrieg in Nordhausen 1945 - 2005]]''. Marburg: Tectum-Verl., 2010. ISBN 9783828822214 <br />
*''Schicksale deutscher Baudenkmale im Zweiten Weltkrieg''. (Bd. 2) Berlin: Henschelverlag Kunst u. Gesellschaft, 1978.<br />
<br />
== Externe Verweise ==<br />
* [https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/1/1f/Nordhausen_concentration_camp_newsreel.webm Filmaufnahmen von der Boelcke-Kaserne (1945)]<br />
<br />
== Einzelnachweise ==<br />
<br />
<references/><br />
<br />
[[Kategorie:Geschichte]]</div>Latimer Rexhttps://nordhausen-wiki.de/index.php?title=Luftangriffe_auf_Nordhausen&diff=15664Luftangriffe auf Nordhausen2020-02-09T11:41:53Z<p>Latimer Rex: /* BRD */</p>
<hr />
<div>[[Datei:Marktkirche Rathaus Nordhausen 1945.jpg|thumb|300px|[[Marktkirche]], [[Altes Rathaus|Rathaus]] und [[Stadthaus]] nach den Luftangriffen]]<br />
Die '''Luftangriffe auf Nordhausen''' am 3. und 4. April 1945 durch Bomber der britischen Royal Air Force zerstörten Dreiviertel der Stadt. Dabei kamen über 8.800 Menschen ums Leben, weitere 20.000 wurden obdachlos. Mit einem Wohnungszerstörungsgrad von 55% (10.000 Wohnungen) gehörte Nordhausen zu den am schwersten zerstörten deutschen Städten; zahlreiche Denkmale von hervorragender Bedeutung, darunter die für Nordhausen charakteristischen Fachwerkbauten des 13. bis 19. Jahrhunderts, wurden vernichtet. Der historische Stadtkern, die Neustadt und die Gebäude um die [[Frauenbergkirche]] wurden fast gänzlich eingeebnet. Erhalten blieben die Gebiete westlich und nördlich der [[Stadtmauer]], [[Barfüßerstraße]], [[Kalte Gasse]], Teile des historischen [[Königshof]]s sowie der Stadtteil [[Altendorf]]. Ein Großteil der stark beschädigten Bauwerke wurde nach dem Zweiten Weltkrieg abgerissen. <br />
Die zerstörerische Gesamtwirkung aller Bomben und Luftminen war von keinem Einzelangriff im Luftkrieg gegen Deutschland auch nur annähernd erreicht worden.<ref>Geiger: ''Nordhausen im Bombenvisier''. S. 150.</ref> Bei der Bombardierung von Nordhausen handelte es sich um die größte Katastrophe in ihrer tausendjährigen Stadtgeschichte. <br />
<br />
== Nordhausen im Krieg ==<br />
Nordhausen hatte vor dem Zweiten Weltkrieg ca. 42.000 Einwohner. Während des Krieges stieg deren Zahl durch Ortsfremde (Luftkriegsevakuierte, Flüchtlinge, ausländische Arbeitskräfte, Verwundete und Kriegsgefangene) Anfang März 1945 auf 65.000 Einwohner.<ref>Peter Kuhlbrodt (Hrsg.): ''Schicksalsjahr 1945. Inferno Nordhausen''. Nordhausen: Archiv der Stadt Nordhausen, 1995. S. 20, 33 </ref> Insbesondere für Evakuierte aus Berlin, Hamburg und Westdeutschland waren Stadt und Kreis Nordhausen als Aufnahmeräume ausgewiesen.<br />
<br />
Der Bau von Luftschutzanlagen begann im Spätsommer 1943. Viele Bunkeranlagen in der Innenstadt blieben unvollendet. Am 29. November 1943 wurde für Nordhausen ein Evakuierungsplan, der Aussiedlungsrichtungen und Aufnahmegebiete festlegte, ausgearbeitet.<ref>Geiger: ''Nordhausen im Bombenvisier''. Nordhausen: Verlag Neukirchner, 2000. S. 65</ref><br />
<br />
{| class="wikitable sortable"<br />
|+ style="padding-bottom:1em" | Bis zum 22. Februar 1945 realisierte Stollenabschnitte<ref>Ullrich Mallis: ''Der Luftschutzstollen am Johanneshof / Neuer Weg. Ein Nordhäuser Baudenkmal'', in: ''[[Nordhäuser Nachrichten. Südharzer Heimatblätter (2/2011)]]'', S. 10.</ref><br />
|- class="hintergrundfarbe6"<br />
! class="unsortable" | Stollenabschnitte !! class="sortable" | Länge !! class="unsortable" | Herstellung !! class="unsortable" | Ausbauart !! class="unsortable" | Bemerkung<br />
|-<br />
| Stollen IA, Mühlhof || style="text-align:right" | 55,00 m<br />
| Okt. 1943 – Febr. 1944 || Beton, 27,5 m nur Holzausbau || Richtung Loge<br />
|-<br />
| Fluko-Bunkerzugang || style="text-align:right" | 2,40 m<br />
| Febr. – März 1944 || Eisenbetongewölbe || IA, > 40 m links<br />
|-<br />
| Kreuz IA-Stummel || style="text-align:right" | 0,50 m<br />
| März 1944 || Eisenbetongewölbe, wie das gesamte Kreuz IA || Drehscheibe<br />
|-<br />
| Stollen IB, Johannishof || style="text-align:right" | 38,50 m<br />
| Nov. 1943 – April 1944 || Beton, 22,5 m mit Firstschienen || noch begehbar<br />
|-<br />
| Stollen von IA nach IB || style="text-align:right" | 66,10 m<br />
| März 1944 – Nov. 1944 || Beton || Durchschlag im Nov. 1944<br />
|-<br />
| Stollen von IB nach IA || style="text-align:right" | 38,25 m<br />
| April 1944 – Nov. 1944 || Beton || Durchschlag im Nov. 1944<br />
|-<br />
| Oststollen, von IA-IB ab || style="text-align:right" | 21,75 m<br />
| Dez. 1944 – Febr. 1945 || Seitenbeton, Art des Firstausbaues nicht benannt || <br />
|-<br />
| Südstollen IC, ab IB || style="text-align:right" | 49,75 m<br />
| April 1944 – Febr. 1945 || || zum Lohmarkt<br />
|-<br />
| class="hintergrundfarbe5" | Gesamt: || style="text-align:right" class="hintergrundfarbe5" | 272,25 m<br />
| class="hintergrundfarbe5" | Okt. 1943 – Febr. 1945 || class="hintergrundfarbe5" | || class="hintergrundfarbe5" |<br />
|}<br />
<br />
<br />
<br />
Als Garnisonstadt hatte Nordhausen keine ältere Tradition. Ab 1935 wurde im Süden die [[Boelcke-Kaserne]] errichtet, mit Unterkünften und Fahrzeughallen; sie diente der Ausbildung von Luftnachrichtensoldaten. Daneben entstanden ein Fliegerhorst als Ausbildungsplatz und zeitweise Flugzeugwerft. Bis März 1945 wurden hier Flugzeuge für den Mistelschlepp ("Huckepack"-Flugzeuge) montiert und Piloten dafür geschult. Sonst diente der Fliegerhorst 1945 noch zum Auftanken von Jagdflugzeugen. In provisorischen Unterkünften in der Stadt gab es die evakuierte "Marineverwaltung West". In der Stadt und ihrer nahen Umgebung existierten viele Lazarette mit insgesamt etwa 1.000 Verwundeten. Die Lazarette und Krankenhäuser trugen weithin sichtbare große Rotkreuz-Symbole auf den Dächern. <br />
<br />
Das [[Mittelwerk GmbH|Mittelwerk Dora]] bei Nordhausen produzierte Anfang April 1945 keine V-Waffen oder andere Rüstungsgüter mehr. Die dort Beschäftigten, unter ihnen Tausende von Häftlingen des KZ Mittelbau-Dora und Zwangsarbeiter, wurden evakuiert. Das Werk oder seine Verkehrsanbindungen waren nie Ziel alliierter Luftangriffe. <br />
<br />
Die frühere [[KZ-Außenlager Boelcke-Kaserne|Boelcke-Kaserne]] wurde seit Herbst 1943 nicht mehr militärisch genutzt. Sie hatte seitdem Tausende von Arbeitern, später auch Flüchtlinge aufgenommen. Seit 8. Januar 1945 existierte ein bald überfülltes Häftlingslazarett in der Anlage.<ref> Manfred Schröter: ''Die Zerstörung Nordhausens''. Nordhausen: Meyenburg-Museum, 1988. S. 6-8 </ref> Im Februar kamen zeitweise 3.500 Häftlinge aus dem KZ Groß-Rosen dazu.<ref> Walter Geiger: ''Nordhausen im Bombervisier''. Nordhausen: Verlag Neukirchner, 2000. S. 258 </ref><br />
<br />
== Erste Angriffe ==<br />
In der Nacht vom 25. August auf den 26. August 1940 griffen zwei britische Bomber vom Typ Handley Page Hampden den [[Flugplatz von Nordhausen]] an und warfen vier Bomben ab.<ref>Geiger: ''Nordhausen im Bombenvisier''. S. 61 f.</ref> Es entstand ein kleiner Brand, der bald gelöscht werden konnte. <br />
<br />
Von 1940 bis 1943 gab es insgesamt 72 öffentliche Luftwarnungen und Fliegerarlarme für Nordhausen. Als sich die alliierten Luftangriffe im Jahr 1944 auf die im Hinterland gelegenen deutschen Städte intensivierten, wurde Nordhausen verstärkt Überflugsort alliierter Bomberverbände, etwa wenn sie Berlin, Dessau oder Leipzig anflogen. Im März 1945 erreichten die durchschnittlich fünf bis sechs Luftalarme ihren Höhepunkt.<ref>Geiger: ''Nordhausen im Bombenvisier''. S. 98 f.</ref> <br />
<br />
Am 12. April 1944 flogen während der Mittagszeit zwei aus südlicher Richtung kommende amerikanische Jäger die Stadt an und töteten zwei Menschen, zwei Personen wurden schwer verletzt.<ref>Geiger: ''Nordhausen im Bombenvisier''. S. S 221 f.</ref> <br />
<br />
[[Datei:Luftangriffe Nordhausen Traueranzeige.jpeg|thumb|Traueranzeige vom 26. Februar 1945]]<br />
<br />
Am 22. Februar 1945 griffen gegen 12:30 Uhr US-amerikanische Bomber den Verschiebebahnhof an, trafen jedoch die Unterstadt, einige Anlagen des Industriegebietes und die vormalige Fernmeldeschule der Luftwaffe in der [[Boelcke-Kaserne]]. Insgesamt fielen 296 Mehrzweckbomben und töteten 40 Menschen. Im ''[[Südharzer Kurier]]'' erschien am 26. Februar eine Todesanzeige für die „Gefallenen des Terrorangriffs“ mit der Ankündigung zur Beisetzung. <br />
<br />
Am 28. Februar 1945 warfen drei amerikanische Maschinen 2,5 Tonnen Sprengbomben auf die Stadt ab. <br />
<br />
Am 1. April 1945 wurden das Auto-Hotel Hesse durch Bomben getroffen und zahlreiche Menschen getötet.<br />
<br />
== Großangriffe im April 1945 ==<br />
[[File:Avro Lancaster Mk 1 ExCC.jpg|thumb|Langstreckenbomber vom Typ ''Avro Lancaster'', wie sie bei der Bombardierung von Nordhausen zum Einsatz kamen.]]<br />
[[File:Mosquito 600pix.jpg|thumb|Zielmarkierer ''De Havilland Mosquito'' (1944)]]<br />
Am 3. April 1945 starteten gegen 13 Uhr die englischen Bomberverbände und erreichten Nordhausen um 16 Uhr. Die 247 Avro-Lancaster-Bomber (Tragfähigkeit je 6 Tonnen Bombenlast) und 9 Mosquito-Mehrzweckflugzeuge warfen in 20 Minuten ca. 1.216 Tonnen Sprengbomben ab und trafen vor allem die Außenbezirke von Nordhausen.<ref>Groehler: ''Bombenkrieg gegen Deutschland'', S. 422.</ref> Im Stadtinnern fielen Bomben um die [[Neustadt-Kirche]] und [[Neustadtstraße]]. In den umliegenden Wäldern und Ortschaften [[Sundhausen]], [[Bielen]], [[Himmelgarten]], [[Leimbach]] und [[Krimderode]] fielen schwere Bomben und Luftminen. Getroffen wurde auch die mit kranken Häftlingen überbelegte [[Boelcke-Kaserne]], wo allein in einer mit Tuberkulose-Kranken belegten Flugzeughalle 450 Menschen den Tod gefunden haben sollen.<ref>Wagner: ''Produktion des Todes.'' S. 280</ref> Die Stadt ohne Strom und Leitungswasser. Die Verletzten wurden gesammelt und nach [[Neustadt/Harz|Neustadt]] und [[Sülzhayn]] gebracht, die Ausgebombten erhielten Notquartiere in der Stadt selbst und ihrer Umgebung. Viele Nordhäuser flüchteten aus der Stadt. Zwei Stollen der unterirdischen Anlagen von Mittelbau Dora im Kohnstein nahmen bereits am 3. April Geflüchtete auf, später wurden es 10.000. Das Stadtkrankenhaus war beschädigt, die Patienten wurden in Notkrankenhäuser in das benachbarte [[Petersdorf]] gebracht, vor allem in das Ausflugsrestaurant Harzrigi.<ref> Manfred Schröter: ''Die Zerstörung Nordhausens''. Nordhausen: Meyenburg-Museum, 1988. S. 22, 23 </ref> Bomben fielen auch auf mehrere benachbarte Dörfer und deren Flur, besonders betroffen war Bielen. Zwei Bomber gingen beim Hin- und Rückflug verloren. Der erste Angriff erzielte die gewünschte Wirkung jedoch nicht. Der Angriff am 3. April war aus Sicht der RAF ein Misserfolg.<!-- (Quelle?) --> Viele Einwohner zogen am Abend des 3. April zum nahen [[Kohnstein]], wo die mittlerweile fast verlassenen Stollen des Mittelwerks Schutz boten.<br />
<br />
{{Zitat|Die Stadt ist schwer getroffen, aber sie ist noch eine organisierte Gemeinschaft… Gegenseitige und Nachbarschaftshilfe wird geleistet. Die Stadtverwaltung und die Luftschutzleitung setzen ihre Kräfte ein. Rotes Kreuz und die Krankentransporte kommen an die Schwerpunkte. Man leitet die Evakuierung des beschädigten Krankenhauses ein. Die Verletzten des Angriffs werden geborgen, abtransportiert, in den Gaststätten Parkhaus und Kurhaus gesammelt und schließlich nach Neustadt und Sülzhayn weiterbefördert. Die Feuerwehr bekämpft die wenigen (?) Brandherde.|[[Manfred Schröter]]: ''[[Die Zerstörung Nordhausens und das Kriegsende im Kreis Grafschaft Hohenstein 1945]]''}}<br />
<br />
Am 4. April gegen 9 Uhr begann der zweite Großangriff der RAF. Der Verband kam über Gotha, Bad Langensalza und Schlotheim. Für 93 Bomber wurde die Boelcke-Kaserne als Angriffsziel befohlen, die anderen 150 hatten das Stadtzentrum anzugreifen.<ref>Geiger: ''Nordhausen im Bombenvisier''. S. 146 f.</ref> Zwei Bomber mussten frühzeitig zurückkehren, und zehn weitere hatten ihren militärischen Auftrag verfehlt, so dass von den 243 Flugzeugen 231 am Luftschlag teilnahmen. Ein Bomber explodierte über der Stadt. Die örtliche Feuerwehr war, soweit noch vorhanden, von der Lage völlig überfordert. Unter der überlebenden Bevölkerung herrschte Panik, viele verließen fluchtartig zu Zehntausenden das Inferno der Stadt in Richtung Kohnstein. Auch außerhalb von Nordhausen wurde sie von Jagdbombern beschossen.<ref> Manfred Schröter: ''Die Zerstörung Nordhausens''. Nordhausen: Meyenburg-Museum, 1988. S. 26 </ref> Am Abend und in der Nacht war die Stadt ein weithin leuchtendes Flammenmeer.<ref> Peter Kuhlbrodt: ''Schicksalsjahr 1945. Inferno Nordhausen''. Nordhausen 1995. S. 23 </ref> In der Mitte davon leuchtete der Kirchturm von St. Petri als riesige Fackel, die gegen Mitternacht zusammenbrach und auf das Kirchenschiff stürzte. RAF-Piloten, die von einem Einsatz bei Merseburg zurückflogen, berichteten um 23.00 Uhr von „good fires at Nordhausen“.<ref> Walter Geiger: ''Nordhausen im Bombervisier''. Nordhausen, 2000. S. 180 f.</ref> <br />
Der gebürtige Nordhäuser Schriftsteller [[Rudolf Hagelstange]] schrieb in seiner deutschen Familienchronik (Band 2: „Der Niedergang“, Seite 254) über die Feuersbrunst in seiner Heimatstadt: „Und die Hitze war so groß, dass in den meisten Straßen, sofern sie nicht gepflastert waren, der Asphalt geschmolzen war, dass Flüchtende da und dort in ihn eingesunken waren, einige unlöslich und damit zum Flammentod verurteilt.“<br />
<br />
=== Opfer ===<br />
[[Datei:Einwohnerentwicklung von Nordhausen ab 1800.svg|thumb|Einwohnerzahl von Nordhausen ab 1800. Deutlich sichtbar der Höhepunkt 1945]]<br />
Bei den Großangriffen im April 1945 kamen ca. 8.800 Menschen ums Leben. Diese Zahl geht auf Schätzungen vom Februar 1948 zurück.<ref name="Kuhlbrodt125">Kuhlbrodt: ''Inferno Nordhausen''. S. 125 f.</ref> Vor dem Abgriff befanden sich rund 65.000 Personen in der Stadt (42.000 ständige Bevölkerung, Militärpersonen, Gefangene, ausländische Arbeiter, Spezialarbeiter der Kriegsindustrie, Evakuierte). Der Antifa-Ausschuss von Nordhausen schätzte am 17. Juni 1945, dass über 10.000 Menschen bei den Bombenangriffen ums Leben gekommen seien.<ref> Peter Kuhlbrodt: ''Schicksalsjahr 1945. Inferno Nordhausen''. Nordhausen 1995. S. 115 </ref><br />
<br />
In den ersten Tagennach dem Einmarsch der Amerikaner ließ der US-Stadtkommandant in den Straßen liegende Leichen auf den Sonderfriedhof am Schlageter-Ring bringen. Andere wurden an Ort und Stelle in Bombentrichtern beerdigt. Eine beträchtliche Zahl ziviler Opfer und deutscher Soldaten wurde dann in dem höher gelegenen Teil des heutigen Ehrenfriedhofs in Massengräbern beigesetzt, unweit der getöteten Häftlinge aus der Boelcke-Kaserne. Für die später gefundenen Opfer ohne Anhang wurden Massengräber im vorderen Teil des Alten Hauptfriedhofs in der Leimbacher Straße angelegt. Heute steht an dieser Stelle ein Wohnblock. Auf dem Neuen Hauptfriedhof am Ring sind in den ersten Wochen und Monaten 920 Bombenopfer beerdigt worden.<br />
<br />
{| class="wikitable"<br />
|-<br />
| Verluste der ständigen Bevölkerung || 6.000<br />
|-<br />
| Verluste der nicht ständigen Bevölkerung || 1.500<br />
|-<br />
| Verluste der Häftlinge der Boelcke-Kaserne || 1.300<br />
|-<br />
| zusammen || 8.800<br />
|-<br />
|} <br />
<br />
==== Persönlichkeiten ====<br />
* [[Paul Urban]] (geb. 1892), KPD-Stadtrat<br />
<br />
=== Schäden und Totalverluste ===<br />
<br />
Der Zerstörungsgrad der Stadt wurde mit 74 Prozent errechnet. Die Gesamtfläche des zerstörten Gebietes betrug 810.000 Quadratmeter. Von den 13.075 Wohnungen wurden 6.187 total zerstört und 4.575 beschädigt.<br />
<br />
==== Kirchen ====<br />
<br />
[[Datei:Petri-Kirche Außenansicht.JPG|thumb|[[St.-Petri-Kirche]]]]<br />
*[[St.-Jakobi-Kirche]]: Am 3. April erheblich durch Bomben zerstört. Reste des Schiffes abgetragen, Turmruine zu DDR-Zeiten beseitigt.<br />
*[[Marktkirche]]: Am 3. April weitgehend zerstört. Ruinenreste abgetragen.<br />
*[[St.-Petri-Kirche]]: Am 3. April bis auf Turm und Chor zerstört, zahlreiche Menschen finden in der Kirche den Tod. Der Turm erhielt 1954 ein Notdach, die übrigen Ruinenteile wurden beseitigt. 1987 wurde ein neuer Turmhelm gesetzt.<br />
* [[St.-Blasii-Kiche]]: Dach und Mauerwerk am 4. April durch Bombentreffer erheblich beschädigt [[Cranachgemälde]] im Auslagerungskeller verbrannt. Bis 1949 Wiederherstellung des Daches, Ausbesserung Mauerwerk, Erneuerung des Inneren.<br />
*[[Nordhäuser Dom]]: Am 4. April schwere Schäden durch Brandzerstörung des Steildaches über der Halle und Vernichtung der Fenster. Noch 1945 Fertigstellung Notdach und Beseitigung der Folgeschäden. 1965 Wiederherstellung des Steildaches in ursprünglicher Form.<br />
*[[Frauenbergkirche]]: Am 4. April durch Bomben schwer zerstört. Erhalten blieben Umfassungsmauern der Chor mit Apside, die Nebenchöre und das Querschiff, vom Langhaus nur Reste des ersten Joches sowie des Westportals. Von 1953 bis 1955 folgten Enttrümmerung und Sicherungsarbeiten.<br />
*[[Frauenbergkloster]]: Am 4. April durch Bombentreffer total zerstört. Gebäudereste wurden nach 1945 entfernt.<br />
<br />
==== Öffentliche Bauten ====<br />
*[[Rathaus]]: Am 4. April bis auf die Umfassungsmauern zerstört, Turm ausgebrannt. Ab 1951 Trümmer entfernt und Wiederaufbau bis 1952, dabei wurden die Erdgeschoßarkaden und das Innere neu gestaltet. Zum ebenfalls schwer zerstörten [[Stadthaus]] wurde der Verbindungsgang wiederaufgebaut, der [[Roland]] restauriert.<br />
*[[Stadtmauer]]: Es entstanden Schäden an der Stadtmauer, wobei besonders die teilweise genutzten Türme und Wiechhäuser betroffen wurden. Nach dem Krieg wurden Ruinen abgetragen und Sicherungsarbeiten durchgeführt. Zur Landesgartenschau 2004 erfolgten umfangreiche Sanierungsarbeiten, besonders um den [[Petersberg]]. <br />
*[[Theatergebäude]]:<br />
<br />
==== Fachwerkbauten ====<br />
[[Datei:Nordhäuser Roland 1945.jpg|thumb|Das ausgebrannte Rathaus mit dem [[Nordhäuser Roland|Roland]], der die Angriffe wie durch ein Wunder überstand]]<br />
[[Datei:Riesenhaus, Riese, Postkarte.jpg|thumb|Postkarte vom [[Riesenhaus]] am Holzmarkt (Lutherplatz) mit dem [[Nordhäuser Riese]]n.]]<br />
Bedeutende Fachwerkhäuser, die zerstört wurden (lt. dem Denkmalpfleger Rudolf<br />
Zießler):<br />
<br />
*[[Bäckerstraße]] 22: Mitte des 18. Jahrhunderts errichteter dreigeschossiger, neunachsiger, verputzter Fachwerkbau mit massivem Erdgeschoß, Satteldach und Zwerhaus. Stichbogenfenster mit einfacher profilierter Rahmung in Dreiergruppen. Betonung der Mittelachse durch ein von Pilastern flankiertes Portal mit gesprengtem Giebel, darauf ruhende Frauen und Wappen sowie durch einen auf Konsolen sitzenden Balkon mit schmiedeeisernem Gitter.<br />
*[[Blasiistraße]] 15: Alte Schule. Errichtet um 1700 als dreigeschossiger stattlicher Fachwerkbau mit hohem Satteldach. Unregelmäßige Fenstergruppierung (im ersten Obergeschoß dreizehn Achsen). Fachwerk mit halben Männern. Obergeschoß vorkragend mit Balkenköpfen und gekehlten Füllhölzern.<br />
*Blasiistraße 21: Bedeutendstes Renaissance-Fachwerkhaus Nordhausens von etwa 1550. Dreigeschossig mit zehn Fensterachsen in unregelmäßiger Gruppierung, Geschosse stark vorkragend. Reich ausgebildetes Schmuckfachwerk mit Balkonköpfen, Knaggen, Füllhölzern und Schiffskehlen. Haupteingang mit kräftigen Gewämdepfosten und halben Sonnen um 1700.<br />
*[[Hagenstraße]] 4: Um 1800 errichtet als zweigeschossiger, verschieferter Fachwerkbau mit zehn Fensterachsen. Eckpilaster, ebensolche toskanische Holzpilaster flankieren die vier Mittelachsen und nehmen einen verschieferten Dreieckgiebel auf. Stichbogenfenster mit einfacher Rahmung und Schlußsteinbetonung.<br />
*Hagenstraße: Ilfelder Hof, ehem. Klosterhof, seit dem ersten Viertel des 18. Jahrhunderts Kurhannoversche Postverwaltung, seit 1853 in Privatbesitz. 1277 angelegt, später erweitert, im 17. Jahrhundert Neubau auf erweitertem Grundriss mit massivem Erdgeschoß und zwei Fachwerkobergeschossen, verschiefert.<br />
*[[Holzmarkt]] (Lutherplatz): „Riesenhaus“. 1375 erstmals erwähntes Patrizierhaus mit massivem Erdgeschoss, zwei Fachwerkobergeschossen und Satteldach. Nach Brand von 1710 im Fachwerk erneuert. Fassade gegliedert durch zwölf Fensterachsen, jeweils in Dreiergruppen angeordnet. Fachwerkkonstruktion mit Wilden Männern. Mittelgiebel mit einem Mann in Ritterrüstung ([[Nordhäuser Riese]]), der eine Lanze hält. 1805 Einrichtung einer Gaststätte, Verputz des Fachwerks und klassizistische Fassadengestaltung. 1927 Endrestaurierung und Wiederherstellung des Fachwerks.<br />
*Jakobikirchplatz 4: Lateinschule. Zweigeschossiger Fachwerkbau von 1493 mit Satteldach. Ständer- und Riegelbau. Vorkragendes Obergeschoß über geschwungene Knaggen. Durchlaufender Fensterbrustriegel.<br />
*Jakobikirchplatz: Pfarrhaus. 1687 errichteter zweigeschossiger Fachwerkbau mit Krüppelwalmdach. Fenstergruppierung unregelmäßig. Stiele und Brustriegel durch Wilde Männer verstärkt. Geringe Auskragung, Balkonköpfe und Schwelle mit einfacheren Profilen. Gefache mit Ziegeln in Mustern ausgemauert. Oberdeutsch beeinflusstes Fachwerk.<br />
*[[Königshof]] 14: Dreigeschossiger Fachwerkbau mit oberdeutschen Stilelementen, ganze und halbe Männer. Um 1780 Verkleidung der Fenster mit Rokokogirlanden.<br />
*[[Krämerstraße]] 11: Verschieferter, zweigeschossiger, fünfachsiger Fachwerkbau mit spätbarockem Volutengiebel. Stichbogenfenster mit Rahmenverkleidung. Erdgeschoss durch Ladeneinbauten verändert.<br />
*Krämerstraße 15: Um 1700 errichteter schmaler dreigeschossiger Fachwerkbau in oberdeutschem Stil mit halben Männern an den Ecken. Balkonköpfe und Füllhölzer mit einheitlichem Profil. Satteldach mit Zwerchhaus.<br />
*[[Lohmarkt]] 2, 4, 20, 21: Nach 1686 errichtete Gerberhäuser. Zwei- bzw. dreigeschossige Fachwerkgebäude im gleichen oberdeutschen Baustil wie Pfarrhaus Jakobikirchplatz. Besonders reich ausgebildet der Türstock mit Renaissanceformen und Inschrift. Satteldächer mit Zwerchhäsern (Ladeluken).<br />
*[[Neustadtstraße]] 27: Zweigeschossiger, elfachsiger Fachwerkbau aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts mit Satteldach. An den Fenstern Rokokoverkleidung.<br />
*Neustadtstraße 35: Zweigeschossiger, achtachsiger Fachwerkbau aus der Mitte des 18. Jahrhunderts auf Sandsteinsockel. Türen und Fenster in Stichbogen mit geschnitzter Rokokoverkleidung.<br />
*Neustadtstraße 47: Dreigeschossiger Fachwerkbau der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts mit Krüppelwalmdach. Rokokofensterbekleidungen handwerklich vereinfacht.<br />
*[[Pferdemarkt]] 17: Dreigeschossiger Fachwerkbau von etwa 1550, niederdeutsch beeinflusst. Auskragung des Obergeschosses mit Balkonköpfen, Knaggen und Füllhölzern. Erdgeschoß baulich verändert.<br />
*[[Sandstraße]] 3, 21, 23, 28: Diese Häuser hinsichtlich der Entstehungszeit und der architektonischen Ausbildung denen der Neustadtstraße entsprechend.<br />
<br />
==== Situation nach dem Großangriff ====<br />
[[Datei:Boelcke-Kaserne-Tote HäftlingeA.jpg|thumb|Einwohner Nordhausens tragen am 12. April 1945 unter Bewachung von Angehörigen der US-Armee tote Häftlinge aus der Boelcke-Kaserne und legen sie davor ab]]<br />
[[File:Nordhausen um 1930.jpeg|thumb|Der Stadtteil [[Altendorf]] blieb weitgehend unzerstört (Luftaufnahme um 1930)]]<br />
Das britische Bomber Command berichtete als Ergebnis der beiden Großangriffe, dass „die Stadt fast vollständig zerstört wurde, inbegriffen die Kasernenblöcke.“<ref> Walter Geiger: ''Nordhausen im Bombervisier''. Nordhausen: Neukirchner, 2000. S. 154 </ref> <br />
Die Situation für die Bevölkerung nach den Angriffen kann nur mit dem Begriff „Inferno“ beschrieben werden. Das Stadtzentrum konnte tagelang nicht betreten werden. Es wüteten noch zahlreiche Brände<ref> Peter Kulhlbrodt: ''Schicksalsjahr 1945. Inferno Nordhausen''. Nordhausen 1995. S. 24</ref>, die Schutthaufen strahlten unerträgliche Hitze aus. Bomben mit Zeitzündern gingen hoch. Über den Trümmerfeldern lag bald Leichengeruch, besonders im Bereich der Boelcke-Kaserne. In den Nächten des 6. und 7. April wurden die Kranken und Verwundeten aus Nordhausen und Umgebung durch alle verfügbaren Fahrzeuge, besonders mit Bauern-Gespannen, in den Kohnstein in Sicherheit gebracht. Die Nordhäuser Bevölkerung (?) verteilte sich nach Schätzungen am 7. April wie folgt: 6.000 (8.800) Opfer tot unter den Trümmern, 6.000 Überlebende noch in der Stadt, 10.000 im Kohnstein und 20.000 in den umliegenden Dörfern, besonders nordöstlich der Stadt.<ref> Manfred Schröter: ''Die Zerstörung Nordhausens''. Nordhausen: Meyenburg-Museum, 1988. S. 30 </ref> Am 8. April flogen 6 Jagdbomber noch einen Tagesangriff nach Zielmarkierung auf Nordhausen, parallel zu dem Bombardement auf [[Sondershausen]]. Am 10. April näherten sich US-Panzer aus Richtung [[Hain (Kleinfurra)|Hain]] dem Süden der Stadt und nahmen ihn unter Feuer, darunter die Trümmer der Boelcke-Kaserne.<ref> Manfred Schröter: ''Die Zerstörung Nordhausens''. Nordhausen: Meyenburg-Museum, 1988. S. 37 </ref><br />
<br />
== Nachwirkungen ==<br />
Insgesamt waren vom britischen Bomber Command 2.386 Tonnen und von der 8. US Air Force 296 Tonnen Bombenlast auf Nordhausen abgeworfen worden.<ref> Olaf Groehler: ''Bombenkrieg gegen Deutschland''. Berlin: Akademie-Verlag, 1990. S. 449 </ref><br />
Eine der am längsten nachwirkenden Folgen der Luftangriffe für die Bürger der Stadt blieben Hunderte von Blindgängern aller Kaliber: zwischen den Trümmern der Stadt und im Erdreich der Straßen, Gärten und Felder. In den ersten Jahren machten sich die Feuerwerker Jochen Nebel und Albin Diebler sehr verdient um die Entschärfung gefundener Bomben, ab 1962 der - deshalb zum Ehrenbürger ernannte - Helmut Zinke. Im Stadtgebiet wurden 1948 bis 1953 etwa 100 Bomben entschärft, dann 248 Blindgänger von 1954 bis 1999 entzündet und geräumt.<ref>Walter Geiger: ''Nordhausen im Bombervisier''. Nordhausen, 2000. S. 263-264 </ref> <br />
<br />
Noch 2014 gilt eine Verordnung in Nordhausen, nach der jeder Bürger, der bauen will, sicherstellen muss, dass unter seinem Grund und Boden kein Gefahrgut liegt.<ref>Katja Dörn: ''Die Gefahr rostet im Thüringer Boden''. Thüringische Landeszeitung, 12. Dezember 2014 </ref><br />
<br />
Auswahl weiterer Funde von Blindgängern:<br />
* 1996: 250-Kilogramm-Blindgänger wird gesprengt<br />
* 2008: 227-Kilogramm-Bombe in der Altstadt<br />
* 2010: Fünf-Zentner-Bombe am [[Taschenberg]] entdeckt, 4.500 Menschen wurden evakuiert, Bombe konnte nicht entschärft werden<br />
* Juni 2016: Kontrollierte Sprengung einer 800-Kilogramm-Bombe, Leimbach und Steigerthal mussten geräumt werden (1.080 Einwohner) <br />
* Dezember 2016: Fünf-Zentner-Bombe am [[Strohmühlenweg]], ca. 1000 Einwohner, so auch die Hochschule Nordhausen, wurden evakuiert<br />
* September 2017: Bombe auf einem Feld in der [[Windlücke]], ca. 3000 Einwohner evakuiert, Bombe entschärft<ref>https://www.nnz-online.de/news/news_lang.php?ArtNr=219719</ref><br />
* Oktober 2018: Bombe in der Windlücke, ca. 3000 Einwohner evakuiert, Bombe entschärft<ref>https://www.nnz-online.de/news/news_lang.php?ArtNr=243515</ref><br />
* November 2018: Bombe in Bielen, 1.1000 Einwohner wurden evakuiert (Sperrzone 1 Kilometer), Bombe entschärft<br />
* August 2019: 225-Kilogramm-Bombe an der [[Zorge]], 2.500 Einwohner wurden evakuiert (Sperrzone 500 Meter), Bombe entschärft und Zünder gesprengt<br />
* November 2019: 225-Kilogramm-Bombe am [[Stadttheater]], ca. 15.000 Einwohner wurden evakuiert (Sperrzone 1 Kilometer), Bombe entschärft und Säurezünder gesprengt. Es war die größte Evakuierungsaktion in Nordhausen nach dem Zweiten Weltkrieg.<ref>MDR, 8. November 2019</ref><br />
<br />
== Rezeption ==<br />
[[Datei:Nordhausen mahnt 1949.jpg|thumb|200px|Werbeplakat zur Ausstellung „[[Nordhausen mahnt - Ausstellung vom 6. bis 27. März 1949|Nordhausen mahnt]]“ im März 1949]]<br />
Luftangriffe waren im Zweiten Weltkrieg für alle Kriegsparteien zum entschiedenen strategischen Kriegskonzept geworden. Die Westalliierten glaubten durch die planmäßige und massive Zerstörung deutscher Städte, vor allem der Wohngebiete der Industriearbeiter, die Moral und den Widerstandswillen der Bevölkerung zu brechen und den Krieg schneller beenden zu können.<ref>Johannes Volker Wagner: ''Bomben auf Bochum''. S. 3.</ref> Im Januar 1943 einigten sich Großbritannien und die Vereinigten Staaten in Casablanca auf die Forderung nach bedingungsloser Kapitulation des Deutschen Reiches und auf eine weitere Verschärfung des Bombenkrieges. Zu dieser Zeit war die deutsche Luftabwehr längst nicht mehr in der Lage, das Reichsgebiet zu verteidigen. Die Alliierten erreichten ihr Ziel der Demoralisierung jedoch nicht, und viele Deutsche klammerten sich in Verzweiflung an die Hoffnung auf einen „Endsieg“.<br />
<br />
<!-- Auszug aus „Winston Churchill“. Der späte Held, eine Biographie von Thomas Kielinger, erschienen im Verlag C.H. Beck, Kapitel XY, Seite 301 ff.: Nach dem Kriege stand eine andere Verantwortung Churchills im Vordergrund – „für die Vernichtung von nahezu 60 der größten Städte Deutschlands“. „Mit dem Untergang Dresdens sind auch nachdenkliche Briten bis heute nicht fertig. Die Zweifel, ob die Zerstörung dieser und anderer Städte so kurz vor dem nahen Kriegsende zu rechtfertigen war, haben sich längst zu dem Urteil verdichtet: Sie war es nicht! ... Hilft es zur Erklärung darauf hinzuweisen, dass in der Schlussphase des Krieges deutsche V1- und V2-Waffen weiterhin Zerstörung auf Antwerpen, Paris und London regnen ließen? Eine V2 schlug noch am 27. März 1945 im Osten Londons ein und tötete 134 Menschen. Die britische öffentliche Meinung hätte es nicht verstanden, wenn die mili-tärische Führung auf Schonung des Gegners geschaltet hätte, wo dieser bis zum Ende Vernichtung spie.“<br />
<br />
„Aber die alte Frage bleibt, die Lothar Kettenacker 2003 in dem Sammelband „Ein Volk von Opfern?“ noch einmal stellte – „ob der Zweck die Mittel heiligt, ob die Beseitigung einer unheilvollen Diktatur die rücksichtslose Bombardierung der Bevölkerung rechtfertigt. Unbehagen äußerte Churchill selbst schon 1943, als ihm Bilder von den Auswirkungen der Bomben in Deutschland vorgelegt wurden ...“ Der Australier Ricard Casey, der an den Sitzungen des britischen Kriegsrates ... teilnahm, schrieb am 27. Juni 1943 in sein Tagebuch: „Es wird ein Film gezeigt über das nächtliche Bombardement einer deutschen Stadt, und plötzlich richtet sich Churchill steil in seinem Sessel auf und sagt zur mir: ‚Sind wir Bestien? Gehen wir nicht zu weit? <br />
<br />
Churchills Meinungen zum Bombenkrieg gegen Deutschland schwankten. Nach der Zerstörung Dresdens begegnet man bei ihm, spät, einer eindeutigen Ablehnung, so in dem berühmten Memorandum vom 28. März 1945:‚Der Moment scheint mir gekommen, wo die Frage der Bombardierung deutscher Städte zum Zwecke der Erhöhung des ''''terrors'''' (in Englisch mit der Bedeutung von Angst und Schrecken) auch wenn wir andere Vorwände nennen, überprüft werden sollte... Es ist nötig, dass wir uns mehr auf militärische Ziele konzentrieren wie Öllager und Kommunikationszentren hinter der unmittelbaren Kampfzone, statt auf Akte des reinen terrors und der mutwilligen Zerstörung’.“<br />
„Nicht umsonst nannte man Harris auch den ‚butcher’, den Metzger. . . Schon Max Hastings (stockkonservativer Historiker) nannte in seinem Klassiker von 1979 ‚Bomber Command’ die Auslöschung deutscher Städte noch im Frühjahr 1945 ‚einen bleibenden Schandfleck’,“ soweit Kielinger. Nach Kriegsende zog sich Harris verbittert nach Südafrika zurück, weil er sich nicht gebührend geehrt vorkam. Luftangriffe hatte Harris als „relativ humane Methode“ bezeichnet. Butcher wurde er nicht wegen der zivilen Bombenopfer in Deutschland genannt, sondern weil 55 000 Angehörige des Bomber Command vom Feindflug nicht heimkehrten – jeder zweite Pilot und Bordschütze. --><br />
<br />
Im März 1945 hatte sich das Angriffstempo der US-Streitmacht im Vergleich zu den Vormonaten verlangsamt.<ref name="Gewiger158">Geiger: ''Nordhausen im Bombenvisier''. S. 158 f.</ref> Um dennoch den Stoß in das Zentrum Deutschlands als strategisches Ziel zügig fortzuführen, waren die Westalliierten zum Einsatz aller Mittel entschlossen, auch in Anbetracht eventuell noch bevorstehender Kämpfe und Widerstand im Südharz. Die Stadt Nordhausen erhielt daher militärische Bedeutsamkeit für die 1. US-Armee, auch wegen des Verschiebebahnhofs für Truppenbewegungen. Der unterirdische Rüstungsbetrieb im [[Kohnstein]] und das [[Konzentrationslager Dora Mittelbau]] wurden dagegen nie zum Ziel von Luftangriffen. <br />
<br />
Nordhausen und Umgebung wurden Ende 1944 von britischen Fernaufklärern nachts unter tagheller Beleuchtung durch Magnesiumbomben sorgfältig aus der Luft fotografiert.<ref>Manfred Schröter: ''Die Zerstörung Nordhausens''. Nordhausen 1988, S. 55</ref> Die Bombardierung von Nordhausen wurde am 2. April 1945 vom Alliierten Oberkommando (SHAEF) befohlen.<ref name="Gewiger158"/> Gefordert wurde ein Angriff zur Unterstützung der 1. US-Armee mit Priorität zur frühestmöglichen Gelegenheit. Einige Tage zuvor wurde vom SHAEF die Zerstörung durch die RAF beschlossen.<ref>Manfred Schröter: ''Die Zerstörung Nordhausens''. Meyenburg-Museum Nordhausen, 1988, S. 54–55</ref><br />
<br />
Dieses, geführt von Luftmarschall Arthur Harris, erteilte am 2. April den unmittelbaren Befehl für einen Doppelschlag an zwei Tagen.<ref>Walter Geiger: ''Nordhausen im Bombervisier''. Nordhausen 2000, S. 108–109</ref> Der Zweck der RAF-Angriffe im April 1945 bestand darin, den Weg für einen ungehinderten Vormarsch von der im Südharzer Raum erwarteten Gegenwehr freizumachen. 3.466 britische Soldaten sollten als fliegendes Personal an den Angriffen teilnehmen. Ihnen wurde als Ziel des Angriffs erklärt: „To kill military and Nazi personnel evacuated from Berlin to these barracks“ (gemeint das Areal der Boelcke-Kaserne und die Stadt Nordhausen).<ref>Geiger: ''Nordhausen im Bombenvisier''. S. 121 </ref><br />
<br />
<!-- Bitte Quelle angeben!(Wie aus dem Text eindeutig hervorgeht: Der genannte Journalist und Gesprächspartner Dr. Meyers!) Der gebürtige Nordhäuser [[Manfred Neuber]], als Journalist von 1960 bis 1963 in London und New York, recherchierte als erster bei der Royal Air Force und der US Air Force über die Luftangriffe auf Nordhausen. Aus den detaillierten Angaben ging hervor, dass allein Bomber der Royal Air Force Nordhausen angegriffen hatten. Die SED-Propaganda hatte behauptet, es habe sich um „amerikanische Terrorangriffe“ gehandelt. So stand es auch Jahre auf der Gedenkstele für die Opfer der Luftangriffe neben dem Alten Rathaus. Neuber hatte Gelegenheit, im Jahre 1964 in Bad Lauterberg mit Dr. [[Herbert Meyer]], Oberbürgermeister Nordhausens vor Kriegsende 1945, über die Bombenangriffe zu sprechen. Dabei widerlegte Meyer noch Jahre nach dem Kriege kursierende Gerüchte, die Luftangriffe hätten eigentlich der Stadt Gotha gelten sollen. Weil die Verantwortlichen dort kapituliert hätten, sei Nordhausen angegriffen worden, weil es nicht ebenso gehandelt habe. Meyer versicherte, es habe keine Aufforderung zur Übergabe der Stadt gegeben. Zum Zeitpunkt der Luftangriffe standen die US-Panzerspitzen noch im Raume Kassel. --><br />
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=== Vermutungen und Gerüchte über den Großangriff ===<br />
<br />
* Nordhausen soll Aufforderung zur kampflosen Übergabe ausgeschlagen haben.<br />
** Der Nordhäuser Oberbürgermeister bei Kriegsende, [[Herbert Meyer]], widersprach dieser Darstellung in einem Gespräch mit dem Journalisten Manfred Neuber um 1964 in Bad Lauterberg: „An die Stadtverwaltung ist niemals bis zu den Angriffen eine Aufforderung der Amerikaner ergangen, Nordhausen zur offenen Stadt zu erklären. Ich möchte bezweifeln, dass sie an Kreisleiter Nentwig ergangen ist.“<ref name="Sting252">Heinz Sting: ''Das 1000-jährige Nordhausen und der schöne Südharz''. Hannover: Nordhäuser Heimatfreunde, 1965. S. 252.</ref><br />
<br />
* Nordhausen wurde durch die US-Luftwaffe zerstört.<br />
** Es ist unbestritten und belegt, dass britische Bomber die Stadt zerstörten. „Die Einsatzbefehle der 8. US-Luftflotte sahen weder am 3. noch am 4. April 1945 Nordhausen als Ziel vor. Die Operationsberichte der 8. Luftflotte geben auch keinen Großangriff auf Nordhausen an einem dieser beiden Tage an. Der Hauptzielplan für die amerikanischen Heeresflieger in Europa während des Zweiten Weltkrieges führt ebenfalls keinen Angriff auf Nordhausen im April 1945 auf“, teilte das amerikanische Aerospace Studies Institute auf Anfrage des Journalisten Manfred Neuber zu Beginn der 1960er Jahre schriftlich mit. „Aus anderen Quellen ist zu entnehmen“, gab der Leiter für geschichtliche Studien an diesem Institut der US Air Force University auf der Maxwell Air Base in Montgomery/Alabama, bei den Recherchen des Journalisten zu Protokoll, „dass am 3.und 4 .April 1945 vom Bomber Command der Royal Air Force schwere Angriffe auf Nordhausen geflogen wurden.“ Diese Angaben wurden von der Air Historical Branch im britischen Verteidigungsministerium (damals noch Ministry of War) dem Rechercheur bestätigt. Alle hier aufgeführten Originaldokumente wurden dem Stadtarchiv Nordhausen übergeben.<br />
<br />
* Nordhausen wurde anstelle Gothas bombardiert.<br />
** Diese Behauptung wurde u. a. von [[Kurt Kohlmann]] aufgestellt. So berichtete er von zwei US-Offizieren, die entsprechende Aussagen getätigt haben sollen: „Sie erzählten mir, der Kreisleiter von Nordhausen sei dreimal aufgefordert worden zu kapitulieren. Nachdem die Faschisten (DDR-Jargon, nicht US-Offiziere) das dritte Mal abgelehnt hätten, sei ein auf Gotha angesetzter US-amerikanischer Bomberverband (Unsinn, es war die Royal Air Force) nach Nordhausen umgeleitet worden.“<ref name="Rudloff138">Jost-Dieter Rudloff: ''Warum wurde Nordhausen eine Woche vor Kriegsende 1945 in Brand gesetzt? Informationen und Überlegungen''. In: ''Beiträge zur Geschichte aus Stadt und Kreis Nordhausen (Band 44/2019)'', S. 138.</ref> Dies wurde ebenfalls von Herbert Meyer als unglaubwürdig zurückgewiesen.<ref name="Sting252"/><br />
<br />
* Nordhausen wurde wegen der Raketen-Produktion im Kohnstein bombardiert.<br />
** Den Alliierten war bekannt, dass sich im Kohnstein ein Rüstungsbetrieb befand, nicht jedoch, dass dort die V-Waffen gefertigt wurden.<ref>Jürgen Möller: ''Konzentrationslager Mittelbau-Dora''. Bad Langelsalza 2018, S. 33.</ref> Der Kohnstein war wegen der Kriegsgefangenenlager kein Angriffsziel.<ref name="Rudloff138"/><br />
<br />
* Die Nordhäuser Bevölkerung sollte wegen dem Konzentrationslager Dora-Mittelbau bestraft werden.<br />
** Dies wird durch kein Dokument der Alliierten bestätigt.<br />
<br />
* Nordhausen wurde aus militärischen Gründen bombardiert.<br />
** Die Stadt war verkehrstechnischer Knotenpunkt und Mittelpunkt der Nordthüringer Rüstungsindustrie und wurde auch von der deutschen Armeeführung als wichtig wahrgenommen.<ref name="Rudloff140">Jost-Dieter Rudloff: ''Warum wurde Nordhausen eine Woche vor Kriegsende 1945 in Brand gesetzt? Informationen und Überlegungen''. In: ''Beiträge zur Geschichte aus Stadt und Kreis Nordhausen (Band 44/2019)'', S. 140.</ref> Für das US-Militär bildete die Stadt kein strategisches Ziel mehr.<ref name="Rudloff140"/> Die Stadt Nordhausen erhielt militärische Bedeutsamkeit für die Bodentruppen der 1. US-Armee, auch wegen des Verschiebebahnhofs für Truppenbewegungen. Die Schonung der Rüstungsbetriebe mit ihrem Personal ergab sich aus der Hoffnung, möglichst viele Waffen und Fachkräfte zu erbeuten.<ref name="Rudloff140"/> Es gibt keinen Hinweis darauf, dass Nordhausen aus militärischen Gründen bombardiert wurde.<ref name="Rudloff140"/> (Doch: im SHAEF-Befehl ausdrücklich erwähnt)<br />
<br />
== Aufarbeitung und Gedenken ==<br />
=== 1945 bis 1990 ===<br />
==== DDR ====<br />
Bis zur Wiedervereinigung hielt sich die Behauptung, die United States Air Force habe Nordhausen am 3. und 4. April 1945 bombardiert. Zum einen wurde der US-Luftwaffe vorgehalten, dass die Angriffe auf Nordhausen ein Akt blinder Zerstörung und militärisch sinnlos gewesen seien, da das Ende des Dritten Reiches absehbar war. Andererseits wurde mit der „Gotha-Legende“ behauptet, dass Nordhausen bis zum Letzten verteidigt werden sollte und es deshalb zum Luftangriff kam. Damit wurde die Verantwortlichkeit für das Bombardement wahlweise den lokalen NS-Amtsträgern oder den USA zugeschrieben. <br />
<br />
Ein Interesse an einer realistischen Rekonstruktion hatte die SED auch aufgrund der Situation des Kalten Krieges nicht.<br />
Zum 40. Jahrestag der Luftangriffe wurde in der Lokalpresse erstmals von „250 britischen Lancaster-Maschinen“ berichtet.<ref>„Die Zerstörung Nordhausens - Mahnung und Verpflichtung“, ''Das Volk'', 2. April 1985.</ref> Eine Korrektur der Geschichte fand jedoch nicht statt, und auch danach war mitunter vom „Zerstörungsangriff amerikanischer Bomber“ die Rede.<ref>''Unser Aktuelles Argument'', April 1985.</ref> Für die in der DDR-Propaganda kolportierte öffentliche Erinnerung erklärt sich aus dem politischen Bedürfnis, die „imperialistischen“ Angreifer als möglichst grausam und skrupellos erscheinen zu lassen, im Sinne antiamerikanischer Propaganda.<ref name="Winter63">Winter: ''Öffentliche Erinnerungen an den Luftkrieg in Nordhausen 1945 - 2005''. Marburg: Tectum-Verl., 2010. S. 63.</ref> <br />
Mit Verweis auf die Luftangriffe auf Nordhausen wurde auf tatsächliche oder vermeintliche aktuelle militärische Bedrohungen oder Konflikte Bezug genommen, z. B. auf den Vietnamkrieg. <br />
<br />
Insgesamt war die Nordhäuser Luftkriegserinnerung gekennzeichnet von einer eigentümlichen „Verwischung der Grenze zwischen Faktizität und Fiktionalität“, die nach dem Historiker Martin Sabrow typisch für das Geschichtsdenken in der DDR war.<ref>Martin Sabrow: ''Einleitung - Geschichtsdiskurs und Doktringesellschaft'', Potsdam: Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam (ZZF), 2000. S. 24.</ref><br />
<br />
Der Versuch einer wirklichen Aufarbeitung in der DDR wurde erstmals 1985 angestoßen, als [[Manfred Schröter]] anlässlich des 40. Jahrestages eine Publikation veröffentlichen wollte. Darin wurde dargelegt, dass die RAF und nicht die USAF für den Angriff im April 1945 verantwortlich gewesen war. Nachdem Schröters Buch nach Begutachtung und Korrektur durch den Historiker Olaf Groehler sowie der SED-Kreisleitung und Bezirksleitung in Druck gegangen war, konfiszierte die Kreisleitung am 29. März 1985 die gesamte Auflage und verhinderte eine Veröffentlichung.<ref name="Winter62">Winter: ''Öffentliche Erinnerungen an den Luftkrieg in Nordhausen 1945 - 2005''. Marburg: Tectum-Verl., 2010. S. 62.</ref> Vorausgegangen war ein öffentlicher Vortrag Schröters am 14. März 1985, in dem er seine Ergebnisse (im Beisein von Stasi-Spitzeln) vorstellte.<br />
<br />
Das Gedenken an die Luftangriffe wurde zu DDR-Zeiten auch stark mit dem Wieder- bzw. Neuaufbau der Stadt verwoben. In den ersten Jahren nach dem Krieg wurde vor allem zur Mithilfe agitiert, um durch das „Aufbauwerk“ einer „glücklichen, friedlichen und sonnigen Zukunft“ entgegenzutreten.<ref>„Aufbauerfolge dürfen nicht preisgegeben werden,“ ''Das Volk'', 7. April 1953.</ref> Ab Ende der 1950er Jahre verwies die SED auf die bisher erzielten Erfolge. Zum 40. Jahrestag der Bombardierung 1985 behauptete Oberbürgermeister [[Peter Heiter]], dass die Jahre des Sozialismus die erfolgreichsten in der über tausendjährigen Stadtgeschichte gewesen seien und verwies auf die Rolle der Partei als entscheidender Faktor für das Erreichte.<ref name="Winter81">Winter: ''Öffentliche Erinnerungen an den Luftkrieg in Nordhausen 1945 - 2005''. Marburg: Tectum-Verl., 2010. S. 100.</ref> <br />
Ein wichtiges Großereignis war die Instandsetzung des [[St.-Petri-Kirche|Petri-Turms]] mit einer neuen Turmspitze zum 42. Jahrestag 1987 als „wiedererstandendes Wahrzeichen“.<ref>„Kupferhelm für den Petriturm“, ''Das Volk'', 7. April 1987.</ref><br />
In der Festschrift (1050 Jahre Nordhausen", 1977 herausgegeben vom Magistrat, heißt es: "Für den ausgesprochenen Terrorcharakter der anglo-amerikanischen Luftangriffe spricht auch, dass die Hauptstraßen des Schienen- und Straßenverkehrs funktionstüchtig blieben und die militärischen Anlagen der Stadt, insbesondere das Flugplatzgelände, weiter den Machthabern des Dritten Reiches für ihre verbrecherische Politik zur Verfügung standen."<br />
Die Festschrift hebt hervor: "Das heutige Nordhausen entwickelt sich dank der schöpferischen und angestrengten Arbeit der Arbeiterklasse und aller Bürger unserer Stadt, auf festen sozialistischen Fundamenten. Ständig entsteht Neues, man braucht sich nur umzuschauen." Dagegen bemerkte das "Bad Lauterberger Tageblatt" (Ausgabe vom 3./4. April 1985, Seite 3): "Der Wiederaufbau Nordhausens begann erst sehr spät und sehr schleppend. Noch immer bildet der alte Stadtkern eine weithin kahle Fläche."<br />
<br />
==== BRD ====<br />
<br />
In der Bundesrepublik wurde das Gedenken von dem Verein [[Nordhäuser Heimatfreunde]] getragen. Die erste gedruckte Ausgabe der Vereinszeitung ''[[Nordhäuser Nachrichten]]'' widmete sich der Zerstörung Nordhausens, und auch in den folgenden Jahren bildete es ein wiederkehrendes Themenfeld mit zahlreichen Erlebnisberichten. Die Rolle des Vereinsvorsitzenden und früheren Nordhäuser NSDAP-Oberbürgermeisters [[Heinz Sting]] zum Gedenken wird kritisch gesehen.<ref name="Winter83">Winter: ''Öffentliche Erinnerungen an den Luftkrieg in Nordhausen 1945 - 2005''. Marburg: Tectum-Verl., 2010. S. 83 ff.</ref> So sei Sting zwar bemüht gewesen, klarzustellen, dass nicht die US-Luftwaffe die Stadt bombardierte, doch zeigte er sich auch bestrebt, die Rolle des Nationalsozialismus zu relativieren.<br />
<br />
Diese historischen Fakten hatte der Journalist [[Manfred Neuber]] schon vor 1965 in US- und britischen Archiven ermittelt und publiziert (''Bad Lauterberger Tageblatt'' um 1964 und am 3./4. April 1985 in „Das Drama von Nordhausen“, in der ''Herzberger Zeitung'' und im späteren ''HarzKurier'' in Herzberg, im ''Göttinger Tageblatt'' sowie Erwähnung in den ''Nordhäuser Nachrichten'').<br />
[[Herbert Meyer]], Oberbürgermeister Nordhausens in den letzten Kriegstagen und später Stadtdirektor in Bad Lauterberg, versicherte Manfred Neuber 1963 in einem Gespräch über dessen Recherchen in Großbritannien und in den USA, die Stadt Nordhausen habe keine Aufforderung der Alliierten erhalten, Nordhausen zur offenen Stadt zu erklären. Eine Entscheidung darüber hätte auch nicht in seiner Kompetenz gelegen: „Ob eine solche Aufforderung an den Kreisleiter Hans Nentwig ergangen ist und ob dieser sich geweigert hat, ihr nachzukommen, weiß ich nicht. Ich möchte es aber bezweifeln“, erklärte Meyer (Originalzitat in den Aufzeichnungen über das Treffen). Der NSDAP-Kreisleiter [[Hans Nentwig]] hatte das Bombardement in seiner Ausweich-Befehlsstelle unbeschadet überstanden. Er lebte in der Nachkriegszeit in Katlenburg. Von der marxistischen Geschichtsschreibung in der DDR wurde ihm wegen „seiner verbrecherischen Durchhalte-Politik“ eine Hauptschuld an der Zerstörung Nordhausens zugeschrieben.<br />
<br />
=== Seit 1990 ===<br />
<br />
Der 50. Jahrestag der Luftangriffe 1995 wurde mit einer Gedenkwoche unter der Losung „Nordhausen 1945: Erinnerung – Trauer – Mahnung“ weitaus größer begangen als die Jahre zuvor. 1993 hatte das Stadtarchiv angekündigt, diverse Maßnahmen einzuleiten, um ein würdiges Gedenken zu gewährleisten. Darunter zählte das Sammeln von Zeitzeugenberichten, realisierte Veranstaltungen und Projekte sowie die Planung einer Publikation zum Thema. Am 30. März 1995 wurde eine Metallplastik auf der oberen Plattform des Petri-Turms enthüllt und einen Tag später eine Ausstellung mit Fotos und Dokumenten eröffnet. Zudem erschien unter der Leitung des Stadtarchivars [[Peter Kuhlbrodt]] das Buch ''[[Schicksalsjahr 1945 – Inferno Nordhausen]]''. In den folgenden Tagen wurde ein ökumenischer Gedenkweg abgehalten, es gab Kranzniederlegungen am Gedenkstein auf dem Hauptfriedhof, dem Ehrenfriedhof und an der Boelcke-Kaserne. Begleitet wurde das Gedenken mit einer umfassenden Berichterstattung in der Presse, die auch überregional wirkte. <br />
<br />
Nach dem Jahr 1995 wurden die Jahrestage der Luftkriegserinnerung weitaus kleiner begangen.<ref name="Winter100"/> Ab Ende der 1990er Jahre erfolgte wieder eine allgemeine Repolitisierung der Luftkriegserinnerung.<ref name="Winter100">Winter: ''Öffentliche Erinnerungen an den Luftkrieg in Nordhausen 1945 - 2005''. Marburg: Tectum-Verl., 2010. S. 100.</ref> Es zeigte sich, dass sich die öffentliche Erinnerung mehr auf gegenwärtige Ereignisse als auf die Jahre des Zweiten Weltkrieges zu beziehen schien; so werden stärkere Bezüge zu außenpolitischen Themen<ref>Winter: ''Öffentliche Erinnerungen an den Luftkrieg in Nordhausen 1945 - 2005''. Marburg: Tectum-Verl., 2010. S. 101.</ref> oder Exkurse zum Rechtsextremismus hergestellt.<ref>[https://www.nnz-online.de/news/news_lang.php?ArtNr=108899 Zum Umgang mit der Bombardierung], nnz-online, 3. April 2012.</ref> Im Vergleich zu DDR-Zeiten wurde das Spektrum der Erinnerungsakteure erweitert, und vor allem die Kirche rückte in den Vordergrund. <br />
<br />
Seit den 2000er Jahren wird der Jahrestag der Luftangriffe mit der üblichen Kranzniederlegung an der Gedenkstele am Rathaus begangen. Seit 2017 werden statt Kränzen weiße Rosen niedergelegt.<ref>[https://www.nnz-online.de/news/news_lang.php?ArtNr=209936 Gedenken an der Stele], nnz-online, 3. April 2018.</ref> Im Gegensatz zu DDR-Zeiten werden Schuldzuweisungen an die Westalliierten weniger offen aggressiv und ideologisch untermauert vorgebracht.<ref>Winter: ''Öffentliche Erinnerungen an den Luftkrieg in Nordhausen 1945 - 2005''. Marburg: Tectum-Verl., 2010. S. 110.</ref><br />
<br />
=== Denkmäler ===<br />
[[File:Denkmal Bombenangriffe Nordhausen - Mai 2015.JPG|200px|thumb|Mahnmal am Alten Rathaus]]<br />
[[File:Gedenkstein Nordhausen.jpg|mini|200px|Gedenkstein am Massengrab für 600 Bombenopfer auf dem [[Zentralfriedhof an der Leimbacher Straße|Alten Friedhof]]]]<br />
* Mahnmal für die Opfer der Bombardierungen vor dem [[Altes Rathaus|Alten Rathaus]]: 1950 wurde ein Gedenkstein und eine Flammenschale am Sockel des früheren [[Lutherdenkmal]]s angebracht. Es trug die Inschrift: „4.4. 1945 - Zerstörung Nordhausens durch amerikanische Bomber - 8800 Opfer klagen an“ (''Amerikanische'' Bomber war falsch). 1969 wurde dieses Denkmal durch eine Säule des Künstlers Jürgen von Woyski ersetzt.<br />
* Auf dem [[Ehrenfriedhof]] westlich des ''Stresemann-Rings'' befindet sich ein 1999 umgestaltetes Denkmal in Erinnerung an die hier in Massengräbern beigesetzten über 1.600 KZ-Häftlinge, zum größten Teil Opfer der Luftangriffe auf die Boelcke-Kaserne am 3. und 4. April 1945. Viele Nordhäuser zivile Bombenopfer und Soldaten wurden auf dem nördlichen Teil des Sonderfriedhofs, des jetzigen Ehrenfriedhofs, oberhalb des Denkmals in Massengräbern beerdigt.<ref>Manfred Schröter: ''Die Zerstörung Nordhausens''. Nordhausen: Meyenburg-Museum, 1988. S. 59</ref><br />
* Auf dem ''Hauptfriedhof'' findet sich ein Denkmal, das die zusammenfassende Inschrift trägt: „Zum Gedenken an die Gefallenen und Vermissten beider Weltkriege, die Toten der Bombenangriffe, die Opfer aller Gewaltherrschaft. Die Bürger der Stadt Nordhausen“. Links seitlich von dem Denkmal, vor dem begrenzenden Zaun, wurde eine größere Anzahl von Bombentoten in Gemeinschaftsgräbern beigesetzt.<ref> Manfred Schröter: ''Die Zerstörung Nordhausens''. Nordhausen: Meyenburg-Museum, 1988. S. 59-60 </ref> Dort stehen noch einige große Kreuze, die wohl darauf hinweisen.<br />
<br />
== Zitate ==<br />
<br />
* „Das Ausmaß des Schreckens, der Verwüstung und des Todes, von dem unsere Stadt an jenen Apriltagen erfasst wurde, macht sie praktisch zu einem Synonym für die japanischen Städte Hiroshima und Nagasaki. Denn vergleicht man auf Airfotos ihre zerstörten Zentren, so lässt sich schwerlich ein gradueller Wirkungsunterschied erkennen.“ – ''[[Walter Geiger]]: [[Nordhausen im Bombenvisier]], S. 154.''<br />
* „Nordhausen wurde am 3. und 4. April 1945 zerstört, weil der ehrgeizige britische Luftmarschall Sir Arthur Harris dem britischen Volk und den Alliierten zeigen wollte, dass sein "Bomber Command" das Handwerk des Tötens von deutschen Menschen perfektioniert hatte. Er löste einen furchtbaren Flächenbrand aus mit den stärksten Mitteln, die ihm zur Verfügung standen. Besonders verwerflich ist, dass er die Bombenziele auf die Nordhäuser Altstadt konzentrierte. Infam ist auch, dass er noch in den letzten Kriegstagen die Altstadt von Nordhausen mit einer nie vorher verwendeten Bomben-Mischung auslöschte. Er handelte trotzig wie ein Kind, dem man das Spielzeug wegnehmen will. Harris wollte sich in letzter Stunde in Nordhausen ein Denkmal aus Leichen und Ruinen setzen.“ – ''[[Jost-Dieter Rudloff]]: Warum wurde Nordhausen eine Woche vor Kriegsende 1945 in Brand gesetzt? Informationen und Überlegungen. In: [[Beiträge zur Geschichte aus Stadt und Kreis Nordhausen (Band 44/2019)]], S. 141.''<br />
<br />
== Literatur ==<br />
*Jost-Dieter Rudloff: ''Warum wurde Nordhausen eine Woche vor Kriegsende 1945 in Brand gesetzt? Informationen und Überlegungen''. In: ''[[Beiträge zur Geschichte aus Stadt und Kreis Nordhausen (Band 44/2019)]]''.<br />
*Harald Rockstuhl (Hrsg.): ''[[Nordhausen – Luftbild-Atlas 1935–1945]]''. Bad Langensalza: Verlag Rockstuhl, 2017. ISBN 978-3959662833<br />
*[[Walter Geiger]]: ''[[Nordhausen im Bombervisier]]''. Nordhausen: Neukirchner, 2000. ISBN 3-929767-43-0<br />
*Olaf Groehler: ''Bombenkrieg gegen Deutschland''. Berlin: Akad.-Verl., 1990. ISBN 3-05-000612-9<br />
*[[Peter Kuhlbrodt]]: ''[[Inferno Nordhausen – Schicksalsjahr 1945]]''. Nordhausen: Archiv der Stadt Nordhausen, 1995. ISBN 3-929767-09-0<br />
*[[Martin Clemens Winter]]: ''[[Öffentliche Erinnerungen an den Luftkrieg in Nordhausen 1945 - 2005]]''. Marburg: Tectum-Verl., 2010. ISBN 9783828822214 <br />
*''Schicksale deutscher Baudenkmale im Zweiten Weltkrieg''. (Bd. 2) Berlin: Henschelverlag Kunst u. Gesellschaft, 1978.<br />
<br />
== Externe Verweise ==<br />
* [https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/1/1f/Nordhausen_concentration_camp_newsreel.webm Filmaufnahmen von der Boelcke-Kaserne (1945)]<br />
<br />
== Einzelnachweise ==<br />
<br />
<references/><br />
<br />
[[Kategorie:Geschichte]]</div>Latimer Rexhttps://nordhausen-wiki.de/index.php?title=Luftangriffe_auf_Nordhausen&diff=15663Luftangriffe auf Nordhausen2020-02-09T11:38:35Z<p>Latimer Rex: /* DDR */</p>
<hr />
<div>[[Datei:Marktkirche Rathaus Nordhausen 1945.jpg|thumb|300px|[[Marktkirche]], [[Altes Rathaus|Rathaus]] und [[Stadthaus]] nach den Luftangriffen]]<br />
Die '''Luftangriffe auf Nordhausen''' am 3. und 4. April 1945 durch Bomber der britischen Royal Air Force zerstörten Dreiviertel der Stadt. Dabei kamen über 8.800 Menschen ums Leben, weitere 20.000 wurden obdachlos. Mit einem Wohnungszerstörungsgrad von 55% (10.000 Wohnungen) gehörte Nordhausen zu den am schwersten zerstörten deutschen Städten; zahlreiche Denkmale von hervorragender Bedeutung, darunter die für Nordhausen charakteristischen Fachwerkbauten des 13. bis 19. Jahrhunderts, wurden vernichtet. Der historische Stadtkern, die Neustadt und die Gebäude um die [[Frauenbergkirche]] wurden fast gänzlich eingeebnet. Erhalten blieben die Gebiete westlich und nördlich der [[Stadtmauer]], [[Barfüßerstraße]], [[Kalte Gasse]], Teile des historischen [[Königshof]]s sowie der Stadtteil [[Altendorf]]. Ein Großteil der stark beschädigten Bauwerke wurde nach dem Zweiten Weltkrieg abgerissen. <br />
Die zerstörerische Gesamtwirkung aller Bomben und Luftminen war von keinem Einzelangriff im Luftkrieg gegen Deutschland auch nur annähernd erreicht worden.<ref>Geiger: ''Nordhausen im Bombenvisier''. S. 150.</ref> Bei der Bombardierung von Nordhausen handelte es sich um die größte Katastrophe in ihrer tausendjährigen Stadtgeschichte. <br />
<br />
== Nordhausen im Krieg ==<br />
Nordhausen hatte vor dem Zweiten Weltkrieg ca. 42.000 Einwohner. Während des Krieges stieg deren Zahl durch Ortsfremde (Luftkriegsevakuierte, Flüchtlinge, ausländische Arbeitskräfte, Verwundete und Kriegsgefangene) Anfang März 1945 auf 65.000 Einwohner.<ref>Peter Kuhlbrodt (Hrsg.): ''Schicksalsjahr 1945. Inferno Nordhausen''. Nordhausen: Archiv der Stadt Nordhausen, 1995. S. 20, 33 </ref> Insbesondere für Evakuierte aus Berlin, Hamburg und Westdeutschland waren Stadt und Kreis Nordhausen als Aufnahmeräume ausgewiesen.<br />
<br />
Der Bau von Luftschutzanlagen begann im Spätsommer 1943. Viele Bunkeranlagen in der Innenstadt blieben unvollendet. Am 29. November 1943 wurde für Nordhausen ein Evakuierungsplan, der Aussiedlungsrichtungen und Aufnahmegebiete festlegte, ausgearbeitet.<ref>Geiger: ''Nordhausen im Bombenvisier''. Nordhausen: Verlag Neukirchner, 2000. S. 65</ref><br />
<br />
{| class="wikitable sortable"<br />
|+ style="padding-bottom:1em" | Bis zum 22. Februar 1945 realisierte Stollenabschnitte<ref>Ullrich Mallis: ''Der Luftschutzstollen am Johanneshof / Neuer Weg. Ein Nordhäuser Baudenkmal'', in: ''[[Nordhäuser Nachrichten. Südharzer Heimatblätter (2/2011)]]'', S. 10.</ref><br />
|- class="hintergrundfarbe6"<br />
! class="unsortable" | Stollenabschnitte !! class="sortable" | Länge !! class="unsortable" | Herstellung !! class="unsortable" | Ausbauart !! class="unsortable" | Bemerkung<br />
|-<br />
| Stollen IA, Mühlhof || style="text-align:right" | 55,00 m<br />
| Okt. 1943 – Febr. 1944 || Beton, 27,5 m nur Holzausbau || Richtung Loge<br />
|-<br />
| Fluko-Bunkerzugang || style="text-align:right" | 2,40 m<br />
| Febr. – März 1944 || Eisenbetongewölbe || IA, > 40 m links<br />
|-<br />
| Kreuz IA-Stummel || style="text-align:right" | 0,50 m<br />
| März 1944 || Eisenbetongewölbe, wie das gesamte Kreuz IA || Drehscheibe<br />
|-<br />
| Stollen IB, Johannishof || style="text-align:right" | 38,50 m<br />
| Nov. 1943 – April 1944 || Beton, 22,5 m mit Firstschienen || noch begehbar<br />
|-<br />
| Stollen von IA nach IB || style="text-align:right" | 66,10 m<br />
| März 1944 – Nov. 1944 || Beton || Durchschlag im Nov. 1944<br />
|-<br />
| Stollen von IB nach IA || style="text-align:right" | 38,25 m<br />
| April 1944 – Nov. 1944 || Beton || Durchschlag im Nov. 1944<br />
|-<br />
| Oststollen, von IA-IB ab || style="text-align:right" | 21,75 m<br />
| Dez. 1944 – Febr. 1945 || Seitenbeton, Art des Firstausbaues nicht benannt || <br />
|-<br />
| Südstollen IC, ab IB || style="text-align:right" | 49,75 m<br />
| April 1944 – Febr. 1945 || || zum Lohmarkt<br />
|-<br />
| class="hintergrundfarbe5" | Gesamt: || style="text-align:right" class="hintergrundfarbe5" | 272,25 m<br />
| class="hintergrundfarbe5" | Okt. 1943 – Febr. 1945 || class="hintergrundfarbe5" | || class="hintergrundfarbe5" |<br />
|}<br />
<br />
<br />
<br />
Als Garnisonstadt hatte Nordhausen keine ältere Tradition. Ab 1935 wurde im Süden die [[Boelcke-Kaserne]] errichtet, mit Unterkünften und Fahrzeughallen; sie diente der Ausbildung von Luftnachrichtensoldaten. Daneben entstanden ein Fliegerhorst als Ausbildungsplatz und zeitweise Flugzeugwerft. Bis März 1945 wurden hier Flugzeuge für den Mistelschlepp ("Huckepack"-Flugzeuge) montiert und Piloten dafür geschult. Sonst diente der Fliegerhorst 1945 noch zum Auftanken von Jagdflugzeugen. In provisorischen Unterkünften in der Stadt gab es die evakuierte "Marineverwaltung West". In der Stadt und ihrer nahen Umgebung existierten viele Lazarette mit insgesamt etwa 1.000 Verwundeten. Die Lazarette und Krankenhäuser trugen weithin sichtbare große Rotkreuz-Symbole auf den Dächern. <br />
<br />
Das [[Mittelwerk GmbH|Mittelwerk Dora]] bei Nordhausen produzierte Anfang April 1945 keine V-Waffen oder andere Rüstungsgüter mehr. Die dort Beschäftigten, unter ihnen Tausende von Häftlingen des KZ Mittelbau-Dora und Zwangsarbeiter, wurden evakuiert. Das Werk oder seine Verkehrsanbindungen waren nie Ziel alliierter Luftangriffe. <br />
<br />
Die frühere [[KZ-Außenlager Boelcke-Kaserne|Boelcke-Kaserne]] wurde seit Herbst 1943 nicht mehr militärisch genutzt. Sie hatte seitdem Tausende von Arbeitern, später auch Flüchtlinge aufgenommen. Seit 8. Januar 1945 existierte ein bald überfülltes Häftlingslazarett in der Anlage.<ref> Manfred Schröter: ''Die Zerstörung Nordhausens''. Nordhausen: Meyenburg-Museum, 1988. S. 6-8 </ref> Im Februar kamen zeitweise 3.500 Häftlinge aus dem KZ Groß-Rosen dazu.<ref> Walter Geiger: ''Nordhausen im Bombervisier''. Nordhausen: Verlag Neukirchner, 2000. S. 258 </ref><br />
<br />
== Erste Angriffe ==<br />
In der Nacht vom 25. August auf den 26. August 1940 griffen zwei britische Bomber vom Typ Handley Page Hampden den [[Flugplatz von Nordhausen]] an und warfen vier Bomben ab.<ref>Geiger: ''Nordhausen im Bombenvisier''. S. 61 f.</ref> Es entstand ein kleiner Brand, der bald gelöscht werden konnte. <br />
<br />
Von 1940 bis 1943 gab es insgesamt 72 öffentliche Luftwarnungen und Fliegerarlarme für Nordhausen. Als sich die alliierten Luftangriffe im Jahr 1944 auf die im Hinterland gelegenen deutschen Städte intensivierten, wurde Nordhausen verstärkt Überflugsort alliierter Bomberverbände, etwa wenn sie Berlin, Dessau oder Leipzig anflogen. Im März 1945 erreichten die durchschnittlich fünf bis sechs Luftalarme ihren Höhepunkt.<ref>Geiger: ''Nordhausen im Bombenvisier''. S. 98 f.</ref> <br />
<br />
Am 12. April 1944 flogen während der Mittagszeit zwei aus südlicher Richtung kommende amerikanische Jäger die Stadt an und töteten zwei Menschen, zwei Personen wurden schwer verletzt.<ref>Geiger: ''Nordhausen im Bombenvisier''. S. S 221 f.</ref> <br />
<br />
[[Datei:Luftangriffe Nordhausen Traueranzeige.jpeg|thumb|Traueranzeige vom 26. Februar 1945]]<br />
<br />
Am 22. Februar 1945 griffen gegen 12:30 Uhr US-amerikanische Bomber den Verschiebebahnhof an, trafen jedoch die Unterstadt, einige Anlagen des Industriegebietes und die vormalige Fernmeldeschule der Luftwaffe in der [[Boelcke-Kaserne]]. Insgesamt fielen 296 Mehrzweckbomben und töteten 40 Menschen. Im ''[[Südharzer Kurier]]'' erschien am 26. Februar eine Todesanzeige für die „Gefallenen des Terrorangriffs“ mit der Ankündigung zur Beisetzung. <br />
<br />
Am 28. Februar 1945 warfen drei amerikanische Maschinen 2,5 Tonnen Sprengbomben auf die Stadt ab. <br />
<br />
Am 1. April 1945 wurden das Auto-Hotel Hesse durch Bomben getroffen und zahlreiche Menschen getötet.<br />
<br />
== Großangriffe im April 1945 ==<br />
[[File:Avro Lancaster Mk 1 ExCC.jpg|thumb|Langstreckenbomber vom Typ ''Avro Lancaster'', wie sie bei der Bombardierung von Nordhausen zum Einsatz kamen.]]<br />
[[File:Mosquito 600pix.jpg|thumb|Zielmarkierer ''De Havilland Mosquito'' (1944)]]<br />
Am 3. April 1945 starteten gegen 13 Uhr die englischen Bomberverbände und erreichten Nordhausen um 16 Uhr. Die 247 Avro-Lancaster-Bomber (Tragfähigkeit je 6 Tonnen Bombenlast) und 9 Mosquito-Mehrzweckflugzeuge warfen in 20 Minuten ca. 1.216 Tonnen Sprengbomben ab und trafen vor allem die Außenbezirke von Nordhausen.<ref>Groehler: ''Bombenkrieg gegen Deutschland'', S. 422.</ref> Im Stadtinnern fielen Bomben um die [[Neustadt-Kirche]] und [[Neustadtstraße]]. In den umliegenden Wäldern und Ortschaften [[Sundhausen]], [[Bielen]], [[Himmelgarten]], [[Leimbach]] und [[Krimderode]] fielen schwere Bomben und Luftminen. Getroffen wurde auch die mit kranken Häftlingen überbelegte [[Boelcke-Kaserne]], wo allein in einer mit Tuberkulose-Kranken belegten Flugzeughalle 450 Menschen den Tod gefunden haben sollen.<ref>Wagner: ''Produktion des Todes.'' S. 280</ref> Die Stadt ohne Strom und Leitungswasser. Die Verletzten wurden gesammelt und nach [[Neustadt/Harz|Neustadt]] und [[Sülzhayn]] gebracht, die Ausgebombten erhielten Notquartiere in der Stadt selbst und ihrer Umgebung. Viele Nordhäuser flüchteten aus der Stadt. Zwei Stollen der unterirdischen Anlagen von Mittelbau Dora im Kohnstein nahmen bereits am 3. April Geflüchtete auf, später wurden es 10.000. Das Stadtkrankenhaus war beschädigt, die Patienten wurden in Notkrankenhäuser in das benachbarte [[Petersdorf]] gebracht, vor allem in das Ausflugsrestaurant Harzrigi.<ref> Manfred Schröter: ''Die Zerstörung Nordhausens''. Nordhausen: Meyenburg-Museum, 1988. S. 22, 23 </ref> Bomben fielen auch auf mehrere benachbarte Dörfer und deren Flur, besonders betroffen war Bielen. Zwei Bomber gingen beim Hin- und Rückflug verloren. Der erste Angriff erzielte die gewünschte Wirkung jedoch nicht. Der Angriff am 3. April war aus Sicht der RAF ein Misserfolg.<!-- (Quelle?) --> Viele Einwohner zogen am Abend des 3. April zum nahen [[Kohnstein]], wo die mittlerweile fast verlassenen Stollen des Mittelwerks Schutz boten.<br />
<br />
{{Zitat|Die Stadt ist schwer getroffen, aber sie ist noch eine organisierte Gemeinschaft… Gegenseitige und Nachbarschaftshilfe wird geleistet. Die Stadtverwaltung und die Luftschutzleitung setzen ihre Kräfte ein. Rotes Kreuz und die Krankentransporte kommen an die Schwerpunkte. Man leitet die Evakuierung des beschädigten Krankenhauses ein. Die Verletzten des Angriffs werden geborgen, abtransportiert, in den Gaststätten Parkhaus und Kurhaus gesammelt und schließlich nach Neustadt und Sülzhayn weiterbefördert. Die Feuerwehr bekämpft die wenigen (?) Brandherde.|[[Manfred Schröter]]: ''[[Die Zerstörung Nordhausens und das Kriegsende im Kreis Grafschaft Hohenstein 1945]]''}}<br />
<br />
Am 4. April gegen 9 Uhr begann der zweite Großangriff der RAF. Der Verband kam über Gotha, Bad Langensalza und Schlotheim. Für 93 Bomber wurde die Boelcke-Kaserne als Angriffsziel befohlen, die anderen 150 hatten das Stadtzentrum anzugreifen.<ref>Geiger: ''Nordhausen im Bombenvisier''. S. 146 f.</ref> Zwei Bomber mussten frühzeitig zurückkehren, und zehn weitere hatten ihren militärischen Auftrag verfehlt, so dass von den 243 Flugzeugen 231 am Luftschlag teilnahmen. Ein Bomber explodierte über der Stadt. Die örtliche Feuerwehr war, soweit noch vorhanden, von der Lage völlig überfordert. Unter der überlebenden Bevölkerung herrschte Panik, viele verließen fluchtartig zu Zehntausenden das Inferno der Stadt in Richtung Kohnstein. Auch außerhalb von Nordhausen wurde sie von Jagdbombern beschossen.<ref> Manfred Schröter: ''Die Zerstörung Nordhausens''. Nordhausen: Meyenburg-Museum, 1988. S. 26 </ref> Am Abend und in der Nacht war die Stadt ein weithin leuchtendes Flammenmeer.<ref> Peter Kuhlbrodt: ''Schicksalsjahr 1945. Inferno Nordhausen''. Nordhausen 1995. S. 23 </ref> In der Mitte davon leuchtete der Kirchturm von St. Petri als riesige Fackel, die gegen Mitternacht zusammenbrach und auf das Kirchenschiff stürzte. RAF-Piloten, die von einem Einsatz bei Merseburg zurückflogen, berichteten um 23.00 Uhr von „good fires at Nordhausen“.<ref> Walter Geiger: ''Nordhausen im Bombervisier''. Nordhausen, 2000. S. 180 f.</ref> <br />
Der gebürtige Nordhäuser Schriftsteller [[Rudolf Hagelstange]] schrieb in seiner deutschen Familienchronik (Band 2: „Der Niedergang“, Seite 254) über die Feuersbrunst in seiner Heimatstadt: „Und die Hitze war so groß, dass in den meisten Straßen, sofern sie nicht gepflastert waren, der Asphalt geschmolzen war, dass Flüchtende da und dort in ihn eingesunken waren, einige unlöslich und damit zum Flammentod verurteilt.“<br />
<br />
=== Opfer ===<br />
[[Datei:Einwohnerentwicklung von Nordhausen ab 1800.svg|thumb|Einwohnerzahl von Nordhausen ab 1800. Deutlich sichtbar der Höhepunkt 1945]]<br />
Bei den Großangriffen im April 1945 kamen ca. 8.800 Menschen ums Leben. Diese Zahl geht auf Schätzungen vom Februar 1948 zurück.<ref name="Kuhlbrodt125">Kuhlbrodt: ''Inferno Nordhausen''. S. 125 f.</ref> Vor dem Abgriff befanden sich rund 65.000 Personen in der Stadt (42.000 ständige Bevölkerung, Militärpersonen, Gefangene, ausländische Arbeiter, Spezialarbeiter der Kriegsindustrie, Evakuierte). Der Antifa-Ausschuss von Nordhausen schätzte am 17. Juni 1945, dass über 10.000 Menschen bei den Bombenangriffen ums Leben gekommen seien.<ref> Peter Kuhlbrodt: ''Schicksalsjahr 1945. Inferno Nordhausen''. Nordhausen 1995. S. 115 </ref><br />
<br />
In den ersten Tagennach dem Einmarsch der Amerikaner ließ der US-Stadtkommandant in den Straßen liegende Leichen auf den Sonderfriedhof am Schlageter-Ring bringen. Andere wurden an Ort und Stelle in Bombentrichtern beerdigt. Eine beträchtliche Zahl ziviler Opfer und deutscher Soldaten wurde dann in dem höher gelegenen Teil des heutigen Ehrenfriedhofs in Massengräbern beigesetzt, unweit der getöteten Häftlinge aus der Boelcke-Kaserne. Für die später gefundenen Opfer ohne Anhang wurden Massengräber im vorderen Teil des Alten Hauptfriedhofs in der Leimbacher Straße angelegt. Heute steht an dieser Stelle ein Wohnblock. Auf dem Neuen Hauptfriedhof am Ring sind in den ersten Wochen und Monaten 920 Bombenopfer beerdigt worden.<br />
<br />
{| class="wikitable"<br />
|-<br />
| Verluste der ständigen Bevölkerung || 6.000<br />
|-<br />
| Verluste der nicht ständigen Bevölkerung || 1.500<br />
|-<br />
| Verluste der Häftlinge der Boelcke-Kaserne || 1.300<br />
|-<br />
| zusammen || 8.800<br />
|-<br />
|} <br />
<br />
==== Persönlichkeiten ====<br />
* [[Paul Urban]] (geb. 1892), KPD-Stadtrat<br />
<br />
=== Schäden und Totalverluste ===<br />
<br />
Der Zerstörungsgrad der Stadt wurde mit 74 Prozent errechnet. Die Gesamtfläche des zerstörten Gebietes betrug 810.000 Quadratmeter. Von den 13.075 Wohnungen wurden 6.187 total zerstört und 4.575 beschädigt.<br />
<br />
==== Kirchen ====<br />
<br />
[[Datei:Petri-Kirche Außenansicht.JPG|thumb|[[St.-Petri-Kirche]]]]<br />
*[[St.-Jakobi-Kirche]]: Am 3. April erheblich durch Bomben zerstört. Reste des Schiffes abgetragen, Turmruine zu DDR-Zeiten beseitigt.<br />
*[[Marktkirche]]: Am 3. April weitgehend zerstört. Ruinenreste abgetragen.<br />
*[[St.-Petri-Kirche]]: Am 3. April bis auf Turm und Chor zerstört, zahlreiche Menschen finden in der Kirche den Tod. Der Turm erhielt 1954 ein Notdach, die übrigen Ruinenteile wurden beseitigt. 1987 wurde ein neuer Turmhelm gesetzt.<br />
* [[St.-Blasii-Kiche]]: Dach und Mauerwerk am 4. April durch Bombentreffer erheblich beschädigt [[Cranachgemälde]] im Auslagerungskeller verbrannt. Bis 1949 Wiederherstellung des Daches, Ausbesserung Mauerwerk, Erneuerung des Inneren.<br />
*[[Nordhäuser Dom]]: Am 4. April schwere Schäden durch Brandzerstörung des Steildaches über der Halle und Vernichtung der Fenster. Noch 1945 Fertigstellung Notdach und Beseitigung der Folgeschäden. 1965 Wiederherstellung des Steildaches in ursprünglicher Form.<br />
*[[Frauenbergkirche]]: Am 4. April durch Bomben schwer zerstört. Erhalten blieben Umfassungsmauern der Chor mit Apside, die Nebenchöre und das Querschiff, vom Langhaus nur Reste des ersten Joches sowie des Westportals. Von 1953 bis 1955 folgten Enttrümmerung und Sicherungsarbeiten.<br />
*[[Frauenbergkloster]]: Am 4. April durch Bombentreffer total zerstört. Gebäudereste wurden nach 1945 entfernt.<br />
<br />
==== Öffentliche Bauten ====<br />
*[[Rathaus]]: Am 4. April bis auf die Umfassungsmauern zerstört, Turm ausgebrannt. Ab 1951 Trümmer entfernt und Wiederaufbau bis 1952, dabei wurden die Erdgeschoßarkaden und das Innere neu gestaltet. Zum ebenfalls schwer zerstörten [[Stadthaus]] wurde der Verbindungsgang wiederaufgebaut, der [[Roland]] restauriert.<br />
*[[Stadtmauer]]: Es entstanden Schäden an der Stadtmauer, wobei besonders die teilweise genutzten Türme und Wiechhäuser betroffen wurden. Nach dem Krieg wurden Ruinen abgetragen und Sicherungsarbeiten durchgeführt. Zur Landesgartenschau 2004 erfolgten umfangreiche Sanierungsarbeiten, besonders um den [[Petersberg]]. <br />
*[[Theatergebäude]]:<br />
<br />
==== Fachwerkbauten ====<br />
[[Datei:Nordhäuser Roland 1945.jpg|thumb|Das ausgebrannte Rathaus mit dem [[Nordhäuser Roland|Roland]], der die Angriffe wie durch ein Wunder überstand]]<br />
[[Datei:Riesenhaus, Riese, Postkarte.jpg|thumb|Postkarte vom [[Riesenhaus]] am Holzmarkt (Lutherplatz) mit dem [[Nordhäuser Riese]]n.]]<br />
Bedeutende Fachwerkhäuser, die zerstört wurden (lt. dem Denkmalpfleger Rudolf<br />
Zießler):<br />
<br />
*[[Bäckerstraße]] 22: Mitte des 18. Jahrhunderts errichteter dreigeschossiger, neunachsiger, verputzter Fachwerkbau mit massivem Erdgeschoß, Satteldach und Zwerhaus. Stichbogenfenster mit einfacher profilierter Rahmung in Dreiergruppen. Betonung der Mittelachse durch ein von Pilastern flankiertes Portal mit gesprengtem Giebel, darauf ruhende Frauen und Wappen sowie durch einen auf Konsolen sitzenden Balkon mit schmiedeeisernem Gitter.<br />
*[[Blasiistraße]] 15: Alte Schule. Errichtet um 1700 als dreigeschossiger stattlicher Fachwerkbau mit hohem Satteldach. Unregelmäßige Fenstergruppierung (im ersten Obergeschoß dreizehn Achsen). Fachwerk mit halben Männern. Obergeschoß vorkragend mit Balkenköpfen und gekehlten Füllhölzern.<br />
*Blasiistraße 21: Bedeutendstes Renaissance-Fachwerkhaus Nordhausens von etwa 1550. Dreigeschossig mit zehn Fensterachsen in unregelmäßiger Gruppierung, Geschosse stark vorkragend. Reich ausgebildetes Schmuckfachwerk mit Balkonköpfen, Knaggen, Füllhölzern und Schiffskehlen. Haupteingang mit kräftigen Gewämdepfosten und halben Sonnen um 1700.<br />
*[[Hagenstraße]] 4: Um 1800 errichtet als zweigeschossiger, verschieferter Fachwerkbau mit zehn Fensterachsen. Eckpilaster, ebensolche toskanische Holzpilaster flankieren die vier Mittelachsen und nehmen einen verschieferten Dreieckgiebel auf. Stichbogenfenster mit einfacher Rahmung und Schlußsteinbetonung.<br />
*Hagenstraße: Ilfelder Hof, ehem. Klosterhof, seit dem ersten Viertel des 18. Jahrhunderts Kurhannoversche Postverwaltung, seit 1853 in Privatbesitz. 1277 angelegt, später erweitert, im 17. Jahrhundert Neubau auf erweitertem Grundriss mit massivem Erdgeschoß und zwei Fachwerkobergeschossen, verschiefert.<br />
*[[Holzmarkt]] (Lutherplatz): „Riesenhaus“. 1375 erstmals erwähntes Patrizierhaus mit massivem Erdgeschoss, zwei Fachwerkobergeschossen und Satteldach. Nach Brand von 1710 im Fachwerk erneuert. Fassade gegliedert durch zwölf Fensterachsen, jeweils in Dreiergruppen angeordnet. Fachwerkkonstruktion mit Wilden Männern. Mittelgiebel mit einem Mann in Ritterrüstung ([[Nordhäuser Riese]]), der eine Lanze hält. 1805 Einrichtung einer Gaststätte, Verputz des Fachwerks und klassizistische Fassadengestaltung. 1927 Endrestaurierung und Wiederherstellung des Fachwerks.<br />
*Jakobikirchplatz 4: Lateinschule. Zweigeschossiger Fachwerkbau von 1493 mit Satteldach. Ständer- und Riegelbau. Vorkragendes Obergeschoß über geschwungene Knaggen. Durchlaufender Fensterbrustriegel.<br />
