Vor dem Hagentor 2

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Gebäude mit der Stadtmauer

Die Villa Vor dem Hagentor 2 (auch Haus Schultes) wurde von dem Architekten Paul Schultze-Naumburg 1908/1909 mit Arztpraxis entworfen.

Das auf abfallendem Gelände errichtete Gebäude wird durch einen kleinen eingeschlossenen Vorbereich von der Straße abgeschirmt. Haus und Grundstück grenzen unmittelbar an die Stadtmauer. Der Weg von außen in den Hof führt über eine eingezogene Treppe auf das Eingangsniveau. Einen winkelförmigen Grundriss bekrönt ein Mansarddach, das zwei Etagen aufnimmt und sich nach Süden in einen hohen Giebel aufweitet.

Mit der Errichtung der Villa wurde im November 1908 begonnen, Bauherr war Dr. med. Karl Schultes. In dem Haus wuchsen seine Kinder Karl und Margret auf. 1943/44 lebte auf Bitten und Drängen der Tochter die Künstlerin Käthe Kollwitz in dem Haus.

Zitat In die erste Reihe der Bauten, die aus dem Durcheinander von Eklektizismus, Jugendstil und englischer Landhausromantik heraus das bewußte Streben nach logischer klarer Massen- und Formenbehandlung erkennen lassen, gehört das Wohnhaus Dr. Schultes, das 1911 [sic!] an der städtischen Promenade durch Schultze-Naumburg errichtet wurde. Der Bau wirkt ohne formalistisches Beiwerk, lediglich durch die anspruchslos überzeugende Einfachheit seiner Erscheinung. Zitat
                    — Nordhausen. Die tausendjährige Stadt am Harz
„Haus Schultes – Vor dem Hagentore“

Romane von Rudolf Hagelstange

Die Villa „Vor dem Hagentor 2“ steht im Mittelpunkt der beiden Romane Das Haus – oder Balsers Aufstieg (1981) und Der Niedergang – Von Balsers Haus zum Käthe-Kollwitz-Heim (1983) des Nordhäuser Schriftstellers Rudolf Hagelstange, der darin die Geschichte seiner Heimatstadt im 20. Jahrhundert widerspiegelt.

Im Klappentext von Band 1, erschienen 1981 im List-Verlag München, ist dargestellt, wie der Protagonist Carl Balser als ärztlicher wie politischer Anwalt der kleinen Leute zu Ansehen und Vermögen kommt. So kann er von einem namhaften Architekten ein Haus bauen lassen, das im Laufe der Zeit zu einer Begegnungs- und Bildungsstätte für fortschrittliche Intellektuelle, Künstler und Arbeiter wird.

„Als 1914 der Krieg ausbricht“, heißt es in der Beschreibung, „wird Balser vorübergehend eingezogen, aber schließlich wieder freigestellt, um zu Hause seiner ärztlichen Tätigkeit nachgehen zu können. Den Verfall und das Ende des Kaiserreichs und die Errichtung der Republik erlebt Balser in der Hoff nung auf eine neue Zeit.“ Der Arzt und Philanthrop hatte sich dem Sozialismus verschrieben.

Im Band 2, erschienen 1983, der mit viel Lokalkolorit durchzogenen Nordhäuser Familien-Saga berichtet Hagelstange von den unruhigen Zeiten der Weimarer Republik, über Hitlers Weg an die Macht und sein Terrorregime sowie über die persönlichen Schicksale der Familie Balser. „Die Aufrüstung, die die Arbeitslosen von der Straße holt, führt direkt in den Zweiten Weltkrieg“, wird anschaulich belegt. Als Carl Balser jun. im Juni 1945 von der Ostfront heimkehrt, „ist die Stadt ein Trümmerhaufen, aber das Vater-Haus, in dem Käthe Kollwitz ihr letztes Lebensjahr verbrachte, steht unversehrt“. Mit ihrem Namen wird das Haus im real existierenden Sozialismus ein Kinderheim. Als Vertreter demokrati- scher Ideale übt er Kritik und Widerstand, muss schließlich in den Westen fliehen, alles zurücklassend.

Die Episode über die pazifistische Bildhauerin Käthe Kollwitz, die in Nordhausen Zuflucht gesucht hatte, ist mit Ein Licht im Dunkeln überschrieben. „Dass die nun greise Käthe Kollwitz in das Haus am Hagentor kommen würde, geschah ja nicht ex tempore und aus einer Laune heraus, sondern war das Ergebnis einer längeren Korrespondenz . . . bis sie eines Tages ihr ostpreußi sches Temperament überwunden hatte und den Sprung wagte.“

Hagelstange lässt die Kollwitz nach ihrer Ankunft in Nordhausen das Haus am Hagentor bewundern – „die schöne Terrasse, der wohlkomponierte Garten, die alte Stadtmauer, das anheimelnde und doch geschmackvolle Mobiliar. Sie brauchte sich nicht lange einzuleben. Sie erhielt das ruhigste Zimmer im Erdgeschoss und durfte der liebenswürdigsten Pflege gewiss sein. Ihr Name hatte ja schon seit Jahrzehnten unanfechtbaren Rang und Klang“. Mit ergreifenden Szenen schildert Hagelstange im Kapitel „Die Zerstörung der Tausendjährigen“ die Luftangriffe am 3. und 4. April 1945 auf Nordhausen. Die Balsers überlebten im Luftschutz-Keller der gegenüberliegenden Brauerei. „Als sie am nächsten Morgen dem Keller entstiegen – vier Kinder, zwei Invaliden, zwei Witwen – überraschte sie, was wie ein Wunder erschien: ihr geliebtes Haus war von Bomben und Flammen bislang noch verschont geblieben . . . Die Stadt brannte sieben Tage und sieben Nächte.“ m.n.