Dr. med. Oscar Hasse – Leben und Wirken eines Nordhäuser Arztes

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Textdaten
Autor: R. H. Walther Müller
Titel: Dr. med. Oscar Hasse
Untertitel: Leben und Wirken eines Nordhäuser Arztes
aus: Der Nordhäuser Roland (8/1955)
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Erscheinungsdatum: 1955
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Dr. med. Oscar Hasse
Leben und Wirken eines Nordhäuser Arztes
von Stadtarchivar R. H. Walther Müller


Am nördlichen Ausgange des Stadtparkes, da, wo kurz vor dem Kurhaus ein idyllischer Weg einst die Verbindung zwischen Hartmannsdamm und Kohnsteinallee bildete, steht ein wuchtiger Findling aus dem Harz, der ein schlichtes Porträtmedaillon trägt. Seit das Brückchen über den Flutgraben zerstört ist, wird der Weg von Wanderern kaum betreten, und so kommt es, daß auch der Gedenkstein den Nordhäusern fast unbekannt ist. Und selbst diejenigen, die den „Hassestein“ kennen, wissen kaum mehr über seine Bedeutung, als daß der Nordhäuser Harzklub-Zweigverein seinem Begründer und langjährigen Vorsitzenden, Dr. med. Hasse, dieses Denkmal setzte.

Ein halbes Jahrhundert hat genügt, diesen Mann in Vergessenheit geraten zu lassen, und es scheint beinahe so, als sei das vereinsamte Denkmal der traurige Überrest einer vergangenen Epoche von Vereinsmeierei und Lokalpatriotismus. Sehen wir aber genauer hin, dann müssen wir doch feststellen, daß die Errichtung des Steines im Jahre 1900 nicht allein dem begeisterten und erfolgreichen Förderer der Harztouristik, sondern vor allem dem verdienten Arzt und Forscher, dem gemeinnützigen Mitbürger, der ganzen, humanen Persönlichkeit galt. Das kam deutlich in den Reden anläßlich der Einweihung und Übergabe des Denkmals in die Obhut des Magistrats zum Ausdruck.

Oscar Hermann Hasse wurde am 13. März 1837 als Sohn des Pfarrers Carl Ferdinand Hasse und seiner Ehefrau, geb. Fessel, in Quedlinburg am Harz geboren. Nach dem Besuch des Gymnasiums seiner Vaterstadt legte er Michaelis 1856 das Abitur ab und bezog die Universität Greifswald, um Medizin zu studieren. Von 1859 bis 1861 war er an der Berliner Universität immatrikuliert und wurde hier am 29. Juli 1861 zum Dr. med. promoviert. Das Thema seiner Inauguraldissertation lautete: „De anaesthesia longe diffusa iin individuo epileptico“. Von 1861 bis 1864 arbeitete er als Assistent unter dem berühmten Diagnostiker und Chirurgen Wilms im Krankenhaus Bethanien zu Berlin, wo sich bereits seine besondere chirurgische Begabung erwies. Uber die ersten in Bethanien ausgeführten Tracheotomien (Luftröhrenschnitte), die damals insbesondere bei Diphteritis und der durch sie bedingten Erstickungsgefahr die ultimative Behandlungsweise darstellten, verfaßte er einen Bericht, der ihn eindeutig aus der Menge der Kollegen heraushob.

Inzwischen war Hasse, der gleich nach dem Abitur seiner einjährigen Militärpflicht von Oktober 1856 bis 1857 beim 2. Jäger-Bataillon genügt hatte, bei der Mobilmachung im Jahre 1859 (anläßlich des österreichisch-italienischen Krieges) als Unterarzt eingezogen worden. Als solcher nahm er auch am Schleswig-Holsteinischen Feldzuge vom Dezember 1863 bis Oktober 1864 teil. Mit dem Charakter als Assistenzarzt wurde er am 19. Oktober entlassen.

Bereits am 25. Oktober 1864 ließ er sich als praktischer Arzt, Wundarzt und Geburtshelfer in Nordhausen nieder, wo er zunächst bis 1870 in der Rautenstraße 343 wohnte. Hier entwickelte der 27jährige alsbald eine rege Tätigkeit auf einem Gebiete ärztlicher Kunst, das vor ihm nur wenige betreten hatten, nämlich dem der Blutübertragung. Angeregt durch Veröffentlichungen eines baltischen Arztes, Dr. Franz Gesellius, über die Transfusion des Blutes, unternahm Hasse seine ersten Versuche an Patienten aus Rottleberode und Nordhausen, deren Zustand an sich hoffnungslos zu sein schien. Der Erfolg war überraschend, und Hasse veröffentlichte einen Bericht über den Verlauf seiner Behandlung in der „Berliner Klinischen Wochenschrift“ 1869. Es verdient bemerkt zu werden, daß er seine ersten Transfusionen ohne medizinische Assistenz ausführte. Lediglich der im gleichen Hause wohnende und ihm befreundete, schon bejahrte Mathematikus und Stadtrat Ferdinand Oßwald, ein „durch manuelle Geschicklichkeit und Geistesgegenwart ausgezeichneter Mann“, leistete ihm willkommenen Beistand.