*Jakobikirchplatz: Pfarrhaus. 1687 errichteter zweigeschossiger Fachwerkbau mit Krüppelwalmdach. Fenstergruppierung unregelmäßig. Stiele und Brustriegel durch Wilde Männer verstärkt. Geringe Auskragung, Balkonköpfe und Schwelle mit einfacheren Profilen. Gefache mit Ziegeln in Mustern ausgemauert. Oberdeutsch beeinflusstes Fachwerk.<br />
*[[Königshof]] 14: Dreigeschossiger Fachwerkbau mit oberdeutschen Stilelementen, ganze und halbe Männer. Um 1780 Verkleidung der Fenster mit Rokokogirlanden.<br />
*[[Krämerstraße]] 11: Verschieferter, zweigeschossiger, fünfachsiger Fachwerkbau mit spätbarockem Volutengiebel. Stichbogenfenster mit Rahmenverkleidung. Erdgeschoss durch Ladeneinbauten verändert.<br />
*Krämerstraße 15: Um 1700 errichteter schmaler dreigeschossiger Fachwerkbau in oberdeutschem Stil mit halben Männern an den Ecken. Balkonköpfe und Füllhölzer mit einheitlichem Profil. Satteldach mit Zwerchhaus.<br />
*[[Lohmarkt]] 2, 4, 20, 21: Nach 1686 errichtete Gerberhäuser. Zwei- bzw. dreigeschossige Fachwerkgebäude im gleichen oberdeutschen Baustil wie Pfarrhaus Jakobikirchplatz. Besonders reich ausgebildet der Türstock mit Renaissanceformen und Inschrift. Satteldächer mit Zwerchhäsern (Ladeluken).<br />
*[[Neustadtstraße]] 27: Zweigeschossiger, elfachsiger Fachwerkbau aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts mit Satteldach. An den Fenstern Rokokoverkleidung.<br />
*Neustadtstraße 35: Zweigeschossiger, achtachsiger Fachwerkbau aus der Mitte des 18. Jahrhunderts auf Sandsteinsockel. Türen und Fenster in Stichbogen mit geschnitzter Rokokoverkleidung.<br />
*Neustadtstraße 47: Dreigeschossiger Fachwerkbau der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts mit Krüppelwalmdach. Rokokofensterbekleidungen handwerklich vereinfacht.<br />
*[[Pferdemarkt]] 17: Dreigeschossiger Fachwerkbau von etwa 1550, niederdeutsch beeinflusst. Auskragung des Obergeschosses mit Balkonköpfen, Knaggen und Füllhölzern. Erdgeschoß baulich verändert.<br />
*[[Sandstraße]] 3, 21, 23, 28: Diese Häuser hinsichtlich der Entstehungszeit und der architektonischen Ausbildung denen der Neustadtstraße entsprechend.<br />
<br />
==== Situation nach dem Großangriff ====<br />
[[Datei:Boelcke-Kaserne-Tote HäftlingeA.jpg|thumb|Einwohner Nordhausens tragen am 12. April 1945 unter Bewachung von Angehörigen der US-Armee tote Häftlinge aus der Boelcke-Kaserne und legen sie davor ab]]<br />
[[File:Nordhausen um 1930.jpeg|thumb|Der Stadtteil [[Altendorf]] blieb weitgehend unzerstört (Luftaufnahme um 1930)]]<br />
Das britische Bomber Command berichtete als Ergebnis der beiden Großangriffe, dass „die Stadt fast vollständig zerstört wurde, inbegriffen die Kasernenblöcke.“<ref> Walter Geiger: ''Nordhausen im Bombervisier''. Nordhausen: Neukirchner, 2000. S. 154 </ref> <br />
Die Situation für die Bevölkerung nach den Angriffen kann nur mit dem Begriff „Inferno“ beschrieben werden. Das Stadtzentrum konnte tagelang nicht betreten werden. Es wüteten noch zahlreiche Brände<ref> Peter Kulhlbrodt: ''Schicksalsjahr 1945. Inferno Nordhausen''. Nordhausen 1995. S. 24</ref>, die Schutthaufen strahlten unerträgliche Hitze aus. Bomben mit Zeitzündern gingen hoch. Über den Trümmerfeldern lag bald Leichengeruch, besonders im Bereich der Boelcke-Kaserne. In den Nächten des 6. und 7. April wurden die Kranken und Verwundeten aus Nordhausen und Umgebung durch alle verfügbaren Fahrzeuge, besonders mit Bauern-Gespannen, in den Kohnstein in Sicherheit gebracht. Die Nordhäuser Bevölkerung (?) verteilte sich nach Schätzungen am 7. April wie folgt: 6.000 (8.800) Opfer tot unter den Trümmern, 6.000 Überlebende noch in der Stadt, 10.000 im Kohnstein und 20.000 in den umliegenden Dörfern, besonders nordöstlich der Stadt.<ref> Manfred Schröter: ''Die Zerstörung Nordhausens''. Nordhausen: Meyenburg-Museum, 1988. S. 30 </ref> Am 8. April flogen 6 Jagdbomber noch einen Tagesangriff nach Zielmarkierung auf Nordhausen, parallel zu dem Bombardement auf [[Sondershausen]]. Am 10. April näherten sich US-Panzer aus Richtung [[Hain (Kleinfurra)|Hain]] dem Süden der Stadt und nahmen ihn unter Feuer, darunter die Trümmer der Boelcke-Kaserne.<ref> Manfred Schröter: ''Die Zerstörung Nordhausens''. Nordhausen: Meyenburg-Museum, 1988. S. 37 </ref><br />
<br />
== Nachwirkungen ==<br />
Insgesamt waren vom britischen Bomber Command 2.386 Tonnen und von der 8. US Air Force 296 Tonnen Bombenlast auf Nordhausen abgeworfen worden.<ref> Olaf Groehler: ''Bombenkrieg gegen Deutschland''. Berlin: Akademie-Verlag, 1990. S. 449 </ref><br />
Eine der am längsten nachwirkenden Folgen der Luftangriffe für die Bürger der Stadt blieben Hunderte von Blindgängern aller Kaliber: zwischen den Trümmern der Stadt und im Erdreich der Straßen, Gärten und Felder. In den ersten Jahren machten sich die Feuerwerker Jochen Nebel und Albin Diebler sehr verdient um die Entschärfung gefundener Bomben, ab 1962 der - deshalb zum Ehrenbürger ernannte - Helmut Zinke. Im Stadtgebiet wurden 1948 bis 1953 etwa 100 Bomben entschärft, dann 248 Blindgänger von 1954 bis 1999 entzündet und geräumt.<ref>Walter Geiger: ''Nordhausen im Bombervisier''. Nordhausen, 2000. S. 263-264 </ref> <br />
<br />
Noch 2014 gilt eine Verordnung in Nordhausen, nach der jeder Bürger, der bauen will, sicherstellen muss, dass unter seinem Grund und Boden kein Gefahrgut liegt.<ref>Katja Dörn: ''Die Gefahr rostet im Thüringer Boden''. Thüringische Landeszeitung, 12. Dezember 2014 </ref><br />
<br />
Auswahl weiterer Funde von Blindgängern:<br />
* 1996: 250-Kilogramm-Blindgänger wird gesprengt<br />
* 2008: 227-Kilogramm-Bombe in der Altstadt<br />
* 2010: Fünf-Zentner-Bombe am [[Taschenberg]] entdeckt, 4.500 Menschen wurden evakuiert, Bombe konnte nicht entschärft werden<br />
* Juni 2016: Kontrollierte Sprengung einer 800-Kilogramm-Bombe, Leimbach und Steigerthal mussten geräumt werden (1.080 Einwohner) <br />
* Dezember 2016: Fünf-Zentner-Bombe am [[Strohmühlenweg]], ca. 1000 Einwohner, so auch die Hochschule Nordhausen, wurden evakuiert<br />
* September 2017: Bombe auf einem Feld in der [[Windlücke]], ca. 3000 Einwohner evakuiert, Bombe entschärft<ref>https://www.nnz-online.de/news/news_lang.php?ArtNr=219719</ref><br />
* Oktober 2018: Bombe in der Windlücke, ca. 3000 Einwohner evakuiert, Bombe entschärft<ref>https://www.nnz-online.de/news/news_lang.php?ArtNr=243515</ref><br />
* November 2018: Bombe in Bielen, 1.1000 Einwohner wurden evakuiert (Sperrzone 1 Kilometer), Bombe entschärft<br />
* August 2019: 225-Kilogramm-Bombe an der [[Zorge]], 2.500 Einwohner wurden evakuiert (Sperrzone 500 Meter), Bombe entschärft und Zünder gesprengt<br />
* November 2019: 225-Kilogramm-Bombe am [[Stadttheater]], ca. 15.000 Einwohner wurden evakuiert (Sperrzone 1 Kilometer), Bombe entschärft und Säurezünder gesprengt. Es war die größte Evakuierungsaktion in Nordhausen nach dem Zweiten Weltkrieg.<ref>MDR, 8. November 2019</ref><br />
<br />
== Rezeption ==<br />
[[Datei:Nordhausen mahnt 1949.jpg|thumb|200px|Werbeplakat zur Ausstellung „[[Nordhausen mahnt - Ausstellung vom 6. bis 27. März 1949|Nordhausen mahnt]]“ im März 1949]]<br />
Luftangriffe waren im Zweiten Weltkrieg für alle Kriegsparteien zum entschiedenen strategischen Kriegskonzept geworden. Die Westalliierten glaubten durch die planmäßige und massive Zerstörung deutscher Städte, vor allem der Wohngebiete der Industriearbeiter, die Moral und den Widerstandswillen der Bevölkerung zu brechen und den Krieg schneller beenden zu können.<ref>Johannes Volker Wagner: ''Bomben auf Bochum''. S. 3.</ref> Im Januar 1943 einigten sich Großbritannien und die Vereinigten Staaten in Casablanca auf die Forderung nach bedingungsloser Kapitulation des Deutschen Reiches und auf eine weitere Verschärfung des Bombenkrieges. Zu dieser Zeit war die deutsche Luftabwehr längst nicht mehr in der Lage, das Reichsgebiet zu verteidigen. Die Alliierten erreichten ihr Ziel der Demoralisierung jedoch nicht, und viele Deutsche klammerten sich in Verzweiflung an die Hoffnung auf einen „Endsieg“.<br />
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<!-- Auszug aus „Winston Churchill“. Der späte Held, eine Biographie von Thomas Kielinger, erschienen im Verlag C.H. Beck, Kapitel XY, Seite 301 ff.: Nach dem Kriege stand eine andere Verantwortung Churchills im Vordergrund – „für die Vernichtung von nahezu 60 der größten Städte Deutschlands“. „Mit dem Untergang Dresdens sind auch nachdenkliche Briten bis heute nicht fertig. Die Zweifel, ob die Zerstörung dieser und anderer Städte so kurz vor dem nahen Kriegsende zu rechtfertigen war, haben sich längst zu dem Urteil verdichtet: Sie war es nicht! ... Hilft es zur Erklärung darauf hinzuweisen, dass in der Schlussphase des Krieges deutsche V1- und V2-Waffen weiterhin Zerstörung auf Antwerpen, Paris und London regnen ließen? Eine V2 schlug noch am 27. März 1945 im Osten Londons ein und tötete 134 Menschen. Die britische öffentliche Meinung hätte es nicht verstanden, wenn die mili-tärische Führung auf Schonung des Gegners geschaltet hätte, wo dieser bis zum Ende Vernichtung spie.“<br />
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„Aber die alte Frage bleibt, die Lothar Kettenacker 2003 in dem Sammelband „Ein Volk von Opfern?“ noch einmal stellte – „ob der Zweck die Mittel heiligt, ob die Beseitigung einer unheilvollen Diktatur die rücksichtslose Bombardierung der Bevölkerung rechtfertigt. Unbehagen äußerte Churchill selbst schon 1943, als ihm Bilder von den Auswirkungen der Bomben in Deutschland vorgelegt wurden ...“ Der Australier Ricard Casey, der an den Sitzungen des britischen Kriegsrates ... teilnahm, schrieb am 27. Juni 1943 in sein Tagebuch: „Es wird ein Film gezeigt über das nächtliche Bombardement einer deutschen Stadt, und plötzlich richtet sich Churchill steil in seinem Sessel auf und sagt zur mir: ‚Sind wir Bestien? Gehen wir nicht zu weit? <br />
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Churchills Meinungen zum Bombenkrieg gegen Deutschland schwankten. Nach der Zerstörung Dresdens begegnet man bei ihm, spät, einer eindeutigen Ablehnung, so in dem berühmten Memorandum vom 28. März 1945:‚Der Moment scheint mir gekommen, wo die Frage der Bombardierung deutscher Städte zum Zwecke der Erhöhung des ''''terrors'''' (in Englisch mit der Bedeutung von Angst und Schrecken) auch wenn wir andere Vorwände nennen, überprüft werden sollte... Es ist nötig, dass wir uns mehr auf militärische Ziele konzentrieren wie Öllager und Kommunikationszentren hinter der unmittelbaren Kampfzone, statt auf Akte des reinen terrors und der mutwilligen Zerstörung’.“<br />
„Nicht umsonst nannte man Harris auch den ‚butcher’, den Metzger. . . Schon Max Hastings (stockkonservativer Historiker) nannte in seinem Klassiker von 1979 ‚Bomber Command’ die Auslöschung deutscher Städte noch im Frühjahr 1945 ‚einen bleibenden Schandfleck’,“ soweit Kielinger. Nach Kriegsende zog sich Harris verbittert nach Südafrika zurück, weil er sich nicht gebührend geehrt vorkam. Luftangriffe hatte Harris als „relativ humane Methode“ bezeichnet. Butcher wurde er nicht wegen der zivilen Bombenopfer in Deutschland genannt, sondern weil 55 000 Angehörige des Bomber Command vom Feindflug nicht heimkehrten – jeder zweite Pilot und Bordschütze. --><br />
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Im März 1945 hatte sich das Angriffstempo der US-Streitmacht im Vergleich zu den Vormonaten verlangsamt.<ref name="Gewiger158">Geiger: ''Nordhausen im Bombenvisier''. S. 158 f.</ref> Um dennoch den Stoß in das Zentrum Deutschlands als strategisches Ziel zügig fortzuführen, waren die Westalliierten zum Einsatz aller Mittel entschlossen, auch in Anbetracht eventuell noch bevorstehender Kämpfe und Widerstand im Südharz. Die Stadt Nordhausen erhielt daher militärische Bedeutsamkeit für die 1. US-Armee, auch wegen des Verschiebebahnhofs für Truppenbewegungen. Der unterirdische Rüstungsbetrieb im [[Kohnstein]] und das [[Konzentrationslager Dora Mittelbau]] wurden dagegen nie zum Ziel von Luftangriffen. <br />
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Nordhausen und Umgebung wurden Ende 1944 von britischen Fernaufklärern nachts unter tagheller Beleuchtung durch Magnesiumbomben sorgfältig aus der Luft fotografiert.<ref>Manfred Schröter: ''Die Zerstörung Nordhausens''. Nordhausen 1988, S. 55</ref> Die Bombardierung von Nordhausen wurde am 2. April 1945 vom Alliierten Oberkommando (SHAEF) befohlen.<ref name="Gewiger158"/> Gefordert wurde ein Angriff zur Unterstützung der 1. US-Armee mit Priorität zur frühestmöglichen Gelegenheit. Einige Tage zuvor wurde vom SHAEF die Zerstörung durch die RAF beschlossen.<ref>Manfred Schröter: ''Die Zerstörung Nordhausens''. Meyenburg-Museum Nordhausen, 1988, S. 54–55</ref><br />
<br />
Dieses, geführt von Luftmarschall Arthur Harris, erteilte am 2. April den unmittelbaren Befehl für einen Doppelschlag an zwei Tagen.<ref>Walter Geiger: ''Nordhausen im Bombervisier''. Nordhausen 2000, S. 108–109</ref> Der Zweck der RAF-Angriffe im April 1945 bestand darin, den Weg für einen ungehinderten Vormarsch von der im Südharzer Raum erwarteten Gegenwehr freizumachen. 3.466 britische Soldaten sollten als fliegendes Personal an den Angriffen teilnehmen. Ihnen wurde als Ziel des Angriffs erklärt: „To kill military and Nazi personnel evacuated from Berlin to these barracks“ (gemeint das Areal der Boelcke-Kaserne und die Stadt Nordhausen).<ref>Geiger: ''Nordhausen im Bombenvisier''. S. 121 </ref><br />
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<!-- Bitte Quelle angeben!(Wie aus dem Text eindeutig hervorgeht: Der genannte Journalist und Gesprächspartner Dr. Meyers!) Der gebürtige Nordhäuser [[Manfred Neuber]], als Journalist von 1960 bis 1963 in London und New York, recherchierte als erster bei der Royal Air Force und der US Air Force über die Luftangriffe auf Nordhausen. Aus den detaillierten Angaben ging hervor, dass allein Bomber der Royal Air Force Nordhausen angegriffen hatten. Die SED-Propaganda hatte behauptet, es habe sich um „amerikanische Terrorangriffe“ gehandelt. So stand es auch Jahre auf der Gedenkstele für die Opfer der Luftangriffe neben dem Alten Rathaus. Neuber hatte Gelegenheit, im Jahre 1964 in Bad Lauterberg mit Dr. [[Herbert Meyer]], Oberbürgermeister Nordhausens vor Kriegsende 1945, über die Bombenangriffe zu sprechen. Dabei widerlegte Meyer noch Jahre nach dem Kriege kursierende Gerüchte, die Luftangriffe hätten eigentlich der Stadt Gotha gelten sollen. Weil die Verantwortlichen dort kapituliert hätten, sei Nordhausen angegriffen worden, weil es nicht ebenso gehandelt habe. Meyer versicherte, es habe keine Aufforderung zur Übergabe der Stadt gegeben. Zum Zeitpunkt der Luftangriffe standen die US-Panzerspitzen noch im Raume Kassel. --><br />
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=== Vermutungen und Gerüchte über den Großangriff ===<br />
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* Nordhausen soll Aufforderung zur kampflosen Übergabe ausgeschlagen haben.<br />
** Der Nordhäuser Oberbürgermeister bei Kriegsende, [[Herbert Meyer]], widersprach dieser Darstellung in einem Gespräch mit dem Journalisten Manfred Neuber um 1964 in Bad Lauterberg: „An die Stadtverwaltung ist niemals bis zu den Angriffen eine Aufforderung der Amerikaner ergangen, Nordhausen zur offenen Stadt zu erklären. Ich möchte bezweifeln, dass sie an Kreisleiter Nentwig ergangen ist.“<ref name="Sting252">Heinz Sting: ''Das 1000-jährige Nordhausen und der schöne Südharz''. Hannover: Nordhäuser Heimatfreunde, 1965. S. 252.</ref><br />
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* Nordhausen wurde durch die US-Luftwaffe zerstört.<br />
** Es ist unbestritten und belegt, dass britische Bomber die Stadt zerstörten. „Die Einsatzbefehle der 8. US-Luftflotte sahen weder am 3. noch am 4. April 1945 Nordhausen als Ziel vor. Die Operationsberichte der 8. Luftflotte geben auch keinen Großangriff auf Nordhausen an einem dieser beiden Tage an. Der Hauptzielplan für die amerikanischen Heeresflieger in Europa während des Zweiten Weltkrieges führt ebenfalls keinen Angriff auf Nordhausen im April 1945 auf“, teilte das amerikanische Aerospace Studies Institute auf Anfrage des Journalisten Manfred Neuber zu Beginn der 1960er Jahre schriftlich mit. „Aus anderen Quellen ist zu entnehmen“, gab der Leiter für geschichtliche Studien an diesem Institut der US Air Force University auf der Maxwell Air Base in Montgomery/Alabama, bei den Recherchen des Journalisten zu Protokoll, „dass am 3.und 4 .April 1945 vom Bomber Command der Royal Air Force schwere Angriffe auf Nordhausen geflogen wurden.“ Diese Angaben wurden von der Air Historical Branch im britischen Verteidigungsministerium (damals noch Ministry of War) dem Rechercheur bestätigt. Alle hier aufgeführten Originaldokumente wurden dem Stadtarchiv Nordhausen übergeben.<br />
<br />
* Nordhausen wurde anstelle Gothas bombardiert.<br />
** Diese Behauptung wurde u. a. von [[Kurt Kohlmann]] aufgestellt. So berichtete er von zwei US-Offizieren, die entsprechende Aussagen getätigt haben sollen: „Sie erzählten mir, der Kreisleiter von Nordhausen sei dreimal aufgefordert worden zu kapitulieren. Nachdem die Faschisten (DDR-Jargon, nicht US-Offiziere) das dritte Mal abgelehnt hätten, sei ein auf Gotha angesetzter US-amerikanischer Bomberverband (Unsinn, es war die Royal Air Force) nach Nordhausen umgeleitet worden.“<ref name="Rudloff138">Jost-Dieter Rudloff: ''Warum wurde Nordhausen eine Woche vor Kriegsende 1945 in Brand gesetzt? Informationen und Überlegungen''. In: ''Beiträge zur Geschichte aus Stadt und Kreis Nordhausen (Band 44/2019)'', S. 138.</ref> Dies wurde ebenfalls von Herbert Meyer als unglaubwürdig zurückgewiesen.<ref name="Sting252"/><br />
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* Nordhausen wurde wegen der Raketen-Produktion im Kohnstein bombardiert.<br />
** Den Alliierten war bekannt, dass sich im Kohnstein ein Rüstungsbetrieb befand, nicht jedoch, dass dort die V-Waffen gefertigt wurden.<ref>Jürgen Möller: ''Konzentrationslager Mittelbau-Dora''. Bad Langelsalza 2018, S. 33.</ref> Der Kohnstein war wegen der Kriegsgefangenenlager kein Angriffsziel.<ref name="Rudloff138"/><br />
<br />
* Die Nordhäuser Bevölkerung sollte wegen dem Konzentrationslager Dora-Mittelbau bestraft werden.<br />
** Dies wird durch kein Dokument der Alliierten bestätigt.<br />
<br />
* Nordhausen wurde aus militärischen Gründen bombardiert.<br />
** Die Stadt war verkehrstechnischer Knotenpunkt und Mittelpunkt der Nordthüringer Rüstungsindustrie und wurde auch von der deutschen Armeeführung als wichtig wahrgenommen.<ref name="Rudloff140">Jost-Dieter Rudloff: ''Warum wurde Nordhausen eine Woche vor Kriegsende 1945 in Brand gesetzt? Informationen und Überlegungen''. In: ''Beiträge zur Geschichte aus Stadt und Kreis Nordhausen (Band 44/2019)'', S. 140.</ref> Für das US-Militär bildete die Stadt kein strategisches Ziel mehr.<ref name="Rudloff140"/> Die Stadt Nordhausen erhielt militärische Bedeutsamkeit für die Bodentruppen der 1. US-Armee, auch wegen des Verschiebebahnhofs für Truppenbewegungen. Die Schonung der Rüstungsbetriebe mit ihrem Personal ergab sich aus der Hoffnung, möglichst viele Waffen und Fachkräfte zu erbeuten.<ref name="Rudloff140"/> Es gibt keinen Hinweis darauf, dass Nordhausen aus militärischen Gründen bombardiert wurde.<ref name="Rudloff140"/> (Doch: im SHAEF-Befehl ausdrücklich erwähnt)<br />
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== Aufarbeitung und Gedenken ==<br />
=== 1945 bis 1990 ===<br />
==== DDR ====<br />
Bis zur Wiedervereinigung hielt sich die Behauptung, die United States Air Force habe Nordhausen am 3. und 4. April 1945 bombardiert. Zum einen wurde der US-Luftwaffe vorgehalten, dass die Angriffe auf Nordhausen ein Akt blinder Zerstörung und militärisch sinnlos gewesen seien, da das Ende des Dritten Reiches absehbar war. Andererseits wurde mit der „Gotha-Legende“ behauptet, dass Nordhausen bis zum Letzten verteidigt werden sollte und es deshalb zum Luftangriff kam. Damit wurde die Verantwortlichkeit für das Bombardement wahlweise den lokalen NS-Amtsträgern oder den USA zugeschrieben. <br />
<br />
Ein Interesse an einer realistischen Rekonstruktion hatte die SED auch aufgrund der Situation des Kalten Krieges nicht.<br />
Zum 40. Jahrestag der Luftangriffe wurde in der Lokalpresse erstmals von „250 britischen Lancaster-Maschinen“ berichtet.<ref>„Die Zerstörung Nordhausens - Mahnung und Verpflichtung“, ''Das Volk'', 2. April 1985.</ref> Eine Korrektur der Geschichte fand jedoch nicht statt, und auch danach war mitunter vom „Zerstörungsangriff amerikanischer Bomber“ die Rede.<ref>''Unser Aktuelles Argument'', April 1985.</ref> Für die in der DDR-Propaganda kolportierte öffentliche Erinnerung erklärt sich aus dem politischen Bedürfnis, die „imperialistischen“ Angreifer als möglichst grausam und skrupellos erscheinen zu lassen, im Sinne antiamerikanischer Propaganda.<ref name="Winter63">Winter: ''Öffentliche Erinnerungen an den Luftkrieg in Nordhausen 1945 - 2005''. Marburg: Tectum-Verl., 2010. S. 63.</ref> <br />
Mit Verweis auf die Luftangriffe auf Nordhausen wurde auf tatsächliche oder vermeintliche aktuelle militärische Bedrohungen oder Konflikte Bezug genommen, z. B. auf den Vietnamkrieg. <br />
<br />
Insgesamt war die Nordhäuser Luftkriegserinnerung gekennzeichnet von einer eigentümlichen „Verwischung der Grenze zwischen Faktizität und Fiktionalität“, die nach dem Historiker Martin Sabrow typisch für das Geschichtsdenken in der DDR war.<ref>Martin Sabrow: ''Einleitung - Geschichtsdiskurs und Doktringesellschaft'', Potsdam: Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam (ZZF), 2000. S. 24.</ref><br />
<br />
Der Versuch einer wirklichen Aufarbeitung in der DDR wurde erstmals 1985 angestoßen, als [[Manfred Schröter]] anlässlich des 40. Jahrestages eine Publikation veröffentlichen wollte. Darin wurde dargelegt, dass die RAF und nicht die USAF für den Angriff im April 1945 verantwortlich gewesen war. Nachdem Schröters Buch nach Begutachtung und Korrektur durch den Historiker Olaf Groehler sowie der SED-Kreisleitung und Bezirksleitung in Druck gegangen war, konfiszierte die Kreisleitung am 29. März 1985 die gesamte Auflage und verhinderte eine Veröffentlichung.<ref name="Winter62">Winter: ''Öffentliche Erinnerungen an den Luftkrieg in Nordhausen 1945 - 2005''. Marburg: Tectum-Verl., 2010. S. 62.</ref> Vorausgegangen war ein öffentlicher Vortrag Schröters am 14. März 1985, in dem er seine Ergebnisse (im Beisein von Stasi-Spitzeln) vorstellte.<br />
<br />
Das Gedenken an die Luftangriffe wurde zu DDR-Zeiten auch stark mit dem Wieder- bzw. Neuaufbau der Stadt verwoben. In den ersten Jahren nach dem Krieg wurde vor allem zur Mithilfe agitiert, um durch das „Aufbauwerk“ einer „glücklichen, friedlichen und sonnigen Zukunft“ entgegenzutreten.<ref>„Aufbauerfolge dürfen nicht preisgegeben werden,“ ''Das Volk'', 7. April 1953.</ref> Ab Ende der 1950er Jahre verwies die SED auf die bisher erzielten Erfolge. Zum 40. Jahrestag der Bombardierung 1985 behauptete Oberbürgermeister [[Peter Heiter]], dass die Jahre des Sozialismus die erfolgreichsten in der über tausendjährigen Stadtgeschichte gewesen seien und verwies auf die Rolle der Partei als entscheidender Faktor für das Erreichte.<ref name="Winter81">Winter: ''Öffentliche Erinnerungen an den Luftkrieg in Nordhausen 1945 - 2005''. Marburg: Tectum-Verl., 2010. S. 100.</ref> <br />
Ein wichtiges Großereignis war die Instandsetzung des [[St.-Petri-Kirche|Petri-Turms]] mit einer neuen Turmspitze zum 42. Jahrestag 1987 als „wiedererstandendes Wahrzeichen“.<ref>„Kupferhelm für den Petriturm“, ''Das Volk'', 7. April 1987.</ref><br />
In der Festschrift (1050 Jahre Nordhausen", 1977 herausgegeben vom Magistrat, heißt es: "Für den ausgesprochenen Terrorcharakter der anglo-amerikanischen Luftangriffe spricht auch, dass die Hauptstraßen des Schienen- und Straßenverkehrs funktionstüchtig blieben und die militärischen Anlagen der Stadt, insbesondere das Flugplatzgelände, weiter den Machthabern des Dritten Reiches für ihre verbrecherische Politik zur Verfügung standen."<br />
Die Festschrift hebt hervor: "Das heutige Nordhausen entwickelt sich dank der schöpferischen und angestrengten Arbeit der Arbeiterklasse und aller Bürger unserer Stadt, auf festen sozialistischen Fundamenten. Ständig entsteht Neues, man braucht sich nur umzuschauen." Dagegen bemerkte das "Bad Lauterberger Tageblatt" (Ausgabe vom 3./4. April 1985, Seite 3): "Der Wiederaufbau Nordhausens begann erst sehr spät und sehr schleppend. Noch immer bildet der alte Stadtkern eine weithin kahle Fläche."<br />
<br />
==== BRD ====<br />
<br />
In der Bundesrepublik wurde das Gedenken von dem Verein [[Nordhäuser Heimatfreunde]] getragen. Die erste gedruckte Ausgabe der Vereinszeitung ''[[Nordhäuser Nachrichten]]'' widmete sich der Zerstörung Nordhausens und auch in den folgenden Jahren bildete es ein wiederkehrendes Themenfeld mit zahlreichen Erlebnisberichten. Die Rolle des Vereinsvorsitzenden und früheren Nordhäuser NSDAP-Oberbürgermeisters [[Heinz Sting]] zum Gedenken wird kritisch gesehen.<ref name="Winter83">Winter: ''Öffentliche Erinnerungen an den Luftkrieg in Nordhausen 1945 - 2005''. Marburg: Tectum-Verl., 2010. S. 83 ff.</ref> So sei Sting zwar bemüht gewesen, klarzustellen, dass nicht die US-Luftwaffe die Stadt bombardierte, doch zeigte er sich auch bestrebt, die Rolle des Nationalsozialismus zu relativieren.<br />
<br />
Diese historischen Fakten hatte der Journalist [[Manfred Neuber]] schon vor 1965 in US- und britischen Archiven ermittelt und publiziert (''Bad Lauterberger Tageblatt'' um 1964 und am 3./4. April 1985 in „Das Drama von Nordhausen“, in der ''Herzberger Zeitung'' und im späteren ''HarzKurier'' in Herzberg, im ''Göttinger Tageblatt'' sowie Erwähnung in den ''Nordhäuser Nachrichten'').<br />
[[Herbert Meyer]], Oberbürgermeister Nordhausens in den letzten Kriegstagen und später Stadtdirektor in Bad Lauterberg, versicherte Manfred Neuber 1964 in einem Gespräch über dessen Recherchen in Großbritannien und in den USA, die Stadt Nordhausen habe keine Aufforderung der Alliierten erhalten, Nordhausen zur offenen Stadt zu erklären. Eine Entscheidung darüber hätte auch nicht in seiner Kompetenz gelegen: „Ob eine solche Aufforderung an den Kreisleiter Hans Nentwig ergangen ist und ob dieser sich geweigert hat, ihr nachzukommen, weiß ich nicht. Ich möchte es aber bezweifeln“, erklärte Meyer (Originalzitat in den Aufzeichnungen über das Treffen). Der NSDAP-Kreisleiter [[Hans Nentwig]] hatte das Bombardement in seiner Ausweich-Befehlsstelle unbeschadet überstanden. Er lebte in der Nachkriegszeit in Katlenburg. Von der marxistischen Geschichtsschreibung in der DDR wurde ihm wegen „seiner verbrecherischen Durchhalte-Politik“ eine Hauptschuld an der Zerstörung Nordhausens zugeschrieben.<br />
<br />
=== Seit 1990 ===<br />
<br />
Der 50. Jahrestag der Luftangriffe 1995 wurde mit einer Gedenkwoche unter der Losung „Nordhausen 1945: Erinnerung – Trauer – Mahnung“ weitaus größer begangen als die Jahre zuvor. 1993 hatte das Stadtarchiv angekündigt, diverse Maßnahmen einzuleiten, um ein würdiges Gedenken zu gewährleisten. Darunter zählte das Sammeln von Zeitzeugenberichten, realisierte Veranstaltungen und Projekte sowie die Planung einer Publikation zum Thema. Am 30. März 1995 wurde eine Metallplastik auf der oberen Plattform des Petri-Turms enthüllt und einen Tag später eine Ausstellung mit Fotos und Dokumenten eröffnet. Zudem erschien unter der Leitung des Stadtarchivars [[Peter Kuhlbrodt]] das Buch ''[[Schicksalsjahr 1945 – Inferno Nordhausen]]''. In den folgenden Tagen wurde ein ökumenischer Gedenkweg abgehalten, es gab Kranzniederlegungen am Gedenkstein auf dem Hauptfriedhof, dem Ehrenfriedhof und an der Boelcke-Kaserne. Begleitet wurde das Gedenken mit einer umfassenden Berichterstattung in der Presse, die auch überregional wirkte. <br />
<br />
Nach dem Jahr 1995 wurden die Jahrestage der Luftkriegserinnerung weitaus kleiner begangen.<ref name="Winter100"/> Ab Ende der 1990er Jahre erfolgte wieder eine allgemeine Repolitisierung der Luftkriegserinnerung.<ref name="Winter100">Winter: ''Öffentliche Erinnerungen an den Luftkrieg in Nordhausen 1945 - 2005''. Marburg: Tectum-Verl., 2010. S. 100.</ref> Es zeigte sich, dass sich die öffentliche Erinnerung mehr auf gegenwärtige Ereignisse als auf die Jahre des Zweiten Weltkrieges zu beziehen schien; so werden stärkere Bezüge zu außenpolitischen Themen<ref>Winter: ''Öffentliche Erinnerungen an den Luftkrieg in Nordhausen 1945 - 2005''. Marburg: Tectum-Verl., 2010. S. 101.</ref> oder Exkurse zum Rechtsextremismus hergestellt.<ref>[https://www.nnz-online.de/news/news_lang.php?ArtNr=108899 Zum Umgang mit der Bombardierung], nnz-online, 3. April 2012.</ref> Im Vergleich zu DDR-Zeiten wurde das Spektrum der Erinnerungsakteure erweitert, und vor allem die Kirche rückte in den Vordergrund. <br />
<br />
Seit den 2000er Jahren wird der Jahrestag der Luftangriffe mit der üblichen Kranzniederlegung an der Gedenkstele am Rathaus begangen. Seit 2017 werden statt Kränzen weiße Rosen niedergelegt.<ref>[https://www.nnz-online.de/news/news_lang.php?ArtNr=209936 Gedenken an der Stele], nnz-online, 3. April 2018.</ref> Im Gegensatz zu DDR-Zeiten werden Schuldzuweisungen an die Westalliierten weniger offen aggressiv und ideologisch untermauert vorgebracht.<ref>Winter: ''Öffentliche Erinnerungen an den Luftkrieg in Nordhausen 1945 - 2005''. Marburg: Tectum-Verl., 2010. S. 110.</ref><br />
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=== Denkmäler ===<br />
[[File:Denkmal Bombenangriffe Nordhausen - Mai 2015.JPG|200px|thumb|Mahnmal am Alten Rathaus]]<br />
[[File:Gedenkstein Nordhausen.jpg|mini|200px|Gedenkstein am Massengrab für 600 Bombenopfer auf dem [[Zentralfriedhof an der Leimbacher Straße|Alten Friedhof]]]]<br />
* Mahnmal für die Opfer der Bombardierungen vor dem [[Altes Rathaus|Alten Rathaus]]: 1950 wurde ein Gedenkstein und eine Flammenschale am Sockel des früheren [[Lutherdenkmal]]s angebracht. Es trug die Inschrift: „4.4. 1945 - Zerstörung Nordhausens durch amerikanische Bomber - 8800 Opfer klagen an“ (''Amerikanische'' Bomber war falsch). 1969 wurde dieses Denkmal durch eine Säule des Künstlers Jürgen von Woyski ersetzt.<br />
* Auf dem [[Ehrenfriedhof]] westlich des ''Stresemann-Rings'' befindet sich ein 1999 umgestaltetes Denkmal in Erinnerung an die hier in Massengräbern beigesetzten über 1.600 KZ-Häftlinge, zum größten Teil Opfer der Luftangriffe auf die Boelcke-Kaserne am 3. und 4. April 1945. Viele Nordhäuser zivile Bombenopfer und Soldaten wurden auf dem nördlichen Teil des Sonderfriedhofs, des jetzigen Ehrenfriedhofs, oberhalb des Denkmals in Massengräbern beerdigt.<ref>Manfred Schröter: ''Die Zerstörung Nordhausens''. Nordhausen: Meyenburg-Museum, 1988. S. 59</ref><br />
* Auf dem ''Hauptfriedhof'' findet sich ein Denkmal, das die zusammenfassende Inschrift trägt: „Zum Gedenken an die Gefallenen und Vermissten beider Weltkriege, die Toten der Bombenangriffe, die Opfer aller Gewaltherrschaft. Die Bürger der Stadt Nordhausen“. Links seitlich von dem Denkmal, vor dem begrenzenden Zaun, wurde eine größere Anzahl von Bombentoten in Gemeinschaftsgräbern beigesetzt.<ref> Manfred Schröter: ''Die Zerstörung Nordhausens''. Nordhausen: Meyenburg-Museum, 1988. S. 59-60 </ref> Dort stehen noch einige große Kreuze, die wohl darauf hinweisen.<br />
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== Zitate ==<br />
<br />
* „Das Ausmaß des Schreckens, der Verwüstung und des Todes, von dem unsere Stadt an jenen Apriltagen erfasst wurde, macht sie praktisch zu einem Synonym für die japanischen Städte Hiroshima und Nagasaki. Denn vergleicht man auf Airfotos ihre zerstörten Zentren, so lässt sich schwerlich ein gradueller Wirkungsunterschied erkennen.“ – ''[[Walter Geiger]]: [[Nordhausen im Bombenvisier]], S. 154.''<br />
* „Nordhausen wurde am 3. und 4. April 1945 zerstört, weil der ehrgeizige britische Luftmarschall Sir Arthur Harris dem britischen Volk und den Alliierten zeigen wollte, dass sein "Bomber Command" das Handwerk des Tötens von deutschen Menschen perfektioniert hatte. Er löste einen furchtbaren Flächenbrand aus mit den stärksten Mitteln, die ihm zur Verfügung standen. Besonders verwerflich ist, dass er die Bombenziele auf die Nordhäuser Altstadt konzentrierte. Infam ist auch, dass er noch in den letzten Kriegstagen die Altstadt von Nordhausen mit einer nie vorher verwendeten Bomben-Mischung auslöschte. Er handelte trotzig wie ein Kind, dem man das Spielzeug wegnehmen will. Harris wollte sich in letzter Stunde in Nordhausen ein Denkmal aus Leichen und Ruinen setzen.“ – ''[[Jost-Dieter Rudloff]]: Warum wurde Nordhausen eine Woche vor Kriegsende 1945 in Brand gesetzt? Informationen und Überlegungen. In: [[Beiträge zur Geschichte aus Stadt und Kreis Nordhausen (Band 44/2019)]], S. 141.''<br />
<br />
== Literatur ==<br />
*Jost-Dieter Rudloff: ''Warum wurde Nordhausen eine Woche vor Kriegsende 1945 in Brand gesetzt? Informationen und Überlegungen''. In: ''[[Beiträge zur Geschichte aus Stadt und Kreis Nordhausen (Band 44/2019)]]''.<br />
*Harald Rockstuhl (Hrsg.): ''[[Nordhausen – Luftbild-Atlas 1935–1945]]''. Bad Langensalza: Verlag Rockstuhl, 2017. ISBN 978-3959662833<br />
*[[Walter Geiger]]: ''[[Nordhausen im Bombervisier]]''. Nordhausen: Neukirchner, 2000. ISBN 3-929767-43-0<br />
*Olaf Groehler: ''Bombenkrieg gegen Deutschland''. Berlin: Akad.-Verl., 1990. ISBN 3-05-000612-9<br />
*[[Peter Kuhlbrodt]]: ''[[Inferno Nordhausen – Schicksalsjahr 1945]]''. Nordhausen: Archiv der Stadt Nordhausen, 1995. ISBN 3-929767-09-0<br />
*[[Martin Clemens Winter]]: ''[[Öffentliche Erinnerungen an den Luftkrieg in Nordhausen 1945 - 2005]]''. Marburg: Tectum-Verl., 2010. ISBN 9783828822214 <br />
*''Schicksale deutscher Baudenkmale im Zweiten Weltkrieg''. (Bd. 2) Berlin: Henschelverlag Kunst u. Gesellschaft, 1978.<br />
<br />
== Externe Verweise ==<br />
* [https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/1/1f/Nordhausen_concentration_camp_newsreel.webm Filmaufnahmen von der Boelcke-Kaserne (1945)]<br />
<br />
== Einzelnachweise ==<br />
<br />
<references/><br />
<br />
[[Kategorie:Geschichte]]</div>Latimer Rexhttps://nordhausen-wiki.de/index.php?title=Luftangriffe_auf_Nordhausen&diff=15662Luftangriffe auf Nordhausen2020-02-09T11:29:56Z<p>Latimer Rex: /* Vermutungen und Gerüchte über den Großangriff */</p>
<hr />
<div>[[Datei:Marktkirche Rathaus Nordhausen 1945.jpg|thumb|300px|[[Marktkirche]], [[Altes Rathaus|Rathaus]] und [[Stadthaus]] nach den Luftangriffen]]<br />
Die '''Luftangriffe auf Nordhausen''' am 3. und 4. April 1945 durch Bomber der britischen Royal Air Force zerstörten Dreiviertel der Stadt. Dabei kamen über 8.800 Menschen ums Leben, weitere 20.000 wurden obdachlos. Mit einem Wohnungszerstörungsgrad von 55% (10.000 Wohnungen) gehörte Nordhausen zu den am schwersten zerstörten deutschen Städten; zahlreiche Denkmale von hervorragender Bedeutung, darunter die für Nordhausen charakteristischen Fachwerkbauten des 13. bis 19. Jahrhunderts, wurden vernichtet. Der historische Stadtkern, die Neustadt und die Gebäude um die [[Frauenbergkirche]] wurden fast gänzlich eingeebnet. Erhalten blieben die Gebiete westlich und nördlich der [[Stadtmauer]], [[Barfüßerstraße]], [[Kalte Gasse]], Teile des historischen [[Königshof]]s sowie der Stadtteil [[Altendorf]]. Ein Großteil der stark beschädigten Bauwerke wurde nach dem Zweiten Weltkrieg abgerissen. <br />
Die zerstörerische Gesamtwirkung aller Bomben und Luftminen war von keinem Einzelangriff im Luftkrieg gegen Deutschland auch nur annähernd erreicht worden.<ref>Geiger: ''Nordhausen im Bombenvisier''. S. 150.</ref> Bei der Bombardierung von Nordhausen handelte es sich um die größte Katastrophe in ihrer tausendjährigen Stadtgeschichte. <br />
<br />
== Nordhausen im Krieg ==<br />
Nordhausen hatte vor dem Zweiten Weltkrieg ca. 42.000 Einwohner. Während des Krieges stieg deren Zahl durch Ortsfremde (Luftkriegsevakuierte, Flüchtlinge, ausländische Arbeitskräfte, Verwundete und Kriegsgefangene) Anfang März 1945 auf 65.000 Einwohner.<ref>Peter Kuhlbrodt (Hrsg.): ''Schicksalsjahr 1945. Inferno Nordhausen''. Nordhausen: Archiv der Stadt Nordhausen, 1995. S. 20, 33 </ref> Insbesondere für Evakuierte aus Berlin, Hamburg und Westdeutschland waren Stadt und Kreis Nordhausen als Aufnahmeräume ausgewiesen.<br />
<br />
Der Bau von Luftschutzanlagen begann im Spätsommer 1943. Viele Bunkeranlagen in der Innenstadt blieben unvollendet. Am 29. November 1943 wurde für Nordhausen ein Evakuierungsplan, der Aussiedlungsrichtungen und Aufnahmegebiete festlegte, ausgearbeitet.<ref>Geiger: ''Nordhausen im Bombenvisier''. Nordhausen: Verlag Neukirchner, 2000. S. 65</ref><br />
<br />
{| class="wikitable sortable"<br />
|+ style="padding-bottom:1em" | Bis zum 22. Februar 1945 realisierte Stollenabschnitte<ref>Ullrich Mallis: ''Der Luftschutzstollen am Johanneshof / Neuer Weg. Ein Nordhäuser Baudenkmal'', in: ''[[Nordhäuser Nachrichten. Südharzer Heimatblätter (2/2011)]]'', S. 10.</ref><br />
|- class="hintergrundfarbe6"<br />
! class="unsortable" | Stollenabschnitte !! class="sortable" | Länge !! class="unsortable" | Herstellung !! class="unsortable" | Ausbauart !! class="unsortable" | Bemerkung<br />
|-<br />
| Stollen IA, Mühlhof || style="text-align:right" | 55,00 m<br />
| Okt. 1943 – Febr. 1944 || Beton, 27,5 m nur Holzausbau || Richtung Loge<br />
|-<br />
| Fluko-Bunkerzugang || style="text-align:right" | 2,40 m<br />
| Febr. – März 1944 || Eisenbetongewölbe || IA, > 40 m links<br />
|-<br />
| Kreuz IA-Stummel || style="text-align:right" | 0,50 m<br />
| März 1944 || Eisenbetongewölbe, wie das gesamte Kreuz IA || Drehscheibe<br />
|-<br />
| Stollen IB, Johannishof || style="text-align:right" | 38,50 m<br />
| Nov. 1943 – April 1944 || Beton, 22,5 m mit Firstschienen || noch begehbar<br />
|-<br />
| Stollen von IA nach IB || style="text-align:right" | 66,10 m<br />
| März 1944 – Nov. 1944 || Beton || Durchschlag im Nov. 1944<br />
|-<br />
| Stollen von IB nach IA || style="text-align:right" | 38,25 m<br />
| April 1944 – Nov. 1944 || Beton || Durchschlag im Nov. 1944<br />
|-<br />
| Oststollen, von IA-IB ab || style="text-align:right" | 21,75 m<br />
| Dez. 1944 – Febr. 1945 || Seitenbeton, Art des Firstausbaues nicht benannt || <br />
|-<br />
| Südstollen IC, ab IB || style="text-align:right" | 49,75 m<br />
| April 1944 – Febr. 1945 || || zum Lohmarkt<br />
|-<br />
| class="hintergrundfarbe5" | Gesamt: || style="text-align:right" class="hintergrundfarbe5" | 272,25 m<br />
| class="hintergrundfarbe5" | Okt. 1943 – Febr. 1945 || class="hintergrundfarbe5" | || class="hintergrundfarbe5" |<br />
|}<br />
<br />
<br />
<br />
Als Garnisonstadt hatte Nordhausen keine ältere Tradition. Ab 1935 wurde im Süden die [[Boelcke-Kaserne]] errichtet, mit Unterkünften und Fahrzeughallen; sie diente der Ausbildung von Luftnachrichtensoldaten. Daneben entstanden ein Fliegerhorst als Ausbildungsplatz und zeitweise Flugzeugwerft. Bis März 1945 wurden hier Flugzeuge für den Mistelschlepp ("Huckepack"-Flugzeuge) montiert und Piloten dafür geschult. Sonst diente der Fliegerhorst 1945 noch zum Auftanken von Jagdflugzeugen. In provisorischen Unterkünften in der Stadt gab es die evakuierte "Marineverwaltung West". In der Stadt und ihrer nahen Umgebung existierten viele Lazarette mit insgesamt etwa 1.000 Verwundeten. Die Lazarette und Krankenhäuser trugen weithin sichtbare große Rotkreuz-Symbole auf den Dächern. <br />
<br />
Das [[Mittelwerk GmbH|Mittelwerk Dora]] bei Nordhausen produzierte Anfang April 1945 keine V-Waffen oder andere Rüstungsgüter mehr. Die dort Beschäftigten, unter ihnen Tausende von Häftlingen des KZ Mittelbau-Dora und Zwangsarbeiter, wurden evakuiert. Das Werk oder seine Verkehrsanbindungen waren nie Ziel alliierter Luftangriffe. <br />
<br />
Die frühere [[KZ-Außenlager Boelcke-Kaserne|Boelcke-Kaserne]] wurde seit Herbst 1943 nicht mehr militärisch genutzt. Sie hatte seitdem Tausende von Arbeitern, später auch Flüchtlinge aufgenommen. Seit 8. Januar 1945 existierte ein bald überfülltes Häftlingslazarett in der Anlage.<ref> Manfred Schröter: ''Die Zerstörung Nordhausens''. Nordhausen: Meyenburg-Museum, 1988. S. 6-8 </ref> Im Februar kamen zeitweise 3.500 Häftlinge aus dem KZ Groß-Rosen dazu.<ref> Walter Geiger: ''Nordhausen im Bombervisier''. Nordhausen: Verlag Neukirchner, 2000. S. 258 </ref><br />
<br />
== Erste Angriffe ==<br />
In der Nacht vom 25. August auf den 26. August 1940 griffen zwei britische Bomber vom Typ Handley Page Hampden den [[Flugplatz von Nordhausen]] an und warfen vier Bomben ab.<ref>Geiger: ''Nordhausen im Bombenvisier''. S. 61 f.</ref> Es entstand ein kleiner Brand, der bald gelöscht werden konnte. <br />
<br />
Von 1940 bis 1943 gab es insgesamt 72 öffentliche Luftwarnungen und Fliegerarlarme für Nordhausen. Als sich die alliierten Luftangriffe im Jahr 1944 auf die im Hinterland gelegenen deutschen Städte intensivierten, wurde Nordhausen verstärkt Überflugsort alliierter Bomberverbände, etwa wenn sie Berlin, Dessau oder Leipzig anflogen. Im März 1945 erreichten die durchschnittlich fünf bis sechs Luftalarme ihren Höhepunkt.<ref>Geiger: ''Nordhausen im Bombenvisier''. S. 98 f.</ref> <br />
<br />
Am 12. April 1944 flogen während der Mittagszeit zwei aus südlicher Richtung kommende amerikanische Jäger die Stadt an und töteten zwei Menschen, zwei Personen wurden schwer verletzt.<ref>Geiger: ''Nordhausen im Bombenvisier''. S. S 221 f.</ref> <br />
<br />
[[Datei:Luftangriffe Nordhausen Traueranzeige.jpeg|thumb|Traueranzeige vom 26. Februar 1945]]<br />
<br />
Am 22. Februar 1945 griffen gegen 12:30 Uhr US-amerikanische Bomber den Verschiebebahnhof an, trafen jedoch die Unterstadt, einige Anlagen des Industriegebietes und die vormalige Fernmeldeschule der Luftwaffe in der [[Boelcke-Kaserne]]. Insgesamt fielen 296 Mehrzweckbomben und töteten 40 Menschen. Im ''[[Südharzer Kurier]]'' erschien am 26. Februar eine Todesanzeige für die „Gefallenen des Terrorangriffs“ mit der Ankündigung zur Beisetzung. <br />
<br />
Am 28. Februar 1945 warfen drei amerikanische Maschinen 2,5 Tonnen Sprengbomben auf die Stadt ab. <br />
<br />
Am 1. April 1945 wurden das Auto-Hotel Hesse durch Bomben getroffen und zahlreiche Menschen getötet.<br />
<br />
== Großangriffe im April 1945 ==<br />
[[File:Avro Lancaster Mk 1 ExCC.jpg|thumb|Langstreckenbomber vom Typ ''Avro Lancaster'', wie sie bei der Bombardierung von Nordhausen zum Einsatz kamen.]]<br />
[[File:Mosquito 600pix.jpg|thumb|Zielmarkierer ''De Havilland Mosquito'' (1944)]]<br />
Am 3. April 1945 starteten gegen 13 Uhr die englischen Bomberverbände und erreichten Nordhausen um 16 Uhr. Die 247 Avro-Lancaster-Bomber (Tragfähigkeit je 6 Tonnen Bombenlast) und 9 Mosquito-Mehrzweckflugzeuge warfen in 20 Minuten ca. 1.216 Tonnen Sprengbomben ab und trafen vor allem die Außenbezirke von Nordhausen.<ref>Groehler: ''Bombenkrieg gegen Deutschland'', S. 422.</ref> Im Stadtinnern fielen Bomben um die [[Neustadt-Kirche]] und [[Neustadtstraße]]. In den umliegenden Wäldern und Ortschaften [[Sundhausen]], [[Bielen]], [[Himmelgarten]], [[Leimbach]] und [[Krimderode]] fielen schwere Bomben und Luftminen. Getroffen wurde auch die mit kranken Häftlingen überbelegte [[Boelcke-Kaserne]], wo allein in einer mit Tuberkulose-Kranken belegten Flugzeughalle 450 Menschen den Tod gefunden haben sollen.<ref>Wagner: ''Produktion des Todes.'' S. 280</ref> Die Stadt ohne Strom und Leitungswasser. Die Verletzten wurden gesammelt und nach [[Neustadt/Harz|Neustadt]] und [[Sülzhayn]] gebracht, die Ausgebombten erhielten Notquartiere in der Stadt selbst und ihrer Umgebung. Viele Nordhäuser flüchteten aus der Stadt. Zwei Stollen der unterirdischen Anlagen von Mittelbau Dora im Kohnstein nahmen bereits am 3. April Geflüchtete auf, später wurden es 10.000. Das Stadtkrankenhaus war beschädigt, die Patienten wurden in Notkrankenhäuser in das benachbarte [[Petersdorf]] gebracht, vor allem in das Ausflugsrestaurant Harzrigi.<ref> Manfred Schröter: ''Die Zerstörung Nordhausens''. Nordhausen: Meyenburg-Museum, 1988. S. 22, 23 </ref> Bomben fielen auch auf mehrere benachbarte Dörfer und deren Flur, besonders betroffen war Bielen. Zwei Bomber gingen beim Hin- und Rückflug verloren. Der erste Angriff erzielte die gewünschte Wirkung jedoch nicht. Der Angriff am 3. April war aus Sicht der RAF ein Misserfolg.<!-- (Quelle?) --> Viele Einwohner zogen am Abend des 3. April zum nahen [[Kohnstein]], wo die mittlerweile fast verlassenen Stollen des Mittelwerks Schutz boten.<br />
<br />
{{Zitat|Die Stadt ist schwer getroffen, aber sie ist noch eine organisierte Gemeinschaft… Gegenseitige und Nachbarschaftshilfe wird geleistet. Die Stadtverwaltung und die Luftschutzleitung setzen ihre Kräfte ein. Rotes Kreuz und die Krankentransporte kommen an die Schwerpunkte. Man leitet die Evakuierung des beschädigten Krankenhauses ein. Die Verletzten des Angriffs werden geborgen, abtransportiert, in den Gaststätten Parkhaus und Kurhaus gesammelt und schließlich nach Neustadt und Sülzhayn weiterbefördert. Die Feuerwehr bekämpft die wenigen (?) Brandherde.|[[Manfred Schröter]]: ''[[Die Zerstörung Nordhausens und das Kriegsende im Kreis Grafschaft Hohenstein 1945]]''}}<br />
<br />
Am 4. April gegen 9 Uhr begann der zweite Großangriff der RAF. Der Verband kam über Gotha, Bad Langensalza und Schlotheim. Für 93 Bomber wurde die Boelcke-Kaserne als Angriffsziel befohlen, die anderen 150 hatten das Stadtzentrum anzugreifen.<ref>Geiger: ''Nordhausen im Bombenvisier''. S. 146 f.</ref> Zwei Bomber mussten frühzeitig zurückkehren, und zehn weitere hatten ihren militärischen Auftrag verfehlt, so dass von den 243 Flugzeugen 231 am Luftschlag teilnahmen. Ein Bomber explodierte über der Stadt. Die örtliche Feuerwehr war, soweit noch vorhanden, von der Lage völlig überfordert. Unter der überlebenden Bevölkerung herrschte Panik, viele verließen fluchtartig zu Zehntausenden das Inferno der Stadt in Richtung Kohnstein. Auch außerhalb von Nordhausen wurde sie von Jagdbombern beschossen.<ref> Manfred Schröter: ''Die Zerstörung Nordhausens''. Nordhausen: Meyenburg-Museum, 1988. S. 26 </ref> Am Abend und in der Nacht war die Stadt ein weithin leuchtendes Flammenmeer.<ref> Peter Kuhlbrodt: ''Schicksalsjahr 1945. Inferno Nordhausen''. Nordhausen 1995. S. 23 </ref> In der Mitte davon leuchtete der Kirchturm von St. Petri als riesige Fackel, die gegen Mitternacht zusammenbrach und auf das Kirchenschiff stürzte. RAF-Piloten, die von einem Einsatz bei Merseburg zurückflogen, berichteten um 23.00 Uhr von „good fires at Nordhausen“.<ref> Walter Geiger: ''Nordhausen im Bombervisier''. Nordhausen, 2000. S. 180 f.</ref> <br />
Der gebürtige Nordhäuser Schriftsteller [[Rudolf Hagelstange]] schrieb in seiner deutschen Familienchronik (Band 2: „Der Niedergang“, Seite 254) über die Feuersbrunst in seiner Heimatstadt: „Und die Hitze war so groß, dass in den meisten Straßen, sofern sie nicht gepflastert waren, der Asphalt geschmolzen war, dass Flüchtende da und dort in ihn eingesunken waren, einige unlöslich und damit zum Flammentod verurteilt.“<br />
<br />
=== Opfer ===<br />
[[Datei:Einwohnerentwicklung von Nordhausen ab 1800.svg|thumb|Einwohnerzahl von Nordhausen ab 1800. Deutlich sichtbar der Höhepunkt 1945]]<br />
Bei den Großangriffen im April 1945 kamen ca. 8.800 Menschen ums Leben. Diese Zahl geht auf Schätzungen vom Februar 1948 zurück.<ref name="Kuhlbrodt125">Kuhlbrodt: ''Inferno Nordhausen''. S. 125 f.</ref> Vor dem Abgriff befanden sich rund 65.000 Personen in der Stadt (42.000 ständige Bevölkerung, Militärpersonen, Gefangene, ausländische Arbeiter, Spezialarbeiter der Kriegsindustrie, Evakuierte). Der Antifa-Ausschuss von Nordhausen schätzte am 17. Juni 1945, dass über 10.000 Menschen bei den Bombenangriffen ums Leben gekommen seien.<ref> Peter Kuhlbrodt: ''Schicksalsjahr 1945. Inferno Nordhausen''. Nordhausen 1995. S. 115 </ref><br />
<br />
In den ersten Tagennach dem Einmarsch der Amerikaner ließ der US-Stadtkommandant in den Straßen liegende Leichen auf den Sonderfriedhof am Schlageter-Ring bringen. Andere wurden an Ort und Stelle in Bombentrichtern beerdigt. Eine beträchtliche Zahl ziviler Opfer und deutscher Soldaten wurde dann in dem höher gelegenen Teil des heutigen Ehrenfriedhofs in Massengräbern beigesetzt, unweit der getöteten Häftlinge aus der Boelcke-Kaserne. Für die später gefundenen Opfer ohne Anhang wurden Massengräber im vorderen Teil des Alten Hauptfriedhofs in der Leimbacher Straße angelegt. Heute steht an dieser Stelle ein Wohnblock. Auf dem Neuen Hauptfriedhof am Ring sind in den ersten Wochen und Monaten 920 Bombenopfer beerdigt worden.<br />
<br />
{| class="wikitable"<br />
|-<br />
| Verluste der ständigen Bevölkerung || 6.000<br />
|-<br />
| Verluste der nicht ständigen Bevölkerung || 1.500<br />
|-<br />
| Verluste der Häftlinge der Boelcke-Kaserne || 1.300<br />
|-<br />
| zusammen || 8.800<br />
|-<br />
|} <br />
<br />
==== Persönlichkeiten ====<br />
* [[Paul Urban]] (geb. 1892), KPD-Stadtrat<br />
<br />
=== Schäden und Totalverluste ===<br />
<br />
Der Zerstörungsgrad der Stadt wurde mit 74 Prozent errechnet. Die Gesamtfläche des zerstörten Gebietes betrug 810.000 Quadratmeter. Von den 13.075 Wohnungen wurden 6.187 total zerstört und 4.575 beschädigt.<br />
<br />
==== Kirchen ====<br />
<br />
[[Datei:Petri-Kirche Außenansicht.JPG|thumb|[[St.-Petri-Kirche]]]]<br />
*[[St.-Jakobi-Kirche]]: Am 3. April erheblich durch Bomben zerstört. Reste des Schiffes abgetragen, Turmruine zu DDR-Zeiten beseitigt.<br />
*[[Marktkirche]]: Am 3. April weitgehend zerstört. Ruinenreste abgetragen.<br />
*[[St.-Petri-Kirche]]: Am 3. April bis auf Turm und Chor zerstört, zahlreiche Menschen finden in der Kirche den Tod. Der Turm erhielt 1954 ein Notdach, die übrigen Ruinenteile wurden beseitigt. 1987 wurde ein neuer Turmhelm gesetzt.<br />
* [[St.-Blasii-Kiche]]: Dach und Mauerwerk am 4. April durch Bombentreffer erheblich beschädigt [[Cranachgemälde]] im Auslagerungskeller verbrannt. Bis 1949 Wiederherstellung des Daches, Ausbesserung Mauerwerk, Erneuerung des Inneren.<br />
*[[Nordhäuser Dom]]: Am 4. April schwere Schäden durch Brandzerstörung des Steildaches über der Halle und Vernichtung der Fenster. Noch 1945 Fertigstellung Notdach und Beseitigung der Folgeschäden. 1965 Wiederherstellung des Steildaches in ursprünglicher Form.<br />
*[[Frauenbergkirche]]: Am 4. April durch Bomben schwer zerstört. Erhalten blieben Umfassungsmauern der Chor mit Apside, die Nebenchöre und das Querschiff, vom Langhaus nur Reste des ersten Joches sowie des Westportals. Von 1953 bis 1955 folgten Enttrümmerung und Sicherungsarbeiten.<br />
*[[Frauenbergkloster]]: Am 4. April durch Bombentreffer total zerstört. Gebäudereste wurden nach 1945 entfernt.<br />
<br />
==== Öffentliche Bauten ====<br />
*[[Rathaus]]: Am 4. April bis auf die Umfassungsmauern zerstört, Turm ausgebrannt. Ab 1951 Trümmer entfernt und Wiederaufbau bis 1952, dabei wurden die Erdgeschoßarkaden und das Innere neu gestaltet. Zum ebenfalls schwer zerstörten [[Stadthaus]] wurde der Verbindungsgang wiederaufgebaut, der [[Roland]] restauriert.<br />
*[[Stadtmauer]]: Es entstanden Schäden an der Stadtmauer, wobei besonders die teilweise genutzten Türme und Wiechhäuser betroffen wurden. Nach dem Krieg wurden Ruinen abgetragen und Sicherungsarbeiten durchgeführt. Zur Landesgartenschau 2004 erfolgten umfangreiche Sanierungsarbeiten, besonders um den [[Petersberg]]. <br />
*[[Theatergebäude]]:<br />
<br />
==== Fachwerkbauten ====<br />
[[Datei:Nordhäuser Roland 1945.jpg|thumb|Das ausgebrannte Rathaus mit dem [[Nordhäuser Roland|Roland]], der die Angriffe wie durch ein Wunder überstand]]<br />
[[Datei:Riesenhaus, Riese, Postkarte.jpg|thumb|Postkarte vom [[Riesenhaus]] am Holzmarkt (Lutherplatz) mit dem [[Nordhäuser Riese]]n.]]<br />
Bedeutende Fachwerkhäuser, die zerstört wurden (lt. dem Denkmalpfleger Rudolf<br />
Zießler):<br />
<br />
*[[Bäckerstraße]] 22: Mitte des 18. Jahrhunderts errichteter dreigeschossiger, neunachsiger, verputzter Fachwerkbau mit massivem Erdgeschoß, Satteldach und Zwerhaus. Stichbogenfenster mit einfacher profilierter Rahmung in Dreiergruppen. Betonung der Mittelachse durch ein von Pilastern flankiertes Portal mit gesprengtem Giebel, darauf ruhende Frauen und Wappen sowie durch einen auf Konsolen sitzenden Balkon mit schmiedeeisernem Gitter.<br />
*[[Blasiistraße]] 15: Alte Schule. Errichtet um 1700 als dreigeschossiger stattlicher Fachwerkbau mit hohem Satteldach. Unregelmäßige Fenstergruppierung (im ersten Obergeschoß dreizehn Achsen). Fachwerk mit halben Männern. Obergeschoß vorkragend mit Balkenköpfen und gekehlten Füllhölzern.<br />
*Blasiistraße 21: Bedeutendstes Renaissance-Fachwerkhaus Nordhausens von etwa 1550. Dreigeschossig mit zehn Fensterachsen in unregelmäßiger Gruppierung, Geschosse stark vorkragend. Reich ausgebildetes Schmuckfachwerk mit Balkonköpfen, Knaggen, Füllhölzern und Schiffskehlen. Haupteingang mit kräftigen Gewämdepfosten und halben Sonnen um 1700.<br />
*[[Hagenstraße]] 4: Um 1800 errichtet als zweigeschossiger, verschieferter Fachwerkbau mit zehn Fensterachsen. Eckpilaster, ebensolche toskanische Holzpilaster flankieren die vier Mittelachsen und nehmen einen verschieferten Dreieckgiebel auf. Stichbogenfenster mit einfacher Rahmung und Schlußsteinbetonung.<br />
*Hagenstraße: Ilfelder Hof, ehem. Klosterhof, seit dem ersten Viertel des 18. Jahrhunderts Kurhannoversche Postverwaltung, seit 1853 in Privatbesitz. 1277 angelegt, später erweitert, im 17. Jahrhundert Neubau auf erweitertem Grundriss mit massivem Erdgeschoß und zwei Fachwerkobergeschossen, verschiefert.<br />
*[[Holzmarkt]] (Lutherplatz): „Riesenhaus“. 1375 erstmals erwähntes Patrizierhaus mit massivem Erdgeschoss, zwei Fachwerkobergeschossen und Satteldach. Nach Brand von 1710 im Fachwerk erneuert. Fassade gegliedert durch zwölf Fensterachsen, jeweils in Dreiergruppen angeordnet. Fachwerkkonstruktion mit Wilden Männern. Mittelgiebel mit einem Mann in Ritterrüstung ([[Nordhäuser Riese]]), der eine Lanze hält. 1805 Einrichtung einer Gaststätte, Verputz des Fachwerks und klassizistische Fassadengestaltung. 1927 Endrestaurierung und Wiederherstellung des Fachwerks.<br />
*Jakobikirchplatz 4: Lateinschule. Zweigeschossiger Fachwerkbau von 1493 mit Satteldach. Ständer- und Riegelbau. Vorkragendes Obergeschoß über geschwungene Knaggen. Durchlaufender Fensterbrustriegel.<br />
*Jakobikirchplatz: Pfarrhaus. 1687 errichteter zweigeschossiger Fachwerkbau mit Krüppelwalmdach. Fenstergruppierung unregelmäßig. Stiele und Brustriegel durch Wilde Männer verstärkt. Geringe Auskragung, Balkonköpfe und Schwelle mit einfacheren Profilen. Gefache mit Ziegeln in Mustern ausgemauert. Oberdeutsch beeinflusstes Fachwerk.<br />
*[[Königshof]] 14: Dreigeschossiger Fachwerkbau mit oberdeutschen Stilelementen, ganze und halbe Männer. Um 1780 Verkleidung der Fenster mit Rokokogirlanden.<br />
*[[Krämerstraße]] 11: Verschieferter, zweigeschossiger, fünfachsiger Fachwerkbau mit spätbarockem Volutengiebel. Stichbogenfenster mit Rahmenverkleidung. Erdgeschoss durch Ladeneinbauten verändert.<br />
*Krämerstraße 15: Um 1700 errichteter schmaler dreigeschossiger Fachwerkbau in oberdeutschem Stil mit halben Männern an den Ecken. Balkonköpfe und Füllhölzer mit einheitlichem Profil. Satteldach mit Zwerchhaus.<br />
*[[Lohmarkt]] 2, 4, 20, 21: Nach 1686 errichtete Gerberhäuser. Zwei- bzw. dreigeschossige Fachwerkgebäude im gleichen oberdeutschen Baustil wie Pfarrhaus Jakobikirchplatz. Besonders reich ausgebildet der Türstock mit Renaissanceformen und Inschrift. Satteldächer mit Zwerchhäsern (Ladeluken).<br />
*[[Neustadtstraße]] 27: Zweigeschossiger, elfachsiger Fachwerkbau aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts mit Satteldach. An den Fenstern Rokokoverkleidung.<br />
*Neustadtstraße 35: Zweigeschossiger, achtachsiger Fachwerkbau aus der Mitte des 18. Jahrhunderts auf Sandsteinsockel. Türen und Fenster in Stichbogen mit geschnitzter Rokokoverkleidung.<br />
*Neustadtstraße 47: Dreigeschossiger Fachwerkbau der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts mit Krüppelwalmdach. Rokokofensterbekleidungen handwerklich vereinfacht.<br />
*[[Pferdemarkt]] 17: Dreigeschossiger Fachwerkbau von etwa 1550, niederdeutsch beeinflusst. Auskragung des Obergeschosses mit Balkonköpfen, Knaggen und Füllhölzern. Erdgeschoß baulich verändert.<br />
*[[Sandstraße]] 3, 21, 23, 28: Diese Häuser hinsichtlich der Entstehungszeit und der architektonischen Ausbildung denen der Neustadtstraße entsprechend.<br />
<br />
==== Situation nach dem Großangriff ====<br />
[[Datei:Boelcke-Kaserne-Tote HäftlingeA.jpg|thumb|Einwohner Nordhausens tragen am 12. April 1945 unter Bewachung von Angehörigen der US-Armee tote Häftlinge aus der Boelcke-Kaserne und legen sie davor ab]]<br />
[[File:Nordhausen um 1930.jpeg|thumb|Der Stadtteil [[Altendorf]] blieb weitgehend unzerstört (Luftaufnahme um 1930)]]<br />
Das britische Bomber Command berichtete als Ergebnis der beiden Großangriffe, dass „die Stadt fast vollständig zerstört wurde, inbegriffen die Kasernenblöcke.“<ref> Walter Geiger: ''Nordhausen im Bombervisier''. Nordhausen: Neukirchner, 2000. S. 154 </ref> <br />
Die Situation für die Bevölkerung nach den Angriffen kann nur mit dem Begriff „Inferno“ beschrieben werden. Das Stadtzentrum konnte tagelang nicht betreten werden. Es wüteten noch zahlreiche Brände<ref> Peter Kulhlbrodt: ''Schicksalsjahr 1945. Inferno Nordhausen''. Nordhausen 1995. S. 24</ref>, die Schutthaufen strahlten unerträgliche Hitze aus. Bomben mit Zeitzündern gingen hoch. Über den Trümmerfeldern lag bald Leichengeruch, besonders im Bereich der Boelcke-Kaserne. In den Nächten des 6. und 7. April wurden die Kranken und Verwundeten aus Nordhausen und Umgebung durch alle verfügbaren Fahrzeuge, besonders mit Bauern-Gespannen, in den Kohnstein in Sicherheit gebracht. Die Nordhäuser Bevölkerung (?) verteilte sich nach Schätzungen am 7. April wie folgt: 6.000 (8.800) Opfer tot unter den Trümmern, 6.000 Überlebende noch in der Stadt, 10.000 im Kohnstein und 20.000 in den umliegenden Dörfern, besonders nordöstlich der Stadt.<ref> Manfred Schröter: ''Die Zerstörung Nordhausens''. Nordhausen: Meyenburg-Museum, 1988. S. 30 </ref> Am 8. April flogen 6 Jagdbomber noch einen Tagesangriff nach Zielmarkierung auf Nordhausen, parallel zu dem Bombardement auf [[Sondershausen]]. Am 10. April näherten sich US-Panzer aus Richtung [[Hain (Kleinfurra)|Hain]] dem Süden der Stadt und nahmen ihn unter Feuer, darunter die Trümmer der Boelcke-Kaserne.<ref> Manfred Schröter: ''Die Zerstörung Nordhausens''. Nordhausen: Meyenburg-Museum, 1988. S. 37 </ref><br />
<br />
== Nachwirkungen ==<br />
Insgesamt waren vom britischen Bomber Command 2.386 Tonnen und von der 8. US Air Force 296 Tonnen Bombenlast auf Nordhausen abgeworfen worden.<ref> Olaf Groehler: ''Bombenkrieg gegen Deutschland''. Berlin: Akademie-Verlag, 1990. S. 449 </ref><br />
Eine der am längsten nachwirkenden Folgen der Luftangriffe für die Bürger der Stadt blieben Hunderte von Blindgängern aller Kaliber: zwischen den Trümmern der Stadt und im Erdreich der Straßen, Gärten und Felder. In den ersten Jahren machten sich die Feuerwerker Jochen Nebel und Albin Diebler sehr verdient um die Entschärfung gefundener Bomben, ab 1962 der - deshalb zum Ehrenbürger ernannte - Helmut Zinke. Im Stadtgebiet wurden 1948 bis 1953 etwa 100 Bomben entschärft, dann 248 Blindgänger von 1954 bis 1999 entzündet und geräumt.<ref>Walter Geiger: ''Nordhausen im Bombervisier''. Nordhausen, 2000. S. 263-264 </ref> <br />
<br />
Noch 2014 gilt eine Verordnung in Nordhausen, nach der jeder Bürger, der bauen will, sicherstellen muss, dass unter seinem Grund und Boden kein Gefahrgut liegt.<ref>Katja Dörn: ''Die Gefahr rostet im Thüringer Boden''. Thüringische Landeszeitung, 12. Dezember 2014 </ref><br />
<br />
Auswahl weiterer Funde von Blindgängern:<br />
* 1996: 250-Kilogramm-Blindgänger wird gesprengt<br />
* 2008: 227-Kilogramm-Bombe in der Altstadt<br />
* 2010: Fünf-Zentner-Bombe am [[Taschenberg]] entdeckt, 4.500 Menschen wurden evakuiert, Bombe konnte nicht entschärft werden<br />
* Juni 2016: Kontrollierte Sprengung einer 800-Kilogramm-Bombe, Leimbach und Steigerthal mussten geräumt werden (1.080 Einwohner) <br />
* Dezember 2016: Fünf-Zentner-Bombe am [[Strohmühlenweg]], ca. 1000 Einwohner, so auch die Hochschule Nordhausen, wurden evakuiert<br />
* September 2017: Bombe auf einem Feld in der [[Windlücke]], ca. 3000 Einwohner evakuiert, Bombe entschärft<ref>https://www.nnz-online.de/news/news_lang.php?ArtNr=219719</ref><br />
* Oktober 2018: Bombe in der Windlücke, ca. 3000 Einwohner evakuiert, Bombe entschärft<ref>https://www.nnz-online.de/news/news_lang.php?ArtNr=243515</ref><br />
* November 2018: Bombe in Bielen, 1.1000 Einwohner wurden evakuiert (Sperrzone 1 Kilometer), Bombe entschärft<br />
* August 2019: 225-Kilogramm-Bombe an der [[Zorge]], 2.500 Einwohner wurden evakuiert (Sperrzone 500 Meter), Bombe entschärft und Zünder gesprengt<br />
* November 2019: 225-Kilogramm-Bombe am [[Stadttheater]], ca. 15.000 Einwohner wurden evakuiert (Sperrzone 1 Kilometer), Bombe entschärft und Säurezünder gesprengt. Es war die größte Evakuierungsaktion in Nordhausen nach dem Zweiten Weltkrieg.<ref>MDR, 8. November 2019</ref><br />
<br />
== Rezeption ==<br />
[[Datei:Nordhausen mahnt 1949.jpg|thumb|200px|Werbeplakat zur Ausstellung „[[Nordhausen mahnt - Ausstellung vom 6. bis 27. März 1949|Nordhausen mahnt]]“ im März 1949]]<br />
Luftangriffe waren im Zweiten Weltkrieg für alle Kriegsparteien zum entschiedenen strategischen Kriegskonzept geworden. Die Westalliierten glaubten durch die planmäßige und massive Zerstörung deutscher Städte, vor allem der Wohngebiete der Industriearbeiter, die Moral und den Widerstandswillen der Bevölkerung zu brechen und den Krieg schneller beenden zu können.<ref>Johannes Volker Wagner: ''Bomben auf Bochum''. S. 3.</ref> Im Januar 1943 einigten sich Großbritannien und die Vereinigten Staaten in Casablanca auf die Forderung nach bedingungsloser Kapitulation des Deutschen Reiches und auf eine weitere Verschärfung des Bombenkrieges. Zu dieser Zeit war die deutsche Luftabwehr längst nicht mehr in der Lage, das Reichsgebiet zu verteidigen. Die Alliierten erreichten ihr Ziel der Demoralisierung jedoch nicht, und viele Deutsche klammerten sich in Verzweiflung an die Hoffnung auf einen „Endsieg“.<br />
<br />
<!-- Auszug aus „Winston Churchill“. Der späte Held, eine Biographie von Thomas Kielinger, erschienen im Verlag C.H. Beck, Kapitel XY, Seite 301 ff.: Nach dem Kriege stand eine andere Verantwortung Churchills im Vordergrund – „für die Vernichtung von nahezu 60 der größten Städte Deutschlands“. „Mit dem Untergang Dresdens sind auch nachdenkliche Briten bis heute nicht fertig. Die Zweifel, ob die Zerstörung dieser und anderer Städte so kurz vor dem nahen Kriegsende zu rechtfertigen war, haben sich längst zu dem Urteil verdichtet: Sie war es nicht! ... Hilft es zur Erklärung darauf hinzuweisen, dass in der Schlussphase des Krieges deutsche V1- und V2-Waffen weiterhin Zerstörung auf Antwerpen, Paris und London regnen ließen? Eine V2 schlug noch am 27. März 1945 im Osten Londons ein und tötete 134 Menschen. Die britische öffentliche Meinung hätte es nicht verstanden, wenn die mili-tärische Führung auf Schonung des Gegners geschaltet hätte, wo dieser bis zum Ende Vernichtung spie.“<br />
<br />
„Aber die alte Frage bleibt, die Lothar Kettenacker 2003 in dem Sammelband „Ein Volk von Opfern?“ noch einmal stellte – „ob der Zweck die Mittel heiligt, ob die Beseitigung einer unheilvollen Diktatur die rücksichtslose Bombardierung der Bevölkerung rechtfertigt. Unbehagen äußerte Churchill selbst schon 1943, als ihm Bilder von den Auswirkungen der Bomben in Deutschland vorgelegt wurden ...“ Der Australier Ricard Casey, der an den Sitzungen des britischen Kriegsrates ... teilnahm, schrieb am 27. Juni 1943 in sein Tagebuch: „Es wird ein Film gezeigt über das nächtliche Bombardement einer deutschen Stadt, und plötzlich richtet sich Churchill steil in seinem Sessel auf und sagt zur mir: ‚Sind wir Bestien? Gehen wir nicht zu weit? <br />
<br />
Churchills Meinungen zum Bombenkrieg gegen Deutschland schwankten. Nach der Zerstörung Dresdens begegnet man bei ihm, spät, einer eindeutigen Ablehnung, so in dem berühmten Memorandum vom 28. März 1945:‚Der Moment scheint mir gekommen, wo die Frage der Bombardierung deutscher Städte zum Zwecke der Erhöhung des ''''terrors'''' (in Englisch mit der Bedeutung von Angst und Schrecken) auch wenn wir andere Vorwände nennen, überprüft werden sollte... Es ist nötig, dass wir uns mehr auf militärische Ziele konzentrieren wie Öllager und Kommunikationszentren hinter der unmittelbaren Kampfzone, statt auf Akte des reinen terrors und der mutwilligen Zerstörung’.“<br />
„Nicht umsonst nannte man Harris auch den ‚butcher’, den Metzger. . . Schon Max Hastings (stockkonservativer Historiker) nannte in seinem Klassiker von 1979 ‚Bomber Command’ die Auslöschung deutscher Städte noch im Frühjahr 1945 ‚einen bleibenden Schandfleck’,“ soweit Kielinger. Nach Kriegsende zog sich Harris verbittert nach Südafrika zurück, weil er sich nicht gebührend geehrt vorkam. Luftangriffe hatte Harris als „relativ humane Methode“ bezeichnet. Butcher wurde er nicht wegen der zivilen Bombenopfer in Deutschland genannt, sondern weil 55 000 Angehörige des Bomber Command vom Feindflug nicht heimkehrten – jeder zweite Pilot und Bordschütze. --><br />
<br />
Im März 1945 hatte sich das Angriffstempo der US-Streitmacht im Vergleich zu den Vormonaten verlangsamt.<ref name="Gewiger158">Geiger: ''Nordhausen im Bombenvisier''. S. 158 f.</ref> Um dennoch den Stoß in das Zentrum Deutschlands als strategisches Ziel zügig fortzuführen, waren die Westalliierten zum Einsatz aller Mittel entschlossen, auch in Anbetracht eventuell noch bevorstehender Kämpfe und Widerstand im Südharz. Die Stadt Nordhausen erhielt daher militärische Bedeutsamkeit für die 1. US-Armee, auch wegen des Verschiebebahnhofs für Truppenbewegungen. Der unterirdische Rüstungsbetrieb im [[Kohnstein]] und das [[Konzentrationslager Dora Mittelbau]] wurden dagegen nie zum Ziel von Luftangriffen. <br />
<br />
Nordhausen und Umgebung wurden Ende 1944 von britischen Fernaufklärern nachts unter tagheller Beleuchtung durch Magnesiumbomben sorgfältig aus der Luft fotografiert.<ref>Manfred Schröter: ''Die Zerstörung Nordhausens''. Nordhausen 1988, S. 55</ref> Die Bombardierung von Nordhausen wurde am 2. April 1945 vom Alliierten Oberkommando (SHAEF) befohlen.<ref name="Gewiger158"/> Gefordert wurde ein Angriff zur Unterstützung der 1. US-Armee mit Priorität zur frühestmöglichen Gelegenheit. Einige Tage zuvor wurde vom SHAEF die Zerstörung durch die RAF beschlossen.<ref>Manfred Schröter: ''Die Zerstörung Nordhausens''. Meyenburg-Museum Nordhausen, 1988, S. 54–55</ref><br />
<br />
Dieses, geführt von Luftmarschall Arthur Harris, erteilte am 2. April den unmittelbaren Befehl für einen Doppelschlag an zwei Tagen.<ref>Walter Geiger: ''Nordhausen im Bombervisier''. Nordhausen 2000, S. 108–109</ref> Der Zweck der RAF-Angriffe im April 1945 bestand darin, den Weg für einen ungehinderten Vormarsch von der im Südharzer Raum erwarteten Gegenwehr freizumachen. 3.466 britische Soldaten sollten als fliegendes Personal an den Angriffen teilnehmen. Ihnen wurde als Ziel des Angriffs erklärt: „To kill military and Nazi personnel evacuated from Berlin to these barracks“ (gemeint das Areal der Boelcke-Kaserne und die Stadt Nordhausen).<ref>Geiger: ''Nordhausen im Bombenvisier''. S. 121 </ref><br />
<br />
<!-- Bitte Quelle angeben!(Wie aus dem Text eindeutig hervorgeht: Der genannte Journalist und Gesprächspartner Dr. Meyers!) Der gebürtige Nordhäuser [[Manfred Neuber]], als Journalist von 1960 bis 1963 in London und New York, recherchierte als erster bei der Royal Air Force und der US Air Force über die Luftangriffe auf Nordhausen. Aus den detaillierten Angaben ging hervor, dass allein Bomber der Royal Air Force Nordhausen angegriffen hatten. Die SED-Propaganda hatte behauptet, es habe sich um „amerikanische Terrorangriffe“ gehandelt. So stand es auch Jahre auf der Gedenkstele für die Opfer der Luftangriffe neben dem Alten Rathaus. Neuber hatte Gelegenheit, im Jahre 1964 in Bad Lauterberg mit Dr. [[Herbert Meyer]], Oberbürgermeister Nordhausens vor Kriegsende 1945, über die Bombenangriffe zu sprechen. Dabei widerlegte Meyer noch Jahre nach dem Kriege kursierende Gerüchte, die Luftangriffe hätten eigentlich der Stadt Gotha gelten sollen. Weil die Verantwortlichen dort kapituliert hätten, sei Nordhausen angegriffen worden, weil es nicht ebenso gehandelt habe. Meyer versicherte, es habe keine Aufforderung zur Übergabe der Stadt gegeben. Zum Zeitpunkt der Luftangriffe standen die US-Panzerspitzen noch im Raume Kassel. --><br />
<br />
=== Vermutungen und Gerüchte über den Großangriff ===<br />
<br />
* Nordhausen soll Aufforderung zur kampflosen Übergabe ausgeschlagen haben.<br />
** Der Nordhäuser Oberbürgermeister bei Kriegsende, [[Herbert Meyer]], widersprach dieser Darstellung in einem Gespräch mit dem Journalisten Manfred Neuber um 1964 in Bad Lauterberg: „An die Stadtverwaltung ist niemals bis zu den Angriffen eine Aufforderung der Amerikaner ergangen, Nordhausen zur offenen Stadt zu erklären. Ich möchte bezweifeln, dass sie an Kreisleiter Nentwig ergangen ist.“<ref name="Sting252">Heinz Sting: ''Das 1000-jährige Nordhausen und der schöne Südharz''. Hannover: Nordhäuser Heimatfreunde, 1965. S. 252.</ref><br />
<br />
* Nordhausen wurde durch die US-Luftwaffe zerstört.<br />
** Es ist unbestritten und belegt, dass britische Bomber die Stadt zerstörten. „Die Einsatzbefehle der 8. US-Luftflotte sahen weder am 3. noch am 4. April 1945 Nordhausen als Ziel vor. Die Operationsberichte der 8. Luftflotte geben auch keinen Großangriff auf Nordhausen an einem dieser beiden Tage an. Der Hauptzielplan für die amerikanischen Heeresflieger in Europa während des Zweiten Weltkrieges führt ebenfalls keinen Angriff auf Nordhausen im April 1945 auf“, teilte das amerikanische Aerospace Studies Institute auf Anfrage des Journalisten Manfred Neuber zu Beginn der 1960er Jahre schriftlich mit. „Aus anderen Quellen ist zu entnehmen“, gab der Leiter für geschichtliche Studien an diesem Institut der US Air Force University auf der Maxwell Air Base in Montgomery/Alabama, bei den Recherchen des Journalisten zu Protokoll, „dass am 3.und 4 .April 1945 vom Bomber Command der Royal Air Force schwere Angriffe auf Nordhausen geflogen wurden.“ Diese Angaben wurden von der Air Historical Branch im britischen Verteidigungsministerium (damals noch Ministry of War) dem Rechercheur bestätigt. Alle hier aufgeführten Originaldokumente wurden dem Stadtarchiv Nordhausen übergeben.<br />
<br />
* Nordhausen wurde anstelle Gothas bombardiert.<br />
** Diese Behauptung wurde u. a. von [[Kurt Kohlmann]] aufgestellt. So berichtete er von zwei US-Offizieren, die entsprechende Aussagen getätigt haben sollen: „Sie erzählten mir, der Kreisleiter von Nordhausen sei dreimal aufgefordert worden zu kapitulieren. Nachdem die Faschisten (DDR-Jargon, nicht US-Offiziere) das dritte Mal abgelehnt hätten, sei ein auf Gotha angesetzter US-amerikanischer Bomberverband (Unsinn, es war die Royal Air Force) nach Nordhausen umgeleitet worden.“<ref name="Rudloff138">Jost-Dieter Rudloff: ''Warum wurde Nordhausen eine Woche vor Kriegsende 1945 in Brand gesetzt? Informationen und Überlegungen''. In: ''Beiträge zur Geschichte aus Stadt und Kreis Nordhausen (Band 44/2019)'', S. 138.</ref> Dies wurde ebenfalls von Herbert Meyer als unglaubwürdig zurückgewiesen.<ref name="Sting252"/><br />
<br />
* Nordhausen wurde wegen der Raketen-Produktion im Kohnstein bombardiert.<br />
** Den Alliierten war bekannt, dass sich im Kohnstein ein Rüstungsbetrieb befand, nicht jedoch, dass dort die V-Waffen gefertigt wurden.<ref>Jürgen Möller: ''Konzentrationslager Mittelbau-Dora''. Bad Langelsalza 2018, S. 33.</ref> Der Kohnstein war wegen der Kriegsgefangenenlager kein Angriffsziel.<ref name="Rudloff138"/><br />
<br />
* Die Nordhäuser Bevölkerung sollte wegen dem Konzentrationslager Dora-Mittelbau bestraft werden.<br />
** Dies wird durch kein Dokument der Alliierten bestätigt.<br />
<br />
* Nordhausen wurde aus militärischen Gründen bombardiert.<br />
** Die Stadt war verkehrstechnischer Knotenpunkt und Mittelpunkt der Nordthüringer Rüstungsindustrie und wurde auch von der deutschen Armeeführung als wichtig wahrgenommen.<ref name="Rudloff140">Jost-Dieter Rudloff: ''Warum wurde Nordhausen eine Woche vor Kriegsende 1945 in Brand gesetzt? Informationen und Überlegungen''. In: ''Beiträge zur Geschichte aus Stadt und Kreis Nordhausen (Band 44/2019)'', S. 140.</ref> Für das US-Militär bildete die Stadt kein strategisches Ziel mehr.<ref name="Rudloff140"/> Die Stadt Nordhausen erhielt militärische Bedeutsamkeit für die Bodentruppen der 1. US-Armee, auch wegen des Verschiebebahnhofs für Truppenbewegungen. Die Schonung der Rüstungsbetriebe mit ihrem Personal ergab sich aus der Hoffnung, möglichst viele Waffen und Fachkräfte zu erbeuten.<ref name="Rudloff140"/> Es gibt keinen Hinweis darauf, dass Nordhausen aus militärischen Gründen bombardiert wurde.<ref name="Rudloff140"/> (Doch: im SHAEF-Befehl ausdrücklich erwähnt)<br />
<br />
== Aufarbeitung und Gedenken ==<br />
=== 1945 bis 1990 ===<br />
==== DDR ====<br />
Bis zur Wiedervereinigung hielt sich die Behauptung, die United States Air Force habe Nordhausen am 3. und 4. April 1945 bombardiert. Zum einen wurde der US-Luftwaffe vorgehalten, dass die Angriffe auf Nordhausen ein Akt blinder Zerstörung und militärischer sinnlos gewesen seien, da das Ende des Dritten Reiches absehbar war. Andererseits wurde mit der „Gotha-Legende“ behauptet, dass Nordhausen bis zum Letzten verteidigt werden sollte und es deshalb zum Luftangriff kam. Damit wurde die Verantwortlichkeit für das Bombardement wahlweise den lokalen NS-Amtsträgern oder den USA zugeschrieben. <br />
<br />
Ein Interesse an einer realistischen Rekonstruktion hatte die SED auch aufgrund der Situation des Kalten Krieges nicht.<br />
Zum 40. Jahrestag der Luftangriffe wurde in der Lokalpresse erstmals von „250 britischen Lancaster-Maschinen“ gesprochen.<ref>„Die Zerstörung Nordhausens - Mahnung und Verpflichtung“, ''Das Volk'', 2. April 1985.</ref> Eine Revision der Geschichte fand jedoch nicht statt, und auch danach war mitunter vom „Zerstörungsangriff amerikanischer Bomber“ die Rede.<ref>''Unser Aktuelles Argument'', April 1985.</ref> Für die in der DDR-Propaganda kolportierte öffentliche Erinnerung erklärt sich aus dem politischen Bedürfnis, die „imperialistischen“ Angreifer als möglichst grausam und skrupellos erscheinen zu lassen, im Sinne antiamerikanischer Propaganda.<ref name="Winter63">Winter: ''Öffentliche Erinnerungen an den Luftkrieg in Nordhausen 1945 - 2005''. Marburg: Tectum-Verl., 2010. S. 63.</ref> <br />
Mit Verweis auf die Luftangriffe auf Nordhausen wurde auf tatsächliche oder vermeintliche aktuelle militärische Bedrohungen oder Konflikte Bezug genommen, z. B. auf den Vietnamkrieg. <br />
<br />
Insgesamt war die Nordhäuser Luftkriegserinnerung gekennzeichnet von einer eigentümlichen „Verwischung der Grenze zwischen Faktizität und Fiktionalität“, die nach dem Historiker Martin Sabrow typisch für das Geschichtsdenken in der DDR war.<ref>Martin Sabrow: ''Einleitung - Geschichtsdiskurs und Doktringesellschaft'', Potsdam: Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam (ZZF), 2000. S. 24.</ref><br />
<br />
Der Versuch einer wirklichen Aufarbeitung in der DDR wurde erstmals 1985 angestoßen, als [[Manfred Schröter]] anlässlich des 40. Jahrestages eine Publikation veröffentlichen wollte. Darin wurde dargelegt, dass die RAF und nicht die USAF für den Angriff im April 1945 verantwortlich gewesen war. Nachdem Schröters Buch nach Begutachtung und Korrektur durch den Historiker Olaf Groehler sowie der SED-Kreisleitung und Bezirksleitung in Druck gegangen war, konfiszierte die Kreisleitung am 29. März 1985 die gesamte Auflage und verhinderte eine Veröffentlichung.<ref name="Winter62">Winter: ''Öffentliche Erinnerungen an den Luftkrieg in Nordhausen 1945 - 2005''. Marburg: Tectum-Verl., 2010. S. 62.</ref> Vorausgegangen war ein öffentlicher Vortrag Schröters am 14. März 1985, in dem er seine Ergebnisse (im Beisein von Stasi-Spitzeln) vorstellte.<br />
<br />
Das Gedenken an die Luftangriffe wurde zu DDR-Zeiten auch stark mit dem Wieder- bzw. Neuaufbau der Stadt verwoben. In den ersten Jahren nach dem Krieg wurde vor allem zur Mithilfe agitiert, um durch das „Aufbauwerk“ einer „glücklichen, friedlichen und sonnigen Zukunft“ entgegenzutreten.<ref>„Aufbauerfolge dürfen nicht preisgegeben werden,“ ''Das Volk'', 7. April 1953.</ref> Ab Ende der 1950er Jahre verwies die SED auf die bisher erzielten Erfolge. Zum 40. Jahrestag der Bombardierung 1985 behauptete Oberbürgermeister [[Peter Heiter]], dass die Jahre des Sozialismus die erfolgreichsten in der über tausendjährigen Stadtgeschichte gewesen seien und verwies auf die Rolle der Partei als entscheidender Faktor für das Erreichte.<ref name="Winter81">Winter: ''Öffentliche Erinnerungen an den Luftkrieg in Nordhausen 1945 - 2005''. Marburg: Tectum-Verl., 2010. S. 100.</ref> <br />
Ein wichtiges Großereignis war die Instandsetzung des [[St.-Petri-Kirche|Petri-Turms]] mit einer neuen Turmspitze zum 42. Jahrestag 1987 als „wiedererstandendes Wahrzeichen“.<ref>„Kupferhelm für den Petritum“, ''Das Volk'', 7. April 1987.</ref><br />
In der Festschrift (1050 Jahre Nordhausen", 1977 herausgegeben vom Magistrat, heißt es: "Für den ausgesprochenen Terrorcharakter der<br />
anglo-amerikanischen Luftangriffe spricht auch, dass die Hauptstraßen des Schienen- und Straßenverkehrs funktionstüchtig blieben und die<br />
militärischen Anlagen der Stadt, insbesondere das Flugplatzgelände, weiter den Machthabern des Dritten Reiches für ihre verbrecherische <br />
Politik zur Verfügung standen."<br />
Die Festschrift hebt hervor: "Das heutige Nordhausen entwickelt sich dank der schöpferischen und angestrengten Arbeit der Arbeiterklasse<br />
und aller Bürger unserer Stadt, auf festen sozialistischen Fundamenten. Ständig entsteht Neues, man braucht sich nur umzuschauen."<br />
Dagegen bemerkte das "Bad Lauterberger Tageblatt" (Ausgabe vom 3./4. April 1985, Seite 3): "Der Wiederaufbau Nordhausens begann<br />
erst sehr spät und sehr schleppend. Noch immer bildet der alte Stadtkern eine weithin kahle Fläche."<br />
<br />
==== BRD ====<br />
<br />
In der Bundesrepublik wurde das Gedenken von dem Verein [[Nordhäuser Heimatfreunde]] getragen. Die erste gedruckte Ausgabe der Vereinszeitung ''[[Nordhäuser Nachrichten]]'' widmete sich der Zerstörung Nordhausens und auch in den folgenden Jahren bildete es ein wiederkehrendes Themenfeld mit zahlreichen Erlebnisberichten. Die Rolle des Vereinsvorsitzenden und früheren Nordhäuser NSDAP-Oberbürgermeisters [[Heinz Sting]] zum Gedenken wird kritisch gesehen.<ref name="Winter83">Winter: ''Öffentliche Erinnerungen an den Luftkrieg in Nordhausen 1945 - 2005''. Marburg: Tectum-Verl., 2010. S. 83 ff.</ref> So sei Sting zwar bemüht gewesen, klarzustellen, dass nicht die US-Luftwaffe die Stadt bombardierte, doch zeigte er sich auch bestrebt, die Rolle des Nationalsozialismus zu relativieren.<br />
<br />
Diese historischen Fakten hatte der Journalist [[Manfred Neuber]] schon vor 1965 in US- und britischen Archiven ermittelt und publiziert (''Bad Lauterberger Tageblatt'' um 1964 und am 3./4. April 1985 in „Das Drama von Nordhausen“, in der ''Herzberger Zeitung'' und im späteren ''HarzKurier'' in Herzberg, im ''Göttinger Tageblatt'' sowie Erwähnung in den ''Nordhäuser Nachrichten'').<br />
[[Herbert Meyer]], Oberbürgermeister Nordhausens in den letzten Kriegstagen und später Stadtdirektor in Bad Lauterberg, versicherte Manfred Neuber 1964 in einem Gespräch über dessen Recherchen in Großbritannien und in den USA, die Stadt Nordhausen habe keine Aufforderung der Alliierten erhalten, Nordhausen zur offenen Stadt zu erklären. Eine Entscheidung darüber hätte auch nicht in seiner Kompetenz gelegen: „Ob eine solche Aufforderung an den Kreisleiter Hans Nentwig ergangen ist und ob dieser sich geweigert hat, ihr nachzukommen, weiß ich nicht. Ich möchte es aber bezweifeln“, erklärte Meyer (Originalzitat in den Aufzeichnungen über das Treffen). Der NSDAP-Kreisleiter [[Hans Nentwig]] hatte das Bombardement in seiner Ausweich-Befehlsstelle unbeschadet überstanden. Er lebte in der Nachkriegszeit in Katlenburg. Von der marxistischen Geschichtsschreibung in der DDR wurde ihm wegen „seiner verbrecherischen Durchhalte-Politik“ eine Hauptschuld an der Zerstörung Nordhausens zugeschrieben.<br />
<br />
=== Seit 1990 ===<br />
<br />
Der 50. Jahrestag der Luftangriffe 1995 wurde mit einer Gedenkwoche unter der Losung „Nordhausen 1945: Erinnerung – Trauer – Mahnung“ weitaus größer begangen als die Jahre zuvor. 1993 hatte das Stadtarchiv angekündigt, diverse Maßnahmen einzuleiten, um ein würdiges Gedenken zu gewährleisten. Darunter zählte das Sammeln von Zeitzeugenberichten, realisierte Veranstaltungen und Projekte sowie die Planung einer Publikation zum Thema. Am 30. März 1995 wurde eine Metallplastik auf der oberen Plattform des Petri-Turms enthüllt und einen Tag später eine Ausstellung mit Fotos und Dokumenten eröffnet. Zudem erschien unter der Leitung des Stadtarchivars [[Peter Kuhlbrodt]] das Buch ''[[Schicksalsjahr 1945 – Inferno Nordhausen]]''. In den folgenden Tagen wurde ein ökumenischer Gedenkweg abgehalten, es gab Kranzniederlegungen am Gedenkstein auf dem Hauptfriedhof, dem Ehrenfriedhof und an der Boelcke-Kaserne. Begleitet wurde das Gedenken mit einer umfassenden Berichterstattung in der Presse, die auch überregional wirkte. <br />
<br />
Nach dem Jahr 1995 wurden die Jahrestage der Luftkriegserinnerung weitaus kleiner begangen.<ref name="Winter100"/> Ab Ende der 1990er Jahre erfolgte wieder eine allgemeine Repolitisierung der Luftkriegserinnerung.<ref name="Winter100">Winter: ''Öffentliche Erinnerungen an den Luftkrieg in Nordhausen 1945 - 2005''. Marburg: Tectum-Verl., 2010. S. 100.</ref> Es zeigte sich, dass sich die öffentliche Erinnerung mehr auf gegenwärtige Ereignisse als auf die Jahre des Zweiten Weltkrieges zu beziehen schien; so werden stärkere Bezüge zu außenpolitischen Themen<ref>Winter: ''Öffentliche Erinnerungen an den Luftkrieg in Nordhausen 1945 - 2005''. Marburg: Tectum-Verl., 2010. S. 101.</ref> oder Exkurse zum Rechtsextremismus hergestellt.<ref>[https://www.nnz-online.de/news/news_lang.php?ArtNr=108899 Zum Umgang mit der Bombardierung], nnz-online, 3. April 2012.</ref> Im Vergleich zu DDR-Zeiten wurde das Spektrum der Erinnerungsakteure erweitert, und vor allem die Kirche rückte in den Vordergrund. <br />
<br />
Seit den 2000er Jahren wird der Jahrestag der Luftangriffe mit der üblichen Kranzniederlegung an der Gedenkstele am Rathaus begangen. Seit 2017 werden statt Kränzen weiße Rosen niedergelegt.<ref>[https://www.nnz-online.de/news/news_lang.php?ArtNr=209936 Gedenken an der Stele], nnz-online, 3. April 2018.</ref> Im Gegensatz zu DDR-Zeiten werden Schuldzuweisungen an die Westalliierten weniger offen aggressiv und ideologisch untermauert vorgebracht.<ref>Winter: ''Öffentliche Erinnerungen an den Luftkrieg in Nordhausen 1945 - 2005''. Marburg: Tectum-Verl., 2010. S. 110.</ref><br />
<br />
=== Denkmäler ===<br />
[[File:Denkmal Bombenangriffe Nordhausen - Mai 2015.JPG|200px|thumb|Mahnmal am Alten Rathaus]]<br />
[[File:Gedenkstein Nordhausen.jpg|mini|200px|Gedenkstein am Massengrab für 600 Bombenopfer auf dem [[Zentralfriedhof an der Leimbacher Straße|Alten Friedhof]]]]<br />
* Mahnmal für die Opfer der Bombardierungen vor dem [[Altes Rathaus|Alten Rathaus]]: 1950 wurde ein Gedenkstein und eine Flammenschale am Sockel des früheren [[Lutherdenkmal]]s angebracht. Es trug die Inschrift: „4.4. 1945 - Zerstörung Nordhausens durch amerikanische Bomber - 8800 Opfer klagen an“ (''Amerikanische'' Bomber war falsch). 1969 wurde dieses Denkmal durch eine Säule des Künstlers Jürgen von Woyski ersetzt.<br />
* Auf dem [[Ehrenfriedhof]] westlich des ''Stresemann-Rings'' befindet sich ein 1999 umgestaltetes Denkmal in Erinnerung an die hier in Massengräbern beigesetzten über 1.600 KZ-Häftlinge, zum größten Teil Opfer der Luftangriffe auf die Boelcke-Kaserne am 3. und 4. April 1945. Viele Nordhäuser zivile Bombenopfer und Soldaten wurden auf dem nördlichen Teil des Sonderfriedhofs, des jetzigen Ehrenfriedhofs, oberhalb des Denkmals in Massengräbern beerdigt.<ref>Manfred Schröter: ''Die Zerstörung Nordhausens''. Nordhausen: Meyenburg-Museum, 1988. S. 59</ref><br />
* Auf dem ''Hauptfriedhof'' findet sich ein Denkmal, das die zusammenfassende Inschrift trägt: „Zum Gedenken an die Gefallenen und Vermissten beider Weltkriege, die Toten der Bombenangriffe, die Opfer aller Gewaltherrschaft. Die Bürger der Stadt Nordhausen“. Links seitlich von dem Denkmal, vor dem begrenzenden Zaun, wurde eine größere Anzahl von Bombentoten in Gemeinschaftsgräbern beigesetzt.<ref> Manfred Schröter: ''Die Zerstörung Nordhausens''. Nordhausen: Meyenburg-Museum, 1988. S. 59-60 </ref> Dort stehen noch einige große Kreuze, die wohl darauf hinweisen.<br />
<br />
== Zitate ==<br />
<br />
* „Das Ausmaß des Schreckens, der Verwüstung und des Todes, von dem unsere Stadt an jenen Apriltagen erfasst wurde, macht sie praktisch zu einem Synonym für die japanischen Städte Hiroshima und Nagasaki. Denn vergleicht man auf Airfotos ihre zerstörten Zentren, so lässt sich schwerlich ein gradueller Wirkungsunterschied erkennen.“ – ''[[Walter Geiger]]: [[Nordhausen im Bombenvisier]], S. 154.''<br />
* „Nordhausen wurde am 3. und 4. April 1945 zerstört, weil der ehrgeizige britische Luftmarschall Sir Arthur Harris dem britischen Volk und den Alliierten zeigen wollte, dass sein "Bomber Command" das Handwerk des Tötens von deutschen Menschen perfektioniert hatte. Er löste einen furchtbaren Flächenbrand aus mit den stärksten Mitteln, die ihm zur Verfügung standen. Besonders verwerflich ist, dass er die Bombenziele auf die Nordhäuser Altstadt konzentrierte. Infam ist auch, dass er noch in den letzten Kriegstagen die Altstadt von Nordhausen mit einer nie vorher verwendeten Bomben-Mischung auslöschte. Er handelte trotzig wie ein Kind, dem man das Spielzeug wegnehmen will. Harris wollte sich in letzter Stunde in Nordhausen ein Denkmal aus Leichen und Ruinen setzen.“ – ''[[Jost-Dieter Rudloff]]: Warum wurde Nordhausen eine Woche vor Kriegsende 1945 in Brand gesetzt? Informationen und Überlegungen. In: [[Beiträge zur Geschichte aus Stadt und Kreis Nordhausen (Band 44/2019)]], S. 141.''<br />
<br />
== Literatur ==<br />
*Jost-Dieter Rudloff: ''Warum wurde Nordhausen eine Woche vor Kriegsende 1945 in Brand gesetzt? Informationen und Überlegungen''. In: ''[[Beiträge zur Geschichte aus Stadt und Kreis Nordhausen (Band 44/2019)]]''.<br />
*Harald Rockstuhl (Hrsg.): ''[[Nordhausen – Luftbild-Atlas 1935–1945]]''. Bad Langensalza: Verlag Rockstuhl, 2017. ISBN 978-3959662833<br />
*[[Walter Geiger]]: ''[[Nordhausen im Bombervisier]]''. Nordhausen: Neukirchner, 2000. ISBN 3-929767-43-0<br />
*Olaf Groehler: ''Bombenkrieg gegen Deutschland''. Berlin: Akad.-Verl., 1990. ISBN 3-05-000612-9<br />
*[[Peter Kuhlbrodt]]: ''[[Inferno Nordhausen – Schicksalsjahr 1945]]''. Nordhausen: Archiv der Stadt Nordhausen, 1995. ISBN 3-929767-09-0<br />
*[[Martin Clemens Winter]]: ''[[Öffentliche Erinnerungen an den Luftkrieg in Nordhausen 1945 - 2005]]''. Marburg: Tectum-Verl., 2010. ISBN 9783828822214 <br />
*''Schicksale deutscher Baudenkmale im Zweiten Weltkrieg''. (Bd. 2) Berlin: Henschelverlag Kunst u. Gesellschaft, 1978.<br />
<br />
== Externe Verweise ==<br />
* [https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/1/1f/Nordhausen_concentration_camp_newsreel.webm Filmaufnahmen von der Boelcke-Kaserne (1945)]<br />
<br />
== Einzelnachweise ==<br />
<br />
<references/><br />
<br />
[[Kategorie:Geschichte]]</div>Latimer Rexhttps://nordhausen-wiki.de/index.php?title=Luftangriffe_auf_Nordhausen&diff=15661Luftangriffe auf Nordhausen2020-02-09T11:21:16Z<p>Latimer Rex: /* Rezeption */</p>
<hr />
<div>[[Datei:Marktkirche Rathaus Nordhausen 1945.jpg|thumb|300px|[[Marktkirche]], [[Altes Rathaus|Rathaus]] und [[Stadthaus]] nach den Luftangriffen]]<br />
Die '''Luftangriffe auf Nordhausen''' am 3. und 4. April 1945 durch Bomber der britischen Royal Air Force zerstörten Dreiviertel der Stadt. Dabei kamen über 8.800 Menschen ums Leben, weitere 20.000 wurden obdachlos. Mit einem Wohnungszerstörungsgrad von 55% (10.000 Wohnungen) gehörte Nordhausen zu den am schwersten zerstörten deutschen Städten; zahlreiche Denkmale von hervorragender Bedeutung, darunter die für Nordhausen charakteristischen Fachwerkbauten des 13. bis 19. Jahrhunderts, wurden vernichtet. Der historische Stadtkern, die Neustadt und die Gebäude um die [[Frauenbergkirche]] wurden fast gänzlich eingeebnet. Erhalten blieben die Gebiete westlich und nördlich der [[Stadtmauer]], [[Barfüßerstraße]], [[Kalte Gasse]], Teile des historischen [[Königshof]]s sowie der Stadtteil [[Altendorf]]. Ein Großteil der stark beschädigten Bauwerke wurde nach dem Zweiten Weltkrieg abgerissen. <br />
Die zerstörerische Gesamtwirkung aller Bomben und Luftminen war von keinem Einzelangriff im Luftkrieg gegen Deutschland auch nur annähernd erreicht worden.<ref>Geiger: ''Nordhausen im Bombenvisier''. S. 150.</ref> Bei der Bombardierung von Nordhausen handelte es sich um die größte Katastrophe in ihrer tausendjährigen Stadtgeschichte. <br />
<br />
== Nordhausen im Krieg ==<br />
Nordhausen hatte vor dem Zweiten Weltkrieg ca. 42.000 Einwohner. Während des Krieges stieg deren Zahl durch Ortsfremde (Luftkriegsevakuierte, Flüchtlinge, ausländische Arbeitskräfte, Verwundete und Kriegsgefangene) Anfang März 1945 auf 65.000 Einwohner.<ref>Peter Kuhlbrodt (Hrsg.): ''Schicksalsjahr 1945. Inferno Nordhausen''. Nordhausen: Archiv der Stadt Nordhausen, 1995. S. 20, 33 </ref> Insbesondere für Evakuierte aus Berlin, Hamburg und Westdeutschland waren Stadt und Kreis Nordhausen als Aufnahmeräume ausgewiesen.<br />
<br />
Der Bau von Luftschutzanlagen begann im Spätsommer 1943. Viele Bunkeranlagen in der Innenstadt blieben unvollendet. Am 29. November 1943 wurde für Nordhausen ein Evakuierungsplan, der Aussiedlungsrichtungen und Aufnahmegebiete festlegte, ausgearbeitet.<ref>Geiger: ''Nordhausen im Bombenvisier''. Nordhausen: Verlag Neukirchner, 2000. S. 65</ref><br />
<br />
{| class="wikitable sortable"<br />
|+ style="padding-bottom:1em" | Bis zum 22. Februar 1945 realisierte Stollenabschnitte<ref>Ullrich Mallis: ''Der Luftschutzstollen am Johanneshof / Neuer Weg. Ein Nordhäuser Baudenkmal'', in: ''[[Nordhäuser Nachrichten. Südharzer Heimatblätter (2/2011)]]'', S. 10.</ref><br />
|- class="hintergrundfarbe6"<br />
! class="unsortable" | Stollenabschnitte !! class="sortable" | Länge !! class="unsortable" | Herstellung !! class="unsortable" | Ausbauart !! class="unsortable" | Bemerkung<br />
|-<br />
| Stollen IA, Mühlhof || style="text-align:right" | 55,00 m<br />
| Okt. 1943 – Febr. 1944 || Beton, 27,5 m nur Holzausbau || Richtung Loge<br />
|-<br />
| Fluko-Bunkerzugang || style="text-align:right" | 2,40 m<br />
| Febr. – März 1944 || Eisenbetongewölbe || IA, > 40 m links<br />
|-<br />
| Kreuz IA-Stummel || style="text-align:right" | 0,50 m<br />
| März 1944 || Eisenbetongewölbe, wie das gesamte Kreuz IA || Drehscheibe<br />
|-<br />
| Stollen IB, Johannishof || style="text-align:right" | 38,50 m<br />
| Nov. 1943 – April 1944 || Beton, 22,5 m mit Firstschienen || noch begehbar<br />
|-<br />
| Stollen von IA nach IB || style="text-align:right" | 66,10 m<br />
| März 1944 – Nov. 1944 || Beton || Durchschlag im Nov. 1944<br />
|-<br />
| Stollen von IB nach IA || style="text-align:right" | 38,25 m<br />
| April 1944 – Nov. 1944 || Beton || Durchschlag im Nov. 1944<br />
|-<br />
| Oststollen, von IA-IB ab || style="text-align:right" | 21,75 m<br />
| Dez. 1944 – Febr. 1945 || Seitenbeton, Art des Firstausbaues nicht benannt || <br />
|-<br />
| Südstollen IC, ab IB || style="text-align:right" | 49,75 m<br />
| April 1944 – Febr. 1945 || || zum Lohmarkt<br />
|-<br />
| class="hintergrundfarbe5" | Gesamt: || style="text-align:right" class="hintergrundfarbe5" | 272,25 m<br />
| class="hintergrundfarbe5" | Okt. 1943 – Febr. 1945 || class="hintergrundfarbe5" | || class="hintergrundfarbe5" |<br />
|}<br />
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<br />
<br />
Als Garnisonstadt hatte Nordhausen keine ältere Tradition. Ab 1935 wurde im Süden die [[Boelcke-Kaserne]] errichtet, mit Unterkünften und Fahrzeughallen; sie diente der Ausbildung von Luftnachrichtensoldaten. Daneben entstanden ein Fliegerhorst als Ausbildungsplatz und zeitweise Flugzeugwerft. Bis März 1945 wurden hier Flugzeuge für den Mistelschlepp ("Huckepack"-Flugzeuge) montiert und Piloten dafür geschult. Sonst diente der Fliegerhorst 1945 noch zum Auftanken von Jagdflugzeugen. In provisorischen Unterkünften in der Stadt gab es die evakuierte "Marineverwaltung West". In der Stadt und ihrer nahen Umgebung existierten viele Lazarette mit insgesamt etwa 1.000 Verwundeten. Die Lazarette und Krankenhäuser trugen weithin sichtbare große Rotkreuz-Symbole auf den Dächern. <br />
<br />
Das [[Mittelwerk GmbH|Mittelwerk Dora]] bei Nordhausen produzierte Anfang April 1945 keine V-Waffen oder andere Rüstungsgüter mehr. Die dort Beschäftigten, unter ihnen Tausende von Häftlingen des KZ Mittelbau-Dora und Zwangsarbeiter, wurden evakuiert. Das Werk oder seine Verkehrsanbindungen waren nie Ziel alliierter Luftangriffe. <br />
<br />
Die frühere [[KZ-Außenlager Boelcke-Kaserne|Boelcke-Kaserne]] wurde seit Herbst 1943 nicht mehr militärisch genutzt. Sie hatte seitdem Tausende von Arbeitern, später auch Flüchtlinge aufgenommen. Seit 8. Januar 1945 existierte ein bald überfülltes Häftlingslazarett in der Anlage.<ref> Manfred Schröter: ''Die Zerstörung Nordhausens''. Nordhausen: Meyenburg-Museum, 1988. S. 6-8 </ref> Im Februar kamen zeitweise 3.500 Häftlinge aus dem KZ Groß-Rosen dazu.<ref> Walter Geiger: ''Nordhausen im Bombervisier''. Nordhausen: Verlag Neukirchner, 2000. S. 258 </ref><br />
<br />
== Erste Angriffe ==<br />
In der Nacht vom 25. August auf den 26. August 1940 griffen zwei britische Bomber vom Typ Handley Page Hampden den [[Flugplatz von Nordhausen]] an und warfen vier Bomben ab.<ref>Geiger: ''Nordhausen im Bombenvisier''. S. 61 f.</ref> Es entstand ein kleiner Brand, der bald gelöscht werden konnte. <br />
<br />
Von 1940 bis 1943 gab es insgesamt 72 öffentliche Luftwarnungen und Fliegerarlarme für Nordhausen. Als sich die alliierten Luftangriffe im Jahr 1944 auf die im Hinterland gelegenen deutschen Städte intensivierten, wurde Nordhausen verstärkt Überflugsort alliierter Bomberverbände, etwa wenn sie Berlin, Dessau oder Leipzig anflogen. Im März 1945 erreichten die durchschnittlich fünf bis sechs Luftalarme ihren Höhepunkt.<ref>Geiger: ''Nordhausen im Bombenvisier''. S. 98 f.</ref> <br />
<br />
Am 12. April 1944 flogen während der Mittagszeit zwei aus südlicher Richtung kommende amerikanische Jäger die Stadt an und töteten zwei Menschen, zwei Personen wurden schwer verletzt.<ref>Geiger: ''Nordhausen im Bombenvisier''. S. S 221 f.</ref> <br />
<br />
[[Datei:Luftangriffe Nordhausen Traueranzeige.jpeg|thumb|Traueranzeige vom 26. Februar 1945]]<br />
<br />
Am 22. Februar 1945 griffen gegen 12:30 Uhr US-amerikanische Bomber den Verschiebebahnhof an, trafen jedoch die Unterstadt, einige Anlagen des Industriegebietes und die vormalige Fernmeldeschule der Luftwaffe in der [[Boelcke-Kaserne]]. Insgesamt fielen 296 Mehrzweckbomben und töteten 40 Menschen. Im ''[[Südharzer Kurier]]'' erschien am 26. Februar eine Todesanzeige für die „Gefallenen des Terrorangriffs“ mit der Ankündigung zur Beisetzung. <br />
<br />
Am 28. Februar 1945 warfen drei amerikanische Maschinen 2,5 Tonnen Sprengbomben auf die Stadt ab. <br />
<br />
Am 1. April 1945 wurden das Auto-Hotel Hesse durch Bomben getroffen und zahlreiche Menschen getötet.<br />
<br />
== Großangriffe im April 1945 ==<br />
[[File:Avro Lancaster Mk 1 ExCC.jpg|thumb|Langstreckenbomber vom Typ ''Avro Lancaster'', wie sie bei der Bombardierung von Nordhausen zum Einsatz kamen.]]<br />
[[File:Mosquito 600pix.jpg|thumb|Zielmarkierer ''De Havilland Mosquito'' (1944)]]<br />
Am 3. April 1945 starteten gegen 13 Uhr die englischen Bomberverbände und erreichten Nordhausen um 16 Uhr. Die 247 Avro-Lancaster-Bomber (Tragfähigkeit je 6 Tonnen Bombenlast) und 9 Mosquito-Mehrzweckflugzeuge warfen in 20 Minuten ca. 1.216 Tonnen Sprengbomben ab und trafen vor allem die Außenbezirke von Nordhausen.<ref>Groehler: ''Bombenkrieg gegen Deutschland'', S. 422.</ref> Im Stadtinnern fielen Bomben um die [[Neustadt-Kirche]] und [[Neustadtstraße]]. In den umliegenden Wäldern und Ortschaften [[Sundhausen]], [[Bielen]], [[Himmelgarten]], [[Leimbach]] und [[Krimderode]] fielen schwere Bomben und Luftminen. Getroffen wurde auch die mit kranken Häftlingen überbelegte [[Boelcke-Kaserne]], wo allein in einer mit Tuberkulose-Kranken belegten Flugzeughalle 450 Menschen den Tod gefunden haben sollen.<ref>Wagner: ''Produktion des Todes.'' S. 280</ref> Die Stadt ohne Strom und Leitungswasser. Die Verletzten wurden gesammelt und nach [[Neustadt/Harz|Neustadt]] und [[Sülzhayn]] gebracht, die Ausgebombten erhielten Notquartiere in der Stadt selbst und ihrer Umgebung. Viele Nordhäuser flüchteten aus der Stadt. Zwei Stollen der unterirdischen Anlagen von Mittelbau Dora im Kohnstein nahmen bereits am 3. April Geflüchtete auf, später wurden es 10.000. Das Stadtkrankenhaus war beschädigt, die Patienten wurden in Notkrankenhäuser in das benachbarte [[Petersdorf]] gebracht, vor allem in das Ausflugsrestaurant Harzrigi.<ref> Manfred Schröter: ''Die Zerstörung Nordhausens''. Nordhausen: Meyenburg-Museum, 1988. S. 22, 23 </ref> Bomben fielen auch auf mehrere benachbarte Dörfer und deren Flur, besonders betroffen war Bielen. Zwei Bomber gingen beim Hin- und Rückflug verloren. Der erste Angriff erzielte die gewünschte Wirkung jedoch nicht. Der Angriff am 3. April war aus Sicht der RAF ein Misserfolg.<!-- (Quelle?) --> Viele Einwohner zogen am Abend des 3. April zum nahen [[Kohnstein]], wo die mittlerweile fast verlassenen Stollen des Mittelwerks Schutz boten.<br />
<br />
{{Zitat|Die Stadt ist schwer getroffen, aber sie ist noch eine organisierte Gemeinschaft… Gegenseitige und Nachbarschaftshilfe wird geleistet. Die Stadtverwaltung und die Luftschutzleitung setzen ihre Kräfte ein. Rotes Kreuz und die Krankentransporte kommen an die Schwerpunkte. Man leitet die Evakuierung des beschädigten Krankenhauses ein. Die Verletzten des Angriffs werden geborgen, abtransportiert, in den Gaststätten Parkhaus und Kurhaus gesammelt und schließlich nach Neustadt und Sülzhayn weiterbefördert. Die Feuerwehr bekämpft die wenigen (?) Brandherde.|[[Manfred Schröter]]: ''[[Die Zerstörung Nordhausens und das Kriegsende im Kreis Grafschaft Hohenstein 1945]]''}}<br />
<br />
Am 4. April gegen 9 Uhr begann der zweite Großangriff der RAF. Der Verband kam über Gotha, Bad Langensalza und Schlotheim. Für 93 Bomber wurde die Boelcke-Kaserne als Angriffsziel befohlen, die anderen 150 hatten das Stadtzentrum anzugreifen.<ref>Geiger: ''Nordhausen im Bombenvisier''. S. 146 f.</ref> Zwei Bomber mussten frühzeitig zurückkehren, und zehn weitere hatten ihren militärischen Auftrag verfehlt, so dass von den 243 Flugzeugen 231 am Luftschlag teilnahmen. Ein Bomber explodierte über der Stadt. Die örtliche Feuerwehr war, soweit noch vorhanden, von der Lage völlig überfordert. Unter der überlebenden Bevölkerung herrschte Panik, viele verließen fluchtartig zu Zehntausenden das Inferno der Stadt in Richtung Kohnstein. Auch außerhalb von Nordhausen wurde sie von Jagdbombern beschossen.<ref> Manfred Schröter: ''Die Zerstörung Nordhausens''. Nordhausen: Meyenburg-Museum, 1988. S. 26 </ref> Am Abend und in der Nacht war die Stadt ein weithin leuchtendes Flammenmeer.<ref> Peter Kuhlbrodt: ''Schicksalsjahr 1945. Inferno Nordhausen''. Nordhausen 1995. S. 23 </ref> In der Mitte davon leuchtete der Kirchturm von St. Petri als riesige Fackel, die gegen Mitternacht zusammenbrach und auf das Kirchenschiff stürzte. RAF-Piloten, die von einem Einsatz bei Merseburg zurückflogen, berichteten um 23.00 Uhr von „good fires at Nordhausen“.<ref> Walter Geiger: ''Nordhausen im Bombervisier''. Nordhausen, 2000. S. 180 f.</ref> <br />
Der gebürtige Nordhäuser Schriftsteller [[Rudolf Hagelstange]] schrieb in seiner deutschen Familienchronik (Band 2: „Der Niedergang“, Seite 254) über die Feuersbrunst in seiner Heimatstadt: „Und die Hitze war so groß, dass in den meisten Straßen, sofern sie nicht gepflastert waren, der Asphalt geschmolzen war, dass Flüchtende da und dort in ihn eingesunken waren, einige unlöslich und damit zum Flammentod verurteilt.“<br />
<br />
=== Opfer ===<br />
[[Datei:Einwohnerentwicklung von Nordhausen ab 1800.svg|thumb|Einwohnerzahl von Nordhausen ab 1800. Deutlich sichtbar der Höhepunkt 1945]]<br />
Bei den Großangriffen im April 1945 kamen ca. 8.800 Menschen ums Leben. Diese Zahl geht auf Schätzungen vom Februar 1948 zurück.<ref name="Kuhlbrodt125">Kuhlbrodt: ''Inferno Nordhausen''. S. 125 f.</ref> Vor dem Abgriff befanden sich rund 65.000 Personen in der Stadt (42.000 ständige Bevölkerung, Militärpersonen, Gefangene, ausländische Arbeiter, Spezialarbeiter der Kriegsindustrie, Evakuierte). Der Antifa-Ausschuss von Nordhausen schätzte am 17. Juni 1945, dass über 10.000 Menschen bei den Bombenangriffen ums Leben gekommen seien.<ref> Peter Kuhlbrodt: ''Schicksalsjahr 1945. Inferno Nordhausen''. Nordhausen 1995. S. 115 </ref><br />
<br />
In den ersten Tagennach dem Einmarsch der Amerikaner ließ der US-Stadtkommandant in den Straßen liegende Leichen auf den Sonderfriedhof am Schlageter-Ring bringen. Andere wurden an Ort und Stelle in Bombentrichtern beerdigt. Eine beträchtliche Zahl ziviler Opfer und deutscher Soldaten wurde dann in dem höher gelegenen Teil des heutigen Ehrenfriedhofs in Massengräbern beigesetzt, unweit der getöteten Häftlinge aus der Boelcke-Kaserne. Für die später gefundenen Opfer ohne Anhang wurden Massengräber im vorderen Teil des Alten Hauptfriedhofs in der Leimbacher Straße angelegt. Heute steht an dieser Stelle ein Wohnblock. Auf dem Neuen Hauptfriedhof am Ring sind in den ersten Wochen und Monaten 920 Bombenopfer beerdigt worden.<br />
<br />
{| class="wikitable"<br />
|-<br />
| Verluste der ständigen Bevölkerung || 6.000<br />
|-<br />
| Verluste der nicht ständigen Bevölkerung || 1.500<br />
|-<br />
| Verluste der Häftlinge der Boelcke-Kaserne || 1.300<br />
|-<br />
| zusammen || 8.800<br />
|-<br />
|} <br />
<br />
==== Persönlichkeiten ====<br />
* [[Paul Urban]] (geb. 1892), KPD-Stadtrat<br />
<br />
=== Schäden und Totalverluste ===<br />
<br />
Der Zerstörungsgrad der Stadt wurde mit 74 Prozent errechnet. Die Gesamtfläche des zerstörten Gebietes betrug 810.000 Quadratmeter. Von den 13.075 Wohnungen wurden 6.187 total zerstört und 4.575 beschädigt.<br />
<br />
==== Kirchen ====<br />
<br />
[[Datei:Petri-Kirche Außenansicht.JPG|thumb|[[St.-Petri-Kirche]]]]<br />
*[[St.-Jakobi-Kirche]]: Am 3. April erheblich durch Bomben zerstört. Reste des Schiffes abgetragen, Turmruine zu DDR-Zeiten beseitigt.<br />
*[[Marktkirche]]: Am 3. April weitgehend zerstört. Ruinenreste abgetragen.<br />
*[[St.-Petri-Kirche]]: Am 3. April bis auf Turm und Chor zerstört, zahlreiche Menschen finden in der Kirche den Tod. Der Turm erhielt 1954 ein Notdach, die übrigen Ruinenteile wurden beseitigt. 1987 wurde ein neuer Turmhelm gesetzt.<br />
* [[St.-Blasii-Kiche]]: Dach und Mauerwerk am 4. April durch Bombentreffer erheblich beschädigt [[Cranachgemälde]] im Auslagerungskeller verbrannt. Bis 1949 Wiederherstellung des Daches, Ausbesserung Mauerwerk, Erneuerung des Inneren.<br />
*[[Nordhäuser Dom]]: Am 4. April schwere Schäden durch Brandzerstörung des Steildaches über der Halle und Vernichtung der Fenster. Noch 1945 Fertigstellung Notdach und Beseitigung der Folgeschäden. 1965 Wiederherstellung des Steildaches in ursprünglicher Form.<br />
*[[Frauenbergkirche]]: Am 4. April durch Bomben schwer zerstört. Erhalten blieben Umfassungsmauern der Chor mit Apside, die Nebenchöre und das Querschiff, vom Langhaus nur Reste des ersten Joches sowie des Westportals. Von 1953 bis 1955 folgten Enttrümmerung und Sicherungsarbeiten.<br />
*[[Frauenbergkloster]]: Am 4. April durch Bombentreffer total zerstört. Gebäudereste wurden nach 1945 entfernt.<br />
<br />
==== Öffentliche Bauten ====<br />
*[[Rathaus]]: Am 4. April bis auf die Umfassungsmauern zerstört, Turm ausgebrannt. Ab 1951 Trümmer entfernt und Wiederaufbau bis 1952, dabei wurden die Erdgeschoßarkaden und das Innere neu gestaltet. Zum ebenfalls schwer zerstörten [[Stadthaus]] wurde der Verbindungsgang wiederaufgebaut, der [[Roland]] restauriert.<br />
*[[Stadtmauer]]: Es entstanden Schäden an der Stadtmauer, wobei besonders die teilweise genutzten Türme und Wiechhäuser betroffen wurden. Nach dem Krieg wurden Ruinen abgetragen und Sicherungsarbeiten durchgeführt. Zur Landesgartenschau 2004 erfolgten umfangreiche Sanierungsarbeiten, besonders um den [[Petersberg]]. <br />
*[[Theatergebäude]]:<br />
<br />
==== Fachwerkbauten ====<br />
[[Datei:Nordhäuser Roland 1945.jpg|thumb|Das ausgebrannte Rathaus mit dem [[Nordhäuser Roland|Roland]], der die Angriffe wie durch ein Wunder überstand]]<br />
[[Datei:Riesenhaus, Riese, Postkarte.jpg|thumb|Postkarte vom [[Riesenhaus]] am Holzmarkt (Lutherplatz) mit dem [[Nordhäuser Riese]]n.]]<br />
Bedeutende Fachwerkhäuser, die zerstört wurden (lt. dem Denkmalpfleger Rudolf<br />
Zießler):<br />
<br />
*[[Bäckerstraße]] 22: Mitte des 18. Jahrhunderts errichteter dreigeschossiger, neunachsiger, verputzter Fachwerkbau mit massivem Erdgeschoß, Satteldach und Zwerhaus. Stichbogenfenster mit einfacher profilierter Rahmung in Dreiergruppen. Betonung der Mittelachse durch ein von Pilastern flankiertes Portal mit gesprengtem Giebel, darauf ruhende Frauen und Wappen sowie durch einen auf Konsolen sitzenden Balkon mit schmiedeeisernem Gitter.<br />
*[[Blasiistraße]] 15: Alte Schule. Errichtet um 1700 als dreigeschossiger stattlicher Fachwerkbau mit hohem Satteldach. Unregelmäßige Fenstergruppierung (im ersten Obergeschoß dreizehn Achsen). Fachwerk mit halben Männern. Obergeschoß vorkragend mit Balkenköpfen und gekehlten Füllhölzern.<br />
*Blasiistraße 21: Bedeutendstes Renaissance-Fachwerkhaus Nordhausens von etwa 1550. Dreigeschossig mit zehn Fensterachsen in unregelmäßiger Gruppierung, Geschosse stark vorkragend. Reich ausgebildetes Schmuckfachwerk mit Balkonköpfen, Knaggen, Füllhölzern und Schiffskehlen. Haupteingang mit kräftigen Gewämdepfosten und halben Sonnen um 1700.<br />
*[[Hagenstraße]] 4: Um 1800 errichtet als zweigeschossiger, verschieferter Fachwerkbau mit zehn Fensterachsen. Eckpilaster, ebensolche toskanische Holzpilaster flankieren die vier Mittelachsen und nehmen einen verschieferten Dreieckgiebel auf. Stichbogenfenster mit einfacher Rahmung und Schlußsteinbetonung.<br />
*Hagenstraße: Ilfelder Hof, ehem. Klosterhof, seit dem ersten Viertel des 18. Jahrhunderts Kurhannoversche Postverwaltung, seit 1853 in Privatbesitz. 1277 angelegt, später erweitert, im 17. Jahrhundert Neubau auf erweitertem Grundriss mit massivem Erdgeschoß und zwei Fachwerkobergeschossen, verschiefert.<br />
*[[Holzmarkt]] (Lutherplatz): „Riesenhaus“. 1375 erstmals erwähntes Patrizierhaus mit massivem Erdgeschoss, zwei Fachwerkobergeschossen und Satteldach. Nach Brand von 1710 im Fachwerk erneuert. Fassade gegliedert durch zwölf Fensterachsen, jeweils in Dreiergruppen angeordnet. Fachwerkkonstruktion mit Wilden Männern. Mittelgiebel mit einem Mann in Ritterrüstung ([[Nordhäuser Riese]]), der eine Lanze hält. 1805 Einrichtung einer Gaststätte, Verputz des Fachwerks und klassizistische Fassadengestaltung. 1927 Endrestaurierung und Wiederherstellung des Fachwerks.<br />
*Jakobikirchplatz 4: Lateinschule. Zweigeschossiger Fachwerkbau von 1493 mit Satteldach. Ständer- und Riegelbau. Vorkragendes Obergeschoß über geschwungene Knaggen. Durchlaufender Fensterbrustriegel.<br />
*Jakobikirchplatz: Pfarrhaus. 1687 errichteter zweigeschossiger Fachwerkbau mit Krüppelwalmdach. Fenstergruppierung unregelmäßig. Stiele und Brustriegel durch Wilde Männer verstärkt. Geringe Auskragung, Balkonköpfe und Schwelle mit einfacheren Profilen. Gefache mit Ziegeln in Mustern ausgemauert. Oberdeutsch beeinflusstes Fachwerk.<br />
*[[Königshof]] 14: Dreigeschossiger Fachwerkbau mit oberdeutschen Stilelementen, ganze und halbe Männer. Um 1780 Verkleidung der Fenster mit Rokokogirlanden.<br />
*[[Krämerstraße]] 11: Verschieferter, zweigeschossiger, fünfachsiger Fachwerkbau mit spätbarockem Volutengiebel. Stichbogenfenster mit Rahmenverkleidung. Erdgeschoss durch Ladeneinbauten verändert.<br />
*Krämerstraße 15: Um 1700 errichteter schmaler dreigeschossiger Fachwerkbau in oberdeutschem Stil mit halben Männern an den Ecken. Balkonköpfe und Füllhölzer mit einheitlichem Profil. Satteldach mit Zwerchhaus.<br />
*[[Lohmarkt]] 2, 4, 20, 21: Nach 1686 errichtete Gerberhäuser. Zwei- bzw. dreigeschossige Fachwerkgebäude im gleichen oberdeutschen Baustil wie Pfarrhaus Jakobikirchplatz. Besonders reich ausgebildet der Türstock mit Renaissanceformen und Inschrift. Satteldächer mit Zwerchhäsern (Ladeluken).<br />
*[[Neustadtstraße]] 27: Zweigeschossiger, elfachsiger Fachwerkbau aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts mit Satteldach. An den Fenstern Rokokoverkleidung.<br />
*Neustadtstraße 35: Zweigeschossiger, achtachsiger Fachwerkbau aus der Mitte des 18. Jahrhunderts auf Sandsteinsockel. Türen und Fenster in Stichbogen mit geschnitzter Rokokoverkleidung.<br />
*Neustadtstraße 47: Dreigeschossiger Fachwerkbau der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts mit Krüppelwalmdach. Rokokofensterbekleidungen handwerklich vereinfacht.<br />
*[[Pferdemarkt]] 17: Dreigeschossiger Fachwerkbau von etwa 1550, niederdeutsch beeinflusst. Auskragung des Obergeschosses mit Balkonköpfen, Knaggen und Füllhölzern. Erdgeschoß baulich verändert.<br />
*[[Sandstraße]] 3, 21, 23, 28: Diese Häuser hinsichtlich der Entstehungszeit und der architektonischen Ausbildung denen der Neustadtstraße entsprechend.<br />
<br />
==== Situation nach dem Großangriff ====<br />
[[Datei:Boelcke-Kaserne-Tote HäftlingeA.jpg|thumb|Einwohner Nordhausens tragen am 12. April 1945 unter Bewachung von Angehörigen der US-Armee tote Häftlinge aus der Boelcke-Kaserne und legen sie davor ab]]<br />
[[File:Nordhausen um 1930.jpeg|thumb|Der Stadtteil [[Altendorf]] blieb weitgehend unzerstört (Luftaufnahme um 1930)]]<br />
Das britische Bomber Command berichtete als Ergebnis der beiden Großangriffe, dass „die Stadt fast vollständig zerstört wurde, inbegriffen die Kasernenblöcke.“<ref> Walter Geiger: ''Nordhausen im Bombervisier''. Nordhausen: Neukirchner, 2000. S. 154 </ref> <br />
Die Situation für die Bevölkerung nach den Angriffen kann nur mit dem Begriff „Inferno“ beschrieben werden. Das Stadtzentrum konnte tagelang nicht betreten werden. Es wüteten noch zahlreiche Brände<ref> Peter Kulhlbrodt: ''Schicksalsjahr 1945. Inferno Nordhausen''. Nordhausen 1995. S. 24</ref>, die Schutthaufen strahlten unerträgliche Hitze aus. Bomben mit Zeitzündern gingen hoch. Über den Trümmerfeldern lag bald Leichengeruch, besonders im Bereich der Boelcke-Kaserne. In den Nächten des 6. und 7. April wurden die Kranken und Verwundeten aus Nordhausen und Umgebung durch alle verfügbaren Fahrzeuge, besonders mit Bauern-Gespannen, in den Kohnstein in Sicherheit gebracht. Die Nordhäuser Bevölkerung (?) verteilte sich nach Schätzungen am 7. April wie folgt: 6.000 (8.800) Opfer tot unter den Trümmern, 6.000 Überlebende noch in der Stadt, 10.000 im Kohnstein und 20.000 in den umliegenden Dörfern, besonders nordöstlich der Stadt.<ref> Manfred Schröter: ''Die Zerstörung Nordhausens''. Nordhausen: Meyenburg-Museum, 1988. S. 30 </ref> Am 8. April flogen 6 Jagdbomber noch einen Tagesangriff nach Zielmarkierung auf Nordhausen, parallel zu dem Bombardement auf [[Sondershausen]]. Am 10. April näherten sich US-Panzer aus Richtung [[Hain (Kleinfurra)|Hain]] dem Süden der Stadt und nahmen ihn unter Feuer, darunter die Trümmer der Boelcke-Kaserne.<ref> Manfred Schröter: ''Die Zerstörung Nordhausens''. Nordhausen: Meyenburg-Museum, 1988. S. 37 </ref><br />
<br />
== Nachwirkungen ==<br />
Insgesamt waren vom britischen Bomber Command 2.386 Tonnen und von der 8. US Air Force 296 Tonnen Bombenlast auf Nordhausen abgeworfen worden.<ref> Olaf Groehler: ''Bombenkrieg gegen Deutschland''. Berlin: Akademie-Verlag, 1990. S. 449 </ref><br />
Eine der am längsten nachwirkenden Folgen der Luftangriffe für die Bürger der Stadt blieben Hunderte von Blindgängern aller Kaliber: zwischen den Trümmern der Stadt und im Erdreich der Straßen, Gärten und Felder. In den ersten Jahren machten sich die Feuerwerker Jochen Nebel und Albin Diebler sehr verdient um die Entschärfung gefundener Bomben, ab 1962 der - deshalb zum Ehrenbürger ernannte - Helmut Zinke. Im Stadtgebiet wurden 1948 bis 1953 etwa 100 Bomben entschärft, dann 248 Blindgänger von 1954 bis 1999 entzündet und geräumt.<ref>Walter Geiger: ''Nordhausen im Bombervisier''. Nordhausen, 2000. S. 263-264 </ref> <br />
<br />
Noch 2014 gilt eine Verordnung in Nordhausen, nach der jeder Bürger, der bauen will, sicherstellen muss, dass unter seinem Grund und Boden kein Gefahrgut liegt.<ref>Katja Dörn: ''Die Gefahr rostet im Thüringer Boden''. Thüringische Landeszeitung, 12. Dezember 2014 </ref><br />
<br />
Auswahl weiterer Funde von Blindgängern:<br />
* 1996: 250-Kilogramm-Blindgänger wird gesprengt<br />
* 2008: 227-Kilogramm-Bombe in der Altstadt<br />
* 2010: Fünf-Zentner-Bombe am [[Taschenberg]] entdeckt, 4.500 Menschen wurden evakuiert, Bombe konnte nicht entschärft werden<br />
* Juni 2016: Kontrollierte Sprengung einer 800-Kilogramm-Bombe, Leimbach und Steigerthal mussten geräumt werden (1.080 Einwohner) <br />
* Dezember 2016: Fünf-Zentner-Bombe am [[Strohmühlenweg]], ca. 1000 Einwohner, so auch die Hochschule Nordhausen, wurden evakuiert<br />
* September 2017: Bombe auf einem Feld in der [[Windlücke]], ca. 3000 Einwohner evakuiert, Bombe entschärft<ref>https://www.nnz-online.de/news/news_lang.php?ArtNr=219719</ref><br />
* Oktober 2018: Bombe in der Windlücke, ca. 3000 Einwohner evakuiert, Bombe entschärft<ref>https://www.nnz-online.de/news/news_lang.php?ArtNr=243515</ref><br />
* November 2018: Bombe in Bielen, 1.1000 Einwohner wurden evakuiert (Sperrzone 1 Kilometer), Bombe entschärft<br />
* August 2019: 225-Kilogramm-Bombe an der [[Zorge]], 2.500 Einwohner wurden evakuiert (Sperrzone 500 Meter), Bombe entschärft und Zünder gesprengt<br />
* November 2019: 225-Kilogramm-Bombe am [[Stadttheater]], ca. 15.000 Einwohner wurden evakuiert (Sperrzone 1 Kilometer), Bombe entschärft und Säurezünder gesprengt. Es war die größte Evakuierungsaktion in Nordhausen nach dem Zweiten Weltkrieg.<ref>MDR, 8. November 2019</ref><br />
<br />
== Rezeption ==<br />
[[Datei:Nordhausen mahnt 1949.jpg|thumb|200px|Werbeplakat zur Ausstellung „[[Nordhausen mahnt - Ausstellung vom 6. bis 27. März 1949|Nordhausen mahnt]]“ im März 1949]]<br />
Luftangriffe waren im Zweiten Weltkrieg für alle Kriegsparteien zum entschiedenen strategischen Kriegskonzept geworden. Die Westalliierten glaubten durch die planmäßige und massive Zerstörung deutscher Städte, vor allem der Wohngebiete der Industriearbeiter, die Moral und den Widerstandswillen der Bevölkerung zu brechen und den Krieg schneller beenden zu können.<ref>Johannes Volker Wagner: ''Bomben auf Bochum''. S. 3.</ref> Im Januar 1943 einigten sich Großbritannien und die Vereinigten Staaten in Casablanca auf die Forderung nach bedingungsloser Kapitulation des Deutschen Reiches und auf eine weitere Verschärfung des Bombenkrieges. Zu dieser Zeit war die deutsche Luftabwehr längst nicht mehr in der Lage, das Reichsgebiet zu verteidigen. Die Alliierten erreichten ihr Ziel der Demoralisierung jedoch nicht, und viele Deutsche klammerten sich in Verzweiflung an die Hoffnung auf einen „Endsieg“.<br />
<br />
<!-- Auszug aus „Winston Churchill“. Der späte Held, eine Biographie von Thomas Kielinger, erschienen im Verlag C.H. Beck, Kapitel XY, Seite 301 ff.: Nach dem Kriege stand eine andere Verantwortung Churchills im Vordergrund – „für die Vernichtung von nahezu 60 der größten Städte Deutschlands“. „Mit dem Untergang Dresdens sind auch nachdenkliche Briten bis heute nicht fertig. Die Zweifel, ob die Zerstörung dieser und anderer Städte so kurz vor dem nahen Kriegsende zu rechtfertigen war, haben sich längst zu dem Urteil verdichtet: Sie war es nicht! ... Hilft es zur Erklärung darauf hinzuweisen, dass in der Schlussphase des Krieges deutsche V1- und V2-Waffen weiterhin Zerstörung auf Antwerpen, Paris und London regnen ließen? Eine V2 schlug noch am 27. März 1945 im Osten Londons ein und tötete 134 Menschen. Die britische öffentliche Meinung hätte es nicht verstanden, wenn die mili-tärische Führung auf Schonung des Gegners geschaltet hätte, wo dieser bis zum Ende Vernichtung spie.“<br />
<br />
„Aber die alte Frage bleibt, die Lothar Kettenacker 2003 in dem Sammelband „Ein Volk von Opfern?“ noch einmal stellte – „ob der Zweck die Mittel heiligt, ob die Beseitigung einer unheilvollen Diktatur die rücksichtslose Bombardierung der Bevölkerung rechtfertigt. Unbehagen äußerte Churchill selbst schon 1943, als ihm Bilder von den Auswirkungen der Bomben in Deutschland vorgelegt wurden ...“ Der Australier Ricard Casey, der an den Sitzungen des britischen Kriegsrates ... teilnahm, schrieb am 27. Juni 1943 in sein Tagebuch: „Es wird ein Film gezeigt über das nächtliche Bombardement einer deutschen Stadt, und plötzlich richtet sich Churchill steil in seinem Sessel auf und sagt zur mir: ‚Sind wir Bestien? Gehen wir nicht zu weit? <br />
<br />
Churchills Meinungen zum Bombenkrieg gegen Deutschland schwankten. Nach der Zerstörung Dresdens begegnet man bei ihm, spät, einer eindeutigen Ablehnung, so in dem berühmten Memorandum vom 28. März 1945:‚Der Moment scheint mir gekommen, wo die Frage der Bombardierung deutscher Städte zum Zwecke der Erhöhung des ''''terrors'''' (in Englisch mit der Bedeutung von Angst und Schrecken) auch wenn wir andere Vorwände nennen, überprüft werden sollte... Es ist nötig, dass wir uns mehr auf militärische Ziele konzentrieren wie Öllager und Kommunikationszentren hinter der unmittelbaren Kampfzone, statt auf Akte des reinen terrors und der mutwilligen Zerstörung’.“<br />
„Nicht umsonst nannte man Harris auch den ‚butcher’, den Metzger. . . Schon Max Hastings (stockkonservativer Historiker) nannte in seinem Klassiker von 1979 ‚Bomber Command’ die Auslöschung deutscher Städte noch im Frühjahr 1945 ‚einen bleibenden Schandfleck’,“ soweit Kielinger. Nach Kriegsende zog sich Harris verbittert nach Südafrika zurück, weil er sich nicht gebührend geehrt vorkam. Luftangriffe hatte Harris als „relativ humane Methode“ bezeichnet. Butcher wurde er nicht wegen der zivilen Bombenopfer in Deutschland genannt, sondern weil 55 000 Angehörige des Bomber Command vom Feindflug nicht heimkehrten – jeder zweite Pilot und Bordschütze. --><br />
<br />
Im März 1945 hatte sich das Angriffstempo der US-Streitmacht im Vergleich zu den Vormonaten verlangsamt.<ref name="Gewiger158">Geiger: ''Nordhausen im Bombenvisier''. S. 158 f.</ref> Um dennoch den Stoß in das Zentrum Deutschlands als strategisches Ziel zügig fortzuführen, waren die Westalliierten zum Einsatz aller Mittel entschlossen, auch in Anbetracht eventuell noch bevorstehender Kämpfe und Widerstand im Südharz. Die Stadt Nordhausen erhielt daher militärische Bedeutsamkeit für die 1. US-Armee, auch wegen des Verschiebebahnhofs für Truppenbewegungen. Der unterirdische Rüstungsbetrieb im [[Kohnstein]] und das [[Konzentrationslager Dora Mittelbau]] wurden dagegen nie zum Ziel von Luftangriffen. <br />
<br />
Nordhausen und Umgebung wurden Ende 1944 von britischen Fernaufklärern nachts unter tagheller Beleuchtung durch Magnesiumbomben sorgfältig aus der Luft fotografiert.<ref>Manfred Schröter: ''Die Zerstörung Nordhausens''. Nordhausen 1988, S. 55</ref> Die Bombardierung von Nordhausen wurde am 2. April 1945 vom Alliierten Oberkommando (SHAEF) befohlen.<ref name="Gewiger158"/> Gefordert wurde ein Angriff zur Unterstützung der 1. US-Armee mit Priorität zur frühestmöglichen Gelegenheit. Einige Tage zuvor wurde vom SHAEF die Zerstörung durch die RAF beschlossen.<ref>Manfred Schröter: ''Die Zerstörung Nordhausens''. Meyenburg-Museum Nordhausen, 1988, S. 54–55</ref><br />
<br />
Dieses, geführt von Luftmarschall Arthur Harris, erteilte am 2. April den unmittelbaren Befehl für einen Doppelschlag an zwei Tagen.<ref>Walter Geiger: ''Nordhausen im Bombervisier''. Nordhausen 2000, S. 108–109</ref> Der Zweck der RAF-Angriffe im April 1945 bestand darin, den Weg für einen ungehinderten Vormarsch von der im Südharzer Raum erwarteten Gegenwehr freizumachen. 3.466 britische Soldaten sollten als fliegendes Personal an den Angriffen teilnehmen. Ihnen wurde als Ziel des Angriffs erklärt: „To kill military and Nazi personnel evacuated from Berlin to these barracks“ (gemeint das Areal der Boelcke-Kaserne und die Stadt Nordhausen).<ref>Geiger: ''Nordhausen im Bombenvisier''. S. 121 </ref><br />
<br />
<!-- Bitte Quelle angeben!(Wie aus dem Text eindeutig hervorgeht: Der genannte Journalist und Gesprächspartner Dr. Meyers!) Der gebürtige Nordhäuser [[Manfred Neuber]], als Journalist von 1960 bis 1963 in London und New York, recherchierte als erster bei der Royal Air Force und der US Air Force über die Luftangriffe auf Nordhausen. Aus den detaillierten Angaben ging hervor, dass allein Bomber der Royal Air Force Nordhausen angegriffen hatten. Die SED-Propaganda hatte behauptet, es habe sich um „amerikanische Terrorangriffe“ gehandelt. So stand es auch Jahre auf der Gedenkstele für die Opfer der Luftangriffe neben dem Alten Rathaus. Neuber hatte Gelegenheit, im Jahre 1964 in Bad Lauterberg mit Dr. [[Herbert Meyer]], Oberbürgermeister Nordhausens vor Kriegsende 1945, über die Bombenangriffe zu sprechen. Dabei widerlegte Meyer noch Jahre nach dem Kriege kursierende Gerüchte, die Luftangriffe hätten eigentlich der Stadt Gotha gelten sollen. Weil die Verantwortlichen dort kapituliert hätten, sei Nordhausen angegriffen worden, weil es nicht ebenso gehandelt habe. Meyer versicherte, es habe keine Aufforderung zur Übergabe der Stadt gegeben. Zum Zeitpunkt der Luftangriffe standen die US-Panzerspitzen noch im Raume Kassel. --><br />
<br />
=== Vermutungen und Gerüchte über den Großangriff ===<br />
<br />
* Nordhausen soll Aufforderung zur kampflosen Übergabe ausgeschlagen haben.<br />
** Der Nordhäuser Oberbürgermeister bei Kriegsende, [[Herbert Meyer]], widersprach dieser Darstellung in einem Gespräch mit dem Journalisten Manfred Neuber um 1964 in Bad Lauterberg: „An die Stadtverwaltung ist niemals bis zu den Angriffen eine Aufforderung der Amerikaner ergangen, Nordhausen zur offenen Stadt zu erklären. Ich möchte bezweifeln, dass sie an Kreisleiter Nentwig ergangen ist.“<ref name="Sting252">Heinz Sting: ''Das 1000-jährige Nordhausen und der schöne Südharz''. Hannover: Nordhäuser Heimatfreunde, 1965. S. 252.</ref><br />
<br />
* Nordhausen wurde durch die US-Luftwaffe zerstört.<br />
** Es ist unbestritten und belegt, dass britische Bomber die Stadt zerstörten. „Die Einsatzbefehle der 8. US-Luftflotte sahen weder am 3. noch am 4. April 1945 Nordhausen als Ziel vor. Die Operationsberichte der 8. Luftflotte geben auch keinen Großangriff auf Nordhausen an einem dieser beiden Tage an. Der Hauptzielplan für die amerikanischen Heeresflieger in Europa während des Zweiten Weltkrieges führt ebenfalls keinen Angriff auf Nordhausen im April 1945 auf“, teilte das amerikanische Aerospace Studies Institute auf Anfrage des Journalisten Manfred Neuber zu Beginn der 1960er Jahre schriftlich mit. „Aus anderen Quellen ist zu entnehmen“, gab der Leiter für geschichtliche Studien an diesem Institut der US Air Force University auf der Maxwell Air Base in Montgomery/Alabama, bei den Recherchen des Journalisten zu Protokoll, „dass am 3.und 4 .April 1945 vom Bomber Command der Royal Air Force schwere Angriffe auf Nordhausen geflogen wurden.“ Diese Angaben wurden von der Air Historical Branch im britischen Verteidigungsministerium (damals noch Ministry of War) dem Rechercheur bestätigt. Alle<br />
hier aufgeführten Originaldokumente wurden dem Stadtarchiv Nordhausen übergeben.<br />
<br />
* Nordhausen wurde anstelle Gothas bombardiert.<br />
** Diese Behauptung wurde u. a. von [[Kurt Kohlmann]] aufgestellt. So berichtete er von zwei US-Offizieren, die entsprechende Aussagen getätigt haben sollen: „Sie erzählten mir, der Kreisleiter von Nordhausen sei dreimal aufgefordert worden zu kapitulieren. Nachdem die Faschisten das dritte Mal abgelehnt hatten, sei ein auf Gotha angesetzer US-amerikanischer Bomberverband nach Nordhausen umgeleitet worden.“<ref name="Rudloff138">Jost-Dieter Rudloff: ''Warum wurde Nordhausen eine Woche vor Kriegsende 1945 in Brand gesetzt? Informationen und Überlegungen''. In: ''Beiträge zur Geschichte aus Stadt und Kreis Nordhausen (Band 44/2019)'', S. 138.</ref> Dies wurde ebenfalls von Herbert Meyer als unglaubwürdig zurückgewiesen.<ref name="Sting252"/><br />
<br />
* Nordhausen wurde wegen der Raketen-Produktion im Kohnstein bombardiert.<br />
** Den Alliierten war bekannt, dass sich im Kohnstein ein Rüstungsbetrieb befand, nicht jedoch, dass dort die V-Waffen gefertigt wurden.<ref>Jürgen Möller: ''Konzentrationslager Mittelbau-Dora''. Bad Langelsalza 2018, S. 33.</ref> Der Kohnstein war wegen der Kriegsgefangenenlager kein Angriffsziel.<ref name="Rudloff138"/><br />
<br />
* Die Nordhäuser Bevölkerung sollte wegen dem Konzentrationslager Dora-Mittelbau bestraft werden.<br />
** Dies wird durch kein Dokument der Alliierten bestätigt.<br />
<br />
* Nordhausen wurde aus militärischen Gründen bombardiert.<br />
** Die Stadt war verkehrstechnischer Knotenpunkt und Mittelpunkt der Nordthüringer Rüstungsindustrie und wurde auch von der deutschen Armeeführung als wichtig wahrgenommen.<ref name="Rudloff140">Jost-Dieter Rudloff: ''Warum wurde Nordhausen eine Woche vor Kriegsende 1945 in Brand gesetzt? Informationen und Überlegungen''. In: ''Beiträge zur Geschichte aus Stadt und Kreis Nordhausen (Band 44/2019)'', S. 140.</ref> Für das US-Militär bildete die Stadt kein strategisches Ziel mehr.<ref name="Rudloff140"/> Die Stadt Nordhausen erhielt militärische Bedeutsamkeit für die Bodentruppen der 1. US-Armee, auch wegen des Verschiebebahnhofs für Truppenbewegungen. Die Schonung der Rüstungsbetriebe mit ihrem Personal ergab sich aus der Hoffnung, möglichst viele Waffen und Fachkräfte zu erbeuten.<ref name="Rudloff140"/> Es gibt keinen Hinweis darauf, dass Nordhausen aus militärischen Gründen bombardiert wurde.<ref name="Rudloff140"/><br />
<br />
== Aufarbeitung und Gedenken ==<br />
=== 1945 bis 1990 ===<br />
==== DDR ====<br />
Bis zur Wiedervereinigung hielt sich die Behauptung, die United States Air Force habe Nordhausen am 3. und 4. April 1945 bombardiert. Zum einen wurde der US-Luftwaffe vorgehalten, dass die Angriffe auf Nordhausen ein Akt blinder Zerstörung und militärischer sinnlos gewesen seien, da das Ende des Dritten Reiches absehbar war. Andererseits wurde mit der „Gotha-Legende“ behauptet, dass Nordhausen bis zum Letzten verteidigt werden sollte und es deshalb zum Luftangriff kam. Damit wurde die Verantwortlichkeit für das Bombardement wahlweise den lokalen NS-Amtsträgern oder den USA zugeschrieben. <br />
<br />
Ein Interesse an einer realistischen Rekonstruktion hatte die SED auch aufgrund der Situation des Kalten Krieges nicht.<br />
Zum 40. Jahrestag der Luftangriffe wurde in der Lokalpresse erstmals von „250 britischen Lancaster-Maschinen“ gesprochen.<ref>„Die Zerstörung Nordhausens - Mahnung und Verpflichtung“, ''Das Volk'', 2. April 1985.</ref> Eine Revision der Geschichte fand jedoch nicht statt, und auch danach war mitunter vom „Zerstörungsangriff amerikanischer Bomber“ die Rede.<ref>''Unser Aktuelles Argument'', April 1985.</ref> Für die in der DDR-Propaganda kolportierte öffentliche Erinnerung erklärt sich aus dem politischen Bedürfnis, die „imperialistischen“ Angreifer als möglichst grausam und skrupellos erscheinen zu lassen, im Sinne antiamerikanischer Propaganda.<ref name="Winter63">Winter: ''Öffentliche Erinnerungen an den Luftkrieg in Nordhausen 1945 - 2005''. Marburg: Tectum-Verl., 2010. S. 63.</ref> <br />
Mit Verweis auf die Luftangriffe auf Nordhausen wurde auf tatsächliche oder vermeintliche aktuelle militärische Bedrohungen oder Konflikte Bezug genommen, z. B. auf den Vietnamkrieg. <br />
<br />
Insgesamt war die Nordhäuser Luftkriegserinnerung gekennzeichnet von einer eigentümlichen „Verwischung der Grenze zwischen Faktizität und Fiktionalität“, die nach dem Historiker Martin Sabrow typisch für das Geschichtsdenken in der DDR war.<ref>Martin Sabrow: ''Einleitung - Geschichtsdiskurs und Doktringesellschaft'', Potsdam: Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam (ZZF), 2000. S. 24.</ref><br />
<br />
Der Versuch einer wirklichen Aufarbeitung in der DDR wurde erstmals 1985 angestoßen, als [[Manfred Schröter]] anlässlich des 40. Jahrestages eine Publikation veröffentlichen wollte. Darin wurde dargelegt, dass die RAF und nicht die USAF für den Angriff im April 1945 verantwortlich gewesen war. Nachdem Schröters Buch nach Begutachtung und Korrektur durch den Historiker Olaf Groehler sowie der SED-Kreisleitung und Bezirksleitung in Druck gegangen war, konfiszierte die Kreisleitung am 29. März 1985 die gesamte Auflage und verhinderte eine Veröffentlichung.<ref name="Winter62">Winter: ''Öffentliche Erinnerungen an den Luftkrieg in Nordhausen 1945 - 2005''. Marburg: Tectum-Verl., 2010. S. 62.</ref> Vorausgegangen war ein öffentlicher Vortrag Schröters am 14. März 1985, in dem er seine Ergebnisse (im Beisein von Stasi-Spitzeln) vorstellte.<br />
<br />
Das Gedenken an die Luftangriffe wurde zu DDR-Zeiten auch stark mit dem Wieder- bzw. Neuaufbau der Stadt verwoben. In den ersten Jahren nach dem Krieg wurde vor allem zur Mithilfe agitiert, um durch das „Aufbauwerk“ einer „glücklichen, friedlichen und sonnigen Zukunft“ entgegenzutreten.<ref>„Aufbauerfolge dürfen nicht preisgegeben werden,“ ''Das Volk'', 7. April 1953.</ref> Ab Ende der 1950er Jahre verwies die SED auf die bisher erzielten Erfolge. Zum 40. Jahrestag der Bombardierung 1985 behauptete Oberbürgermeister [[Peter Heiter]], dass die Jahre des Sozialismus die erfolgreichsten in der über tausendjährigen Stadtgeschichte gewesen seien und verwies auf die Rolle der Partei als entscheidender Faktor für das Erreichte.<ref name="Winter81">Winter: ''Öffentliche Erinnerungen an den Luftkrieg in Nordhausen 1945 - 2005''. Marburg: Tectum-Verl., 2010. S. 100.</ref> <br />
Ein wichtiges Großereignis war die Instandsetzung des [[St.-Petri-Kirche|Petri-Turms]] mit einer neuen Turmspitze zum 42. Jahrestag 1987 als „wiedererstandendes Wahrzeichen“.<ref>„Kupferhelm für den Petritum“, ''Das Volk'', 7. April 1987.</ref><br />
In der Festschrift (1050 Jahre Nordhausen", 1977 herausgegeben vom Magistrat, heißt es: "Für den ausgesprochenen Terrorcharakter der<br />
anglo-amerikanischen Luftangriffe spricht auch, dass die Hauptstraßen des Schienen- und Straßenverkehrs funktionstüchtig blieben und die<br />
militärischen Anlagen der Stadt, insbesondere das Flugplatzgelände, weiter den Machthabern des Dritten Reiches für ihre verbrecherische <br />
Politik zur Verfügung standen."<br />
Die Festschrift hebt hervor: "Das heutige Nordhausen entwickelt sich dank der schöpferischen und angestrengten Arbeit der Arbeiterklasse<br />
und aller Bürger unserer Stadt, auf festen sozialistischen Fundamenten. Ständig entsteht Neues, man braucht sich nur umzuschauen."<br />
Dagegen bemerkte das "Bad Lauterberger Tageblatt" (Ausgabe vom 3./4. April 1985, Seite 3): "Der Wiederaufbau Nordhausens begann<br />
erst sehr spät und sehr schleppend. Noch immer bildet der alte Stadtkern eine weithin kahle Fläche."<br />
<br />
==== BRD ====<br />
<br />
In der Bundesrepublik wurde das Gedenken von dem Verein [[Nordhäuser Heimatfreunde]] getragen. Die erste gedruckte Ausgabe der Vereinszeitung ''[[Nordhäuser Nachrichten]]'' widmete sich der Zerstörung Nordhausens und auch in den folgenden Jahren bildete es ein wiederkehrendes Themenfeld mit zahlreichen Erlebnisberichten. Die Rolle des Vereinsvorsitzenden und früheren Nordhäuser NSDAP-Oberbürgermeisters [[Heinz Sting]] zum Gedenken wird kritisch gesehen.<ref name="Winter83">Winter: ''Öffentliche Erinnerungen an den Luftkrieg in Nordhausen 1945 - 2005''. Marburg: Tectum-Verl., 2010. S. 83 ff.</ref> So sei Sting zwar bemüht gewesen, klarzustellen, dass nicht die US-Luftwaffe die Stadt bombardierte, doch zeigte er sich auch bestrebt, die Rolle des Nationalsozialismus zu relativieren.<br />
<br />
Diese historischen Fakten hatte der Journalist [[Manfred Neuber]] schon vor 1965 in US- und britischen Archiven ermittelt und publiziert (''Bad Lauterberger Tageblatt'' um 1964 und am 3./4. April 1985 in „Das Drama von Nordhausen“, in der ''Herzberger Zeitung'' und im späteren ''HarzKurier'' in Herzberg, im ''Göttinger Tageblatt'' sowie Erwähnung in den ''Nordhäuser Nachrichten'').<br />
[[Herbert Meyer]], Oberbürgermeister Nordhausens in den letzten Kriegstagen und später Stadtdirektor in Bad Lauterberg, versicherte Manfred Neuber 1964 in einem Gespräch über dessen Recherchen in Großbritannien und in den USA, die Stadt Nordhausen habe keine Aufforderung der Alliierten erhalten, Nordhausen zur offenen Stadt zu erklären. Eine Entscheidung darüber hätte auch nicht in seiner Kompetenz gelegen: „Ob eine solche Aufforderung an den Kreisleiter Hans Nentwig ergangen ist und ob dieser sich geweigert hat, ihr nachzukommen, weiß ich nicht. Ich möchte es aber bezweifeln“, erklärte Meyer (Originalzitat in den Aufzeichnungen über das Treffen). Der NSDAP-Kreisleiter [[Hans Nentwig]] hatte das Bombardement in seiner Ausweich-Befehlsstelle unbeschadet überstanden. Er lebte in der Nachkriegszeit in Katlenburg. Von der marxistischen Geschichtsschreibung in der DDR wurde ihm wegen „seiner verbrecherischen Durchhalte-Politik“ eine Hauptschuld an der Zerstörung Nordhausens zugeschrieben.<br />
<br />
=== Seit 1990 ===<br />
<br />
Der 50. Jahrestag der Luftangriffe 1995 wurde mit einer Gedenkwoche unter der Losung „Nordhausen 1945: Erinnerung – Trauer – Mahnung“ weitaus größer begangen als die Jahre zuvor. 1993 hatte das Stadtarchiv angekündigt, diverse Maßnahmen einzuleiten, um ein würdiges Gedenken zu gewährleisten. Darunter zählte das Sammeln von Zeitzeugenberichten, realisierte Veranstaltungen und Projekte sowie die Planung einer Publikation zum Thema. Am 30. März 1995 wurde eine Metallplastik auf der oberen Plattform des Petri-Turms enthüllt und einen Tag später eine Ausstellung mit Fotos und Dokumenten eröffnet. Zudem erschien unter der Leitung des Stadtarchivars [[Peter Kuhlbrodt]] das Buch ''[[Schicksalsjahr 1945 – Inferno Nordhausen]]''. In den folgenden Tagen wurde ein ökumenischer Gedenkweg abgehalten, es gab Kranzniederlegungen am Gedenkstein auf dem Hauptfriedhof, dem Ehrenfriedhof und an der Boelcke-Kaserne. Begleitet wurde das Gedenken mit einer umfassenden Berichterstattung in der Presse, die auch überregional wirkte. <br />
<br />
Nach dem Jahr 1995 wurden die Jahrestage der Luftkriegserinnerung weitaus kleiner begangen.<ref name="Winter100"/> Ab Ende der 1990er Jahre erfolgte wieder eine allgemeine Repolitisierung der Luftkriegserinnerung.<ref name="Winter100">Winter: ''Öffentliche Erinnerungen an den Luftkrieg in Nordhausen 1945 - 2005''. Marburg: Tectum-Verl., 2010. S. 100.</ref> Es zeigte sich, dass sich die öffentliche Erinnerung mehr auf gegenwärtige Ereignisse als auf die Jahre des Zweiten Weltkrieges zu beziehen schien; so werden stärkere Bezüge zu außenpolitischen Themen<ref>Winter: ''Öffentliche Erinnerungen an den Luftkrieg in Nordhausen 1945 - 2005''. Marburg: Tectum-Verl., 2010. S. 101.</ref> oder Exkurse zum Rechtsextremismus hergestellt.<ref>[https://www.nnz-online.de/news/news_lang.php?ArtNr=108899 Zum Umgang mit der Bombardierung], nnz-online, 3. April 2012.</ref> Im Vergleich zu DDR-Zeiten wurde das Spektrum der Erinnerungsakteure erweitert, und vor allem die Kirche rückte in den Vordergrund. <br />
<br />
Seit den 2000er Jahren wird der Jahrestag der Luftangriffe mit der üblichen Kranzniederlegung an der Gedenkstele am Rathaus begangen. Seit 2017 werden statt Kränzen weiße Rosen niedergelegt.<ref>[https://www.nnz-online.de/news/news_lang.php?ArtNr=209936 Gedenken an der Stele], nnz-online, 3. April 2018.</ref> Im Gegensatz zu DDR-Zeiten werden Schuldzuweisungen an die Westalliierten weniger offen aggressiv und ideologisch untermauert vorgebracht.<ref>Winter: ''Öffentliche Erinnerungen an den Luftkrieg in Nordhausen 1945 - 2005''. Marburg: Tectum-Verl., 2010. S. 110.</ref><br />
<br />
=== Denkmäler ===<br />
[[File:Denkmal Bombenangriffe Nordhausen - Mai 2015.JPG|200px|thumb|Mahnmal am Alten Rathaus]]<br />
[[File:Gedenkstein Nordhausen.jpg|mini|200px|Gedenkstein am Massengrab für 600 Bombenopfer auf dem [[Zentralfriedhof an der Leimbacher Straße|Alten Friedhof]]]]<br />
* Mahnmal für die Opfer der Bombardierungen vor dem [[Altes Rathaus|Alten Rathaus]]: 1950 wurde ein Gedenkstein und eine Flammenschale am Sockel des früheren [[Lutherdenkmal]]s angebracht. Es trug die Inschrift: „4.4. 1945 - Zerstörung Nordhausens durch amerikanische Bomber - 8800 Opfer klagen an“ (''Amerikanische'' Bomber war falsch). 1969 wurde dieses Denkmal durch eine Säule des Künstlers Jürgen von Woyski ersetzt.<br />
* Auf dem [[Ehrenfriedhof]] westlich des ''Stresemann-Rings'' befindet sich ein 1999 umgestaltetes Denkmal in Erinnerung an die hier in Massengräbern beigesetzten über 1.600 KZ-Häftlinge, zum größten Teil Opfer der Luftangriffe auf die Boelcke-Kaserne am 3. und 4. April 1945. Viele Nordhäuser zivile Bombenopfer und Soldaten wurden auf dem nördlichen Teil des Sonderfriedhofs, des jetzigen Ehrenfriedhofs, oberhalb des Denkmals in Massengräbern beerdigt.<ref>Manfred Schröter: ''Die Zerstörung Nordhausens''. Nordhausen: Meyenburg-Museum, 1988. S. 59</ref><br />
* Auf dem ''Hauptfriedhof'' findet sich ein Denkmal, das die zusammenfassende Inschrift trägt: „Zum Gedenken an die Gefallenen und Vermissten beider Weltkriege, die Toten der Bombenangriffe, die Opfer aller Gewaltherrschaft. Die Bürger der Stadt Nordhausen“. Links seitlich von dem Denkmal, vor dem begrenzenden Zaun, wurde eine größere Anzahl von Bombentoten in Gemeinschaftsgräbern beigesetzt.<ref> Manfred Schröter: ''Die Zerstörung Nordhausens''. Nordhausen: Meyenburg-Museum, 1988. S. 59-60 </ref> Dort stehen noch einige große Kreuze, die wohl darauf hinweisen.<br />
<br />
== Zitate ==<br />
<br />
* „Das Ausmaß des Schreckens, der Verwüstung und des Todes, von dem unsere Stadt an jenen Apriltagen erfasst wurde, macht sie praktisch zu einem Synonym für die japanischen Städte Hiroshima und Nagasaki. Denn vergleicht man auf Airfotos ihre zerstörten Zentren, so lässt sich schwerlich ein gradueller Wirkungsunterschied erkennen.“ – ''[[Walter Geiger]]: [[Nordhausen im Bombenvisier]], S. 154.''<br />
* „Nordhausen wurde am 3. und 4. April 1945 zerstört, weil der ehrgeizige britische Luftmarschall Sir Arthur Harris dem britischen Volk und den Alliierten zeigen wollte, dass sein "Bomber Command" das Handwerk des Tötens von deutschen Menschen perfektioniert hatte. Er löste einen furchtbaren Flächenbrand aus mit den stärksten Mitteln, die ihm zur Verfügung standen. Besonders verwerflich ist, dass er die Bombenziele auf die Nordhäuser Altstadt konzentrierte. Infam ist auch, dass er noch in den letzten Kriegstagen die Altstadt von Nordhausen mit einer nie vorher verwendeten Bomben-Mischung auslöschte. Er handelte trotzig wie ein Kind, dem man das Spielzeug wegnehmen will. Harris wollte sich in letzter Stunde in Nordhausen ein Denkmal aus Leichen und Ruinen setzen.“ – ''[[Jost-Dieter Rudloff]]: Warum wurde Nordhausen eine Woche vor Kriegsende 1945 in Brand gesetzt? Informationen und Überlegungen. In: [[Beiträge zur Geschichte aus Stadt und Kreis Nordhausen (Band 44/2019)]], S. 141.''<br />
<br />
== Literatur ==<br />
*Jost-Dieter Rudloff: ''Warum wurde Nordhausen eine Woche vor Kriegsende 1945 in Brand gesetzt? Informationen und Überlegungen''. In: ''[[Beiträge zur Geschichte aus Stadt und Kreis Nordhausen (Band 44/2019)]]''.<br />
*Harald Rockstuhl (Hrsg.): ''[[Nordhausen – Luftbild-Atlas 1935–1945]]''. Bad Langensalza: Verlag Rockstuhl, 2017. ISBN 978-3959662833<br />
*[[Walter Geiger]]: ''[[Nordhausen im Bombervisier]]''. Nordhausen: Neukirchner, 2000. ISBN 3-929767-43-0<br />
*Olaf Groehler: ''Bombenkrieg gegen Deutschland''. Berlin: Akad.-Verl., 1990. ISBN 3-05-000612-9<br />
*[[Peter Kuhlbrodt]]: ''[[Inferno Nordhausen – Schicksalsjahr 1945]]''. Nordhausen: Archiv der Stadt Nordhausen, 1995. ISBN 3-929767-09-0<br />
*[[Martin Clemens Winter]]: ''[[Öffentliche Erinnerungen an den Luftkrieg in Nordhausen 1945 - 2005]]''. Marburg: Tectum-Verl., 2010. ISBN 9783828822214 <br />
*''Schicksale deutscher Baudenkmale im Zweiten Weltkrieg''. (Bd. 2) Berlin: Henschelverlag Kunst u. Gesellschaft, 1978.<br />
<br />
== Externe Verweise ==<br />
* [https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/1/1f/Nordhausen_concentration_camp_newsreel.webm Filmaufnahmen von der Boelcke-Kaserne (1945)]<br />
<br />
== Einzelnachweise ==<br />
<br />
<references/><br />
<br />
[[Kategorie:Geschichte]]</div>Latimer Rexhttps://nordhausen-wiki.de/index.php?title=Luftangriffe_auf_Nordhausen&diff=15660Luftangriffe auf Nordhausen2020-02-09T11:16:09Z<p>Latimer Rex: /* Rezeption */</p>
<hr />
<div>[[Datei:Marktkirche Rathaus Nordhausen 1945.jpg|thumb|300px|[[Marktkirche]], [[Altes Rathaus|Rathaus]] und [[Stadthaus]] nach den Luftangriffen]]<br />
Die '''Luftangriffe auf Nordhausen''' am 3. und 4. April 1945 durch Bomber der britischen Royal Air Force zerstörten Dreiviertel der Stadt. Dabei kamen über 8.800 Menschen ums Leben, weitere 20.000 wurden obdachlos. Mit einem Wohnungszerstörungsgrad von 55% (10.000 Wohnungen) gehörte Nordhausen zu den am schwersten zerstörten deutschen Städten; zahlreiche Denkmale von hervorragender Bedeutung, darunter die für Nordhausen charakteristischen Fachwerkbauten des 13. bis 19. Jahrhunderts, wurden vernichtet. Der historische Stadtkern, die Neustadt und die Gebäude um die [[Frauenbergkirche]] wurden fast gänzlich eingeebnet. Erhalten blieben die Gebiete westlich und nördlich der [[Stadtmauer]], [[Barfüßerstraße]], [[Kalte Gasse]], Teile des historischen [[Königshof]]s sowie der Stadtteil [[Altendorf]]. Ein Großteil der stark beschädigten Bauwerke wurde nach dem Zweiten Weltkrieg abgerissen. <br />
Die zerstörerische Gesamtwirkung aller Bomben und Luftminen war von keinem Einzelangriff im Luftkrieg gegen Deutschland auch nur annähernd erreicht worden.<ref>Geiger: ''Nordhausen im Bombenvisier''. S. 150.</ref> Bei der Bombardierung von Nordhausen handelte es sich um die größte Katastrophe in ihrer tausendjährigen Stadtgeschichte. <br />
<br />
== Nordhausen im Krieg ==<br />
Nordhausen hatte vor dem Zweiten Weltkrieg ca. 42.000 Einwohner. Während des Krieges stieg deren Zahl durch Ortsfremde (Luftkriegsevakuierte, Flüchtlinge, ausländische Arbeitskräfte, Verwundete und Kriegsgefangene) Anfang März 1945 auf 65.000 Einwohner.<ref>Peter Kuhlbrodt (Hrsg.): ''Schicksalsjahr 1945. Inferno Nordhausen''. Nordhausen: Archiv der Stadt Nordhausen, 1995. S. 20, 33 </ref> Insbesondere für Evakuierte aus Berlin, Hamburg und Westdeutschland waren Stadt und Kreis Nordhausen als Aufnahmeräume ausgewiesen.<br />
<br />
Der Bau von Luftschutzanlagen begann im Spätsommer 1943. Viele Bunkeranlagen in der Innenstadt blieben unvollendet. Am 29. November 1943 wurde für Nordhausen ein Evakuierungsplan, der Aussiedlungsrichtungen und Aufnahmegebiete festlegte, ausgearbeitet.<ref>Geiger: ''Nordhausen im Bombenvisier''. Nordhausen: Verlag Neukirchner, 2000. S. 65</ref><br />
<br />
{| class="wikitable sortable"<br />
|+ style="padding-bottom:1em" | Bis zum 22. Februar 1945 realisierte Stollenabschnitte<ref>Ullrich Mallis: ''Der Luftschutzstollen am Johanneshof / Neuer Weg. Ein Nordhäuser Baudenkmal'', in: ''[[Nordhäuser Nachrichten. Südharzer Heimatblätter (2/2011)]]'', S. 10.</ref><br />
|- class="hintergrundfarbe6"<br />
! class="unsortable" | Stollenabschnitte !! class="sortable" | Länge !! class="unsortable" | Herstellung !! class="unsortable" | Ausbauart !! class="unsortable" | Bemerkung<br />
|-<br />
| Stollen IA, Mühlhof || style="text-align:right" | 55,00 m<br />
| Okt. 1943 – Febr. 1944 || Beton, 27,5 m nur Holzausbau || Richtung Loge<br />
|-<br />
| Fluko-Bunkerzugang || style="text-align:right" | 2,40 m<br />
| Febr. – März 1944 || Eisenbetongewölbe || IA, > 40 m links<br />
|-<br />
| Kreuz IA-Stummel || style="text-align:right" | 0,50 m<br />
| März 1944 || Eisenbetongewölbe, wie das gesamte Kreuz IA || Drehscheibe<br />
|-<br />
| Stollen IB, Johannishof || style="text-align:right" | 38,50 m<br />
| Nov. 1943 – April 1944 || Beton, 22,5 m mit Firstschienen || noch begehbar<br />
|-<br />
| Stollen von IA nach IB || style="text-align:right" | 66,10 m<br />
| März 1944 – Nov. 1944 || Beton || Durchschlag im Nov. 1944<br />
|-<br />
| Stollen von IB nach IA || style="text-align:right" | 38,25 m<br />
| April 1944 – Nov. 1944 || Beton || Durchschlag im Nov. 1944<br />
|-<br />
| Oststollen, von IA-IB ab || style="text-align:right" | 21,75 m<br />
| Dez. 1944 – Febr. 1945 || Seitenbeton, Art des Firstausbaues nicht benannt || <br />
|-<br />
| Südstollen IC, ab IB || style="text-align:right" | 49,75 m<br />
| April 1944 – Febr. 1945 || || zum Lohmarkt<br />
|-<br />
| class="hintergrundfarbe5" | Gesamt: || style="text-align:right" class="hintergrundfarbe5" | 272,25 m<br />
| class="hintergrundfarbe5" | Okt. 1943 – Febr. 1945 || class="hintergrundfarbe5" | || class="hintergrundfarbe5" |<br />
|}<br />
<br />
<br />
<br />
Als Garnisonstadt hatte Nordhausen keine ältere Tradition. Ab 1935 wurde im Süden die [[Boelcke-Kaserne]] errichtet, mit Unterkünften und Fahrzeughallen; sie diente der Ausbildung von Luftnachrichtensoldaten. Daneben entstanden ein Fliegerhorst als Ausbildungsplatz und zeitweise Flugzeugwerft. Bis März 1945 wurden hier Flugzeuge für den Mistelschlepp ("Huckepack"-Flugzeuge) montiert und Piloten dafür geschult. Sonst diente der Fliegerhorst 1945 noch zum Auftanken von Jagdflugzeugen. In provisorischen Unterkünften in der Stadt gab es die evakuierte "Marineverwaltung West". In der Stadt und ihrer nahen Umgebung existierten viele Lazarette mit insgesamt etwa 1.000 Verwundeten. Die Lazarette und Krankenhäuser trugen weithin sichtbare große Rotkreuz-Symbole auf den Dächern. <br />
<br />
Das [[Mittelwerk GmbH|Mittelwerk Dora]] bei Nordhausen produzierte Anfang April 1945 keine V-Waffen oder andere Rüstungsgüter mehr. Die dort Beschäftigten, unter ihnen Tausende von Häftlingen des KZ Mittelbau-Dora und Zwangsarbeiter, wurden evakuiert. Das Werk oder seine Verkehrsanbindungen waren nie Ziel alliierter Luftangriffe. <br />
<br />
Die frühere [[KZ-Außenlager Boelcke-Kaserne|Boelcke-Kaserne]] wurde seit Herbst 1943 nicht mehr militärisch genutzt. Sie hatte seitdem Tausende von Arbeitern, später auch Flüchtlinge aufgenommen. Seit 8. Januar 1945 existierte ein bald überfülltes Häftlingslazarett in der Anlage.<ref> Manfred Schröter: ''Die Zerstörung Nordhausens''. Nordhausen: Meyenburg-Museum, 1988. S. 6-8 </ref> Im Februar kamen zeitweise 3.500 Häftlinge aus dem KZ Groß-Rosen dazu.<ref> Walter Geiger: ''Nordhausen im Bombervisier''. Nordhausen: Verlag Neukirchner, 2000. S. 258 </ref><br />
<br />
== Erste Angriffe ==<br />
In der Nacht vom 25. August auf den 26. August 1940 griffen zwei britische Bomber vom Typ Handley Page Hampden den [[Flugplatz von Nordhausen]] an und warfen vier Bomben ab.<ref>Geiger: ''Nordhausen im Bombenvisier''. S. 61 f.</ref> Es entstand ein kleiner Brand, der bald gelöscht werden konnte. <br />
<br />
Von 1940 bis 1943 gab es insgesamt 72 öffentliche Luftwarnungen und Fliegerarlarme für Nordhausen. Als sich die alliierten Luftangriffe im Jahr 1944 auf die im Hinterland gelegenen deutschen Städte intensivierten, wurde Nordhausen verstärkt Überflugsort alliierter Bomberverbände, etwa wenn sie Berlin, Dessau oder Leipzig anflogen. Im März 1945 erreichten die durchschnittlich fünf bis sechs Luftalarme ihren Höhepunkt.<ref>Geiger: ''Nordhausen im Bombenvisier''. S. 98 f.</ref> <br />
<br />