Diese zivile Praxis und Forschungsarbeit wurde mehrmals unterbrochen. Vom 12. Mai bis 15. September 1866 war er beim 3. leichten Feldlazarett des 4. Armeekorps eingesetzt, am deutsch-französischen Kriege nahm er als Stabsarzt im 5. Feldlazarett vom 20. Juli 1870 bis Kriegsende teil. Ausgezeichnet wurde er nach 1866 mit dem Roten-Adler-Orden IV. Klasse und 1871 mit dem EK II am weißen Bande.

Nach seiner Rückkehr nach Nordhausen setzte er, nunmehr in der Töpferstraße 25, seine ärztliche Praxis in der gewohnten Weise fort. Sein Ruf als hervorragender Wundarzt ging weit über die Grenzen der Stadt hinaus, und speziell seine Blutübertragungen hat er in mancher Bauernstube des Harzes und der Goldenen Aue zur Anwendung gebracht. Während er anfänglich den Patienten auf direktem Wege defibriniertes (ungerinnbar gemachtes) Menschenblut injizierte, wandte er sich seit 1873 der direkten Transfusion des Blutes von lebenden Lämmern auf den Menschen zu. Uns überläuft heute ein gelinder Schauer, wenn wir bedenken, daß das Verfahren ohne Kenntnis und Berücksichtigung der erst in diesem Jahrhundert entdeckten Blutgruppen vor sich ging. Es bleibt erstaunlich, wie hoch trotzdem der Prozentsatz der erfolgreichen Transfusionen und damit der Heilerfolge gewesen ist.

Den genauen Verlauf und die Ergebnisse der von ihm bis 1873 vorgenommenen 31 Blutübertragungen veröffentlichte Dr. Hasse in seiner Abhandlung „Die Lammblut-Transfusion beim Menschen“, die 1874 im Petersburger Verlag von Eduard Hoppe erschien.

Auch in technischer Hinsicht war er bemüht, die von ihm gewonnene Erfahrung der Ärztewelt zur Verfügung zu stellen, indem er die von ihm entwickelte Apparatur zur Ausführung der Transfusion dem Nordhäuser Mechaniker Ockert in Auftrag gab und in der Fachliteratur empfahl. Aus seiner sonstigen Praxis sind mangels anderweitiger authentischer Belege nur noch die zahlreichen Tracheotomien zu erwähnen, die er mit geübter Hand ausführte. Dem Verfasser ist ein noch heute lebender „Fall“ in Nordhausen bekannt, dem Dr. Hasse durch seine Operation das Leben gerettet hat.

Aus Hasses persönlichem Leben wissen wir nicht allzuviel. Aus seiner Ehe mit Adele Capelle, die 1865 geschlossen wurde, gingen zwischen 1866 und 1873 vier Söhne hervor. Von 1886 bis 1894 hatte er sein Domizil in der Schützenstraße 8, um schließlich in die Neubaugegend Bahnhofsplatz 2 zu übersiedeln.

In ganz besonderem Maße war Hasse unserm Harz verbunden. Wie er selbst körperliche Erholung und seelische Sammlung auf seinen Wanderungen fand, so suchte er auch andere zu begeistern, sich dem unerschöpflichen Jungborn der vom menschlichen Getriebe abgelegenen Berge und Wälder zuzuwenden. In diesem Sinne wurde er der Begründer des Nordhäuser Harzklub-Zweigvereins, sein Vorsitzender und Ehrenvorsitzender. Ihm war es Herzensbedürfnis, „Menschen, die in unserem gesellschaftlich und sozial zerklüfteten Kulturleben sich gleichgültig oder fremd oder gar feindlich begegnen, zu einer großem Familie zusammenzuschließen“. Als Dr. Oscar Hasse nach längerem Leiden am 14. 2. 1898 gestorben war, bedurfte es keiner großen Überredung, um Spenden für die Errichtung eines Gedenksteins zu sammeln. „Selbstlos und frei von persönlichem Ehrgeiz, schlicht und anspruchslos in seinem Äußeren, nachsichtig gegenüber menschlichen Schwächen, stets "bereit, in der Stille anderen zu helfen“ — so charakterisierte man einen Mann, der aufgrund seiner medizinisch-wissenschaftlichen Leistungen im „Biographischen Lexikon der hervorragenden Ärzte aller Zeiten und Völker“ (2. Auflage, Band 3, Berlin/Wien 1931) nach Gebühr gewürdigt worden ist.

Unsere Zeit mit ihrem betonten Interesse an den Naturwissenschaften und unsere Stadt mit ihrer reichen Tradition auf dem Gebiete der Naturforschung werden gewiß gern der Ehrenpflicht nachkommen, das Gedächtnis an einen Arzt zu erneuern und zu pflegen, der nicht nur 34 Jahre in Nordhausen wirkte, sondern der zu den Neuerern auf medizinischem Gebiet und zu den Wohltätern der Menschheit gerechnet zu werden verdient.