Am 12. April 1944 flogen während der Mittagszeit zwei aus südlicher Richtung kommende amerikanische Jäger die Stadt an und töteten zwei Menschen, zwei Personen wurden schwer verletzt.<ref>Geiger: ''Nordhausen im Bombenvisier''. S. S 221 f.</ref> <br />
<br />
[[Datei:Luftangriffe Nordhausen Traueranzeige.jpeg|thumb|Traueranzeige vom 26. Februar 1945]]<br />
<br />
Am 22. Februar 1945 griffen gegen 12:30 Uhr US-amerikanische Bomber den Verschiebebahnhof an, trafen jedoch die Unterstadt, einige Anlagen des Industriegebietes und die vormalige Fernmeldeschule der Luftwaffe in der [[Boelcke-Kaserne]]. Insgesamt fielen 296 Mehrzweckbomben und töteten 40 Menschen. Im ''[[Südharzer Kurier]]'' erschien am 26. Februar eine Todesanzeige für die „Gefallenen des Terrorangriffs“ mit der Ankündigung zur Beisetzung. <br />
<br />
Am 28. Februar 1945 warfen drei amerikanische Maschinen 2,5 Tonnen Sprengbomben auf die Stadt ab. <br />
<br />
Am 1. April 1945 wurden das Auto-Hotel Hesse durch Bomben getroffen und zahlreiche Menschen getötet.<br />
<br />
== Großangriffe im April 1945 ==<br />
[[File:Avro Lancaster Mk 1 ExCC.jpg|thumb|Langstreckenbomber vom Typ ''Avro Lancaster'', wie sie bei der Bombardierung von Nordhausen zum Einsatz kamen.]]<br />
[[File:Mosquito 600pix.jpg|thumb|Zielmarkierer ''De Havilland Mosquito'' (1944)]]<br />
Am 3. April 1945 starteten gegen 13 Uhr die englischen Bomberverbände und erreichten Nordhausen um 16 Uhr. Die 247 Avro-Lancaster-Bomber (Tragfähigkeit je 6 Tonnen Bombenlast) und 9 Mosquito-Mehrzweckflugzeuge warfen in 20 Minuten ca. 1.216 Tonnen Sprengbomben ab und trafen vor allem die Außenbezirke von Nordhausen.<ref>Groehler: ''Bombenkrieg gegen Deutschland'', S. 422.</ref> Im Stadtinnern fielen Bomben um die [[Neustadt-Kirche]] und [[Neustadtstraße]]. In den umliegenden Wäldern und Ortschaften [[Sundhausen]], [[Bielen]], [[Himmelgarten]], [[Leimbach]] und [[Krimderode]] fielen schwere Bomben und Luftminen. Getroffen wurde auch die mit kranken Häftlingen überbelegte [[Boelcke-Kaserne]], wo allein in einer mit Tuberkulose-Kranken belegten Flugzeughalle 450 Menschen den Tod gefunden haben sollen.<ref>Wagner: ''Produktion des Todes.'' S. 280</ref> Die Stadt ohne Strom und Leitungswasser. Die Verletzten wurden gesammelt und nach [[Neustadt/Harz|Neustadt]] und [[Sülzhayn]] gebracht, die Ausgebombten erhielten Notquartiere in der Stadt selbst und ihrer Umgebung. Viele Nordhäuser flüchteten aus der Stadt. Zwei Stollen der unterirdischen Anlagen von Mittelbau Dora im Kohnstein nahmen bereits am 3. April Geflüchtete auf, später wurden es 10.000. Das Stadtkrankenhaus war beschädigt, die Patienten wurden in Notkrankenhäuser in das benachbarte [[Petersdorf]] gebracht, vor allem in das Ausflugsrestaurant Harzrigi.<ref> Manfred Schröter: ''Die Zerstörung Nordhausens''. Nordhausen: Meyenburg-Museum, 1988. S. 22, 23 </ref> Bomben fielen auch auf mehrere benachbarte Dörfer und deren Flur, besonders betroffen war Bielen. Zwei Bomber gingen beim Hin- und Rückflug verloren. Der erste Angriff erzielte die gewünschte Wirkung jedoch nicht. Der Angriff am 3. April war aus Sicht der RAF ein Misserfolg.<!-- (Quelle?) --> Viele Einwohner zogen am Abend des 3. April zum nahen [[Kohnstein]], wo die mittlerweile fast verlassenen Stollen des Mittelwerks Schutz boten.<br />
<br />
{{Zitat|Die Stadt ist schwer getroffen, aber sie ist noch eine organisierte Gemeinschaft… Gegenseitige und Nachbarschaftshilfe wird geleistet. Die Stadtverwaltung und die Luftschutzleitung setzen ihre Kräfte ein. Rotes Kreuz und die Krankentransporte kommen an die Schwerpunkte. Man leitet die Evakuierung des beschädigten Krankenhauses ein. Die Verletzten des Angriffs werden geborgen, abtransportiert, in den Gaststätten Parkhaus und Kurhaus gesammelt und schließlich nach Neustadt und Sülzhayn weiterbefördert. Die Feuerwehr bekämpft die wenigen (?) Brandherde.|[[Manfred Schröter]]: ''[[Die Zerstörung Nordhausens und das Kriegsende im Kreis Grafschaft Hohenstein 1945]]''}}<br />
<br />
Am 4. April gegen 9 Uhr begann der zweite Großangriff der RAF. Der Verband kam über Gotha, Bad Langensalza und Schlotheim. Für 93 Bomber wurde die Boelcke-Kaserne als Angriffsziel befohlen, die anderen 150 hatten das Stadtzentrum anzugreifen.<ref>Geiger: ''Nordhausen im Bombenvisier''. S. 146 f.</ref> Zwei Bomber mussten frühzeitig zurückkehren, und zehn weitere hatten ihren militärischen Auftrag verfehlt, so dass von den 243 Flugzeugen 231 am Luftschlag teilnahmen. Ein Bomber explodierte über der Stadt. Die örtliche Feuerwehr war, soweit noch vorhanden, von der Lage völlig überfordert. Unter der überlebenden Bevölkerung herrschte Panik, viele verließen fluchtartig zu Zehntausenden das Inferno der Stadt in Richtung Kohnstein. Auch außerhalb von Nordhausen wurde sie von Jagdbombern beschossen.<ref> Manfred Schröter: ''Die Zerstörung Nordhausens''. Nordhausen: Meyenburg-Museum, 1988. S. 26 </ref> Am Abend und in der Nacht war die Stadt ein weithin leuchtendes Flammenmeer.<ref> Peter Kuhlbrodt: ''Schicksalsjahr 1945. Inferno Nordhausen''. Nordhausen 1995. S. 23 </ref> In der Mitte davon leuchtete der Kirchturm von St. Petri als riesige Fackel, die gegen Mitternacht zusammenbrach und auf das Kirchenschiff stürzte. RAF-Piloten, die von einem Einsatz bei Merseburg zurückflogen, berichteten um 23.00 Uhr von „good fires at Nordhausen“.<ref> Walter Geiger: ''Nordhausen im Bombervisier''. Nordhausen, 2000. S. 180 f.</ref> <br />
Der gebürtige Nordhäuser Schriftsteller [[Rudolf Hagelstange]] schrieb in seiner deutschen Familienchronik (Band 2: „Der Niedergang“, Seite 254) über die Feuersbrunst in seiner Heimatstadt: „Und die Hitze war so groß, dass in den meisten Straßen, sofern sie nicht gepflastert waren, der Asphalt geschmolzen war, dass Flüchtende da und dort in ihn eingesunken waren, einige unlöslich und damit zum Flammentod verurteilt.“<br />
<br />
=== Opfer ===<br />
[[Datei:Einwohnerentwicklung von Nordhausen ab 1800.svg|thumb|Einwohnerzahl von Nordhausen ab 1800. Deutlich sichtbar der Höhepunkt 1945]]<br />
Bei den Großangriffen im April 1945 kamen ca. 8.800 Menschen ums Leben. Diese Zahl geht auf Schätzungen vom Februar 1948 zurück.<ref name="Kuhlbrodt125">Kuhlbrodt: ''Inferno Nordhausen''. S. 125 f.</ref> Vor dem Abgriff befanden sich rund 65.000 Personen in der Stadt (42.000 ständige Bevölkerung, Militärpersonen, Gefangene, ausländische Arbeiter, Spezialarbeiter der Kriegsindustrie, Evakuierte). Der Antifa-Ausschuss von Nordhausen schätzte am 17. Juni 1945, dass über 10.000 Menschen bei den Bombenangriffen ums Leben gekommen seien.<ref> Peter Kuhlbrodt: ''Schicksalsjahr 1945. Inferno Nordhausen''. Nordhausen 1995. S. 115 </ref><br />
<br />
In den ersten Tagennach dem Einmarsch der Amerikaner ließ der US-Stadtkommandant in den Straßen liegende Leichen auf den Sonderfriedhof am Schlageter-Ring bringen. Andere wurden an Ort und Stelle in Bombentrichtern beerdigt. Eine beträchtliche Zahl ziviler Opfer und deutscher Soldaten wurde dann in dem höher gelegenen Teil des heutigen Ehrenfriedhofs in Massengräbern beigesetzt, unweit der getöteten Häftlinge aus der Boelcke-Kaserne. Für die später gefundenen Opfer ohne Anhang wurden Massengräber im vorderen Teil des Alten Hauptfriedhofs in der Leimbacher Straße angelegt. Heute steht an dieser Stelle ein Wohnblock. Auf dem Neuen Hauptfriedhof am Ring sind in den ersten Wochen und Monaten 920 Bombenopfer beerdigt worden.<br />
<br />
{| class="wikitable"<br />
|-<br />
| Verluste der ständigen Bevölkerung || 6.000<br />
|-<br />
| Verluste der nicht ständigen Bevölkerung || 1.500<br />
|-<br />
| Verluste der Häftlinge der Boelcke-Kaserne || 1.300<br />
|-<br />
| zusammen || 8.800<br />
|-<br />
|} <br />
<br />
==== Persönlichkeiten ====<br />
* [[Paul Urban]] (geb. 1892), KPD-Stadtrat<br />
<br />
=== Schäden und Totalverluste ===<br />
<br />
Der Zerstörungsgrad der Stadt wurde mit 74 Prozent errechnet. Die Gesamtfläche des zerstörten Gebietes betrug 810.000 Quadratmeter. Von den 13.075 Wohnungen wurden 6.187 total zerstört und 4.575 beschädigt.<br />
<br />
==== Kirchen ====<br />
<br />
[[Datei:Petri-Kirche Außenansicht.JPG|thumb|[[St.-Petri-Kirche]]]]<br />
*[[St.-Jakobi-Kirche]]: Am 3. April erheblich durch Bomben zerstört. Reste des Schiffes abgetragen, Turmruine zu DDR-Zeiten beseitigt.<br />
*[[Marktkirche]]: Am 3. April weitgehend zerstört. Ruinenreste abgetragen.<br />
*[[St.-Petri-Kirche]]: Am 3. April bis auf Turm und Chor zerstört, zahlreiche Menschen finden in der Kirche den Tod. Der Turm erhielt 1954 ein Notdach, die übrigen Ruinenteile wurden beseitigt. 1987 wurde ein neuer Turmhelm gesetzt.<br />
* [[St.-Blasii-Kiche]]: Dach und Mauerwerk am 4. April durch Bombentreffer erheblich beschädigt [[Cranachgemälde]] im Auslagerungskeller verbrannt. Bis 1949 Wiederherstellung des Daches, Ausbesserung Mauerwerk, Erneuerung des Inneren.<br />
*[[Nordhäuser Dom]]: Am 4. April schwere Schäden durch Brandzerstörung des Steildaches über der Halle und Vernichtung der Fenster. Noch 1945 Fertigstellung Notdach und Beseitigung der Folgeschäden. 1965 Wiederherstellung des Steildaches in ursprünglicher Form.<br />
*[[Frauenbergkirche]]: Am 4. April durch Bomben schwer zerstört. Erhalten blieben Umfassungsmauern der Chor mit Apside, die Nebenchöre und das Querschiff, vom Langhaus nur Reste des ersten Joches sowie des Westportals. Von 1953 bis 1955 folgten Enttrümmerung und Sicherungsarbeiten.<br />
*[[Frauenbergkloster]]: Am 4. April durch Bombentreffer total zerstört. Gebäudereste wurden nach 1945 entfernt.<br />
<br />
==== Öffentliche Bauten ====<br />
*[[Rathaus]]: Am 4. April bis auf die Umfassungsmauern zerstört, Turm ausgebrannt. Ab 1951 Trümmer entfernt und Wiederaufbau bis 1952, dabei wurden die Erdgeschoßarkaden und das Innere neu gestaltet. Zum ebenfalls schwer zerstörten [[Stadthaus]] wurde der Verbindungsgang wiederaufgebaut, der [[Roland]] restauriert.<br />
*[[Stadtmauer]]: Es entstanden Schäden an der Stadtmauer, wobei besonders die teilweise genutzten Türme und Wiechhäuser betroffen wurden. Nach dem Krieg wurden Ruinen abgetragen und Sicherungsarbeiten durchgeführt. Zur Landesgartenschau 2004 erfolgten umfangreiche Sanierungsarbeiten, besonders um den [[Petersberg]]. <br />
*[[Theatergebäude]]:<br />
<br />
==== Fachwerkbauten ====<br />
[[Datei:Nordhäuser Roland 1945.jpg|thumb|Das ausgebrannte Rathaus mit dem [[Nordhäuser Roland|Roland]], der die Angriffe wie durch ein Wunder überstand]]<br />
[[Datei:Riesenhaus, Riese, Postkarte.jpg|thumb|Postkarte vom [[Riesenhaus]] am Holzmarkt (Lutherplatz) mit dem [[Nordhäuser Riese]]n.]]<br />
Bedeutende Fachwerkhäuser, die zerstört wurden (lt. dem Denkmalpfleger Rudolf<br />
Zießler):<br />
<br />
*[[Bäckerstraße]] 22: Mitte des 18. Jahrhunderts errichteter dreigeschossiger, neunachsiger, verputzter Fachwerkbau mit massivem Erdgeschoß, Satteldach und Zwerhaus. Stichbogenfenster mit einfacher profilierter Rahmung in Dreiergruppen. Betonung der Mittelachse durch ein von Pilastern flankiertes Portal mit gesprengtem Giebel, darauf ruhende Frauen und Wappen sowie durch einen auf Konsolen sitzenden Balkon mit schmiedeeisernem Gitter.<br />
*[[Blasiistraße]] 15: Alte Schule. Errichtet um 1700 als dreigeschossiger stattlicher Fachwerkbau mit hohem Satteldach. Unregelmäßige Fenstergruppierung (im ersten Obergeschoß dreizehn Achsen). Fachwerk mit halben Männern. Obergeschoß vorkragend mit Balkenköpfen und gekehlten Füllhölzern.<br />
*Blasiistraße 21: Bedeutendstes Renaissance-Fachwerkhaus Nordhausens von etwa 1550. Dreigeschossig mit zehn Fensterachsen in unregelmäßiger Gruppierung, Geschosse stark vorkragend. Reich ausgebildetes Schmuckfachwerk mit Balkonköpfen, Knaggen, Füllhölzern und Schiffskehlen. Haupteingang mit kräftigen Gewämdepfosten und halben Sonnen um 1700.<br />
*[[Hagenstraße]] 4: Um 1800 errichtet als zweigeschossiger, verschieferter Fachwerkbau mit zehn Fensterachsen. Eckpilaster, ebensolche toskanische Holzpilaster flankieren die vier Mittelachsen und nehmen einen verschieferten Dreieckgiebel auf. Stichbogenfenster mit einfacher Rahmung und Schlußsteinbetonung.<br />
*Hagenstraße: Ilfelder Hof, ehem. Klosterhof, seit dem ersten Viertel des 18. Jahrhunderts Kurhannoversche Postverwaltung, seit 1853 in Privatbesitz. 1277 angelegt, später erweitert, im 17. Jahrhundert Neubau auf erweitertem Grundriss mit massivem Erdgeschoß und zwei Fachwerkobergeschossen, verschiefert.<br />
*[[Holzmarkt]] (Lutherplatz): „Riesenhaus“. 1375 erstmals erwähntes Patrizierhaus mit massivem Erdgeschoss, zwei Fachwerkobergeschossen und Satteldach. Nach Brand von 1710 im Fachwerk erneuert. Fassade gegliedert durch zwölf Fensterachsen, jeweils in Dreiergruppen angeordnet. Fachwerkkonstruktion mit Wilden Männern. Mittelgiebel mit einem Mann in Ritterrüstung ([[Nordhäuser Riese]]), der eine Lanze hält. 1805 Einrichtung einer Gaststätte, Verputz des Fachwerks und klassizistische Fassadengestaltung. 1927 Endrestaurierung und Wiederherstellung des Fachwerks.<br />
*Jakobikirchplatz 4: Lateinschule. Zweigeschossiger Fachwerkbau von 1493 mit Satteldach. Ständer- und Riegelbau. Vorkragendes Obergeschoß über geschwungene Knaggen. Durchlaufender Fensterbrustriegel.<br />
*Jakobikirchplatz: Pfarrhaus. 1687 errichteter zweigeschossiger Fachwerkbau mit Krüppelwalmdach. Fenstergruppierung unregelmäßig. Stiele und Brustriegel durch Wilde Männer verstärkt. Geringe Auskragung, Balkonköpfe und Schwelle mit einfacheren Profilen. Gefache mit Ziegeln in Mustern ausgemauert. Oberdeutsch beeinflusstes Fachwerk.<br />
*[[Königshof]] 14: Dreigeschossiger Fachwerkbau mit oberdeutschen Stilelementen, ganze und halbe Männer. Um 1780 Verkleidung der Fenster mit Rokokogirlanden.<br />
*[[Krämerstraße]] 11: Verschieferter, zweigeschossiger, fünfachsiger Fachwerkbau mit spätbarockem Volutengiebel. Stichbogenfenster mit Rahmenverkleidung. Erdgeschoss durch Ladeneinbauten verändert.<br />
*Krämerstraße 15: Um 1700 errichteter schmaler dreigeschossiger Fachwerkbau in oberdeutschem Stil mit halben Männern an den Ecken. Balkonköpfe und Füllhölzer mit einheitlichem Profil. Satteldach mit Zwerchhaus.<br />
*[[Lohmarkt]] 2, 4, 20, 21: Nach 1686 errichtete Gerberhäuser. Zwei- bzw. dreigeschossige Fachwerkgebäude im gleichen oberdeutschen Baustil wie Pfarrhaus Jakobikirchplatz. Besonders reich ausgebildet der Türstock mit Renaissanceformen und Inschrift. Satteldächer mit Zwerchhäsern (Ladeluken).<br />
*[[Neustadtstraße]] 27: Zweigeschossiger, elfachsiger Fachwerkbau aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts mit Satteldach. An den Fenstern Rokokoverkleidung.<br />
*Neustadtstraße 35: Zweigeschossiger, achtachsiger Fachwerkbau aus der Mitte des 18. Jahrhunderts auf Sandsteinsockel. Türen und Fenster in Stichbogen mit geschnitzter Rokokoverkleidung.<br />
*Neustadtstraße 47: Dreigeschossiger Fachwerkbau der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts mit Krüppelwalmdach. Rokokofensterbekleidungen handwerklich vereinfacht.<br />
*[[Pferdemarkt]] 17: Dreigeschossiger Fachwerkbau von etwa 1550, niederdeutsch beeinflusst. Auskragung des Obergeschosses mit Balkonköpfen, Knaggen und Füllhölzern. Erdgeschoß baulich verändert.<br />
*[[Sandstraße]] 3, 21, 23, 28: Diese Häuser hinsichtlich der Entstehungszeit und der architektonischen Ausbildung denen der Neustadtstraße entsprechend.<br />
<br />
==== Situation nach dem Großangriff ====<br />
[[Datei:Boelcke-Kaserne-Tote HäftlingeA.jpg|thumb|Einwohner Nordhausens tragen am 12. April 1945 unter Bewachung von Angehörigen der US-Armee tote Häftlinge aus der Boelcke-Kaserne und legen sie davor ab]]<br />
[[File:Nordhausen um 1930.jpeg|thumb|Der Stadtteil [[Altendorf]] blieb weitgehend unzerstört (Luftaufnahme um 1930)]]<br />
Das britische Bomber Command berichtete als Ergebnis der beiden Großangriffe, dass „die Stadt fast vollständig zerstört wurde, inbegriffen die Kasernenblöcke.“<ref> Walter Geiger: ''Nordhausen im Bombervisier''. Nordhausen: Neukirchner, 2000. S. 154 </ref> <br />
Die Situation für die Bevölkerung nach den Angriffen kann nur mit dem Begriff „Inferno“ beschrieben werden. Das Stadtzentrum konnte tagelang nicht betreten werden. Es wüteten noch zahlreiche Brände<ref> Peter Kulhlbrodt: ''Schicksalsjahr 1945. Inferno Nordhausen''. Nordhausen 1995. S. 24</ref>, die Schutthaufen strahlten unerträgliche Hitze aus. Bomben mit Zeitzündern gingen hoch. Über den Trümmerfeldern lag bald Leichengeruch, besonders im Bereich der Boelcke-Kaserne. In den Nächten des 6. und 7. April wurden die Kranken und Verwundeten aus Nordhausen und Umgebung durch alle verfügbaren Fahrzeuge, besonders mit Bauern-Gespannen, in den Kohnstein in Sicherheit gebracht. Die Nordhäuser Bevölkerung (?) verteilte sich nach Schätzungen am 7. April wie folgt: 6.000 (8.800) Opfer tot unter den Trümmern, 6.000 Überlebende noch in der Stadt, 10.000 im Kohnstein und 20.000 in den umliegenden Dörfern, besonders nordöstlich der Stadt.<ref> Manfred Schröter: ''Die Zerstörung Nordhausens''. Nordhausen: Meyenburg-Museum, 1988. S. 30 </ref> Am 8. April flogen 6 Jagdbomber noch einen Tagesangriff nach Zielmarkierung auf Nordhausen, parallel zu dem Bombardement auf [[Sondershausen]]. Am 10. April näherten sich US-Panzer aus Richtung [[Hain (Kleinfurra)|Hain]] dem Süden der Stadt und nahmen ihn unter Feuer, darunter die Trümmer der Boelcke-Kaserne.<ref> Manfred Schröter: ''Die Zerstörung Nordhausens''. Nordhausen: Meyenburg-Museum, 1988. S. 37 </ref><br />
<br />
== Nachwirkungen ==<br />
Insgesamt waren vom britischen Bomber Command 2.386 Tonnen und von der 8. US Air Force 296 Tonnen Bombenlast auf Nordhausen abgeworfen worden.<ref> Olaf Groehler: ''Bombenkrieg gegen Deutschland''. Berlin: Akademie-Verlag, 1990. S. 449 </ref><br />
Eine der am längsten nachwirkenden Folgen der Luftangriffe für die Bürger der Stadt blieben Hunderte von Blindgängern aller Kaliber: zwischen den Trümmern der Stadt und im Erdreich der Straßen, Gärten und Felder. In den ersten Jahren machten sich die Feuerwerker Jochen Nebel und Albin Diebler sehr verdient um die Entschärfung gefundener Bomben, ab 1962 der - deshalb zum Ehrenbürger ernannte - Helmut Zinke. Im Stadtgebiet wurden 1948 bis 1953 etwa 100 Bomben entschärft, dann 248 Blindgänger von 1954 bis 1999 entzündet und geräumt.<ref>Walter Geiger: ''Nordhausen im Bombervisier''. Nordhausen, 2000. S. 263-264 </ref> <br />
<br />
Noch 2014 gilt eine Verordnung in Nordhausen, nach der jeder Bürger, der bauen will, sicherstellen muss, dass unter seinem Grund und Boden kein Gefahrgut liegt.<ref>Katja Dörn: ''Die Gefahr rostet im Thüringer Boden''. Thüringische Landeszeitung, 12. Dezember 2014 </ref><br />
<br />
Auswahl weiterer Funde von Blindgängern:<br />
* 1996: 250-Kilogramm-Blindgänger wird gesprengt<br />
* 2008: 227-Kilogramm-Bombe in der Altstadt<br />
* 2010: Fünf-Zentner-Bombe am [[Taschenberg]] entdeckt, 4.500 Menschen wurden evakuiert, Bombe konnte nicht entschärft werden<br />
* Juni 2016: Kontrollierte Sprengung einer 800-Kilogramm-Bombe, Leimbach und Steigerthal mussten geräumt werden (1.080 Einwohner) <br />
* Dezember 2016: Fünf-Zentner-Bombe am [[Strohmühlenweg]], ca. 1000 Einwohner, so auch die Hochschule Nordhausen, wurden evakuiert<br />
* September 2017: Bombe auf einem Feld in der [[Windlücke]], ca. 3000 Einwohner evakuiert, Bombe entschärft<ref>https://www.nnz-online.de/news/news_lang.php?ArtNr=219719</ref><br />
* Oktober 2018: Bombe in der Windlücke, ca. 3000 Einwohner evakuiert, Bombe entschärft<ref>https://www.nnz-online.de/news/news_lang.php?ArtNr=243515</ref><br />
* November 2018: Bombe in Bielen, 1.1000 Einwohner wurden evakuiert (Sperrzone 1 Kilometer), Bombe entschärft<br />
* August 2019: 225-Kilogramm-Bombe an der [[Zorge]], 2.500 Einwohner wurden evakuiert (Sperrzone 500 Meter), Bombe entschärft und Zünder gesprengt<br />
* November 2019: 225-Kilogramm-Bombe am [[Stadttheater]], ca. 15.000 Einwohner wurden evakuiert (Sperrzone 1 Kilometer), Bombe entschärft und Säurezünder gesprengt. Es war die größte Evakuierungsaktion in Nordhausen nach dem Zweiten Weltkrieg.<ref>MDR, 8. November 2019</ref><br />
<br />
== Rezeption ==<br />
[[Datei:Nordhausen mahnt 1949.jpg|thumb|200px|Werbeplakat zur Ausstellung „[[Nordhausen mahnt - Ausstellung vom 6. bis 27. März 1949|Nordhausen mahnt]]“ im März 1949]]<br />
Luftangriffe waren im Zweiten Weltkrieg für alle Kriegsparteien zum entschiedenen strategischen Kriegskonzept geworden. Die Westalliierten glaubten durch die planmäßige und massive Zerstörung deutscher Städte, vor allem der Wohngebiete der Industriearbeiter, die Moral und den Widerstandswillen der Bevölkerung zu brechen und den Krieg schneller beenden zu können.<ref>Johannes Volker Wagner: ''Bomben auf Bochum''. S. 3.</ref> Im Januar 1943 einigten sich Großbritannien und die Vereinigten Staaten in Casablanca auf die Forderung nach bedingungsloser Kapitulation des Deutschen Reiches und auf eine weitere Verschärfung des Bombenkrieges. Zu dieser Zeit war die deutsche Luftabwehr längst nicht mehr in der Lage, das Reichsgebiet zu verteidigen. Die Alliierten erreichten ihr Ziel der Demoralisierung jedoch nicht, und viele Deutsche klammerten sich in Verzweiflung an die Hoffnung auf einen „Endsieg“.<br />
<br />
<!-- Auszug aus „Winston Churchill“. Der späte Held, eine Biographie von Thomas Kielinger, erschienen im Verlag C.H. Beck, Kapitel XY, Seite 301 ff.: Nach dem Kriege stand eine andere Verantwortung Churchills im Vordergrund – „für die Vernichtung von nahezu 60 der größten Städte Deutschlands“. „Mit dem Untergang Dresdens sind auch nachdenkliche Briten bis heute nicht fertig. Die Zweifel, ob die Zerstörung dieser und anderer Städte so kurz vor dem nahen Kriegsende zu rechtfertigen war, haben sich längst zu dem Urteil verdichtet: Sie war es nicht! ... Hilft es zur Erklärung darauf hinzuweisen, dass in der Schlussphase des Krieges deutsche V1- und V2-Waffen weiterhin Zerstörung auf Antwerpen, Paris und London regnen ließen? Eine V2 schlug noch am 27. März 1945 im Osten Londons ein und tötete 134 Menschen. Die britische öffentliche Meinung hätte es nicht verstanden, wenn die mili-tärische Führung auf Schonung des Gegners geschaltet hätte, wo dieser bis zum Ende Vernichtung spie.“<br />
<br />
„Aber die alte Frage bleibt, die Lothar Kettenacker 2003 in dem Sammelband „Ein Volk von Opfern?“ noch einmal stellte – „ob der Zweck die Mittel heiligt, ob die Beseitigung einer unheilvollen Diktatur die rücksichtslose Bombardierung der Bevölkerung rechtfertigt. Unbehagen äußerte Churchill selbst schon 1943, als ihm Bilder von den Auswirkungen der Bomben in Deutschland vorgelegt wurden ...“ Der Australier Ricard Casey, der an den Sitzungen des britischen Kriegsrates ... teilnahm, schrieb am 27. Juni 1943 in sein Tagebuch: „Es wird ein Film gezeigt über das nächtliche Bombardement einer deutschen Stadt, und plötzlich richtet sich Churchill steil in seinem Sessel auf und sagt zur mir: ‚Sind wir Bestien? Gehen wir nicht zu weit? <br />
<br />
Churchills Meinungen zum Bombenkrieg gegen Deutschland schwankten. Nach der Zerstörung Dresdens begegnet man bei ihm, spät, einer eindeutigen Ablehnung, so in dem berühmten Memorandum vom 28. März 1945:‚Der Moment scheint mir gekommen, wo die Frage der Bombardierung deutscher Städte zum Zwecke der Erhöhung des ''''terrors'''' (in Englisch mit der Bedeutung von Angst und Schrecken) auch wenn wir andere Vorwände nennen, überprüft werden sollte... Es ist nötig, dass wir uns mehr auf militärische Ziele konzentrieren wie Öllager und Kommunikationszentren hinter der unmittelbaren Kampfzone, statt auf Akte des reinen terrors und der mutwilligen Zerstörung’.“<br />
„Nicht umsonst nannte man Harris auch den ‚butcher’, den Metzger. . . Schon Max Hastings (stockkonservativer Historiker) nannte in seinem Klassiker von 1979 ‚Bomber Command’ die Auslöschung deutscher Städte noch im Frühjahr 1945 ‚einen bleibenden Schandfleck’,“ soweit Kielinger. Nach Kriegsende zog sich Harris verbittert nach Südafrika zurück, weil er sich nicht gebührend geehrt vorkam. Luftangriffe hatte Harris als „relativ humane Methode“ bezeichnet. Butcher wurde er nicht wegen der zivilen Bombenopfer in Deutschland genannt, sondern weil 55 000 Angehörige des Bomber Command vom Feindflug nicht heimkehrten – jeder zweite Pilot und Bordschütze. --><br />
<br />
Im März 1945 hatte sich das Angriffstempo der US-Streitmacht im Vergleich zu den Vormonaten verlangsamt.<ref name="Gewiger158">Geiger: ''Nordhausen im Bombenvisier''. S. 158 f.</ref> Um dennoch den Stoß in das Zentrum Deutschlands als strategisches Ziel zügig fortzuführen, waren die Westalliierten zum Einsatz aller Mittel entschlossen, auch in Anbetracht eventuell noch bevorstehender Kämpfe und Widerstand im Südharz. Die Stadt Nordhausen erhielt daher militärische Bedeutsamkeit für die 1. US-Armee, auch wegen des Verschiebebahnhofs für Truppenbewegungen. Der unterirdische Rüstungsbetrieb im [[Kohnstein]] und das [[Konzentrationslager Mittelbau]] wurden dagegen nie zu Zielen von Luftangriffen. <br />
<br />
Nordhausen und Umgebung wurden Ende 1944 von britischen Fernaufklärern nachts unter tagheller Beleuchtung durch Magnesiumbomben sorgfältig aus der Luft fotografiert.<ref>Manfred Schröter: ''Die Zerstörung Nordhausens''. Nordhausen 1988, S. 55</ref> Die Bombardierung von Nordhausen wurde am 2. April 1945 vom Alliierten Oberkommando (SHAEF) befohlen.<ref name="Gewiger158"/> Gefordert wurde ein Angriff zur Unterstützung der 1. US-Armee mit Priorität zur frühestmöglichen Gelegenheit. Einige Tage zuvor wurde vom SHAEF die Zerstörung durch die RAF beschlossen.<ref>Manfred Schröter: ''Die Zerstörung Nordhausens''. Meyenburg-Museum Nordhausen, 1988, S. 54–55</ref><br />
<br />
Dieses, geführt von Luftmarschall Arthur Harris, erteilte am 2. April den unmittelbaren Befehl für einen Doppelschlag an zwei Tagen.<ref>Walter Geiger: ''Nordhausen im Bombervisier''. Nordhausen 2000, S. 108–109</ref> Der Zweck der RAF-Angriffe im April 1945 bestand darin, den Weg für einen ungehinderten Vormarsch von der im Südharzer Raum erwarteten Gegenwehr freizumachen. 3.466 britische Soldaten sollten als fliegendes Personal an den Angriffen teilnehmen. Ihnen wurde als Ziel des Angriffs erklärt: „To kill military and Nazi personnel evacuated from Berlin to these barracks“ (gemeint das Areal der Boelcke-Kaserne und die Stadt Nordhausen).<ref>Geiger: ''Nordhausen im Bombenvisier''. S. 121 </ref><br />
<br />
<!-- Bitte Quelle angeben!(Wie aus dem Text eindeutig hervorgeht: Der genannte Journalist und Gesprächspartner Dr. Meyers!) Der gebürtige Nordhäuser [[Manfred Neuber]], als Journalist von 1960 bis 1963 in London und New York, recherchierte als erster bei der Royal Air Force und der US Air Force über die Luftangriffe auf Nordhausen. Aus den detaillierten Angaben ging hervor, dass allein Bomber der Royal Air Force Nordhausen angegriffen hatten. Die SED-Propaganda hatte behauptet, es habe sich um „amerikanische Terrorangriffe“ gehandelt. So stand es auch Jahre auf der Gedenkstele für die Opfer der Luftangriffe neben dem Alten Rathaus. Neuber hatte Gelegenheit, im Jahre 1964 in Bad Lauterberg mit Dr. [[Herbert Meyer]], Oberbürgermeister Nordhausens vor Kriegsende 1945, über die Bombenangriffe zu sprechen. Dabei widerlegte Meyer noch Jahre nach dem Kriege kursierende Gerüchte, die Luftangriffe hätten eigentlich der Stadt Gotha gelten sollen. Weil die Verantwortlichen dort kapituliert hätten, sei Nordhausen angegriffen worden, weil es nicht ebenso gehandelt habe. Meyer versicherte, es habe keine Aufforderung zur Übergabe der Stadt gegeben. Zum Zeitpunkt der Luftangriffe standen die US-Panzerspitzen noch im Raume Kassel. --><br />
<br />
=== Vermutungen und Gerüchte über den Großangriff ===<br />
<br />
* Nordhausen soll Aufforderung zur kampflosen Übergabe ausgeschlagen haben.<br />
** Der Nordhäuser Oberbürgermeister bei Kriegsende, [[Herbert Meyer]], widersprach dieser Darstellung in einem Gespräch mit dem Journalisten Manfred Neuber um 1964 in Bad Lauterberg: „An die Stadtverwaltung ist niemals bis zu den Angriffen eine Aufforderung der Amerikaner ergangen, Nordhausen zur offenen Stadt zu erklären. Ich möchte bezweifeln, dass sie an Kreisleiter Nentwig ergangen ist.“<ref name="Sting252">Heinz Sting: ''Das 1000-jährige Nordhausen und der schöne Südharz''. Hannover: Nordhäuser Heimatfreunde, 1965. S. 252.</ref><br />
<br />
* Nordhausen wurde durch die US-Luftwaffe zerstört.<br />
** Es ist unbestritten und belegt, dass britische Bomber die Stadt zerstörten. „Die Einsatzbefehle der 8. US-Luftflotte sahen weder am 3. noch am 4. April 1945 Nordhausen als Ziel vor. Die Operationsberichte der 8. Luftflotte geben auch keinen Großangriff auf Nordhausen an einem dieser beiden Tage an. Der Hauptzielplan für die amerikanischen Heeresflieger in Europa während des Zweiten Weltkrieges führt ebenfalls keinen Angriff auf Nordhausen im April 1945 auf“, teilte das amerikanische Aerospace Studies Institute auf Anfrage des Journalisten Manfred Neuber zu Beginn der 1960er Jahre schriftlich mit. „Aus anderen Quellen ist zu entnehmen“, gab der Leiter für geschichtliche Studien an diesem Institut der US Air Force University auf der Maxwell Air Base in Montgomery/Alabama, bei den Recherchen des Journalisten zu Protokoll, „dass am 3.und 4 .April 1945 vom Bomber Command der Royal Air Force schwere Angriffe auf Nordhausen geflogen wurden.“ Diese Angaben wurden von der Air Historical Branch im britischen Verteidigungsministerium (damals noch Ministry of War) dem Rechercheur bestätigt. Alle<br />
hier aufgeführten Originaldokumente wurden dem Stadtarchiv Nordhausen übergeben.<br />
<br />
* Nordhausen wurde anstelle Gothas bombardiert.<br />
** Diese Behauptung wurde u. a. von [[Kurt Kohlmann]] aufgestellt. So berichtete er von zwei US-Offizieren, die entsprechende Aussagen getätigt haben sollen: „Sie erzählten mir, der Kreisleiter von Nordhausen sei dreimal aufgefordert worden zu kapitulieren. Nachdem die Faschisten das dritte Mal abgelehnt hatten, sei ein auf Gotha angesetzer US-amerikanischer Bomberverband nach Nordhausen umgeleitet worden.“<ref name="Rudloff138">Jost-Dieter Rudloff: ''Warum wurde Nordhausen eine Woche vor Kriegsende 1945 in Brand gesetzt? Informationen und Überlegungen''. In: ''Beiträge zur Geschichte aus Stadt und Kreis Nordhausen (Band 44/2019)'', S. 138.</ref> Dies wurde ebenfalls von Herbert Meyer als unglaubwürdig zurückgewiesen.<ref name="Sting252"/><br />
<br />
* Nordhausen wurde wegen der Raketen-Produktion im Kohnstein bombardiert.<br />
** Den Alliierten war bekannt, dass sich im Kohnstein ein Rüstungsbetrieb befand, nicht jedoch, dass dort die V-Waffen gefertigt wurden.<ref>Jürgen Möller: ''Konzentrationslager Mittelbau-Dora''. Bad Langelsalza 2018, S. 33.</ref> Der Kohnstein war wegen der Kriegsgefangenenlager kein Angriffsziel.<ref name="Rudloff138"/><br />
<br />
* Die Nordhäuser Bevölkerung sollte wegen dem Konzentrationslager Dora-Mittelbau bestraft werden.<br />
** Dies wird durch kein Dokument der Alliierten bestätigt.<br />
<br />
* Nordhausen wurde aus militärischen Gründen bombardiert.<br />
** Die Stadt war verkehrstechnischer Knotenpunkt und Mittelpunkt der Nordthüringer Rüstungsindustrie und wurde auch von der deutschen Armeeführung als wichtig wahrgenommen.<ref name="Rudloff140">Jost-Dieter Rudloff: ''Warum wurde Nordhausen eine Woche vor Kriegsende 1945 in Brand gesetzt? Informationen und Überlegungen''. In: ''Beiträge zur Geschichte aus Stadt und Kreis Nordhausen (Band 44/2019)'', S. 140.</ref> Für das US-Militär bildete die Stadt kein strategisches Ziel mehr.<ref name="Rudloff140"/> Die Stadt Nordhausen erhielt militärische Bedeutsamkeit für die Bodentruppen der 1. US-Armee, auch wegen des Verschiebebahnhofs für Truppenbewegungen. Die Schonung der Rüstungsbetriebe mit ihrem Personal ergab sich aus der Hoffnung, möglichst viele Waffen und Fachkräfte zu erbeuten.<ref name="Rudloff140"/> Es gibt keinen Hinweis darauf, dass Nordhausen aus militärischen Gründen bombardiert wurde.<ref name="Rudloff140"/><br />
<br />
== Aufarbeitung und Gedenken ==<br />
=== 1945 bis 1990 ===<br />
==== DDR ====<br />
Bis zur Wiedervereinigung hielt sich die Behauptung, die United States Air Force habe Nordhausen am 3. und 4. April 1945 bombardiert. Zum einen wurde der US-Luftwaffe vorgehalten, dass die Angriffe auf Nordhausen ein Akt blinder Zerstörung und militärischer sinnlos gewesen seien, da das Ende des Dritten Reiches absehbar war. Andererseits wurde mit der „Gotha-Legende“ behauptet, dass Nordhausen bis zum Letzten verteidigt werden sollte und es deshalb zum Luftangriff kam. Damit wurde die Verantwortlichkeit für das Bombardement wahlweise den lokalen NS-Amtsträgern oder den USA zugeschrieben. <br />
<br />
Ein Interesse an einer realistischen Rekonstruktion hatte die SED auch aufgrund der Situation des Kalten Krieges nicht.<br />
Zum 40. Jahrestag der Luftangriffe wurde in der Lokalpresse erstmals von „250 britischen Lancaster-Maschinen“ gesprochen.<ref>„Die Zerstörung Nordhausens - Mahnung und Verpflichtung“, ''Das Volk'', 2. April 1985.</ref> Eine Revision der Geschichte fand jedoch nicht statt, und auch danach war mitunter vom „Zerstörungsangriff amerikanischer Bomber“ die Rede.<ref>''Unser Aktuelles Argument'', April 1985.</ref> Für die in der DDR-Propaganda kolportierte öffentliche Erinnerung erklärt sich aus dem politischen Bedürfnis, die „imperialistischen“ Angreifer als möglichst grausam und skrupellos erscheinen zu lassen, im Sinne antiamerikanischer Propaganda.<ref name="Winter63">Winter: ''Öffentliche Erinnerungen an den Luftkrieg in Nordhausen 1945 - 2005''. Marburg: Tectum-Verl., 2010. S. 63.</ref> <br />
Mit Verweis auf die Luftangriffe auf Nordhausen wurde auf tatsächliche oder vermeintliche aktuelle militärische Bedrohungen oder Konflikte Bezug genommen, z. B. auf den Vietnamkrieg. <br />
<br />
Insgesamt war die Nordhäuser Luftkriegserinnerung gekennzeichnet von einer eigentümlichen „Verwischung der Grenze zwischen Faktizität und Fiktionalität“, die nach dem Historiker Martin Sabrow typisch für das Geschichtsdenken in der DDR war.<ref>Martin Sabrow: ''Einleitung - Geschichtsdiskurs und Doktringesellschaft'', Potsdam: Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam (ZZF), 2000. S. 24.</ref><br />
<br />
Der Versuch einer wirklichen Aufarbeitung in der DDR wurde erstmals 1985 angestoßen, als [[Manfred Schröter]] anlässlich des 40. Jahrestages eine Publikation veröffentlichen wollte. Darin wurde dargelegt, dass die RAF und nicht die USAF für den Angriff im April 1945 verantwortlich gewesen war. Nachdem Schröters Buch nach Begutachtung und Korrektur durch den Historiker Olaf Groehler sowie der SED-Kreisleitung und Bezirksleitung in Druck gegangen war, konfiszierte die Kreisleitung am 29. März 1985 die gesamte Auflage und verhinderte eine Veröffentlichung.<ref name="Winter62">Winter: ''Öffentliche Erinnerungen an den Luftkrieg in Nordhausen 1945 - 2005''. Marburg: Tectum-Verl., 2010. S. 62.</ref> Vorausgegangen war ein öffentlicher Vortrag Schröters am 14. März 1985, in dem er seine Ergebnisse (im Beisein von Stasi-Spitzeln) vorstellte.<br />
<br />
Das Gedenken an die Luftangriffe wurde zu DDR-Zeiten auch stark mit dem Wieder- bzw. Neuaufbau der Stadt verwoben. In den ersten Jahren nach dem Krieg wurde vor allem zur Mithilfe agitiert, um durch das „Aufbauwerk“ einer „glücklichen, friedlichen und sonnigen Zukunft“ entgegenzutreten.<ref>„Aufbauerfolge dürfen nicht preisgegeben werden,“ ''Das Volk'', 7. April 1953.</ref> Ab Ende der 1950er Jahre verwies die SED auf die bisher erzielten Erfolge. Zum 40. Jahrestag der Bombardierung 1985 behauptete Oberbürgermeister [[Peter Heiter]], dass die Jahre des Sozialismus die erfolgreichsten in der über tausendjährigen Stadtgeschichte gewesen seien und verwies auf die Rolle der Partei als entscheidender Faktor für das Erreichte.<ref name="Winter81">Winter: ''Öffentliche Erinnerungen an den Luftkrieg in Nordhausen 1945 - 2005''. Marburg: Tectum-Verl., 2010. S. 100.</ref> <br />
Ein wichtiges Großereignis war die Instandsetzung des [[St.-Petri-Kirche|Petri-Turms]] mit einer neuen Turmspitze zum 42. Jahrestag 1987 als „wiedererstandendes Wahrzeichen“.<ref>„Kupferhelm für den Petritum“, ''Das Volk'', 7. April 1987.</ref><br />
In der Festschrift (1050 Jahre Nordhausen", 1977 herausgegeben vom Magistrat, heißt es: "Für den ausgesprochenen Terrorcharakter der<br />
anglo-amerikanischen Luftangriffe spricht auch, dass die Hauptstraßen des Schienen- und Straßenverkehrs funktionstüchtig blieben und die<br />
militärischen Anlagen der Stadt, insbesondere das Flugplatzgelände, weiter den Machthabern des Dritten Reiches für ihre verbrecherische <br />
Politik zur Verfügung standen."<br />
Die Festschrift hebt hervor: "Das heutige Nordhausen entwickelt sich dank der schöpferischen und angestrengten Arbeit der Arbeiterklasse<br />
und aller Bürger unserer Stadt, auf festen sozialistischen Fundamenten. Ständig entsteht Neues, man braucht sich nur umzuschauen."<br />
Dagegen bemerkte das "Bad Lauterberger Tageblatt" (Ausgabe vom 3./4. April 1985, Seite 3): "Der Wiederaufbau Nordhausens begann<br />
erst sehr spät und sehr schleppend. Noch immer bildet der alte Stadtkern eine weithin kahle Fläche."<br />
<br />
==== BRD ====<br />
<br />
In der Bundesrepublik wurde das Gedenken von dem Verein [[Nordhäuser Heimatfreunde]] getragen. Die erste gedruckte Ausgabe der Vereinszeitung ''[[Nordhäuser Nachrichten]]'' widmete sich der Zerstörung Nordhausens und auch in den folgenden Jahren bildete es ein wiederkehrendes Themenfeld mit zahlreichen Erlebnisberichten. Die Rolle des Vereinsvorsitzenden und früheren Nordhäuser NSDAP-Oberbürgermeisters [[Heinz Sting]] zum Gedenken wird kritisch gesehen.<ref name="Winter83">Winter: ''Öffentliche Erinnerungen an den Luftkrieg in Nordhausen 1945 - 2005''. Marburg: Tectum-Verl., 2010. S. 83 ff.</ref> So sei Sting zwar bemüht gewesen, klarzustellen, dass nicht die US-Luftwaffe die Stadt bombardierte, doch zeigte er sich auch bestrebt, die Rolle des Nationalsozialismus zu relativieren.<br />
<br />
Diese historischen Fakten hatte der Journalist [[Manfred Neuber]] schon vor 1965 in US- und britischen Archiven ermittelt und publiziert (''Bad Lauterberger Tageblatt'' um 1964 und am 3./4. April 1985 in „Das Drama von Nordhausen“, in der ''Herzberger Zeitung'' und im späteren ''HarzKurier'' in Herzberg, im ''Göttinger Tageblatt'' sowie Erwähnung in den ''Nordhäuser Nachrichten'').<br />
[[Herbert Meyer]], Oberbürgermeister Nordhausens in den letzten Kriegstagen und später Stadtdirektor in Bad Lauterberg, versicherte Manfred Neuber 1964 in einem Gespräch über dessen Recherchen in Großbritannien und in den USA, die Stadt Nordhausen habe keine Aufforderung der Alliierten erhalten, Nordhausen zur offenen Stadt zu erklären. Eine Entscheidung darüber hätte auch nicht in seiner Kompetenz gelegen: „Ob eine solche Aufforderung an den Kreisleiter Hans Nentwig ergangen ist und ob dieser sich geweigert hat, ihr nachzukommen, weiß ich nicht. Ich möchte es aber bezweifeln“, erklärte Meyer (Originalzitat in den Aufzeichnungen über das Treffen). Der NSDAP-Kreisleiter [[Hans Nentwig]] hatte das Bombardement in seiner Ausweich-Befehlsstelle unbeschadet überstanden. Er lebte in der Nachkriegszeit in Katlenburg. Von der marxistischen Geschichtsschreibung in der DDR wurde ihm wegen „seiner verbrecherischen Durchhalte-Politik“ eine Hauptschuld an der Zerstörung Nordhausens zugeschrieben.<br />
<br />
=== Seit 1990 ===<br />
<br />
Der 50. Jahrestag der Luftangriffe 1995 wurde mit einer Gedenkwoche unter der Losung „Nordhausen 1945: Erinnerung – Trauer – Mahnung“ weitaus größer begangen als die Jahre zuvor. 1993 hatte das Stadtarchiv angekündigt, diverse Maßnahmen einzuleiten, um ein würdiges Gedenken zu gewährleisten. Darunter zählte das Sammeln von Zeitzeugenberichten, realisierte Veranstaltungen und Projekte sowie die Planung einer Publikation zum Thema. Am 30. März 1995 wurde eine Metallplastik auf der oberen Plattform des Petri-Turms enthüllt und einen Tag später eine Ausstellung mit Fotos und Dokumenten eröffnet. Zudem erschien unter der Leitung des Stadtarchivars [[Peter Kuhlbrodt]] das Buch ''[[Schicksalsjahr 1945 – Inferno Nordhausen]]''. In den folgenden Tagen wurde ein ökumenischer Gedenkweg abgehalten, es gab Kranzniederlegungen am Gedenkstein auf dem Hauptfriedhof, dem Ehrenfriedhof und an der Boelcke-Kaserne. Begleitet wurde das Gedenken mit einer umfassenden Berichterstattung in der Presse, die auch überregional wirkte. <br />
<br />
Nach dem Jahr 1995 wurden die Jahrestage der Luftkriegserinnerung weitaus kleiner begangen.<ref name="Winter100"/> Ab Ende der 1990er Jahre erfolgte wieder eine allgemeine Repolitisierung der Luftkriegserinnerung.<ref name="Winter100">Winter: ''Öffentliche Erinnerungen an den Luftkrieg in Nordhausen 1945 - 2005''. Marburg: Tectum-Verl., 2010. S. 100.</ref> Es zeigte sich, dass sich die öffentliche Erinnerung mehr auf gegenwärtige Ereignisse als auf die Jahre des Zweiten Weltkrieges zu beziehen schien; so werden stärkere Bezüge zu außenpolitischen Themen<ref>Winter: ''Öffentliche Erinnerungen an den Luftkrieg in Nordhausen 1945 - 2005''. Marburg: Tectum-Verl., 2010. S. 101.</ref> oder Exkurse zum Rechtsextremismus hergestellt.<ref>[https://www.nnz-online.de/news/news_lang.php?ArtNr=108899 Zum Umgang mit der Bombardierung], nnz-online, 3. April 2012.</ref> Im Vergleich zu DDR-Zeiten wurde das Spektrum der Erinnerungsakteure erweitert, und vor allem die Kirche rückte in den Vordergrund. <br />
<br />
Seit den 2000er Jahren wird der Jahrestag der Luftangriffe mit der üblichen Kranzniederlegung an der Gedenkstele am Rathaus begangen. Seit 2017 werden statt Kränzen weiße Rosen niedergelegt.<ref>[https://www.nnz-online.de/news/news_lang.php?ArtNr=209936 Gedenken an der Stele], nnz-online, 3. April 2018.</ref> Im Gegensatz zu DDR-Zeiten werden Schuldzuweisungen an die Westalliierten weniger offen aggressiv und ideologisch untermauert vorgebracht.<ref>Winter: ''Öffentliche Erinnerungen an den Luftkrieg in Nordhausen 1945 - 2005''. Marburg: Tectum-Verl., 2010. S. 110.</ref><br />
<br />
=== Denkmäler ===<br />
[[File:Denkmal Bombenangriffe Nordhausen - Mai 2015.JPG|200px|thumb|Mahnmal am Alten Rathaus]]<br />
[[File:Gedenkstein Nordhausen.jpg|mini|200px|Gedenkstein am Massengrab für 600 Bombenopfer auf dem [[Zentralfriedhof an der Leimbacher Straße|Alten Friedhof]]]]<br />
* Mahnmal für die Opfer der Bombardierungen vor dem [[Altes Rathaus|Alten Rathaus]]: 1950 wurde ein Gedenkstein und eine Flammenschale am Sockel des früheren [[Lutherdenkmal]]s angebracht. Es trug die Inschrift: „4.4. 1945 - Zerstörung Nordhausens durch amerikanische Bomber - 8800 Opfer klagen an“ (''Amerikanische'' Bomber war falsch). 1969 wurde dieses Denkmal durch eine Säule des Künstlers Jürgen von Woyski ersetzt.<br />
* Auf dem [[Ehrenfriedhof]] westlich des ''Stresemann-Rings'' befindet sich ein 1999 umgestaltetes Denkmal in Erinnerung an die hier in Massengräbern beigesetzten über 1.600 KZ-Häftlinge, zum größten Teil Opfer der Luftangriffe auf die Boelcke-Kaserne am 3. und 4. April 1945. Viele Nordhäuser zivile Bombenopfer und Soldaten wurden auf dem nördlichen Teil des Sonderfriedhofs, des jetzigen Ehrenfriedhofs, oberhalb des Denkmals in Massengräbern beerdigt.<ref>Manfred Schröter: ''Die Zerstörung Nordhausens''. Nordhausen: Meyenburg-Museum, 1988. S. 59</ref><br />
* Auf dem ''Hauptfriedhof'' findet sich ein Denkmal, das die zusammenfassende Inschrift trägt: „Zum Gedenken an die Gefallenen und Vermissten beider Weltkriege, die Toten der Bombenangriffe, die Opfer aller Gewaltherrschaft. Die Bürger der Stadt Nordhausen“. Links seitlich von dem Denkmal, vor dem begrenzenden Zaun, wurde eine größere Anzahl von Bombentoten in Gemeinschaftsgräbern beigesetzt.<ref> Manfred Schröter: ''Die Zerstörung Nordhausens''. Nordhausen: Meyenburg-Museum, 1988. S. 59-60 </ref> Dort stehen noch einige große Kreuze, die wohl darauf hinweisen.<br />
<br />
== Zitate ==<br />
<br />
* „Das Ausmaß des Schreckens, der Verwüstung und des Todes, von dem unsere Stadt an jenen Apriltagen erfasst wurde, macht sie praktisch zu einem Synonym für die japanischen Städte Hiroshima und Nagasaki. Denn vergleicht man auf Airfotos ihre zerstörten Zentren, so lässt sich schwerlich ein gradueller Wirkungsunterschied erkennen.“ – ''[[Walter Geiger]]: [[Nordhausen im Bombenvisier]], S. 154.''<br />
* „Nordhausen wurde am 3. und 4. April 1945 zerstört, weil der ehrgeizige britische Luftmarschall Sir Arthur Harris dem britischen Volk und den Alliierten zeigen wollte, dass sein "Bomber Command" das Handwerk des Tötens von deutschen Menschen perfektioniert hatte. Er löste einen furchtbaren Flächenbrand aus mit den stärksten Mitteln, die ihm zur Verfügung standen. Besonders verwerflich ist, dass er die Bombenziele auf die Nordhäuser Altstadt konzentrierte. Infam ist auch, dass er noch in den letzten Kriegstagen die Altstadt von Nordhausen mit einer nie vorher verwendeten Bomben-Mischung auslöschte. Er handelte trotzig wie ein Kind, dem man das Spielzeug wegnehmen will. Harris wollte sich in letzter Stunde in Nordhausen ein Denkmal aus Leichen und Ruinen setzen.“ – ''[[Jost-Dieter Rudloff]]: Warum wurde Nordhausen eine Woche vor Kriegsende 1945 in Brand gesetzt? Informationen und Überlegungen. In: [[Beiträge zur Geschichte aus Stadt und Kreis Nordhausen (Band 44/2019)]], S. 141.''<br />
<br />
== Literatur ==<br />
*Jost-Dieter Rudloff: ''Warum wurde Nordhausen eine Woche vor Kriegsende 1945 in Brand gesetzt? Informationen und Überlegungen''. In: ''[[Beiträge zur Geschichte aus Stadt und Kreis Nordhausen (Band 44/2019)]]''.<br />
*Harald Rockstuhl (Hrsg.): ''[[Nordhausen – Luftbild-Atlas 1935–1945]]''. Bad Langensalza: Verlag Rockstuhl, 2017. ISBN 978-3959662833<br />
*[[Walter Geiger]]: ''[[Nordhausen im Bombervisier]]''. Nordhausen: Neukirchner, 2000. ISBN 3-929767-43-0<br />
*Olaf Groehler: ''Bombenkrieg gegen Deutschland''. Berlin: Akad.-Verl., 1990. ISBN 3-05-000612-9<br />
*[[Peter Kuhlbrodt]]: ''[[Inferno Nordhausen – Schicksalsjahr 1945]]''. Nordhausen: Archiv der Stadt Nordhausen, 1995. ISBN 3-929767-09-0<br />
*[[Martin Clemens Winter]]: ''[[Öffentliche Erinnerungen an den Luftkrieg in Nordhausen 1945 - 2005]]''. Marburg: Tectum-Verl., 2010. ISBN 9783828822214 <br />
*''Schicksale deutscher Baudenkmale im Zweiten Weltkrieg''. (Bd. 2) Berlin: Henschelverlag Kunst u. Gesellschaft, 1978.<br />
<br />
== Externe Verweise ==<br />
* [https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/1/1f/Nordhausen_concentration_camp_newsreel.webm Filmaufnahmen von der Boelcke-Kaserne (1945)]<br />
<br />
== Einzelnachweise ==<br />
<br />
<references/><br />
<br />
[[Kategorie:Geschichte]]</div>Latimer Rexhttps://nordhausen-wiki.de/index.php?title=Luftangriffe_auf_Nordhausen&diff=15659Luftangriffe auf Nordhausen2020-02-09T11:12:11Z<p>Latimer Rex: /* Situation nach dem Großangriff */</p>
<hr />
<div>[[Datei:Marktkirche Rathaus Nordhausen 1945.jpg|thumb|300px|[[Marktkirche]], [[Altes Rathaus|Rathaus]] und [[Stadthaus]] nach den Luftangriffen]]<br />
Die '''Luftangriffe auf Nordhausen''' am 3. und 4. April 1945 durch Bomber der britischen Royal Air Force zerstörten Dreiviertel der Stadt. Dabei kamen über 8.800 Menschen ums Leben, weitere 20.000 wurden obdachlos. Mit einem Wohnungszerstörungsgrad von 55% (10.000 Wohnungen) gehörte Nordhausen zu den am schwersten zerstörten deutschen Städten; zahlreiche Denkmale von hervorragender Bedeutung, darunter die für Nordhausen charakteristischen Fachwerkbauten des 13. bis 19. Jahrhunderts, wurden vernichtet. Der historische Stadtkern, die Neustadt und die Gebäude um die [[Frauenbergkirche]] wurden fast gänzlich eingeebnet. Erhalten blieben die Gebiete westlich und nördlich der [[Stadtmauer]], [[Barfüßerstraße]], [[Kalte Gasse]], Teile des historischen [[Königshof]]s sowie der Stadtteil [[Altendorf]]. Ein Großteil der stark beschädigten Bauwerke wurde nach dem Zweiten Weltkrieg abgerissen. <br />
Die zerstörerische Gesamtwirkung aller Bomben und Luftminen war von keinem Einzelangriff im Luftkrieg gegen Deutschland auch nur annähernd erreicht worden.<ref>Geiger: ''Nordhausen im Bombenvisier''. S. 150.</ref> Bei der Bombardierung von Nordhausen handelte es sich um die größte Katastrophe in ihrer tausendjährigen Stadtgeschichte. <br />
<br />
== Nordhausen im Krieg ==<br />
Nordhausen hatte vor dem Zweiten Weltkrieg ca. 42.000 Einwohner. Während des Krieges stieg deren Zahl durch Ortsfremde (Luftkriegsevakuierte, Flüchtlinge, ausländische Arbeitskräfte, Verwundete und Kriegsgefangene) Anfang März 1945 auf 65.000 Einwohner.<ref>Peter Kuhlbrodt (Hrsg.): ''Schicksalsjahr 1945. Inferno Nordhausen''. Nordhausen: Archiv der Stadt Nordhausen, 1995. S. 20, 33 </ref> Insbesondere für Evakuierte aus Berlin, Hamburg und Westdeutschland waren Stadt und Kreis Nordhausen als Aufnahmeräume ausgewiesen.<br />
<br />
Der Bau von Luftschutzanlagen begann im Spätsommer 1943. Viele Bunkeranlagen in der Innenstadt blieben unvollendet. Am 29. November 1943 wurde für Nordhausen ein Evakuierungsplan, der Aussiedlungsrichtungen und Aufnahmegebiete festlegte, ausgearbeitet.<ref>Geiger: ''Nordhausen im Bombenvisier''. Nordhausen: Verlag Neukirchner, 2000. S. 65</ref><br />
<br />
{| class="wikitable sortable"<br />
|+ style="padding-bottom:1em" | Bis zum 22. Februar 1945 realisierte Stollenabschnitte<ref>Ullrich Mallis: ''Der Luftschutzstollen am Johanneshof / Neuer Weg. Ein Nordhäuser Baudenkmal'', in: ''[[Nordhäuser Nachrichten. Südharzer Heimatblätter (2/2011)]]'', S. 10.</ref><br />
|- class="hintergrundfarbe6"<br />
! class="unsortable" | Stollenabschnitte !! class="sortable" | Länge !! class="unsortable" | Herstellung !! class="unsortable" | Ausbauart !! class="unsortable" | Bemerkung<br />
|-<br />
| Stollen IA, Mühlhof || style="text-align:right" | 55,00 m<br />
| Okt. 1943 – Febr. 1944 || Beton, 27,5 m nur Holzausbau || Richtung Loge<br />
|-<br />
| Fluko-Bunkerzugang || style="text-align:right" | 2,40 m<br />
| Febr. – März 1944 || Eisenbetongewölbe || IA, > 40 m links<br />
|-<br />
| Kreuz IA-Stummel || style="text-align:right" | 0,50 m<br />
| März 1944 || Eisenbetongewölbe, wie das gesamte Kreuz IA || Drehscheibe<br />
|-<br />
| Stollen IB, Johannishof || style="text-align:right" | 38,50 m<br />
| Nov. 1943 – April 1944 || Beton, 22,5 m mit Firstschienen || noch begehbar<br />
|-<br />
| Stollen von IA nach IB || style="text-align:right" | 66,10 m<br />
| März 1944 – Nov. 1944 || Beton || Durchschlag im Nov. 1944<br />
|-<br />
| Stollen von IB nach IA || style="text-align:right" | 38,25 m<br />
| April 1944 – Nov. 1944 || Beton || Durchschlag im Nov. 1944<br />
|-<br />
| Oststollen, von IA-IB ab || style="text-align:right" | 21,75 m<br />
| Dez. 1944 – Febr. 1945 || Seitenbeton, Art des Firstausbaues nicht benannt || <br />
|-<br />
| Südstollen IC, ab IB || style="text-align:right" | 49,75 m<br />
| April 1944 – Febr. 1945 || || zum Lohmarkt<br />
|-<br />
| class="hintergrundfarbe5" | Gesamt: || style="text-align:right" class="hintergrundfarbe5" | 272,25 m<br />
| class="hintergrundfarbe5" | Okt. 1943 – Febr. 1945 || class="hintergrundfarbe5" | || class="hintergrundfarbe5" |<br />
|}<br />
<br />
<br />
<br />
Als Garnisonstadt hatte Nordhausen keine ältere Tradition. Ab 1935 wurde im Süden die [[Boelcke-Kaserne]] errichtet, mit Unterkünften und Fahrzeughallen; sie diente der Ausbildung von Luftnachrichtensoldaten. Daneben entstanden ein Fliegerhorst als Ausbildungsplatz und zeitweise Flugzeugwerft. Bis März 1945 wurden hier Flugzeuge für den Mistelschlepp ("Huckepack"-Flugzeuge) montiert und Piloten dafür geschult. Sonst diente der Fliegerhorst 1945 noch zum Auftanken von Jagdflugzeugen. In provisorischen Unterkünften in der Stadt gab es die evakuierte "Marineverwaltung West". In der Stadt und ihrer nahen Umgebung existierten viele Lazarette mit insgesamt etwa 1.000 Verwundeten. Die Lazarette und Krankenhäuser trugen weithin sichtbare große Rotkreuz-Symbole auf den Dächern. <br />
<br />
Das [[Mittelwerk GmbH|Mittelwerk Dora]] bei Nordhausen produzierte Anfang April 1945 keine V-Waffen oder andere Rüstungsgüter mehr. Die dort Beschäftigten, unter ihnen Tausende von Häftlingen des KZ Mittelbau-Dora und Zwangsarbeiter, wurden evakuiert. Das Werk oder seine Verkehrsanbindungen waren nie Ziel alliierter Luftangriffe. <br />
<br />
Die frühere [[KZ-Außenlager Boelcke-Kaserne|Boelcke-Kaserne]] wurde seit Herbst 1943 nicht mehr militärisch genutzt. Sie hatte seitdem Tausende von Arbeitern, später auch Flüchtlinge aufgenommen. Seit 8. Januar 1945 existierte ein bald überfülltes Häftlingslazarett in der Anlage.<ref> Manfred Schröter: ''Die Zerstörung Nordhausens''. Nordhausen: Meyenburg-Museum, 1988. S. 6-8 </ref> Im Februar kamen zeitweise 3.500 Häftlinge aus dem KZ Groß-Rosen dazu.<ref> Walter Geiger: ''Nordhausen im Bombervisier''. Nordhausen: Verlag Neukirchner, 2000. S. 258 </ref><br />
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== Erste Angriffe ==<br />
In der Nacht vom 25. August auf den 26. August 1940 griffen zwei britische Bomber vom Typ Handley Page Hampden den [[Flugplatz von Nordhausen]] an und warfen vier Bomben ab.<ref>Geiger: ''Nordhausen im Bombenvisier''. S. 61 f.</ref> Es entstand ein kleiner Brand, der bald gelöscht werden konnte. <br />
<br />
Von 1940 bis 1943 gab es insgesamt 72 öffentliche Luftwarnungen und Fliegerarlarme für Nordhausen. Als sich die alliierten Luftangriffe im Jahr 1944 auf die im Hinterland gelegenen deutschen Städte intensivierten, wurde Nordhausen verstärkt Überflugsort alliierter Bomberverbände, etwa wenn sie Berlin, Dessau oder Leipzig anflogen. Im März 1945 erreichten die durchschnittlich fünf bis sechs Luftalarme ihren Höhepunkt.<ref>Geiger: ''Nordhausen im Bombenvisier''. S. 98 f.</ref> <br />
<br />
Am 12. April 1944 flogen während der Mittagszeit zwei aus südlicher Richtung kommende amerikanische Jäger die Stadt an und töteten zwei Menschen, zwei Personen wurden schwer verletzt.<ref>Geiger: ''Nordhausen im Bombenvisier''. S. S 221 f.</ref> <br />
<br />
[[Datei:Luftangriffe Nordhausen Traueranzeige.jpeg|thumb|Traueranzeige vom 26. Februar 1945]]<br />
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Am 22. Februar 1945 griffen gegen 12:30 Uhr US-amerikanische Bomber den Verschiebebahnhof an, trafen jedoch die Unterstadt, einige Anlagen des Industriegebietes und die vormalige Fernmeldeschule der Luftwaffe in der [[Boelcke-Kaserne]]. Insgesamt fielen 296 Mehrzweckbomben und töteten 40 Menschen. Im ''[[Südharzer Kurier]]'' erschien am 26. Februar eine Todesanzeige für die „Gefallenen des Terrorangriffs“ mit der Ankündigung zur Beisetzung. <br />
<br />
Am 28. Februar 1945 warfen drei amerikanische Maschinen 2,5 Tonnen Sprengbomben auf die Stadt ab. <br />
<br />
Am 1. April 1945 wurden das Auto-Hotel Hesse durch Bomben getroffen und zahlreiche Menschen getötet.<br />
<br />
== Großangriffe im April 1945 ==<br />
[[File:Avro Lancaster Mk 1 ExCC.jpg|thumb|Langstreckenbomber vom Typ ''Avro Lancaster'', wie sie bei der Bombardierung von Nordhausen zum Einsatz kamen.]]<br />
[[File:Mosquito 600pix.jpg|thumb|Zielmarkierer ''De Havilland Mosquito'' (1944)]]<br />
Am 3. April 1945 starteten gegen 13 Uhr die englischen Bomberverbände und erreichten Nordhausen um 16 Uhr. Die 247 Avro-Lancaster-Bomber (Tragfähigkeit je 6 Tonnen Bombenlast) und 9 Mosquito-Mehrzweckflugzeuge warfen in 20 Minuten ca. 1.216 Tonnen Sprengbomben ab und trafen vor allem die Außenbezirke von Nordhausen.<ref>Groehler: ''Bombenkrieg gegen Deutschland'', S. 422.</ref> Im Stadtinnern fielen Bomben um die [[Neustadt-Kirche]] und [[Neustadtstraße]]. In den umliegenden Wäldern und Ortschaften [[Sundhausen]], [[Bielen]], [[Himmelgarten]], [[Leimbach]] und [[Krimderode]] fielen schwere Bomben und Luftminen. Getroffen wurde auch die mit kranken Häftlingen überbelegte [[Boelcke-Kaserne]], wo allein in einer mit Tuberkulose-Kranken belegten Flugzeughalle 450 Menschen den Tod gefunden haben sollen.<ref>Wagner: ''Produktion des Todes.'' S. 280</ref> Die Stadt ohne Strom und Leitungswasser. Die Verletzten wurden gesammelt und nach [[Neustadt/Harz|Neustadt]] und [[Sülzhayn]] gebracht, die Ausgebombten erhielten Notquartiere in der Stadt selbst und ihrer Umgebung. Viele Nordhäuser flüchteten aus der Stadt. Zwei Stollen der unterirdischen Anlagen von Mittelbau Dora im Kohnstein nahmen bereits am 3. April Geflüchtete auf, später wurden es 10.000. Das Stadtkrankenhaus war beschädigt, die Patienten wurden in Notkrankenhäuser in das benachbarte [[Petersdorf]] gebracht, vor allem in das Ausflugsrestaurant Harzrigi.<ref> Manfred Schröter: ''Die Zerstörung Nordhausens''. Nordhausen: Meyenburg-Museum, 1988. S. 22, 23 </ref> Bomben fielen auch auf mehrere benachbarte Dörfer und deren Flur, besonders betroffen war Bielen. Zwei Bomber gingen beim Hin- und Rückflug verloren. Der erste Angriff erzielte die gewünschte Wirkung jedoch nicht. Der Angriff am 3. April war aus Sicht der RAF ein Misserfolg.<!-- (Quelle?) --> Viele Einwohner zogen am Abend des 3. April zum nahen [[Kohnstein]], wo die mittlerweile fast verlassenen Stollen des Mittelwerks Schutz boten.<br />
<br />
{{Zitat|Die Stadt ist schwer getroffen, aber sie ist noch eine organisierte Gemeinschaft… Gegenseitige und Nachbarschaftshilfe wird geleistet. Die Stadtverwaltung und die Luftschutzleitung setzen ihre Kräfte ein. Rotes Kreuz und die Krankentransporte kommen an die Schwerpunkte. Man leitet die Evakuierung des beschädigten Krankenhauses ein. Die Verletzten des Angriffs werden geborgen, abtransportiert, in den Gaststätten Parkhaus und Kurhaus gesammelt und schließlich nach Neustadt und Sülzhayn weiterbefördert. Die Feuerwehr bekämpft die wenigen (?) Brandherde.|[[Manfred Schröter]]: ''[[Die Zerstörung Nordhausens und das Kriegsende im Kreis Grafschaft Hohenstein 1945]]''}}<br />
<br />
Am 4. April gegen 9 Uhr begann der zweite Großangriff der RAF. Der Verband kam über Gotha, Bad Langensalza und Schlotheim. Für 93 Bomber wurde die Boelcke-Kaserne als Angriffsziel befohlen, die anderen 150 hatten das Stadtzentrum anzugreifen.<ref>Geiger: ''Nordhausen im Bombenvisier''. S. 146 f.</ref> Zwei Bomber mussten frühzeitig zurückkehren, und zehn weitere hatten ihren militärischen Auftrag verfehlt, so dass von den 243 Flugzeugen 231 am Luftschlag teilnahmen. Ein Bomber explodierte über der Stadt. Die örtliche Feuerwehr war, soweit noch vorhanden, von der Lage völlig überfordert. Unter der überlebenden Bevölkerung herrschte Panik, viele verließen fluchtartig zu Zehntausenden das Inferno der Stadt in Richtung Kohnstein. Auch außerhalb von Nordhausen wurde sie von Jagdbombern beschossen.<ref> Manfred Schröter: ''Die Zerstörung Nordhausens''. Nordhausen: Meyenburg-Museum, 1988. S. 26 </ref> Am Abend und in der Nacht war die Stadt ein weithin leuchtendes Flammenmeer.<ref> Peter Kuhlbrodt: ''Schicksalsjahr 1945. Inferno Nordhausen''. Nordhausen 1995. S. 23 </ref> In der Mitte davon leuchtete der Kirchturm von St. Petri als riesige Fackel, die gegen Mitternacht zusammenbrach und auf das Kirchenschiff stürzte. RAF-Piloten, die von einem Einsatz bei Merseburg zurückflogen, berichteten um 23.00 Uhr von „good fires at Nordhausen“.<ref> Walter Geiger: ''Nordhausen im Bombervisier''. Nordhausen, 2000. S. 180 f.</ref> <br />
Der gebürtige Nordhäuser Schriftsteller [[Rudolf Hagelstange]] schrieb in seiner deutschen Familienchronik (Band 2: „Der Niedergang“, Seite 254) über die Feuersbrunst in seiner Heimatstadt: „Und die Hitze war so groß, dass in den meisten Straßen, sofern sie nicht gepflastert waren, der Asphalt geschmolzen war, dass Flüchtende da und dort in ihn eingesunken waren, einige unlöslich und damit zum Flammentod verurteilt.“<br />
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=== Opfer ===<br />
[[Datei:Einwohnerentwicklung von Nordhausen ab 1800.svg|thumb|Einwohnerzahl von Nordhausen ab 1800. Deutlich sichtbar der Höhepunkt 1945]]<br />
Bei den Großangriffen im April 1945 kamen ca. 8.800 Menschen ums Leben. Diese Zahl geht auf Schätzungen vom Februar 1948 zurück.<ref name="Kuhlbrodt125">Kuhlbrodt: ''Inferno Nordhausen''. S. 125 f.</ref> Vor dem Abgriff befanden sich rund 65.000 Personen in der Stadt (42.000 ständige Bevölkerung, Militärpersonen, Gefangene, ausländische Arbeiter, Spezialarbeiter der Kriegsindustrie, Evakuierte). Der Antifa-Ausschuss von Nordhausen schätzte am 17. Juni 1945, dass über 10.000 Menschen bei den Bombenangriffen ums Leben gekommen seien.<ref> Peter Kuhlbrodt: ''Schicksalsjahr 1945. Inferno Nordhausen''. Nordhausen 1995. S. 115 </ref><br />
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In den ersten Tagennach dem Einmarsch der Amerikaner ließ der US-Stadtkommandant in den Straßen liegende Leichen auf den Sonderfriedhof am Schlageter-Ring bringen. Andere wurden an Ort und Stelle in Bombentrichtern beerdigt. Eine beträchtliche Zahl ziviler Opfer und deutscher Soldaten wurde dann in dem höher gelegenen Teil des heutigen Ehrenfriedhofs in Massengräbern beigesetzt, unweit der getöteten Häftlinge aus der Boelcke-Kaserne. Für die später gefundenen Opfer ohne Anhang wurden Massengräber im vorderen Teil des Alten Hauptfriedhofs in der Leimbacher Straße angelegt. Heute steht an dieser Stelle ein Wohnblock. Auf dem Neuen Hauptfriedhof am Ring sind in den ersten Wochen und Monaten 920 Bombenopfer beerdigt worden.<br />
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{| class="wikitable"<br />
|-<br />
| Verluste der ständigen Bevölkerung || 6.000<br />
|-<br />
| Verluste der nicht ständigen Bevölkerung || 1.500<br />
|-<br />
| Verluste der Häftlinge der Boelcke-Kaserne || 1.300<br />
|-<br />
| zusammen || 8.800<br />
|-<br />
|} <br />
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==== Persönlichkeiten ====<br />
* [[Paul Urban]] (geb. 1892), KPD-Stadtrat<br />
<br />
=== Schäden und Totalverluste ===<br />
<br />
Der Zerstörungsgrad der Stadt wurde mit 74 Prozent errechnet. Die Gesamtfläche des zerstörten Gebietes betrug 810.000 Quadratmeter. Von den 13.075 Wohnungen wurden 6.187 total zerstört und 4.575 beschädigt.<br />
<br />
==== Kirchen ====<br />
<br />
[[Datei:Petri-Kirche Außenansicht.JPG|thumb|[[St.-Petri-Kirche]]]]<br />
*[[St.-Jakobi-Kirche]]: Am 3. April erheblich durch Bomben zerstört. Reste des Schiffes abgetragen, Turmruine zu DDR-Zeiten beseitigt.<br />
*[[Marktkirche]]: Am 3. April weitgehend zerstört. Ruinenreste abgetragen.<br />
*[[St.-Petri-Kirche]]: Am 3. April bis auf Turm und Chor zerstört, zahlreiche Menschen finden in der Kirche den Tod. Der Turm erhielt 1954 ein Notdach, die übrigen Ruinenteile wurden beseitigt. 1987 wurde ein neuer Turmhelm gesetzt.<br />
* [[St.-Blasii-Kiche]]: Dach und Mauerwerk am 4. April durch Bombentreffer erheblich beschädigt [[Cranachgemälde]] im Auslagerungskeller verbrannt. Bis 1949 Wiederherstellung des Daches, Ausbesserung Mauerwerk, Erneuerung des Inneren.<br />
*[[Nordhäuser Dom]]: Am 4. April schwere Schäden durch Brandzerstörung des Steildaches über der Halle und Vernichtung der Fenster. Noch 1945 Fertigstellung Notdach und Beseitigung der Folgeschäden. 1965 Wiederherstellung des Steildaches in ursprünglicher Form.<br />
*[[Frauenbergkirche]]: Am 4. April durch Bomben schwer zerstört. Erhalten blieben Umfassungsmauern der Chor mit Apside, die Nebenchöre und das Querschiff, vom Langhaus nur Reste des ersten Joches sowie des Westportals. Von 1953 bis 1955 folgten Enttrümmerung und Sicherungsarbeiten.<br />
*[[Frauenbergkloster]]: Am 4. April durch Bombentreffer total zerstört. Gebäudereste wurden nach 1945 entfernt.<br />
<br />
==== Öffentliche Bauten ====<br />
*[[Rathaus]]: Am 4. April bis auf die Umfassungsmauern zerstört, Turm ausgebrannt. Ab 1951 Trümmer entfernt und Wiederaufbau bis 1952, dabei wurden die Erdgeschoßarkaden und das Innere neu gestaltet. Zum ebenfalls schwer zerstörten [[Stadthaus]] wurde der Verbindungsgang wiederaufgebaut, der [[Roland]] restauriert.<br />
*[[Stadtmauer]]: Es entstanden Schäden an der Stadtmauer, wobei besonders die teilweise genutzten Türme und Wiechhäuser betroffen wurden. Nach dem Krieg wurden Ruinen abgetragen und Sicherungsarbeiten durchgeführt. Zur Landesgartenschau 2004 erfolgten umfangreiche Sanierungsarbeiten, besonders um den [[Petersberg]]. <br />
*[[Theatergebäude]]:<br />
<br />
==== Fachwerkbauten ====<br />
[[Datei:Nordhäuser Roland 1945.jpg|thumb|Das ausgebrannte Rathaus mit dem [[Nordhäuser Roland|Roland]], der die Angriffe wie durch ein Wunder überstand]]<br />
[[Datei:Riesenhaus, Riese, Postkarte.jpg|thumb|Postkarte vom [[Riesenhaus]] am Holzmarkt (Lutherplatz) mit dem [[Nordhäuser Riese]]n.]]<br />
Bedeutende Fachwerkhäuser, die zerstört wurden (lt. dem Denkmalpfleger Rudolf<br />
Zießler):<br />
<br />
*[[Bäckerstraße]] 22: Mitte des 18. Jahrhunderts errichteter dreigeschossiger, neunachsiger, verputzter Fachwerkbau mit massivem Erdgeschoß, Satteldach und Zwerhaus. Stichbogenfenster mit einfacher profilierter Rahmung in Dreiergruppen. Betonung der Mittelachse durch ein von Pilastern flankiertes Portal mit gesprengtem Giebel, darauf ruhende Frauen und Wappen sowie durch einen auf Konsolen sitzenden Balkon mit schmiedeeisernem Gitter.<br />
*[[Blasiistraße]] 15: Alte Schule. Errichtet um 1700 als dreigeschossiger stattlicher Fachwerkbau mit hohem Satteldach. Unregelmäßige Fenstergruppierung (im ersten Obergeschoß dreizehn Achsen). Fachwerk mit halben Männern. Obergeschoß vorkragend mit Balkenköpfen und gekehlten Füllhölzern.<br />
*Blasiistraße 21: Bedeutendstes Renaissance-Fachwerkhaus Nordhausens von etwa 1550. Dreigeschossig mit zehn Fensterachsen in unregelmäßiger Gruppierung, Geschosse stark vorkragend. Reich ausgebildetes Schmuckfachwerk mit Balkonköpfen, Knaggen, Füllhölzern und Schiffskehlen. Haupteingang mit kräftigen Gewämdepfosten und halben Sonnen um 1700.<br />
*[[Hagenstraße]] 4: Um 1800 errichtet als zweigeschossiger, verschieferter Fachwerkbau mit zehn Fensterachsen. Eckpilaster, ebensolche toskanische Holzpilaster flankieren die vier Mittelachsen und nehmen einen verschieferten Dreieckgiebel auf. Stichbogenfenster mit einfacher Rahmung und Schlußsteinbetonung.<br />
*Hagenstraße: Ilfelder Hof, ehem. Klosterhof, seit dem ersten Viertel des 18. Jahrhunderts Kurhannoversche Postverwaltung, seit 1853 in Privatbesitz. 1277 angelegt, später erweitert, im 17. Jahrhundert Neubau auf erweitertem Grundriss mit massivem Erdgeschoß und zwei Fachwerkobergeschossen, verschiefert.<br />
*[[Holzmarkt]] (Lutherplatz): „Riesenhaus“. 1375 erstmals erwähntes Patrizierhaus mit massivem Erdgeschoss, zwei Fachwerkobergeschossen und Satteldach. Nach Brand von 1710 im Fachwerk erneuert. Fassade gegliedert durch zwölf Fensterachsen, jeweils in Dreiergruppen angeordnet. Fachwerkkonstruktion mit Wilden Männern. Mittelgiebel mit einem Mann in Ritterrüstung ([[Nordhäuser Riese]]), der eine Lanze hält. 1805 Einrichtung einer Gaststätte, Verputz des Fachwerks und klassizistische Fassadengestaltung. 1927 Endrestaurierung und Wiederherstellung des Fachwerks.<br />
*Jakobikirchplatz 4: Lateinschule. Zweigeschossiger Fachwerkbau von 1493 mit Satteldach. Ständer- und Riegelbau. Vorkragendes Obergeschoß über geschwungene Knaggen. Durchlaufender Fensterbrustriegel.<br />
*Jakobikirchplatz: Pfarrhaus. 1687 errichteter zweigeschossiger Fachwerkbau mit Krüppelwalmdach. Fenstergruppierung unregelmäßig. Stiele und Brustriegel durch Wilde Männer verstärkt. Geringe Auskragung, Balkonköpfe und Schwelle mit einfacheren Profilen. Gefache mit Ziegeln in Mustern ausgemauert. Oberdeutsch beeinflusstes Fachwerk.<br />
*[[Königshof]] 14: Dreigeschossiger Fachwerkbau mit oberdeutschen Stilelementen, ganze und halbe Männer. Um 1780 Verkleidung der Fenster mit Rokokogirlanden.<br />
*[[Krämerstraße]] 11: Verschieferter, zweigeschossiger, fünfachsiger Fachwerkbau mit spätbarockem Volutengiebel. Stichbogenfenster mit Rahmenverkleidung. Erdgeschoss durch Ladeneinbauten verändert.<br />
*Krämerstraße 15: Um 1700 errichteter schmaler dreigeschossiger Fachwerkbau in oberdeutschem Stil mit halben Männern an den Ecken. Balkonköpfe und Füllhölzer mit einheitlichem Profil. Satteldach mit Zwerchhaus.<br />
*[[Lohmarkt]] 2, 4, 20, 21: Nach 1686 errichtete Gerberhäuser. Zwei- bzw. dreigeschossige Fachwerkgebäude im gleichen oberdeutschen Baustil wie Pfarrhaus Jakobikirchplatz. Besonders reich ausgebildet der Türstock mit Renaissanceformen und Inschrift. Satteldächer mit Zwerchhäsern (Ladeluken).<br />
*[[Neustadtstraße]] 27: Zweigeschossiger, elfachsiger Fachwerkbau aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts mit Satteldach. An den Fenstern Rokokoverkleidung.<br />
*Neustadtstraße 35: Zweigeschossiger, achtachsiger Fachwerkbau aus der Mitte des 18. Jahrhunderts auf Sandsteinsockel. Türen und Fenster in Stichbogen mit geschnitzter Rokokoverkleidung.<br />
*Neustadtstraße 47: Dreigeschossiger Fachwerkbau der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts mit Krüppelwalmdach. Rokokofensterbekleidungen handwerklich vereinfacht.<br />
*[[Pferdemarkt]] 17: Dreigeschossiger Fachwerkbau von etwa 1550, niederdeutsch beeinflusst. Auskragung des Obergeschosses mit Balkonköpfen, Knaggen und Füllhölzern. Erdgeschoß baulich verändert.<br />
*[[Sandstraße]] 3, 21, 23, 28: Diese Häuser hinsichtlich der Entstehungszeit und der architektonischen Ausbildung denen der Neustadtstraße entsprechend.<br />
<br />
==== Situation nach dem Großangriff ====<br />
[[Datei:Boelcke-Kaserne-Tote HäftlingeA.jpg|thumb|Einwohner Nordhausens tragen am 12. April 1945 unter Bewachung von Angehörigen der US-Armee tote Häftlinge aus der Boelcke-Kaserne und legen sie davor ab]]<br />
[[File:Nordhausen um 1930.jpeg|thumb|Der Stadtteil [[Altendorf]] blieb weitgehend unzerstört (Luftaufnahme um 1930)]]<br />
Das britische Bomber Command berichtete als Ergebnis der beiden Großangriffe, dass „die Stadt fast vollständig zerstört wurde, inbegriffen die Kasernenblöcke.“<ref> Walter Geiger: ''Nordhausen im Bombervisier''. Nordhausen: Neukirchner, 2000. S. 154 </ref> <br />
Die Situation für die Bevölkerung nach den Angriffen kann nur mit dem Begriff „Inferno“ beschrieben werden. Das Stadtzentrum konnte tagelang nicht betreten werden. Es wüteten noch zahlreiche Brände<ref> Peter Kulhlbrodt: ''Schicksalsjahr 1945. Inferno Nordhausen''. Nordhausen 1995. S. 24</ref>, die Schutthaufen strahlten unerträgliche Hitze aus. Bomben mit Zeitzündern gingen hoch. Über den Trümmerfeldern lag bald Leichengeruch, besonders im Bereich der Boelcke-Kaserne. In den Nächten des 6. und 7. April wurden die Kranken und Verwundeten aus Nordhausen und Umgebung durch alle verfügbaren Fahrzeuge, besonders mit Bauern-Gespannen, in den Kohnstein in Sicherheit gebracht. Die Nordhäuser Bevölkerung (?) verteilte sich nach Schätzungen am 7. April wie folgt: 6.000 (8.800) Opfer tot unter den Trümmern, 6.000 Überlebende noch in der Stadt, 10.000 im Kohnstein und 20.000 in den umliegenden Dörfern, besonders nordöstlich der Stadt.<ref> Manfred Schröter: ''Die Zerstörung Nordhausens''. Nordhausen: Meyenburg-Museum, 1988. S. 30 </ref> Am 8. April flogen 6 Jagdbomber noch einen Tagesangriff nach Zielmarkierung auf Nordhausen, parallel zu dem Bombardement auf [[Sondershausen]]. Am 10. April näherten sich US-Panzer aus Richtung [[Hain (Kleinfurra)|Hain]] dem Süden der Stadt und nahmen ihn unter Feuer, darunter die Trümmer der Boelcke-Kaserne.<ref> Manfred Schröter: ''Die Zerstörung Nordhausens''. Nordhausen: Meyenburg-Museum, 1988. S. 37 </ref><br />
<br />
== Nachwirkungen ==<br />
Insgesamt waren vom britischen Bomber Command 2.386 Tonnen und von der 8. US Air Force 296 Tonnen Bombenlast auf Nordhausen abgeworfen worden.<ref> Olaf Groehler: ''Bombenkrieg gegen Deutschland''. Berlin: Akademie-Verlag, 1990. S. 449 </ref><br />
Eine der am längsten nachwirkenden Folgen der Luftangriffe für die Bürger der Stadt blieben Hunderte von Blindgängern aller Kaliber: zwischen den Trümmern der Stadt und im Erdreich der Straßen, Gärten und Felder. In den ersten Jahren machten sich die Feuerwerker Jochen Nebel und Albin Diebler sehr verdient um die Entschärfung gefundener Bomben, ab 1962 der - deshalb zum Ehrenbürger ernannte - Helmut Zinke. Im Stadtgebiet wurden 1948 bis 1953 etwa 100 Bomben entschärft, dann 248 Blindgänger von 1954 bis 1999 entzündet und geräumt.<ref>Walter Geiger: ''Nordhausen im Bombervisier''. Nordhausen, 2000. S. 263-264 </ref> <br />
<br />
Noch 2014 gilt eine Verordnung in Nordhausen, nach der jeder Bürger, der bauen will, sicherstellen muss, dass unter seinem Grund und Boden kein Gefahrgut liegt.<ref>Katja Dörn: ''Die Gefahr rostet im Thüringer Boden''. Thüringische Landeszeitung, 12. Dezember 2014 </ref><br />
<br />
Auswahl weiterer Funde von Blindgängern:<br />
* 1996: 250-Kilogramm-Blindgänger wird gesprengt<br />
* 2008: 227-Kilogramm-Bombe in der Altstadt<br />
* 2010: Fünf-Zentner-Bombe am [[Taschenberg]] entdeckt, 4.500 Menschen wurden evakuiert, Bombe konnte nicht entschärft werden<br />
* Juni 2016: Kontrollierte Sprengung einer 800-Kilogramm-Bombe, Leimbach und Steigerthal mussten geräumt werden (1.080 Einwohner) <br />
* Dezember 2016: Fünf-Zentner-Bombe am [[Strohmühlenweg]], ca. 1000 Einwohner, so auch die Hochschule Nordhausen, wurden evakuiert<br />
* September 2017: Bombe auf einem Feld in der [[Windlücke]], ca. 3000 Einwohner evakuiert, Bombe entschärft<ref>https://www.nnz-online.de/news/news_lang.php?ArtNr=219719</ref><br />
* Oktober 2018: Bombe in der Windlücke, ca. 3000 Einwohner evakuiert, Bombe entschärft<ref>https://www.nnz-online.de/news/news_lang.php?ArtNr=243515</ref><br />
* November 2018: Bombe in Bielen, 1.1000 Einwohner wurden evakuiert (Sperrzone 1 Kilometer), Bombe entschärft<br />
* August 2019: 225-Kilogramm-Bombe an der [[Zorge]], 2.500 Einwohner wurden evakuiert (Sperrzone 500 Meter), Bombe entschärft und Zünder gesprengt<br />
* November 2019: 225-Kilogramm-Bombe am [[Stadttheater]], ca. 15.000 Einwohner wurden evakuiert (Sperrzone 1 Kilometer), Bombe entschärft und Säurezünder gesprengt. Es war die größte Evakuierungsaktion in Nordhausen nach dem Zweiten Weltkrieg.<ref>MDR, 8. November 2019</ref><br />
<br />
== Rezeption ==<br />
[[Datei:Nordhausen mahnt 1949.jpg|thumb|200px|Werbeplakat zur Ausstellung „[[Nordhausen mahnt - Ausstellung vom 6. bis 27. März 1949|Nordhausen mahnt]]“ im März 1949]]<br />
Luftangriffe waren im Zweiten Weltkrieg für alle Kriegsparteien zum entschiedenen strategischen Kriegskonzept geworden. Die Westalliierten glaubten durch die planmäßige und massive Zerstörung deutscher Städte, vor allem der Wohngebiete der Industriearbeiter, die Moral und den Widerstandswillen der Bevölkerung zu brechen und den Krieg schneller beenden zu können.<ref>Johannes Volker Wagner: ''Bomben auf Bochum''. S. 3.</ref> Im Januar 1943 einigten sich Großbritannien und die Vereinigten Staaten in Casablanca auf die Forderung nach bedingungsloser Kapitulation des Deutschen Reiches und auf eine weitere Verschärfung des Bombenkrieges. Zu dieser Zeit war die deutsche Luftabwehr längst nicht mehr in der Lage, das Reichsgebiet zu verteidigen. Die Alliierten erreichten ihr Ziel der Demoralisierung nicht, und viele Deutsche klammerten sich in Verzweiflung an die Hoffnung auf einen „Endsieg“.<br />
<br />
<!-- Auszug aus „Winston Churchill“. Der späte Held, eine Biographie von Thomas Kielinger, erschienen im Verlag C.H. Beck, Kapitel XY, Seite 301 ff.: Nach dem Kriege stand eine andere Verantwortung Churchills im Vordergrund – „für die Vernichtung von nahezu 60 der größten Städte Deutschlands“. „Mit dem Untergang Dresdens sind auch nachdenkliche Briten bis heute nicht fertig. Die Zweifel, ob die Zerstörung dieser und anderer Städte so kurz vor dem nahen Kriegsende zu rechtfertigen war, haben sich längst zu dem Urteil verdichtet: Sie war es nicht! ... Hilft es zur Erklärung darauf hinzuweisen, dass in der Schlussphase des Krieges deutsche V1- und V2-Waffen weiterhin Zerstörung auf Antwerpen, Paris und London regnen ließen? Eine V2 schlug noch am 27. März 1945 im Osten Londons ein und tötete 134 Menschen. Die britische öffentliche Meinung hätte es nicht verstanden, wenn die mili-tärische Führung auf Schonung des Gegners geschaltet hätte, wo dieser bis zum Ende Vernichtung spie.“<br />
<br />
„Aber die alte Frage bleibt, die Lothar Kettenacker 2003 in dem Sammelband „Ein Volk von Opfern?“ noch einmal stellte – „ob der Zweck die Mittel heiligt, ob die Beseitigung einer unheilvollen Diktatur die rücksichtslose Bombardierung der Bevölkerung rechtfertigt. Unbehagen äußerte Churchill selbst schon 1943, als ihm Bilder von den Auswirkungen der Bomben in Deutschland vorgelegt wurden ...“ Der Australier Ricard Casey, der an den Sitzungen des britischen Kriegsrates ... teilnahm, schrieb am 27. Juni 1943 in sein Tagebuch: „Es wird ein Film gezeigt über das nächtliche Bombardement einer deutschen Stadt, und plötzlich richtet sich Churchill steil in seinem Sessel auf und sagt zur mir: ‚Sind wir Bestien? Gehen wir nicht zu weit? <br />
<br />
Churchills Meinungen zum Bombenkrieg gegen Deutschland schwankten. Nach der Zerstörung Dresdens begegnet man bei ihm, spät, einer eindeutigen Ablehnung, so in dem berühmten Memorandum vom 28. März 1945:‚Der Moment scheint mir gekommen, wo die Frage der Bombardierung deutscher Städte zum Zwecke der Erhöhung des ''''terrors'''' (in Englisch mit der Bedeutung von Angst und Schrecken) auch wenn wir andere Vorwände nennen, überprüft werden sollte... Es ist nötig, dass wir uns mehr auf militärische Ziele konzentrieren wie Öllager und Kommunikationszentren hinter der unmittelbaren Kampfzone, statt auf Akte des reinen terrors und der mutwilligen Zerstörung’.“<br />
„Nicht umsonst nannte man Harris auch den ‚butcher’, den Metzger. . . Schon Max Hastings (stockkonservativer Historiker) nannte in seinem Klassiker von 1979 ‚Bomber Command’ die Auslöschung deutscher Städte noch im Frühjahr 1945 ‚einen bleibenden Schandfleck’,“ soweit Kielinger. Nach Kriegsende zog sich Harris verbittert nach Südafrika zurück, weil er sich nicht gebührend geehrt vorkam. Luftangriffe hatte Harris als „relativ humane Methode“ bezeichnet. Butcher wurde er nicht wegen der zivilen Bombenopfer in Deutschland genannt, sondern weil 55 000 Angehörige des Bomber Command vom Feindflug nicht heimkehrten – jeder zweite Pilot und Bordschütze. --><br />
<br />
Im März 1945 hatte sich das Angriffstempo der US-Streitmacht im Vergleich zu den Vormonaten verlangsamt.<ref name="Gewiger158">Geiger: ''Nordhausen im Bombenvisier''. S. 158 f.</ref> Um dennoch den Stoß in das Zentrum Deutschlands als strategisches Ziel zügig fortzuführen, waren die Westalliierten zum Einsatz aller Mittel entschlossen, auch in Anbetracht eventuell noch bevorstehender Kämpfe und Widerstand im Südharz. Die Stadt Nordhausen erhielt daher militärische Bedeutsamkeit für die 1. US-Armee, auch wegen des Verschiebebahnhofs für Truppenbewegungen. Der unterirdische Rüstungsbetrieb im [[Kohnstein]] und das [[Konzentrationslager Mittelbau]] wurden dagegen nie zu Zielen von Luftangriffen. <br />
<br />
Nordhausen und Umgebung wurden Ende 1944 von britischen Fernaufklärern nachts unter tagheller Beleuchtung durch Magnesiumbomben sorgfältig aus der Luft fotografiert.<ref>Manfred Schröter: ''Die Zerstörung Nordhausens''. Nordhausen 1988, S. 55</ref> Die Bombardierung von Nordhausen wurde am 2. April 1945 vom Alliierten Oberkommando (SHAEF) befohlen.<ref name="Gewiger158"/> Gefordert wurde ein Angriff zur Unterstützung der 1. US-Armee mit Priorität zur frühestmöglichen Gelegenheit. Einige Tage zuvor wurde vom SHAEF die Zerstörung durch die RAF beschlossen.<ref>Manfred Schröter: ''Die Zerstörung Nordhausens''. Meyenburg-Museum Nordhausen, 1988, S. 54–55</ref><br />
<br />
Dieses, geführt von Luftmarschall Arthur Harris, erteilte am 2. April den unmittelbaren Befehl für einen Doppelschlag an zwei Tagen.<ref>Walter Geiger: ''Nordhausen im Bombervisier''. Nordhausen 2000, S. 108–109</ref> Der Zweck der RAF-Angriffe im April 1945 bestand darin, den Weg für einen ungehinderten Vormarsch von der im Südharzer Raum erwarteten Gegenwehr freizumachen. 3.466 britische Soldaten sollten als fliegendes Personal an den Angriffen teilnehmen. Ihnen wurde als Ziel des Angriffs erklärt: „To kill military and Nazi personnel evacuated from Berlin to these barracks“ (gemeint das Areal der Boelcke-Kaserne und die Stadt Nordhausen).<ref>Geiger: ''Nordhausen im Bombenvisier''. S. 121 </ref><br />
<br />
<!-- Bitte Quelle angeben!(Wie aus dem Text eindeutig hervorgeht: Der genannte Journalist und Gesprächspartner Dr. Meyers!) Der gebürtige Nordhäuser [[Manfred Neuber]], als Journalist von 1960 bis 1963 in London und New York, recherchierte als erster bei der Royal Air Force und der US Air Force über die Luftangriffe auf Nordhausen. Aus den detaillierten Angaben ging hervor, dass allein Bomber der Royal Air Force Nordhausen angegriffen hatten. Die SED-Propaganda hatte behauptet, es habe sich um „amerikanische Terrorangriffe“ gehandelt. So stand es auch Jahre auf der Gedenkstele für die Opfer der Luftangriffe neben dem Alten Rathaus. Neuber hatte Gelegenheit, im Jahre 1964 in Bad Lauterberg mit Dr. [[Herbert Meyer]], Oberbürgermeister Nordhausens vor Kriegsende 1945, über die Bombenangriffe zu sprechen. Dabei widerlegte Meyer noch Jahre nach dem Kriege kursierende Gerüchte, die Luftangriffe hätten eigentlich der Stadt Gotha gelten sollen. Weil die Verantwortlichen dort kapituliert hätten, sei Nordhausen angegriffen worden, weil es nicht ebenso gehandelt habe. Meyer versicherte, es habe keine Aufforderung zur Übergabe der Stadt gegeben. Zum Zeitpunkt der Luftangriffe standen die US-Panzerspitzen noch im Raume Kassel. --><br />
<br />
=== Vermutungen und Gerüchte über den Großangriff ===<br />
<br />
* Nordhausen soll Aufforderung zur kampflosen Übergabe ausgeschlagen haben.<br />
** Der Nordhäuser Oberbürgermeister bei Kriegsende, [[Herbert Meyer]], widersprach dieser Darstellung in einem Gespräch mit dem Journalisten Manfred Neuber um 1964 in Bad Lauterberg: „An die Stadtverwaltung ist niemals bis zu den Angriffen eine Aufforderung der Amerikaner ergangen, Nordhausen zur offenen Stadt zu erklären. Ich möchte bezweifeln, dass sie an Kreisleiter Nentwig ergangen ist.“<ref name="Sting252">Heinz Sting: ''Das 1000-jährige Nordhausen und der schöne Südharz''. Hannover: Nordhäuser Heimatfreunde, 1965. S. 252.</ref><br />
<br />
* Nordhausen wurde durch die US-Luftwaffe zerstört.<br />
** Es ist unbestritten und belegt, dass britische Bomber die Stadt zerstörten. „Die Einsatzbefehle der 8. US-Luftflotte sahen weder am 3. noch am 4. April 1945 Nordhausen als Ziel vor. Die Operationsberichte der 8. Luftflotte geben auch keinen Großangriff auf Nordhausen an einem dieser beiden Tage an. Der Hauptzielplan für die amerikanischen Heeresflieger in Europa während des Zweiten Weltkrieges führt ebenfalls keinen Angriff auf Nordhausen im April 1945 auf“, teilte das amerikanische Aerospace Studies Institute auf Anfrage des Journalisten Manfred Neuber zu Beginn der 1960er Jahre schriftlich mit. „Aus anderen Quellen ist zu entnehmen“, gab der Leiter für geschichtliche Studien an diesem Institut der US Air Force University auf der Maxwell Air Base in Montgomery/Alabama, bei den Recherchen des Journalisten zu Protokoll, „dass am 3.und 4 .April 1945 vom Bomber Command der Royal Air Force schwere Angriffe auf Nordhausen geflogen wurden.“ Diese Angaben wurden von der Air Historical Branch im britischen Verteidigungsministerium (damals noch Ministry of War) dem Rechercheur bestätigt. Alle<br />
hier aufgeführten Originaldokumente wurden dem Stadtarchiv Nordhausen übergeben.<br />
<br />
* Nordhausen wurde anstelle Gothas bombardiert.<br />
** Diese Behauptung wurde u. a. von [[Kurt Kohlmann]] aufgestellt. So berichtete er von zwei US-Offizieren, die entsprechende Aussagen getätigt haben sollen: „Sie erzählten mir, der Kreisleiter von Nordhausen sei dreimal aufgefordert worden zu kapitulieren. Nachdem die Faschisten das dritte Mal abgelehnt hatten, sei ein auf Gotha angesetzer US-amerikanischer Bomberverband nach Nordhausen umgeleitet worden.“<ref name="Rudloff138">Jost-Dieter Rudloff: ''Warum wurde Nordhausen eine Woche vor Kriegsende 1945 in Brand gesetzt? Informationen und Überlegungen''. In: ''Beiträge zur Geschichte aus Stadt und Kreis Nordhausen (Band 44/2019)'', S. 138.</ref> Dies wurde ebenfalls von Herbert Meyer als unglaubwürdig zurückgewiesen.<ref name="Sting252"/><br />
<br />
* Nordhausen wurde wegen der Raketen-Produktion im Kohnstein bombardiert.<br />
** Den Alliierten war bekannt, dass sich im Kohnstein ein Rüstungsbetrieb befand, nicht jedoch, dass dort die V-Waffen gefertigt wurden.<ref>Jürgen Möller: ''Konzentrationslager Mittelbau-Dora''. Bad Langelsalza 2018, S. 33.</ref> Der Kohnstein war wegen der Kriegsgefangenenlager kein Angriffsziel.<ref name="Rudloff138"/><br />
<br />
* Die Nordhäuser Bevölkerung sollte wegen dem Konzentrationslager Dora-Mittelbau bestraft werden.<br />
** Dies wird durch kein Dokument der Alliierten bestätigt.<br />
<br />
* Nordhausen wurde aus militärischen Gründen bombardiert.<br />
** Die Stadt war verkehrstechnischer Knotenpunkt und Mittelpunkt der Nordthüringer Rüstungsindustrie und wurde auch von der deutschen Armeeführung als wichtig wahrgenommen.<ref name="Rudloff140">Jost-Dieter Rudloff: ''Warum wurde Nordhausen eine Woche vor Kriegsende 1945 in Brand gesetzt? Informationen und Überlegungen''. In: ''Beiträge zur Geschichte aus Stadt und Kreis Nordhausen (Band 44/2019)'', S. 140.</ref> Für das US-Militär bildete die Stadt kein strategisches Ziel mehr.<ref name="Rudloff140"/> Die Stadt Nordhausen erhielt militärische Bedeutsamkeit für die Bodentruppen der 1. US-Armee, auch wegen des Verschiebebahnhofs für Truppenbewegungen. Die Schonung der Rüstungsbetriebe mit ihrem Personal ergab sich aus der Hoffnung, möglichst viele Waffen und Fachkräfte zu erbeuten.<ref name="Rudloff140"/> Es gibt keinen Hinweis darauf, dass Nordhausen aus militärischen Gründen bombardiert wurde.<ref name="Rudloff140"/><br />
<br />
== Aufarbeitung und Gedenken ==<br />
=== 1945 bis 1990 ===<br />
==== DDR ====<br />
Bis zur Wiedervereinigung hielt sich die Behauptung, die United States Air Force habe Nordhausen am 3. und 4. April 1945 bombardiert. Zum einen wurde der US-Luftwaffe vorgehalten, dass die Angriffe auf Nordhausen ein Akt blinder Zerstörung und militärischer sinnlos gewesen seien, da das Ende des Dritten Reiches absehbar war. Andererseits wurde mit der „Gotha-Legende“ behauptet, dass Nordhausen bis zum Letzten verteidigt werden sollte und es deshalb zum Luftangriff kam. Damit wurde die Verantwortlichkeit für das Bombardement wahlweise den lokalen NS-Amtsträgern oder den USA zugeschrieben. <br />
<br />
Ein Interesse an einer realistischen Rekonstruktion hatte die SED auch aufgrund der Situation des Kalten Krieges nicht.<br />
Zum 40. Jahrestag der Luftangriffe wurde in der Lokalpresse erstmals von „250 britischen Lancaster-Maschinen“ gesprochen.<ref>„Die Zerstörung Nordhausens - Mahnung und Verpflichtung“, ''Das Volk'', 2. April 1985.</ref> Eine Revision der Geschichte fand jedoch nicht statt, und auch danach war mitunter vom „Zerstörungsangriff amerikanischer Bomber“ die Rede.<ref>''Unser Aktuelles Argument'', April 1985.</ref> Für die in der DDR-Propaganda kolportierte öffentliche Erinnerung erklärt sich aus dem politischen Bedürfnis, die „imperialistischen“ Angreifer als möglichst grausam und skrupellos erscheinen zu lassen, im Sinne antiamerikanischer Propaganda.<ref name="Winter63">Winter: ''Öffentliche Erinnerungen an den Luftkrieg in Nordhausen 1945 - 2005''. Marburg: Tectum-Verl., 2010. S. 63.</ref> <br />
Mit Verweis auf die Luftangriffe auf Nordhausen wurde auf tatsächliche oder vermeintliche aktuelle militärische Bedrohungen oder Konflikte Bezug genommen, z. B. auf den Vietnamkrieg. <br />
<br />
Insgesamt war die Nordhäuser Luftkriegserinnerung gekennzeichnet von einer eigentümlichen „Verwischung der Grenze zwischen Faktizität und Fiktionalität“, die nach dem Historiker Martin Sabrow typisch für das Geschichtsdenken in der DDR war.<ref>Martin Sabrow: ''Einleitung - Geschichtsdiskurs und Doktringesellschaft'', Potsdam: Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam (ZZF), 2000. S. 24.</ref><br />
<br />
Der Versuch einer wirklichen Aufarbeitung in der DDR wurde erstmals 1985 angestoßen, als [[Manfred Schröter]] anlässlich des 40. Jahrestages eine Publikation veröffentlichen wollte. Darin wurde dargelegt, dass die RAF und nicht die USAF für den Angriff im April 1945 verantwortlich gewesen war. Nachdem Schröters Buch nach Begutachtung und Korrektur durch den Historiker Olaf Groehler sowie der SED-Kreisleitung und Bezirksleitung in Druck gegangen war, konfiszierte die Kreisleitung am 29. März 1985 die gesamte Auflage und verhinderte eine Veröffentlichung.<ref name="Winter62">Winter: ''Öffentliche Erinnerungen an den Luftkrieg in Nordhausen 1945 - 2005''. Marburg: Tectum-Verl., 2010. S. 62.</ref> Vorausgegangen war ein öffentlicher Vortrag Schröters am 14. März 1985, in dem er seine Ergebnisse (im Beisein von Stasi-Spitzeln) vorstellte.<br />
<br />
Das Gedenken an die Luftangriffe wurde zu DDR-Zeiten auch stark mit dem Wieder- bzw. Neuaufbau der Stadt verwoben. In den ersten Jahren nach dem Krieg wurde vor allem zur Mithilfe agitiert, um durch das „Aufbauwerk“ einer „glücklichen, friedlichen und sonnigen Zukunft“ entgegenzutreten.<ref>„Aufbauerfolge dürfen nicht preisgegeben werden,“ ''Das Volk'', 7. April 1953.</ref> Ab Ende der 1950er Jahre verwies die SED auf die bisher erzielten Erfolge. Zum 40. Jahrestag der Bombardierung 1985 behauptete Oberbürgermeister [[Peter Heiter]], dass die Jahre des Sozialismus die erfolgreichsten in der über tausendjährigen Stadtgeschichte gewesen seien und verwies auf die Rolle der Partei als entscheidender Faktor für das Erreichte.<ref name="Winter81">Winter: ''Öffentliche Erinnerungen an den Luftkrieg in Nordhausen 1945 - 2005''. Marburg: Tectum-Verl., 2010. S. 100.</ref> <br />
Ein wichtiges Großereignis war die Instandsetzung des [[St.-Petri-Kirche|Petri-Turms]] mit einer neuen Turmspitze zum 42. Jahrestag 1987 als „wiedererstandendes Wahrzeichen“.<ref>„Kupferhelm für den Petritum“, ''Das Volk'', 7. April 1987.</ref><br />
In der Festschrift (1050 Jahre Nordhausen", 1977 herausgegeben vom Magistrat, heißt es: "Für den ausgesprochenen Terrorcharakter der<br />
anglo-amerikanischen Luftangriffe spricht auch, dass die Hauptstraßen des Schienen- und Straßenverkehrs funktionstüchtig blieben und die<br />
militärischen Anlagen der Stadt, insbesondere das Flugplatzgelände, weiter den Machthabern des Dritten Reiches für ihre verbrecherische <br />
Politik zur Verfügung standen."<br />
Die Festschrift hebt hervor: "Das heutige Nordhausen entwickelt sich dank der schöpferischen und angestrengten Arbeit der Arbeiterklasse<br />
und aller Bürger unserer Stadt, auf festen sozialistischen Fundamenten. Ständig entsteht Neues, man braucht sich nur umzuschauen."<br />
Dagegen bemerkte das "Bad Lauterberger Tageblatt" (Ausgabe vom 3./4. April 1985, Seite 3): "Der Wiederaufbau Nordhausens begann<br />
erst sehr spät und sehr schleppend. Noch immer bildet der alte Stadtkern eine weithin kahle Fläche."<br />
<br />
==== BRD ====<br />
<br />
In der Bundesrepublik wurde das Gedenken von dem Verein [[Nordhäuser Heimatfreunde]] getragen. Die erste gedruckte Ausgabe der Vereinszeitung ''[[Nordhäuser Nachrichten]]'' widmete sich der Zerstörung Nordhausens und auch in den folgenden Jahren bildete es ein wiederkehrendes Themenfeld mit zahlreichen Erlebnisberichten. Die Rolle des Vereinsvorsitzenden und früheren Nordhäuser NSDAP-Oberbürgermeisters [[Heinz Sting]] zum Gedenken wird kritisch gesehen.<ref name="Winter83">Winter: ''Öffentliche Erinnerungen an den Luftkrieg in Nordhausen 1945 - 2005''. Marburg: Tectum-Verl., 2010. S. 83 ff.</ref> So sei Sting zwar bemüht gewesen, klarzustellen, dass nicht die US-Luftwaffe die Stadt bombardierte, doch zeigte er sich auch bestrebt, die Rolle des Nationalsozialismus zu relativieren.<br />
<br />
Diese historischen Fakten hatte der Journalist [[Manfred Neuber]] schon vor 1965 in US- und britischen Archiven ermittelt und publiziert (''Bad Lauterberger Tageblatt'' um 1964 und am 3./4. April 1985 in „Das Drama von Nordhausen“, in der ''Herzberger Zeitung'' und im späteren ''HarzKurier'' in Herzberg, im ''Göttinger Tageblatt'' sowie Erwähnung in den ''Nordhäuser Nachrichten'').<br />
[[Herbert Meyer]], Oberbürgermeister Nordhausens in den letzten Kriegstagen und später Stadtdirektor in Bad Lauterberg, versicherte Manfred Neuber 1964 in einem Gespräch über dessen Recherchen in Großbritannien und in den USA, die Stadt Nordhausen habe keine Aufforderung der Alliierten erhalten, Nordhausen zur offenen Stadt zu erklären. Eine Entscheidung darüber hätte auch nicht in seiner Kompetenz gelegen: „Ob eine solche Aufforderung an den Kreisleiter Hans Nentwig ergangen ist und ob dieser sich geweigert hat, ihr nachzukommen, weiß ich nicht. Ich möchte es aber bezweifeln“, erklärte Meyer (Originalzitat in den Aufzeichnungen über das Treffen). Der NSDAP-Kreisleiter [[Hans Nentwig]] hatte das Bombardement in seiner Ausweich-Befehlsstelle unbeschadet überstanden. Er lebte in der Nachkriegszeit in Katlenburg. Von der marxistischen Geschichtsschreibung in der DDR wurde ihm wegen „seiner verbrecherischen Durchhalte-Politik“ eine Hauptschuld an der Zerstörung Nordhausens zugeschrieben.<br />
<br />
=== Seit 1990 ===<br />
<br />
Der 50. Jahrestag der Luftangriffe 1995 wurde mit einer Gedenkwoche unter der Losung „Nordhausen 1945: Erinnerung – Trauer – Mahnung“ weitaus größer begangen als die Jahre zuvor. 1993 hatte das Stadtarchiv angekündigt, diverse Maßnahmen einzuleiten, um ein würdiges Gedenken zu gewährleisten. Darunter zählte das Sammeln von Zeitzeugenberichten, realisierte Veranstaltungen und Projekte sowie die Planung einer Publikation zum Thema. Am 30. März 1995 wurde eine Metallplastik auf der oberen Plattform des Petri-Turms enthüllt und einen Tag später eine Ausstellung mit Fotos und Dokumenten eröffnet. Zudem erschien unter der Leitung des Stadtarchivars [[Peter Kuhlbrodt]] das Buch ''[[Schicksalsjahr 1945 – Inferno Nordhausen]]''. In den folgenden Tagen wurde ein ökumenischer Gedenkweg abgehalten, es gab Kranzniederlegungen am Gedenkstein auf dem Hauptfriedhof, dem Ehrenfriedhof und an der Boelcke-Kaserne. Begleitet wurde das Gedenken mit einer umfassenden Berichterstattung in der Presse, die auch überregional wirkte. <br />
<br />
Nach dem Jahr 1995 wurden die Jahrestage der Luftkriegserinnerung weitaus kleiner begangen.<ref name="Winter100"/> Ab Ende der 1990er Jahre erfolgte wieder eine allgemeine Repolitisierung der Luftkriegserinnerung.<ref name="Winter100">Winter: ''Öffentliche Erinnerungen an den Luftkrieg in Nordhausen 1945 - 2005''. Marburg: Tectum-Verl., 2010. S. 100.</ref> Es zeigte sich, dass sich die öffentliche Erinnerung mehr auf gegenwärtige Ereignisse als auf die Jahre des Zweiten Weltkrieges zu beziehen schien; so werden stärkere Bezüge zu außenpolitischen Themen<ref>Winter: ''Öffentliche Erinnerungen an den Luftkrieg in Nordhausen 1945 - 2005''. Marburg: Tectum-Verl., 2010. S. 101.</ref> oder Exkurse zum Rechtsextremismus hergestellt.<ref>[https://www.nnz-online.de/news/news_lang.php?ArtNr=108899 Zum Umgang mit der Bombardierung], nnz-online, 3. April 2012.</ref> Im Vergleich zu DDR-Zeiten wurde das Spektrum der Erinnerungsakteure erweitert, und vor allem die Kirche rückte in den Vordergrund. <br />
<br />
Seit den 2000er Jahren wird der Jahrestag der Luftangriffe mit der üblichen Kranzniederlegung an der Gedenkstele am Rathaus begangen. Seit 2017 werden statt Kränzen weiße Rosen niedergelegt.<ref>[https://www.nnz-online.de/news/news_lang.php?ArtNr=209936 Gedenken an der Stele], nnz-online, 3. April 2018.</ref> Im Gegensatz zu DDR-Zeiten werden Schuldzuweisungen an die Westalliierten weniger offen aggressiv und ideologisch untermauert vorgebracht.<ref>Winter: ''Öffentliche Erinnerungen an den Luftkrieg in Nordhausen 1945 - 2005''. Marburg: Tectum-Verl., 2010. S. 110.</ref><br />
<br />
=== Denkmäler ===<br />
[[File:Denkmal Bombenangriffe Nordhausen - Mai 2015.JPG|200px|thumb|Mahnmal am Alten Rathaus]]<br />
[[File:Gedenkstein Nordhausen.jpg|mini|200px|Gedenkstein am Massengrab für 600 Bombenopfer auf dem [[Zentralfriedhof an der Leimbacher Straße|Alten Friedhof]]]]<br />
* Mahnmal für die Opfer der Bombardierungen vor dem [[Altes Rathaus|Alten Rathaus]]: 1950 wurde ein Gedenkstein und eine Flammenschale am Sockel des früheren [[Lutherdenkmal]]s angebracht. Es trug die Inschrift: „4.4. 1945 - Zerstörung Nordhausens durch amerikanische Bomber - 8800 Opfer klagen an“ (''Amerikanische'' Bomber war falsch). 1969 wurde dieses Denkmal durch eine Säule des Künstlers Jürgen von Woyski ersetzt.<br />
* Auf dem [[Ehrenfriedhof]] westlich des ''Stresemann-Rings'' befindet sich ein 1999 umgestaltetes Denkmal in Erinnerung an die hier in Massengräbern beigesetzten über 1.600 KZ-Häftlinge, zum größten Teil Opfer der Luftangriffe auf die Boelcke-Kaserne am 3. und 4. April 1945. Viele Nordhäuser zivile Bombenopfer und Soldaten wurden auf dem nördlichen Teil des Sonderfriedhofs, des jetzigen Ehrenfriedhofs, oberhalb des Denkmals in Massengräbern beerdigt.<ref>Manfred Schröter: ''Die Zerstörung Nordhausens''. Nordhausen: Meyenburg-Museum, 1988. S. 59</ref><br />
* Auf dem ''Hauptfriedhof'' findet sich ein Denkmal, das die zusammenfassende Inschrift trägt: „Zum Gedenken an die Gefallenen und Vermissten beider Weltkriege, die Toten der Bombenangriffe, die Opfer aller Gewaltherrschaft. Die Bürger der Stadt Nordhausen“. Links seitlich von dem Denkmal, vor dem begrenzenden Zaun, wurde eine größere Anzahl von Bombentoten in Gemeinschaftsgräbern beigesetzt.<ref> Manfred Schröter: ''Die Zerstörung Nordhausens''. Nordhausen: Meyenburg-Museum, 1988. S. 59-60 </ref> Dort stehen noch einige große Kreuze, die wohl darauf hinweisen.<br />
<br />
== Zitate ==<br />
<br />
* „Das Ausmaß des Schreckens, der Verwüstung und des Todes, von dem unsere Stadt an jenen Apriltagen erfasst wurde, macht sie praktisch zu einem Synonym für die japanischen Städte Hiroshima und Nagasaki. Denn vergleicht man auf Airfotos ihre zerstörten Zentren, so lässt sich schwerlich ein gradueller Wirkungsunterschied erkennen.“ – ''[[Walter Geiger]]: [[Nordhausen im Bombenvisier]], S. 154.''<br />
* „Nordhausen wurde am 3. und 4. April 1945 zerstört, weil der ehrgeizige britische Luftmarschall Sir Arthur Harris dem britischen Volk und den Alliierten zeigen wollte, dass sein "Bomber Command" das Handwerk des Tötens von deutschen Menschen perfektioniert hatte. Er löste einen furchtbaren Flächenbrand aus mit den stärksten Mitteln, die ihm zur Verfügung standen. Besonders verwerflich ist, dass er die Bombenziele auf die Nordhäuser Altstadt konzentrierte. Infam ist auch, dass er noch in den letzten Kriegstagen die Altstadt von Nordhausen mit einer nie vorher verwendeten Bomben-Mischung auslöschte. Er handelte trotzig wie ein Kind, dem man das Spielzeug wegnehmen will. Harris wollte sich in letzter Stunde in Nordhausen ein Denkmal aus Leichen und Ruinen setzen.“ – ''[[Jost-Dieter Rudloff]]: Warum wurde Nordhausen eine Woche vor Kriegsende 1945 in Brand gesetzt? Informationen und Überlegungen. In: [[Beiträge zur Geschichte aus Stadt und Kreis Nordhausen (Band 44/2019)]], S. 141.''<br />
<br />
== Literatur ==<br />
*Jost-Dieter Rudloff: ''Warum wurde Nordhausen eine Woche vor Kriegsende 1945 in Brand gesetzt? Informationen und Überlegungen''. In: ''[[Beiträge zur Geschichte aus Stadt und Kreis Nordhausen (Band 44/2019)]]''.<br />
*Harald Rockstuhl (Hrsg.): ''[[Nordhausen – Luftbild-Atlas 1935–1945]]''. Bad Langensalza: Verlag Rockstuhl, 2017. ISBN 978-3959662833<br />
*[[Walter Geiger]]: ''[[Nordhausen im Bombervisier]]''. Nordhausen: Neukirchner, 2000. ISBN 3-929767-43-0<br />
*Olaf Groehler: ''Bombenkrieg gegen Deutschland''. Berlin: Akad.-Verl., 1990. ISBN 3-05-000612-9<br />
*[[Peter Kuhlbrodt]]: ''[[Inferno Nordhausen – Schicksalsjahr 1945]]''. Nordhausen: Archiv der Stadt Nordhausen, 1995. ISBN 3-929767-09-0<br />
*[[Martin Clemens Winter]]: ''[[Öffentliche Erinnerungen an den Luftkrieg in Nordhausen 1945 - 2005]]''. Marburg: Tectum-Verl., 2010. ISBN 9783828822214 <br />
*''Schicksale deutscher Baudenkmale im Zweiten Weltkrieg''. (Bd. 2) Berlin: Henschelverlag Kunst u. Gesellschaft, 1978.<br />
<br />
== Externe Verweise ==<br />
* [https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/1/1f/Nordhausen_concentration_camp_newsreel.webm Filmaufnahmen von der Boelcke-Kaserne (1945)]<br />
<br />
== Einzelnachweise ==<br />
<br />
<references/><br />
<br />
[[Kategorie:Geschichte]]</div>Latimer Rexhttps://nordhausen-wiki.de/index.php?title=Luftangriffe_auf_Nordhausen&diff=15658Luftangriffe auf Nordhausen2020-02-09T11:03:22Z<p>Latimer Rex: /* Öffentliche Bauten */</p>
<hr />
<div>[[Datei:Marktkirche Rathaus Nordhausen 1945.jpg|thumb|300px|[[Marktkirche]], [[Altes Rathaus|Rathaus]] und [[Stadthaus]] nach den Luftangriffen]]<br />
Die '''Luftangriffe auf Nordhausen''' am 3. und 4. April 1945 durch Bomber der britischen Royal Air Force zerstörten Dreiviertel der Stadt. Dabei kamen über 8.800 Menschen ums Leben, weitere 20.000 wurden obdachlos. Mit einem Wohnungszerstörungsgrad von 55% (10.000 Wohnungen) gehörte Nordhausen zu den am schwersten zerstörten deutschen Städten; zahlreiche Denkmale von hervorragender Bedeutung, darunter die für Nordhausen charakteristischen Fachwerkbauten des 13. bis 19. Jahrhunderts, wurden vernichtet. Der historische Stadtkern, die Neustadt und die Gebäude um die [[Frauenbergkirche]] wurden fast gänzlich eingeebnet. Erhalten blieben die Gebiete westlich und nördlich der [[Stadtmauer]], [[Barfüßerstraße]], [[Kalte Gasse]], Teile des historischen [[Königshof]]s sowie der Stadtteil [[Altendorf]]. Ein Großteil der stark beschädigten Bauwerke wurde nach dem Zweiten Weltkrieg abgerissen. <br />
Die zerstörerische Gesamtwirkung aller Bomben und Luftminen war von keinem Einzelangriff im Luftkrieg gegen Deutschland auch nur annähernd erreicht worden.<ref>Geiger: ''Nordhausen im Bombenvisier''. S. 150.</ref> Bei der Bombardierung von Nordhausen handelte es sich um die größte Katastrophe in ihrer tausendjährigen Stadtgeschichte. <br />
<br />
== Nordhausen im Krieg ==<br />
Nordhausen hatte vor dem Zweiten Weltkrieg ca. 42.000 Einwohner. Während des Krieges stieg deren Zahl durch Ortsfremde (Luftkriegsevakuierte, Flüchtlinge, ausländische Arbeitskräfte, Verwundete und Kriegsgefangene) Anfang März 1945 auf 65.000 Einwohner.<ref>Peter Kuhlbrodt (Hrsg.): ''Schicksalsjahr 1945. Inferno Nordhausen''. Nordhausen: Archiv der Stadt Nordhausen, 1995. S. 20, 33 </ref> Insbesondere für Evakuierte aus Berlin, Hamburg und Westdeutschland waren Stadt und Kreis Nordhausen als Aufnahmeräume ausgewiesen.<br />
<br />
Der Bau von Luftschutzanlagen begann im Spätsommer 1943. Viele Bunkeranlagen in der Innenstadt blieben unvollendet. Am 29. November 1943 wurde für Nordhausen ein Evakuierungsplan, der Aussiedlungsrichtungen und Aufnahmegebiete festlegte, ausgearbeitet.<ref>Geiger: ''Nordhausen im Bombenvisier''. Nordhausen: Verlag Neukirchner, 2000. S. 65</ref><br />
<br />
{| class="wikitable sortable"<br />
|+ style="padding-bottom:1em" | Bis zum 22. Februar 1945 realisierte Stollenabschnitte<ref>Ullrich Mallis: ''Der Luftschutzstollen am Johanneshof / Neuer Weg. Ein Nordhäuser Baudenkmal'', in: ''[[Nordhäuser Nachrichten. Südharzer Heimatblätter (2/2011)]]'', S. 10.</ref><br />
|- class="hintergrundfarbe6"<br />
! class="unsortable" | Stollenabschnitte !! class="sortable" | Länge !! class="unsortable" | Herstellung !! class="unsortable" | Ausbauart !! class="unsortable" | Bemerkung<br />
|-<br />
| Stollen IA, Mühlhof || style="text-align:right" | 55,00 m<br />
| Okt. 1943 – Febr. 1944 || Beton, 27,5 m nur Holzausbau || Richtung Loge<br />
|-<br />
| Fluko-Bunkerzugang || style="text-align:right" | 2,40 m<br />
| Febr. – März 1944 || Eisenbetongewölbe || IA, > 40 m links<br />
|-<br />
| Kreuz IA-Stummel || style="text-align:right" | 0,50 m<br />
| März 1944 || Eisenbetongewölbe, wie das gesamte Kreuz IA || Drehscheibe<br />
|-<br />
| Stollen IB, Johannishof || style="text-align:right" | 38,50 m<br />
| Nov. 1943 – April 1944 || Beton, 22,5 m mit Firstschienen || noch begehbar<br />
|-<br />
| Stollen von IA nach IB || style="text-align:right" | 66,10 m<br />
| März 1944 – Nov. 1944 || Beton || Durchschlag im Nov. 1944<br />
|-<br />
| Stollen von IB nach IA || style="text-align:right" | 38,25 m<br />
| April 1944 – Nov. 1944 || Beton || Durchschlag im Nov. 1944<br />
|-<br />
| Oststollen, von IA-IB ab || style="text-align:right" | 21,75 m<br />
| Dez. 1944 – Febr. 1945 || Seitenbeton, Art des Firstausbaues nicht benannt || <br />
|-<br />
| Südstollen IC, ab IB || style="text-align:right" | 49,75 m<br />
| April 1944 – Febr. 1945 || || zum Lohmarkt<br />
|-<br />
| class="hintergrundfarbe5" | Gesamt: || style="text-align:right" class="hintergrundfarbe5" | 272,25 m<br />
| class="hintergrundfarbe5" | Okt. 1943 – Febr. 1945 || class="hintergrundfarbe5" | || class="hintergrundfarbe5" |<br />
|}<br />
<br />
<br />
<br />
Als Garnisonstadt hatte Nordhausen keine ältere Tradition. Ab 1935 wurde im Süden die [[Boelcke-Kaserne]] errichtet, mit Unterkünften und Fahrzeughallen; sie diente der Ausbildung von Luftnachrichtensoldaten. Daneben entstanden ein Fliegerhorst als Ausbildungsplatz und zeitweise Flugzeugwerft. Bis März 1945 wurden hier Flugzeuge für den Mistelschlepp ("Huckepack"-Flugzeuge) montiert und Piloten dafür geschult. Sonst diente der Fliegerhorst 1945 noch zum Auftanken von Jagdflugzeugen. In provisorischen Unterkünften in der Stadt gab es die evakuierte "Marineverwaltung West". In der Stadt und ihrer nahen Umgebung existierten viele Lazarette mit insgesamt etwa 1.000 Verwundeten. Die Lazarette und Krankenhäuser trugen weithin sichtbare große Rotkreuz-Symbole auf den Dächern. <br />
<br />
Das [[Mittelwerk GmbH|Mittelwerk Dora]] bei Nordhausen produzierte Anfang April 1945 keine V-Waffen oder andere Rüstungsgüter mehr. Die dort Beschäftigten, unter ihnen Tausende von Häftlingen des KZ Mittelbau-Dora und Zwangsarbeiter, wurden evakuiert. Das Werk oder seine Verkehrsanbindungen waren nie Ziel alliierter Luftangriffe. <br />
<br />
Die frühere [[KZ-Außenlager Boelcke-Kaserne|Boelcke-Kaserne]] wurde seit Herbst 1943 nicht mehr militärisch genutzt. Sie hatte seitdem Tausende von Arbeitern, später auch Flüchtlinge aufgenommen. Seit 8. Januar 1945 existierte ein bald überfülltes Häftlingslazarett in der Anlage.<ref> Manfred Schröter: ''Die Zerstörung Nordhausens''. Nordhausen: Meyenburg-Museum, 1988. S. 6-8 </ref> Im Februar kamen zeitweise 3.500 Häftlinge aus dem KZ Groß-Rosen dazu.<ref> Walter Geiger: ''Nordhausen im Bombervisier''. Nordhausen: Verlag Neukirchner, 2000. S. 258 </ref><br />
<br />
== Erste Angriffe ==<br />
In der Nacht vom 25. August auf den 26. August 1940 griffen zwei britische Bomber vom Typ Handley Page Hampden den [[Flugplatz von Nordhausen]] an und warfen vier Bomben ab.<ref>Geiger: ''Nordhausen im Bombenvisier''. S. 61 f.</ref> Es entstand ein kleiner Brand, der bald gelöscht werden konnte. <br />
<br />
Von 1940 bis 1943 gab es insgesamt 72 öffentliche Luftwarnungen und Fliegerarlarme für Nordhausen. Als sich die alliierten Luftangriffe im Jahr 1944 auf die im Hinterland gelegenen deutschen Städte intensivierten, wurde Nordhausen verstärkt Überflugsort alliierter Bomberverbände, etwa wenn sie Berlin, Dessau oder Leipzig anflogen. Im März 1945 erreichten die durchschnittlich fünf bis sechs Luftalarme ihren Höhepunkt.<ref>Geiger: ''Nordhausen im Bombenvisier''. S. 98 f.</ref> <br />
<br />
Am 12. April 1944 flogen während der Mittagszeit zwei aus südlicher Richtung kommende amerikanische Jäger die Stadt an und töteten zwei Menschen, zwei Personen wurden schwer verletzt.<ref>Geiger: ''Nordhausen im Bombenvisier''. S. S 221 f.</ref> <br />
<br />
[[Datei:Luftangriffe Nordhausen Traueranzeige.jpeg|thumb|Traueranzeige vom 26. Februar 1945]]<br />
<br />
Am 22. Februar 1945 griffen gegen 12:30 Uhr US-amerikanische Bomber den Verschiebebahnhof an, trafen jedoch die Unterstadt, einige Anlagen des Industriegebietes und die vormalige Fernmeldeschule der Luftwaffe in der [[Boelcke-Kaserne]]. Insgesamt fielen 296 Mehrzweckbomben und töteten 40 Menschen. Im ''[[Südharzer Kurier]]'' erschien am 26. Februar eine Todesanzeige für die „Gefallenen des Terrorangriffs“ mit der Ankündigung zur Beisetzung. <br />
<br />
Am 28. Februar 1945 warfen drei amerikanische Maschinen 2,5 Tonnen Sprengbomben auf die Stadt ab. <br />
<br />
Am 1. April 1945 wurden das Auto-Hotel Hesse durch Bomben getroffen und zahlreiche Menschen getötet.<br />
<br />
== Großangriffe im April 1945 ==<br />
[[File:Avro Lancaster Mk 1 ExCC.jpg|thumb|Langstreckenbomber vom Typ ''Avro Lancaster'', wie sie bei der Bombardierung von Nordhausen zum Einsatz kamen.]]<br />
[[File:Mosquito 600pix.jpg|thumb|Zielmarkierer ''De Havilland Mosquito'' (1944)]]<br />
Am 3. April 1945 starteten gegen 13 Uhr die englischen Bomberverbände und erreichten Nordhausen um 16 Uhr. Die 247 Avro-Lancaster-Bomber (Tragfähigkeit je 6 Tonnen Bombenlast) und 9 Mosquito-Mehrzweckflugzeuge warfen in 20 Minuten ca. 1.216 Tonnen Sprengbomben ab und trafen vor allem die Außenbezirke von Nordhausen.<ref>Groehler: ''Bombenkrieg gegen Deutschland'', S. 422.</ref> Im Stadtinnern fielen Bomben um die [[Neustadt-Kirche]] und [[Neustadtstraße]]. In den umliegenden Wäldern und Ortschaften [[Sundhausen]], [[Bielen]], [[Himmelgarten]], [[Leimbach]] und [[Krimderode]] fielen schwere Bomben und Luftminen. Getroffen wurde auch die mit kranken Häftlingen überbelegte [[Boelcke-Kaserne]], wo allein in einer mit Tuberkulose-Kranken belegten Flugzeughalle 450 Menschen den Tod gefunden haben sollen.<ref>Wagner: ''Produktion des Todes.'' S. 280</ref> Die Stadt ohne Strom und Leitungswasser. Die Verletzten wurden gesammelt und nach [[Neustadt/Harz|Neustadt]] und [[Sülzhayn]] gebracht, die Ausgebombten erhielten Notquartiere in der Stadt selbst und ihrer Umgebung. Viele Nordhäuser flüchteten aus der Stadt. Zwei Stollen der unterirdischen Anlagen von Mittelbau Dora im Kohnstein nahmen bereits am 3. April Geflüchtete auf, später wurden es 10.000. Das Stadtkrankenhaus war beschädigt, die Patienten wurden in Notkrankenhäuser in das benachbarte [[Petersdorf]] gebracht, vor allem in das Ausflugsrestaurant Harzrigi.<ref> Manfred Schröter: ''Die Zerstörung Nordhausens''. Nordhausen: Meyenburg-Museum, 1988. S. 22, 23 </ref> Bomben fielen auch auf mehrere benachbarte Dörfer und deren Flur, besonders betroffen war Bielen. Zwei Bomber gingen beim Hin- und Rückflug verloren. Der erste Angriff erzielte die gewünschte Wirkung jedoch nicht. Der Angriff am 3. April war aus Sicht der RAF ein Misserfolg.<!-- (Quelle?) --> Viele Einwohner zogen am Abend des 3. April zum nahen [[Kohnstein]], wo die mittlerweile fast verlassenen Stollen des Mittelwerks Schutz boten.<br />
<br />
{{Zitat|Die Stadt ist schwer getroffen, aber sie ist noch eine organisierte Gemeinschaft… Gegenseitige und Nachbarschaftshilfe wird geleistet. Die Stadtverwaltung und die Luftschutzleitung setzen ihre Kräfte ein. Rotes Kreuz und die Krankentransporte kommen an die Schwerpunkte. Man leitet die Evakuierung des beschädigten Krankenhauses ein. Die Verletzten des Angriffs werden geborgen, abtransportiert, in den Gaststätten Parkhaus und Kurhaus gesammelt und schließlich nach Neustadt und Sülzhayn weiterbefördert. Die Feuerwehr bekämpft die wenigen (?) Brandherde.|[[Manfred Schröter]]: ''[[Die Zerstörung Nordhausens und das Kriegsende im Kreis Grafschaft Hohenstein 1945]]''}}<br />
<br />
Am 4. April gegen 9 Uhr begann der zweite Großangriff der RAF. Der Verband kam über Gotha, Bad Langensalza und Schlotheim. Für 93 Bomber wurde die Boelcke-Kaserne als Angriffsziel befohlen, die anderen 150 hatten das Stadtzentrum anzugreifen.<ref>Geiger: ''Nordhausen im Bombenvisier''. S. 146 f.</ref> Zwei Bomber mussten frühzeitig zurückkehren, und zehn weitere hatten ihren militärischen Auftrag verfehlt, so dass von den 243 Flugzeugen 231 am Luftschlag teilnahmen. Ein Bomber explodierte über der Stadt. Die örtliche Feuerwehr war, soweit noch vorhanden, von der Lage völlig überfordert. Unter der überlebenden Bevölkerung herrschte Panik, viele verließen fluchtartig zu Zehntausenden das Inferno der Stadt in Richtung Kohnstein. Auch außerhalb von Nordhausen wurde sie von Jagdbombern beschossen.<ref> Manfred Schröter: ''Die Zerstörung Nordhausens''. Nordhausen: Meyenburg-Museum, 1988. S. 26 </ref> Am Abend und in der Nacht war die Stadt ein weithin leuchtendes Flammenmeer.<ref> Peter Kuhlbrodt: ''Schicksalsjahr 1945. Inferno Nordhausen''. Nordhausen 1995. S. 23 </ref> In der Mitte davon leuchtete der Kirchturm von St. Petri als riesige Fackel, die gegen Mitternacht zusammenbrach und auf das Kirchenschiff stürzte. RAF-Piloten, die von einem Einsatz bei Merseburg zurückflogen, berichteten um 23.00 Uhr von „good fires at Nordhausen“.<ref> Walter Geiger: ''Nordhausen im Bombervisier''. Nordhausen, 2000. S. 180 f.</ref> <br />
Der gebürtige Nordhäuser Schriftsteller [[Rudolf Hagelstange]] schrieb in seiner deutschen Familienchronik (Band 2: „Der Niedergang“, Seite 254) über die Feuersbrunst in seiner Heimatstadt: „Und die Hitze war so groß, dass in den meisten Straßen, sofern sie nicht gepflastert waren, der Asphalt geschmolzen war, dass Flüchtende da und dort in ihn eingesunken waren, einige unlöslich und damit zum Flammentod verurteilt.“<br />
<br />
=== Opfer ===<br />
[[Datei:Einwohnerentwicklung von Nordhausen ab 1800.svg|thumb|Einwohnerzahl von Nordhausen ab 1800. Deutlich sichtbar der Höhepunkt 1945]]<br />
Bei den Großangriffen im April 1945 kamen ca. 8.800 Menschen ums Leben. Diese Zahl geht auf Schätzungen vom Februar 1948 zurück.<ref name="Kuhlbrodt125">Kuhlbrodt: ''Inferno Nordhausen''. S. 125 f.</ref> Vor dem Abgriff befanden sich rund 65.000 Personen in der Stadt (42.000 ständige Bevölkerung, Militärpersonen, Gefangene, ausländische Arbeiter, Spezialarbeiter der Kriegsindustrie, Evakuierte). Der Antifa-Ausschuss von Nordhausen schätzte am 17. Juni 1945, dass über 10.000 Menschen bei den Bombenangriffen ums Leben gekommen seien.<ref> Peter Kuhlbrodt: ''Schicksalsjahr 1945. Inferno Nordhausen''. Nordhausen 1995. S. 115 </ref><br />
<br />
In den ersten Tagennach dem Einmarsch der Amerikaner ließ der US-Stadtkommandant in den Straßen liegende Leichen auf den Sonderfriedhof am Schlageter-Ring bringen. Andere wurden an Ort und Stelle in Bombentrichtern beerdigt. Eine beträchtliche Zahl ziviler Opfer und deutscher Soldaten wurde dann in dem höher gelegenen Teil des heutigen Ehrenfriedhofs in Massengräbern beigesetzt, unweit der getöteten Häftlinge aus der Boelcke-Kaserne. Für die später gefundenen Opfer ohne Anhang wurden Massengräber im vorderen Teil des Alten Hauptfriedhofs in der Leimbacher Straße angelegt. Heute steht an dieser Stelle ein Wohnblock. Auf dem Neuen Hauptfriedhof am Ring sind in den ersten Wochen und Monaten 920 Bombenopfer beerdigt worden.<br />
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{| class="wikitable"<br />
|-<br />
| Verluste der ständigen Bevölkerung || 6.000<br />
|-<br />
| Verluste der nicht ständigen Bevölkerung || 1.500<br />
|-<br />
| Verluste der Häftlinge der Boelcke-Kaserne || 1.300<br />
|-<br />
| zusammen || 8.800<br />
|-<br />
|} <br />
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==== Persönlichkeiten ====<br />
* [[Paul Urban]] (geb. 1892), KPD-Stadtrat<br />
<br />
=== Schäden und Totalverluste ===<br />
<br />
Der Zerstörungsgrad der Stadt wurde mit 74 Prozent errechnet. Die Gesamtfläche des zerstörten Gebietes betrug 810.000 Quadratmeter. Von den 13.075 Wohnungen wurden 6.187 total zerstört und 4.575 beschädigt.<br />
<br />
==== Kirchen ====<br />
<br />
[[Datei:Petri-Kirche Außenansicht.JPG|thumb|[[St.-Petri-Kirche]]]]<br />
*[[St.-Jakobi-Kirche]]: Am 3. April erheblich durch Bomben zerstört. Reste des Schiffes abgetragen, Turmruine zu DDR-Zeiten beseitigt.<br />
*[[Marktkirche]]: Am 3. April weitgehend zerstört. Ruinenreste abgetragen.<br />
*[[St.-Petri-Kirche]]: Am 3. April bis auf Turm und Chor zerstört, zahlreiche Menschen finden in der Kirche den Tod. Der Turm erhielt 1954 ein Notdach, die übrigen Ruinenteile wurden beseitigt. 1987 wurde ein neuer Turmhelm gesetzt.<br />
* [[St.-Blasii-Kiche]]: Dach und Mauerwerk am 4. April durch Bombentreffer erheblich beschädigt [[Cranachgemälde]] im Auslagerungskeller verbrannt. Bis 1949 Wiederherstellung des Daches, Ausbesserung Mauerwerk, Erneuerung des Inneren.<br />
*[[Nordhäuser Dom]]: Am 4. April schwere Schäden durch Brandzerstörung des Steildaches über der Halle und Vernichtung der Fenster. Noch 1945 Fertigstellung Notdach und Beseitigung der Folgeschäden. 1965 Wiederherstellung des Steildaches in ursprünglicher Form.<br />
*[[Frauenbergkirche]]: Am 4. April durch Bomben schwer zerstört. Erhalten blieben Umfassungsmauern der Chor mit Apside, die Nebenchöre und das Querschiff, vom Langhaus nur Reste des ersten Joches sowie des Westportals. Von 1953 bis 1955 folgten Enttrümmerung und Sicherungsarbeiten.<br />
*[[Frauenbergkloster]]: Am 4. April durch Bombentreffer total zerstört. Gebäudereste wurden nach 1945 entfernt.<br />
<br />
==== Öffentliche Bauten ====<br />
*[[Rathaus]]: Am 4. April bis auf die Umfassungsmauern zerstört, Turm ausgebrannt. Ab 1951 Trümmer entfernt und Wiederaufbau bis 1952, dabei wurden die Erdgeschoßarkaden und das Innere neu gestaltet. Zum ebenfalls schwer zerstörten [[Stadthaus]] wurde der Verbindungsgang wiederaufgebaut, der [[Roland]] restauriert.<br />
*[[Stadtmauer]]: Es entstanden Schäden an der Stadtmauer, wobei besonders die teilweise genutzten Türme und Wiechhäuser betroffen wurden. Nach dem Krieg wurden Ruinen abgetragen und Sicherungsarbeiten durchgeführt. Zur Landesgartenschau 2004 erfolgten umfangreiche Sanierungsarbeiten, besonders um den [[Petersberg]]. <br />
*[[Theatergebäude]]:<br />
<br />
==== Fachwerkbauten ====<br />
[[Datei:Nordhäuser Roland 1945.jpg|thumb|Das ausgebrannte Rathaus mit dem [[Nordhäuser Roland|Roland]], der die Angriffe wie durch ein Wunder überstand]]<br />
[[Datei:Riesenhaus, Riese, Postkarte.jpg|thumb|Postkarte vom [[Riesenhaus]] am Holzmarkt (Lutherplatz) mit dem [[Nordhäuser Riese]]n.]]<br />
Bedeutende Fachwerkhäuser, die zerstört wurden (lt. dem Denkmalpfleger Rudolf<br />
Zießler):<br />
<br />
*[[Bäckerstraße]] 22: Mitte des 18. Jahrhunderts errichteter dreigeschossiger, neunachsiger, verputzter Fachwerkbau mit massivem Erdgeschoß, Satteldach und Zwerhaus. Stichbogenfenster mit einfacher profilierter Rahmung in Dreiergruppen. Betonung der Mittelachse durch ein von Pilastern flankiertes Portal mit gesprengtem Giebel, darauf ruhende Frauen und Wappen sowie durch einen auf Konsolen sitzenden Balkon mit schmiedeeisernem Gitter.<br />
*[[Blasiistraße]] 15: Alte Schule. Errichtet um 1700 als dreigeschossiger stattlicher Fachwerkbau mit hohem Satteldach. Unregelmäßige Fenstergruppierung (im ersten Obergeschoß dreizehn Achsen). Fachwerk mit halben Männern. Obergeschoß vorkragend mit Balkenköpfen und gekehlten Füllhölzern.<br />
*Blasiistraße 21: Bedeutendstes Renaissance-Fachwerkhaus Nordhausens von etwa 1550. Dreigeschossig mit zehn Fensterachsen in unregelmäßiger Gruppierung, Geschosse stark vorkragend. Reich ausgebildetes Schmuckfachwerk mit Balkonköpfen, Knaggen, Füllhölzern und Schiffskehlen. Haupteingang mit kräftigen Gewämdepfosten und halben Sonnen um 1700.<br />
*[[Hagenstraße]] 4: Um 1800 errichtet als zweigeschossiger, verschieferter Fachwerkbau mit zehn Fensterachsen. Eckpilaster, ebensolche toskanische Holzpilaster flankieren die vier Mittelachsen und nehmen einen verschieferten Dreieckgiebel auf. Stichbogenfenster mit einfacher Rahmung und Schlußsteinbetonung.<br />
*Hagenstraße: Ilfelder Hof, ehem. Klosterhof, seit dem ersten Viertel des 18. Jahrhunderts Kurhannoversche Postverwaltung, seit 1853 in Privatbesitz. 1277 angelegt, später erweitert, im 17. Jahrhundert Neubau auf erweitertem Grundriss mit massivem Erdgeschoß und zwei Fachwerkobergeschossen, verschiefert.<br />
*[[Holzmarkt]] (Lutherplatz): „Riesenhaus“. 1375 erstmals erwähntes Patrizierhaus mit massivem Erdgeschoss, zwei Fachwerkobergeschossen und Satteldach. Nach Brand von 1710 im Fachwerk erneuert. Fassade gegliedert durch zwölf Fensterachsen, jeweils in Dreiergruppen angeordnet. Fachwerkkonstruktion mit Wilden Männern. Mittelgiebel mit einem Mann in Ritterrüstung ([[Nordhäuser Riese]]), der eine Lanze hält. 1805 Einrichtung einer Gaststätte, Verputz des Fachwerks und klassizistische Fassadengestaltung. 1927 Endrestaurierung und Wiederherstellung des Fachwerks.<br />
*Jakobikirchplatz 4: Lateinschule. Zweigeschossiger Fachwerkbau von 1493 mit Satteldach. Ständer- und Riegelbau. Vorkragendes Obergeschoß über geschwungene Knaggen. Durchlaufender Fensterbrustriegel.<br />
*Jakobikirchplatz: Pfarrhaus. 1687 errichteter zweigeschossiger Fachwerkbau mit Krüppelwalmdach. Fenstergruppierung unregelmäßig. Stiele und Brustriegel durch Wilde Männer verstärkt. Geringe Auskragung, Balkonköpfe und Schwelle mit einfacheren Profilen. Gefache mit Ziegeln in Mustern ausgemauert. Oberdeutsch beeinflusstes Fachwerk.<br />
*[[Königshof]] 14: Dreigeschossiger Fachwerkbau mit oberdeutschen Stilelementen, ganze und halbe Männer. Um 1780 Verkleidung der Fenster mit Rokokogirlanden.<br />
*[[Krämerstraße]] 11: Verschieferter, zweigeschossiger, fünfachsiger Fachwerkbau mit spätbarockem Volutengiebel. Stichbogenfenster mit Rahmenverkleidung. Erdgeschoss durch Ladeneinbauten verändert.<br />
*Krämerstraße 15: Um 1700 errichteter schmaler dreigeschossiger Fachwerkbau in oberdeutschem Stil mit halben Männern an den Ecken. Balkonköpfe und Füllhölzer mit einheitlichem Profil. Satteldach mit Zwerchhaus.<br />
*[[Lohmarkt]] 2, 4, 20, 21: Nach 1686 errichtete Gerberhäuser. Zwei- bzw. dreigeschossige Fachwerkgebäude im gleichen oberdeutschen Baustil wie Pfarrhaus Jakobikirchplatz. Besonders reich ausgebildet der Türstock mit Renaissanceformen und Inschrift. Satteldächer mit Zwerchhäsern (Ladeluken).<br />
*[[Neustadtstraße]] 27: Zweigeschossiger, elfachsiger Fachwerkbau aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts mit Satteldach. An den Fenstern Rokokoverkleidung.<br />
*Neustadtstraße 35: Zweigeschossiger, achtachsiger Fachwerkbau aus der Mitte des 18. Jahrhunderts auf Sandsteinsockel. Türen und Fenster in Stichbogen mit geschnitzter Rokokoverkleidung.<br />
*Neustadtstraße 47: Dreigeschossiger Fachwerkbau der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts mit Krüppelwalmdach. Rokokofensterbekleidungen handwerklich vereinfacht.<br />
*[[Pferdemarkt]] 17: Dreigeschossiger Fachwerkbau von etwa 1550, niederdeutsch beeinflusst. Auskragung des Obergeschosses mit Balkonköpfen, Knaggen und Füllhölzern. Erdgeschoß baulich verändert.<br />
*[[Sandstraße]] 3, 21, 23, 28: Diese Häuser hinsichtlich der Entstehungszeit und der architektonischen Ausbildung denen der Neustadtstraße entsprechend.<br />
<br />
==== Situation nach dem Großangriff ====<br />
[[Datei:Boelcke-Kaserne-Tote HäftlingeA.jpg|thumb|Einwohner Nordhausens tragen am 12. April 1945 unter Bewachung von Angehörigen der US-Armee tote Häftlinge aus der Boelcke-Kaserne und legen sie davor ab]]<br />
[[File:Nordhausen um 1930.jpeg|thumb|Der Stadtteil [[Altendorf]] blieb weitgehend unzerstört (Luftaufnahme um 1930)]]<br />
Das britische Bomber Command berichtete als Ergebnis der beiden Großangriffe, dass „die Stadt fast vollständig zerstört wurde, inbegriffen die Kasernenblöcke.“<ref> Walter Geiger: ''Nordhausen im Bombervisier''. Nordhausen: Neukirchner, 2000. S. 154 </ref> <br />
Die Situation für die Bevölkerung nach den Angriffen kann nur mit dem Begriff „Inferno“ beschrieben werden. Das Stadtzentrum konnte tagelang nicht betreten werden. Es wüteten noch zahlreiche Brände<ref> Peter Kulhlbrodt: ''Schicksalsjahr 1945. Inferno Nordhausen''. Nordhausen 1995. S. 24</ref>, die Schutthaufen strahlten unerträgliche Hitze aus. Bomben mit Zeitzündern gingen hoch. Über den Trümmerfeldern lag bald Leichengeruch, besonders im Bereich der Boelcke-Kaserne. In den Nächten des 6. und 7. April wurden die Kranken und Verwundeten aus Nordhausen und Umgebung durch alle verfügbaren Fahrzeuge, besonders mit Bauern-Gespannen, in den Kohnstein in Sicherheit gebracht. Die Nordhäuser Bevölkerung verteilte sich nach Schätzungen am 7. April wie folgt: 6.000 (8.800) Opfer tot unter den Trümmern, 6.000 Überlebende noch in der Stadt, 10.000 im Kohnstein und 20.000 in den umliegenden Dörfern, besonders nordöstlich der Stadt.<ref> Manfred Schröter: ''Die Zerstörung Nordhausens''. Nordhausen: Meyenburg-Museum, 1988. S. 30 </ref> Am 8. April flogen 6 Jagdbomber noch einen Tagesangriff nach Zielmarkierung auf Nordhausen, parallel zu dem Bombardement auf [[Sondershausen]]. Am 10. April näherten sich US-Panzer aus Richtung [[Hain (Kleinfurra)|Hain]] dem Süden der Stadt und nahmen ihn unter Feuer, darunter die Trümmer der Boelcke-Kaserne.<ref> Manfred Schröter: ''Die Zerstörung Nordhausens''. Nordhausen: Meyenburg-Museum, 1988. S. 37 </ref><br />
<br />
== Nachwirkungen ==<br />
Insgesamt waren vom britischen Bomber Command 2.386 Tonnen und von der 8. US Air Force 296 Tonnen Bombenlast auf Nordhausen abgeworfen worden.<ref> Olaf Groehler: ''Bombenkrieg gegen Deutschland''. Berlin: Akademie-Verlag, 1990. S. 449 </ref><br />
Eine der am längsten nachwirkenden Folgen der Luftangriffe für die Bürger der Stadt blieben Hunderte von Blindgängern aller Kaliber: zwischen den Trümmern der Stadt und im Erdreich der Straßen, Gärten und Felder. In den ersten Jahren machten sich die Feuerwerker Jochen Nebel und Albin Diebler sehr verdient um die Entschärfung gefundener Bomben, ab 1962 der - deshalb zum Ehrenbürger ernannte - Helmut Zinke. Im Stadtgebiet wurden 1948 bis 1953 etwa 100 Bomben entschärft, dann 248 Blindgänger von 1954 bis 1999 entzündet und geräumt.<ref>Walter Geiger: ''Nordhausen im Bombervisier''. Nordhausen, 2000. S. 263-264 </ref> <br />
<br />
Noch 2014 gilt eine Verordnung in Nordhausen, nach der jeder Bürger, der bauen will, sicherstellen muss, dass unter seinem Grund und Boden kein Gefahrgut liegt.<ref>Katja Dörn: ''Die Gefahr rostet im Thüringer Boden''. Thüringische Landeszeitung, 12. Dezember 2014 </ref><br />
<br />
Auswahl weiterer Funde von Blindgängern:<br />
* 1996: 250-Kilogramm-Blindgänger wird gesprengt<br />
* 2008: 227-Kilogramm-Bombe in der Altstadt<br />
* 2010: Fünf-Zentner-Bombe am [[Taschenberg]] entdeckt, 4.500 Menschen wurden evakuiert, Bombe konnte nicht entschärft werden<br />
* Juni 2016: Kontrollierte Sprengung einer 800-Kilogramm-Bombe, Leimbach und Steigerthal mussten geräumt werden (1.080 Einwohner) <br />
* Dezember 2016: Fünf-Zentner-Bombe am [[Strohmühlenweg]], ca. 1000 Einwohner, so auch die Hochschule Nordhausen, wurden evakuiert<br />
* September 2017: Bombe auf einem Feld in der [[Windlücke]], ca. 3000 Einwohner evakuiert, Bombe entschärft<ref>https://www.nnz-online.de/news/news_lang.php?ArtNr=219719</ref><br />
* Oktober 2018: Bombe in der Windlücke, ca. 3000 Einwohner evakuiert, Bombe entschärft<ref>https://www.nnz-online.de/news/news_lang.php?ArtNr=243515</ref><br />
* November 2018: Bombe in Bielen, 1.1000 Einwohner wurden evakuiert (Sperrzone 1 Kilometer), Bombe entschärft<br />
* August 2019: 225-Kilogramm-Bombe an der [[Zorge]], 2.500 Einwohner wurden evakuiert (Sperrzone 500 Meter), Bombe entschärft und Zünder gesprengt<br />
* November 2019: 225-Kilogramm-Bombe am [[Stadttheater]], ca. 15.000 Einwohner wurden evakuiert (Sperrzone 1 Kilometer), Bombe entschärft und Säurezünder gesprengt. Es war die größte Evakuierungsaktion in Nordhausen nach dem Zweiten Weltkrieg.<ref>MDR, 8. November 2019</ref><br />
<br />
== Rezeption ==<br />
[[Datei:Nordhausen mahnt 1949.jpg|thumb|200px|Werbeplakat zur Ausstellung „[[Nordhausen mahnt - Ausstellung vom 6. bis 27. März 1949|Nordhausen mahnt]]“ im März 1949]]<br />
Luftangriffe waren im Zweiten Weltkrieg für alle Kriegsparteien zum entschiedenen strategischen Kriegskonzept geworden. Die Westalliierten glaubten durch die planmäßige und massive Zerstörung deutscher Städte, vor allem der Wohngebiete der Industriearbeiter, die Moral und den Widerstandswillen der Bevölkerung zu brechen und den Krieg schneller beenden zu können.<ref>Johannes Volker Wagner: ''Bomben auf Bochum''. S. 3.</ref> Im Januar 1943 einigten sich Großbritannien und die Vereinigten Staaten in Casablanca auf die Forderung nach bedingungsloser Kapitulation des Deutschen Reiches und auf eine weitere Verschärfung des Bombenkrieges. Zu dieser Zeit war die deutsche Luftabwehr längst nicht mehr in der Lage, das Reichsgebiet zu verteidigen. Die Alliierten erreichten ihr Ziel der Demoralisierung nicht, und viele Deutsche klammerten sich in Verzweiflung an die Hoffnung auf einen „Endsieg“.<br />
<br />
<!-- Auszug aus „Winston Churchill“. Der späte Held, eine Biographie von Thomas Kielinger, erschienen im Verlag C.H. Beck, Kapitel XY, Seite 301 ff.: Nach dem Kriege stand eine andere Verantwortung Churchills im Vordergrund – „für die Vernichtung von nahezu 60 der größten Städte Deutschlands“. „Mit dem Untergang Dresdens sind auch nachdenkliche Briten bis heute nicht fertig. Die Zweifel, ob die Zerstörung dieser und anderer Städte so kurz vor dem nahen Kriegsende zu rechtfertigen war, haben sich längst zu dem Urteil verdichtet: Sie war es nicht! ... Hilft es zur Erklärung darauf hinzuweisen, dass in der Schlussphase des Krieges deutsche V1- und V2-Waffen weiterhin Zerstörung auf Antwerpen, Paris und London regnen ließen? Eine V2 schlug noch am 27. März 1945 im Osten Londons ein und tötete 134 Menschen. Die britische öffentliche Meinung hätte es nicht verstanden, wenn die mili-tärische Führung auf Schonung des Gegners geschaltet hätte, wo dieser bis zum Ende Vernichtung spie.“<br />
<br />
„Aber die alte Frage bleibt, die Lothar Kettenacker 2003 in dem Sammelband „Ein Volk von Opfern?“ noch einmal stellte – „ob der Zweck die Mittel heiligt, ob die Beseitigung einer unheilvollen Diktatur die rücksichtslose Bombardierung der Bevölkerung rechtfertigt. Unbehagen äußerte Churchill selbst schon 1943, als ihm Bilder von den Auswirkungen der Bomben in Deutschland vorgelegt wurden ...“ Der Australier Ricard Casey, der an den Sitzungen des britischen Kriegsrates ... teilnahm, schrieb am 27. Juni 1943 in sein Tagebuch: „Es wird ein Film gezeigt über das nächtliche Bombardement einer deutschen Stadt, und plötzlich richtet sich Churchill steil in seinem Sessel auf und sagt zur mir: ‚Sind wir Bestien? Gehen wir nicht zu weit? <br />
<br />
Churchills Meinungen zum Bombenkrieg gegen Deutschland schwankten. Nach der Zerstörung Dresdens begegnet man bei ihm, spät, einer eindeutigen Ablehnung, so in dem berühmten Memorandum vom 28. März 1945:‚Der Moment scheint mir gekommen, wo die Frage der Bombardierung deutscher Städte zum Zwecke der Erhöhung des ''''terrors'''' (in Englisch mit der Bedeutung von Angst und Schrecken) auch wenn wir andere Vorwände nennen, überprüft werden sollte... Es ist nötig, dass wir uns mehr auf militärische Ziele konzentrieren wie Öllager und Kommunikationszentren hinter der unmittelbaren Kampfzone, statt auf Akte des reinen terrors und der mutwilligen Zerstörung’.“<br />
„Nicht umsonst nannte man Harris auch den ‚butcher’, den Metzger. . . Schon Max Hastings (stockkonservativer Historiker) nannte in seinem Klassiker von 1979 ‚Bomber Command’ die Auslöschung deutscher Städte noch im Frühjahr 1945 ‚einen bleibenden Schandfleck’,“ soweit Kielinger. Nach Kriegsende zog sich Harris verbittert nach Südafrika zurück, weil er sich nicht gebührend geehrt vorkam. Luftangriffe hatte Harris als „relativ humane Methode“ bezeichnet. Butcher wurde er nicht wegen der zivilen Bombenopfer in Deutschland genannt, sondern weil 55 000 Angehörige des Bomber Command vom Feindflug nicht heimkehrten – jeder zweite Pilot und Bordschütze. --><br />
<br />
Im März 1945 hatte sich das Angriffstempo der US-Streitmacht im Vergleich zu den Vormonaten verlangsamt.<ref name="Gewiger158">Geiger: ''Nordhausen im Bombenvisier''. S. 158 f.</ref> Um dennoch den Stoß in das Zentrum Deutschlands als strategisches Ziel zügig fortzuführen, waren die Westalliierten zum Einsatz aller Mittel entschlossen, auch in Anbetracht eventuell noch bevorstehender Kämpfe und Widerstand im Südharz. Die Stadt Nordhausen erhielt daher militärische Bedeutsamkeit für die 1. US-Armee, auch wegen des Verschiebebahnhofs für Truppenbewegungen. Der unterirdische Rüstungsbetrieb im [[Kohnstein]] und das [[Konzentrationslager Mittelbau]] wurden dagegen nie zu Zielen von Luftangriffen. <br />
<br />
Nordhausen und Umgebung wurden Ende 1944 von britischen Fernaufklärern nachts unter tagheller Beleuchtung durch Magnesiumbomben sorgfältig aus der Luft fotografiert.<ref>Manfred Schröter: ''Die Zerstörung Nordhausens''. Nordhausen 1988, S. 55</ref> Die Bombardierung von Nordhausen wurde am 2. April 1945 vom Alliierten Oberkommando (SHAEF) befohlen.<ref name="Gewiger158"/> Gefordert wurde ein Angriff zur Unterstützung der 1. US-Armee mit Priorität zur frühestmöglichen Gelegenheit. Einige Tage zuvor wurde vom SHAEF die Zerstörung durch die RAF beschlossen.<ref>Manfred Schröter: ''Die Zerstörung Nordhausens''. Meyenburg-Museum Nordhausen, 1988, S. 54–55</ref><br />
<br />
Dieses, geführt von Luftmarschall Arthur Harris, erteilte am 2. April den unmittelbaren Befehl für einen Doppelschlag an zwei Tagen.<ref>Walter Geiger: ''Nordhausen im Bombervisier''. Nordhausen 2000, S. 108–109</ref> Der Zweck der RAF-Angriffe im April 1945 bestand darin, den Weg für einen ungehinderten Vormarsch von der im Südharzer Raum erwarteten Gegenwehr freizumachen. 3.466 britische Soldaten sollten als fliegendes Personal an den Angriffen teilnehmen. Ihnen wurde als Ziel des Angriffs erklärt: „To kill military and Nazi personnel evacuated from Berlin to these barracks“ (gemeint das Areal der Boelcke-Kaserne und die Stadt Nordhausen).<ref>Geiger: ''Nordhausen im Bombenvisier''. S. 121 </ref><br />
<br />
<!-- Bitte Quelle angeben!(Wie aus dem Text eindeutig hervorgeht: Der genannte Journalist und Gesprächspartner Dr. Meyers!) Der gebürtige Nordhäuser [[Manfred Neuber]], als Journalist von 1960 bis 1963 in London und New York, recherchierte als erster bei der Royal Air Force und der US Air Force über die Luftangriffe auf Nordhausen. Aus den detaillierten Angaben ging hervor, dass allein Bomber der Royal Air Force Nordhausen angegriffen hatten. Die SED-Propaganda hatte behauptet, es habe sich um „amerikanische Terrorangriffe“ gehandelt. So stand es auch Jahre auf der Gedenkstele für die Opfer der Luftangriffe neben dem Alten Rathaus. Neuber hatte Gelegenheit, im Jahre 1964 in Bad Lauterberg mit Dr. [[Herbert Meyer]], Oberbürgermeister Nordhausens vor Kriegsende 1945, über die Bombenangriffe zu sprechen. Dabei widerlegte Meyer noch Jahre nach dem Kriege kursierende Gerüchte, die Luftangriffe hätten eigentlich der Stadt Gotha gelten sollen. Weil die Verantwortlichen dort kapituliert hätten, sei Nordhausen angegriffen worden, weil es nicht ebenso gehandelt habe. Meyer versicherte, es habe keine Aufforderung zur Übergabe der Stadt gegeben. Zum Zeitpunkt der Luftangriffe standen die US-Panzerspitzen noch im Raume Kassel. --><br />
<br />
=== Vermutungen und Gerüchte über den Großangriff ===<br />
<br />
* Nordhausen soll Aufforderung zur kampflosen Übergabe ausgeschlagen haben.<br />
** Der Nordhäuser Oberbürgermeister bei Kriegsende, [[Herbert Meyer]], widersprach dieser Darstellung in einem Gespräch mit dem Journalisten Manfred Neuber um 1964 in Bad Lauterberg: „An die Stadtverwaltung ist niemals bis zu den Angriffen eine Aufforderung der Amerikaner ergangen, Nordhausen zur offenen Stadt zu erklären. Ich möchte bezweifeln, dass sie an Kreisleiter Nentwig ergangen ist.“<ref name="Sting252">Heinz Sting: ''Das 1000-jährige Nordhausen und der schöne Südharz''. Hannover: Nordhäuser Heimatfreunde, 1965. S. 252.</ref><br />
<br />
* Nordhausen wurde durch die US-Luftwaffe zerstört.<br />
** Es ist unbestritten und belegt, dass britische Bomber die Stadt zerstörten. „Die Einsatzbefehle der 8. US-Luftflotte sahen weder am 3. noch am 4. April 1945 Nordhausen als Ziel vor. Die Operationsberichte der 8. Luftflotte geben auch keinen Großangriff auf Nordhausen an einem dieser beiden Tage an. Der Hauptzielplan für die amerikanischen Heeresflieger in Europa während des Zweiten Weltkrieges führt ebenfalls keinen Angriff auf Nordhausen im April 1945 auf“, teilte das amerikanische Aerospace Studies Institute auf Anfrage des Journalisten Manfred Neuber zu Beginn der 1960er Jahre schriftlich mit. „Aus anderen Quellen ist zu entnehmen“, gab der Leiter für geschichtliche Studien an diesem Institut der US Air Force University auf der Maxwell Air Base in Montgomery/Alabama, bei den Recherchen des Journalisten zu Protokoll, „dass am 3.und 4 .April 1945 vom Bomber Command der Royal Air Force schwere Angriffe auf Nordhausen geflogen wurden.“ Diese Angaben wurden von der Air Historical Branch im britischen Verteidigungsministerium (damals noch Ministry of War) dem Rechercheur bestätigt. Alle<br />
hier aufgeführten Originaldokumente wurden dem Stadtarchiv Nordhausen übergeben.<br />
<br />
* Nordhausen wurde anstelle Gothas bombardiert.<br />
** Diese Behauptung wurde u. a. von [[Kurt Kohlmann]] aufgestellt. So berichtete er von zwei US-Offizieren, die entsprechende Aussagen getätigt haben sollen: „Sie erzählten mir, der Kreisleiter von Nordhausen sei dreimal aufgefordert worden zu kapitulieren. Nachdem die Faschisten das dritte Mal abgelehnt hatten, sei ein auf Gotha angesetzer US-amerikanischer Bomberverband nach Nordhausen umgeleitet worden.“<ref name="Rudloff138">Jost-Dieter Rudloff: ''Warum wurde Nordhausen eine Woche vor Kriegsende 1945 in Brand gesetzt? Informationen und Überlegungen''. In: ''Beiträge zur Geschichte aus Stadt und Kreis Nordhausen (Band 44/2019)'', S. 138.</ref> Dies wurde ebenfalls von Herbert Meyer als unglaubwürdig zurückgewiesen.<ref name="Sting252"/><br />
<br />
* Nordhausen wurde wegen der Raketen-Produktion im Kohnstein bombardiert.<br />
** Den Alliierten war bekannt, dass sich im Kohnstein ein Rüstungsbetrieb befand, nicht jedoch, dass dort die V-Waffen gefertigt wurden.<ref>Jürgen Möller: ''Konzentrationslager Mittelbau-Dora''. Bad Langelsalza 2018, S. 33.</ref> Der Kohnstein war wegen der Kriegsgefangenenlager kein Angriffsziel.<ref name="Rudloff138"/><br />
<br />
* Die Nordhäuser Bevölkerung sollte wegen dem Konzentrationslager Dora-Mittelbau bestraft werden.<br />
** Dies wird durch kein Dokument der Alliierten bestätigt.<br />
<br />
* Nordhausen wurde aus militärischen Gründen bombardiert.<br />
** Die Stadt war verkehrstechnischer Knotenpunkt und Mittelpunkt der Nordthüringer Rüstungsindustrie und wurde auch von der deutschen Armeeführung als wichtig wahrgenommen.<ref name="Rudloff140">Jost-Dieter Rudloff: ''Warum wurde Nordhausen eine Woche vor Kriegsende 1945 in Brand gesetzt? Informationen und Überlegungen''. In: ''Beiträge zur Geschichte aus Stadt und Kreis Nordhausen (Band 44/2019)'', S. 140.</ref> Für das US-Militär bildete die Stadt kein strategisches Ziel mehr.<ref name="Rudloff140"/> Die Stadt Nordhausen erhielt militärische Bedeutsamkeit für die Bodentruppen der 1. US-Armee, auch wegen des Verschiebebahnhofs für Truppenbewegungen. Die Schonung der Rüstungsbetriebe mit ihrem Personal ergab sich aus der Hoffnung, möglichst viele Waffen und Fachkräfte zu erbeuten.<ref name="Rudloff140"/> Es gibt keinen Hinweis darauf, dass Nordhausen aus militärischen Gründen bombardiert wurde.<ref name="Rudloff140"/><br />
<br />
== Aufarbeitung und Gedenken ==<br />
=== 1945 bis 1990 ===<br />
==== DDR ====<br />
Bis zur Wiedervereinigung hielt sich die Behauptung, die United States Air Force habe Nordhausen am 3. und 4. April 1945 bombardiert. Zum einen wurde der US-Luftwaffe vorgehalten, dass die Angriffe auf Nordhausen ein Akt blinder Zerstörung und militärischer sinnlos gewesen seien, da das Ende des Dritten Reiches absehbar war. Andererseits wurde mit der „Gotha-Legende“ behauptet, dass Nordhausen bis zum Letzten verteidigt werden sollte und es deshalb zum Luftangriff kam. Damit wurde die Verantwortlichkeit für das Bombardement wahlweise den lokalen NS-Amtsträgern oder den USA zugeschrieben. <br />
<br />
Ein Interesse an einer realistischen Rekonstruktion hatte die SED auch aufgrund der Situation des Kalten Krieges nicht.<br />
Zum 40. Jahrestag der Luftangriffe wurde in der Lokalpresse erstmals von „250 britischen Lancaster-Maschinen“ gesprochen.<ref>„Die Zerstörung Nordhausens - Mahnung und Verpflichtung“, ''Das Volk'', 2. April 1985.</ref> Eine Revision der Geschichte fand jedoch nicht statt, und auch danach war mitunter vom „Zerstörungsangriff amerikanischer Bomber“ die Rede.<ref>''Unser Aktuelles Argument'', April 1985.</ref> Für die in der DDR-Propaganda kolportierte öffentliche Erinnerung erklärt sich aus dem politischen Bedürfnis, die „imperialistischen“ Angreifer als möglichst grausam und skrupellos erscheinen zu lassen, im Sinne antiamerikanischer Propaganda.<ref name="Winter63">Winter: ''Öffentliche Erinnerungen an den Luftkrieg in Nordhausen 1945 - 2005''. Marburg: Tectum-Verl., 2010. S. 63.</ref> <br />
Mit Verweis auf die Luftangriffe auf Nordhausen wurde auf tatsächliche oder vermeintliche aktuelle militärische Bedrohungen oder Konflikte Bezug genommen, z. B. auf den Vietnamkrieg. <br />
<br />
Insgesamt war die Nordhäuser Luftkriegserinnerung gekennzeichnet von einer eigentümlichen „Verwischung der Grenze zwischen Faktizität und Fiktionalität“, die nach dem Historiker Martin Sabrow typisch für das Geschichtsdenken in der DDR war.<ref>Martin Sabrow: ''Einleitung - Geschichtsdiskurs und Doktringesellschaft'', Potsdam: Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam (ZZF), 2000. S. 24.</ref><br />
<br />
Der Versuch einer wirklichen Aufarbeitung in der DDR wurde erstmals 1985 angestoßen, als [[Manfred Schröter]] anlässlich des 40. Jahrestages eine Publikation veröffentlichen wollte. Darin wurde dargelegt, dass die RAF und nicht die USAF für den Angriff im April 1945 verantwortlich gewesen war. Nachdem Schröters Buch nach Begutachtung und Korrektur durch den Historiker Olaf Groehler sowie der SED-Kreisleitung und Bezirksleitung in Druck gegangen war, konfiszierte die Kreisleitung am 29. März 1985 die gesamte Auflage und verhinderte eine Veröffentlichung.<ref name="Winter62">Winter: ''Öffentliche Erinnerungen an den Luftkrieg in Nordhausen 1945 - 2005''. Marburg: Tectum-Verl., 2010. S. 62.</ref> Vorausgegangen war ein öffentlicher Vortrag Schröters am 14. März 1985, in dem er seine Ergebnisse (im Beisein von Stasi-Spitzeln) vorstellte.<br />
<br />
Das Gedenken an die Luftangriffe wurde zu DDR-Zeiten auch stark mit dem Wieder- bzw. Neuaufbau der Stadt verwoben. In den ersten Jahren nach dem Krieg wurde vor allem zur Mithilfe agitiert, um durch das „Aufbauwerk“ einer „glücklichen, friedlichen und sonnigen Zukunft“ entgegenzutreten.<ref>„Aufbauerfolge dürfen nicht preisgegeben werden,“ ''Das Volk'', 7. April 1953.</ref> Ab Ende der 1950er Jahre verwies die SED auf die bisher erzielten Erfolge. Zum 40. Jahrestag der Bombardierung 1985 behauptete Oberbürgermeister [[Peter Heiter]], dass die Jahre des Sozialismus die erfolgreichsten in der über tausendjährigen Stadtgeschichte gewesen seien und verwies auf die Rolle der Partei als entscheidender Faktor für das Erreichte.<ref name="Winter81">Winter: ''Öffentliche Erinnerungen an den Luftkrieg in Nordhausen 1945 - 2005''. Marburg: Tectum-Verl., 2010. S. 100.</ref> <br />
Ein wichtiges Großereignis war die Instandsetzung des [[St.-Petri-Kirche|Petri-Turms]] mit einer neuen Turmspitze zum 42. Jahrestag 1987 als „wiedererstandendes Wahrzeichen“.<ref>„Kupferhelm für den Petritum“, ''Das Volk'', 7. April 1987.</ref><br />
In der Festschrift (1050 Jahre Nordhausen", 1977 herausgegeben vom Magistrat, heißt es: "Für den ausgesprochenen Terrorcharakter der<br />
anglo-amerikanischen Luftangriffe spricht auch, dass die Hauptstraßen des Schienen- und Straßenverkehrs funktionstüchtig blieben und die<br />
militärischen Anlagen der Stadt, insbesondere das Flugplatzgelände, weiter den Machthabern des Dritten Reiches für ihre verbrecherische <br />
Politik zur Verfügung standen."<br />
Die Festschrift hebt hervor: "Das heutige Nordhausen entwickelt sich dank der schöpferischen und angestrengten Arbeit der Arbeiterklasse<br />
und aller Bürger unserer Stadt, auf festen sozialistischen Fundamenten. Ständig entsteht Neues, man braucht sich nur umzuschauen."<br />
Dagegen bemerkte das "Bad Lauterberger Tageblatt" (Ausgabe vom 3./4. April 1985, Seite 3): "Der Wiederaufbau Nordhausens begann<br />
erst sehr spät und sehr schleppend. Noch immer bildet der alte Stadtkern eine weithin kahle Fläche."<br />
<br />
==== BRD ====<br />
<br />
In der Bundesrepublik wurde das Gedenken von dem Verein [[Nordhäuser Heimatfreunde]] getragen. Die erste gedruckte Ausgabe der Vereinszeitung ''[[Nordhäuser Nachrichten]]'' widmete sich der Zerstörung Nordhausens und auch in den folgenden Jahren bildete es ein wiederkehrendes Themenfeld mit zahlreichen Erlebnisberichten. Die Rolle des Vereinsvorsitzenden und früheren Nordhäuser NSDAP-Oberbürgermeisters [[Heinz Sting]] zum Gedenken wird kritisch gesehen.<ref name="Winter83">Winter: ''Öffentliche Erinnerungen an den Luftkrieg in Nordhausen 1945 - 2005''. Marburg: Tectum-Verl., 2010. S. 83 ff.</ref> So sei Sting zwar bemüht gewesen, klarzustellen, dass nicht die US-Luftwaffe die Stadt bombardierte, doch zeigte er sich auch bestrebt, die Rolle des Nationalsozialismus zu relativieren.<br />
<br />
Diese historischen Fakten hatte der Journalist [[Manfred Neuber]] schon vor 1965 in US- und britischen Archiven ermittelt und publiziert (''Bad Lauterberger Tageblatt'' um 1964 und am 3./4. April 1985 in „Das Drama von Nordhausen“, in der ''Herzberger Zeitung'' und im späteren ''HarzKurier'' in Herzberg, im ''Göttinger Tageblatt'' sowie Erwähnung in den ''Nordhäuser Nachrichten'').<br />
[[Herbert Meyer]], Oberbürgermeister Nordhausens in den letzten Kriegstagen und später Stadtdirektor in Bad Lauterberg, versicherte Manfred Neuber 1964 in einem Gespräch über dessen Recherchen in Großbritannien und in den USA, die Stadt Nordhausen habe keine Aufforderung der Alliierten erhalten, Nordhausen zur offenen Stadt zu erklären. Eine Entscheidung darüber hätte auch nicht in seiner Kompetenz gelegen: „Ob eine solche Aufforderung an den Kreisleiter Hans Nentwig ergangen ist und ob dieser sich geweigert hat, ihr nachzukommen, weiß ich nicht. Ich möchte es aber bezweifeln“, erklärte Meyer (Originalzitat in den Aufzeichnungen über das Treffen). Der NSDAP-Kreisleiter [[Hans Nentwig]] hatte das Bombardement in seiner Ausweich-Befehlsstelle unbeschadet überstanden. Er lebte in der Nachkriegszeit in Katlenburg. Von der marxistischen Geschichtsschreibung in der DDR wurde ihm wegen „seiner verbrecherischen Durchhalte-Politik“ eine Hauptschuld an der Zerstörung Nordhausens zugeschrieben.<br />
<br />
=== Seit 1990 ===<br />
<br />
Der 50. Jahrestag der Luftangriffe 1995 wurde mit einer Gedenkwoche unter der Losung „Nordhausen 1945: Erinnerung – Trauer – Mahnung“ weitaus größer begangen als die Jahre zuvor. 1993 hatte das Stadtarchiv angekündigt, diverse Maßnahmen einzuleiten, um ein würdiges Gedenken zu gewährleisten. Darunter zählte das Sammeln von Zeitzeugenberichten, realisierte Veranstaltungen und Projekte sowie die Planung einer Publikation zum Thema. Am 30. März 1995 wurde eine Metallplastik auf der oberen Plattform des Petri-Turms enthüllt und einen Tag später eine Ausstellung mit Fotos und Dokumenten eröffnet. Zudem erschien unter der Leitung des Stadtarchivars [[Peter Kuhlbrodt]] das Buch ''[[Schicksalsjahr 1945 – Inferno Nordhausen]]''. In den folgenden Tagen wurde ein ökumenischer Gedenkweg abgehalten, es gab Kranzniederlegungen am Gedenkstein auf dem Hauptfriedhof, dem Ehrenfriedhof und an der Boelcke-Kaserne. Begleitet wurde das Gedenken mit einer umfassenden Berichterstattung in der Presse, die auch überregional wirkte. <br />
<br />
Nach dem Jahr 1995 wurden die Jahrestage der Luftkriegserinnerung weitaus kleiner begangen.<ref name="Winter100"/> Ab Ende der 1990er Jahre erfolgte wieder eine allgemeine Repolitisierung der Luftkriegserinnerung.<ref name="Winter100">Winter: ''Öffentliche Erinnerungen an den Luftkrieg in Nordhausen 1945 - 2005''. Marburg: Tectum-Verl., 2010. S. 100.</ref> Es zeigte sich, dass sich die öffentliche Erinnerung mehr auf gegenwärtige Ereignisse als auf die Jahre des Zweiten Weltkrieges zu beziehen schien; so werden stärkere Bezüge zu außenpolitischen Themen<ref>Winter: ''Öffentliche Erinnerungen an den Luftkrieg in Nordhausen 1945 - 2005''. Marburg: Tectum-Verl., 2010. S. 101.</ref> oder Exkurse zum Rechtsextremismus hergestellt.<ref>[https://www.nnz-online.de/news/news_lang.php?ArtNr=108899 Zum Umgang mit der Bombardierung], nnz-online, 3. April 2012.</ref> Im Vergleich zu DDR-Zeiten wurde das Spektrum der Erinnerungsakteure erweitert, und vor allem die Kirche rückte in den Vordergrund. <br />
<br />
Seit den 2000er Jahren wird der Jahrestag der Luftangriffe mit der üblichen Kranzniederlegung an der Gedenkstele am Rathaus begangen. Seit 2017 werden statt Kränzen weiße Rosen niedergelegt.<ref>[https://www.nnz-online.de/news/news_lang.php?ArtNr=209936 Gedenken an der Stele], nnz-online, 3. April 2018.</ref> Im Gegensatz zu DDR-Zeiten werden Schuldzuweisungen an die Westalliierten weniger offen aggressiv und ideologisch untermauert vorgebracht.<ref>Winter: ''Öffentliche Erinnerungen an den Luftkrieg in Nordhausen 1945 - 2005''. Marburg: Tectum-Verl., 2010. S. 110.</ref><br />
<br />
=== Denkmäler ===<br />
[[File:Denkmal Bombenangriffe Nordhausen - Mai 2015.JPG|200px|thumb|Mahnmal am Alten Rathaus]]<br />
[[File:Gedenkstein Nordhausen.jpg|mini|200px|Gedenkstein am Massengrab für 600 Bombenopfer auf dem [[Zentralfriedhof an der Leimbacher Straße|Alten Friedhof]]]]<br />
* Mahnmal für die Opfer der Bombardierungen vor dem [[Altes Rathaus|Alten Rathaus]]: 1950 wurde ein Gedenkstein und eine Flammenschale am Sockel des früheren [[Lutherdenkmal]]s angebracht. Es trug die Inschrift: „4.4. 1945 - Zerstörung Nordhausens durch amerikanische Bomber - 8800 Opfer klagen an“ (''Amerikanische'' Bomber war falsch). 1969 wurde dieses Denkmal durch eine Säule des Künstlers Jürgen von Woyski ersetzt.<br />
* Auf dem [[Ehrenfriedhof]] westlich des ''Stresemann-Rings'' befindet sich ein 1999 umgestaltetes Denkmal in Erinnerung an die hier in Massengräbern beigesetzten über 1.600 KZ-Häftlinge, zum größten Teil Opfer der Luftangriffe auf die Boelcke-Kaserne am 3. und 4. April 1945. Viele Nordhäuser zivile Bombenopfer und Soldaten wurden auf dem nördlichen Teil des Sonderfriedhofs, des jetzigen Ehrenfriedhofs, oberhalb des Denkmals in Massengräbern beerdigt.<ref>Manfred Schröter: ''Die Zerstörung Nordhausens''. Nordhausen: Meyenburg-Museum, 1988. S. 59</ref><br />
* Auf dem ''Hauptfriedhof'' findet sich ein Denkmal, das die zusammenfassende Inschrift trägt: „Zum Gedenken an die Gefallenen und Vermissten beider Weltkriege, die Toten der Bombenangriffe, die Opfer aller Gewaltherrschaft. Die Bürger der Stadt Nordhausen“. Links seitlich von dem Denkmal, vor dem begrenzenden Zaun, wurde eine größere Anzahl von Bombentoten in Gemeinschaftsgräbern beigesetzt.<ref> Manfred Schröter: ''Die Zerstörung Nordhausens''. Nordhausen: Meyenburg-Museum, 1988. S. 59-60 </ref> Dort stehen noch einige große Kreuze, die wohl darauf hinweisen.<br />
<br />
== Zitate ==<br />
<br />
* „Das Ausmaß des Schreckens, der Verwüstung und des Todes, von dem unsere Stadt an jenen Apriltagen erfasst wurde, macht sie praktisch zu einem Synonym für die japanischen Städte Hiroshima und Nagasaki. Denn vergleicht man auf Airfotos ihre zerstörten Zentren, so lässt sich schwerlich ein gradueller Wirkungsunterschied erkennen.“ – ''[[Walter Geiger]]: [[Nordhausen im Bombenvisier]], S. 154.''<br />
* „Nordhausen wurde am 3. und 4. April 1945 zerstört, weil der ehrgeizige britische Luftmarschall Sir Arthur Harris dem britischen Volk und den Alliierten zeigen wollte, dass sein "Bomber Command" das Handwerk des Tötens von deutschen Menschen perfektioniert hatte. Er löste einen furchtbaren Flächenbrand aus mit den stärksten Mitteln, die ihm zur Verfügung standen. Besonders verwerflich ist, dass er die Bombenziele auf die Nordhäuser Altstadt konzentrierte. Infam ist auch, dass er noch in den letzten Kriegstagen die Altstadt von Nordhausen mit einer nie vorher verwendeten Bomben-Mischung auslöschte. Er handelte trotzig wie ein Kind, dem man das Spielzeug wegnehmen will. Harris wollte sich in letzter Stunde in Nordhausen ein Denkmal aus Leichen und Ruinen setzen.“ – ''[[Jost-Dieter Rudloff]]: Warum wurde Nordhausen eine Woche vor Kriegsende 1945 in Brand gesetzt? Informationen und Überlegungen. In: [[Beiträge zur Geschichte aus Stadt und Kreis Nordhausen (Band 44/2019)]], S. 141.''<br />
<br />
== Literatur ==<br />
*Jost-Dieter Rudloff: ''Warum wurde Nordhausen eine Woche vor Kriegsende 1945 in Brand gesetzt? Informationen und Überlegungen''. In: ''[[Beiträge zur Geschichte aus Stadt und Kreis Nordhausen (Band 44/2019)]]''.<br />
*Harald Rockstuhl (Hrsg.): ''[[Nordhausen – Luftbild-Atlas 1935–1945]]''. Bad Langensalza: Verlag Rockstuhl, 2017. ISBN 978-3959662833<br />
*[[Walter Geiger]]: ''[[Nordhausen im Bombervisier]]''. Nordhausen: Neukirchner, 2000. ISBN 3-929767-43-0<br />
*Olaf Groehler: ''Bombenkrieg gegen Deutschland''. Berlin: Akad.-Verl., 1990. ISBN 3-05-000612-9<br />
*[[Peter Kuhlbrodt]]: ''[[Inferno Nordhausen – Schicksalsjahr 1945]]''. Nordhausen: Archiv der Stadt Nordhausen, 1995. ISBN 3-929767-09-0<br />
*[[Martin Clemens Winter]]: ''[[Öffentliche Erinnerungen an den Luftkrieg in Nordhausen 1945 - 2005]]''. Marburg: Tectum-Verl., 2010. ISBN 9783828822214 <br />
*''Schicksale deutscher Baudenkmale im Zweiten Weltkrieg''. (Bd. 2) Berlin: Henschelverlag Kunst u. Gesellschaft, 1978.<br />
<br />
== Externe Verweise ==<br />
* [https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/1/1f/Nordhausen_concentration_camp_newsreel.webm Filmaufnahmen von der Boelcke-Kaserne (1945)]<br />
<br />
== Einzelnachweise ==<br />
<br />
<references/><br />
<br />
[[Kategorie:Geschichte]]</div>Latimer Rexhttps://nordhausen-wiki.de/index.php?title=Luftangriffe_auf_Nordhausen&diff=15657Luftangriffe auf Nordhausen2020-02-09T11:00:50Z<p>Latimer Rex: /* Kirchen */</p>
<hr />
<div>[[Datei:Marktkirche Rathaus Nordhausen 1945.jpg|thumb|300px|[[Marktkirche]], [[Altes Rathaus|Rathaus]] und [[Stadthaus]] nach den Luftangriffen]]<br />
Die '''Luftangriffe auf Nordhausen''' am 3. und 4. April 1945 durch Bomber der britischen Royal Air Force zerstörten Dreiviertel der Stadt. Dabei kamen über 8.800 Menschen ums Leben, weitere 20.000 wurden obdachlos. Mit einem Wohnungszerstörungsgrad von 55% (10.000 Wohnungen) gehörte Nordhausen zu den am schwersten zerstörten deutschen Städten; zahlreiche Denkmale von hervorragender Bedeutung, darunter die für Nordhausen charakteristischen Fachwerkbauten des 13. bis 19. Jahrhunderts, wurden vernichtet. Der historische Stadtkern, die Neustadt und die Gebäude um die [[Frauenbergkirche]] wurden fast gänzlich eingeebnet. Erhalten blieben die Gebiete westlich und nördlich der [[Stadtmauer]], [[Barfüßerstraße]], [[Kalte Gasse]], Teile des historischen [[Königshof]]s sowie der Stadtteil [[Altendorf]]. Ein Großteil der stark beschädigten Bauwerke wurde nach dem Zweiten Weltkrieg abgerissen. <br />
Die zerstörerische Gesamtwirkung aller Bomben und Luftminen war von keinem Einzelangriff im Luftkrieg gegen Deutschland auch nur annähernd erreicht worden.<ref>Geiger: ''Nordhausen im Bombenvisier''. S. 150.</ref> Bei der Bombardierung von Nordhausen handelte es sich um die größte Katastrophe in ihrer tausendjährigen Stadtgeschichte. <br />
<br />
== Nordhausen im Krieg ==<br />
Nordhausen hatte vor dem Zweiten Weltkrieg ca. 42.000 Einwohner. Während des Krieges stieg deren Zahl durch Ortsfremde (Luftkriegsevakuierte, Flüchtlinge, ausländische Arbeitskräfte, Verwundete und Kriegsgefangene) Anfang März 1945 auf 65.000 Einwohner.<ref>Peter Kuhlbrodt (Hrsg.): ''Schicksalsjahr 1945. Inferno Nordhausen''. Nordhausen: Archiv der Stadt Nordhausen, 1995. S. 20, 33 </ref> Insbesondere für Evakuierte aus Berlin, Hamburg und Westdeutschland waren Stadt und Kreis Nordhausen als Aufnahmeräume ausgewiesen.<br />
<br />
Der Bau von Luftschutzanlagen begann im Spätsommer 1943. Viele Bunkeranlagen in der Innenstadt blieben unvollendet. Am 29. November 1943 wurde für Nordhausen ein Evakuierungsplan, der Aussiedlungsrichtungen und Aufnahmegebiete festlegte, ausgearbeitet.<ref>Geiger: ''Nordhausen im Bombenvisier''. Nordhausen: Verlag Neukirchner, 2000. S. 65</ref><br />
<br />
{| class="wikitable sortable"<br />
|+ style="padding-bottom:1em" | Bis zum 22. Februar 1945 realisierte Stollenabschnitte<ref>Ullrich Mallis: ''Der Luftschutzstollen am Johanneshof / Neuer Weg. Ein Nordhäuser Baudenkmal'', in: ''[[Nordhäuser Nachrichten. Südharzer Heimatblätter (2/2011)]]'', S. 10.</ref><br />
|- class="hintergrundfarbe6"<br />
! class="unsortable" | Stollenabschnitte !! class="sortable" | Länge !! class="unsortable" | Herstellung !! class="unsortable" | Ausbauart !! class="unsortable" | Bemerkung<br />
|-<br />
| Stollen IA, Mühlhof || style="text-align:right" | 55,00 m<br />
| Okt. 1943 – Febr. 1944 || Beton, 27,5 m nur Holzausbau || Richtung Loge<br />
|-<br />
| Fluko-Bunkerzugang || style="text-align:right" | 2,40 m<br />
| Febr. – März 1944 || Eisenbetongewölbe || IA, > 40 m links<br />
|-<br />
| Kreuz IA-Stummel || style="text-align:right" | 0,50 m<br />
| März 1944 || Eisenbetongewölbe, wie das gesamte Kreuz IA || Drehscheibe<br />
|-<br />
| Stollen IB, Johannishof || style="text-align:right" | 38,50 m<br />
| Nov. 1943 – April 1944 || Beton, 22,5 m mit Firstschienen || noch begehbar<br />
|-<br />
| Stollen von IA nach IB || style="text-align:right" | 66,10 m<br />
| März 1944 – Nov. 1944 || Beton || Durchschlag im Nov. 1944<br />
|-<br />
| Stollen von IB nach IA || style="text-align:right" | 38,25 m<br />
| April 1944 – Nov. 1944 || Beton || Durchschlag im Nov. 1944<br />
|-<br />
| Oststollen, von IA-IB ab || style="text-align:right" | 21,75 m<br />
| Dez. 1944 – Febr. 1945 || Seitenbeton, Art des Firstausbaues nicht benannt || <br />
|-<br />
| Südstollen IC, ab IB || style="text-align:right" | 49,75 m<br />
| April 1944 – Febr. 1945 || || zum Lohmarkt<br />
|-<br />
| class="hintergrundfarbe5" | Gesamt: || style="text-align:right" class="hintergrundfarbe5" | 272,25 m<br />
| class="hintergrundfarbe5" | Okt. 1943 – Febr. 1945 || class="hintergrundfarbe5" | || class="hintergrundfarbe5" |<br />
|}<br />
<br />
<br />
<br />
Als Garnisonstadt hatte Nordhausen keine ältere Tradition. Ab 1935 wurde im Süden die [[Boelcke-Kaserne]] errichtet, mit Unterkünften und Fahrzeughallen; sie diente der Ausbildung von Luftnachrichtensoldaten. Daneben entstanden ein Fliegerhorst als Ausbildungsplatz und zeitweise Flugzeugwerft. Bis März 1945 wurden hier Flugzeuge für den Mistelschlepp ("Huckepack"-Flugzeuge) montiert und Piloten dafür geschult. Sonst diente der Fliegerhorst 1945 noch zum Auftanken von Jagdflugzeugen. In provisorischen Unterkünften in der Stadt gab es die evakuierte "Marineverwaltung West". In der Stadt und ihrer nahen Umgebung existierten viele Lazarette mit insgesamt etwa 1.000 Verwundeten. Die Lazarette und Krankenhäuser trugen weithin sichtbare große Rotkreuz-Symbole auf den Dächern. <br />
<br />
Das [[Mittelwerk GmbH|Mittelwerk Dora]] bei Nordhausen produzierte Anfang April 1945 keine V-Waffen oder andere Rüstungsgüter mehr. Die dort Beschäftigten, unter ihnen Tausende von Häftlingen des KZ Mittelbau-Dora und Zwangsarbeiter, wurden evakuiert. Das Werk oder seine Verkehrsanbindungen waren nie Ziel alliierter Luftangriffe. <br />
<br />
Die frühere [[KZ-Außenlager Boelcke-Kaserne|Boelcke-Kaserne]] wurde seit Herbst 1943 nicht mehr militärisch genutzt. Sie hatte seitdem Tausende von Arbeitern, später auch Flüchtlinge aufgenommen. Seit 8. Januar 1945 existierte ein bald überfülltes Häftlingslazarett in der Anlage.<ref> Manfred Schröter: ''Die Zerstörung Nordhausens''. Nordhausen: Meyenburg-Museum, 1988. S. 6-8 </ref> Im Februar kamen zeitweise 3.500 Häftlinge aus dem KZ Groß-Rosen dazu.<ref> Walter Geiger: ''Nordhausen im Bombervisier''. Nordhausen: Verlag Neukirchner, 2000. S. 258 </ref><br />
<br />
== Erste Angriffe ==<br />
In der Nacht vom 25. August auf den 26. August 1940 griffen zwei britische Bomber vom Typ Handley Page Hampden den [[Flugplatz von Nordhausen]] an und warfen vier Bomben ab.<ref>Geiger: ''Nordhausen im Bombenvisier''. S. 61 f.</ref> Es entstand ein kleiner Brand, der bald gelöscht werden konnte. <br />
<br />
Von 1940 bis 1943 gab es insgesamt 72 öffentliche Luftwarnungen und Fliegerarlarme für Nordhausen. Als sich die alliierten Luftangriffe im Jahr 1944 auf die im Hinterland gelegenen deutschen Städte intensivierten, wurde Nordhausen verstärkt Überflugsort alliierter Bomberverbände, etwa wenn sie Berlin, Dessau oder Leipzig anflogen. Im März 1945 erreichten die durchschnittlich fünf bis sechs Luftalarme ihren Höhepunkt.<ref>Geiger: ''Nordhausen im Bombenvisier''. S. 98 f.</ref> <br />
<br />
Am 12. April 1944 flogen während der Mittagszeit zwei aus südlicher Richtung kommende amerikanische Jäger die Stadt an und töteten zwei Menschen, zwei Personen wurden schwer verletzt.<ref>Geiger: ''Nordhausen im Bombenvisier''. S. S 221 f.</ref> <br />
<br />
[[Datei:Luftangriffe Nordhausen Traueranzeige.jpeg|thumb|Traueranzeige vom 26. Februar 1945]]<br />
<br />
Am 22. Februar 1945 griffen gegen 12:30 Uhr US-amerikanische Bomber den Verschiebebahnhof an, trafen jedoch die Unterstadt, einige Anlagen des Industriegebietes und die vormalige Fernmeldeschule der Luftwaffe in der [[Boelcke-Kaserne]]. Insgesamt fielen 296 Mehrzweckbomben und töteten 40 Menschen. Im ''[[Südharzer Kurier]]'' erschien am 26. Februar eine Todesanzeige für die „Gefallenen des Terrorangriffs“ mit der Ankündigung zur Beisetzung. <br />
<br />
Am 28. Februar 1945 warfen drei amerikanische Maschinen 2,5 Tonnen Sprengbomben auf die Stadt ab. <br />
<br />
Am 1. April 1945 wurden das Auto-Hotel Hesse durch Bomben getroffen und zahlreiche Menschen getötet.<br />
<br />
== Großangriffe im April 1945 ==<br />
[[File:Avro Lancaster Mk 1 ExCC.jpg|thumb|Langstreckenbomber vom Typ ''Avro Lancaster'', wie sie bei der Bombardierung von Nordhausen zum Einsatz kamen.]]<br />
[[File:Mosquito 600pix.jpg|thumb|Zielmarkierer ''De Havilland Mosquito'' (1944)]]<br />
Am 3. April 1945 starteten gegen 13 Uhr die englischen Bomberverbände und erreichten Nordhausen um 16 Uhr. Die 247 Avro-Lancaster-Bomber (Tragfähigkeit je 6 Tonnen Bombenlast) und 9 Mosquito-Mehrzweckflugzeuge warfen in 20 Minuten ca. 1.216 Tonnen Sprengbomben ab und trafen vor allem die Außenbezirke von Nordhausen.<ref>Groehler: ''Bombenkrieg gegen Deutschland'', S. 422.</ref> Im Stadtinnern fielen Bomben um die [[Neustadt-Kirche]] und [[Neustadtstraße]]. In den umliegenden Wäldern und Ortschaften [[Sundhausen]], [[Bielen]], [[Himmelgarten]], [[Leimbach]] und [[Krimderode]] fielen schwere Bomben und Luftminen. Getroffen wurde auch die mit kranken Häftlingen überbelegte [[Boelcke-Kaserne]], wo allein in einer mit Tuberkulose-Kranken belegten Flugzeughalle 450 Menschen den Tod gefunden haben sollen.<ref>Wagner: ''Produktion des Todes.'' S. 280</ref> Die Stadt ohne Strom und Leitungswasser. Die Verletzten wurden gesammelt und nach [[Neustadt/Harz|Neustadt]] und [[Sülzhayn]] gebracht, die Ausgebombten erhielten Notquartiere in der Stadt selbst und ihrer Umgebung. Viele Nordhäuser flüchteten aus der Stadt. Zwei Stollen der unterirdischen Anlagen von Mittelbau Dora im Kohnstein nahmen bereits am 3. April Geflüchtete auf, später wurden es 10.000. Das Stadtkrankenhaus war beschädigt, die Patienten wurden in Notkrankenhäuser in das benachbarte [[Petersdorf]] gebracht, vor allem in das Ausflugsrestaurant Harzrigi.<ref> Manfred Schröter: ''Die Zerstörung Nordhausens''. Nordhausen: Meyenburg-Museum, 1988. S. 22, 23 </ref> Bomben fielen auch auf mehrere benachbarte Dörfer und deren Flur, besonders betroffen war Bielen. Zwei Bomber gingen beim Hin- und Rückflug verloren. Der erste Angriff erzielte die gewünschte Wirkung jedoch nicht. Der Angriff am 3. April war aus Sicht der RAF ein Misserfolg.<!-- (Quelle?) --> Viele Einwohner zogen am Abend des 3. April zum nahen [[Kohnstein]], wo die mittlerweile fast verlassenen Stollen des Mittelwerks Schutz boten.<br />
<br />
{{Zitat|Die Stadt ist schwer getroffen, aber sie ist noch eine organisierte Gemeinschaft… Gegenseitige und Nachbarschaftshilfe wird geleistet. Die Stadtverwaltung und die Luftschutzleitung setzen ihre Kräfte ein. Rotes Kreuz und die Krankentransporte kommen an die Schwerpunkte. Man leitet die Evakuierung des beschädigten Krankenhauses ein. Die Verletzten des Angriffs werden geborgen, abtransportiert, in den Gaststätten Parkhaus und Kurhaus gesammelt und schließlich nach Neustadt und Sülzhayn weiterbefördert. Die Feuerwehr bekämpft die wenigen (?) Brandherde.|[[Manfred Schröter]]: ''[[Die Zerstörung Nordhausens und das Kriegsende im Kreis Grafschaft Hohenstein 1945]]''}}<br />
<br />
Am 4. April gegen 9 Uhr begann der zweite Großangriff der RAF. Der Verband kam über Gotha, Bad Langensalza und Schlotheim. Für 93 Bomber wurde die Boelcke-Kaserne als Angriffsziel befohlen, die anderen 150 hatten das Stadtzentrum anzugreifen.<ref>Geiger: ''Nordhausen im Bombenvisier''. S. 146 f.</ref> Zwei Bomber mussten frühzeitig zurückkehren, und zehn weitere hatten ihren militärischen Auftrag verfehlt, so dass von den 243 Flugzeugen 231 am Luftschlag teilnahmen. Ein Bomber explodierte über der Stadt. Die örtliche Feuerwehr war, soweit noch vorhanden, von der Lage völlig überfordert. Unter der überlebenden Bevölkerung herrschte Panik, viele verließen fluchtartig zu Zehntausenden das Inferno der Stadt in Richtung Kohnstein. Auch außerhalb von Nordhausen wurde sie von Jagdbombern beschossen.<ref> Manfred Schröter: ''Die Zerstörung Nordhausens''. Nordhausen: Meyenburg-Museum, 1988. S. 26 </ref> Am Abend und in der Nacht war die Stadt ein weithin leuchtendes Flammenmeer.<ref> Peter Kuhlbrodt: ''Schicksalsjahr 1945. Inferno Nordhausen''. Nordhausen 1995. S. 23 </ref> In der Mitte davon leuchtete der Kirchturm von St. Petri als riesige Fackel, die gegen Mitternacht zusammenbrach und auf das Kirchenschiff stürzte. RAF-Piloten, die von einem Einsatz bei Merseburg zurückflogen, berichteten um 23.00 Uhr von „good fires at Nordhausen“.<ref> Walter Geiger: ''Nordhausen im Bombervisier''. Nordhausen, 2000. S. 180 f.</ref> <br />
Der gebürtige Nordhäuser Schriftsteller [[Rudolf Hagelstange]] schrieb in seiner deutschen Familienchronik (Band 2: „Der Niedergang“, Seite 254) über die Feuersbrunst in seiner Heimatstadt: „Und die Hitze war so groß, dass in den meisten Straßen, sofern sie nicht gepflastert waren, der Asphalt geschmolzen war, dass Flüchtende da und dort in ihn eingesunken waren, einige unlöslich und damit zum Flammentod verurteilt.“<br />
<br />
=== Opfer ===<br />
[[Datei:Einwohnerentwicklung von Nordhausen ab 1800.svg|thumb|Einwohnerzahl von Nordhausen ab 1800. Deutlich sichtbar der Höhepunkt 1945]]<br />
Bei den Großangriffen im April 1945 kamen ca. 8.800 Menschen ums Leben. Diese Zahl geht auf Schätzungen vom Februar 1948 zurück.<ref name="Kuhlbrodt125">Kuhlbrodt: ''Inferno Nordhausen''. S. 125 f.</ref> Vor dem Abgriff befanden sich rund 65.000 Personen in der Stadt (42.000 ständige Bevölkerung, Militärpersonen, Gefangene, ausländische Arbeiter, Spezialarbeiter der Kriegsindustrie, Evakuierte). Der Antifa-Ausschuss von Nordhausen schätzte am 17. Juni 1945, dass über 10.000 Menschen bei den Bombenangriffen ums Leben gekommen seien.<ref> Peter Kuhlbrodt: ''Schicksalsjahr 1945. Inferno Nordhausen''. Nordhausen 1995. S. 115 </ref><br />
<br />
In den ersten Tagennach dem Einmarsch der Amerikaner ließ der US-Stadtkommandant in den Straßen liegende Leichen auf den Sonderfriedhof am Schlageter-Ring bringen. Andere wurden an Ort und Stelle in Bombentrichtern beerdigt. Eine beträchtliche Zahl ziviler Opfer und deutscher Soldaten wurde dann in dem höher gelegenen Teil des heutigen Ehrenfriedhofs in Massengräbern beigesetzt, unweit der getöteten Häftlinge aus der Boelcke-Kaserne. Für die später gefundenen Opfer ohne Anhang wurden Massengräber im vorderen Teil des Alten Hauptfriedhofs in der Leimbacher Straße angelegt. Heute steht an dieser Stelle ein Wohnblock. Auf dem Neuen Hauptfriedhof am Ring sind in den ersten Wochen und Monaten 920 Bombenopfer beerdigt worden.<br />
<br />
{| class="wikitable"<br />
|-<br />
| Verluste der ständigen Bevölkerung || 6.000<br />
|-<br />
| Verluste der nicht ständigen Bevölkerung || 1.500<br />
|-<br />
| Verluste der Häftlinge der Boelcke-Kaserne || 1.300<br />
|-<br />
| zusammen || 8.800<br />
|-<br />
|} <br />
<br />
==== Persönlichkeiten ====<br />
* [[Paul Urban]] (geb. 1892), KPD-Stadtrat<br />
<br />
=== Schäden und Totalverluste ===<br />
<br />
Der Zerstörungsgrad der Stadt wurde mit 74 Prozent errechnet. Die Gesamtfläche des zerstörten Gebietes betrug 810.000 Quadratmeter. Von den 13.075 Wohnungen wurden 6.187 total zerstört und 4.575 beschädigt.<br />
<br />
==== Kirchen ====<br />
<br />
[[Datei:Petri-Kirche Außenansicht.JPG|thumb|[[St.-Petri-Kirche]]]]<br />
*[[St.-Jakobi-Kirche]]: Am 3. April erheblich durch Bomben zerstört. Reste des Schiffes abgetragen, Turmruine zu DDR-Zeiten beseitigt.<br />
*[[Marktkirche]]: Am 3. April weitgehend zerstört. Ruinenreste abgetragen.<br />
*[[St.-Petri-Kirche]]: Am 3. April bis auf Turm und Chor zerstört, zahlreiche Menschen finden in der Kirche den Tod. Der Turm erhielt 1954 ein Notdach, die übrigen Ruinenteile wurden beseitigt. 1987 wurde ein neuer Turmhelm gesetzt.<br />
* [[St.-Blasii-Kiche]]: Dach und Mauerwerk am 4. April durch Bombentreffer erheblich beschädigt [[Cranachgemälde]] im Auslagerungskeller verbrannt. Bis 1949 Wiederherstellung des Daches, Ausbesserung Mauerwerk, Erneuerung des Inneren.<br />
*[[Nordhäuser Dom]]: Am 4. April schwere Schäden durch Brandzerstörung des Steildaches über der Halle und Vernichtung der Fenster. Noch 1945 Fertigstellung Notdach und Beseitigung der Folgeschäden. 1965 Wiederherstellung des Steildaches in ursprünglicher Form.<br />
*[[Frauenbergkirche]]: Am 4. April durch Bomben schwer zerstört. Erhalten blieben Umfassungsmauern der Chor mit Apside, die Nebenchöre und das Querschiff, vom Langhaus nur Reste des ersten Joches sowie des Westportals. Von 1953 bis 1955 folgten Enttrümmerung und Sicherungsarbeiten.<br />
*[[Frauenbergkloster]]: Am 4. April durch Bombentreffer total zerstört. Gebäudereste wurden nach 1945 entfernt.<br />
<br />
==== Öffentliche Bauten ====<br />
*[[Rathaus]]: Am 4. April bis auf die Umfassungsmauern zerstört, Turm ausgebrannt. Ab 1951 entfernen der Trümmer und Wiederaufbau bis 1952, dabei wurden die Erdgeschoßarkaden und das Innere neu gestaltet. Zum ebenfalls schwer zerstörten [[Stadthaus]] wurde der Verbindungsgang wiederaufgebaut, der [[Roland]] restauriert.<br />
*[[Stadtmauer]]: Es entstanden Schäden an der Stadtmauer, wobei besonders die teilweise genutzten Türme und Wiechhäuser betroffen wurden. Nach dem Krieg wurden Ruinen abgetragen und Sicherungsarbeiten durchgeführt. Zur Landesgartenschau 2004 erfolgten umfangreiche Sanierungsarbeiten, besonders um den [[Petersberg]]. <br />
*[[Theatergebäude]]:<br />
<br />
==== Fachwerkbauten ====<br />
[[Datei:Nordhäuser Roland 1945.jpg|thumb|Das ausgebrannte Rathaus mit dem [[Nordhäuser Roland|Roland]], der die Angriffe wie durch ein Wunder überstand]]<br />
[[Datei:Riesenhaus, Riese, Postkarte.jpg|thumb|Postkarte vom [[Riesenhaus]] am Holzmarkt (Lutherplatz) mit dem [[Nordhäuser Riese]]n.]]<br />
Bedeutende Fachwerkhäuser, die zerstört wurden (lt. dem Denkmalpfleger Rudolf<br />
Zießler):<br />
<br />
*[[Bäckerstraße]] 22: Mitte des 18. Jahrhunderts errichteter dreigeschossiger, neunachsiger, verputzter Fachwerkbau mit massivem Erdgeschoß, Satteldach und Zwerhaus. Stichbogenfenster mit einfacher profilierter Rahmung in Dreiergruppen. Betonung der Mittelachse durch ein von Pilastern flankiertes Portal mit gesprengtem Giebel, darauf ruhende Frauen und Wappen sowie durch einen auf Konsolen sitzenden Balkon mit schmiedeeisernem Gitter.<br />
*[[Blasiistraße]] 15: Alte Schule. Errichtet um 1700 als dreigeschossiger stattlicher Fachwerkbau mit hohem Satteldach. Unregelmäßige Fenstergruppierung (im ersten Obergeschoß dreizehn Achsen). Fachwerk mit halben Männern. Obergeschoß vorkragend mit Balkenköpfen und gekehlten Füllhölzern.<br />
*Blasiistraße 21: Bedeutendstes Renaissance-Fachwerkhaus Nordhausens von etwa 1550. Dreigeschossig mit zehn Fensterachsen in unregelmäßiger Gruppierung, Geschosse stark vorkragend. Reich ausgebildetes Schmuckfachwerk mit Balkonköpfen, Knaggen, Füllhölzern und Schiffskehlen. Haupteingang mit kräftigen Gewämdepfosten und halben Sonnen um 1700.<br />
*[[Hagenstraße]] 4: Um 1800 errichtet als zweigeschossiger, verschieferter Fachwerkbau mit zehn Fensterachsen. Eckpilaster, ebensolche toskanische Holzpilaster flankieren die vier Mittelachsen und nehmen einen verschieferten Dreieckgiebel auf. Stichbogenfenster mit einfacher Rahmung und Schlußsteinbetonung.<br />
*Hagenstraße: Ilfelder Hof, ehem. Klosterhof, seit dem ersten Viertel des 18. Jahrhunderts Kurhannoversche Postverwaltung, seit 1853 in Privatbesitz. 1277 angelegt, später erweitert, im 17. Jahrhundert Neubau auf erweitertem Grundriss mit massivem Erdgeschoß und zwei Fachwerkobergeschossen, verschiefert.<br />
*[[Holzmarkt]] (Lutherplatz): „Riesenhaus“. 1375 erstmals erwähntes Patrizierhaus mit massivem Erdgeschoss, zwei Fachwerkobergeschossen und Satteldach. Nach Brand von 1710 im Fachwerk erneuert. Fassade gegliedert durch zwölf Fensterachsen, jeweils in Dreiergruppen angeordnet. Fachwerkkonstruktion mit Wilden Männern. Mittelgiebel mit einem Mann in Ritterrüstung ([[Nordhäuser Riese]]), der eine Lanze hält. 1805 Einrichtung einer Gaststätte, Verputz des Fachwerks und klassizistische Fassadengestaltung. 1927 Endrestaurierung und Wiederherstellung des Fachwerks.<br />
*Jakobikirchplatz 4: Lateinschule. Zweigeschossiger Fachwerkbau von 1493 mit Satteldach. Ständer- und Riegelbau. Vorkragendes Obergeschoß über geschwungene Knaggen. Durchlaufender Fensterbrustriegel.<br />
*Jakobikirchplatz: Pfarrhaus. 1687 errichteter zweigeschossiger Fachwerkbau mit Krüppelwalmdach. Fenstergruppierung unregelmäßig. Stiele und Brustriegel durch Wilde Männer verstärkt. Geringe Auskragung, Balkonköpfe und Schwelle mit einfacheren Profilen. Gefache mit Ziegeln in Mustern ausgemauert. Oberdeutsch beeinflusstes Fachwerk.<br />
*[[Königshof]] 14: Dreigeschossiger Fachwerkbau mit oberdeutschen Stilelementen, ganze und halbe Männer. Um 1780 Verkleidung der Fenster mit Rokokogirlanden.<br />
*[[Krämerstraße]] 11: Verschieferter, zweigeschossiger, fünfachsiger Fachwerkbau mit spätbarockem Volutengiebel. Stichbogenfenster mit Rahmenverkleidung. Erdgeschoss durch Ladeneinbauten verändert.<br />
*Krämerstraße 15: Um 1700 errichteter schmaler dreigeschossiger Fachwerkbau in oberdeutschem Stil mit halben Männern an den Ecken. Balkonköpfe und Füllhölzer mit einheitlichem Profil. Satteldach mit Zwerchhaus.<br />
*[[Lohmarkt]] 2, 4, 20, 21: Nach 1686 errichtete Gerberhäuser. Zwei- bzw. dreigeschossige Fachwerkgebäude im gleichen oberdeutschen Baustil wie Pfarrhaus Jakobikirchplatz. Besonders reich ausgebildet der Türstock mit Renaissanceformen und Inschrift. Satteldächer mit Zwerchhäsern (Ladeluken).<br />
*[[Neustadtstraße]] 27: Zweigeschossiger, elfachsiger Fachwerkbau aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts mit Satteldach. An den Fenstern Rokokoverkleidung.<br />
*Neustadtstraße 35: Zweigeschossiger, achtachsiger Fachwerkbau aus der Mitte des 18. Jahrhunderts auf Sandsteinsockel. Türen und Fenster in Stichbogen mit geschnitzter Rokokoverkleidung.<br />
*Neustadtstraße 47: Dreigeschossiger Fachwerkbau der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts mit Krüppelwalmdach. Rokokofensterbekleidungen handwerklich vereinfacht.<br />
*[[Pferdemarkt]] 17: Dreigeschossiger Fachwerkbau von etwa 1550, niederdeutsch beeinflusst. Auskragung des Obergeschosses mit Balkonköpfen, Knaggen und Füllhölzern. Erdgeschoß baulich verändert.<br />
*[[Sandstraße]] 3, 21, 23, 28: Diese Häuser hinsichtlich der Entstehungszeit und der architektonischen Ausbildung denen der Neustadtstraße entsprechend.<br />
<br />
==== Situation nach dem Großangriff ====<br />
[[Datei:Boelcke-Kaserne-Tote HäftlingeA.jpg|thumb|Einwohner Nordhausens tragen am 12. April 1945 unter Bewachung von Angehörigen der US-Armee tote Häftlinge aus der Boelcke-Kaserne und legen sie davor ab]]<br />
[[File:Nordhausen um 1930.jpeg|thumb|Der Stadtteil [[Altendorf]] blieb weitgehend unzerstört (Luftaufnahme um 1930)]]<br />
Das britische Bomber Command berichtete als Ergebnis der beiden Großangriffe, dass „die Stadt fast vollständig zerstört wurde, inbegriffen die Kasernenblöcke.“<ref> Walter Geiger: ''Nordhausen im Bombervisier''. Nordhausen: Neukirchner, 2000. S. 154 </ref> <br />
Die Situation für die Bevölkerung nach den Angriffen kann nur mit dem Begriff „Inferno“ beschrieben werden. Das Stadtzentrum konnte tagelang nicht betreten werden. Es wüteten noch zahlreiche Brände<ref> Peter Kulhlbrodt: ''Schicksalsjahr 1945. Inferno Nordhausen''. Nordhausen 1995. S. 24</ref>, die Schutthaufen strahlten unerträgliche Hitze aus. Bomben mit Zeitzündern gingen hoch. Über den Trümmerfeldern lag bald Leichengeruch, besonders im Bereich der Boelcke-Kaserne. In den Nächten des 6. und 7. April wurden die Kranken und Verwundeten aus Nordhausen und Umgebung durch alle verfügbaren Fahrzeuge, besonders mit Bauern-Gespannen, in den Kohnstein in Sicherheit gebracht. Die Nordhäuser Bevölkerung verteilte sich nach Schätzungen am 7. April wie folgt: 6.000 (8.800) Opfer tot unter den Trümmern, 6.000 Überlebende noch in der Stadt, 10.000 im Kohnstein und 20.000 in den umliegenden Dörfern, besonders nordöstlich der Stadt.<ref> Manfred Schröter: ''Die Zerstörung Nordhausens''. Nordhausen: Meyenburg-Museum, 1988. S. 30 </ref> Am 8. April flogen 6 Jagdbomber noch einen Tagesangriff nach Zielmarkierung auf Nordhausen, parallel zu dem Bombardement auf [[Sondershausen]]. Am 10. April näherten sich US-Panzer aus Richtung [[Hain (Kleinfurra)|Hain]] dem Süden der Stadt und nahmen ihn unter Feuer, darunter die Trümmer der Boelcke-Kaserne.<ref> Manfred Schröter: ''Die Zerstörung Nordhausens''. Nordhausen: Meyenburg-Museum, 1988. S. 37 </ref><br />
<br />
== Nachwirkungen ==<br />
Insgesamt waren vom britischen Bomber Command 2.386 Tonnen und von der 8. US Air Force 296 Tonnen Bombenlast auf Nordhausen abgeworfen worden.<ref> Olaf Groehler: ''Bombenkrieg gegen Deutschland''. Berlin: Akademie-Verlag, 1990. S. 449 </ref><br />
Eine der am längsten nachwirkenden Folgen der Luftangriffe für die Bürger der Stadt blieben Hunderte von Blindgängern aller Kaliber: zwischen den Trümmern der Stadt und im Erdreich der Straßen, Gärten und Felder. In den ersten Jahren machten sich die Feuerwerker Jochen Nebel und Albin Diebler sehr verdient um die Entschärfung gefundener Bomben, ab 1962 der - deshalb zum Ehrenbürger ernannte - Helmut Zinke. Im Stadtgebiet wurden 1948 bis 1953 etwa 100 Bomben entschärft, dann 248 Blindgänger von 1954 bis 1999 entzündet und geräumt.<ref>Walter Geiger: ''Nordhausen im Bombervisier''. Nordhausen, 2000. S. 263-264 </ref> <br />
<br />
Noch 2014 gilt eine Verordnung in Nordhausen, nach der jeder Bürger, der bauen will, sicherstellen muss, dass unter seinem Grund und Boden kein Gefahrgut liegt.<ref>Katja Dörn: ''Die Gefahr rostet im Thüringer Boden''. Thüringische Landeszeitung, 12. Dezember 2014 </ref><br />
<br />
Auswahl weiterer Funde von Blindgängern:<br />
* 1996: 250-Kilogramm-Blindgänger wird gesprengt<br />
* 2008: 227-Kilogramm-Bombe in der Altstadt<br />
* 2010: Fünf-Zentner-Bombe am [[Taschenberg]] entdeckt, 4.500 Menschen wurden evakuiert, Bombe konnte nicht entschärft werden<br />
* Juni 2016: Kontrollierte Sprengung einer 800-Kilogramm-Bombe, Leimbach und Steigerthal mussten geräumt werden (1.080 Einwohner) <br />
* Dezember 2016: Fünf-Zentner-Bombe am [[Strohmühlenweg]], ca. 1000 Einwohner, so auch die Hochschule Nordhausen, wurden evakuiert<br />
* September 2017: Bombe auf einem Feld in der [[Windlücke]], ca. 3000 Einwohner evakuiert, Bombe entschärft<ref>https://www.nnz-online.de/news/news_lang.php?ArtNr=219719</ref><br />
* Oktober 2018: Bombe in der Windlücke, ca. 3000 Einwohner evakuiert, Bombe entschärft<ref>https://www.nnz-online.de/news/news_lang.php?ArtNr=243515</ref><br />
* November 2018: Bombe in Bielen, 1.1000 Einwohner wurden evakuiert (Sperrzone 1 Kilometer), Bombe entschärft<br />
* August 2019: 225-Kilogramm-Bombe an der [[Zorge]], 2.500 Einwohner wurden evakuiert (Sperrzone 500 Meter), Bombe entschärft und Zünder gesprengt<br />
* November 2019: 225-Kilogramm-Bombe am [[Stadttheater]], ca. 15.000 Einwohner wurden evakuiert (Sperrzone 1 Kilometer), Bombe entschärft und Säurezünder gesprengt. Es war die größte Evakuierungsaktion in Nordhausen nach dem Zweiten Weltkrieg.<ref>MDR, 8. November 2019</ref><br />
<br />
== Rezeption ==<br />
[[Datei:Nordhausen mahnt 1949.jpg|thumb|200px|Werbeplakat zur Ausstellung „[[Nordhausen mahnt - Ausstellung vom 6. bis 27. März 1949|Nordhausen mahnt]]“ im März 1949]]<br />
Luftangriffe waren im Zweiten Weltkrieg für alle Kriegsparteien zum entschiedenen strategischen Kriegskonzept geworden. Die Westalliierten glaubten durch die planmäßige und massive Zerstörung deutscher Städte, vor allem der Wohngebiete der Industriearbeiter, die Moral und den Widerstandswillen der Bevölkerung zu brechen und den Krieg schneller beenden zu können.<ref>Johannes Volker Wagner: ''Bomben auf Bochum''. S. 3.</ref> Im Januar 1943 einigten sich Großbritannien und die Vereinigten Staaten in Casablanca auf die Forderung nach bedingungsloser Kapitulation des Deutschen Reiches und auf eine weitere Verschärfung des Bombenkrieges. Zu dieser Zeit war die deutsche Luftabwehr längst nicht mehr in der Lage, das Reichsgebiet zu verteidigen. Die Alliierten erreichten ihr Ziel der Demoralisierung nicht, und viele Deutsche klammerten sich in Verzweiflung an die Hoffnung auf einen „Endsieg“.<br />
<br />
<!-- Auszug aus „Winston Churchill“. Der späte Held, eine Biographie von Thomas Kielinger, erschienen im Verlag C.H. Beck, Kapitel XY, Seite 301 ff.: Nach dem Kriege stand eine andere Verantwortung Churchills im Vordergrund – „für die Vernichtung von nahezu 60 der größten Städte Deutschlands“. „Mit dem Untergang Dresdens sind auch nachdenkliche Briten bis heute nicht fertig. Die Zweifel, ob die Zerstörung dieser und anderer Städte so kurz vor dem nahen Kriegsende zu rechtfertigen war, haben sich längst zu dem Urteil verdichtet: Sie war es nicht! ... Hilft es zur Erklärung darauf hinzuweisen, dass in der Schlussphase des Krieges deutsche V1- und V2-Waffen weiterhin Zerstörung auf Antwerpen, Paris und London regnen ließen? Eine V2 schlug noch am 27. März 1945 im Osten Londons ein und tötete 134 Menschen. Die britische öffentliche Meinung hätte es nicht verstanden, wenn die mili-tärische Führung auf Schonung des Gegners geschaltet hätte, wo dieser bis zum Ende Vernichtung spie.“<br />
<br />
„Aber die alte Frage bleibt, die Lothar Kettenacker 2003 in dem Sammelband „Ein Volk von Opfern?“ noch einmal stellte – „ob der Zweck die Mittel heiligt, ob die Beseitigung einer unheilvollen Diktatur die rücksichtslose Bombardierung der Bevölkerung rechtfertigt. Unbehagen äußerte Churchill selbst schon 1943, als ihm Bilder von den Auswirkungen der Bomben in Deutschland vorgelegt wurden ...“ Der Australier Ricard Casey, der an den Sitzungen des britischen Kriegsrates ... teilnahm, schrieb am 27. Juni 1943 in sein Tagebuch: „Es wird ein Film gezeigt über das nächtliche Bombardement einer deutschen Stadt, und plötzlich richtet sich Churchill steil in seinem Sessel auf und sagt zur mir: ‚Sind wir Bestien? Gehen wir nicht zu weit? <br />
<br />
Churchills Meinungen zum Bombenkrieg gegen Deutschland schwankten. Nach der Zerstörung Dresdens begegnet man bei ihm, spät, einer eindeutigen Ablehnung, so in dem berühmten Memorandum vom 28. März 1945:‚Der Moment scheint mir gekommen, wo die Frage der Bombardierung deutscher Städte zum Zwecke der Erhöhung des ''''terrors'''' (in Englisch mit der Bedeutung von Angst und Schrecken) auch wenn wir andere Vorwände nennen, überprüft werden sollte... Es ist nötig, dass wir uns mehr auf militärische Ziele konzentrieren wie Öllager und Kommunikationszentren hinter der unmittelbaren Kampfzone, statt auf Akte des reinen terrors und der mutwilligen Zerstörung’.“<br />
„Nicht umsonst nannte man Harris auch den ‚butcher’, den Metzger. . . Schon Max Hastings (stockkonservativer Historiker) nannte in seinem Klassiker von 1979 ‚Bomber Command’ die Auslöschung deutscher Städte noch im Frühjahr 1945 ‚einen bleibenden Schandfleck’,“ soweit Kielinger. Nach Kriegsende zog sich Harris verbittert nach Südafrika zurück, weil er sich nicht gebührend geehrt vorkam. Luftangriffe hatte Harris als „relativ humane Methode“ bezeichnet. Butcher wurde er nicht wegen der zivilen Bombenopfer in Deutschland genannt, sondern weil 55 000 Angehörige des Bomber Command vom Feindflug nicht heimkehrten – jeder zweite Pilot und Bordschütze. --><br />
<br />
Im März 1945 hatte sich das Angriffstempo der US-Streitmacht im Vergleich zu den Vormonaten verlangsamt.<ref name="Gewiger158">Geiger: ''Nordhausen im Bombenvisier''. S. 158 f.</ref> Um dennoch den Stoß in das Zentrum Deutschlands als strategisches Ziel zügig fortzuführen, waren die Westalliierten zum Einsatz aller Mittel entschlossen, auch in Anbetracht eventuell noch bevorstehender Kämpfe und Widerstand im Südharz. Die Stadt Nordhausen erhielt daher militärische Bedeutsamkeit für die 1. US-Armee, auch wegen des Verschiebebahnhofs für Truppenbewegungen. Der unterirdische Rüstungsbetrieb im [[Kohnstein]] und das [[Konzentrationslager Mittelbau]] wurden dagegen nie zu Zielen von Luftangriffen. <br />
<br />
Nordhausen und Umgebung wurden Ende 1944 von britischen Fernaufklärern nachts unter tagheller Beleuchtung durch Magnesiumbomben sorgfältig aus der Luft fotografiert.<ref>Manfred Schröter: ''Die Zerstörung Nordhausens''. Nordhausen 1988, S. 55</ref> Die Bombardierung von Nordhausen wurde am 2. April 1945 vom Alliierten Oberkommando (SHAEF) befohlen.<ref name="Gewiger158"/> Gefordert wurde ein Angriff zur Unterstützung der 1. US-Armee mit Priorität zur frühestmöglichen Gelegenheit. Einige Tage zuvor wurde vom SHAEF die Zerstörung durch die RAF beschlossen.<ref>Manfred Schröter: ''Die Zerstörung Nordhausens''. Meyenburg-Museum Nordhausen, 1988, S. 54–55</ref><br />
<br />
Dieses, geführt von Luftmarschall Arthur Harris, erteilte am 2. April den unmittelbaren Befehl für einen Doppelschlag an zwei Tagen.<ref>Walter Geiger: ''Nordhausen im Bombervisier''. Nordhausen 2000, S. 108–109</ref> Der Zweck der RAF-Angriffe im April 1945 bestand darin, den Weg für einen ungehinderten Vormarsch von der im Südharzer Raum erwarteten Gegenwehr freizumachen. 3.466 britische Soldaten sollten als fliegendes Personal an den Angriffen teilnehmen. Ihnen wurde als Ziel des Angriffs erklärt: „To kill military and Nazi personnel evacuated from Berlin to these barracks“ (gemeint das Areal der Boelcke-Kaserne und die Stadt Nordhausen).<ref>Geiger: ''Nordhausen im Bombenvisier''. S. 121 </ref><br />
<br />
<!-- Bitte Quelle angeben!(Wie aus dem Text eindeutig hervorgeht: Der genannte Journalist und Gesprächspartner Dr. Meyers!) Der gebürtige Nordhäuser [[Manfred Neuber]], als Journalist von 1960 bis 1963 in London und New York, recherchierte als erster bei der Royal Air Force und der US Air Force über die Luftangriffe auf Nordhausen. Aus den detaillierten Angaben ging hervor, dass allein Bomber der Royal Air Force Nordhausen angegriffen hatten. Die SED-Propaganda hatte behauptet, es habe sich um „amerikanische Terrorangriffe“ gehandelt. So stand es auch Jahre auf der Gedenkstele für die Opfer der Luftangriffe neben dem Alten Rathaus. Neuber hatte Gelegenheit, im Jahre 1964 in Bad Lauterberg mit Dr. [[Herbert Meyer]], Oberbürgermeister Nordhausens vor Kriegsende 1945, über die Bombenangriffe zu sprechen. Dabei widerlegte Meyer noch Jahre nach dem Kriege kursierende Gerüchte, die Luftangriffe hätten eigentlich der Stadt Gotha gelten sollen. Weil die Verantwortlichen dort kapituliert hätten, sei Nordhausen angegriffen worden, weil es nicht ebenso gehandelt habe. Meyer versicherte, es habe keine Aufforderung zur Übergabe der Stadt gegeben. Zum Zeitpunkt der Luftangriffe standen die US-Panzerspitzen noch im Raume Kassel. --><br />
<br />
=== Vermutungen und Gerüchte über den Großangriff ===<br />
<br />
* Nordhausen soll Aufforderung zur kampflosen Übergabe ausgeschlagen haben.<br />
** Der Nordhäuser Oberbürgermeister bei Kriegsende, [[Herbert Meyer]], widersprach dieser Darstellung in einem Gespräch mit dem Journalisten Manfred Neuber um 1964 in Bad Lauterberg: „An die Stadtverwaltung ist niemals bis zu den Angriffen eine Aufforderung der Amerikaner ergangen, Nordhausen zur offenen Stadt zu erklären. Ich möchte bezweifeln, dass sie an Kreisleiter Nentwig ergangen ist.“<ref name="Sting252">Heinz Sting: ''Das 1000-jährige Nordhausen und der schöne Südharz''. Hannover: Nordhäuser Heimatfreunde, 1965. S. 252.</ref><br />
<br />
* Nordhausen wurde durch die US-Luftwaffe zerstört.<br />
** Es ist unbestritten und belegt, dass britische Bomber die Stadt zerstörten. „Die Einsatzbefehle der 8. US-Luftflotte sahen weder am 3. noch am 4. April 1945 Nordhausen als Ziel vor. Die Operationsberichte der 8. Luftflotte geben auch keinen Großangriff auf Nordhausen an einem dieser beiden Tage an. Der Hauptzielplan für die amerikanischen Heeresflieger in Europa während des Zweiten Weltkrieges führt ebenfalls keinen Angriff auf Nordhausen im April 1945 auf“, teilte das amerikanische Aerospace Studies Institute auf Anfrage des Journalisten Manfred Neuber zu Beginn der 1960er Jahre schriftlich mit. „Aus anderen Quellen ist zu entnehmen“, gab der Leiter für geschichtliche Studien an diesem Institut der US Air Force University auf der Maxwell Air Base in Montgomery/Alabama, bei den Recherchen des Journalisten zu Protokoll, „dass am 3.und 4 .April 1945 vom Bomber Command der Royal Air Force schwere Angriffe auf Nordhausen geflogen wurden.“ Diese Angaben wurden von der Air Historical Branch im britischen Verteidigungsministerium (damals noch Ministry of War) dem Rechercheur bestätigt. Alle<br />
hier aufgeführten Originaldokumente wurden dem Stadtarchiv Nordhausen übergeben.<br />
<br />
* Nordhausen wurde anstelle Gothas bombardiert.<br />
** Diese Behauptung wurde u. a. von [[Kurt Kohlmann]] aufgestellt. So berichtete er von zwei US-Offizieren, die entsprechende Aussagen getätigt haben sollen: „Sie erzählten mir, der Kreisleiter von Nordhausen sei dreimal aufgefordert worden zu kapitulieren. Nachdem die Faschisten das dritte Mal abgelehnt hatten, sei ein auf Gotha angesetzer US-amerikanischer Bomberverband nach Nordhausen umgeleitet worden.“<ref name="Rudloff138">Jost-Dieter Rudloff: ''Warum wurde Nordhausen eine Woche vor Kriegsende 1945 in Brand gesetzt? Informationen und Überlegungen''. In: ''Beiträge zur Geschichte aus Stadt und Kreis Nordhausen (Band 44/2019)'', S. 138.</ref> Dies wurde ebenfalls von Herbert Meyer als unglaubwürdig zurückgewiesen.<ref name="Sting252"/><br />
<br />
* Nordhausen wurde wegen der Raketen-Produktion im Kohnstein bombardiert.<br />
** Den Alliierten war bekannt, dass sich im Kohnstein ein Rüstungsbetrieb befand, nicht jedoch, dass dort die V-Waffen gefertigt wurden.<ref>Jürgen Möller: ''Konzentrationslager Mittelbau-Dora''. Bad Langelsalza 2018, S. 33.</ref> Der Kohnstein war wegen der Kriegsgefangenenlager kein Angriffsziel.<ref name="Rudloff138"/><br />
<br />
* Die Nordhäuser Bevölkerung sollte wegen dem Konzentrationslager Dora-Mittelbau bestraft werden.<br />
** Dies wird durch kein Dokument der Alliierten bestätigt.<br />
<br />
* Nordhausen wurde aus militärischen Gründen bombardiert.<br />
** Die Stadt war verkehrstechnischer Knotenpunkt und Mittelpunkt der Nordthüringer Rüstungsindustrie und wurde auch von der deutschen Armeeführung als wichtig wahrgenommen.<ref name="Rudloff140">Jost-Dieter Rudloff: ''Warum wurde Nordhausen eine Woche vor Kriegsende 1945 in Brand gesetzt? Informationen und Überlegungen''. In: ''Beiträge zur Geschichte aus Stadt und Kreis Nordhausen (Band 44/2019)'', S. 140.</ref> Für das US-Militär bildete die Stadt kein strategisches Ziel mehr.<ref name="Rudloff140"/> Die Stadt Nordhausen erhielt militärische Bedeutsamkeit für die Bodentruppen der 1. US-Armee, auch wegen des Verschiebebahnhofs für Truppenbewegungen. Die Schonung der Rüstungsbetriebe mit ihrem Personal ergab sich aus der Hoffnung, möglichst viele Waffen und Fachkräfte zu erbeuten.<ref name="Rudloff140"/> Es gibt keinen Hinweis darauf, dass Nordhausen aus militärischen Gründen bombardiert wurde.<ref name="Rudloff140"/><br />
<br />
== Aufarbeitung und Gedenken ==<br />
=== 1945 bis 1990 ===<br />
==== DDR ====<br />
Bis zur Wiedervereinigung hielt sich die Behauptung, die United States Air Force habe Nordhausen am 3. und 4. April 1945 bombardiert. Zum einen wurde der US-Luftwaffe vorgehalten, dass die Angriffe auf Nordhausen ein Akt blinder Zerstörung und militärischer sinnlos gewesen seien, da das Ende des Dritten Reiches absehbar war. Andererseits wurde mit der „Gotha-Legende“ behauptet, dass Nordhausen bis zum Letzten verteidigt werden sollte und es deshalb zum Luftangriff kam. Damit wurde die Verantwortlichkeit für das Bombardement wahlweise den lokalen NS-Amtsträgern oder den USA zugeschrieben. <br />
<br />
Ein Interesse an einer realistischen Rekonstruktion hatte die SED auch aufgrund der Situation des Kalten Krieges nicht.<br />
Zum 40. Jahrestag der Luftangriffe wurde in der Lokalpresse erstmals von „250 britischen Lancaster-Maschinen“ gesprochen.<ref>„Die Zerstörung Nordhausens - Mahnung und Verpflichtung“, ''Das Volk'', 2. April 1985.</ref> Eine Revision der Geschichte fand jedoch nicht statt, und auch danach war mitunter vom „Zerstörungsangriff amerikanischer Bomber“ die Rede.<ref>''Unser Aktuelles Argument'', April 1985.</ref> Für die in der DDR-Propaganda kolportierte öffentliche Erinnerung erklärt sich aus dem politischen Bedürfnis, die „imperialistischen“ Angreifer als möglichst grausam und skrupellos erscheinen zu lassen, im Sinne antiamerikanischer Propaganda.<ref name="Winter63">Winter: ''Öffentliche Erinnerungen an den Luftkrieg in Nordhausen 1945 - 2005''. Marburg: Tectum-Verl., 2010. S. 63.</ref> <br />
Mit Verweis auf die Luftangriffe auf Nordhausen wurde auf tatsächliche oder vermeintliche aktuelle militärische Bedrohungen oder Konflikte Bezug genommen, z. B. auf den Vietnamkrieg. <br />
<br />
Insgesamt war die Nordhäuser Luftkriegserinnerung gekennzeichnet von einer eigentümlichen „Verwischung der Grenze zwischen Faktizität und Fiktionalität“, die nach dem Historiker Martin Sabrow typisch für das Geschichtsdenken in der DDR war.<ref>Martin Sabrow: ''Einleitung - Geschichtsdiskurs und Doktringesellschaft'', Potsdam: Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam (ZZF), 2000. S. 24.</ref><br />
<br />
Der Versuch einer wirklichen Aufarbeitung in der DDR wurde erstmals 1985 angestoßen, als [[Manfred Schröter]] anlässlich des 40. Jahrestages eine Publikation veröffentlichen wollte. Darin wurde dargelegt, dass die RAF und nicht die USAF für den Angriff im April 1945 verantwortlich gewesen war. Nachdem Schröters Buch nach Begutachtung und Korrektur durch den Historiker Olaf Groehler sowie der SED-Kreisleitung und Bezirksleitung in Druck gegangen war, konfiszierte die Kreisleitung am 29. März 1985 die gesamte Auflage und verhinderte eine Veröffentlichung.<ref name="Winter62">Winter: ''Öffentliche Erinnerungen an den Luftkrieg in Nordhausen 1945 - 2005''. Marburg: Tectum-Verl., 2010. S. 62.</ref> Vorausgegangen war ein öffentlicher Vortrag Schröters am 14. März 1985, in dem er seine Ergebnisse (im Beisein von Stasi-Spitzeln) vorstellte.<br />
<br />
Das Gedenken an die Luftangriffe wurde zu DDR-Zeiten auch stark mit dem Wieder- bzw. Neuaufbau der Stadt verwoben. In den ersten Jahren nach dem Krieg wurde vor allem zur Mithilfe agitiert, um durch das „Aufbauwerk“ einer „glücklichen, friedlichen und sonnigen Zukunft“ entgegenzutreten.<ref>„Aufbauerfolge dürfen nicht preisgegeben werden,“ ''Das Volk'', 7. April 1953.</ref> Ab Ende der 1950er Jahre verwies die SED auf die bisher erzielten Erfolge. Zum 40. Jahrestag der Bombardierung 1985 behauptete Oberbürgermeister [[Peter Heiter]], dass die Jahre des Sozialismus die erfolgreichsten in der über tausendjährigen Stadtgeschichte gewesen seien und verwies auf die Rolle der Partei als entscheidender Faktor für das Erreichte.<ref name="Winter81">Winter: ''Öffentliche Erinnerungen an den Luftkrieg in Nordhausen 1945 - 2005''. Marburg: Tectum-Verl., 2010. S. 100.</ref> <br />
Ein wichtiges Großereignis war die Instandsetzung des [[St.-Petri-Kirche|Petri-Turms]] mit einer neuen Turmspitze zum 42. Jahrestag 1987 als „wiedererstandendes Wahrzeichen“.<ref>„Kupferhelm für den Petritum“, ''Das Volk'', 7. April 1987.</ref><br />
In der Festschrift (1050 Jahre Nordhausen", 1977 herausgegeben vom Magistrat, heißt es: "Für den ausgesprochenen Terrorcharakter der<br />
anglo-amerikanischen Luftangriffe spricht auch, dass die Hauptstraßen des Schienen- und Straßenverkehrs funktionstüchtig blieben und die<br />
militärischen Anlagen der Stadt, insbesondere das Flugplatzgelände, weiter den Machthabern des Dritten Reiches für ihre verbrecherische <br />
Politik zur Verfügung standen."<br />
Die Festschrift hebt hervor: "Das heutige Nordhausen entwickelt sich dank der schöpferischen und angestrengten Arbeit der Arbeiterklasse<br />
und aller Bürger unserer Stadt, auf festen sozialistischen Fundamenten. Ständig entsteht Neues, man braucht sich nur umzuschauen."<br />
Dagegen bemerkte das "Bad Lauterberger Tageblatt" (Ausgabe vom 3./4. April 1985, Seite 3): "Der Wiederaufbau Nordhausens begann<br />
erst sehr spät und sehr schleppend. Noch immer bildet der alte Stadtkern eine weithin kahle Fläche."<br />
<br />
==== BRD ====<br />
<br />
In der Bundesrepublik wurde das Gedenken von dem Verein [[Nordhäuser Heimatfreunde]] getragen. Die erste gedruckte Ausgabe der Vereinszeitung ''[[Nordhäuser Nachrichten]]'' widmete sich der Zerstörung Nordhausens und auch in den folgenden Jahren bildete es ein wiederkehrendes Themenfeld mit zahlreichen Erlebnisberichten. Die Rolle des Vereinsvorsitzenden und früheren Nordhäuser NSDAP-Oberbürgermeisters [[Heinz Sting]] zum Gedenken wird kritisch gesehen.<ref name="Winter83">Winter: ''Öffentliche Erinnerungen an den Luftkrieg in Nordhausen 1945 - 2005''. Marburg: Tectum-Verl., 2010. S. 83 ff.</ref> So sei Sting zwar bemüht gewesen, klarzustellen, dass nicht die US-Luftwaffe die Stadt bombardierte, doch zeigte er sich auch bestrebt, die Rolle des Nationalsozialismus zu relativieren.<br />
<br />
Diese historischen Fakten hatte der Journalist [[Manfred Neuber]] schon vor 1965 in US- und britischen Archiven ermittelt und publiziert (''Bad Lauterberger Tageblatt'' um 1964 und am 3./4. April 1985 in „Das Drama von Nordhausen“, in der ''Herzberger Zeitung'' und im späteren ''HarzKurier'' in Herzberg, im ''Göttinger Tageblatt'' sowie Erwähnung in den ''Nordhäuser Nachrichten'').<br />
[[Herbert Meyer]], Oberbürgermeister Nordhausens in den letzten Kriegstagen und später Stadtdirektor in Bad Lauterberg, versicherte Manfred Neuber 1964 in einem Gespräch über dessen Recherchen in Großbritannien und in den USA, die Stadt Nordhausen habe keine Aufforderung der Alliierten erhalten, Nordhausen zur offenen Stadt zu erklären. Eine Entscheidung darüber hätte auch nicht in seiner Kompetenz gelegen: „Ob eine solche Aufforderung an den Kreisleiter Hans Nentwig ergangen ist und ob dieser sich geweigert hat, ihr nachzukommen, weiß ich nicht. Ich möchte es aber bezweifeln“, erklärte Meyer (Originalzitat in den Aufzeichnungen über das Treffen). Der NSDAP-Kreisleiter [[Hans Nentwig]] hatte das Bombardement in seiner Ausweich-Befehlsstelle unbeschadet überstanden. Er lebte in der Nachkriegszeit in Katlenburg. Von der marxistischen Geschichtsschreibung in der DDR wurde ihm wegen „seiner verbrecherischen Durchhalte-Politik“ eine Hauptschuld an der Zerstörung Nordhausens zugeschrieben.<br />
<br />
=== Seit 1990 ===<br />
<br />
Der 50. Jahrestag der Luftangriffe 1995 wurde mit einer Gedenkwoche unter der Losung „Nordhausen 1945: Erinnerung – Trauer – Mahnung“ weitaus größer begangen als die Jahre zuvor. 1993 hatte das Stadtarchiv angekündigt, diverse Maßnahmen einzuleiten, um ein würdiges Gedenken zu gewährleisten. Darunter zählte das Sammeln von Zeitzeugenberichten, realisierte Veranstaltungen und Projekte sowie die Planung einer Publikation zum Thema. Am 30. März 1995 wurde eine Metallplastik auf der oberen Plattform des Petri-Turms enthüllt und einen Tag später eine Ausstellung mit Fotos und Dokumenten eröffnet. Zudem erschien unter der Leitung des Stadtarchivars [[Peter Kuhlbrodt]] das Buch ''[[Schicksalsjahr 1945 – Inferno Nordhausen]]''. In den folgenden Tagen wurde ein ökumenischer Gedenkweg abgehalten, es gab Kranzniederlegungen am Gedenkstein auf dem Hauptfriedhof, dem Ehrenfriedhof und an der Boelcke-Kaserne. Begleitet wurde das Gedenken mit einer umfassenden Berichterstattung in der Presse, die auch überregional wirkte. <br />
<br />
Nach dem Jahr 1995 wurden die Jahrestage der Luftkriegserinnerung weitaus kleiner begangen.<ref name="Winter100"/> Ab Ende der 1990er Jahre erfolgte wieder eine allgemeine Repolitisierung der Luftkriegserinnerung.<ref name="Winter100">Winter: ''Öffentliche Erinnerungen an den Luftkrieg in Nordhausen 1945 - 2005''. Marburg: Tectum-Verl., 2010. S. 100.</ref> Es zeigte sich, dass sich die öffentliche Erinnerung mehr auf gegenwärtige Ereignisse als auf die Jahre des Zweiten Weltkrieges zu beziehen schien; so werden stärkere Bezüge zu außenpolitischen Themen<ref>Winter: ''Öffentliche Erinnerungen an den Luftkrieg in Nordhausen 1945 - 2005''. Marburg: Tectum-Verl., 2010. S. 101.</ref> oder Exkurse zum Rechtsextremismus hergestellt.<ref>[https://www.nnz-online.de/news/news_lang.php?ArtNr=108899 Zum Umgang mit der Bombardierung], nnz-online, 3. April 2012.</ref> Im Vergleich zu DDR-Zeiten wurde das Spektrum der Erinnerungsakteure erweitert, und vor allem die Kirche rückte in den Vordergrund. <br />
<br />
Seit den 2000er Jahren wird der Jahrestag der Luftangriffe mit der üblichen Kranzniederlegung an der Gedenkstele am Rathaus begangen. Seit 2017 werden statt Kränzen weiße Rosen niedergelegt.<ref>[https://www.nnz-online.de/news/news_lang.php?ArtNr=209936 Gedenken an der Stele], nnz-online, 3. April 2018.</ref> Im Gegensatz zu DDR-Zeiten werden Schuldzuweisungen an die Westalliierten weniger offen aggressiv und ideologisch untermauert vorgebracht.<ref>Winter: ''Öffentliche Erinnerungen an den Luftkrieg in Nordhausen 1945 - 2005''. Marburg: Tectum-Verl., 2010. S. 110.</ref><br />
<br />
=== Denkmäler ===<br />
[[File:Denkmal Bombenangriffe Nordhausen - Mai 2015.JPG|200px|thumb|Mahnmal am Alten Rathaus]]<br />
[[File:Gedenkstein Nordhausen.jpg|mini|200px|Gedenkstein am Massengrab für 600 Bombenopfer auf dem [[Zentralfriedhof an der Leimbacher Straße|Alten Friedhof]]]]<br />
* Mahnmal für die Opfer der Bombardierungen vor dem [[Altes Rathaus|Alten Rathaus]]: 1950 wurde ein Gedenkstein und eine Flammenschale am Sockel des früheren [[Lutherdenkmal]]s angebracht. Es trug die Inschrift: „4.4. 1945 - Zerstörung Nordhausens durch amerikanische Bomber - 8800 Opfer klagen an“ (''Amerikanische'' Bomber war falsch). 1969 wurde dieses Denkmal durch eine Säule des Künstlers Jürgen von Woyski ersetzt.<br />
* Auf dem [[Ehrenfriedhof]] westlich des ''Stresemann-Rings'' befindet sich ein 1999 umgestaltetes Denkmal in Erinnerung an die hier in Massengräbern beigesetzten über 1.600 KZ-Häftlinge, zum größten Teil Opfer der Luftangriffe auf die Boelcke-Kaserne am 3. und 4. April 1945. Viele Nordhäuser zivile Bombenopfer und Soldaten wurden auf dem nördlichen Teil des Sonderfriedhofs, des jetzigen Ehrenfriedhofs, oberhalb des Denkmals in Massengräbern beerdigt.<ref>Manfred Schröter: ''Die Zerstörung Nordhausens''. Nordhausen: Meyenburg-Museum, 1988. S. 59</ref><br />
* Auf dem ''Hauptfriedhof'' findet sich ein Denkmal, das die zusammenfassende Inschrift trägt: „Zum Gedenken an die Gefallenen und Vermissten beider Weltkriege, die Toten der Bombenangriffe, die Opfer aller Gewaltherrschaft. Die Bürger der Stadt Nordhausen“. Links seitlich von dem Denkmal, vor dem begrenzenden Zaun, wurde eine größere Anzahl von Bombentoten in Gemeinschaftsgräbern beigesetzt.<ref> Manfred Schröter: ''Die Zerstörung Nordhausens''. Nordhausen: Meyenburg-Museum, 1988. S. 59-60 </ref> Dort stehen noch einige große Kreuze, die wohl darauf hinweisen.<br />
<br />
== Zitate ==<br />
<br />
* „Das Ausmaß des Schreckens, der Verwüstung und des Todes, von dem unsere Stadt an jenen Apriltagen erfasst wurde, macht sie praktisch zu einem Synonym für die japanischen Städte Hiroshima und Nagasaki. Denn vergleicht man auf Airfotos ihre zerstörten Zentren, so lässt sich schwerlich ein gradueller Wirkungsunterschied erkennen.“ – ''[[Walter Geiger]]: [[Nordhausen im Bombenvisier]], S. 154.''<br />
* „Nordhausen wurde am 3. und 4. April 1945 zerstört, weil der ehrgeizige britische Luftmarschall Sir Arthur Harris dem britischen Volk und den Alliierten zeigen wollte, dass sein "Bomber Command" das Handwerk des Tötens von deutschen Menschen perfektioniert hatte. Er löste einen furchtbaren Flächenbrand aus mit den stärksten Mitteln, die ihm zur Verfügung standen. Besonders verwerflich ist, dass er die Bombenziele auf die Nordhäuser Altstadt konzentrierte. Infam ist auch, dass er noch in den letzten Kriegstagen die Altstadt von Nordhausen mit einer nie vorher verwendeten Bomben-Mischung auslöschte. Er handelte trotzig wie ein Kind, dem man das Spielzeug wegnehmen will. Harris wollte sich in letzter Stunde in Nordhausen ein Denkmal aus Leichen und Ruinen setzen.“ – ''[[Jost-Dieter Rudloff]]: Warum wurde Nordhausen eine Woche vor Kriegsende 1945 in Brand gesetzt? Informationen und Überlegungen. In: [[Beiträge zur Geschichte aus Stadt und Kreis Nordhausen (Band 44/2019)]], S. 141.''<br />
<br />
== Literatur ==<br />
*Jost-Dieter Rudloff: ''Warum wurde Nordhausen eine Woche vor Kriegsende 1945 in Brand gesetzt? Informationen und Überlegungen''. In: ''[[Beiträge zur Geschichte aus Stadt und Kreis Nordhausen (Band 44/2019)]]''.<br />
*Harald Rockstuhl (Hrsg.): ''[[Nordhausen – Luftbild-Atlas 1935–1945]]''. Bad Langensalza: Verlag Rockstuhl, 2017. ISBN 978-3959662833<br />
*[[Walter Geiger]]: ''[[Nordhausen im Bombervisier]]''. Nordhausen: Neukirchner, 2000. ISBN 3-929767-43-0<br />
*Olaf Groehler: ''Bombenkrieg gegen Deutschland''. Berlin: Akad.-Verl., 1990. ISBN 3-05-000612-9<br />
*[[Peter Kuhlbrodt]]: ''[[Inferno Nordhausen – Schicksalsjahr 1945]]''. Nordhausen: Archiv der Stadt Nordhausen, 1995. ISBN 3-929767-09-0<br />
*[[Martin Clemens Winter]]: ''[[Öffentliche Erinnerungen an den Luftkrieg in Nordhausen 1945 - 2005]]''. Marburg: Tectum-Verl., 2010. ISBN 9783828822214 <br />
*''Schicksale deutscher Baudenkmale im Zweiten Weltkrieg''. (Bd. 2) Berlin: Henschelverlag Kunst u. Gesellschaft, 1978.<br />
<br />
== Externe Verweise ==<br />
* [https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/1/1f/Nordhausen_concentration_camp_newsreel.webm Filmaufnahmen von der Boelcke-Kaserne (1945)]<br />
<br />
== Einzelnachweise ==<br />
<br />
<references/><br />
<br />
[[Kategorie:Geschichte]]</div>Latimer Rexhttps://nordhausen-wiki.de/index.php?title=Luftangriffe_auf_Nordhausen&diff=15656Luftangriffe auf Nordhausen2020-02-09T10:57:07Z<p>Latimer Rex: /* Großangriffe im April 1945 */</p>
<hr />
<div>[[Datei:Marktkirche Rathaus Nordhausen 1945.jpg|thumb|300px|[[Marktkirche]], [[Altes Rathaus|Rathaus]] und [[Stadthaus]] nach den Luftangriffen]]<br />
Die '''Luftangriffe auf Nordhausen''' am 3. und 4. April 1945 durch Bomber der britischen Royal Air Force zerstörten Dreiviertel der Stadt. Dabei kamen über 8.800 Menschen ums Leben, weitere 20.000 wurden obdachlos. Mit einem Wohnungszerstörungsgrad von 55% (10.000 Wohnungen) gehörte Nordhausen zu den am schwersten zerstörten deutschen Städten; zahlreiche Denkmale von hervorragender Bedeutung, darunter die für Nordhausen charakteristischen Fachwerkbauten des 13. bis 19. Jahrhunderts, wurden vernichtet. Der historische Stadtkern, die Neustadt und die Gebäude um die [[Frauenbergkirche]] wurden fast gänzlich eingeebnet. Erhalten blieben die Gebiete westlich und nördlich der [[Stadtmauer]], [[Barfüßerstraße]], [[Kalte Gasse]], Teile des historischen [[Königshof]]s sowie der Stadtteil [[Altendorf]]. Ein Großteil der stark beschädigten Bauwerke wurde nach dem Zweiten Weltkrieg abgerissen. <br />
Die zerstörerische Gesamtwirkung aller Bomben und Luftminen war von keinem Einzelangriff im Luftkrieg gegen Deutschland auch nur annähernd erreicht worden.<ref>Geiger: ''Nordhausen im Bombenvisier''. S. 150.</ref> Bei der Bombardierung von Nordhausen handelte es sich um die größte Katastrophe in ihrer tausendjährigen Stadtgeschichte. <br />
<br />
== Nordhausen im Krieg ==<br />
Nordhausen hatte vor dem Zweiten Weltkrieg ca. 42.000 Einwohner. Während des Krieges stieg deren Zahl durch Ortsfremde (Luftkriegsevakuierte, Flüchtlinge, ausländische Arbeitskräfte, Verwundete und Kriegsgefangene) Anfang März 1945 auf 65.000 Einwohner.<ref>Peter Kuhlbrodt (Hrsg.): ''Schicksalsjahr 1945. Inferno Nordhausen''. Nordhausen: Archiv der Stadt Nordhausen, 1995. S. 20, 33 </ref> Insbesondere für Evakuierte aus Berlin, Hamburg und Westdeutschland waren Stadt und Kreis Nordhausen als Aufnahmeräume ausgewiesen.<br />
<br />
Der Bau von Luftschutzanlagen begann im Spätsommer 1943. Viele Bunkeranlagen in der Innenstadt blieben unvollendet. Am 29. November 1943 wurde für Nordhausen ein Evakuierungsplan, der Aussiedlungsrichtungen und Aufnahmegebiete festlegte, ausgearbeitet.<ref>Geiger: ''Nordhausen im Bombenvisier''. Nordhausen: Verlag Neukirchner, 2000. S. 65</ref><br />
<br />
{| class="wikitable sortable"<br />
|+ style="padding-bottom:1em" | Bis zum 22. Februar 1945 realisierte Stollenabschnitte<ref>Ullrich Mallis: ''Der Luftschutzstollen am Johanneshof / Neuer Weg. Ein Nordhäuser Baudenkmal'', in: ''[[Nordhäuser Nachrichten. Südharzer Heimatblätter (2/2011)]]'', S. 10.</ref><br />
|- class="hintergrundfarbe6"<br />
! class="unsortable" | Stollenabschnitte !! class="sortable" | Länge !! class="unsortable" | Herstellung !! class="unsortable" | Ausbauart !! class="unsortable" | Bemerkung<br />
|-<br />
| Stollen IA, Mühlhof || style="text-align:right" | 55,00 m<br />
| Okt. 1943 – Febr. 1944 || Beton, 27,5 m nur Holzausbau || Richtung Loge<br />
|-<br />
| Fluko-Bunkerzugang || style="text-align:right" | 2,40 m<br />
| Febr. – März 1944 || Eisenbetongewölbe || IA, > 40 m links<br />
|-<br />
| Kreuz IA-Stummel || style="text-align:right" | 0,50 m<br />
| März 1944 || Eisenbetongewölbe, wie das gesamte Kreuz IA || Drehscheibe<br />
|-<br />
| Stollen IB, Johannishof || style="text-align:right" | 38,50 m<br />
| Nov. 1943 – April 1944 || Beton, 22,5 m mit Firstschienen || noch begehbar<br />
|-<br />
| Stollen von IA nach IB || style="text-align:right" | 66,10 m<br />
| März 1944 – Nov. 1944 || Beton || Durchschlag im Nov. 1944<br />
|-<br />
| Stollen von IB nach IA || style="text-align:right" | 38,25 m<br />
| April 1944 – Nov. 1944 || Beton || Durchschlag im Nov. 1944<br />
|-<br />
| Oststollen, von IA-IB ab || style="text-align:right" | 21,75 m<br />
| Dez. 1944 – Febr. 1945 || Seitenbeton, Art des Firstausbaues nicht benannt || <br />
|-<br />
| Südstollen IC, ab IB || style="text-align:right" | 49,75 m<br />
| April 1944 – Febr. 1945 || || zum Lohmarkt<br />
|-<br />
| class="hintergrundfarbe5" | Gesamt: || style="text-align:right" class="hintergrundfarbe5" | 272,25 m<br />
| class="hintergrundfarbe5" | Okt. 1943 – Febr. 1945 || class="hintergrundfarbe5" | || class="hintergrundfarbe5" |<br />
|}<br />
<br />
<br />
<br />
Als Garnisonstadt hatte Nordhausen keine ältere Tradition. Ab 1935 wurde im Süden die [[Boelcke-Kaserne]] errichtet, mit Unterkünften und Fahrzeughallen; sie diente der Ausbildung von Luftnachrichtensoldaten. Daneben entstanden ein Fliegerhorst als Ausbildungsplatz und zeitweise Flugzeugwerft. Bis März 1945 wurden hier Flugzeuge für den Mistelschlepp ("Huckepack"-Flugzeuge) montiert und Piloten dafür geschult. Sonst diente der Fliegerhorst 1945 noch zum Auftanken von Jagdflugzeugen. In provisorischen Unterkünften in der Stadt gab es die evakuierte "Marineverwaltung West". In der Stadt und ihrer nahen Umgebung existierten viele Lazarette mit insgesamt etwa 1.000 Verwundeten. Die Lazarette und Krankenhäuser trugen weithin sichtbare große Rotkreuz-Symbole auf den Dächern. <br />
<br />
Das [[Mittelwerk GmbH|Mittelwerk Dora]] bei Nordhausen produzierte Anfang April 1945 keine V-Waffen oder andere Rüstungsgüter mehr. Die dort Beschäftigten, unter ihnen Tausende von Häftlingen des KZ Mittelbau-Dora und Zwangsarbeiter, wurden evakuiert. Das Werk oder seine Verkehrsanbindungen waren nie Ziel alliierter Luftangriffe. <br />
<br />
Die frühere [[KZ-Außenlager Boelcke-Kaserne|Boelcke-Kaserne]] wurde seit Herbst 1943 nicht mehr militärisch genutzt. Sie hatte seitdem Tausende von Arbeitern, später auch Flüchtlinge aufgenommen. Seit 8. Januar 1945 existierte ein bald überfülltes Häftlingslazarett in der Anlage.<ref> Manfred Schröter: ''Die Zerstörung Nordhausens''. Nordhausen: Meyenburg-Museum, 1988. S. 6-8 </ref> Im Februar kamen zeitweise 3.500 Häftlinge aus dem KZ Groß-Rosen dazu.<ref> Walter Geiger: ''Nordhausen im Bombervisier''. Nordhausen: Verlag Neukirchner, 2000. S. 258 </ref><br />
<br />
== Erste Angriffe ==<br />
In der Nacht vom 25. August auf den 26. August 1940 griffen zwei britische Bomber vom Typ Handley Page Hampden den [[Flugplatz von Nordhausen]] an und warfen vier Bomben ab.<ref>Geiger: ''Nordhausen im Bombenvisier''. S. 61 f.</ref> Es entstand ein kleiner Brand, der bald gelöscht werden konnte. <br />
<br />
Von 1940 bis 1943 gab es insgesamt 72 öffentliche Luftwarnungen und Fliegerarlarme für Nordhausen. Als sich die alliierten Luftangriffe im Jahr 1944 auf die im Hinterland gelegenen deutschen Städte intensivierten, wurde Nordhausen verstärkt Überflugsort alliierter Bomberverbände, etwa wenn sie Berlin, Dessau oder Leipzig anflogen. Im März 1945 erreichten die durchschnittlich fünf bis sechs Luftalarme ihren Höhepunkt.<ref>Geiger: ''Nordhausen im Bombenvisier''. S. 98 f.</ref> <br />
<br />
Am 12. April 1944 flogen während der Mittagszeit zwei aus südlicher Richtung kommende amerikanische Jäger die Stadt an und töteten zwei Menschen, zwei Personen wurden schwer verletzt.<ref>Geiger: ''Nordhausen im Bombenvisier''. S. S 221 f.</ref> <br />
<br />
[[Datei:Luftangriffe Nordhausen Traueranzeige.jpeg|thumb|Traueranzeige vom 26. Februar 1945]]<br />
<br />
Am 22. Februar 1945 griffen gegen 12:30 Uhr US-amerikanische Bomber den Verschiebebahnhof an, trafen jedoch die Unterstadt, einige Anlagen des Industriegebietes und die vormalige Fernmeldeschule der Luftwaffe in der [[Boelcke-Kaserne]]. Insgesamt fielen 296 Mehrzweckbomben und töteten 40 Menschen. Im ''[[Südharzer Kurier]]'' erschien am 26. Februar eine Todesanzeige für die „Gefallenen des Terrorangriffs“ mit der Ankündigung zur Beisetzung. <br />
<br />
Am 28. Februar 1945 warfen drei amerikanische Maschinen 2,5 Tonnen Sprengbomben auf die Stadt ab. <br />
<br />
Am 1. April 1945 wurden das Auto-Hotel Hesse durch Bomben getroffen und zahlreiche Menschen getötet.<br />
<br />
== Großangriffe im April 1945 ==<br />
[[File:Avro Lancaster Mk 1 ExCC.jpg|thumb|Langstreckenbomber vom Typ ''Avro Lancaster'', wie sie bei der Bombardierung von Nordhausen zum Einsatz kamen.]]<br />
[[File:Mosquito 600pix.jpg|thumb|Zielmarkierer ''De Havilland Mosquito'' (1944)]]<br />
Am 3. April 1945 starteten gegen 13 Uhr die englischen Bomberverbände und erreichten Nordhausen um 16 Uhr. Die 247 Avro-Lancaster-Bomber (Tragfähigkeit je 6 Tonnen Bombenlast) und 9 Mosquito-Mehrzweckflugzeuge warfen in 20 Minuten ca. 1.216 Tonnen Sprengbomben ab und trafen vor allem die Außenbezirke von Nordhausen.<ref>Groehler: ''Bombenkrieg gegen Deutschland'', S. 422.</ref> Im Stadtinnern fielen Bomben um die [[Neustadt-Kirche]] und [[Neustadtstraße]]. In den umliegenden Wäldern und Ortschaften [[Sundhausen]], [[Bielen]], [[Himmelgarten]], [[Leimbach]] und [[Krimderode]] fielen schwere Bomben und Luftminen. Getroffen wurde auch die mit kranken Häftlingen überbelegte [[Boelcke-Kaserne]], wo allein in einer mit Tuberkulose-Kranken belegten Flugzeughalle 450 Menschen den Tod gefunden haben sollen.<ref>Wagner: ''Produktion des Todes.'' S. 280</ref> Die Stadt ohne Strom und Leitungswasser. Die Verletzten wurden gesammelt und nach [[Neustadt/Harz|Neustadt]] und [[Sülzhayn]] gebracht, die Ausgebombten erhielten Notquartiere in der Stadt selbst und ihrer Umgebung. Viele Nordhäuser flüchteten aus der Stadt. Zwei Stollen der unterirdischen Anlagen von Mittelbau Dora im Kohnstein nahmen bereits am 3. April Geflüchtete auf, später wurden es 10.000. Das Stadtkrankenhaus war beschädigt, die Patienten wurden in Notkrankenhäuser in das benachbarte [[Petersdorf]] gebracht, vor allem in das Ausflugsrestaurant Harzrigi.<ref> Manfred Schröter: ''Die Zerstörung Nordhausens''. Nordhausen: Meyenburg-Museum, 1988. S. 22, 23 </ref> Bomben fielen auch auf mehrere benachbarte Dörfer und deren Flur, besonders betroffen war Bielen. Zwei Bomber gingen beim Hin- und Rückflug verloren. Der erste Angriff erzielte die gewünschte Wirkung jedoch nicht. Der Angriff am 3. April war aus Sicht der RAF ein Misserfolg.<!-- (Quelle?) --> Viele Einwohner zogen am Abend des 3. April zum nahen [[Kohnstein]], wo die mittlerweile fast verlassenen Stollen des Mittelwerks Schutz boten.<br />
<br />
{{Zitat|Die Stadt ist schwer getroffen, aber sie ist noch eine organisierte Gemeinschaft… Gegenseitige und Nachbarschaftshilfe wird geleistet. Die Stadtverwaltung und die Luftschutzleitung setzen ihre Kräfte ein. Rotes Kreuz und die Krankentransporte kommen an die Schwerpunkte. Man leitet die Evakuierung des beschädigten Krankenhauses ein. Die Verletzten des Angriffs werden geborgen, abtransportiert, in den Gaststätten Parkhaus und Kurhaus gesammelt und schließlich nach Neustadt und Sülzhayn weiterbefördert. Die Feuerwehr bekämpft die wenigen (?) Brandherde.|[[Manfred Schröter]]: ''[[Die Zerstörung Nordhausens und das Kriegsende im Kreis Grafschaft Hohenstein 1945]]''}}<br />
<br />
Am 4. April gegen 9 Uhr begann der zweite Großangriff der RAF. Der Verband kam über Gotha, Bad Langensalza und Schlotheim. Für 93 Bomber wurde die Boelcke-Kaserne als Angriffsziel befohlen, die anderen 150 hatten das Stadtzentrum anzugreifen.<ref>Geiger: ''Nordhausen im Bombenvisier''. S. 146 f.</ref> Zwei Bomber mussten frühzeitig zurückkehren, und zehn weitere hatten ihren militärischen Auftrag verfehlt, so dass von den 243 Flugzeugen 231 am Luftschlag teilnahmen. Ein Bomber explodierte über der Stadt. Die örtliche Feuerwehr war, soweit noch vorhanden, von der Lage völlig überfordert. Unter der überlebenden Bevölkerung herrschte Panik, viele verließen fluchtartig zu Zehntausenden das Inferno der Stadt in Richtung Kohnstein. Auch außerhalb von Nordhausen wurde sie von Jagdbombern beschossen.<ref> Manfred Schröter: ''Die Zerstörung Nordhausens''. Nordhausen: Meyenburg-Museum, 1988. S. 26 </ref> Am Abend und in der Nacht war die Stadt ein weithin leuchtendes Flammenmeer.<ref> Peter Kuhlbrodt: ''Schicksalsjahr 1945. Inferno Nordhausen''. Nordhausen 1995. S. 23 </ref> In der Mitte davon leuchtete der Kirchturm von St. Petri als riesige Fackel, die gegen Mitternacht zusammenbrach und auf das Kirchenschiff stürzte. RAF-Piloten, die von einem Einsatz bei Merseburg zurückflogen, berichteten um 23.00 Uhr von „good fires at Nordhausen“.<ref> Walter Geiger: ''Nordhausen im Bombervisier''. Nordhausen, 2000. S. 180 f.</ref> <br />
Der gebürtige Nordhäuser Schriftsteller [[Rudolf Hagelstange]] schrieb in seiner deutschen Familienchronik (Band 2: „Der Niedergang“, Seite 254) über die Feuersbrunst in seiner Heimatstadt: „Und die Hitze war so groß, dass in den meisten Straßen, sofern sie nicht gepflastert waren, der Asphalt geschmolzen war, dass Flüchtende da und dort in ihn eingesunken waren, einige unlöslich und damit zum Flammentod verurteilt.“<br />
<br />
=== Opfer ===<br />
[[Datei:Einwohnerentwicklung von Nordhausen ab 1800.svg|thumb|Einwohnerzahl von Nordhausen ab 1800. Deutlich sichtbar der Höhepunkt 1945]]<br />
Bei den Großangriffen im April 1945 kamen ca. 8.800 Menschen ums Leben. Diese Zahl geht auf Schätzungen vom Februar 1948 zurück.<ref name="Kuhlbrodt125">Kuhlbrodt: ''Inferno Nordhausen''. S. 125 f.</ref> Vor dem Abgriff befanden sich rund 65.000 Personen in der Stadt (42.000 ständige Bevölkerung, Militärpersonen, Gefangene, ausländische Arbeiter, Spezialarbeiter der Kriegsindustrie, Evakuierte). Der Antifa-Ausschuss von Nordhausen schätzte am 17. Juni 1945, dass über 10.000 Menschen bei den Bombenangriffen ums Leben gekommen seien.<ref> Peter Kuhlbrodt: ''Schicksalsjahr 1945. Inferno Nordhausen''. Nordhausen 1995. S. 115 </ref><br />
<br />
In den ersten Tagennach dem Einmarsch der Amerikaner ließ der US-Stadtkommandant in den Straßen liegende Leichen auf den Sonderfriedhof am Schlageter-Ring bringen. Andere wurden an Ort und Stelle in Bombentrichtern beerdigt. Eine beträchtliche Zahl ziviler Opfer und deutscher Soldaten wurde dann in dem höher gelegenen Teil des heutigen Ehrenfriedhofs in Massengräbern beigesetzt, unweit der getöteten Häftlinge aus der Boelcke-Kaserne. Für die später gefundenen Opfer ohne Anhang wurden Massengräber im vorderen Teil des Alten Hauptfriedhofs in der Leimbacher Straße angelegt. Heute steht an dieser Stelle ein Wohnblock. Auf dem Neuen Hauptfriedhof am Ring sind in den ersten Wochen und Monaten 920 Bombenopfer beerdigt worden.<br />
<br />
{| class="wikitable"<br />
|-<br />
| Verluste der ständigen Bevölkerung || 6.000<br />
|-<br />
| Verluste der nicht ständigen Bevölkerung || 1.500<br />
|-<br />
| Verluste der Häftlinge der Boelcke-Kaserne || 1.300<br />
|-<br />
| zusammen || 8.800<br />
|-<br />
|} <br />
<br />
==== Persönlichkeiten ====<br />
* [[Paul Urban]] (geb. 1892), KPD-Stadtrat<br />
<br />
=== Schäden und Totalverluste ===<br />
<br />
Der Zerstörungsgrad der Stadt wurde mit 74 Prozent errechnet. Die Gesamtfläche des zerstörten Gebietes betrug 810.000 Quadratmeter. Von den 13.075 Wohnungen wurden 6.187 total zerstört und 4.575 beschädigt.<br />
<br />
==== Kirchen ====<br />
<br />
[[Datei:Petri-Kirche Außenansicht.JPG|thumb|[[St.-Petri-Kirche]]]]<br />
*[[St.-Jakobi-Kirche]]: Am 3. April erheblich durch Bomben zerstört. Reste des Schiffes abgetragen, Turmruine zu DDR-Zeiten beseitigt.<br />
*[[Marktkirche]]: Am 3. April weitgehend zerstört. Ruinenreste abgetragen.<br />
*[[St.-Petri-Kirche]]: Am 3. April bis auf Turm und Chor zerstört, zahlreiche Menschen finden in der Kirche den Tod. Der Turm erhielt 1954 ein Notdach, die übrigen Ruinenteile wurden beseitigt. 1987 wurde ein neuer Turmhelm gesetzt.<br />
* [[St.-Blasii-Kiche]]: Dach und Mauerwerk am 4. April durch Bombentreffer erheblich beschädigt [[Cranachgemälde]] im Auslagerungskeller verbrannt. Bis 1949 Wiederherstellung des Daches, Ausbesserung Mauerwerk, Erneuerung des Inneren.<br />
*[[Nordhäuser Dom]]: Am 4. April schwere Schäden durch Brandzerstörung des Steildaches über der Halle und Vernichtung der Fenster. Noch 1945 Fertigstellung Notdach und Beseitigung der Folgeschäden. 1965 Wiederherstellung des Steildaches in ursprünglicher Form.<br />
*[[Frauenbergkirche]]: Am 4. April durch Bomben schwer zerstört. Erhalten blieben Umfassungsmauern der Chor mit Apside, die Nebenchöre und das Querschiff, vom Langhaus nur Reste des ersten Joches sowie des Westportal. Von 1953 bis 1955 folgte Enttrümmerung und Sicherungsarbeiten.<br />
*[[Frauenbergkloster]]: Am 4. April durch Bombentreffer total zerstört. Gebäudereste wurden nach 1945 entfernt.<br />
<br />
==== Öffentliche Bauten ====<br />
*[[Rathaus]]: Am 4. April bis auf die Umfassungsmauern zerstört, Turm ausgebrannt. Ab 1951 entfernen der Trümmer und Wiederaufbau bis 1952, dabei wurden die Erdgeschoßarkaden und das Innere neu gestaltet. Zum ebenfalls schwer zerstörten [[Stadthaus]] wurde der Verbindungsgang wiederaufgebaut, der [[Roland]] restauriert.<br />
*[[Stadtmauer]]: Es entstanden Schäden an der Stadtmauer, wobei besonders die teilweise genutzten Türme und Wiechhäuser betroffen wurden. Nach dem Krieg wurden Ruinen abgetragen und Sicherungsarbeiten durchgeführt. Zur Landesgartenschau 2004 erfolgten umfangreiche Sanierungsarbeiten, besonders um den [[Petersberg]]. <br />
*[[Theatergebäude]]:<br />
<br />
==== Fachwerkbauten ====<br />
[[Datei:Nordhäuser Roland 1945.jpg|thumb|Das ausgebrannte Rathaus mit dem [[Nordhäuser Roland|Roland]], der die Angriffe wie durch ein Wunder überstand]]<br />
[[Datei:Riesenhaus, Riese, Postkarte.jpg|thumb|Postkarte vom [[Riesenhaus]] am Holzmarkt (Lutherplatz) mit dem [[Nordhäuser Riese]]n.]]<br />
Bedeutende Fachwerkhäuser, die zerstört wurden (lt. dem Denkmalpfleger Rudolf<br />
Zießler):<br />
<br />
*[[Bäckerstraße]] 22: Mitte des 18. Jahrhunderts errichteter dreigeschossiger, neunachsiger, verputzter Fachwerkbau mit massivem Erdgeschoß, Satteldach und Zwerhaus. Stichbogenfenster mit einfacher profilierter Rahmung in Dreiergruppen. Betonung der Mittelachse durch ein von Pilastern flankiertes Portal mit gesprengtem Giebel, darauf ruhende Frauen und Wappen sowie durch einen auf Konsolen sitzenden Balkon mit schmiedeeisernem Gitter.<br />
*[[Blasiistraße]] 15: Alte Schule. Errichtet um 1700 als dreigeschossiger stattlicher Fachwerkbau mit hohem Satteldach. Unregelmäßige Fenstergruppierung (im ersten Obergeschoß dreizehn Achsen). Fachwerk mit halben Männern. Obergeschoß vorkragend mit Balkenköpfen und gekehlten Füllhölzern.<br />
*Blasiistraße 21: Bedeutendstes Renaissance-Fachwerkhaus Nordhausens von etwa 1550. Dreigeschossig mit zehn Fensterachsen in unregelmäßiger Gruppierung, Geschosse stark vorkragend. Reich ausgebildetes Schmuckfachwerk mit Balkonköpfen, Knaggen, Füllhölzern und Schiffskehlen. Haupteingang mit kräftigen Gewämdepfosten und halben Sonnen um 1700.<br />
*[[Hagenstraße]] 4: Um 1800 errichtet als zweigeschossiger, verschieferter Fachwerkbau mit zehn Fensterachsen. Eckpilaster, ebensolche toskanische Holzpilaster flankieren die vier Mittelachsen und nehmen einen verschieferten Dreieckgiebel auf. Stichbogenfenster mit einfacher Rahmung und Schlußsteinbetonung.<br />
*Hagenstraße: Ilfelder Hof, ehem. Klosterhof, seit dem ersten Viertel des 18. Jahrhunderts Kurhannoversche Postverwaltung, seit 1853 in Privatbesitz. 1277 angelegt, später erweitert, im 17. Jahrhundert Neubau auf erweitertem Grundriss mit massivem Erdgeschoß und zwei Fachwerkobergeschossen, verschiefert.<br />
*[[Holzmarkt]] (Lutherplatz): „Riesenhaus“. 1375 erstmals erwähntes Patrizierhaus mit massivem Erdgeschoss, zwei Fachwerkobergeschossen und Satteldach. Nach Brand von 1710 im Fachwerk erneuert. Fassade gegliedert durch zwölf Fensterachsen, jeweils in Dreiergruppen angeordnet. Fachwerkkonstruktion mit Wilden Männern. Mittelgiebel mit einem Mann in Ritterrüstung ([[Nordhäuser Riese]]), der eine Lanze hält. 1805 Einrichtung einer Gaststätte, Verputz des Fachwerks und klassizistische Fassadengestaltung. 1927 Endrestaurierung und Wiederherstellung des Fachwerks.<br />
*Jakobikirchplatz 4: Lateinschule. Zweigeschossiger Fachwerkbau von 1493 mit Satteldach. Ständer- und Riegelbau. Vorkragendes Obergeschoß über geschwungene Knaggen. Durchlaufender Fensterbrustriegel.<br />
*Jakobikirchplatz: Pfarrhaus. 1687 errichteter zweigeschossiger Fachwerkbau mit Krüppelwalmdach. Fenstergruppierung unregelmäßig. Stiele und Brustriegel durch Wilde Männer verstärkt. Geringe Auskragung, Balkonköpfe und Schwelle mit einfacheren Profilen. Gefache mit Ziegeln in Mustern ausgemauert. Oberdeutsch beeinflusstes Fachwerk.<br />
*[[Königshof]] 14: Dreigeschossiger Fachwerkbau mit oberdeutschen Stilelementen, ganze und halbe Männer. Um 1780 Verkleidung der Fenster mit Rokokogirlanden.<br />
*[[Krämerstraße]] 11: Verschieferter, zweigeschossiger, fünfachsiger Fachwerkbau mit spätbarockem Volutengiebel. Stichbogenfenster mit Rahmenverkleidung. Erdgeschoss durch Ladeneinbauten verändert.<br />
*Krämerstraße 15: Um 1700 errichteter schmaler dreigeschossiger Fachwerkbau in oberdeutschem Stil mit halben Männern an den Ecken. Balkonköpfe und Füllhölzer mit einheitlichem Profil. Satteldach mit Zwerchhaus.<br />
*[[Lohmarkt]] 2, 4, 20, 21: Nach 1686 errichtete Gerberhäuser. Zwei- bzw. dreigeschossige Fachwerkgebäude im gleichen oberdeutschen Baustil wie Pfarrhaus Jakobikirchplatz. Besonders reich ausgebildet der Türstock mit Renaissanceformen und Inschrift. Satteldächer mit Zwerchhäsern (Ladeluken).<br />
*[[Neustadtstraße]] 27: Zweigeschossiger, elfachsiger Fachwerkbau aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts mit Satteldach. An den Fenstern Rokokoverkleidung.<br />
*Neustadtstraße 35: Zweigeschossiger, achtachsiger Fachwerkbau aus der Mitte des 18. Jahrhunderts auf Sandsteinsockel. Türen und Fenster in Stichbogen mit geschnitzter Rokokoverkleidung.<br />
*Neustadtstraße 47: Dreigeschossiger Fachwerkbau der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts mit Krüppelwalmdach. Rokokofensterbekleidungen handwerklich vereinfacht.<br />
*[[Pferdemarkt]] 17: Dreigeschossiger Fachwerkbau von etwa 1550, niederdeutsch beeinflusst. Auskragung des Obergeschosses mit Balkonköpfen, Knaggen und Füllhölzern. Erdgeschoß baulich verändert.<br />
*[[Sandstraße]] 3, 21, 23, 28: Diese Häuser hinsichtlich der Entstehungszeit und der architektonischen Ausbildung denen der Neustadtstraße entsprechend.<br />
<br />
==== Situation nach dem Großangriff ====<br />
[[Datei:Boelcke-Kaserne-Tote HäftlingeA.jpg|thumb|Einwohner Nordhausens tragen am 12. April 1945 unter Bewachung von Angehörigen der US-Armee tote Häftlinge aus der Boelcke-Kaserne und legen sie davor ab]]<br />
[[File:Nordhausen um 1930.jpeg|thumb|Der Stadtteil [[Altendorf]] blieb weitgehend unzerstört (Luftaufnahme um 1930)]]<br />
Das britische Bomber Command berichtete als Ergebnis der beiden Großangriffe, dass „die Stadt fast vollständig zerstört wurde, inbegriffen die Kasernenblöcke.“<ref> Walter Geiger: ''Nordhausen im Bombervisier''. Nordhausen: Neukirchner, 2000. S. 154 </ref> <br />
Die Situation für die Bevölkerung nach den Angriffen kann nur mit dem Begriff „Inferno“ beschrieben werden. Das Stadtzentrum konnte tagelang nicht betreten werden. Es wüteten noch zahlreiche Brände<ref> Peter Kulhlbrodt: ''Schicksalsjahr 1945. Inferno Nordhausen''. Nordhausen 1995. S. 24</ref>, die Schutthaufen strahlten unerträgliche Hitze aus. Bomben mit Zeitzündern gingen hoch. Über den Trümmerfeldern lag bald Leichengeruch, besonders im Bereich der Boelcke-Kaserne. In den Nächten des 6. und 7. April wurden die Kranken und Verwundeten aus Nordhausen und Umgebung durch alle verfügbaren Fahrzeuge, besonders mit Bauern-Gespannen, in den Kohnstein in Sicherheit gebracht. Die Nordhäuser Bevölkerung verteilte sich nach Schätzungen am 7. April wie folgt: 6.000 (8.800) Opfer tot unter den Trümmern, 6.000 Überlebende noch in der Stadt, 10.000 im Kohnstein und 20.000 in den umliegenden Dörfern, besonders nordöstlich der Stadt.<ref> Manfred Schröter: ''Die Zerstörung Nordhausens''. Nordhausen: Meyenburg-Museum, 1988. S. 30 </ref> Am 8. April flogen 6 Jagdbomber noch einen Tagesangriff nach Zielmarkierung auf Nordhausen, parallel zu dem Bombardement auf [[Sondershausen]]. Am 10. April näherten sich US-Panzer aus Richtung [[Hain (Kleinfurra)|Hain]] dem Süden der Stadt und nahmen ihn unter Feuer, darunter die Trümmer der Boelcke-Kaserne.<ref> Manfred Schröter: ''Die Zerstörung Nordhausens''. Nordhausen: Meyenburg-Museum, 1988. S. 37 </ref><br />
<br />
== Nachwirkungen ==<br />
Insgesamt waren vom britischen Bomber Command 2.386 Tonnen und von der 8. US Air Force 296 Tonnen Bombenlast auf Nordhausen abgeworfen worden.<ref> Olaf Groehler: ''Bombenkrieg gegen Deutschland''. Berlin: Akademie-Verlag, 1990. S. 449 </ref><br />
Eine der am längsten nachwirkenden Folgen der Luftangriffe für die Bürger der Stadt blieben Hunderte von Blindgängern aller Kaliber: zwischen den Trümmern der Stadt und im Erdreich der Straßen, Gärten und Felder. In den ersten Jahren machten sich die Feuerwerker Jochen Nebel und Albin Diebler sehr verdient um die Entschärfung gefundener Bomben, ab 1962 der - deshalb zum Ehrenbürger ernannte - Helmut Zinke. Im Stadtgebiet wurden 1948 bis 1953 etwa 100 Bomben entschärft, dann 248 Blindgänger von 1954 bis 1999 entzündet und geräumt.<ref>Walter Geiger: ''Nordhausen im Bombervisier''. Nordhausen, 2000. S. 263-264 </ref> <br />
<br />
Noch 2014 gilt eine Verordnung in Nordhausen, nach der jeder Bürger, der bauen will, sicherstellen muss, dass unter seinem Grund und Boden kein Gefahrgut liegt.<ref>Katja Dörn: ''Die Gefahr rostet im Thüringer Boden''. Thüringische Landeszeitung, 12. Dezember 2014 </ref><br />
<br />
Auswahl weiterer Funde von Blindgängern:<br />
* 1996: 250-Kilogramm-Blindgänger wird gesprengt<br />
* 2008: 227-Kilogramm-Bombe in der Altstadt<br />
* 2010: Fünf-Zentner-Bombe am [[Taschenberg]] entdeckt, 4.500 Menschen wurden evakuiert, Bombe konnte nicht entschärft werden<br />
* Juni 2016: Kontrollierte Sprengung einer 800-Kilogramm-Bombe, Leimbach und Steigerthal mussten geräumt werden (1.080 Einwohner) <br />
* Dezember 2016: Fünf-Zentner-Bombe am [[Strohmühlenweg]], ca. 1000 Einwohner, so auch die Hochschule Nordhausen, wurden evakuiert<br />
* September 2017: Bombe auf einem Feld in der [[Windlücke]], ca. 3000 Einwohner evakuiert, Bombe entschärft<ref>https://www.nnz-online.de/news/news_lang.php?ArtNr=219719</ref><br />
* Oktober 2018: Bombe in der Windlücke, ca. 3000 Einwohner evakuiert, Bombe entschärft<ref>https://www.nnz-online.de/news/news_lang.php?ArtNr=243515</ref><br />
* November 2018: Bombe in Bielen, 1.1000 Einwohner wurden evakuiert (Sperrzone 1 Kilometer), Bombe entschärft<br />
* August 2019: 225-Kilogramm-Bombe an der [[Zorge]], 2.500 Einwohner wurden evakuiert (Sperrzone 500 Meter), Bombe entschärft und Zünder gesprengt<br />
* November 2019: 225-Kilogramm-Bombe am [[Stadttheater]], ca. 15.000 Einwohner wurden evakuiert (Sperrzone 1 Kilometer), Bombe entschärft und Säurezünder gesprengt. Es war die größte Evakuierungsaktion in Nordhausen nach dem Zweiten Weltkrieg.<ref>MDR, 8. November 2019</ref><br />
<br />
== Rezeption ==<br />
[[Datei:Nordhausen mahnt 1949.jpg|thumb|200px|Werbeplakat zur Ausstellung „[[Nordhausen mahnt - Ausstellung vom 6. bis 27. März 1949|Nordhausen mahnt]]“ im März 1949]]<br />
Luftangriffe waren im Zweiten Weltkrieg für alle Kriegsparteien zum entschiedenen strategischen Kriegskonzept geworden. Die Westalliierten glaubten durch die planmäßige und massive Zerstörung deutscher Städte, vor allem der Wohngebiete der Industriearbeiter, die Moral und den Widerstandswillen der Bevölkerung zu brechen und den Krieg schneller beenden zu können.<ref>Johannes Volker Wagner: ''Bomben auf Bochum''. S. 3.</ref> Im Januar 1943 einigten sich Großbritannien und die Vereinigten Staaten in Casablanca auf die Forderung nach bedingungsloser Kapitulation des Deutschen Reiches und auf eine weitere Verschärfung des Bombenkrieges. Zu dieser Zeit war die deutsche Luftabwehr längst nicht mehr in der Lage, das Reichsgebiet zu verteidigen. Die Alliierten erreichten ihr Ziel der Demoralisierung nicht, und viele Deutsche klammerten sich in Verzweiflung an die Hoffnung auf einen „Endsieg“.<br />
<br />
<!-- Auszug aus „Winston Churchill“. Der späte Held, eine Biographie von Thomas Kielinger, erschienen im Verlag C.H. Beck, Kapitel XY, Seite 301 ff.: Nach dem Kriege stand eine andere Verantwortung Churchills im Vordergrund – „für die Vernichtung von nahezu 60 der größten Städte Deutschlands“. „Mit dem Untergang Dresdens sind auch nachdenkliche Briten bis heute nicht fertig. Die Zweifel, ob die Zerstörung dieser und anderer Städte so kurz vor dem nahen Kriegsende zu rechtfertigen war, haben sich längst zu dem Urteil verdichtet: Sie war es nicht! ... Hilft es zur Erklärung darauf hinzuweisen, dass in der Schlussphase des Krieges deutsche V1- und V2-Waffen weiterhin Zerstörung auf Antwerpen, Paris und London regnen ließen? Eine V2 schlug noch am 27. März 1945 im Osten Londons ein und tötete 134 Menschen. Die britische öffentliche Meinung hätte es nicht verstanden, wenn die mili-tärische Führung auf Schonung des Gegners geschaltet hätte, wo dieser bis zum Ende Vernichtung spie.“<br />
<br />
„Aber die alte Frage bleibt, die Lothar Kettenacker 2003 in dem Sammelband „Ein Volk von Opfern?“ noch einmal stellte – „ob der Zweck die Mittel heiligt, ob die Beseitigung einer unheilvollen Diktatur die rücksichtslose Bombardierung der Bevölkerung rechtfertigt. Unbehagen äußerte Churchill selbst schon 1943, als ihm Bilder von den Auswirkungen der Bomben in Deutschland vorgelegt wurden ...“ Der Australier Ricard Casey, der an den Sitzungen des britischen Kriegsrates ... teilnahm, schrieb am 27. Juni 1943 in sein Tagebuch: „Es wird ein Film gezeigt über das nächtliche Bombardement einer deutschen Stadt, und plötzlich richtet sich Churchill steil in seinem Sessel auf und sagt zur mir: ‚Sind wir Bestien? Gehen wir nicht zu weit? <br />
<br />
Churchills Meinungen zum Bombenkrieg gegen Deutschland schwankten. Nach der Zerstörung Dresdens begegnet man bei ihm, spät, einer eindeutigen Ablehnung, so in dem berühmten Memorandum vom 28. März 1945:‚Der Moment scheint mir gekommen, wo die Frage der Bombardierung deutscher Städte zum Zwecke der Erhöhung des ''''terrors'''' (in Englisch mit der Bedeutung von Angst und Schrecken) auch wenn wir andere Vorwände nennen, überprüft werden sollte... Es ist nötig, dass wir uns mehr auf militärische Ziele konzentrieren wie Öllager und Kommunikationszentren hinter der unmittelbaren Kampfzone, statt auf Akte des reinen terrors und der mutwilligen Zerstörung’.“<br />
„Nicht umsonst nannte man Harris auch den ‚butcher’, den Metzger. . . Schon Max Hastings (stockkonservativer Historiker) nannte in seinem Klassiker von 1979 ‚Bomber Command’ die Auslöschung deutscher Städte noch im Frühjahr 1945 ‚einen bleibenden Schandfleck’,“ soweit Kielinger. Nach Kriegsende zog sich Harris verbittert nach Südafrika zurück, weil er sich nicht gebührend geehrt vorkam. Luftangriffe hatte Harris als „relativ humane Methode“ bezeichnet. Butcher wurde er nicht wegen der zivilen Bombenopfer in Deutschland genannt, sondern weil 55 000 Angehörige des Bomber Command vom Feindflug nicht heimkehrten – jeder zweite Pilot und Bordschütze. --><br />
<br />
Im März 1945 hatte sich das Angriffstempo der US-Streitmacht im Vergleich zu den Vormonaten verlangsamt.<ref name="Gewiger158">Geiger: ''Nordhausen im Bombenvisier''. S. 158 f.</ref> Um dennoch den Stoß in das Zentrum Deutschlands als strategisches Ziel zügig fortzuführen, waren die Westalliierten zum Einsatz aller Mittel entschlossen, auch in Anbetracht eventuell noch bevorstehender Kämpfe und Widerstand im Südharz. Die Stadt Nordhausen erhielt daher militärische Bedeutsamkeit für die 1. US-Armee, auch wegen des Verschiebebahnhofs für Truppenbewegungen. Der unterirdische Rüstungsbetrieb im [[Kohnstein]] und das [[Konzentrationslager Mittelbau]] wurden dagegen nie zu Zielen von Luftangriffen. <br />
<br />
Nordhausen und Umgebung wurden Ende 1944 von britischen Fernaufklärern nachts unter tagheller Beleuchtung durch Magnesiumbomben sorgfältig aus der Luft fotografiert.<ref>Manfred Schröter: ''Die Zerstörung Nordhausens''. Nordhausen 1988, S. 55</ref> Die Bombardierung von Nordhausen wurde am 2. April 1945 vom Alliierten Oberkommando (SHAEF) befohlen.<ref name="Gewiger158"/> Gefordert wurde ein Angriff zur Unterstützung der 1. US-Armee mit Priorität zur frühestmöglichen Gelegenheit. Einige Tage zuvor wurde vom SHAEF die Zerstörung durch die RAF beschlossen.<ref>Manfred Schröter: ''Die Zerstörung Nordhausens''. Meyenburg-Museum Nordhausen, 1988, S. 54–55</ref><br />
<br />
Dieses, geführt von Luftmarschall Arthur Harris, erteilte am 2. April den unmittelbaren Befehl für einen Doppelschlag an zwei Tagen.<ref>Walter Geiger: ''Nordhausen im Bombervisier''. Nordhausen 2000, S. 108–109</ref> Der Zweck der RAF-Angriffe im April 1945 bestand darin, den Weg für einen ungehinderten Vormarsch von der im Südharzer Raum erwarteten Gegenwehr freizumachen. 3.466 britische Soldaten sollten als fliegendes Personal an den Angriffen teilnehmen. Ihnen wurde als Ziel des Angriffs erklärt: „To kill military and Nazi personnel evacuated from Berlin to these barracks“ (gemeint das Areal der Boelcke-Kaserne und die Stadt Nordhausen).<ref>Geiger: ''Nordhausen im Bombenvisier''. S. 121 </ref><br />
<br />
<!-- Bitte Quelle angeben!(Wie aus dem Text eindeutig hervorgeht: Der genannte Journalist und Gesprächspartner Dr. Meyers!) Der gebürtige Nordhäuser [[Manfred Neuber]], als Journalist von 1960 bis 1963 in London und New York, recherchierte als erster bei der Royal Air Force und der US Air Force über die Luftangriffe auf Nordhausen. Aus den detaillierten Angaben ging hervor, dass allein Bomber der Royal Air Force Nordhausen angegriffen hatten. Die SED-Propaganda hatte behauptet, es habe sich um „amerikanische Terrorangriffe“ gehandelt. So stand es auch Jahre auf der Gedenkstele für die Opfer der Luftangriffe neben dem Alten Rathaus. Neuber hatte Gelegenheit, im Jahre 1964 in Bad Lauterberg mit Dr. [[Herbert Meyer]], Oberbürgermeister Nordhausens vor Kriegsende 1945, über die Bombenangriffe zu sprechen. Dabei widerlegte Meyer noch Jahre nach dem Kriege kursierende Gerüchte, die Luftangriffe hätten eigentlich der Stadt Gotha gelten sollen. Weil die Verantwortlichen dort kapituliert hätten, sei Nordhausen angegriffen worden, weil es nicht ebenso gehandelt habe. Meyer versicherte, es habe keine Aufforderung zur Übergabe der Stadt gegeben. Zum Zeitpunkt der Luftangriffe standen die US-Panzerspitzen noch im Raume Kassel. --><br />
<br />
=== Vermutungen und Gerüchte über den Großangriff ===<br />
<br />
* Nordhausen soll Aufforderung zur kampflosen Übergabe ausgeschlagen haben.<br />
** Der Nordhäuser Oberbürgermeister bei Kriegsende, [[Herbert Meyer]], widersprach dieser Darstellung in einem Gespräch mit dem Journalisten Manfred Neuber um 1964 in Bad Lauterberg: „An die Stadtverwaltung ist niemals bis zu den Angriffen eine Aufforderung der Amerikaner ergangen, Nordhausen zur offenen Stadt zu erklären. Ich möchte bezweifeln, dass sie an Kreisleiter Nentwig ergangen ist.“<ref name="Sting252">Heinz Sting: ''Das 1000-jährige Nordhausen und der schöne Südharz''. Hannover: Nordhäuser Heimatfreunde, 1965. S. 252.</ref><br />
<br />
* Nordhausen wurde durch die US-Luftwaffe zerstört.<br />
** Es ist unbestritten und belegt, dass britische Bomber die Stadt zerstörten. „Die Einsatzbefehle der 8. US-Luftflotte sahen weder am 3. noch am 4. April 1945 Nordhausen als Ziel vor. Die Operationsberichte der 8. Luftflotte geben auch keinen Großangriff auf Nordhausen an einem dieser beiden Tage an. Der Hauptzielplan für die amerikanischen Heeresflieger in Europa während des Zweiten Weltkrieges führt ebenfalls keinen Angriff auf Nordhausen im April 1945 auf“, teilte das amerikanische Aerospace Studies Institute auf Anfrage des Journalisten Manfred Neuber zu Beginn der 1960er Jahre schriftlich mit. „Aus anderen Quellen ist zu entnehmen“, gab der Leiter für geschichtliche Studien an diesem Institut der US Air Force University auf der Maxwell Air Base in Montgomery/Alabama, bei den Recherchen des Journalisten zu Protokoll, „dass am 3.und 4 .April 1945 vom Bomber Command der Royal Air Force schwere Angriffe auf Nordhausen geflogen wurden.“ Diese Angaben wurden von der Air Historical Branch im britischen Verteidigungsministerium (damals noch Ministry of War) dem Rechercheur bestätigt. Alle<br />
hier aufgeführten Originaldokumente wurden dem Stadtarchiv Nordhausen übergeben.<br />
<br />
* Nordhausen wurde anstelle Gothas bombardiert.<br />
** Diese Behauptung wurde u. a. von [[Kurt Kohlmann]] aufgestellt. So berichtete er von zwei US-Offizieren, die entsprechende Aussagen getätigt haben sollen: „Sie erzählten mir, der Kreisleiter von Nordhausen sei dreimal aufgefordert worden zu kapitulieren. Nachdem die Faschisten das dritte Mal abgelehnt hatten, sei ein auf Gotha angesetzer US-amerikanischer Bomberverband nach Nordhausen umgeleitet worden.“<ref name="Rudloff138">Jost-Dieter Rudloff: ''Warum wurde Nordhausen eine Woche vor Kriegsende 1945 in Brand gesetzt? Informationen und Überlegungen''. In: ''Beiträge zur Geschichte aus Stadt und Kreis Nordhausen (Band 44/2019)'', S. 138.</ref> Dies wurde ebenfalls von Herbert Meyer als unglaubwürdig zurückgewiesen.<ref name="Sting252"/><br />
<br />
* Nordhausen wurde wegen der Raketen-Produktion im Kohnstein bombardiert.<br />
** Den Alliierten war bekannt, dass sich im Kohnstein ein Rüstungsbetrieb befand, nicht jedoch, dass dort die V-Waffen gefertigt wurden.<ref>Jürgen Möller: ''Konzentrationslager Mittelbau-Dora''. Bad Langelsalza 2018, S. 33.</ref> Der Kohnstein war wegen der Kriegsgefangenenlager kein Angriffsziel.<ref name="Rudloff138"/><br />
<br />
* Die Nordhäuser Bevölkerung sollte wegen dem Konzentrationslager Dora-Mittelbau bestraft werden.<br />
** Dies wird durch kein Dokument der Alliierten bestätigt.<br />
<br />
* Nordhausen wurde aus militärischen Gründen bombardiert.<br />
** Die Stadt war verkehrstechnischer Knotenpunkt und Mittelpunkt der Nordthüringer Rüstungsindustrie und wurde auch von der deutschen Armeeführung als wichtig wahrgenommen.<ref name="Rudloff140">Jost-Dieter Rudloff: ''Warum wurde Nordhausen eine Woche vor Kriegsende 1945 in Brand gesetzt? Informationen und Überlegungen''. In: ''Beiträge zur Geschichte aus Stadt und Kreis Nordhausen (Band 44/2019)'', S. 140.</ref> Für das US-Militär bildete die Stadt kein strategisches Ziel mehr.<ref name="Rudloff140"/> Die Stadt Nordhausen erhielt militärische Bedeutsamkeit für die Bodentruppen der 1. US-Armee, auch wegen des Verschiebebahnhofs für Truppenbewegungen. Die Schonung der Rüstungsbetriebe mit ihrem Personal ergab sich aus der Hoffnung, möglichst viele Waffen und Fachkräfte zu erbeuten.<ref name="Rudloff140"/> Es gibt keinen Hinweis darauf, dass Nordhausen aus militärischen Gründen bombardiert wurde.<ref name="Rudloff140"/><br />
<br />
== Aufarbeitung und Gedenken ==<br />
=== 1945 bis 1990 ===<br />
==== DDR ====<br />
Bis zur Wiedervereinigung hielt sich die Behauptung, die United States Air Force habe Nordhausen am 3. und 4. April 1945 bombardiert. Zum einen wurde der US-Luftwaffe vorgehalten, dass die Angriffe auf Nordhausen ein Akt blinder Zerstörung und militärischer sinnlos gewesen seien, da das Ende des Dritten Reiches absehbar war. Andererseits wurde mit der „Gotha-Legende“ behauptet, dass Nordhausen bis zum Letzten verteidigt werden sollte und es deshalb zum Luftangriff kam. Damit wurde die Verantwortlichkeit für das Bombardement wahlweise den lokalen NS-Amtsträgern oder den USA zugeschrieben. <br />
<br />
Ein Interesse an einer realistischen Rekonstruktion hatte die SED auch aufgrund der Situation des Kalten Krieges nicht.<br />
Zum 40. Jahrestag der Luftangriffe wurde in der Lokalpresse erstmals von „250 britischen Lancaster-Maschinen“ gesprochen.<ref>„Die Zerstörung Nordhausens - Mahnung und Verpflichtung“, ''Das Volk'', 2. April 1985.</ref> Eine Revision der Geschichte fand jedoch nicht statt, und auch danach war mitunter vom „Zerstörungsangriff amerikanischer Bomber“ die Rede.<ref>''Unser Aktuelles Argument'', April 1985.</ref> Für die in der DDR-Propaganda kolportierte öffentliche Erinnerung erklärt sich aus dem politischen Bedürfnis, die „imperialistischen“ Angreifer als möglichst grausam und skrupellos erscheinen zu lassen, im Sinne antiamerikanischer Propaganda.<ref name="Winter63">Winter: ''Öffentliche Erinnerungen an den Luftkrieg in Nordhausen 1945 - 2005''. Marburg: Tectum-Verl., 2010. S. 63.</ref> <br />
Mit Verweis auf die Luftangriffe auf Nordhausen wurde auf tatsächliche oder vermeintliche aktuelle militärische Bedrohungen oder Konflikte Bezug genommen, z. B. auf den Vietnamkrieg. <br />
<br />
Insgesamt war die Nordhäuser Luftkriegserinnerung gekennzeichnet von einer eigentümlichen „Verwischung der Grenze zwischen Faktizität und Fiktionalität“, die nach dem Historiker Martin Sabrow typisch für das Geschichtsdenken in der DDR war.<ref>Martin Sabrow: ''Einleitung - Geschichtsdiskurs und Doktringesellschaft'', Potsdam: Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam (ZZF), 2000. S. 24.</ref><br />
<br />
Der Versuch einer wirklichen Aufarbeitung in der DDR wurde erstmals 1985 angestoßen, als [[Manfred Schröter]] anlässlich des 40. Jahrestages eine Publikation veröffentlichen wollte. Darin wurde dargelegt, dass die RAF und nicht die USAF für den Angriff im April 1945 verantwortlich gewesen war. Nachdem Schröters Buch nach Begutachtung und Korrektur durch den Historiker Olaf Groehler sowie der SED-Kreisleitung und Bezirksleitung in Druck gegangen war, konfiszierte die Kreisleitung am 29. März 1985 die gesamte Auflage und verhinderte eine Veröffentlichung.<ref name="Winter62">Winter: ''Öffentliche Erinnerungen an den Luftkrieg in Nordhausen 1945 - 2005''. Marburg: Tectum-Verl., 2010. S. 62.</ref> Vorausgegangen war ein öffentlicher Vortrag Schröters am 14. März 1985, in dem er seine Ergebnisse (im Beisein von Stasi-Spitzeln) vorstellte.<br />
<br />
Das Gedenken an die Luftangriffe wurde zu DDR-Zeiten auch stark mit dem Wieder- bzw. Neuaufbau der Stadt verwoben. In den ersten Jahren nach dem Krieg wurde vor allem zur Mithilfe agitiert, um durch das „Aufbauwerk“ einer „glücklichen, friedlichen und sonnigen Zukunft“ entgegenzutreten.<ref>„Aufbauerfolge dürfen nicht preisgegeben werden,“ ''Das Volk'', 7. April 1953.</ref> Ab Ende der 1950er Jahre verwies die SED auf die bisher erzielten Erfolge. Zum 40. Jahrestag der Bombardierung 1985 behauptete Oberbürgermeister [[Peter Heiter]], dass die Jahre des Sozialismus die erfolgreichsten in der über tausendjährigen Stadtgeschichte gewesen seien und verwies auf die Rolle der Partei als entscheidender Faktor für das Erreichte.<ref name="Winter81">Winter: ''Öffentliche Erinnerungen an den Luftkrieg in Nordhausen 1945 - 2005''. Marburg: Tectum-Verl., 2010. S. 100.</ref> <br />
Ein wichtiges Großereignis war die Instandsetzung des [[St.-Petri-Kirche|Petri-Turms]] mit einer neuen Turmspitze zum 42. Jahrestag 1987 als „wiedererstandendes Wahrzeichen“.<ref>„Kupferhelm für den Petritum“, ''Das Volk'', 7. April 1987.</ref><br />
In der Festschrift (1050 Jahre Nordhausen", 1977 herausgegeben vom Magistrat, heißt es: "Für den ausgesprochenen Terrorcharakter der<br />
anglo-amerikanischen Luftangriffe spricht auch, dass die Hauptstraßen des Schienen- und Straßenverkehrs funktionstüchtig blieben und die<br />
militärischen Anlagen der Stadt, insbesondere das Flugplatzgelände, weiter den Machthabern des Dritten Reiches für ihre verbrecherische <br />
Politik zur Verfügung standen."<br />
Die Festschrift hebt hervor: "Das heutige Nordhausen entwickelt sich dank der schöpferischen und angestrengten Arbeit der Arbeiterklasse<br />
und aller Bürger unserer Stadt, auf festen sozialistischen Fundamenten. Ständig entsteht Neues, man braucht sich nur umzuschauen."<br />
Dagegen bemerkte das "Bad Lauterberger Tageblatt" (Ausgabe vom 3./4. April 1985, Seite 3): "Der Wiederaufbau Nordhausens begann<br />
erst sehr spät und sehr schleppend. Noch immer bildet der alte Stadtkern eine weithin kahle Fläche."<br />
<br />
==== BRD ====<br />
<br />
In der Bundesrepublik wurde das Gedenken von dem Verein [[Nordhäuser Heimatfreunde]] getragen. Die erste gedruckte Ausgabe der Vereinszeitung ''[[Nordhäuser Nachrichten]]'' widmete sich der Zerstörung Nordhausens und auch in den folgenden Jahren bildete es ein wiederkehrendes Themenfeld mit zahlreichen Erlebnisberichten. Die Rolle des Vereinsvorsitzenden und früheren Nordhäuser NSDAP-Oberbürgermeisters [[Heinz Sting]] zum Gedenken wird kritisch gesehen.<ref name="Winter83">Winter: ''Öffentliche Erinnerungen an den Luftkrieg in Nordhausen 1945 - 2005''. Marburg: Tectum-Verl., 2010. S. 83 ff.</ref> So sei Sting zwar bemüht gewesen, klarzustellen, dass nicht die US-Luftwaffe die Stadt bombardierte, doch zeigte er sich auch bestrebt, die Rolle des Nationalsozialismus zu relativieren.<br />
<br />
Diese historischen Fakten hatte der Journalist [[Manfred Neuber]] schon vor 1965 in US- und britischen Archiven ermittelt und publiziert (''Bad Lauterberger Tageblatt'' um 1964 und am 3./4. April 1985 in „Das Drama von Nordhausen“, in der ''Herzberger Zeitung'' und im späteren ''HarzKurier'' in Herzberg, im ''Göttinger Tageblatt'' sowie Erwähnung in den ''Nordhäuser Nachrichten'').<br />
[[Herbert Meyer]], Oberbürgermeister Nordhausens in den letzten Kriegstagen und später Stadtdirektor in Bad Lauterberg, versicherte Manfred Neuber 1964 in einem Gespräch über dessen Recherchen in Großbritannien und in den USA, die Stadt Nordhausen habe keine Aufforderung der Alliierten erhalten, Nordhausen zur offenen Stadt zu erklären. Eine Entscheidung darüber hätte auch nicht in seiner Kompetenz gelegen: „Ob eine solche Aufforderung an den Kreisleiter Hans Nentwig ergangen ist und ob dieser sich geweigert hat, ihr nachzukommen, weiß ich nicht. Ich möchte es aber bezweifeln“, erklärte Meyer (Originalzitat in den Aufzeichnungen über das Treffen). Der NSDAP-Kreisleiter [[Hans Nentwig]] hatte das Bombardement in seiner Ausweich-Befehlsstelle unbeschadet überstanden. Er lebte in der Nachkriegszeit in Katlenburg. Von der marxistischen Geschichtsschreibung in der DDR wurde ihm wegen „seiner verbrecherischen Durchhalte-Politik“ eine Hauptschuld an der Zerstörung Nordhausens zugeschrieben.<br />
<br />
=== Seit 1990 ===<br />
<br />
Der 50. Jahrestag der Luftangriffe 1995 wurde mit einer Gedenkwoche unter der Losung „Nordhausen 1945: Erinnerung – Trauer – Mahnung“ weitaus größer begangen als die Jahre zuvor. 1993 hatte das Stadtarchiv angekündigt, diverse Maßnahmen einzuleiten, um ein würdiges Gedenken zu gewährleisten. Darunter zählte das Sammeln von Zeitzeugenberichten, realisierte Veranstaltungen und Projekte sowie die Planung einer Publikation zum Thema. Am 30. März 1995 wurde eine Metallplastik auf der oberen Plattform des Petri-Turms enthüllt und einen Tag später eine Ausstellung mit Fotos und Dokumenten eröffnet. Zudem erschien unter der Leitung des Stadtarchivars [[Peter Kuhlbrodt]] das Buch ''[[Schicksalsjahr 1945 – Inferno Nordhausen]]''. In den folgenden Tagen wurde ein ökumenischer Gedenkweg abgehalten, es gab Kranzniederlegungen am Gedenkstein auf dem Hauptfriedhof, dem Ehrenfriedhof und an der Boelcke-Kaserne. Begleitet wurde das Gedenken mit einer umfassenden Berichterstattung in der Presse, die auch überregional wirkte. <br />
<br />
Nach dem Jahr 1995 wurden die Jahrestage der Luftkriegserinnerung weitaus kleiner begangen.<ref name="Winter100"/> Ab Ende der 1990er Jahre erfolgte wieder eine allgemeine Repolitisierung der Luftkriegserinnerung.<ref name="Winter100">Winter: ''Öffentliche Erinnerungen an den Luftkrieg in Nordhausen 1945 - 2005''. Marburg: Tectum-Verl., 2010. S. 100.</ref> Es zeigte sich, dass sich die öffentliche Erinnerung mehr auf gegenwärtige Ereignisse als auf die Jahre des Zweiten Weltkrieges zu beziehen schien; so werden stärkere Bezüge zu außenpolitischen Themen<ref>Winter: ''Öffentliche Erinnerungen an den Luftkrieg in Nordhausen 1945 - 2005''. Marburg: Tectum-Verl., 2010. S. 101.</ref> oder Exkurse zum Rechtsextremismus hergestellt.<ref>[https://www.nnz-online.de/news/news_lang.php?ArtNr=108899 Zum Umgang mit der Bombardierung], nnz-online, 3. April 2012.</ref> Im Vergleich zu DDR-Zeiten wurde das Spektrum der Erinnerungsakteure erweitert, und vor allem die Kirche rückte in den Vordergrund. <br />
<br />
Seit den 2000er Jahren wird der Jahrestag der Luftangriffe mit der üblichen Kranzniederlegung an der Gedenkstele am Rathaus begangen. Seit 2017 werden statt Kränzen weiße Rosen niedergelegt.<ref>[https://www.nnz-online.de/news/news_lang.php?ArtNr=209936 Gedenken an der Stele], nnz-online, 3. April 2018.</ref> Im Gegensatz zu DDR-Zeiten werden Schuldzuweisungen an die Westalliierten weniger offen aggressiv und ideologisch untermauert vorgebracht.<ref>Winter: ''Öffentliche Erinnerungen an den Luftkrieg in Nordhausen 1945 - 2005''. Marburg: Tectum-Verl., 2010. S. 110.</ref><br />
<br />
=== Denkmäler ===<br />
[[File:Denkmal Bombenangriffe Nordhausen - Mai 2015.JPG|200px|thumb|Mahnmal am Alten Rathaus]]<br />
[[File:Gedenkstein Nordhausen.jpg|mini|200px|Gedenkstein am Massengrab für 600 Bombenopfer auf dem [[Zentralfriedhof an der Leimbacher Straße|Alten Friedhof]]]]<br />
* Mahnmal für die Opfer der Bombardierungen vor dem [[Altes Rathaus|Alten Rathaus]]: 1950 wurde ein Gedenkstein und eine Flammenschale am Sockel des früheren [[Lutherdenkmal]]s angebracht. Es trug die Inschrift: „4.4. 1945 - Zerstörung Nordhausens durch amerikanische Bomber - 8800 Opfer klagen an“ (''Amerikanische'' Bomber war falsch). 1969 wurde dieses Denkmal durch eine Säule des Künstlers Jürgen von Woyski ersetzt.<br />
* Auf dem [[Ehrenfriedhof]] westlich des ''Stresemann-Rings'' befindet sich ein 1999 umgestaltetes Denkmal in Erinnerung an die hier in Massengräbern beigesetzten über 1.600 KZ-Häftlinge, zum größten Teil Opfer der Luftangriffe auf die Boelcke-Kaserne am 3. und 4. April 1945. Viele Nordhäuser zivile Bombenopfer und Soldaten wurden auf dem nördlichen Teil des Sonderfriedhofs, des jetzigen Ehrenfriedhofs, oberhalb des Denkmals in Massengräbern beerdigt.<ref>Manfred Schröter: ''Die Zerstörung Nordhausens''. Nordhausen: Meyenburg-Museum, 1988. S. 59</ref><br />
* Auf dem ''Hauptfriedhof'' findet sich ein Denkmal, das die zusammenfassende Inschrift trägt: „Zum Gedenken an die Gefallenen und Vermissten beider Weltkriege, die Toten der Bombenangriffe, die Opfer aller Gewaltherrschaft. Die Bürger der Stadt Nordhausen“. Links seitlich von dem Denkmal, vor dem begrenzenden Zaun, wurde eine größere Anzahl von Bombentoten in Gemeinschaftsgräbern beigesetzt.<ref> Manfred Schröter: ''Die Zerstörung Nordhausens''. Nordhausen: Meyenburg-Museum, 1988. S. 59-60 </ref> Dort stehen noch einige große Kreuze, die wohl darauf hinweisen.<br />
<br />
== Zitate ==<br />
<br />
* „Das Ausmaß des Schreckens, der Verwüstung und des Todes, von dem unsere Stadt an jenen Apriltagen erfasst wurde, macht sie praktisch zu einem Synonym für die japanischen Städte Hiroshima und Nagasaki. Denn vergleicht man auf Airfotos ihre zerstörten Zentren, so lässt sich schwerlich ein gradueller Wirkungsunterschied erkennen.“ – ''[[Walter Geiger]]: [[Nordhausen im Bombenvisier]], S. 154.''<br />
* „Nordhausen wurde am 3. und 4. April 1945 zerstört, weil der ehrgeizige britische Luftmarschall Sir Arthur Harris dem britischen Volk und den Alliierten zeigen wollte, dass sein "Bomber Command" das Handwerk des Tötens von deutschen Menschen perfektioniert hatte. Er löste einen furchtbaren Flächenbrand aus mit den stärksten Mitteln, die ihm zur Verfügung standen. Besonders verwerflich ist, dass er die Bombenziele auf die Nordhäuser Altstadt konzentrierte. Infam ist auch, dass er noch in den letzten Kriegstagen die Altstadt von Nordhausen mit einer nie vorher verwendeten Bomben-Mischung auslöschte. Er handelte trotzig wie ein Kind, dem man das Spielzeug wegnehmen will. Harris wollte sich in letzter Stunde in Nordhausen ein Denkmal aus Leichen und Ruinen setzen.“ – ''[[Jost-Dieter Rudloff]]: Warum wurde Nordhausen eine Woche vor Kriegsende 1945 in Brand gesetzt? Informationen und Überlegungen. In: [[Beiträge zur Geschichte aus Stadt und Kreis Nordhausen (Band 44/2019)]], S. 141.''<br />
<br />
== Literatur ==<br />
*Jost-Dieter Rudloff: ''Warum wurde Nordhausen eine Woche vor Kriegsende 1945 in Brand gesetzt? Informationen und Überlegungen''. In: ''[[Beiträge zur Geschichte aus Stadt und Kreis Nordhausen (Band 44/2019)]]''.<br />
*Harald Rockstuhl (Hrsg.): ''[[Nordhausen – Luftbild-Atlas 1935–1945]]''. Bad Langensalza: Verlag Rockstuhl, 2017. ISBN 978-3959662833<br />
*[[Walter Geiger]]: ''[[Nordhausen im Bombervisier]]''. Nordhausen: Neukirchner, 2000. ISBN 3-929767-43-0<br />
*Olaf Groehler: ''Bombenkrieg gegen Deutschland''. Berlin: Akad.-Verl., 1990. ISBN 3-05-000612-9<br />
*[[Peter Kuhlbrodt]]: ''[[Inferno Nordhausen – Schicksalsjahr 1945]]''. Nordhausen: Archiv der Stadt Nordhausen, 1995. ISBN 3-929767-09-0<br />
*[[Martin Clemens Winter]]: ''[[Öffentliche Erinnerungen an den Luftkrieg in Nordhausen 1945 - 2005]]''. Marburg: Tectum-Verl., 2010. ISBN 9783828822214 <br />
*''Schicksale deutscher Baudenkmale im Zweiten Weltkrieg''. (Bd. 2) Berlin: Henschelverlag Kunst u. Gesellschaft, 1978.<br />
<br />
== Externe Verweise ==<br />
* [https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/1/1f/Nordhausen_concentration_camp_newsreel.webm Filmaufnahmen von der Boelcke-Kaserne (1945)]<br />
<br />
== Einzelnachweise ==<br />
<br />
<references/><br />
<br />
[[Kategorie:Geschichte]]</div>Latimer Rexhttps://nordhausen-wiki.de/index.php?title=Hermann_Hendrich&diff=15655Hermann Hendrich2020-02-08T11:59:12Z<p>Latimer Rex: /* Leben (Skizze) */</p>
<hr />
<div>{{Personendaten<br />
|NACHNAME=Hendrich<br />
|VORNAMEN=Hermann<br />
|ANFANGSBUCHSTABE=H<br />
|ALTERNATIVNAMEN=<br />
|PERSON=<br />
|KURZBESCHREIBUNG=Künstler, Maler, Lithograf<br />
|GEBURTSDATUM=geb. 31. Oktober 1864<br />
|GEBURTSORT=in Heringen/Helme<br />
|STERBEDATUM=gest. 18. Juli 1931<br />
|STERBEORT=in Schreiberhau<br />
|BILD=Hermann Hendrich - Nach dem Gemälde von Georg Meyn sw.jpg<br />
|COMMONS=Hermann Hendrich<br />
|BILDBESCHREIBUNG=Hendrich nach dem Gemälde von Georg Meyn<br />
|SONSTIGES=<br />
|PND=116701102<br />
}}<br />
'''Hermann Hendrich''' (geb. 31. Oktober 1854 in Heringen/Helme; gest. 18. Juli 1931 in Schreiberhau in Niederschlesien) war Künstler.<br />
<br />
== Leben (Skizze) ==<br />
[[Datei:NIBHAL2.jpg|thumb|''Freyas Garten'']]<br />
Hendrich absolvierte zunächst eine Lehre bei dem Lithographen [[Theodor Müller]] in Nordhausen. Später war er Schüler von Joseph Wenglein in München und Eugen Bracht in Berlin. <br />
<br />
Hendrich lebte und arbeitete in Berlin und Schreiberhau. Angeregt von den Werken des Komponisten Richard Wagner, schuf Hendrich vor allem Bilder zu deutschen Sagen. <br />
<br />
1906 veröffentlichte er die Autobiographie ''Mein Leben und Schaffen''. Er war Gründer des völkischen Werdandi-Bundes (1907-1914).<br />
<br />
== Werke ==<br />
* Zyklus von 12 Großgemälden zu ''Der Ring des Nibelungen'', Nibelungenhalle am Drachenfels bei Königswinter<br />
* Gemäldezyklus zu Goethes ''Faust'', Walpurgishalle am Hexentanzplatz bei Thale, erbaut von Bernhard Sehring nach einer Idee Hendrichs<br />
* Gemälde für die Sagenhalle in Schreiberhau<br />
<br />
== Ehrungen ==<br />
<br />
* Ehrenbürger von Heringen<br />
* Ehrenbürger von Thale am Harz<br />
* Hendrichplatz in Berlin<br />
<br />
== Weblinks ==<br />
{{Commonscat|Hermann Hendrich}}<br />
* {{DNB-Portal|116701102}}<br />
* [http://www.nibelungenhalle.de/ Nibelungenhalle Königswinter]<br />
* [http://www.nibelungen-hort.de/ Nibelungenhort-Förderverein des Malers Hermann Hendrich e.&nbsp;V.]<br />
* [http://www.goethezeitportal.de/index.php?id=2451 Walpurgishalle. Gemälde von Hermann Hendrich]<br />
<br />
[[Kategorie:Maler]]<br />
[[Kategorie:Geboren 1854]]<br />
[[Kategorie:Gestorben 1931]]</div>Latimer Rexhttps://nordhausen-wiki.de/index.php?title=Friedrich_Wilhelm_Wallroth&diff=15654Friedrich Wilhelm Wallroth2020-02-08T11:41:33Z<p>Latimer Rex: </p>
<hr />
<div>{{Stub}}<br />
{{Personendaten<br />
|NACHNAME=Wallroth<br />
|VORNAMEN=Karl Friedrich<br />
|ANFANGSBUCHSTABE=W<br />
|ALTERNATIVNAMEN=Dr. Karl Friedrich Wilhelm Wallroth<br />
|SORTIERUNG=Wallroth, Karl Friedrich<br />
|KURZBESCHREIBUNG=Artzt, Botaniker, Mykologe<br />
|GEBURTSDATUM=13. März 1792<br />
|GEBURTSORT=in Breitenstein<br />
|STERBEDATUM=22. März 1857<br />
|STERBEORT=in Nordhausen<br />
|BILD=<br />
|COMMONS=<br />
|BILDBESCHREIBUNG=<br />
|SONSTIGES=<br />
|PND=100689957<br />
}}<br />
'''Karl Friedrich Wilhelm Wallroth''' (geb. 13. März 1792 in Breitenstein; gest. 22. März 1857 in Nordhausen) war ein Arzt, Botaniker und Mykologe.<br />
<br />
== Ehrungen ==<br />
<br />
*[[Wallrothdenkmal]] (auch ''Wallrothsäule'')<br />
<br />
== Werke ==<br />
<br />
* ''Geschichte des Obstes der Alten''. Hendels Verlag, Halle 1812 {{GBS|Of80AQAAIAAJ|PR1}}<br />
<br />
* ''Annus botanicus''. 1815<br />
<br />
* ''Schedulae criticae de plantis Florae Halensis selectis''. Halle, 1822<br />
**Band 1: {{GBS|I28-AAAAcAAJ}}<br />
<br />
* ''Orobanches generis Diaskeue''. Frankfurt a.M.: Willmans, 1825 {{GBS|Og9QAAAAcAAJ}}<br />
<br />
* ''Naturgeschichte der Flechten''. 2 Bände, 1825-1827<br />
**''Erster Theil. Von dem Flechtenlager im Allgemeinen.'' Friedrich Wilmans, Frankfurt am Main 1825 {{GBS|i_AVAAAAYAAJ|PR1}}<br />
**''Zweyter Theil. Physiologie und Pathologie des Flechtenlagers.'' Friedrich Wilmans, Frankfurt am Main 1827 {{GBS|RfIVAAAAYAAJ}}<br />
<br />
* ''Rosae plantarum generis historia succincta''. Nordhausen, 1828 {{GBS|Yg8AAAAAQAAJ}}<br />
<br />
* ''Naturgeschichte der Säulchen-Flechten; oder monographischer Abschluss über die Flechten-Gattung''. Eduard Zimmermann, Naumburg 1829 {{GBS|khAAAAAAQAAJ|PR1}}<br />
<br />
* ''Beiträge zur Botanik. Eine Sammlung monographischer Abhandlungen über besonders schwierige Gewächs-Gattungen der Flora Teutschlands''. 2 Bände, 1842-1844<br />
**''Erster Band''. Friedrich Hofmeister, Leipzig 1842 {{GBS|0eIXAAAAYAAJ}}, {{GBS|S3E-AAAAcAAJ}}<br />
<br />
== Literatur ==<br />
<br />
*Ernst Wunschmann: ''[[ADB:Wallroth, Karl Friedrich Wilhelm|Wallroth, Karl Friedrich Wilhelm]]''. In: ''Allgemeine Deutsche Biographie'' (ADB). Band 40. Duncker & Humblot, Leipzig 1896, S. 766–768.<br />
<br />
== Externe Verweise ==<br />
<br />
* [http://www.nordhausen.de/allgemein/cblock_lang.php?CBlNr=11522 Friedrich Wilhelm Wallroth (1792–1857) Nordhausens bedeutendster Botaniker]<br />
* [http://www.nnz-online.de/news/news_lang.php?ArtNr=36524 wiederhergestellte Stele zu Ehren Wallroths in Nordhausen]<br />
<br />
{{SORTIERUNG:Wallroth, Karl Friedrich}}<br />
[[Kategorie:Mediziner]]<br />
[[Kategorie:Botaniker]]<br />
[[Kategorie:Geboren 1792]]<br />
[[Kategorie:Gestorben 1857]]</div>Latimer Rexhttps://nordhausen-wiki.de/index.php?title=Karl_L%C3%BCtge&diff=15653Karl Lütge2020-02-08T11:39:04Z<p>Latimer Rex: /* Leben */</p>
<hr />
<div>{{Personendaten<br />
|NACHNAME=Lütge<br />
|VORNAMEN=Karl<br />
|ANFANGSBUCHSTABE=L<br />
|ALTERNATIVNAMEN=Karl Friedrich Luitpold<br />
|SORTIERUNG=Lütge, Karl<br />
|Person=<br />
|KURZBESCHREIBUNG=Schriftsteller, Journalist<br />
|GEBURTSDATUM=geb. 21. Dezember 1895<br />
|GEBURTSORT=in [[Nordhausen]]<br />
|STERBEDATUM=gest. 27. Juli 1965<br />
|STERBEORT=in Karlsruhe<br />
|BILD=<br />
|COMMONS=<br />
|BILDBESCHREIBUNG=<br />
|SONSTIGES=<br />
|PND=117298506<br />
}}<br />
'''Karl Lütge''' (geb. 21. Dezember 1895 in Nordhausen; gest. 27. Juli 1965 in Karlsruhe) war Journalist und Schriftsteller. Er schrieb auch unter dem Pseudonym ''Karl Friedrich Luitpold''.<br />
<br />
== Leben ==<br />
<br />
Karl Lütge wurde am 21. Dezember 1895 als Sohn eines Schuhfabrikanten in Nordhausen geboren. Er absolvierte eine kaufmännische Lehre in Quedlinburg und Nordhausen und studierte in Leipzig. Sein erster Roman „Das Schloß im Harz“ erschien 1916 in Berlin.<ref>[http://d-nb.info/580614948/about/html Katalog der Deutschen Nationalbibliothek]. Abgerufen am 23. Oktober 2012.</ref> Von 1920 bis 1924 war er Redakteur im Zeitschriften-Verlag Bernhard Meyer in Leipzig. Später wurde er freiberuflicher Schriftsteller und lebte in Leipzig und Nordhausen, ab 1933 in Berlin. 1922 erschien sein Schauspiel „Der Minutenkönig von Dalmatien“.<br />
<br />
1926 brachte er zusammen mit Fritz Brather aus Bad Frankenhausen (1880-1945) das vielgelesene Heimatbuch „Harz und Kyffhäuser“ heraus. 1926/27 verzeichnete ihn das Adreßbuch als Schriftsteller, Bahnhofstraße 24. Im Jahr 1939 erschien sein letzter Roman. Während des Zweiten Weltkrieges verfasste er u. a. Artikel für die ''Pariser Zeitung''.<br />
<br />
Er bereiste mehrere Länder und wurde nach 1945 Dozent an der Volkshochschule in Neustadt an der Orla. Es siedelte in die Bundesrepublik Deutschland über und lebte in Bad Wiessee am Tegernsee, zuletzt in Karlsruhe.<br />
<br />
== Werke ==<br />
*''Das Schloß im Harz'', Roman, 1916<br />
*''Der Flug zur Sonne'', Roman, 1917<br />
*''Die Hohensteinerin'', Roman, 1917<br />
*''Dämon Ehrgeiz'', Roman, 1918<br />
*''Sommerglück'', Roman, 1919<br />
*''Der ledige Lebemann''. Sittenroman, 1919<br />
*''Die vorn Film''. Sittenroman, 1920<br />
*''Zirkuskünstler'', Roman, 1921<br />
*''Das Geheimnis der Sackgasse. Zweites Abenteuer des Detektivs Lukas Hull'', 1921<br />
*''Der rätselhafte Storchnestklub. Viertes Abenteuer des Detektivs Lukas Hull'', 1921<br />
*''Sie war des andern'', Roman, 1923<br />
*''Um einen Mann. Die Tragödie einer ganzen Stadt'', Roman, 1924<br />
*''Die schönste Frau'', Roman, 1925<br />
*''Harz und Kyffhäuser'', mit Fritz Brather, 1926<br />
*''Um eine Frau'', Roman, 1927<br />
*''Der Lügenbuchhalter und andere ernste und heitere Geschichten'', 1928<br />
*''Bitte, Platz nehmen! Eine Fibel für Reisebeflissene'', 1929<br />
*''Einer aus der Rotte'', Roman, 1931<br />
*''Lotte bringt alles fertig'', Roman, 1935<br />
*''Vorn Großstadtjungen zum Waldläufer'', 1935<br />
*''Der Autotramp. Eine Skizze'', 1935<br />
*''Der Gefangene der Nus'', Roman, 1936<br />
*''Erika macht Umsatz. Jungmädchenerzählung'', 1936<br />
*''Berlin-Ostsee'', 1936<br />
*''Berlin-Aachen'', 1936<br />
*''Der Stein im Brief'', Roman, 1937<br />
*''Der Durchgänger'', 1937<br />
*''Der Goldschatz der Lappen'', 1937<br />
*''Die goldene Stirn'', Roman, 1938<br />
*''Die fremde Dame in der Nacht'', Roman, 1939<br />
<br />
=== Beiträge ===<br />
*''[[Die Finkenburg zu Nordhausen]]'', 1928<br />
* ''[[Zwischen Harz und Kyffhäuser. In der Reichsstadt Nordhausen – Geschichte und Gegenwart]]''. In: ''Pariser Zeitung'', Nr. 130, 12. Mai 1943.<br />
<br />
== Literatur ==<br />
<br />
* ''[[Nordhäuser Persönlichkeiten aus elf Jahrhunderten]]''. Horb am Neckar: Geiger, 2009. ISBN 978-3-86595-336-9<br />
<br />
== Externe Verweise ==<br />
<br />
* {{DNB-Portal|117298506}}<br />
* [http://www.thueringer-literaturrat.de/index.php?pageid=14&unitid=5062&PHPSESSID=0qpjni6jdhrlk1rjvo49o7p790 Karl Lütge - Autorenlexikon Thüringer Literaturrat]<br />
<br />
== Einzelnachweise ==<br />
<br />
<references/><br />
<br />
[[Kategorie:Journalist]]<br />
[[Kategorie:Geboren 1895]]<br />
[[Kategorie:Gestorben 1965]]</div>Latimer Rexhttps://nordhausen-wiki.de/index.php?title=Melchior_von_Aachen&diff=15652Melchior von Aachen2020-02-08T11:36:23Z<p>Latimer Rex: /* Leben */</p>
<hr />
<div>{{Personendaten<br />
|NACHNAME=Aachen<br />
|VORNAMEN=Melchior von<br />
|ANFANGSBUCHSTABE=A<br />
|ALTERNATIVNAMEN=<br />
|SORTIERUNG=Aachen, Melchior von<br />
|PERSON=1<br />
|KURZBESCHREIBUNG=Stadtschreiber, Dechant des Domstifts<br />
|GEBURTSDATUM=geb. um 1483<br />
|GEBURTSORT=in Nordhausen<br />
|STERBEDATUM=gest. 23. Novemeber 1555<br />
|STERBEORT=in Nordhausen<br />
|BILD=<br />
|COMMONS=<br />
|BILDBESCHREIBUNG=<br />
|SONSTIGES=<br />
|PND=<br />
}}<br />
'''Melchior von Aachen''' (geb. um 1483 in Nordhausen; gest. 23. November 1555 in Nordhausen) war ein Nordhäuser Stadtschreiber, Dechant des Domstifts und Vertreter des Humanismus.<ref name="flohburg">[http://www.nordhausen.de/news/news_lang.php?ArtNr=5421 In der „Flohburg“: Ausstellung widmet sich Nordhäuser Persönlichkeiten], nordhausen.de (15.November 2005; aufgerufen am 16. Oktober 2012)</ref> Er war maßgeblich dafür verantwortlich, daß der [[Nordhäuser Dom]] nach der Reformation reichsunmittelbar (bis 1806) und katholisch blieb.<br />
<br />
== Leben ==<br />
<br />
[[File:Stiftsbau Nordhäuser Dom.JPG|thumb|250px|Kanonissenstift am [[Dom zu Nordhausen]].]]<br />
<br />
Melchior von Aachen wurde ca. 1483 in Nordhausen als Sohn des Lorenz von Ocha/Acha geboren, der zwischen 1490 und 1493 als Nordhäuser Ratsmeister bezeugt ist und am Markt wohnte. Melchior besucht wahrscheinlich die Stiftsschule in Nordhausen. 1501 wurde er Unterstadtschreiber in Nordhausen, 1509 Oberstadtschreiber (Syndikus). 1510 und 1515 wurden Melchior am [[Nordhäuser Dom]] und an [[St. Blasii]] Vikarien übertragen, und er wurde Kanoniker am Domstift. Mit der Priesterweihe 1517 konnte er diese Ämter ausüben. Für 1517 ist ein Sommersemester in Erfurt und 1533 ein Wintersemester an der Universität zu Leipzig bezeugt. In Leipzig erwarb er sich wohl den akademischen Grad des Lizenziaten.<br />
<br />
Melchior gehörte zum Nordhäuser Humanistenkreis und war neben [[Hermann Pfeifer]] das einzige Mitglied, daß sich nicht der Reformation anschloß. Als Dechant des Domstifts (1524) trägt er wesentlichen Anteil daran, daß der Domstift zum Heiligen Kreuz katholisch blieb (bis 1806 reichsunmittelbar) und trotz vielfältigster Bemühungen der evangelisch gewordenen Reichsstadt weder säkularisiert wurde noch seine Reichsunmittelbarkeit verlor.<ref> ''[[Nordhäuser Persönlichkeiten aus elf Jahrhunderten]]''. Horb am Neckar: Geiger, 2009. S. 14</ref> Melchiors Festhalten am Katholizismus kostete ihm viele Freundschaften (u. a. die zu seinem Jugendfreund [[Justus Jonas]]) und brachte heftige Auseinandersetzungen.<br />
<br />
Melchior von Aachen verstarb am 23. November 1555 in Nordhausen, im selben Jahr wie [[Justus Jonas]] und [[Michael Meyenburg]].<br />
<br />
== Zitate ==<br />
<br />
* „Es hat in seiner Zeit offensichtlich eine große geistige Wirkkraft entfaltet. Justus Jonas hat ihm z. B. in seiner Korrespondenz gewünscht, dass er für Nordhausen dieselbe Rolle spielen möge wie es Erasmus von Rotterdam bereits tue... Melchior von Aachen ist auch in Nordhausen noch relativ unbekannt und war zumindest für mich die überraschende Neuentdeckung.“ – ''[[Jürgen Rennebach]]''<ref name="flohburg">[http://www.nordhausen.de/news/news_lang.php?ArtNr=5421 In der „Flohburg“: Ausstellung widmet sich Nordhäuser Persönlichkeiten], nordhausen.de (15.November 2005; aufgerufen am 16. Oktober 2012)</ref><br />
<br />
== Externe Verweise ==<br />
<br />
* [http://www.lesser-stiftung.de/index.php?id=missivenbuch-erfurt-muehlhausen Die Missivenbücher des Rates der Städte Erfurt und Mühlhausen], ([http://www.lesser-stiftung.de/fileadmin/Geschichte/Dokumente/PDF/35-Missivenbuecher.pdf PDF])<br />
* [http://www.nordhausen.de/news/news_lang.php?ArtNr=5421 In der „Flohburg“: Ausstellung widmet sich Nordhäuser Persönlichkeiten]<br />
<br />
== Literatur ==<br />
<br />
* Amo Wand: ''Das Reichsstift „Zum Heiligen Kreuz“ in Nordhausen und seine Bedeutung für die Reichsstadt 961-1810'' (Schriftenreihe der Friedrich-Christian-Lesser-Stiftung; Bd. 17), Heiligenstadt 2006, S. 221-223, 436. <br />
* ''[[Nordhäuser Persönlichkeiten aus elf Jahrhunderten]]''. Horb am Neckar: Geiger, 2009. ISBN 978-3-86595-336-9<br />
<br />
==Einzelnachweise==<br />
<references/><br />
<br />
{{DEFAULTSORT:Aachen, Melchior von}}<br />
<br />
[[Kategorie:Stadtschreiber]]<br />
[[Kategorie:Geboren 1483]]<br />
[[Kategorie:Gestorben 1555]]</div>Latimer Rexhttps://nordhausen-wiki.de/index.php?title=Fritz_Gie%C3%9Fner&diff=15618Fritz Gießner2020-02-06T10:42:32Z<p>Latimer Rex: /* KPD-Parteiarbeit */</p>
<hr />
<div>{{Personendaten<br />
|NACHNAME=Gießner<br />
|VORNAMEN=Fritz<br />
|ANFANGSBUCHSTABE=G<br />
|ALTERNATIVNAMEN=Friedrich Giessner<br />
|SORTIERUNG=Gießner, Fritz<br />
|PERSON=<br />
|KURZBESCHREIBUNG=Landrat, Bürgermeister<br />
|GEBURTSDATUM=geb. 18. August 1898<br />
|GEBURTSORT=in Gera<br />
|STERBEDATUM=gest. 31. Mai 1976<br />
|STERBEORT=in Nordhausen<br />
|BILD=<br />
|COMMONS=<br />
|BILDBESCHREIBUNG=<br />
|SONSTIGES=<br />
|PND=126064423<br />
}}<br />
'''Fritz Gießner''' (auch ''Friedrich Giessner''; geb. 18. August 1898 in Gera; gest. 31. Mai 1976 in Nordhausen) war [[Landrat]] des Kreises Nordhausen und [[Liste der Bürgermeister von Nordhausen| Bürgermeister]] von Nordhausen.<br />
<br />
== Leben ==<br />
<br />
=== Jugend und Ausbildung ===<br />
<br />
Friedrich Giessner wurde als Sohn des Webers ''Emil Gießner'' und seiner Ehefrau ''Lina'', die ebenfalls als Weberin arbeitete, geboren. Das Elternhaus war sozialdemokratisch geprägt. Er hatte noch einen Bruder und zwei Schwestern. Von 1905 bis 1913 besuchte er die Volksschule in der Geraer Schülerstraße und lernte danach den Beruf des Drehers in einer Schleifmaschinenfabrik in Gera. 1915 trat er dem Deutschen Metallarbeiter-Verband (DMV) bei. Nach seiner Lehre wurde er im Jahr 1916 entlassen und arbeitete danach in verschiedenen Betrieben. <br />
<br />
=== KPD-Parteiarbeit ===<br />
<br />
1915 in Gera und 1916 in Berlin half er, die Freie Sozialistische Jugend (FSJ) zusammenzufassen. Er nahm an Antikriegsaktionen und illegalen Tagungen teil und verteilte Schriften von Karl Liebknecht. 1917 wurde er als Soldat eingezogen und kam nach Elsaß-Lothringen, wo er 1918 schwer verwundet wurde. Im November 1918 schloß er sich dem Spartakusbund an und wurde im Januar 1919 Mitbegründer der Kommunistischen Partei Deutschlands in Gera. <br />
<br />
Am 30. Oktober 1920 heiratete er. <br />
<br />
Von 1925 bis 1932 war er Mitglied des Stadtrats in Gera. 1929 war Gießner zeitweilig Mitglied der Kommunistische Partei-Opposition (KPD-O) und leitete diese KPD-Abspaltung in Gera.<br />
<br />
=== Im Untergrund ===<br />
<br />
Gießner war nach der Machterlangung des Nationalsozialismus der führende Kopf der „Einheitsfront“ aus Sozialdemokratie und Kommunismus und wurde im Mai 1934 verhaftet. Das Oberlandesgericht Jena verurteilte ihn wegen Vorbereitung zum Hochverrat zu drei Jahren Zuchthaus, die er in Halle abbüßen mußte. Nach Freilassung wurde er Ende 1937 im Konzentrationslager Buchenwald festgehalten und im April 1940 entlassen. Gießner arbeitet illegal für die Ziele der KPD weiter. Im August 1944 wurde er erneut in Schutzhaft genommen und wieder nach Buchenwald überführt, wo er am 22. November 1944 entlassen wurde.<br />
<br />
=== Landrat und Bürgermeister in Nordhausen ===<br />
<br />
Gießner wurde nach Kriegsende Vorsitzender des Antifaschistischen Komitees in Gera und am 25. Mai 1945 Bürgermeister. Eine Zeitlang war er Politischer Leiter der KPD und gehörte 1946 zum Kreisvorstand der SED. Seine Mitgliedschaft in der KPD-O führte in einem Parteiverfahren vor der Zentralen Parteikontrollkommission zu einer Rüge. Obwohl seine Aufbauarbeit in Gera für gut befunden wurde, wurde er am 29. August 1949 als Landrat des Kreises Nordhausen eingesetzt.<br />
<br />
Von 1951 bis 1955 leitete er die Kreis-Volkshochschule, danach war er stellvertretender Leiter des Kulturamtes der Stadt Erfurt. Mit Nikita Sergejewitsch Chruschtschow und seiner Politik der Entstalinisierung gab es eine Rehabilitierung. So wurde er am 1. Juni 1950 Bürgermeister von Nordhausen. <br />
<br />
Im Juni 1963 trat er aus gesundheitlichen Gründen zurück und ging in den Ruhestand. Ehrenamtlich engagierte er sich der Kulturarbeit und war bis zu seinem Lebensende Vorsitzender des [[Thomas-Mann-Club]]s. Er erhielt verschiedene Ehrungen, Auszeichnungen und Orden. Am 3. September 1973 verlieht ihm die Stadt Nordhausen anläßlich seines 75. Geburtstages die Ehrenbürgerwürde. <br />
<br />
Gießner starb am 31. Mai 1976 in Nordhausen und wurde auf dem Hauptfriedhof beigesetzt. <br />
<br />
Die Stadtverordnetenversammlung erkannte die Ehrenbürgerwürde am 29. August 1990 ab. Mit Beschluß des Stadtrates vom 22. Februar 2006 wird seine Grabstätte jedoch als Ehrengrabstätte von der Stadt gepflegt. Es gibt eine ''Fritz-Gießner-Straße'' in Gera.<br />
<br />
Fritz Gießner war mit Gertrud Gießner (1898–1968) verheiratet.<br />
<br />
== Werke ==<br />
<br />
*''[[Geheimwaffen im Kohnstein]]''. Nordhausen: Rat d. Stadt, 1964. (Zusammen mit Jan Čespiva und Kurt Pelný) <br />
<br />
== Literatur ==<br />
<br />
* ''[[Nordhäuser Persönlichkeiten aus elf Jahrhunderten]]''. Horb am Neckar: Geiger, 2009. ISBN 978-3-86595-336-9<br />
* ''[[Leben und Kampf des Genossen Fritz Giessner]]''. Nordhausen, 1979<br />
* Theodor Bergmann: ''Gegen den Strom. Die Geschichte der KPD(-Opposition)''. Hamburg, 2004<br />
* Steffen Kachel: ''Ein rot-roter Sonderweg? Sozialdemokraten und Kommunisten in Thüringen 1919 bis 1949'', Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Thüringen, Kleine Reihe Band 29, S. 550<br />
<br />
== Externe Verweise ==<br />
<br />
*[http://www.nnz-online.de/news/news_galerie.php?MmNr=115800 Grabstätte von Fritz Gießner (2011)]<br />
<br />
{{Navigationsleister Bürgermeister von Nordhausen}}<br />
<br />
[[Kategorie:Landrat]]<br />
[[Kategorie:SED-Mitglied]]<br />
[[Kategorie:Geboren 1898]]<br />
[[Kategorie:Gestorben 1976]]</div>Latimer Rexhttps://nordhausen-wiki.de/index.php?title=Heinrich_Stern&diff=15617Heinrich Stern2020-02-06T10:39:31Z<p>Latimer Rex: /* Leben */</p>
<hr />
<div>{{Personendaten<br />
|NACHNAME=Stern<br />
|VORNAMEN=Heinrich<br />
|ANFANGSBUCHSTABE=S<br />
|ALTERNATIVNAMEN=<br />
|SORTIERUNG=Stern, Heinrich<br />
|KURZBESCHREIBUNG=Rechtsanwalt, Schriftsteller<br />
|PERSON=<br />
|GEBURTSDATUM=geb. 17. März 1882<br />
|GEBURTSORT=in Nordhausen<br />
|STERBEDATUM=gest. 28. November 1949<br />
|STERBEORT=in Baltimore<br />
|BILD=<br />
|COMMONS=<br />
|BILDBESCHREIBUNG=<br />
|SONSTIGES=<br />
|PND=1035270285<br />
}}<br />
'''Heinrich Stern''' (geb. 17. März 1882 in Nordhausen; gest. 28. November 1949 in Baltimore, Maryland) war Rechtsanwalt und Autor.<br />
<br />
== Leben ==<br />
<br />
Heinrich Stern wurde als Sohn des jüdischen Arztes und Sanitätsrates Dr. Carl Stern geboren. Dieser war von 1911 bis 1930 Vorsitzender der jüdischen Gemeinde in Nordhausen und lange Zeit Vorsitzender der Nordhäuser Ärzteschaft. <br />
<br />
Nach dem Schulbesuch in Nordhausen studierte Stern Jura und arbeitete ab 1908 als Referendar, ab 1912 wird er im Nordhäuser Adreßbuch als promovierter Rechtsanwalt geführt. Er war Präsident des Nordhäuser Centralvereins Deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens, lehnte den Zionismus ab und nahm als Soldat am Ersten Weltkrieg teil. 1921 wurde Tochter Eva geboren.<br />
<br />
Zur Jahrtausendfeier 1927 veröffentlichte er die ''[[Geschichte der Juden in Nordhausen]]''. Im April 1933 verlor er auf Grund des „Gesetzes über die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft“ seine Zulassung und betätigte sich fortan nicht besonders erfolgreich als Geschäftsmann. 1938 zog er mit seiner Familie von der [[Bahnhofstraße]] 19b in die [[Arnoldstraße]] 24. In der [[Pogromnacht]] vom 9./10. November 1938 geriet er in "Schutzhaft" im KZ Buchenwald, wo er nach vier Wochen frei kam. Seine Frau erhielt Visa für Peru. Tochter Eva reiste Anfang 1939 nach England und lebte bei einer Tante. <br />
<br />
Im Februar 1939 verließ Heinrich Stern mit seiner Frau Deutschland in Richtung Peru. Auf der Überfahrt stellte sich jedoch heraus, daß das Visa gefälscht war. Die Familie fand Asyl in Bolivien. Hier betrieb Stern eine Papierwarenhandlung. 1944 erhielt die Familie ein Visa für die USA, ab 1948 lebten sie in Baltimore. Ein Jahr später erkrankte Heinrich Stern an Krebs und verstarb nach kurzer Krankheit am 28. November 1949.<br />
<br />
== Werke ==<br />
<br />
* ''[[Geschichte der Juden in Nordhausen]]''. Nordhausen: Selbstverlag, 1927.<br />
<br />
== Literatur ==<br />
<br />
* ''[[Nordhäuser Persönlichkeiten aus elf Jahrhunderten]]''. Horb am Neckar: Geiger, 2009. ISBN 978-3-86595-336-9<br />
* [[Manfred Schröter]]: ''[[Die Verfolgung der Nordhäuser Juden]]''. Bad Lauterberg im Harz: Kohlmann, 1992. <br />
<br />
== Externe Verweise ==<br />
<br />
*{{DNB-Portal|1035270285}}<br />
<br />
[[Kategorie:Jurist]]<br />
[[Kategorie:Geboren 1882]]<br />
[[Kategorie:Gestorben 1949]]</div>Latimer Rexhttps://nordhausen-wiki.de/index.php?title=Johannes_Erasmus_Hynitzsch&diff=15616Johannes Erasmus Hynitzsch2020-02-06T10:28:47Z<p>Latimer Rex: /* Leben */</p>
<hr />
<div>{{Personendaten<br />
|NACHNAME=Hynitzsch<br />
|VORNAMEN=Johannes Erasmus<br />
|ANFANGSBUCHSTABE=H<br />
|ALTERNATIVNAMEN=Johan Erasmi Hynitzsch ;<br>Johannes Erasmus Hynitzsch der Ältere ;<br> Hynitzsch, Johannes Erasmus ; <br>Hynitsch, Johan-Erasmus ; <br>Hynitzschius, Johan-Erasmus ; <br>Hynitzsch, Johan-Erasmus <br />
|SORTIERUNG=Hynitzsch, Johannes Erasmus<br />
|KURZBESCHREIBUNG=Buchdrucker, Ratsherr, Kämmerer <br />
|PERSON=1<br />
|GEBURTSDATUM=geb. 11. Februar 1602<br />
|GEBURTSORT=in Bamberg<br />
|STERBEDATUM=gest. 5. April 1676<br />
|STERBEORT=in Nordhausen<br />
|BILD=<br />
|COMMONS=<br />
|BILDBESCHREIBUNG=<br />
|SONSTIGES=<br />
|PND=129124990 <br />
}}<br />
'''Johannes Erasmus Hynitzsch''' der Ältere (geb. [[11. Februar]] 1602 in Bamberg; gest. [[5. April]] 1682 in Nordhausen) war der erste Buchdrucker in Nordhausen.<br />
<br />
== Leben ==<br />
<br />
Johannes Erasmus Hynitzsch wurde als Sohn des Kämmerers, Ratsverwandten und späteren Buchdruckers in Halle ''Erasmus Hynitzsch'' geboren. 1614 machte er eine Lehre beim Leipziger Drucker Lorenz Kober und war ab 1617 sieben Jahre auf Wanderschaft.<br />
<br />
Im Alter von 26 Jahren ging Johannes nach Nordhausen und eröffnete die erste Druckerei der Stadt. 1632 heiratete er Catharina Osswald, eine Tochter des Nordhäuser Arztes Dr. med. Johannes Osswald, die jedoch am [[15. März]] 1633 hochschwanger von einem Gesellen erschossen wurde.<ref>[[Ernst Günther Förstemann]]; [[Friedrich Christian Lesser]]: ''[[Historische Nachrichten von der ehemals kaiserlichen und des heil. röm. Reichs freien Stadt Nordhausen gedruckt daselbst im Jahre 1740. Umgearbeitet und fortgesetzt.]]'' Nordhausen: Eberhardt, 1860. Seite 414</ref><br />
1637 heiratete er Magdalena Margareta Hoffmann (1618-1674). Aus der Ehe gingen vier Söhne und vier Töchter hervor, wobei drei Töchter im Kindesalter starben.<br />
<br />
Sein Schaffen umfasst ca. 200 Drucke, darunter umfangreiche Bücher. 1670 übergab er den Betrieb in die Hände seines Sohnes August Martin Hynitzsch. Sein dritter Sohn Johannes Erasmus Hynitzsch der Jüngere (1643-1709) wurde ebenfalls Drucker.<br />
<br />
== Literatur ==<br />
<br />
* Christoph Reske: ''Buchdrucker des sechszehnten und siebzehnten Jahrhunderts im deutschen Sprachgebiet.'' Wiesbaden: Harrassowitz, 2007. ISBN 978-3-447-05450-8. ([http://books.google.de/books?id=zOTCP4MlY-QC&hl=de&source=gbs_navlinks_s Teilansicht via Google])<br />
* [[Heinrich Heine]]: ''Geschichte des Buchdrucks und des Buchhandels in Nordhausen.'' In: ''[[Der Roland von Nordhausen Nr. 6]]''. Nordhausen 1929.<br />
* ''[[Nordhäuser Persönlichkeiten aus elf Jahrhunderten]]''. Horb am Neckar: Geiger, 2009. ISBN 978-3-86595-336-9<br />
<br />
== Einzelnachweise ==<br />
<br />
<references/><br />
<br />
== Externe Verweise ==<br />
<br />
*{{DNB-Portal|129124990}}<br />
*[http://www.geschichtsportal-nordhausen.de/fileadmin/Geschichte/Stammtafeln/PDF/Osswald-119.pdf Stammtafel u. a. mit Johannes Erasmus Hynitzsch]<br />
<br />
[[Kategorie:Buchdrucker]]<br />
[[Kategorie:Kämmerer]]<br />
[[Kategorie:Ratsherr]]<br />
[[Kategorie:Geboren 1602]]<br />
[[Kategorie:Gestorben 1676]]</div>Latimer Rexhttps://nordhausen-wiki.de/index.php?title=Apollo_Wiegand&diff=15615Apollo Wiegand2020-02-06T10:24:44Z<p>Latimer Rex: /* Leben */</p>
<hr />
<div>{{Personendaten<br />
|NACHNAME=Wiegand<br />
|VORNAMEN=Apollo<br />
|ANFANGSBUCHSTABE=W<br />
|ALTERNATIVNAMEN=Apollo Wiegand der Ältere (Wiegand I.)<br />
|SORTIERUNG=Wiegand, Apollo<br />
|PERSON=<br />
|KURZBESCHREIBUNG=Bürgermeister, Kanzler in Schwarzburg-Sondershausen<br />
|GEBURTSDATUM=geb. um 1505<br />
|GEBURTSORT=in Nordhausen<br />
|STERBEDATUM=gest. 16. Dezember 1582<br />
|STERBEORT=in Sondershausen<br />
|BILD=<br />
|COMMONS=<br />
|BILDBESCHREIBUNG=<br />
|SONSTIGES=<br />
|PND=<br />
}}<br />
[[Datei:Cruciskirche SDH3.JPG|thumb|Cruciskirche Sondershausen. Blick auf die Westseite. Links das ehemalige Hospiz]]<br />
'''Apollo Wiegand''' der Ältere (geb. um 1505 in Nordhausen; gest. 16. Dezember 1582 in Sondershausen) war [[Liste der Bürgermeister von Nordhausen|Bürgermeister]] von Nordhausen und Kanzler der Grafen von von Schwarzburg-Sondershausen. <br />
<br />
== Leben ==<br />
<br />
Apollo Wiegand wurde um 1505 in Nordhausen geboren. Über Eltern und Näheres zum Jugendleben ist nichts bekannt, er besuchte die Schule in Nordhausen und studierte an einer mitteldeutschen Universität. Danach wurde er in Nordhausen Ratsvierherr (Quartuovir) und 1532 Bürgermeister. Im gleichen Jahr heiratete er Ursula Dröhml, die Alleinerbin ihres Vaters war, da ihre 11 Brüder alle gestorben waren.<ref>[http://www.geschichtsportal-nordhausen.de/fileadmin/Geschichte/Stammtafeln/PDF/Wiegand-111.pdf Stammtafel Wiegand] (Abgerufen am 21. Oktober 2012)</ref> <br />
<br />
Von 1. Mai 1541 bis 1580 war er Kanzler in Sondershausen unter Graf Günther XL. von Schwarzburg-Sondershausen. Er baute dort eine funktionierende und moderne Verwaltung auf, führte die Reformation zu Ende und stellte neue rechtlichen Grundlagen des Zusammenlebens der Untertanen auf. So sahen seine Regelungen u. a. die Gleichheit vor dem Gesetz vor (unabhängig des Standes). Diese Modernisierungen wurden auf anderen Städte ausgeweitet, so auch auf die Reichsstädte Mühlhausen und Nordhausen.<br />
<br />
Am 2. Mai 1547 wurde der Sohn [[Johann Günther Wiegand]] geboren, der später ebenfalls Bürgermeister von Nordhausen wurde. Das Ehepaar hatte noch acht weitere Kinder, von denen jedoch nur der Erstgeborene und die Tochter Euphemia den Vater überlebten.<br />
<br />
Apollo Wiegand starb am 16. Dezember 1582 in Sondershausen und wurde in der Cruciskirche bestattet, dem heute ältesten Gebäude der Stadt Sondershausen.<br />
<br />
== Literatur ==<br />
<br />
* [[Paul Lauerwald]]: ''Der Nordhäuser Bürgermeister und spätere Schwarzburg-Sondershäuser Kanzler Apollo Wiegand (um 1505-1582)'', in: ''Beiträge zur Heimatgeschichte aus Stadt und Kreis Nordhausen'' (33), 2008<br />
* [[Friedrich Christian Lesser]]: ''Das Leben eines gelehrten Nordhäusers weiland Herrn Apollen Wiegands, Gräfl. Schwarzb. Sondershausischen Canzlers und seiner Vater-Stadt der Kayserl. Freyen Reichs-Stadt Nordhausen Bürgermeister'', Nordhausen 1752; <br />
* ''[[Nordhäuser Persönlichkeiten aus elf Jahrhunderten]]''. Horb am Neckar: Geiger, 2009. ISBN 978-3-86595-336-9<br />
* Günther Lutze: ''Aus Sondershausens Vergangenheit. Ein Beitrag zur Kultur- und Sittengeschichte früherer Jahrhunderte.'' Erster Band, Sondershausen 1905<br />
<br />
== Einzelnachweise ==<br />
<references/><br />
<br />
[[Kategorie:Person]]<br />
[[Kategorie:Bürgermeister (Nordhausen)]]<br />
[[Kategorie:Geboren 1505]]<br />
[[Kategorie:Gestorben 1582]]</div>Latimer Rexhttps://nordhausen-wiki.de/index.php?title=Carl_Angelrodt&diff=15597Carl Angelrodt2020-02-05T10:28:59Z<p>Latimer Rex: /* Leben */</p>
<hr />
<div>{{Personendaten<br />
|NACHNAME=Angelrodt<br />
|VORNAMEN=Carl<br />
|ANFANGSBUCHSTABE=A<br />
|ALTERNATIVNAMEN=Karl Angelrodt<br />
|SORTIERUNG=Angelrodt, Carl<br />
|PERSON=<br />
|KURZBESCHREIBUNG=Lehrer, Botaniker, Entomologe<br />
|GEBURTSDATUM=geb. 12 November 1845<br />
|GEBURTSORT=in Frömmstedt<br />
|STERBEDATUM=gest. 12. Mai 1913<br />
|STERBEORT=in Nordhausen<br />
|BILD=No image available-de.svg<br />
|COMMONS=<br />
|BILDBESCHREIBUNG=<br />
|SONSTIGES=<br />
|PND=117661678<br />
}}<br />
'''Carl Johann Angelrodt''' (geb. 12. November 1845 in Frömmstedt bei Sömmerda; gest. 12. Mai 1913 in Nordhausen) war ein Lehrer, Botaniker und Entmologe.<br />
<br />
== Leben ==<br />
<br />
Nach Abschluß der Volksschule und der Realschule in Sondershausen ging Angelrodt nach Erfurt und besuchte von Oktober 1863 bis September 1866 das Lehrerseminar. Am 10. Oktober 1866 bekam er eine Anstellung an der Nordhäuser Volksschule. Er war Soldat im Deutsch-Französischen Krieg von 1870–1871 und führte darüber ein genaues Tagebuch, welches er am 1. März 1913 als druckfertige Abschrift an das [[Stadtarchiv Nordhausen]] übergab. Um 1870 begann er mit dem Anlegen einer wissenschaftlichen Bibliothek. <br />
<br />
Ab 1880 sammelte er im Kreis Weißensee (Sömmerda), in der Schwarzburgischen Unterherrschaft und im Südharz Pflanzen für sein Herbarium. Daneben legte er auch eine umfangreiche Käfersammlung an (siehe [[Privatsammlungen in Nordhausen]]). Er veröffentlichte einige Schriften und hielt Vorträge, 1901 setzte er sich in Nordhausen zur Ruhe. In seinen letzten Lebensjahren hatte er mit gesundheitlichen Problemen zu kämpfen und verstarb kinderlos am 12. Mai 1913 in Nordhausen. Er wohnte zuletzt in der [[Blödaustraße]] 22.<br />
<br />
== Werke ==<br />
<br />
* mit [[Adolf Vocke]]: ''[[Flora von Nordhausen und der weiteren Umgegend]]'', Berlin: Friedländer, 1886<br />
* ''[[Kriegstagebuch 1870/71 des Lehrers Carl Angelrodt]]'', Nordhausen, 1913<br />
<br />
== Literatur ==<br />
<br />
* ''[[Nordhäuser Persönlichkeiten aus elf Jahrhunderten]]''. Horb am Neckar: Geiger, 2009. ISBN 978-3-86595-336-9<br />
<br />
== Externe Verweise ==<br />
<br />
* {{DNB-Portal|117661678}}<br />
<br />
[[Kategorie:Person]]<br />
[[Kategorie:Botaniker]]<br />
[[Kategorie:Pädagoge]]<br />
[[Kategorie:Entomologe]]<br />
[[Kategorie:Geboren 1845]]<br />
[[Kategorie:Gestorben 1913]]</div>Latimer Rexhttps://nordhausen-wiki.de/index.php?title=Diskussion:Historische_Stra%C3%9Fennamen_in_Nordhausen&diff=15582Diskussion:Historische Straßennamen in Nordhausen2020-02-03T22:29:32Z<p>Latimer Rex: </p>
<hr />
<div>Hallo, gibt es über die bzw. zu den historischen Straßennamen in Nordhausen irgendwelche Quellen? Danke. --[[Benutzer:Lutz Jödicke|Lutz Jödicke]] ([[Benutzer Diskussion:Lutz Jödicke|Diskussion]]) 00:00, 14. Dez. 2018 (MET)<br />
: Nein, bis auf ''Straßen in Nordhausen im Wandel der Zeit'' von [[Rainer Hellberg]] gibt es dazu keine Publikation, in der alle historischen Straßen aufgelistet sind. Es existiert lediglich ein [https://www.nordhausen.de/_daten/dokumente/2014/01/20391_0109_52363218.pdf Verzeichnis aktueller Straßennamen] der Stadtverwaltung. --[[Benutzer:Vincent Eisfeld|Vincent Eisfeld]] ([[Benutzer Diskussion:Vincent Eisfeld|Diskussion]]) 09:01, 14. Dez. 2018 (MET)<br />
:: Eventuell käme noch ''[[Beiträge zur Heimatkunde aus Stadt und Kreis Nordhausen (Heft 20/1995)|An der Crimderöder Chaussee/Crimderöder Straße/Harzstraße/Hindenburgallee/Walter-Rathenau-Allee/Parkallee - Nordhäuser Straßennamen im 19. und 20. Jahrhundert]]'' von Wilfried Strenz infrage. --[[Benutzer:Lutz Jödicke|Lutz Jödicke]] ([[Benutzer Diskussion:Lutz Jödicke|Diskussion]]) 10:31, 14. Dez. 2018 (MET)<br />
::: Ja, unbedingt! --[[Benutzer:Vincent Eisfeld|Vincent Eisfeld]] ([[Benutzer Diskussion:Vincent Eisfeld|Diskussion]]) 10:54, 14. Dez. 2018 (MET)<br />
Wir wohnten früher in der Reichsstraße. Meines Wissens gab es weder vor noch zu DDR-Zeiten einen anderen Namen. -- ((Benutzer:<br />
Manfred Neuber))</div>Latimer Rexhttps://nordhausen-wiki.de/index.php?title=Hannoverscher_Zoll&diff=15514Hannoverscher Zoll2020-01-31T17:13:32Z<p>Latimer Rex: </p>
<hr />
<div>[[Datei:Hannoversche Zoll.jpg|thumb|Hannoversche Zoll, links der [[Kohnstein]]]]<br />
[[Datei:Hannoversches Zoll Nordhausen.jpg|thumb|Altes Gemälde, Ansicht „Auf der Dittfurth“, rechts der Hannoversche Zoll]]<br />
Der '''Hannoversche Zoll''' (auch ''Hohnsteiner Zoll'') befand sich zwischen [[Krimderode]] und [[Niedersachswerfen]].<br />
<br />
== Geschichte ==<br />
Der Zoll lag bei der heutigen B4-Überquerung der Harzer Schmalspurbahn und wurde einst von den Nordhäusern rege aufgesucht, da hier die Waren ohne Zoll günstiger waren. <br />
<br />
Nach Aufhebung der Zollgrenze im Jahr 1834 wurde dass Zollgebäude durch den Grafen von Stolberg in ein Gasthaus umgebaut. Hier tagten auch die Stände der Grafschaft. 1848 hielt hier der spätere preußische Minister Miquel als Student Freiheitsreden. <br />
<br />
Am Abend des 26. Dezember 1876 wurde der Hannoversche Zoll durch Feuer vernichtet. Der Eigentümer, Gärtner Moritz Kindler, war mit dem Haus und seinen Nebengebäuden hoch verschuldet. Wegen der Kälte blieben die Löscharbeiten wirkungslos. Nach dem Brand wurde der Verdacht geäußert, dass Brandstiftung vorliegt, was sich jedoch nicht nachweisen ließ.<br><br />
Am 23. Juni 1879 erzählte der 24-jährige Sohn des Gastwirts, Paul Kindler, dem Gärtner Garhoff, dass der Zoll von dem Glaser Gundermann mit dem Schlosser Wecker absichtlich in Brand gesetzt worden sei. Garthoff informierte schließlich die Behörden über den Vorgang.<br><br />
In der Vernehmung wurde bekannt, dass Gundermann und Wecker Holz, Späne und andere mit Petroleum getränkte Stoffe auf dem Boden anhäuften; eine abbrennende Kerze entzündete letztendlich die Späne. Moritz Kindler war zu der Zeit vereist, um ein Alibi zu haben.<br><br />
Am 6. Januar 1880 wurde der Fall vor dem Nordhäuser Schwurgericht verhandelt. Alle Angeklarten bestritten die Vorwürfe, und der Hauptbelastungszeuge Paul Kindler verweigerte die Aussage. Als Verteidiger fungierte [[Albert Traeger]]. Am Ende wurde die Angeklagten freigelassen.<br />
<br />
Heute erinnert der Straßenname „Am Zoll“ an das Gebäude.<br />
<br />
== Literatur ==<br />
* [[Manfred Bornemann]]: ''Das Ende des „Hannoverschen Zolls“''. In: ''[[Nordhäuser Nachrichten. Südharzer Heimatblätter (1/2000)]]''.<br />
<br />
[[Kategorie:Bauwerk]]<br />
[[Kategorie:Krimderode]]<br />
[[Kategorie:Niedersachswerfen]]</div>Latimer Rexhttps://nordhausen-wiki.de/index.php?title=Hannoverscher_Zoll&diff=15513Hannoverscher Zoll2020-01-31T17:12:52Z<p>Latimer Rex: </p>
<hr />
<div>[[Datei:Hannoversche Zoll.jpg|thumb|Hannoversche Zoll, links der [[Kohnstein]]]]<br />
[[Datei:Hannoversches Zoll Nordhausen.jpg|thumb|Altes Gemälde, Ansicht „Auf der Dittfurth“, rechts der Hannoversche Zoll]]<br />
Der '''Hannoversche Zoll''' (auch ''Hohnsteiner Zoll'') befand sich zwischen [[Krimderode]] und [[Niedersachswerfen]].<br />
<br />
== Geschichte ==<br />
Der Zoll lag bei der heutigen B4-Überquerung der Harzer Schmalspurbahn und wurde einst von den Nordhäusern rege aufgesucht, da hier die Waren ohne Zoll günstiger waren. <br />
<br />
Nach Aufhebung der Zollgrenze im Jahr 1834 ließ der Graf von Stolberg das Zollhaus in ein Gasthaus umbauen. Hier tagten auch die Stände der Grafschaft. 1848 hielt hier der spätere preußische Minister Miquel als Student Freiheitsreden. <br />
<br />
Am Abend des 26. Dezember 1876 wurde der Hannoversche Zoll durch Feuer vernichtet. Der Eigentümer, Gärtner Moritz Kindler, war mit dem Haus und seinen Nebengebäuden hoch verschuldet. Wegen der Kälte blieben die Löscharbeiten wirkungslos. Nach dem Brand wurde der Verdacht geäußert, dass Brandstiftung vorliegt, was sich jedoch nicht nachweisen ließ.<br><br />
Am 23. Juni 1879 erzählte der 24-jährige Sohn des Gastwirts, Paul Kindler, dem Gärtner Garhoff, dass der Zoll von dem Glaser Gundermann mit dem Schlosser Wecker absichtlich in Brand gesetzt worden sei. Garthoff informierte schließlich die Behörden über den Vorgang.<br><br />
In der Vernehmung wurde bekannt, dass Gundermann und Wecker Holz, Späne und andere mit Petroleum getränkte Stoffe auf dem Boden anhäuften; eine abbrennende Kerze entzündete letztendlich die Späne. Moritz Kindler war zu der Zeit vereist, um ein Alibi zu haben.<br><br />
Am 6. Januar 1880 wurde der Fall vor dem Nordhäuser Schwurgericht verhandelt. Alle Angeklarten bestritten die Vorwürfe, und der Hauptbelastungszeuge Paul Kindler verweigerte die Aussage. Als Verteidiger fungierte [[Albert Traeger]]. Am Ende wurde die Angeklagten freigelassen.<br />
<br />
Heute erinnert der Straßenname „Am Zoll“ an das Gebäude.<br />
<br />
== Literatur ==<br />
* [[Manfred Bornemann]]: ''Das Ende des „Hannoverschen Zolls“''. In: ''[[Nordhäuser Nachrichten. Südharzer Heimatblätter (1/2000)]]''.<br />
<br />
[[Kategorie:Bauwerk]]<br />
[[Kategorie:Krimderode]]<br />
[[Kategorie:Niedersachswerfen]]</div>Latimer Rexhttps://nordhausen-wiki.de/index.php?title=Johannes_Kunzemann&diff=15512Johannes Kunzemann2020-01-31T17:02:43Z<p>Latimer Rex: /* Leben */</p>
<hr />
<div>{{Personendaten<br />
|NACHNAME=Kunzemann<br />
|VORNAMEN=Johannes<br />
|ANFANGSBUCHSTABE=K<br />
|ALTERNATIVNAMEN=<br />
|SORTIERUNG=Kunzemann, Johannes<br />
|KURZBESCHREIBUNG=Landrat<br />
|GEBURTSDATUM=geb. 25. Februar 1879<br />
|GEBURTSORT=in Magdeburg<br />
|PERSON=1<br />
|STERBEDATUM=gest. ?<br />
|STERBEORT=<br />
|BILD=<br />
|COMMONS=<br />
|BILDBESCHREIBUNG=<br />
|SONSTIGES=<br />
|PND=<br />
}}<br />
'''Johannes Kunzemann''' (geb. 25. Februar 1879 in Magdeburg; gest. unbekannt) war von 1929 bis 1932 Landrat des Landkreises Grafschaft Hohenstein.<br />
<br />
== Leben ==<br />
Kunzemann erlernte den Beruf des Buchdruckers und war ab 1897 gewerkschaftlich organisiert. 1912 wurde er Bezirksvorsitzender und Erster Vorsitzender des Verbandes der deutschen Buchdrucker im Ortsverein Magdeburg. Im Ersten Weltkrieg diente er im Rang eines Sergeant (Unterfeldwebel). Seit 1918 war er Mitglied der SPD und arbeitete in der Haenelschen Buchdruckerei im Magdeburg. 1920 wurde er vom preußischen Minister des Inneren zum Zivilkommissar der Schutzpolizei für die Provinz Sachsen ernannt; er hatte diese Position bis 1925 inne. Johannes Kunzemann gehörte zu den Gründern des Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold (1924) und war von 1925 bis 1929 Generalsekretär in Magdeburg.<br />
<br />
1929 wurde Kunzemann Landrat des Landkreises Grafschaft Hohenstein (Vorgänger: [[Horst Baerensprung]]). Mit Absetzung der sozialdemokratischen Landesregierung Preußens durch Reichspräsident und Reichsregierung wurde Kunzemann in den einstweiligen Ruhestand versetzt. Sein Nachfolger wurde am 26. August 1932 Dr. [[Gerhard Stumme]].<br />
<br />
[[Kategorie:Landrat]]<br />
[[Kategorie:Geboren 1879]]<br />
[[Kategorie:Gestorben (20. Jahrhundert)]]<br />
[[Kategorie:SPD-Mitglied]]</div>Latimer Rexhttps://nordhausen-wiki.de/index.php?title=23._Januar&diff=1547023. Januar2020-01-23T10:05:24Z<p>Latimer Rex: /* 1972 */</p>
<hr />
<div>{{Jahrestag Januar}}<br />
==== 1761, während des Siebenjährigen Krieges ====<br />
"Am 23. Jan. holte ein hannöverscher Unteroffizier mit 24 Mann auf 56 Wagen aus dem von Uckermann hier errichteten Magazine Früchte für die Alliirten, und ebenso am 27. Jan. ein hessischer Unteroffizier mit 24 Mann auf 57 Wagen."<ref>Förstemann & Lesser: ''Historische Nachrichten ...'' Seite 364</ref><br />
<br />
==== 1847 ====<br />
[[Karl Eduard Förstemann]], Bibliothekar, Lehrer und Historiker, stirbt in Halle.<br />
<br />
==== 1972 ====<br />
In Nordhausen kommt der Landrat [[Matthias Jendricke]] zur Welt. (schon als Landrat zur Welt gekommen?)<br />
<br />
== Literatur ==<br />
* [[Ernst Günther Förstemann]]; [[Friedrich Christian Lesser]]: ''[[Historische Nachrichten von der ehemals kaiserlichen und des heil. röm. Reichs freien Stadt Nordhausen gedruckt daselbst im Jahre 1740. Umgearbeitet und fortgesetzt.]]'' Nordhausen: Eberhardt, 1860.<br />
<br />
== Einzelnachweise ==<br />
<references/><br />
<br />
[[Kategorie: 1761]] <br />
[[Kategorie: 1847]] <br />
[[Kategorie: 1972 ]] <br />
[[Kategorie: Kalenderblatt]]<br />
<br />
__NOTOC__</div>Latimer Rexhttps://nordhausen-wiki.de/index.php?title=17._Januar&diff=1541017. Januar2020-01-17T08:49:56Z<p>Latimer Rex: /* 1760, während des Siebenjährigen Krieges */</p>
<hr />
<div>{{Jahrestag Januar}}<br />
==== 1745 ====<br />
Am 17. Januar 1745 erließ der kaiserliche General von Geusau in Wien ein „Rescript“, welches die Werbung von kaiserlichen Rekruten in Nordhausen betraf.<ref>Förstemann & Lesser: ''Historische Nachrichten ...'' Seite 356</ref><br />
<br />
==== 1760, während des Siebenjährigen Krieges ====<br />
"Im Jahre 1760 am 17. Jan. verlangte von Cassel aus der (?) preußische Kammerpräsident von Massow, daß der Rath 50 vierspännige Wagen bereit halte, dieselben in 8 Tagen dahin zu senden; doch nach einer Verwendung bei dem Herzoge Ferdinand von Braunschweig unterblieb es."<ref>Förstemann & Lesser: ''Historische Nachrichten ...'' Seite 358</ref><br />
<br />
==== 1853 ====<br />
Am 17. Januar 1853 verstarb [[Ernst Christoph Bohne]], von 1813 bis 1835<br />
Pfarrer der Nordhäuser St.-Jacobi-Gemeinde.<ref>Förstemann & Lesser: ''Historische Nachrichten ...'' Seite 98</ref><br />
<br />
== Literatur ==<br />
* [[Ernst Günther Förstemann]]; [[Friedrich Christian Lesser]]: ''[[Historische Nachrichten von der ehemals kaiserlichen und des heil. röm. Reichs freien Stadt Nordhausen gedruckt daselbst im Jahre 1740. Umgearbeitet und fortgesetzt.]]'' Nordhausen: Eberhardt, 1860.<br />
<br />
== Einzelnachweise ==<br />
<references/><br />
<br />
[[Kategorie: 1745]] <br />
[[Kategorie: 1760]] <br />
[[Kategorie: 1853]] <br />
[[Kategorie: Kalenderblatt]]<br />
<br />
__NOTOC__</div>Latimer Rexhttps://nordhausen-wiki.de/index.php?title=Diskussion:Liste_der_Ehrenb%C3%BCrger_von_Nordhausen&diff=15408Diskussion:Liste der Ehrenbürger von Nordhausen2020-01-16T15:57:15Z<p>Latimer Rex: </p>
<hr />
<div>Ehrenbürgerwürde Hitlers erst 1990 in Nordhausen aberkannt<br />
Tausendjährige Stadt, kein tausendjähriges Reich<br />
---<br />
Die Nordhäuser Stadtverordneten brauchten mehr als 45 Jahre nach dem<br />
„Dritten Reich“, um die Ehrenbürgerwürde für Adolf Hitler abzuerkennen. <br />
Trotz des amtlichen Antifaschismus in der DDR geschah es auch<br />
nicht während deren 40jährigen Bestehens.<br />
Verliehen worden war die Auszeichnung zu „Führers Geburtstag“ am<br />
20. April 1933, also nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten.<br />
Hitler bedankte sich mit einem Schreiben vom 27. August mit eigenhändiger <br />
Unterschrift und „deutschem Gruß“. Er wünschte Nordhausen<br />
„Blühen und Gedeihen“. Das Verhängnis des „Tausendjährigen Reiches“<br />
war nach Kriegsende in der tatsächlich tausendjährigen, ehemaligen<br />
Freien Reichsstadt zu besichtigen . . . Trümmer und Ruinen.<br />
Die Verleihungsurkunde des Magistrats hatten im Auftrage der Stadt-<br />
verordneten die ehrbaren Nordhäuser Bürger Henschel, Beatus, Bensch,<br />
Diener, Graeber, Kruse, Meyer, Quelle und Rost unterzeichnet. Sie<br />
handelten angeblich „mit zustimmender Begeisterung der gesamten<br />
Bürgerschaft“, die stolz sei „auf den Führer des erwachten Deutsch<br />
lands“. Verlesen wurde die Urkunde auf dem Vorplatz des Stadt-<br />
theaters vor mehr als 2 000 Zuhörern. Das Dankschreiben ist im <br />
Museum in der Flohburg ausgestellt.<br />
Die Aberkennung der Ehrenbürgerwürde beschlossen die Nordhäuser<br />
Stadtverordneten in ihrer Sitzung vom 29. August 1990, also nach<br />
der friedlichen Revolution in der DDR. Außer Hitler wurden der ehemalige <br />
Reichspräsident Paul von Hindenburg, der frühere Nordhäuser<br />
Oberbürgermeister Hans Himmler (1946-1952), der zeitweilige Nord-<br />
häuser Landrat Fritz Gießner sowie Generaloberst Erich Peter, aus<br />
Salza stammender Befehlshaber der Grenztruppen der DDR, aus den<br />
Annalen der Ehrenbürger gelöscht m.n. --[[Benutzer:Latimer Rex|Latimer Rex]] ([[Benutzer Diskussion:Latimer Rex|Diskussion]]) 16:06, 10. Jan. 2019 (MET)</div>Latimer Rexhttps://nordhausen-wiki.de/index.php?title=Diskussion:Liste_der_Ehrenb%C3%BCrger_von_Nordhausen&diff=15390Diskussion:Liste der Ehrenbürger von Nordhausen2020-01-10T15:06:26Z<p>Latimer Rex: </p>
<hr />
<div>Ehrenbürgerwürde Hitlers erst 1990 in Nordhausen aberkannt<br />
Tausendjährige Stadt, kein tausendjähriges Reich<br />
---<br />
Die Nordhäuser Stadtverordneten brauchten mehr als 45 Jahre nach dem<br />
„Dritten Reich“, um die Ehrenbürgerwürde für Adolf Hitler abzuerken<br />
nen. Trotz des amtlichen Antifaschismus in der DDR geschah es auch<br />
nicht während deren 40jährigen Bestehens.<br />
Verliehen worden war die Auszeichnung zu „Führers Geburtstag“ am<br />
20. April 1933, also nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten.<br />
Hitler bedankte sich mit einem Schreiben vom 27. August mit eigen<br />
händiger Unterschrift und „deutschem Gruß“. Er wünschte Nordhausen<br />
„Blühen und Gedeihen“. Das Verhängnis des „Tausendjährigen Reiches“<br />
war nach Kriegsende in der tatsächlich tausendjährigen, ehemaligen<br />
Freien Reichsstadt zu besichtigen . . . Trümmer und Ruinen.<br />
Die Verleihungsurkunde des Magistrats hatten im Auftrage der Stadt-<br />
verordneten die ehrbaren Nordhäuser Bürger Henschel, Beatus, Bensch,<br />
Diener, Graeber, Kruse, Meyer, Quelle und Rost unterzeichnet. Sie<br />
handelten angeblich „mit zustimmender Begeisterung der gesamten<br />
Bürgerschaft“, die stolz sei „auf den Führer des erwachten Deutsch<br />
lands“. Verlesen wurde die Urkunde auf dem Vorplatz des Stadt-<br />
theaters vor mehr als 2 000 Zuhörern. Das Dankschreiben ist im <br />
Museum in der Flohburg augestellt.<br />
Die Aberkennung der Ehrenbürgerwürde beschlossen die Nordhäuser<br />
Stadtverordneten in ihrer Sitzung vom 29. August 1990, also nach<br />
der friedlichen Revolution in der DDR. Außer Hitler wurden der ehe<br />
malige Reichspräsident Paul von Hindenburg, der frühere Nordhäuser<br />
Oberbürgermeister Hans Himmler (1946-1952), der zeitweilige Nord<br />
häuser Landrat Fritz Gießner sowie Generaloberst Erich Peter, aus<br />
Salza stammender Befehlshaber der Grenztruppen der DDR, aus den<br />
Annalen der Ehrenbürger gelöscht. m.n.</div>Latimer Rexhttps://nordhausen-wiki.de/index.php?title=Diskussion:Liste_der_Ehrenb%C3%BCrger_von_Nordhausen&diff=15389Diskussion:Liste der Ehrenbürger von Nordhausen2020-01-10T15:05:02Z<p>Latimer Rex: Die Seite wurde neu angelegt: „Ehrenbürgerwürde Hitlers erst 1990 in Nordhausen aberkannt Tausendjährige Stadt, kein tausendjähriges Reich --- Die Nordhäuser Stadtverordneten brauchten…“</p>
<hr />
<div>Ehrenbürgerwürde Hitlers erst 1990 in Nordhausen aberkannt<br />
Tausendjährige Stadt, kein tausendjähriges Reich<br />
---<br />
Die Nordhäuser Stadtverordneten brauchten mehr als 45 Jahre nach dem<br />
„Dritten Reich“, um die Ehrenbürgerwürde für Adolf Hitler abzuerken-<br />
nen. Trotz des amtlichen Antifaschismus in der DDR geschah es auch<br />
nicht während deren 40jährigen Bestehens.<br />
Verliehen worden war die Auszeichnung zu „Führers Geburtstag“ am<br />
20. April 1933, also nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten.<br />
Hitler bedankte sich mit einem Schreiben vom 27. August mit eigen-<br />
händiger Unterschrift und „deutschem Gruß“. Er wünschte Nordhausen<br />
„Blühen und Gedeihen“. Das Verhängnis des „Tausendjährigen Reiches“<br />
war nach Kriegsende in der tatsächlich tausendjährigen, ehemaligen<br />
Freien Reichsstadt zu besichtigen . . . Trümmer und Ruinen.<br />
Die Verleihungsurkunde des Magistrats hatten im Auftrage der Stadt-<br />
verordneten die ehrbaren Nordhäuser Bürger Henschel, Beatus, Bensch,<br />
Diener, Graeber, Kruse, Meyer, Quelle und Rost unterzeichnet. Sie<br />
handelten angeblich „mit zustimmender Begeisterung der gesamten<br />
Bürgerschaft“, die stolz sei „auf den Führer des erwachten Deutsch-<br />
lands“. Verlesen wurde die Urkunde auf dem Vorplatz des Stadt-<br />
theaters vor mehr als 2 000 Zuhörern. Das Dankschreiben ist im <br />
Museum in der Flohburg augestellt.<br />
Die Aberkennung der Ehrenbürgerwürde beschlossen die Nordhäuser<br />
Stadtverordneten in ihrer Sitzung vom 29. August 1990, also nach<br />
der friedlichen Revolution in der DDR. Außer Hitler wurden der ehe-<br />
malige Reichspräsident Paul von Hindenburg, der frühere Nordhäuser<br />
Oberbürgermeister Hans Himmler (1946-1952), der zeitweilige Nord-<br />
häuser Landrat Fritz Gießner sowie Generaloberst Erich Peter, aus<br />
Salza stammender Befehlshaber der Grenztruppen der DDR, aus den<br />
Annalen der Ehrenbürger gelöscht. m.n.</div>Latimer Rexhttps://nordhausen-wiki.de/index.php?title=Liste_der_Ehrenb%C3%BCrger_von_Nordhausen&diff=15388Liste der Ehrenbürger von Nordhausen2020-01-10T15:00:23Z<p>Latimer Rex: </p>
<hr />
<div>[[File:Wappen der Stadt Nordhausen.svg|right|200px]]<br />
Das Ehrenbürgerrecht ist die höchste Würdigung der Stadt Nordhausen. Insgesamt sind 20 Personen damit geehrt worden, sechs davon nach 1990. Das Ehrenbürgerrecht ist weder mit besonderen Rechten noch mit besonderen Pflichten verbunden. Über die Verleihung entscheidet der [[Stadtrat]] in öffentlicher Sitzung.<br />
<br />
''Hinweis: Die Auflistung ist <u>unvollständig</u> und erfolgt chronologisch nach Datum der Zuerkennung.''<br />
<br />
== Ehrenbürger der Stadt Nordhausen ==<br />
# '''[[Friedrich Jung]]''' (1801–?) <br />
#: Fabrikant<br />
#: Verleihung unbekannt<br />
#: &nbsp;<br />
# '''[[Jakob Plaut]]''' (1817–1902) <br />
#: Bankier<br />
#: Verleihung unbekannt<br />
#: &nbsp;<br />
# '''[[Franz Willecke]]''' (1835-1910) <br />
#: Stadtrat<br />
#: Verleihung 1905<br />
#: &nbsp;<br />
# '''[[Richard Wiese]]''' (1850–1936) <br />
#: Kaufmann, Gesellschafter der Eisengroßhandlung F.W.Wolffram<br />
#: Verleihung 1920<br />
#: &nbsp;<br />
# '''[[Hermann Hanewacker]]''' (1869-1927) <br />
#: Tabakfabrikant, Förderer der Stadt<br />
#: Verleihung 1917<br />
#: &nbsp;<br />
# '''[[Paul Hindenburg]]''' (1847-1934) <br />
#: Generalfeldmarschall, Reichspräsident<br />
#: Verleihung 1917, 1990 aberkannt<br />
#: &nbsp;<br />
# '''[[Max Hoffmann]]''' (1869-1927) <br />
#: General und Diplomat<br />
#: Verleihung 1918<br />
#: &nbsp;<br />
# '''[[Carl Contag]]''' (1863–1934) <br />
#: Oberbürgermeister von 1899 bis 1924<br />
#: Verleihung 1924<br />
#: &nbsp;<br />
# '''[[Otto Hertzer]]''' (1848-1929) <br />
#: Unternehmer, Stadtrat<br />
#: Verleihung 1928<br />
#: &nbsp;<br />
# '''[[Hermann Stade]]''' (1850-1939) <br />
#: Stadtrat<br />
#: Verleihung 1930<br />
#: &nbsp;<br />
# '''[[Adolf Hitler]]''' (1889-1945) <br />
#: Reichskanzler<br />
#: Verleihung 1933, 1990 aberkannt<br />
#: &nbsp;<br />
# '''[[Hans Himmler]]''' (1890-1970)<br />
#: Oberbürgermeister <br />
#: Verleihung 1960, 1990 aberkannt<br />
#: &nbsp;<br />
# '''[[Helmut Zinke]]''' (geb. 1930)<br />
#: Munitionsentschärfer<br />
#: Verleihung 1969<br />
#: &nbsp;<br />
# '''[[Fritz Gießner]]''' (1889-1976)<br />
#: Landrat, Bürgermeister<br />
#: Verleihung 1973, 1990 aberkannt<br />
#: &nbsp;<br />
# '''[[Erich Peter]]''' (1919-1987)<br />
#: Generaloberst<br />
#: Verleihung 1976, 1990 aberkannt<br />
#: &nbsp;<br />
# '''[[Ilsetraut Glock]]''' (1915–2013)<br />
#: Künstlerin und Initiatorin der Ilsetraut-Glock-Grabe-Stiftung<br />
#: Verleihung 2002<br />
#: &nbsp;<br />
# '''[[Andreas Lesser]]''' (geb. 1952)<br />
#: Stifter und Stiftungsvorstand der Friedrich-Christian-Lesser-Stiftung<br />
#: Verleihung 2004<br />
#: &nbsp;<br />
# '''[[Joachim Jaeger]]''' (geb. 1935)<br />
#: Propst (i. R.)<br />
#: Verleihung 2009<br />
#: &nbsp;<br />
# '''[[Lothar de Maizière]]''' (geb. 1940)<br />
#: letzter Ministerpräsident der DDR (CDU)<br />
#: Verleihung 2010<br />
#: &nbsp;<br />
# '''[[Erika Schirmer]]''' (geb. 1925)<br />
#: Schriftstellerin<br />
#: Verleihung 2013<br />
#: &nbsp;<br />
# '''[[Günter Groh]]''' (1925-2015)<br />
#: Maler und Kunsterzieher<br />
#: Verleihung 2015<br />
#: &nbsp;<br />
[[Kategorie:Person|#]]<br />
[[Kategorie:Ehrenbürger|#]]</div>Latimer Rexhttps://nordhausen-wiki.de/index.php?title=Hotel_F%C3%BCrstenhof_(Nordhausen)&diff=15381Hotel Fürstenhof (Nordhausen)2020-01-09T18:13:56Z<p>Latimer Rex: /* Externe Verweise */</p>
<hr />
<div>[[Datei:Hotel Fürstenhof Nordhausen 1930er Jahre.jpg|thumb|Hotel Fürstenhof (1930/40er Jahre)]]<br />
Das '''Hotel Fürstenhof''' befindet sich am [[Bahnhofsplatz. Vorher wurde das Haus unter dem Namen '''Hotel Handelshof''' geführt.<br />
<br />
== Geschichte ==<br />
[[Datei:09290-Nordhausen-1907-Bahnhofstraße mit Straßenbahn-Brück & Sohn Kunstverlag.jpg|thumb|Rechts Hotel Wieg (1907)]]<br />
[[Datei:Bahnhofsplatz und Bahnhofsstraße mit Hotel Fürstenhof Nordhausen.jpg|thumb|Bahnhofsplatz und Bahnhofstraße mit Hotel Fürstenhof (rechts)]]<br />
Das ursprüngliche Hotel Fürstenhof entstand um 1867 mit der Inbetriebnahme der Eisenbahnstrecke Halle-Nordhausen.<br />
<br />
Ab 1877 hießt das Hotel „'''Wieg'''“ nach seinem Besitzer Ignaz Wieg an der Bahnhofstraße 12. Ab etwa 1924 wurde die Bezeichnung „Hotel Fürstenhof“ geführt und war vor allem bei Geschäftsleuten, Handelsreisenden und Besuchern der Stadt bekannt.<br />
<br />
Das Hotel hatte eine Kapazität von 50 Betten. Tägliche Konzerte und Veranstaltungen im großen Saal wurden auch von Nordhäusern besucht. Der alte Name blieb bis 1945 bestehen, wo die Hotelzimmer zunächst den vielen ausgebombten Einzelgeschäften als vorübergehende Verkaufsstelle dienten. Da dadurch aus dem Hotel ein Handelshof geworden war, brachte man an der Außenlichtreklame die Beschriftung „Handelshof“ an.<br />
<br />
Bis 1953 wurde das inzwischen wieder als Hotel genutzte Haus durch Carl Seidenstücker privat betrieben. Ab 1956 übernahm es die Handelsorganisation HO. Nach der Aufgabe des angrenzenden Hotels „Börse“ vereinnahmte man dessen Gästezimmer und<br />
konnte die Bettenzahl in der ersten Hälfte der 1980er Jahre um ca. 30 erhöhen. Der Hotel wurde sehr oft für Betriebsfeiern und private Veranstaltungen genutzt. Die heutige Hotelanlage wurde 1969 erbaut.<br />
<br />
[[File:Nordhausen - Hotel Handelshof.jpg|thumb|Hotel Handelshof (2012)]]<br />
<br />
Nach der Wiedervereinigung ging das traditionsreiche Haus in Privatbesitz und wurde bis Dezember 2018 unter dem Namen Handelshof weitergeführt. Im Januar 2019 wurde das Hotel von [[Axel Heck]] übernommen, im Stile der 1920er Jahre renoviert und im August unter dem Namen Hotel Fürstenhof wiedereröffnet.<br />
<br />
== Externe Verweise ==<br />
* Stasi hörte in "operativen Betten" ab, NNZ 16. Dezember 2017<br />
* Im Intershop war immer Weihnachten, NNZ 17. August 2019<br />
<br />
* [https://m.thueringer-allgemeine.de/web/mobil/nordhausen/detail/-/specific/Hotel-Handelshof-in-Nordhausen-erhaelt-Stil-der-Goldenen-20er-69400967?fbclid=IwAR1IEXjOTD5Rzvz2bz3-4ZGbIzhF7iax32Nt-LMkjFxvBzYc7xV_HJjEikQ Thüringer Allgemeine: ''Hotel Handelshof in Nordhausen erhält Stil der „Goldenen 20er“'', 12. Januar 2019.]<br />
* [https://www.nnz-online.de/news/news_lang.php?ArtNr=248233 NNZ: ''Aus Handelshof wird Fürstenhof'', 10. Januar 2019.]<br />
* [https://www.nnz-online.de/news/news_lang.php?ArtNr=260578 NNZ: ''Zwanziger Jahre zum Anfassen'', 22. August 2019.]<br />
<br />
<br />
[[Kategorie:Bauwerk]]<br />
[[Kategorie:Hotel]]<br />
[[Kategorie:Gaststätte]]</div>Latimer Rexhttps://nordhausen-wiki.de/index.php?title=Luftangriffe_auf_Nordhausen&diff=15365Luftangriffe auf Nordhausen2020-01-07T10:22:39Z<p>Latimer Rex: </p>
<hr />
<div>[[Datei:Marktkirche Rathaus Nordhausen 1945.jpg|thumb|300px|[[Marktkirche]], [[Altes Rathaus|Rathaus]] und [[Stadthaus]] nach den Luftangriffen]]<br />
Die '''Luftangriffe auf Nordhausen''' am 3. und 4. April 1945 durch Bomber der britischen Royal Air Force zerstörten Dreiviertel der Stadt. Dabei kamen über 8.800 Menschen ums Leben, weitere 20.000 wurden obdachlos. Mit einem Wohnungszerstörungsgrad von 55% (10.000 Wohnungen) gehörte Nordhausen zu den am schwersten zerstörten deutschen Städten; zahlreiche Denkmale von hervorragender Bedeutung, darunter die für Nordhausen charakteristischen Fachwerkbauten des 13. bis 19. Jahrhunderts, wurden vernichtet. Der historische Stadtkern, die Neustadt und die Gebäude um die [[Frauenbergkirche]] wurden fast gänzlich eingeebnet. Erhalten blieben die Gebiete westlich und nördlich der [[Stadtmauer]], [[Barfüßerstraße]], [[Kalte Gasse]], Teile des historischen [[Königshof]]s sowie der Stadtteil [[Altendorf]]. Ein Großteil der stark beschädigten Bauwerke wurde nach dem Zweiten Weltkrieg abgerissen. <br />
Die zerstörerische Gesamtwirkung aller Bomben und Luftminen war von keinem Einzelangriff im Luftkrieg gegen Deutschland auch nur annähernd erreicht worden.<ref>Geiger: ''Nordhausen im Bombenvisier''. S. 150.</ref> Bei der Bombardierung von Nordhausen handelte es sich um die größte Katastrophe in seiner tausendjährigen Geschichte. Die Stadt hatte danach aufgehört, als geordnetes Gemeinwesen zu existieren. <br />
<br />
== Nordhausen im Krieg ==<br />
Nordhausen hatte vor dem Zweiten Weltkrieg ca. 42.000 Einwohner. Während des Krieges stieg deren Zahl durch Ortsfremde (Luftkriegsevakuierte, Flüchtlinge, ausländische Arbeitskräfte, Verwundete und Kriegsgefangene) Anfang März 1945 auf 65.000 Einwohner.<ref>Peter Kuhlbrodt (Hrsg.): ''Schicksalsjahr 1945. Inferno Nordhausen''. Nordhausen: Archiv der Stadt Nordhausen, 1995. S. 20, 33 </ref> Insbesondere für Evakuierte aus Berlin, Hamburg und Westdeutschland waren Stadt und Kreis Nordhausen als Aufnahmeräume ausgewiesen.<br />
<br />
Der Bau von Luftschutzanlagen begann im Spätsommer 1943. Viele Bunkeranlagen in der Innenstadt blieben unvollendet. Am 29. November 1943 wurde für Nordhausen ein Evakuierungsplan, der Aussiedlungsrichtungen und Aufnahmegebiete festlegte, ausgearbeitet.<ref>Geiger: ''Nordhausen im Bombenvisier''. Nordhausen: Verlag Neukirchner, 2000. S. 65</ref><br />
<br />
{| class="wikitable sortable"<br />
|+ style="padding-bottom:1em" | Bis zum 22. Februar 1945 realisierte Stollenabschnitte<ref>Ullrich Mallis: ''Der Luftschutzstollen am Johanneshof / Neuer Weg. Ein Nordhäuser Baudenkmal'', in: ''[[Nordhäuser Nachrichten. Südharzer Heimatblätter (2/2011)]]'', S. 10.</ref><br />
|- class="hintergrundfarbe6"<br />
! class="unsortable" | Stollenabschnitte !! class="sortable" | Länge !! class="unsortable" | Herstellung !! class="unsortable" | Ausbauart !! class="unsortable" | Bemerkung<br />
|-<br />
| Stollen IA, Mühlhof || style="text-align:right" | 55,00 m<br />
| Okt. 1943 – Febr. 1944 || Beton, 27,5 m nur Holzausbau || Richtung Loge<br />
|-<br />
| Fluko-Bunkerzugang || style="text-align:right" | 2,40 m<br />
| Febr. – März 1944 || Eisenbetongewölbe || IA, > 40 m links<br />
|-<br />
| Kreuz IA-Stummel || style="text-align:right" | 0,50 m<br />
| März 1944 || Eisenbetongewölbe, wie das gesamte Kreuz IA || Drehscheibe<br />
|-<br />
| Stollen IB, Johannishof || style="text-align:right" | 38,50 m<br />
| Nov. 1943 – April 1944 || Beton, 22,5 m mit Firstschienen || noch begehbar<br />
|-<br />
| Stollen von IA nach IB || style="text-align:right" | 66,10 m<br />
| März 1944 – Nov. 1944 || Beton || Durchschlag im Nov. 1944<br />
|-<br />
| Stollen von IB nach IA || style="text-align:right" | 38,25 m<br />
| April 1944 – Nov. 1944 || Beton || Durchschlag im Nov. 1944<br />
|-<br />
| Oststollen, von IA-IB ab || style="text-align:right" | 21,75 m<br />
| Dez. 1944 – Febr. 1945 || Seitenbeton, Art des Firstausbaues nicht benannt || <br />
|-<br />
| Südstollen IC, ab IB || style="text-align:right" | 49,75 m<br />
| April 1944 – Febr. 1945 || || zum Lohmarkt<br />
|-<br />
| class="hintergrundfarbe5" | Gesamt: || style="text-align:right" class="hintergrundfarbe5" | 272,25 m<br />
| class="hintergrundfarbe5" | Okt. 1943 – Febr. 1945 || class="hintergrundfarbe5" | || class="hintergrundfarbe5" |<br />
|}<br />
<br />
<br />
<br />
Als Garnisonstadt hatte Nordhausen keine ältere Tradition. Ab 1935 wurde im Süden die [[Boelcke-Kaserne]] errichtet, mit Unterkünften und Fahrzeughallen; sie diente der Ausbildung von Luftnachrichtensoldaten. Daneben entstanden ein Fliegerhorst als Ausbildungsplatz und zeitweise Flugzeugwerft. Bis März 1945 wurden hier Flugzeuge für den Mistelschlepp ("Huckepack"-Flugzeuge) montiert und Piloten dafür geschult. Sonst diente der Fliegerhorst 1945 noch zum Auftanken von Jagdflugzeugen. In provisorischen Unterkünften in der Stadt gab es die evakuierte "Marineverwaltung West". In der Stadt und ihrer nahen Umgebung existierten viele Lazarette mit insgesamt etwa 1.000 Verwundeten. Die Lazarette und Krankenhäuser trugen weithin sichtbare große Rotkreuz-Symbole auf den Dächern. <br />
<br />
Das [[Mittelwerk GmbH|Mittelwerk Dora]] bei Nordhausen produzierte Anfang April 1945 keine V-Waffen oder andere Rüstungsgüter mehr. Die dort Beschäftigten, unter ihnen Tausende von Häftlingen des KZ Mittelbau-Dora und Zwangsarbeiter, wurden evakuiert. Das Werk oder seine Verkehrsanbindungen waren nie Ziel alliierter Luftangriffe. <br />
<br />
Die frühere [[KZ-Außenlager Boelcke-Kaserne|Boelcke-Kaserne]] wurde seit Herbst 1943 nicht mehr militärisch genutzt. Sie hatte seitdem Tausende von Arbeitern, später auch Flüchtlinge aufgenommen. Seit 8. Januar 1945 existierte ein bald überfülltes Häftlingslazarett in der Anlage.<ref> Manfred Schröter: ''Die Zerstörung Nordhausens''. Nordhausen: Meyenburg-Museum, 1988. S. 6-8 </ref> Im Februar kamen zeitweise 3.500 Häftlinge aus dem KZ Groß-Rosen dazu.<ref> Walter Geiger: ''Nordhausen im Bombervisier''. Nordhausen: Verlag Neukirchner, 2000. S. 258 </ref><br />
<br />
== Erste Angriffe ==<br />
In der Nacht vom 25. August auf den 26. August 1940 griffen zwei britische Bomber vom Typ Handley Page Hampden den [[Flugplatz von Nordhausen]] an und warfen vier Bomben ab.<ref>Geiger: ''Nordhausen im Bombenvisier''. S. 61 f.</ref> Es entstand ein kleiner Brand, der bald gelöscht werden konnte. <br />
<br />
Von 1940 bis 1943 gab es insgesamt 72 öffentliche Luftwarnungen und Fliegerarlarme für Nordhausen. Als sich die alliierten Luftangriffe im Jahr 1944 auf die im Hinterland gelegenen deutschen Städte intensivierten, wurde Nordhausen verstärkt Überflugsort alliierter Bomberverbände, etwa wenn sie Berlin, Dessau oder Leipzig anflogen. Im März 1945 erreichten die durchschnittlich fünf bis sechs Luftalarme ihren Höhepunkt.<ref>Geiger: ''Nordhausen im Bombenvisier''. S. 98 f.</ref> <br />
<br />
Am 12. April 1944 flogen während der Mittagszeit zwei aus südlicher Richtung kommende amerikanische Jäger die Stadt an und töteten zwei Menschen, zwei Personen wurden schwer verletzt.<ref>Geiger: ''Nordhausen im Bombenvisier''. S. S 221 f.</ref> <br />
<br />
[[Datei:Luftangriffe Nordhausen Traueranzeige.jpeg|thumb|Traueranzeige vom 26. Februar 1945]]<br />
<br />
Am 22. Februar 1945 griffen gegen 12:30 Uhr US-amerikanische Bomber den Verschiebebahnhof an, trafen jedoch die Unterstadt, einige Anlagen des Industriegebietes und die vormalige Fernmeldeschule der Luftwaffe in der [[Boelcke-Kaserne]]. Insgesamt fielen 296 Mehrzweckbomben und töteten 40 Menschen. Im ''[[Südharzer Kurier]]'' erschien am 26. Februar eine Todesanzeige für die „Gefallenen des Terrorangriffs“ mit der Ankündigung zur Beisetzung. <br />
<br />
Am 28. Februar 1945 warfen drei amerikanische Maschinen 2,5 Tonnen Sprengbomben auf die Stadt ab. <br />
<br />
Am 1. April 1945 wurden das Auto-Hotel Hesse durch Bomben getroffen und zahlreiche Menschen getötet.<br />
<br />
== Großangriffe im April 1945 ==<br />
[[File:Avro Lancaster Mk 1 ExCC.jpg|thumb|Langstreckenbomber vom Typ ''Avro Lancaster'', wie sie bei der Bombardierung von Nordhausen zum Einsatz kamen.]]<br />
[[File:Mosquito 600pix.jpg|thumb|Zielmarkierer ''De Havilland Mosquito'' (1944)]]<br />
Am 3. April 1945 starteten gegen 13 Uhr die englischen Bomberverbände und erreichten Nordhausen um 16 Uhr. Die 247 Avro-Lancaster-Bomber (Tragfähigkeit je 6 Tonnen Bombenlast) und 9 Mosquito-Mehrzweckflugzeuge warfen in 20 Minuten ca. 1.216 Tonnen Sprengbomben ab und trafen vor allem die Außenbezirke von Nordhausen.<ref>Groehler: ''Bombenkrieg gegen Deutschland'', S. 422.</ref> Im Stadtinnern fielen Bomben um die [[Neustadt-Kirche]] und [[Neustadtstraße]]. In den umliegenden Wäldern und Ortschaften [[Sundhausen]], [[Bielen]], [[Himmelgarten]], [[Leimbach]] und [[Krimderode]] fielen schwere Bomben und Luftminen. Getroffen wurde auch die mit kranken Häftlingen überbelegte [[Boelcke-Kaserne]], wo allein in einer mit Tuberkolose-Kranken belegten Flugzeughalle 450 Menschen den Tod gefunden haben sollen.<ref>Wagner: ''Produktion des Todes.'' S. 280</ref> Die Stadt ohne Strom und Leitungswasser. Die Verletzten wurden gesammelt und nach [[Neustadt/Harz|Neustadt]] und [[Sülzhayn]] gebracht, die Ausgebombten erhielten Notquartiere in der Stadt selbst und ihrer Umgebung. Viele Nordhäuser flüchteten aus der Stadt. Zwei Stollen der unterirdischen Anlagen von Mittelbau Dora im Kohnstein nahmen bereits am 3. April Geflüchtete auf, später wurden es 10.000. Das Stadtkrankenhaus war beschädigt, die Patienten wurden in Notkrankenhäuser in das benachbarte [[Petersdorf]] gebracht, vor allem in das Ausflugsrestaurant Harzrigi.<ref> Manfred Schröter: ''Die Zerstörung Nordhausens''. Nordhausen: Meyenburg-Museum, 1988. S. 22, 23 </ref> Bomben fielen auch auf mehrere benachbarte Dörfer und deren Flur, besonders betroffen war Bielen. Zwei Bomber gingen beim Hin- und Rückflug verloren. Der erste Angriff erzielte die gewünschte Wirkung jedoch nicht. Der Angriff am 3. April war aus Sicht der RAF ein Misserfolg (Quelle?)<br />
<br />
Am 4. April gegen 9 Uhr begann der zweite Großangriff der RAF. Der Verband kam über Gotha, Bad Langensalza und Schlotheim. Für 93 Bomber wurde die Boelcke-Kaserne als Angriffsziel befohlen, die anderen 150 hatten das Stadtzentrum anzugreifen.<ref>Geiger: ''Nordhausen im Bombenvisier''. S. 146 f.</ref> Zwei Bomber mussten frühzeitig zurückkehren, und zehn weitere hatten ihren militärischen Auftrag verfehlt, so dass von den 243 Flugzeugen 231 am Luftschlag teilnahmen. Ein Bomber explodierte über der Stadt. Die örtliche Feuerwehr war, soweit noch vorhanden, von der Lage völlig überfordert. Unter der überlebenden Bevölkerung herrschte Panik, viele verließen fluchtartig zu Zehntausenden das Inferno der Stadt. Auch außerhalb von Nordhausen wurde sie von Jagdbombern beschossen.<ref> Manfred Schröter: ''Die Zerstörung Nordhausens''. Nordhausen: Meyenburg-Museum, 1988. S. 26 </ref> Am Abend und in der Nacht war die Stadt ein weithin leuchtendes Flammenmeer.<ref> Peter Kuhlbrodt: ''Schicksalsjahr 1945. Inferno Nordhausen''. Nordhausen 1995. S. 23 </ref> In der Mitte davon leuchtete der Kirchturm von St. Petri als riesige Fackel, die gegen Mitternacht zusammenbrach und auf das Kirchenschiff stürzte. RAF-Piloten, die von einem Einsatz bei Merseburg zurückflogen, berichteten um 23.00 Uhr von „good fires at Nordhausen“.<ref> Walter Geiger: ''Nordhausen im Bombervisier''. Nordhausen, 2000. S. 180 f.</ref> <br />
Der gebürtige Nordhäuser Schriftsteller [[Rudolf Hagelstange]] schrieb in seiner deutschen Familienchronik (Band 2: „Der Niedergang“, Seite 254) über die Feuersbrunst in seiner Heimatstadt: „Und die Hitze war so groß, dass in den meisten Straßen, sofern sie nicht gepflastert waren, der Asphalt geschmolzen war, dass Flüchtende da und dort in ihn eingesunken waren, einige unlöslich und damit zum Flammentod verurteilt.“<br />
<br />
=== Opfer ===<br />
[[Datei:Einwohnerentwicklung von Nordhausen ab 1800.svg|thumb|Einwohnerzahl von Nordhausen ab 1800. Deutlich sichtbar der Peak 1945]]<br />
Bei den Großangriffen im April 1945 kamen ca. 8.800 Menschen ums Leben. Diese Zahl geht auf Schätzungen vom Februar 1948 zurück.<ref name="Kuhlbrodt125">Kuhlbrodt: ''Inferno Nordhausen''. S. 125 f.</ref> Vor dem Abgriff befanden sich rund 65.000 Personen in der Stadt (42.000 ständige Bevölkerung, Militärpersonen, Gefangene, ausländische Arbeiter, Spezialarbeiter der Kriegsindustrie, Evakuierte). Der Antifa-Ausschuss von Nordhausen schätzte am 17. Juni 1945, dass über 10.000 Menschen bei den Bombenangriffen ums Leben gekommen seien.<ref> Peter Kuhlbrodt: ''Schicksalsjahr 1945. Inferno Nordhausen''. Nordhausen 1995. S. 115 </ref><br />
<br />
In den ersten Tagen ließ der US-Stadtkommandant in den Straßen liegende Leichen auf den Sonderfriedhof am Schlageter-Ring bringen. Andere wurden an Ort und Stelle in Bombentrichtern beerdigt. Eine beträchtliche Zahl ziviler Opfer und deutscher Soldaten wurde dann in dem höher gelegenen Teil des heutigen Ehrenfriedhofs in Massengräbern beigesetzt, unweit der getöteten Häftlinge aus der Boelcke-Kaserne. Für die später gefundenen Opfer ohne Anhang wurden Massengräber im vorderen Teil des Alten Hauptfriedhofs in der Leimbacher Straße angelegt. Heute steht an dieser Stelle ein Wohnblock. Auf dem Neuen Hauptfriedhof am Ring sind in den ersten Wochen und Monaten 920 Bombenopfer beerdigt worden.<br />
<br />
{| class="wikitable"<br />
|-<br />
| Verluste der ständigen Bevölkerung || 6.000<br />
|-<br />
| Verluste der nicht ständigen Bevölkerung || 1.500<br />
|-<br />
| Verluste der Häftlinge der Boelcke-Kaserne || 1.300<br />
|-<br />
| zusammen || 8.800<br />
|-<br />
|} <br />
<br />
==== Persönlichkeiten ====<br />
* [[Paul Urban]] (geb. 1892), KPD-Stadtrat<br />
<br />
=== Schäden und Totalverluste ===<br />
<br />
Der Zerstörungsgrad der Stadt wurde mit 74 Prozent errechnet. Die Gesamtfläche des zerstörten Gebietes betrug 810.000 Quadratmeter. Von den 13.075 Wohnungen wurden 6.187 total zerstört und 4.575 beschädigt.<br />
<br />
==== Kirchen ====<br />
<br />
[[Datei:Petri-Kirche Außenansicht.JPG|thumb|[[St.-Petri-Kirche]]]]<br />
*[[St.-Jakobi-Kirche]]: Am 3. April erheblich durch Bomben zerstört. Reste des Schiffes abgetragen, Turmruine zu DDR-Zeiten beseitigt.<br />
*[[Marktkirche]]: Am 3. April weitgehend zerstört. Ruinenreste abgetragen.<br />
*[[St.-Petri-Kirche]]: Am 3. April bis auf Turm und Chor zerstört, zahlreiche Menschen finden in der Kirche den Tod. Der Turm erhielt 1954 ein Notdach, die übrigen Ruinenteile wurden beseitigt. 1987 wurde ein neuer Turmhelm gesetzt.<br />
* [[St.-Blasii-Kiche]]: Dach und Mauerwerk am 4. April durch Bombentreffer erheblich beschädigt [[Cranachgemälde]] im Auslagerungskeller verbrannt. Bis 1949 Wiederherstellung des Daches, Ausbesserung Mauerwerk, Erneuerung des Inneren.<br />
*[[Nordhäuser Dom]]: Am 4. April schwere Schäden durch Brandzerstörung des Steildaches über der Halle und Vernichtung der Fenster. Noch 1945 Fertigstellung Notdach und Beseitigung der Folgeschäden. 1965 Wiederherstellung des Steildaches in ursprünglicher Form.<br />
*[[Frauenbergkirche]]: Am 4. April durch Bomben schwer zerstört. Erhalten blieben Umfassungsmauern der Chor mit Apside, die Nebenchöre und das Querschiff, vom Langhaus nur Reste des ersten Joches sowie des Westportal. Von 1953 bis 1955 folgte Enttrümmerung und Sicherungsarbeiten.<br />
*[[Frauenbergkloster]]: Am 4. April durch Bombentreffer total zerstört. Gebäudereste wurden nach 1945 entfernt.<br />
<br />
==== Öffentliche Bauten ====<br />
*[[Rathaus]]: Am 4. April bis auf die Umfassungsmauern zerstört, Turm ausgebrannt. Ab 1951 entfernen der Trümmer und Wiederaufbau bis 1952, dabei wurden die Erdgeschoßarkaden und das Innere neu gestaltet. Zum ebenfalls schwer zerstörten [[Stadthaus]] wurde der Verbindungsgang wiederaufgebaut, der [[Roland]] restauriert.<br />
*[[Stadtmauer]]: Es entstanden Schäden an der Stadtmauer, wobei besonders die teilweise genutzten Türme und Wiechhäuser betroffen wurden. Nach dem Krieg wurden Ruinen abgetragen und Sicherungsarbeiten durchgeführt. Zur Landesgartenschau 2004 erfolgten umfangreiche Sanierungsarbeiten, besonders um den [[Petersberg]]. <br />
*[[Theatergebäude]]:<br />
<br />
==== Fachwerkbauten ====<br />
[[Datei:Nordhäuser Roland 1945.jpg|thumb|Das ausgebrannte Rathaus mit dem [[Nordhäuser Roland|Roland]], der die Angriffe wie durch ein Wunder überstand]]<br />
[[Datei:Riesenhaus, Riese, Postkarte.jpg|thumb|Postkarte vom [[Riesenhaus]] am Holzmarkt (Lutherplatz) mit dem [[Nordhäuser Riese]]n.]]<br />
Bedeutende Fachwerkhäuser, die zerstört wurden (lt. dem Denkmalpfleger Rudolf<br />
Zießler):<br />
<br />
*[[Bäckerstraße]] 22: Mitte des 18. Jahrhunderts errichteter dreigeschossiger, neunachsiger, verputzter Fachwerkbau mit massivem Erdgeschoß, Satteldach und Zwerhaus. Stichbogenfenster mit einfacher profilierter Rahmung in Dreiergruppen. Betonung der Mittelachse durch ein von Pilastern flankiertes Portal mit gesprengtem Giebel, darauf ruhende Frauen und Wappen sowie durch einen auf Konsolen sitzenden Balkon mit schmiedeeisernem Gitter.<br />
*[[Blasiistraße]] 15: Alte Schule. Errichtet um 1700 als dreigeschossiger stattlicher Fachwerkbau mit hohem Satteldach. Unregelmäßige Fenstergruppierung (im ersten Obergeschoß dreizehn Achsen). Fachwerk mit halben Männern. Obergeschoß vorkragend mit Balkenköpfen und gekehlten Füllhölzern.<br />
*Blasiistraße 21: Bedeutendstes Renaissance-Fachwerkhaus Nordhausens von etwa 1550. Dreigeschossig mit zehn Fensterachsen in unregelmäßiger Gruppierung, Geschosse stark vorkragend. Reich ausgebildetes Schmuckfachwerk mit Balkonköpfen, Knaggen, Füllhölzern und Schiffskehlen. Haupteingang mit kräftigen Gewämdepfosten und halben Sonnen um 1700.<br />
*[[Hagenstraße]] 4: Um 1800 errichtet als zweigeschossiger, verschieferter Fachwerkbau mit zehn Fensterachsen. Eckpilaster, ebensolche toskanische Holzpilaster flankieren die vier Mittelachsen und nehmen einen verschieferten Dreieckgiebel auf. Stichbogenfenster mit einfacher Rahmung und Schlußsteinbetonung.<br />
*Hagenstraße: Ilfelder Hof, ehem. Klosterhof, seit dem ersten Viertel des 18. Jahrhunderts Kurhannoversche Postverwaltung, seit 1853 in Privatbesitz. 1277 angelegt, später erweitert, im 17. Jahrhundert Neubau auf erweitertem Grundriss mit massivem Erdgeschoß und zwei Fachwerkobergeschossen, verschiefert.<br />
*[[Holzmarkt]] (Lutherplatz): „Riesenhaus“. 1375 erstmals erwähntes Patrizierhaus mit massivem Erdgeschoss, zwei Fachwerkobergeschossen und Satteldach. Nach Brand von 1710 im Fachwerk erneuert. Fassade gegliedert durch zwölf Fensterachsen, jeweils in Dreiergruppen angeordnet. Fachwerkkonstruktion mit Wilden Männern. Mittelgiebel mit einem Mann in Ritterrüstung ([[Nordhäuser Riese]]), der eine Lanze hält. 1805 Einrichtung einer Gaststätte, Verputz des Fachwerks und klassizistische Fassadengestaltung. 1927 Endrestaurierung und Wiederherstellung des Fachwerks.<br />
*Jakobikirchplatz 4: Lateinschule. Zweigeschossiger Fachwerkbau von 1493 mit Satteldach. Ständer- und Riegelbau. Vorkragendes Obergeschoß über geschwungene Knaggen. Durchlaufender Fensterbrustriegel.<br />
*Jakobikirchplatz: Pfarrhaus. 1687 errichteter zweigeschossiger Fachwerkbau mit Krüppelwalmdach. Fenstergruppierung unregelmäßig. Stiele und Brustriegel durch Wilde Männer verstärkt. Geringe Auskragung, Balkonköpfe und Schwelle mit einfacheren Profilen. Gefache mit Ziegeln in Mustern ausgemauert. Oberdeutsch beeinflusstes Fachwerk.<br />
*[[Königshof]] 14: Dreigeschossiger Fachwerkbau mit oberdeutschen Stilelementen, ganze und halbe Männer. Um 1780 Verkleidung der Fenster mit Rokokogirlanden.<br />
*[[Krämerstraße]] 11: Verschieferter, zweigeschossiger, fünfachsiger Fachwerkbau mit spätbarockem Volutengiebel. Stichbogenfenster mit Rahmenverkleidung. Erdgeschoss durch Ladeneinbauten verändert.<br />
*Krämerstraße 15: Um 1700 errichteter schmaler dreigeschossiger Fachwerkbau in oberdeutschem Stil mit halben Männern an den Ecken. Balkonköpfe und Füllhölzer mit einheitlichem Profil. Satteldach mit Zwerchhaus.<br />
*[[Lohmarkt]] 2, 4, 20, 21: Nach 1686 errichtete Gerberhäuser. Zwei- bzw. dreigeschossige Fachwerkgebäude im gleichen oberdeutschen Baustil wie Pfarrhaus Jakobikirchplatz. Besonders reich ausgebildet der Türstock mit Renaissanceformen und Inschrift. Satteldächer mit Zwerchhäsern (Ladeluken).<br />
*[[Neustadtstraße]] 27: Zweigeschossiger, elfachsiger Fachwerkbau aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts mit Satteldach. An den Fenstern Rokokoverkleidung.<br />
*Neustadtstraße 35: Zweigeschossiger, achtachsiger Fachwerkbau aus der Mitte des 18. Jahrhunderts auf Sandsteinsockel. Türen und Fenster in Stichbogen mit geschnitzter Rokokoverkleidung.<br />
*Neustadtstraße 47: Dreigeschossiger Fachwerkbau der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts mit Krüppelwalmdach. Rokokofensterbekleidungen handwerklich vereinfacht.<br />
*[[Pferdemarkt]] 17: Dreigeschossiger Fachwerkbau von etwa 1550, niederdeutsch beeinflusst. Auskragung des Obergeschosses mit Balkonköpfen, Knaggen und Füllhölzern. Erdgeschoß baulich verändert.<br />
*[[Sandstraße]] 3, 21, 23, 28: Diese Häuser hinsichtlich der Entstehungszeit und der architektonischen Ausbildung denen der Neustadtstraße entsprechend.<br />
<br />
==== Situation nach dem Großangriff ====<br />
[[Datei:Boelcke-Kaserne-Tote HäftlingeA.jpg|thumb|Einwohner Nordhausens tragen am 12. April 1945 unter Bewachung von Angehörigen der US-Armee tote Häftlinge aus der Boelcke-Kaserne und legen sie davor ab]]<br />
[[File:Nordhausen um 1930.jpeg|thumb|Der Stadtteil [[Altendorf]] blieb weitgehend unzerstört (Luftaufnahme um 1930)]]<br />
Das britische Bomber Command berichtete als Ergebnis der beiden Großangriffe, dass „die Stadt fast vollständig zerstört wurde, inbegriffen die Kasernenblöcke.“<ref> Walter Geiger: ''Nordhausen im Bombervisier''. Nordhausen: Neukirchner, 2000. S. 154 </ref> <br />
Die Situation für die Bevölkerung nach den Angriffen kann nur mit dem Begriff „Inferno“ beschrieben werden. Das Stadtzentrum konnte tagelang nicht betreten werden. Es wüteten noch zahlreiche Brände<ref> Peter Kulhlbrodt: ''Schicksalsjahr 1945. Inferno Nordhausen''. Nordhausen 1995. S. 24</ref>, die Schutthaufen strahlten unerträgliche Hitze aus. Bomben mit Zeitzündern gingen hoch. Über den Trümmerfeldern lag bald Leichengeruch, besonders im Bereich der Boelcke-Kaserne. In den Nächten des 6. und 7. April wurden die Kranken und Verwundeten aus Nordhausen und Umgebung durch alle verfügbaren Fahrzeuge, besonders mit Bauern-Gespannen, in den Kohnstein in Sicherheit gebracht. Die Nordhäuser Bevölkerung verteilte sich nach Schätzungen am 7. April wie folgt: 6.000 (8.800) Opfer tot unter den Trümmern, 6.000 Überlebende noch in der Stadt, 10.000 im Kohnstein und 20.000 in den umliegenden Dörfern, besonders nordöstlich der Stadt.<ref> Manfred Schröter: ''Die Zerstörung Nordhausens''. Nordhausen: Meyenburg-Museum, 1988. S. 30 </ref> Am 8. April flogen 6 Jagdbomber noch einen Tagesangriff nach Zielmarkierung auf Nordhausen, parallel zu dem Bombardement auf [[Sondershausen]]. Am 10. April näherten sich US-Panzer aus Richtung [[Hain (Kleinfurra)|Hain]] dem Süden der Stadt und nahmen ihn unter Feuer, darunter die Trümmer der Boelcke-Kaserne.<ref> Manfred Schröter: ''Die Zerstörung Nordhausens''. Nordhausen: Meyenburg-Museum, 1988. S. 37 </ref><br />
<br />
== Nachwirkungen ==<br />
Insgesamt waren vom britischen Bomber Command 2.386 Tonnen und von der 8. US Air Force 296 Tonnen Bombenlast auf Nordhausen abgeworfen worden.<ref> Olaf Groehler: ''Bombenkrieg gegen Deutschland''. Berlin: Akademie-Verlag, 1990. S. 449 </ref><br />
Eine der am längsten nachwirkenden Folgen der Luftangriffe für die Bürger der Stadt blieben Hunderte von Blindgängern aller Kaliber: zwischen den Trümmern der Stadt und im Erdreich der Straßen, Gärten und Felder. In den ersten Jahren machten sich die Feuerwerker Jochen Nebel und Albin Diebler sehr verdient um die Entschärfung gefundener Bomben, ab 1962 der - deshalb zum Ehrenbürger ernannte - Helmut Zinke. Im Stadtgebiet wurden 1948 bis 1953 etwa 100 Bomben entschärft, dann 248 Blindgänger von 1954 bis 1999 entzündet und geräumt.<ref>Walter Geiger: ''Nordhausen im Bombervisier''. Nordhausen, 2000. S. 263-264 </ref> <br />
<br />
Noch 2014 gilt eine Verordnung in Nordhausen, nach der jeder Bürger, der bauen will, sicherstellen muss, dass unter seinem Grund und Boden kein Gefahrgut liegt.<ref>Katja Dörn: ''Die Gefahr rostet im Thüringer Boden''. Thüringische Landeszeitung, 12. Dezember 2014 </ref><br />
<br />
Auswahl weiterer Funde von Blindgängern:<br />
* 1996: 250-Kilogramm-Blindgänger wird gesprengt<br />
* 2008: 227-Kilogramm-Bombe in der Altstadt<br />
* 2010: Fünf-Zentner-Bombe am [[Taschenberg]] entdeckt, 4.500 Menschen wurden evakuiert, Bombe konnte nicht entschärft werden<br />
* Juni 2016: Kontrollierte Sprengung einer 800-Kilogramm-Bombe, Leimbach und Steigerthal mussten geräumt werden (1.080 Einwohner) <br />
* Dezember 2016: Fünf-Zentner-Bombe am [[Strohmühlenweg]], ca. 1000 Einwohner, so auch die Hochschule Nordhausen, wurden evakuiert<br />
* September 2017: Bombe auf einem Feld in der [[Windlücke]], ca. 3000 Einwohner evakuiert, Bombe entschärft<ref>https://www.nnz-online.de/news/news_lang.php?ArtNr=219719</ref><br />
* Oktober 2018: Bombe in der Windlücke, ca. 3000 Einwohner evakuiert, Bombe entschärft<ref>https://www.nnz-online.de/news/news_lang.php?ArtNr=243515</ref><br />
* November 2018: Bombe in Bielen, 1.1000 Einwohner wurden evakuiert (Sperrzone 1 Kilometer), Bombe entschärft<br />
* August 2019: 225-Kilogramm-Bombe an der [[Zorge]], 2.500 Einwohner wurden evakuiert (Sperrzone 500 Meter), Bombe entschärft und Zünder gesprengt<br />
* November 2019: 225-Kilogramm-Bombe am [[Stadttheater]], ca. 15.000 Einwohner wurden evakuiert (Sperrzone 1 Kilometer), Bombe entschärft und Säurezünder gesprengt. Es war die größte Evakuierungsaktion in Nordhausen nach dem Zweiten Weltkrieg.<ref>MDR, 8. November 2019</ref><br />
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== Rezeption ==<br />
[[Datei:Nordhausen mahnt 1949.jpg|thumb|200px|Werbeplakat zur Ausstellung „[[Nordhausen mahnt - Ausstellung vom 6. bis 27. März 1949|Nordhausen mahnt]]“ im März 1949]]<br />
Luftangriffe waren im Zweiten Weltkrieg für alle Kriegsparteien zum entschiedenen strategischen Kriegskonzept geworden. Die Westalliierten glaubten durch die planmäßige und massive Zerstörung deutscher Städte, vor allem der Wohngebiete der Industriearbeiter, die Moral und den Widerstandswillen der Bevölkerung zu brechen und den Krieg schneller beenden zu können.<ref>Johannes Volker Wagner: ''Bomben auf Bochum''. S. 3.</ref> Im Januar 1943 einigten sich Großbritannien und die Vereinigten Staaten in Casablanca auf die Forderung nach bedingungsloser Kapitulation des Deutschen Reiches und auf eine weitere Verschärfung des Bombenkrieges. Zu dieser Zeit war die deutsche Luftabwehr längst nicht mehr in der Lage, das Reichsgebiet zu verteidigen. Die Alliierten erreichten ihr Ziel der Demoralisierung nicht, und viele Deutsche klammerten sich in Verzweiflung an die Hoffnung auf einen „Endsieg“.<br />
<br />
<!-- Auszug aus „Winston Churchill“. Der späte Held, eine Biographie von Thomas Kielinger, erschienen im Verlag C.H. Beck, Kapitel XY, Seite 301 ff.: Nach dem Kriege stand eine andere Verantwortung Churchills im Vordergrund – „für die Vernichtung von nahezu 60 der größten Städte Deutschlands“. „Mit dem Untergang Dresdens sind auch nachdenkliche Briten bis heute nicht fertig. Die Zweifel, ob die Zerstörung dieser und anderer Städte so kurz vor dem nahen Kriegsende zu rechtfertigen war, haben sich längst zu dem Urteil verdichtet: Sie war es nicht! ... Hilft es zur Erklärung darauf hinzuweisen, dass in der Schlussphase des Krieges deutsche V1- und V2-Waffen weiterhin Zerstörung auf Antwerpen, Paris und London regnen ließen? Eine V2 schlug noch am 27. März 1945 im Osten Londons ein und tötete 134 Menschen. Die britische öffentliche Meinung hätte es nicht verstanden, wenn die mili-tärische Führung auf Schonung des Gegners geschaltet hätte, wo dieser bis zum Ende Vernichtung spie.“<br />
<br />
„Aber die alte Frage bleibt, die Lothar Kettenacker 2003 in dem Sammelband „Ein Volk von Opfern?“ noch einmal stellte – „ob der Zweck die Mittel heiligt, ob die Beseitigung einer unheilvollen Diktatur die rücksichtslose Bombardierung der Bevölkerung rechtfertigt. Unbehagen äußerte Churchill selbst schon 1943, als ihm Bilder von den Auswirkungen der Bomben in Deutschland vorgelegt wurden ...“ Der Australier Ricard Casey, der an den Sitzungen des britischen Kriegsrates ... teilnahm, schrieb am 27. Juni 1943 in sein Tagebuch: „Es wird ein Film gezeigt über das nächtliche Bombardement einer deutschen Stadt, und plötzlich richtet sich Churchill steil in seinem Sessel auf und sagt zur mir: ‚Sind wir Bestien? Gehen wir nicht zu weit? <br />
<br />
Churchills Meinungen zum Bombenkrieg gegen Deutschland schwankten. Nach der Zerstörung Dresdens begegnet man bei ihm, spät, einer eindeutigen Ablehnung, so in dem berühmten Memorandum vom 28. März 1945:‚Der Moment scheint mir gekommen, wo die Frage der Bombardierung deutscher Städte zum Zwecke der Erhöhung des ''''terrors'''' (in Englisch mit der Bedeutung von Angst und Schrecken) auch wenn wir andere Vorwände nennen, überprüft werden sollte... Es ist nötig, dass wir uns mehr auf militärische Ziele konzentrieren wie Öllager und Kommunikationszentren hinter der unmittelbaren Kampfzone, statt auf Akte des reinen terrors und der mutwilligen Zerstörung’.“<br />
„Nicht umsonst nannte man Harris auch den ‚butcher’, den Metzger. . . Schon Max Hastings (stockkonservativer Historiker) nannte in seinem Klassiker von 1979 ‚Bomber Command’ die Auslöschung deutscher Städte noch im Frühjahr 1945 ‚einen bleibenden Schandfleck’,“ soweit Kielinger. Nach Kriegsende zog sich Harris verbittert nach Südafrika zurück, weil er sich nicht gebührend geehrt vorkam. Luftangriffe hatte Harris als „relativ humane Methode“ bezeichnet. Butcher wurde er nicht wegen der zivilen Bombenopfer in Deutschland genannt, sondern weil 55 000 Angehörige des Bomber Command vom Feindflug nicht heimkehrten – jeder zweite Pilot und Bordschütze. --><br />
<br />
Im März 1945 hatte sich das Angriffstempo der US-Streitmacht im Vergleich zu den Vormonaten verlangsamt.<ref name="Gewiger158">Geiger: ''Nordhausen im Bombenvisier''. S. 158 f.</ref> Um dennoch den Stoß in das Zentrum Deutschlands als strategisches Ziel zügig fortzuführen, waren die Westalliierten zum Einsatz aller Mittel entschlossen, auch in Anbetracht eventuell noch bevorstehender Kämpfe und Widerstand im Südharz. Die Stadt Nordhausen erhielt daher militärische Bedeutsamkeit für die 1. US-Armee, auch wegen des Verschiebebahnhofs für Truppenbewegungen. Der unterirdische Rüstungsbetrieb im [[Kohnstein]] und das [[Konzentrationslager Mittelbau]] wurden dagegen nie zu Zielen von Luftangriffen. <br />
<br />
Nordhausen und Umgebung wurden Ende 1944 von britischen Fernaufklärern nachts unter tagheller Beleuchtung durch Magnesiumbomben sorgfältig aus der Luft fotografiert.<ref>Manfred Schröter: ''Die Zerstörung Nordhausens''. Nordhausen 1988, S. 55</ref> Die Bombardierung von Nordhausen wurde am 2. April 1945 vom Alliierten Oberkommando (SHAEF) befohlen.<ref name="Gewiger158"/> Gefordert wurde ein Angriff zur Unterstützung der 1. US-Armee mit Priorität zur frühestmöglichen Gelegenheit. Einige Tage zuvor wurde vom SHAEF die Zerstörung durch die RAF beschlossen.<ref>Manfred Schröter: ''Die Zerstörung Nordhausens''. Meyenburg-Museum Nordhausen, 1988, S. 54–55</ref><br />
<br />
Dieses, geführt von Luftmarschall Arthur Harris, erteilte am 2. April den unmittelbaren Befehl für einen Doppelschlag an zwei Tagen.<ref>Walter Geiger: ''Nordhausen im Bombervisier''. Nordhausen 2000, S. 108–109</ref> Der Zweck der RAF-Angriffe im April 1945 bestand darin, den Weg für einen ungehinderten Vormarsch von der im Südharzer Raum erwarteten Gegenwehr freizumachen. 3.466 britische Soldaten sollten als fliegendes Personal an den Angriffen teilnehmen. Ihnen wurde als Ziel des Angriffs erklärt: „To kill military and Nazi personnel evacuated from Berlin to these barracks“ (gemeint das Areal der Boelcke-Kaserne und die Stadt Nordhausen).<ref>Geiger: ''Nordhausen im Bombenvisier''. S. 121 </ref><br />
<br />
<!-- Bitte Quelle angeben!(Wie aus dem Text eindeutig hervorgeht: Der genannte Journalist und Gesprächspartner Dr. Meyers!) Der gebürtige Nordhäuser [[Manfred Neuber]], als Journalist von 1960 bis 1963 in London und New York, recherchierte als erster bei der Royal Air Force und der US Air Force über die Luftangriffe auf Nordhausen. Aus den detaillierten Angaben ging hervor, dass allein Bomber der Royal Air Force Nordhausen angegriffen hatten. Die SED-Propaganda hatte behauptet, es habe sich um „amerikanische Terrorangriffe“ gehandelt. So stand es auch Jahre auf der Gedenkstele für die Opfer der Luftangriffe neben dem Alten Rathaus. Neuber hatte Gelegenheit, im Jahre 1964 in Bad Lauterberg mit Dr. [[Herbert Meyer]], Oberbürgermeister Nordhausens vor Kriegsende 1945, über die Bombenangriffe zu sprechen. Dabei widerlegte Meyer noch Jahre nach dem Kriege kursierende Gerüchte, die Luftangriffe hätten eigentlich der Stadt Gotha gelten sollen. Weil die Verantwortlichen dort kapituliert hätten, sei Nordhausen angegriffen worden, weil es nicht ebenso gehandelt habe. Meyer versicherte, es habe keine Aufforderung zur Übergabe der Stadt gegeben. Zum Zeitpunkt der Luftangriffe standen die US-Panzerspitzen noch im Raume Kassel. --><br />
<br />
=== Vermutungen und Gerüchte über den Großangriff ===<br />
<br />
* Nordhausen soll Aufforderung zur kampflosen Übergabe ausgeschlagen haben<br />
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** Der Nordhäuser Oberbürgermeister bei Kriegsende, [[Herbert Meyer]], widersprach dieser Darstellung in einem Gespräch mit dem Journalisten Manfred Neuber um 1964 in Bad Lauterberg: „An die Stadtverwaltung ist niemals bis zu den Angriffen eine Aufforderung der Amerikaner ergangen, Nordhausen zur offenen Stadt zu erklären. Ich möchte bezweifeln, dass sie an Kreisleiter Nentwig ergangen ist.“<ref name="Sting252">Heinz Sting: ''Das 1000-jährige Nordhausen und der schöne Südharz''. Hannover: Nordhäuser Heimatfreunde, 1965. S. 252.</ref><br />
<br />
* Nordhausen wurde durch die US-Luftwaffe zerstört.<br />
** Es ist unbestritten und belegt, dass britische Bomber die Stadt zerstörten. „Die Einsatzbefehle der 8. US-Luftflotte sahen weder am 3. noch am 4. April 1945 Nordhausen als Ziel vor. Die Operationsberichte der 8. Luftflotte geben auch keinen Großangriff auf Nordhausen an einem dieser beiden Tage an. Der Hauptzielplan für die amerikanischen Heeresflieger in Europa während des Zweiten Weltkrieges führt ebenfalls keinen Angriff auf Nordhausen im April 1945 auf“, teilte das amerikanische Aerospace Studies Institute auf Anfrage des Journalisten Manfred Neuber zu Beginn der 1960er Jahre schriftlich mit. „Aus anderen Quellen ist zu entnehmen“, gab der Leiter für geschichtliche Studien an diesem Institut der US Air Force University auf der Maxwell Air Base in Montgomery/Alabama, bei den Recherchen des Journalisten zu Protokoll, „dass am 3.und 4 .April 1945 vom Bomber Command der Royal Air Force schwere Angriffe auf Nordhausen geflogen wurden.“ Diese Angaben wurden von der Air Historical Branch im britischen Verteidigungsministerium (damals noch Ministry of War) dem Rechercheur bestätigt. Alle<br />
hier aufgeführten Originaldokumente wurden dem Stadtarchiv Nordhausen übergeben.<br />
<br />
* Nordhausen wurde anstelle Gothas bombardiert.<br />
** Diese Behauptung wurde u. a. von [[Kurt Kohlmann]] aufgestellt. So berichtete er von zwei US-Offizieren, die entsprechende Aussagen getätigt haben sollen: „Sie erzählten mir, der Kreisleiter von Nordhausen sei dreimal aufgefordert worden zu kapitulieren. Nachdem die Faschisten das dritte Mal abgelehnt hatten, sei ein auf Gotha angesetzer US-amerikanischer Bomberverband nach Nordhausen umgeleitet worden.“<ref name="Rudloff138">Jost-Dieter Rudloff: ''Warum wurde Nordhausen eine Woche vor Kriegsende 1945 in Brand gesetzt? Informationen und Überlegungen''. In: ''Beiträge zur Geschichte aus Stadt und Kreis Nordhausen (Band 44/2019)'', S. 138.</ref> Dies wurde ebenfalls von Herbert Meyer als unglaubwürdig zurückgewiesen.<ref name="Sting252"/><br />
<br />
* Nordhausen wurde wegen der Raketen-Produktion im Kohnstein bombardiert.<br />
** Den Alliierten war bekannt, dass sich im Kohnstein ein Rüstungsbetrieb befand, nicht jedoch, dass dort die V-Waffen gefertigt wurden.<ref>Jürgen Möller: ''Konzentrationslager Mittelbau-Dora''. Bad Langelsalza 2018, S. 33.</ref> Der Kohnstein war wegen der Kriegsgefangenenlager kein Angriffsziel.<ref name="Rudloff138"/><br />
<br />
* Die Nordhäuser Bevölkerung sollte wegen dem Konzentrationslager Dora-Mittelbau bestraft werden.<br />
** Dies wird durch kein Dokument der Alliierten bestätigt.<br />
<br />
* Nordhausen wurde aus militärischen Gründen bombardiert.<br />
** Die Stadt war verkehrstechnischer Knotenpunkt und Mittelpunkt der Nordthüringer Rüstungsindustrie und wurde auch von der deutschen Armeeführung als wichtig wahrgenommen.<ref name="Rudloff140">Jost-Dieter Rudloff: ''Warum wurde Nordhausen eine Woche vor Kriegsende 1945 in Brand gesetzt? Informationen und Überlegungen''. In: ''Beiträge zur Geschichte aus Stadt und Kreis Nordhausen (Band 44/2019)'', S. 140.</ref> Für das US-Militär bildete die Stadt kein strategisches Ziel mehr.<ref name="Rudloff140"/> Die Stadt Nordhausen erhielt militärische Bedeutsamkeit für die Bodentruppen der 1. US-Armee, auch wegen des Verschiebebahnhofs für Truppenbewegungen. Die Schonung der Rüstungsbetriebe mit ihrem Personal ergab sich aus der Hoffnung, möglichst viele Waffen und Fachkräfte zu erbeuten.<ref name="Rudloff140"/> Es gibt keinen Hinweis darauf, dass Nordhausen aus militärischen Gründen bombardiert wurde.<ref name="Rudloff140"/><br />
<br />
== Aufarbeitung und Gedenken ==<br />
=== 1945 bis 1990 ===<br />
==== DDR ====<br />
Bis zur Wiedervereinigung hielt sich die Behauptung, die United States Air Force habe Nordhausen am 3. und 4. April 1945 bombardiert. Zum einen wurde der US-Luftwaffe vorgehalten, dass die Angriffe auf Nordhausen ein Akt blinder Zerstörung und militärischer sinnlos gewesen seien, da das Ende des Dritten Reiches absehbar war. Andererseits wurde mit der „Gotha-Legende“ behauptet, dass Nordhausen bis zum Letzten verteidigt werden sollte und es deshalb zum Luftangriff kam. Damit wurde die Verantwortlichkeit für das Bombardement wahlweise den lokalen NS-Amtsträgern oder den USA zugeschrieben. <br />
<br />
Ein Interesse an einer realistischen Rekonstruktion hatte die SED auch aufgrund der Situation des Kalten Krieges nicht.<br />
Zum 40. Jahrestag der Luftangriffe wurde in der Lokalpresse erstmals von „250 britischen Lancaster-Maschinen“ gesprochen.<ref>„Die Zerstörung Nordhausens - Mahnung und Verpflichtung“, ''Das Volk'', 2. April 1985.</ref> Eine Revision der Geschichte fand jedoch nicht statt, und auch danach war mitunter vom „Zerstörungsangriff amerikanischer Bomber“ die Rede.<ref>''Unser Aktuelles Argument'', April 1985.</ref> Für die in der DDR-Propaganda kolportierte öffentliche Erinnerung erklärt sich aus dem politischen Bedürfnis, die „imperialistischen“ Angreifer als möglichst grausam und skrupellos erscheinen zu lassen, im Sinne antiamerikanischer Propaganda.<ref name="Winter63">Winter: ''Öffentliche Erinnerungen an den Luftkrieg in Nordhausen 1945 - 2005''. Marburg: Tectum-Verl., 2010. S. 63.</ref> <br />
Mit Verweis auf die Luftangriffe auf Nordhausen wurde auf tatsächliche oder vermeintliche aktuelle militärische Bedrohungen oder Konflikte Bezug genommen, z. B. auf den Vietnamkrieg. <br />
<br />
Insgesamt war die Nordhäuser Luftkriegserinnerung gekennzeichnet von einer eigentümlichen „Verwischung der Grenze zwischen Faktizität und Fiktionalität“, die nach dem Historiker Martin Sabrow typisch für das Geschichtsdenken in der DDR war.<ref>Martin Sabrow: ''Einleitung - Geschichtsdiskurs und Doktringesellschaft'', Potsdam: Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam (ZZF), 2000. S. 24.</ref><br />
<br />
Der Versuch einer wirklichen Aufarbeitung in der DDR wurde erstmals 1985 angestoßen, als [[Manfred Schröter]] anlässlich des 40. Jahrestages eine Publikation veröffentlichen wollte. Darin wurde dargelegt, dass die RAF und nicht die USAF für den Angriff im April 1945 verantwortlich gewesen war. Nachdem Schröters Buch nach Begutachtung und Korrektur durch den Historiker Olaf Groehler sowie der SED-Kreisleitung und Bezirksleitung in Druck gegangen war, konfiszierte die Kreisleitung am 29. März 1985 die gesamte Auflage und verhinderte eine Veröffentlichung.<ref name="Winter62">Winter: ''Öffentliche Erinnerungen an den Luftkrieg in Nordhausen 1945 - 2005''. Marburg: Tectum-Verl., 2010. S. 62.</ref> Vorausgegangen war ein öffentlicher Vortrag Schröters am 14. März 1985, in dem er seine Ergebnisse (im Beisein von Stasi-Spitzeln) vorstellte.<br />
<br />
Das Gedenken an die Luftangriffe wurde zu DDR-Zeiten auch stark mit dem Wieder- bzw. Neuaufbau der Stadt verwoben. In den ersten Jahren nach dem Krieg wurde vor allem zur Mithilfe agitiert, um durch das „Aufbauwerk“ einer „glücklichen, friedlichen und sonnigen Zukunft“ entgegenzutreten.<ref>„Aufbauerfolge dürfen nicht preisgegeben werden,“ ''Das Volk'', 7. April 1953.</ref> Ab Ende der 1950er Jahre verwies die SED auf die bisher erzielten Erfolge. Zum 40. Jahrestag der Bombardierung 1985 behauptete Oberbürgermeister [[Peter Heiter]], dass die Jahre des Sozialismus die erfolgreichsten in der über tausendjährigen Stadtgeschichte gewesen seien und verwies auf die Rolle der Partei als entscheidender Faktor für das Erreichte.<ref name="Winter81">Winter: ''Öffentliche Erinnerungen an den Luftkrieg in Nordhausen 1945 - 2005''. Marburg: Tectum-Verl., 2010. S. 100.</ref> <br />
Ein wichtiges Großereignis war die Instandsetzung des [[St.-Petri-Kirche|Petri-Turms]] mit einer neuen Turmspitze zum 42. Jahrestag 1987 als „wiedererstandendes Wahrzeichen“.<ref>„Kupferhelm für den Petritum“, ''Das Volk'', 7. April 1987.</ref><br />
In der Festschrift (1050 Jahre Nordhausen", 1977 herausgegeben vom Magistrat, heißt es: "Für den ausgesprochenen Terrorcharakter der<br />
anglo-amerikanischen Luftangriffe spricht auch, dass die Hauptstraßen des Schienen- und Straßenverkehrs funktionstüchtig blieben und die<br />
militärischen Anlagen der Stadt, insbesondere das Flugplatzgelände, weiter den Machthabern des Dritten Reiches für ihre verbrecherische <br />
Politik zur Verfügung standen."<br />
Die Festschrift hebt hervor: "Das heutige Nordhausen entwickelt sich dank der schöpferischen und angestrengten Arbeit der Arbeiterklasse<br />
und aller Bürger unserer Stadt, auf festen sozialistischen Fundamenten. Ständig entsteht Neues, man braucht sich nur umzuschauen."<br />
Dagegen bemerkte das "Bad Lauterberger Tageblatt" (Ausgabe vom 3./4. April 1985, Seite 3): "Der Wiederaufbau Nordhausens begann<br />
erst sehr spät und sehr schleppend. Noch immer bildet der alte Stadtkern eine weithin kahle Fläche."<br />
<br />
==== BRD ====<br />
<br />
In der Bundesrepublik wurde das Gedenken von dem Verein [[Nordhäuser Heimatfreunde]] getragen. Die erste gedruckte Ausgabe der Vereinszeitung ''[[Nordhäuser Nachrichten]]'' widmete sich der Zerstörung Nordhausens und auch in den folgenden Jahren bildete es ein wiederkehrendes Themenfeld mit zahlreichen Erlebnisberichten. Die Rolle des Vereinsvorsitzenden und früheren Nordhäuser NSDAP-Oberbürgermeisters [[Heinz Sting]] zum Gedenken wird kritisch gesehen.<ref name="Winter83">Winter: ''Öffentliche Erinnerungen an den Luftkrieg in Nordhausen 1945 - 2005''. Marburg: Tectum-Verl., 2010. S. 83 ff.</ref> So sei Sting zwar bemüht gewesen, klarzustellen, dass nicht die US-Luftwaffe die Stadt bombardierte, doch zeigte er sich auch bestrebt, die Rolle des Nationalsozialismus zu relativieren.<br />
<br />
Diese historischen Fakten hatte der Journalist [[Manfred Neuber]] schon vor 1965 in US- und britischen Archiven ermittelt und publiziert (''Bad Lauterberger Tageblatt'' um 1964 und am 3./4. April 1985 in „Das Drama von Nordhausen“, in der ''Herzberger Zeitung'' und im späteren ''HarzKurier'' in Herzberg, im ''Göttinger Tageblatt'' sowie Erwähnung in den ''Nordhäuser Nachrichten'').<br />
[[Herbert Meyer]], Oberbürgermeister Nordhausens in den letzten Kriegstagen und später Stadtdirektor in Bad Lauterberg, versicherte Manfred Neuber 1964 in einem Gespräch über dessen Recherchen in Großbritannien und in den USA, die Stadt Nordhausen habe keine Aufforderung der Alliierten erhalten, Nordhausen zur offenen Stadt zu erklären. Eine Entscheidung darüber hätte auch nicht in seiner Kompetenz gelegen: „Ob eine solche Aufforderung an den Kreisleiter Hans Nentwig ergangen ist und ob dieser sich geweigert hat, ihr nachzukommen, weiß ich nicht. Ich möchte es aber bezweifeln“, erklärte Meyer (Originalzitat in den Aufzeichnungen über das Treffen). Der NSDAP-Kreisleiter [[Hans Nentwig]] hatte das Bombardement in seiner Ausweich-Befehlsstelle unbeschadet überstanden. Er lebte in der Nachkriegszeit in Katlenburg. Von der marxistischen Geschichtsschreibung in der DDR wurde ihm wegen „seiner verbrecherischen Durchhalte-Politik“ eine Hauptschuld an der Zerstörung Nordhausens zugeschrieben.<br />
<br />
=== Seit 1990 ===<br />
<br />
Der 50. Jahrestag der Luftangriffe 1995 wurde mit einer Gedenkwoche unter der Losung „Nordhausen 1945: Erinnerung – Trauer – Mahnung“ weitaus größer begangen als die Jahre zuvor. 1993 hatte das Stadtarchiv angekündigt, diverse Maßnahmen einzuleiten, um ein würdiges Gedenken zu gewährleisten. Darunter zählte das Sammeln von Zeitzeugenberichten, realisierte Veranstaltungen und Projekte sowie die Planung einer Publikation zum Thema. Am 30. März 1995 wurde eine Metallplastik auf der oberen Plattform des Petri-Turms enthüllt und einen Tag später eine Ausstellung mit Fotos und Dokumenten eröffnet. Zudem erschien unter der Leitung des Stadtarchivars [[Peter Kuhlbrodt]] das Buch ''[[Schicksalsjahr 1945 – Inferno Nordhausen]]''. In den folgenden Tagen wurde ein ökumenischer Gedenkweg abgehalten, es gab Kranzniederlegungen am Gedenkstein auf dem Hauptfriedhof, dem Ehrenfriedhof und an der Boelcke-Kaserne. Begleitet wurde das Gedenken mit einer umfassenden Berichterstattung in der Presse, die auch überregional wirkte. <br />
<br />
Nach dem Jahr 1995 wurden die Jahrestage der Luftkriegserinnerung weitaus kleiner begangen.<ref name="Winter100"/> Ab Ende der 1990er Jahre erfolgte wieder eine allgemeine Repolitisierung der Luftkriegserinnerung.<ref name="Winter100">Winter: ''Öffentliche Erinnerungen an den Luftkrieg in Nordhausen 1945 - 2005''. Marburg: Tectum-Verl., 2010. S. 100.</ref> Es zeigte sich, dass sich die öffentliche Erinnerung mehr auf gegenwärtige Ereignisse als auf die Jahre des Zweiten Weltkrieges zu beziehen schien; so werden stärkere Bezüge zu außenpolitischen Themen<ref>Winter: ''Öffentliche Erinnerungen an den Luftkrieg in Nordhausen 1945 - 2005''. Marburg: Tectum-Verl., 2010. S. 101.</ref> oder Exkurse zum Rechtsextremismus hergestellt.<ref>[https://www.nnz-online.de/news/news_lang.php?ArtNr=108899 Zum Umgang mit der Bombardierung], nnz-online, 3. April 2012.</ref> Im Vergleich zu DDR-Zeiten wurde das Spektrum der Erinnerungsakteure erweitert, und vor allem die Kirche rückte in den Vordergrund. <br />
<br />
Seit den 2000er Jahren wird der Jahrestag der Luftangriffe mit der üblichen Kranzniederlegung an der Gedenkstele am Rathaus begangen. Seit 2017 werden statt Kränzen weiße Rosen niedergelegt.<ref>[https://www.nnz-online.de/news/news_lang.php?ArtNr=209936 Gedenken an der Stele], nnz-online, 3. April 2018.</ref> Im Gegensatz zu DDR-Zeiten werden Schuldzuweisungen an die Westalliierten weniger offen aggressiv und ideologisch untermauert vorgebracht.<ref>Winter: ''Öffentliche Erinnerungen an den Luftkrieg in Nordhausen 1945 - 2005''. Marburg: Tectum-Verl., 2010. S. 110.</ref><br />
<br />
=== Denkmäler ===<br />
[[File:Denkmal Bombenangriffe Nordhausen - Mai 2015.JPG|200px|thumb|Mahnmal am Alten Rathaus]]<br />
[[File:Gedenkstein Nordhausen.jpg|mini|200px|Gedenkstein am Massengrab für 600 Bombenopfer auf dem [[Zentralfriedhof an der Leimbacher Straße|Alten Friedhof]]]]<br />
* Mahnmal für die Opfer der Bombardierungen vor dem [[Altes Rathaus|Alten Rathaus]]: 1950 wurde ein Gedenkstein und eine Flammenschale am Sockel des früheren [[Lutherdenkmal]]s angebracht. Es trug die Inschrift: „4.4. 1945 - Zerstörung Nordhausens durch amerikanische Bomber - 8800 Opfer klagen an“ (''Amerikanische'' Bomber war falsch). 1969 wurde dieses Denkmal durch eine Säule des Künstlers Jürgen von Woyski ersetzt.<br />
* Auf dem [[Ehrenfriedhof]] westlich des ''Stresemann-Rings'' befindet sich ein 1999 umgestaltetes Denkmal in Erinnerung an die hier in Massengräbern beigesetzten über 1.600 KZ-Häftlinge, zum größten Teil Opfer der Luftangriffe auf die Boelcke-Kaserne am 3. und 4. April 1945. Viele Nordhäuser zivile Bombenopfer und Soldaten wurden auf dem nördlichen Teil des Sonderfriedhofs, des jetzigen Ehrenfriedhofs, oberhalb des Denkmals in Massengräbern beerdigt.<ref>Manfred Schröter: ''Die Zerstörung Nordhausens''. Nordhausen: Meyenburg-Museum, 1988. S. 59</ref><br />
* Auf dem ''Hauptfriedhof'' findet sich ein Denkmal, das die zusammenfassende Inschrift trägt: „Zum Gedenken an die Gefallenen und Vermissten beider Weltkriege, die Toten der Bombenangriffe, die Opfer aller Gewaltherrschaft. Die Bürger der Stadt Nordhausen“. Links seitlich von dem Denkmal, vor dem begrenzenden Zaun, wurde eine größere Anzahl von Bombentoten in Gemeinschaftsgräbern beigesetzt.<ref> Manfred Schröter: ''Die Zerstörung Nordhausens''. Nordhausen: Meyenburg-Museum, 1988. S. 59-60 </ref> Dort stehen noch einige große Kreuze, die wohl darauf hinweisen.<br />
<br />
== Zitate ==<br />
<br />
* „Das Ausmaß des Schreckens, der Verwüstung und des Todes, von dem unsere Stadt an jenen Apriltagen erfasst wurde, macht sie praktisch zu einem Synonym für die japanischen Städte Hiroshima und Nagasaki. Denn vergleicht man auf Airfotos ihre zerstörten Zentren, so lässt sich schwerlich ein gradueller Wirkungsunterschied erkennen.“ – ''[[Walter Geiger]]: [[Nordhausen im Bombenvisier]], S. 154.''<br />
* „Nordhausen wurde am 3. und 4. April 1945 zerstört, weil der ehrgeiziger britische Luftmarschall Sir Arthur Harris den britischen Volk und den Alliierten zeigen wollte, dass sein "Bomber Command" an das Handwerk des Tötens von deutschen Menschen perfektioniert hatte. Er löste einen furchtbaren Flächenbrand aus mit den stärksten Mitteln, die ihm zur Verfügung standen. Besonders verwerflich ist, dass er die Bombenziele auf die Nordhäuser Altstadt konzentrierte. Infam ist auch, dass er noch in den letzten Kriegstagen die Altstadt von Nordhausen mit einer nie vorher verwendeten Bomben-Mischung auslöschte. Er handelte der trotzig wie ein Kind, dem man das Spielzeug wegnehmen will. Harris wollte sich in letzter Stunde in Nordhausen ein Denkmal aus Leichen und Ruinen setzen.“ – ''[[Jost-Dieter Rudloff]]: Warum wurde Nordhausen eine Woche vor Kriegsende 1945 in Brand gesetzt? Informationen und Überlegungen. In: [[Beiträge zur Geschichte aus Stadt und Kreis Nordhausen (Band 44/2019)]], S. 141.''<br />
<br />
== Literatur ==<br />
*Jost-Dieter Rudloff: ''Warum wurde Nordhausen eine Woche vor Kriegsende 1945 in Brand gesetzt? Informationen und Überlegungen''. In: ''[[Beiträge zur Geschichte aus Stadt und Kreis Nordhausen (Band 44/2019)]]''.<br />
*Harald Rockstuhl (Hrsg.): ''[[Nordhausen – Luftbild-Atlas 1935–1945]]''. Bad Langensalza: Verlag Rockstuhl, 2017. ISBN 978-3959662833<br />
*[[Walter Geiger]]: ''[[Nordhausen im Bombervisier]]''. Nordhausen: Neukirchner, 2000. ISBN 3-929767-43-0<br />
*Olaf Groehler: ''Bombenkrieg gegen Deutschland''. Berlin: Akad.-Verl., 1990. ISBN 3-05-000612-9<br />
*[[Peter Kuhlbrodt]]: ''[[Inferno Nordhausen – Schicksalsjahr 1945]]''. Nordhausen: Archiv der Stadt Nordhausen, 1995. ISBN 3-929767-09-0<br />
*[[Martin Clemens Winter]]: ''[[Öffentliche Erinnerungen an den Luftkrieg in Nordhausen 1945 - 2005]]''. Marburg: Tectum-Verl., 2010. ISBN 9783828822214 <br />
*''Schicksale deutscher Baudenkmale im Zweiten Weltkrieg''. (Bd. 2) Berlin: Henschelverlag Kunst u. Gesellschaft, 1978.<br />
<br />
== Externe Verweise ==<br />
* [https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/1/1f/Nordhausen_concentration_camp_newsreel.webm Filmaufnahmen von der Boelcke-Kaserne (1945)]<br />
<br />
== Einzelnachweise ==<br />
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<references/><br />
<br />
[[Kategorie:Geschichte]]</div>Latimer Rex